Das Vermächtnis des Pharao von Pijara ================================================================================ Kapitel 6: Yugis Ausbruch ------------------------- Was es auch war, es rettete ihm das Leben. Wie aus dem Nichts entstand eine Druckwelle, die den schweren Brocken, der ihn an den Boden fesselte, durch die Höhle schleuderte und ihn befreite. Atem rappelte sich auf, wollte auf Kiara zulaufen, die wie apathisch neben dem Podest stand und mit leerem Blick in die Ferne zu blicken schien. Doch so ganz ohne Schrammen schien er nicht davongekommen gewesen zu sein, denn seine Beine gaben schon nach zwei Schritten nach und er stürzte. Verbissen kämpfte er gegen den Schmerz an und kämpfte sich wieder auf die Beine. Mit zusammengebissenen Zähnen taumelte er auf Kiara zu, die keinerlei Reaktion zeigte. Und dann stand er vor ihr und beobachtete mit eigenen Augen, wie sich ihre gesamte Gestalt zu verändern schien. Das wunderschöne Lila in ihren Augen machte einem leuchtenden Gold Platz. Ihrer weißes Oberteil sowie der Rock und die Stiefel machten einem bodenlangen schwarzen Kleid Platz, das ihm klar machte, dass Kiara keineswegs mehr diejenige war, von der er hoffte, dass sie irgendwo in ihrem Inneren noch gegen das kämpfte, was nunmehr ihren Körper und all ihr Denken beherrschte. Das Kleid war ärmellos und unverschämt tief ausgeschnitten, was ihn schlucken ließ. Allein das zeigte ihm schon, dass er es nicht mit seiner Kiara zu tun hatte. Die lila Strähnen in ihrem Haar verfärbten sich ebenfalls zu einem tiefen Schwarz, während sich eine Miniaturabbildung der Krone des Geflügelten Drachen des Ra um ihre Stirn schlängelte. „Kiara?“, flüsterte er unsicher, doch sie reagierte nicht. Zögernd ergriff er ihre Schultern und zog sie näher an sich. „Kiara, hörst du mich?“ Schlagartig kehrte Leben in ihre Augen. Doch es war kein Erkennen, vielmehr eine schiere Boshaftigkeit, die ihm entgegenblickte. „Oh, tut mir Leid, Pharao, aber ich fürchte, dass deine kleine Prinzessin nicht mehr existiert. Und falls doch, dann irgendwo tief in einer Ecke ihres Bewusstseins, ohne das erforderliche Selbstbewusstsein, um das zurückzufordern, was ihr gehört.“ Atem wich zurück, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. Ihre Stimme war nicht mehr das, was sie einmal gewesen war. Sie hatte einen metallischen Unterton und hatte nicht einmal mehr annähernd Ähnlichkeit mit der Stimme von Kiara. Doch Atem gab nicht auf. „Doch, sie lebt noch.“ „Mag sein, aber sie ist viel zu schwach, um noch irgendetwas gegen mich zu tun.“ „Lass sie frei.“ „Hmm … das hättest du wohl gern, was?“ „Ich hab gesagt, du sollst sie frei lassen.“ Kiara – nein, das Wesen, das Kiara beherrschte – trat näher an ihn heran, strich mit ihren eiskalten Fingern über seine Wange und lächelte. „Sag ganz lieb Bitte Bitte!“ „Ich sag gleich ein paar ganz andere Dinge, wenn du nicht tust, was ich sage. Ich habe dich schon einmal in diesem Medaillon eingesperrt und ich schwöre dir, ich werde es wieder tun.“ Jede Spur von Gefühl erlosch in ihrem Gesicht und mit einem einzigen Schlag schickte sie ihn an das andere Ende der Höhle. Ungebremst krachte er gegen die schwarze Marmorwand und glitt zu Boden. Vor seinen Augen verschwamm die Höhle zu einem undefinierbaren Farbstrudel, der sich wieder klärte, als ihn jemand an der Schulter packte und auf die Beine zog. „Ausruhen kannst du dich immer noch. Wir sollten von hier verschwinden.“ Seto. „Aber wir müssen Kiara…“ „Darum kannst du dir Gedanken machen, wenn wir erstmal in Sicherheit sind. Sieh dich um! Kiara ist nicht mehr Kiara! Sie wird von dem Drachen beherrscht. Ich weiß, dass du sie retten willst, aber wir müssen erst einmal auf Abstand gehen und irgendwie einen klaren Gedanken fassen. Wenn du jetzt wie ein Besessener versuchst, sie zu befreien, machst du es nur noch schlimmer. Komm schon!“ Und damit packte er ihn am Arm und steuerte einen Gang an, der ihm vorher nicht aufgefallen war. „Wir müssen Yugi finden!“ „Kein Problem, ich weiß, wo er ist.“ Sie folgten dem Gang ungefähr zweihundert Meter und stolperten schließlich durch eine Tür hinein in eines der Klassenzimmer, die die Duellakademie beherbergte. Atem blickte sich beeindruckt um. „Nicht schlecht. Du hast ja wirklich was in diese Akademien investiert, was?“ Kaiba nahm sich ebenfalls die Zeit, sich kurz umzublicken und nickte. „Na ja, ich dachte… für zukünftige Duellanten sollte es nur das Beste sein.“ Der Pharao senkte den Kopf. „Und wie hat sich Kiara als Vertrauenslehrerin gemacht?“ Seto bemerkte die Trauer in seiner Stimme sofort und senkte ebenfalls den Blick. „Sie war bei den Schülern sehr beliebt, besonders bei Jaden und seinen Freunden.“ „Das war sie bestimmt.“ Seto blickte Atem wütend an. „Hey, warum tun wir eigentlich so, als wäre sie gerade gestorben?“ „Tun wir das?“ „Na ja … irgendwie schon!“ Seto packte Atem am Arm. „Hör mal zu! Kiara ist nicht tot, klar? Sie ist nur besessen. Und jede Besessenheit kann man irgendwie bekämpfen. Also tun wir, was immer wir tun müssen, um Kiara zu befreien, verstanden?“ Atem blickte ihn mit großen Augen an. „Wow! An Entschlossenheit scheint es dir jedenfalls nicht zu mangeln.“, bemerkte er, doch er nickte auch. „Alles klar. Lass sie uns aus diesem Schlamassel befreien.“ Damit durchquerten sie das Zimmer und machten sich auf die Suche nach dem Ausgang. Doch kaum hatten sie die Akademie verlassen, stockte ihnen der Atem. Die gesamte Welt schien sich von einer Sekunde auf die andere verfinstert zu haben. Pechschwarze Wolken zogen am Himmel über sie hinweg, aus denen Blitze zur Erde zuckten. Vereinzelt sah man am Horizont sogar Flammen in die Höhe lecken. Atem torkelte die letzten zwei Stufen der Treppe hinab und starrte entgeistert auf das Chaos. „Ich fass es einfach nicht.“ Und mitten im Zentrum des ganzen Geschehens, auf der Spitze des Kaiba-Turms thronte Kiara, deren schwarzes Haar wild umherflog. Selbst aus dieser Entfernung konnte er das goldene Schimmern ihrer Augen erkennen. Atem wurde flau im Magen. Das alles war seine Schuld. Warum nur hatte er nicht besser auf sie aufgepasst? Er hätte wissen müssen, dass die das Medaillon öffnen würde, um Bakura zu besiegen und jetzt … „Ich kann mich täuschen, Atem, aber … ist das da nicht auch Bakura?“, fragte Seto und deutete auf den kleinen Punkt, der neben Kiara erschienen war. Atem schüttelte den Kopf. „Das ist doch nicht zu glauben. Dieser Kerl schafft es doch immer wieder, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen.“ „Wie meinst du das?“ „Na ja … Ra hat Kiaras Körper übernommen. Ich hätte jetzt eigentlich gedacht, dass ihre Gefühle jetzt praktisch auch seine Gefühle sind, aber scheinbar ist dem nicht so. Denn sonst würde Bakura ganz sicher nicht mehr unter uns weilen.“ „Du meinst …“ „Das ist nicht Kiaras Zorn, Angst oder … oder etwas in der Art, gegen das wir kämpfen müssen. Es ist nur der Geflügelte Drache des Ra. Und ich habe das Gefühl, dass er verdammt sauer ist.“ „Was wohl daran liegt, dass du ihn vor Jahren in ein Medaillon eingeschlossen hast.“ „Ja, und jetzt siehst du auch, dass ich dazu einen guten Grund hatte.“ „Ach wirklich? Ist er damals auch schon mal so ausgerastet?“ „Das weiß ich nicht mehr.“ „Na ja, fragen werde ich ihn ganz sicher nicht.“ „Lass uns Yugi suchen.“ Seto warf noch einmal einen letzten Blick auf Kiara und er hatte das komische Gefühl, dass sie ihn und Atem über die gesamte Entfernung hinweg direkt ansah. „Wir holen dich da raus, Kiara.“ Dann folgte er Atem. „Und du meinst, dass Ra Kiara jetzt in irgendeine Ecke ihres Bewusstseins gedrängt hat und das hier alles veranstaltet, nur weil er wütend darüber ist, dass du ihn vor Jahren in ein Medaillon eingeschlossen ist? Junge, das übertrifft ja die Rachegelüste aller Frauen auf der Welt zusammen!“, bemerkte Yugi, der mit verschränkten Armen auf seinem Bett saß und Atem nachdenklich anblickte. „Das heißt also, wir müssen irgendwie versuchen, Ra dazu zu bringen, Kiaras Körper zu verlassen.“, schlussfolgerte Seto. Atem nickte, was Yugi den Kopf schütteln ließ. „Nichts leichter als das.“ „Hey, Sarkasmus hilft uns auch nicht weiter.“ „Mag sein, aber falsche Hoffnungen genauso wenig. Ich meine, Ra war Tausende von Jahren in einem Schmuckstück gefangen. Kiaras Körper muss ihm da ja wie ein Palast vorkommen. Ich glaube also kaum, dass er freiwillig gehen wird.“ Atem kniff die Augen zusammen. „Miesmuschel.“, knurrte er und blickte aus dem Fenster. Zu den Blitzen hatte sich zwischenzeitlich auch Donner gesellt. Es herrschte Dauerfinsternis. Atem lehnte den Kopf gegen die Wand hinter ihm und schluckte ein paar Tränen hinunter, die in seiner Kehle aufstiegen. Seit er diese Welt zum ersten Mal betreten hatte, hatte Kiara es geschafft, ihn zu fesseln. Sie hatten gemeinsam jedes Hindernis überwunden, das sich ihnen auf der Suche nach seinen Erinnerungen in den Weg gestellt hatte. Die ganze Zeit über hatte er es immer wieder geschafft, die Schwester seines besten Freundes zu beschützen. Und während all dieser Zeit waren sie immer auf eine ganz besondere Art und Weise miteinander verbunden. Anfangs konnte Atem mit den Gefühlen nichts anfangen. Er hatte sich immer wieder eingeredet, dass er wahrscheinlich genauso wie Yugi empfand, einfach das Gefühl hatte, Kiara wäre seine kleine Schwester. Doch das änderte sich schlagartig, als ihnen klar wurde, wer Kiara wirklich war – die Wiedergeburt der Pharaonenprinzessin Thia, der einzigen Frau, die es jemals geschafft hatte, die Gefühle des Pharaos Atem für sich zu gewinnen. Die Zwillingsschwester des Pharaos – und mehr. Mit einem Mal wurde Atem klar, woher seine Zuneigung zu Kiara wirklich kam, dass seine Gefühle nicht die gleichen waren, die ein Bruder für seine kleine Schwester empfand. Das Problem war nur … er lebte im Körper ihres Bruders, hatte keinen eigenen Körper. Wie sollte so etwas also funktionieren? Und dann kam der Tag, an dem er seine Erinnerung wieder fand. Zusammen mit Kiara reiste er in die Vergangenheit und gemeinsam stellten sie sich ein zweites Mal den Mächten der Finsternis und besiegten sie endgültig – zumindest dachten sie das damals. Sein Geist überließ Seto die Herrschaft über Ägypten und er und Kiara kehrten in die reale Welt zurück. Das Schlimmste war überstanden, so dachten sie zumindest damals. Denn allen war klar, dass Atem nicht bleiben konnte, dass er in das Totenreich zurückkehren musste, um endlich erlöst zu werden. Und dazu musste er sich Yugi in einem Duell stellen. Atem dachte an das Duell zurück und stellte fest, dass das Duell damals eigentlich eines der längsten gewesen war, die er jemals absolviert hatte und doch hatte er – wenn er zurückdachte – das Gefühl, dass es nur ein paar Sekunden gedauert hatte. Er hatte verloren, hatte verloren und war in das Reich der Toten zurückgekehrt – und er hatte alle zurückgelassen. Yugi, Joey, Thea, Tristan, Seto …… Kiara. Atem kniff die Augen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten, doch es funktionierte nicht. „Atem?“, drang Yugis besorgte Stimme an sein Ohr, doch er schüttelte den Kopf. „Alles in Ordnung. Es ist nichts.“ „Es ist nicht deine Schuld, Atem! Hättest du dich mit Fäusten gegen Ra wehren sollen?“ „Ich hätte sie besser beschützen müssen.“ „Hör doch endlich mal damit auf, dir immer wieder die Schuld zu geben. Du bist nicht schuld. Und wir werden Kiara da herausholen, klar? Also hör endlich auf, in Selbstmitleid zu ertrinken und hilf uns lieber dabei herauszufinden, wie wir Kiara befreien können.“ „Dein Freund hat Recht, Pharao! Selbstmitleid bringt uns nicht weiter. Initiative schon eher.“ Atem warf Seto einen forschenden Blick zu. „Ihr habt Recht.“ „Sicher haben wir das.“ „Deswegen werde ich allein gehen.“ Yugi sprang auf und Seto schüttelte den Kopf. „Was soll das jetzt werden? Kamikazeaktionen bringen uns ebenso wenig weiter wie Selbstmitleid.“ „Ihr versteht das nicht.“ „Da magst du Recht haben, wir verstehen es wirklich nicht.“ „Ihr könnt das auch gar nicht verstehen. Yugi, du hast doch selbst gesagt, dass Kiara immer noch mein Mädchen ist. Deswegen bin ich auch der einzige, der den Teil, der Kiara ist, dazu bringen kann, gegen Ra anzukämpfen.“ Yugi, der an der Wand lehnte und immer noch die Arme vor der Brust verschränkt hatte, blickte ihn finster an. „Was ist los?“ „Gar nichts.“ „Warum dann dieser Blick?“ „Warum bist du eigentlich der Meinung, dass immer nur du derjenige bist, der eine Chance hat, die Welt zu retten?“ Atem prallte zurück. „Wie bitte?“ „Ich hab manchmal wirklich das Gefühl, dass du es abgöttisch liebst, der Mittelpunkt allen Geschehens zu sein.“ „Yugi!“, fauchte Atem und ließ seine Faust gegen die Wand hinter sich krachen. „Du weißt, dass ich Recht habe.“ „Und du weißt, dass es genauso ist, wie ich es sage.“ „Ich bin ihr Bruder. Warum kann nicht auch ich in der Lage sein, meine Schwester zu retten? Warum ist es ausgerechnet seine Hoheit der Pharao, der dazu fähig sein soll?“ Atems Augen weiteten sich. So hatte Yugi noch nie mit ihm gesprochen. „Du glaubst also, ich hab es mir ausgesucht, ja? Du glaubst, es macht mir Spaß, immer wieder mein Leben zu riskieren, weil …“ „Spaß vielleicht nicht, aber kann sein, dass du dich ja an den Ruhm gewöhnt hast, der dir dabei in den Schoß fällt.“ „Hör auf damit! Ich will Kiara retten, weil ich …“ „Weil sie dir dann wieder auf Ewig dankbar sein, mich dabei völlig vergessen und sich dir, ihrem Retter, in die Arme werfen wird, richtig?“ Selbst Seto runzelte die Stirn, als Yugi Atem diese Worte an den Kopf warf. „Ich weiß nicht, was mit dir los ist, Yugi, aber eines sollte dir klar sein. Ich habe um all das hier nicht gebeten. Ich hatte nie vor, mich wieder in euer Leben einzumischen und euch wieder in Gefahr zu bringen. Ehrlich gesagt, wäre es mir lieber gewesen, wenn ich im Totenreich hätte bleiben können. Ich weiß ganz genau, wie sehr ich Kiara weh tun werde, wenn ich wieder verschwinde. Und weißt du was? Ich hasse mich dafür, dass ich ihr solche Hoffnungen mache! Ich wünschte, ich hätte es niemals so weit kommen lassen.“ „Ja, das hätte ich mir auch gewünscht. Mittlerweile bin ich sogar so weit, dass ich mir wünsche, du wärst wirklich nicht zurückgekehrt.“ Atems Augenbrauen zogen sich zusammen, bildeten fast einen geraden Strich über seinen Augen. „Na schön, Yugi! Wenn du so von mir denkst, sollte ich vielleicht wirklich gehen. Ich hoffe nur, du machst keinen Fehler.“, knurrte er und steuerte die Tür an. „Ach und übrigens: Ich wünsche dir viel Erfolg dabei, deine Schwester zu retten!“, zischte er, stürmte aus dem Zimmer und knallte die Tür zu. Selbst Seto fuhr zusammen, doch er fing sich rasch wieder und blickte Yugi nachdenklich an. „So hab ich dich ehrlich gesagt noch nie erlebt.“ „Was meinst du?“ „Du hast gerade deinem besten Freund ein paar Dinge an den Kopf geworden, die ehrlich gesagt ziemlich unter die Gürtellinie gingen.“ „Du weißt ganz genau, dass ich Recht habe.“ „ Und du weißt ganz genau, dass du nicht das Recht hast, so mit Atem zu reden.“ „Seit wann verteidigst du ihn? Bisher hast du nichts Besseres zu tun gehabt, als dich mit ihm bei jeder Gelegenheit zu streiten.“ „Schon möglich. Aber ich weiß, dass Kiara in Gefahr ist und ich weiß, dass es ihr nicht hilft, wenn wir pausenlos streiten. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, Yugi. Ich weiß, wann ich mich zusammen reißen muss, aber dir scheint dieses Wissen ein wenig zu fehlen.“ „Und wenn schon! Was interessiert es dich? Ich kann mich nicht erinnern, dich um deine Meinung gebeten zu haben.“, fauchte Yugi, stolzierte an Seto vorbei und ließ sich auf das Bett sinken, wo er mit verschränkten Armen saß und aus dem Fenster blickte. Seto setzte dazu an, etwas zu sagen, ließ es aber bleiben und verließ das Zimmer. „Du weißt, wo du Hilfe findest, wenn du sie brauchst.“, murmelte er noch, bevor er die Tür schloss. Yugi schluckte den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. Was war nur in ihn gefahren, dass er auf diese Art und Weise auf seine Freunde los ging? Traurig blickte er sich in seinem Zimmer. Atem, Seto, selbst Kiara ... Keiner war da und dass, obwohl sie eigentlich ein eingeschweißtes Team waren, die besten Freunde. Stattdessen war er allein, hockte einsam auf seinem Bett und dachte darüber nach, wie er seine Schwester retten konnte. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. „Warum nur konnte ich meine Klappe nicht halten?“, fluchte er und verbarg sein Gesicht in den Händen. „Atem! Atem, jetzt warte doch!“ Seto griff nach Atems Ärmel und stoppte seinen wilden Lauf. „Wo willst du hin?“ „Dahin, wo Yugi mich hingeschickt hat.“ „Zurück in das Totenreich?“ „Ganz genau!“ „Komm schon! Du glaubst doch nicht wirklich, dass er das ernst gemeint hat!“ „Tja, ich weiß ja nicht, ob du das Gleiche vernommen hast, wie ich, aber ich für meinen Teil fand schon, dass es sehr ernst klang.“ „Yugi macht sich Sorgen um seine Schwester, er war aufgebracht.“ „Und trotzdem hat er noch nie auf diese Art und Weise mit mir geredet.“ „Rede mit ihm! Sprecht euch miteinander aus. Ihr seid doch die besten Freunde. Wenn ihr solche Krisen nicht überwinden könnt, kann das keiner.“ „Ich werde mich Yugi ganz sicher nicht aufdrängen.“ „Auch nicht Kiaras wegen?“ Atem antwortete nicht. „Sie braucht dich. Und das weißt du auch. Das weiß auch Yugi. Das weiß jeder hier auf diesem Planeten. Und du hast verdammt noch mal die Pflicht, deine Freundin aus den Klauen von Ra zu befreien, völlig abwegig davon, was Yugi sagt oder meint. Sie mag ja seine Schwester sein, aber das Band, das euch beide verbindet, ist meiner Meinung nach stärker als das Band, das Yugi und Kiara beiden verbindet. Hilf ihr, Atem!“ Atem kniff die Augen zusammen. „Wo ist der Haken?“ „Was für ein Haken?“ „Du bist plötzlich so nett zu mir? Hat das einen bestimmten Grund?“ „Darf ich nicht auch mal nett sein?“ „Bisher bist du mir bei jeder Gelegenheit an die Gurgel gegangen. Tut mir leid, wenn ich daher ein wenig misstrauisch bin, wenn du plötzlich so ... nett zu mir bist.“ „Du beschämst mich, Pharao, ehrlich. Kiara ist meine Freundin und ich will ihr helfen. Und wenn du der Einzige bist, der ihr helfen kann, und ich zweifle nicht im Mindesten daran, dann werde ich dir helfen, wo ich nur kann.“ Atem nickte dankbar. „Kiara kann echt froh sein, dich zum Freund zu haben.“ Und zu seiner Überraschung lächelte Seto. „Sie kann froh darüber sein, jemanden zu haben, der sie so gern hat, wie du.“ Der Pharao räusperte sich. „Schluss jetzt mit dem sentimentalen Getue. Sowas ... ist ... ist Frauensache.“ „Richtig.“, stimmte Seto zu und räusperte sich ebenfalls. „Also schön! Wo fangen wir an?“ „Keine Ahnung!“, entgegnete Seto schulterzuckend. „Ich dachte, du hast einen Plan.“ Atem blickte traurig zu Boden. „Ich hatte einen. Aber der hätte die Hilfe von Yugi erfordert.“ Seto verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann weißt du ja sicher, was du zu tun hast.“ „Nein, was denn?“ „Du wirst deinen Hintern jetzt bewegen, und zwar schnurstracks in Richtung Yugi und mit ihm reden.“ „Er will nicht mit mir reden, Seto, begreif das doch! Er ist fest im Glauben, ich würde all das hier nur auf mich nehmen, weil ich endlosen Ruhm einheimsen möchte.“ „Dann wirst du das jetzt klar stellen.“ „Du denkst dir das so einfach. Aber wenn Yugi sich auf diese Vorstellung versteift hat, dann werde ich ihn wohl kaum so einfach umstimmen können.“ „Versuch es doch wenigstens.“ „Es wird nichts bringen, Seto!“, beharrte Atem stur und wandte sich zum Gehen. „Ohh … Himmel, Herr Gott nochmal, Atem!! Seit wann lässt du dich von so etwas aufhalten?“ „Seit es mein bester Freund ist, der mir Steine in den Weg legt.“ „Atem! Yugi hat Angst um seine Schwester und das ist auch der Grund, warum er anfängt, solche Dinge zu sagen.“ „Meinst du? Für mich klang es eher so, als würde er sich endlich etwas von der Seele reden, was er schon lange hatte loswerden wollen.“ „Und da hat er vollkommen Recht!“, vernahm er Yugis Stimme, der keine drei Meter von ihnen entfernt stand und ihn finster anblickte. „Yugi, ich …“ „Spar dir die Luft! Du verschwendest sie nur, wenn du versuchst, mir meine Meinung auszureden.“ Atem seufzte hilflos. „Ich versteh einfach nicht, was in dich gefahren ist, dass du so etwas von mir denkst. Ich meine, wie kommst du darauf, dass …“ „Ich hab wirklich keine Zeit dafür, dir deine eigenen Gefühle und Empfindungen zu erklären, vor allem deine Ziele!“, fauchte Yugi und stürmte an den beiden völlig verdatterten Freunden vorbei. „Wo willst du hin?“ „Ich werde meine Schwester befreien und dir endgültig beweisen, dass ich genauso wie du dazu fähig bin, meiner Schwester zu helfen!“ „Yugi, warte! Du kannst sie nicht allein befreien!“ „Warum nicht? Weil ich nicht du bin?“ „Nein! Weil Ra viel zu mächtig ist, um nur durch die Hilfe ihres Bruders zurückgedrängt werden. Sie braucht jede Hilfe, die sie kriegen kann.“ „Oh vorhin klang das aber …“ „Ich weiß, was ich vorhin sagte und es tut mir leid, Yugi! Ich schätze, ich habe mich einfach überschätzt.“ „Ist dir das auch schon aufgefallen, ja?“ Atem schloss die Augen und rang nach Fassung. Als er die Augen wieder aufschlug, war er so ruhig, wie schon lange nicht mehr. „Ich will sie einfach nur retten, Yugi. Mehr will ich nicht.“ Yugi schwieg, doch Atem konnte schwören, dass er die Rädchen in seinem Kopf arbeiten hören konnte. Diesmal lag etwas in seinem Blick, das ihm klar machte, dass er zumindest zu einem winzigen Teil zu ihm durchgedrungen war. Blieb nur noch die Frage, wie Yugi reagieren würde. Und endlich, nach einer Ewigkeit, wie es ihm vorkam, spielte ein leichtes Lächeln um Yugis Lippen. „Ich schätze, ich hab ganz schön überreagiert, was?“ „Ich kann dich aber auch gut verstehen. Ich glaube, wie ein Engel hab ich mich auch nicht gerade aufgeführt.“ „Und ich … ich hab ein paar Sachen gesagt, die ich so nicht …“ „Hey! Vergiss es, okay?“ „Aber …“ „Vergiss es einfach.“, beharrte Atem, während er auf Yugi zuging und ihm die Hand entgegenstreckte. „Freunde?“ Der Ausdruck von Erleichterung, der auf Yugis Gesicht erschien, machte Atem klar, dass er sich richtig entschieden hatte. „Freunde.“, antwortete er und blickte überrascht auf, als sich eine dritte Hand auf ihre legte. „Holen wir Kiara aus diesem Schlamassel raus.“, fügte Seto hinzu, während alle drei entschlossen auf Kiara blickten, deren Gestalt majestätisch über dem Chaos zu schweben schien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)