Fensterlos von Sakashi ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Er stand auf, streckte sich und unterdrückte ein Gähnen, während er auf die geschlossene Tür zulief, die sich auf der anderen Seite des Zimmers befand. Er war kaum einen Schritt über die Türschwelle getreten, als er etwas bemerkte. In der Stille, die immer noch in der Wohnung herrschte, vernahm er ein sehr leises Röcheln, das aus der Richtung des Gästezimmers kam. Wie in Trance eilte er zu der mit Eisen beschlagenen Türe am Ende des mittlerweile in strahlend helles Licht getauchten Flurs. Er strauchelte und wäre beinahe gefallen, aber er konnte sich gerade noch rechtzeitig an der verschnörkelten Türklinke festhalten. Entsetzt hielt er inne und richtete seinen beinahe schon verstörten Blick auf den Boden, in Erwartung dort etwas, dass bis vor kurzem noch gelebt hatte, zu finden. Er schauderte, als er sah, über was er da gerade gestolpert war. Es war nur eine Falte in dem blauen Berberteppich, der durch den langen Flur verlief. Wieder hörte er das leise Röcheln aus der Richtung des Gästezimmers. Neugierig aber auch noch entsetzt von dem Schrecken kurz vorher, riss er die Gästezimmertür auf. Das Fenster stand weit offen und der leichte, himmelblaue Vorhang glitt raschelnd vor und zurück, als wollte er eine wichtige Botschaft überbringen. Sein erster erschrockener Blick wurde allerdings von etwas anderem angezogen. Der alte Schaukelstuhl stand in der Ecke und schien sanft zu schaukeln, darauf saß ein Kind, das Kind seiner Schwester. Es war ein kleines Mädchen, mit blonden Locken und einem engelsgleichen Gesicht. Sie sah aus, als würde sie schlafen und könnte jeden Moment erwachen. Man müsste sie nur antippen und sie würde Louca mit ihren grünen Augen anstrahlen und ihn leicht quengelnd fragen: „Louca, spielst du mir was? Bitte?!“ Auch wenn Louca dann etwas genervt ein grummliges „Wenn‘s unbedingt sein muss.“ zurückgebrummt hätte, hätte er sie auf den Arm genommen und auf seinen Flügel gesetzt, wo sie dann ohne einen Laut von sich zu geben bewundernd seiner Musik zugehört hätte. Jedes Mal, wenn sie das tat, erinnerte er sich an seine eigene Kindheit. Was hätte er nicht alles dafür gegeben, ebenfalls solche Momente zu erleben. Aber sie tat es nicht, Louca würde ihr nie wieder eine brummige Antwort geben und sie würde ihn nie wieder mit vor Freude überquellenden Augen ansehen, nachdem er für sie gespielt hatte. Nie wieder. Die Minuten verstrichen, doch es kam ihm vor, wie eine nicht enden wollende Ewigkeit. Schwerfällig und betäubt vor Schmerz drehte er sich zum Gästebett um, dort lag seine Schwester. Sie atmete flach und sah ihn mit vor Angst verzerrter, qualvoller Miene an: „Er hat sie mir weggenommen,“ schluchzte sie leise röchelnd „ich, ich konnte nichts tun.“ Und noch einmal: „Er hat sie mir weggenommen!“. Das zweite Mal sagte sie es leiser und noch ängstlicher. Während sie ihm dies zuflüsterte, packte sie mit einer erstaunlichen Kraft seine Hand und hielt sie fest umklammert. Auch noch, als Sekunden später ihr wisperndes Röcheln erstarb und der letzte Atem leise zischend aus ihrer Lunge entwich. Mit seiner freien Hand schob er die weiche Decke, die um sie geschlungen war, nach unten und entdeckte... An diesem Punkt seiner Erzählung stockte er jedes Mal, wohl weil die Mischung aus Angst, Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit noch einmal in einer großen Woge über ihn hinweg schwappte. Vielleicht sogar genauso schlimm wie damals, als er zuerst seine Nichte und am Ende auch noch seine Schwester hinterhältig und grausam ermordet aufgefunden hatte. Sein Schock und das Entsetzen über dieses Erlebnis sollte sein ganzes Leben verändern. Er fand nie heraus, wer die beiden getötet hatte oder aus welchem Grund sie so hatten sterben müssen. Es wurde nur festgestellt, dass seine Nichte vergiftet und seine Schwester kaltblütig erschossen worden war. Ein gut gezielter Schuss, mitten ins Herz, es war ein Wunder, dass sie noch eine Weile ausgeharrt und seinem Klavierspiel gelauscht hatte. Bis dann ihr Herz letztendlich doch zu schlagen aufhörte. Seit diesem Tag hatte er nie wieder ein Klavier, geschweige denn einen Flügel angefasst. Er gab sich die Schuld an dem, was geschehen war, da er, als es passiert sein musste, völlig in sich versunken an seinem Flügel gesessen hatte und den Eindringling nicht vernommen hatte. Nach dem Fund seiner beiden toten Familienmitglieder lebte er in einem schweren Schockzustand, aus dem ihn nichts herausreißen konnte. Keine Klaviermusik, keine beschwichtigenden und tröstenden Worte, ob von seiner Mutter oder von seinem Vater. Keine liebevoll zugeflüsterten Worte seiner Freundin und auch nichts sonst, was er zuvor fast abgöttisch geliebt und verehrt hatte. Er zog sich ins Innerste eines Schneckenhauses, welches einem fensterlosen Verließ glich, zurück. Es bot ihm Schutz vor seinen Gedanken und Erlebnissen und auch das für ihn so wichtige Vergessen eben dieser. Es war eine Art Selbstschutz, die jedoch mehr zerstörte als bewahrte und ihn nur davor schützte, nicht von innen heraus aufgefressen zu werden, von seinen unerträglichen Schuldgefühlen und seiner beinahe ebenso großen Sucht, sich ans Klavier zu setzten und seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Stunde um Stunde, Tag um Tag verwahrloste er mehr. Man konnte seinem inneren Verfall ebenso zusehen, als ob auch davon riesige Poster an den Wänden seiner Wohnung kleben würden, die jeden Abschnitt seines Leidens genau dokumentierten und veranschaulichten. Sein Blick wurde leer, sein einst so kraftvolles, einnehmendes Lächeln erlosch und auch an seinem Äußeren wurde sein Zerfall sichtbar. Glanzlose Augen, die dunklen Höhlen glichen, stumpfes, schlaff herabhängendes Haar, graue Haut und eine in sich zusammengesunkene Haltung. Aus dem einst hübschen und vor Kraft strotzenden jungen Mann war in kurzer Zeit ein grauer, lebloser alter Mann geworden, der das Leben nicht mehr als lebenswert empfand und mit kalter, verbissener Miene den Rest der Menschheit verachtete. Er war misstrauisch geworden, sah in jedem, der ihm begegnete, einen Mörder, glaubte nur noch an das Böse im Menschen und zerbrach an seiner Hoffnungslosigkeit. Als ich ihn kennen lernte, lag dieses Geschehen bereits Jahrzehnte zurück. Er hatte damals einen hellgrauen, fast weißen Bart und eine seltsam bunte Brille, die wohl von seinen leblosen Augen ablenken sollte. Er saß in einem bizarren Stuhl, der so aussah, als ob man nur darauf sitzen könnte, wenn man sich absolut aufrecht daraufsetzte und reglos in dieser Position sitzen blieb, bis es beinahe aussah, als ob man versteinert wäre. Die leblosen Augen auf einen Tisch in der Mitte des Raumes gerichtet, hatte er mich misstrauisch angebrummt, ich solle verschwinden, er brauche keine Hilfe. Ich versuchte ihm daraufhin zu erklären, dass ich keineswegs die Absicht hatte, ihm zu helfen. Ich wollte ihn wachrütteln. Ihn zurück in die Realität holen, so grausam diese auch sein mochte. Er ließ sich beschwichtigen und ich besuchte ihn fortan oft, um entweder stillschweigend seinem leeren, starrenden Blick folgend an seiner Seite auszuharren oder um ein paar seltene Worte mit ihm zu wechseln. Ich weiß nicht, wie ich es schaffte, sein Vertrauen in mich zu erwecken, aber nach unzähligen Stunden, die ich in diesem Raum mit ihm verbrachte, begann er davon zu erzählen, was er die letzten Jahrzehnte beobachtet hatte. Es hörte sich an, als ob er in einem Käfig aus Glas in der Welt umher gewandelt wäre. Er konnte zwar die Welt um sich herum sehen, verstand jedoch die Bedeutung nicht, da er sie durch das Glas nicht hören konnte. Er erzählte von den vielen einsamen Stunden, Tagen, Monaten und Jahren, die schleppend langsam an ihm vorbei geflossen waren und ihn mit jeder Minute mehr in die Verzweiflung gestürzt und ihn seinem Selbstmitleid und seinem Schmerz überlassen hatten. So und da ist auch schon der nächste Teil ^^, ich werd auch gleich den dritten und letzten veröffentlichen... Im Moment sitzte ich noch an einer anderen Geschichte, die aber partout ihren eigenen Kopf hat und sich allein entwickelt,... aber das dauert noch... (und ich hab mir vorgenommen nichts mehr on zu stellen, bevor es nicht fertig und überarbeitet ist...) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)