Wounded Soul von Redbird2 ================================================================================ Kapitel 3: Lebkuchenhexe Boris ------------------------------ So, diesmal kommen meine weisen Worte zu Anfang. Hab nämlich irgendwie das Gefühl, dass ich mich für die Kapitelüberschrift rechtfertigen muss.^^' (Auf Wunsch einer einzelnen Dame, haben meine Chapters jetzt nämlich Titel!;D) Also, die Überschrift klingt eigentlich weitaus lustiger als das Kap tatsächlich ist, aber andererseits ist es auch nicht ganz so düster wie üblich. Muss zudem bekennen, dass ich üblicherweise eher lustige Sachen schreibe und als ich bei der betreffenden Stelle in dieser FF ankam, musste ich Boris einfach mit der bösen Lebkuchenhexe vergleichen! XD Von daher, auch wenn der Titel vielleicht nicht so treffend für den Inhalt ist, ich lass ihn so!^^ Und nun viel Spaß mit Kapitel 3! Kapitel 3 Kai wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als die Polizei kam. Er nahm es kaum wahr, als eine füllige Frau in Uniform ihm eine Decke um die Schultern legte und ihn nach draußen zu ihrem Wagen führte. Sergej und Nadia saßen bereits dort. Ihre Mienen waren vollkommen ausdruckslos, sie schienen nicht einmal zu bemerken, dass sich ihr Bruder neben sie setzte. Oder es war ihnen gleichgültig. Kai kümmerte das nicht. Ihm war auch alles egal. Es gab nichts mehr, was er fühlen konnte. Nichts machte mehr einen Sinn. Die Stunden, die darauf folgten, konnte sich Kai nie wieder in Erinnerung rufen. Wann immer er Nadia und Sergej danach fragte, erzählten sie ihm von der Fahrt zurück nach Moskau, dem langen Warten auf dem Polizeirevier und den Fragen, die ihnen die Beamten gestellt hatten. Kai kam dies alles vollkommen fremd vor, obwohl seine Geschwister ihm immer wieder versicherten, dass es so gewesen war und dass er genauso Fragen beantwortet hatte wie sie. Das Erste, woran er sich erinnern konnte, war das Erscheinen des Mannes. Er war bereits über das mittlere Alter hinaus und sein Auftreten war gebieterisch. Hiwatari hieße er. Voltaire Hiwatari. Er stellte sich den Kindern als ihr Großvater vor. Kai hatte lange nicht begriffen. Natürlich wusste er, dass es Kinder gab, die Großväter und Großmütter hatten, aber er und seine Geschwister hatten nie zu denen gehört. Die Eltern ihrer Mutter waren noch vor Kais Geburt gestorben und die Eltern seines Vaters… Über die war in ihrer Familie nie ein Wort gefallen. Plötzlich jedoch hatte Kai einen Großvater und dieser nahm ihn und seine Geschwister mit fort. Er sei sehr reich, erzählte er ihnen. Er besäße eine große Villa am Rande von Moskau, wo er mit ihnen wohnen würde. Sie würden eine richtige Familie werden. Immer wieder sprach er von „dieser schrecklichen Tragödie“ und dass er nachvollziehen könne, was sie jetzt „durchmachten“. An Kai perlten diese Worte ab wie Regentropfen an einer Glasscheibe. Ihm war es gleich, wohin dieser Fremde sie brachte und was mit ihnen geschah. Als das Auto vor dem alten Prachtbau anhielt, warf Kai kaum einen Blick darauf. Er stieg einfach aus und starrte leer vor sich hin, nichts um sich herum wahrnehmend. Außer… Erschrocken fuhr er zusammen, als eine warme Hand die seine ergriff. Verwirrt sah er sich um und entdeckte Nadia neben ihm, die ihm ganz leicht zunickte und den Druck auf seine Hand verstärkte. Es kam ihm unwirklich vor. Er hatte das Gefühl, als hätte er völlig vergessen, wie sich eine Berührung anfühlte. Aber die Wärme, die von ihrer Hand ausging, tat ihm wohl und zum ersten Mal seit er gesehen hatte, wie sein Vater blutend zusammengebrochen war, konnte er wieder klar denken. Dankbar erwiderte er den Druck und Hand in Hand folgten sie Sergej und Voltaire ins Haus. Ein betagter Diener nahm ihnen ihr spärliches Gepäck ab und führte sie zu ihren Zimmern. Jeder bekam ein eigenes, prachtvoll eingerichtet mit kostbaren Möbeln und einem guten Ausblick auf den sorgfältig gepflegten Prunkgarten, der jetzt unter einer dicken Schneedecke begraben lag. Kai wollte nicht alleine in seinem Zimmer bleiben, doch Voltaire wies ihn streng zurecht. „Ihr drei seid Hiwataris! Das bedeutet, ihr seid von edler Abstammung und so benehmt ihr euch auch gefälligst! Jeder bekommt sein eigenes Zimmer, ihr werdet euch nicht wie elende Kanalratten zusammenrotten. Von nun an bin ich für euch verantwortlich und das heißt, ihr tut das, was ich sage! Haben wir uns verstanden?“ Verschreckt fuhr Kai zusammen. Der freundliche, fürsorgliche Ton, den sein Großvater noch vor wenigen Minuten im Auto angeschlagen hatte, war nun verschwunden. Stattdessen war seine Stimme jetzt hart und unerbittlich und Kai wagte keinen Widerspruch mehr, als Voltaire die Zimmertür hinter sich schloss und ihn alleine im Raum zurückließ. Es war bereits dunkel und allmählich spürte er die Erschöpfung in seinen Gliedern. Sein Blick fiel auf seinen Rucksack. Sie hatten auf der Fahrt hierher kurz bei ihrer alten Wohnung halt gemacht, damit die Kinder ein paar Sachen zum Anziehen holen konnten. Sergej hatte für Kai gepackt, während er selber zum Wohnzimmerschrank geschlichen war. Als er sich sicher war, dass niemand – vor allem nicht sein Großvater – ihn beobachtete, hatte er nach dem Blade seiner Mutter gegriffen und ihn in seine Hosentasche geschoben. Er wusste nicht, warum ihm das so wichtig gewesen war. Voltaire hatte ihnen versichert, dass sie bald noch einmal in Ruhe dorthin zurückkehren würden, damit sie weitere Sachen mitnehmen könnten, wofür in dem Moment keine Zeit gewesen war. Doch als sich Kai nun in dem fremden Schlafzimmer umsah, spürte er, dass er nie mehr in diese Wohnung zurückkehren würde. Sein Leben dort war endgültig vorüber. Das einzige, was ihm noch damit verband, war das Stück Metall in seiner Tasche und die beiden Menschen, die sich nun auf der anderen Seite seiner Zimmerwände befanden. Ermattet schlurfte er zu seinem Rucksack, holte seinen Schlafanzug hervor und zog ihn an. Doch er hatte Schwierigkeiten mit den Knöpfen. So sehr er sich auch bemühte, seine Finger glitten immer wieder ab. „Soll ich dir helfen?“ Das war Nadias Stimme. Kai hatte gar nicht gemerkt, wie sie ins Zimmer gekommen war. Sie trug bereits ihr hellblaues Teddybären-Nachthemd und machte sich nun an seiner Schlafanzugjacke zu schaffen. Eigentlich hasste er es, wenn sie ihn so betüttelte, doch er hatte sich auch noch nie so klein gefühlt und nun fand er es schön, dass seine Schwester ihm half. Als sie fertig war, nahm sie ohne ein weiteres Wort seine Hand und führte ihn nach draußen auf den Flur. Kai verstand erst nicht, was sie vorhatte, bis sie vor Sergejs Zimmertür ankamen. Nadia öffnete sie ohne anzuklopfen, doch Sergej schien sich nicht daran zu stören. Er saß im Schlafanzug auf seinem Bett und sah sie an, als hätte er sie erwartet. Dann rückte er ein Stück zur Seite, um seinen beiden Geschwistern Platz zu machen, und Nadia und Kai kletterten zu ihm aufs Bett. Ihren kleinen Bruder nahmen sie in die Mitte und Kai spürte, wie sich die Arme seiner Geschwister um ihn legten und ihre warmen Körper sich an seinen schmiegten. Sergej ließ ihn noch einmal los, breitete die Bettdecke über sie alle und kuschelte sich dann wieder an ihn. „Wir sollten jetzt versuchen zu schlafen, damit wir…“ Doch er unterbrach sich, als er das Schluchzen aus Kais Kehle hörte und spürte, wie der kleine Körper in seinen Armen anfing zu beben. Die Nähe und Wärme seiner Geschwister hatten Kais Lethargie nun endgültig vertrieben und die Tränen, die er bisher nicht hatte weinen können, brachen sich nun schonungslos ihre Bahn. Verzweifelt krallte er sich in Sergejs Schlafanzugjacke, die schon ganz durchnässt war. Sein Bruder und seine Schwester streichelten ihn über Kopf und Rücken und versuchten ihn zu trösten, doch dann konnte auch Nadia nicht mehr an sich halten und begann ebenfalls zu weinen. Sergej hielt nur wenige Augenblicke länger aus, ehe auch ihm Tränen über das Gesicht liefen. Dicht aneinander geschmiegt und gepeinigt von Kummer und Angst lagen die drei Kinder in dem fremden Bett und schöpften gegenseitig Trost aus der Nähe der anderen, bis ihr Schluchzen endlich verebbte – mehr aus Erschöpfung als aus zurück gewonnener Selbstbeherrschung – und sie in einen unruhigen Schlaf abdrifteten. Voltaire war alles andere als begeistert, als er erfuhr, dass seine drei Enkel ihm nicht gehorcht und ihre Zimmer verlassen hatten. Diese unverschämten Gören! Sie erinnerten ihn umso deutlicher daran, wie sehr er Kinder hasste. Doch er bezähmte seine Wut. Nur noch ein paar Tage, dann würde er die drei wieder los sein. Alles war bereits besprochen. Sehr bald würde er sie in Boris’ Hände übergeben und dann bekämen sie endlich die Erziehung, die Voltaire ihnen zugedacht hatte. Besonders Kai… Er war die Schlüsselfigur in seinem Plan. Die beiden Älteren interessierten ihn im Grunde kaum, doch wenn sich aus ihnen irgendein Nutzen ziehen ließe, würde er das tun. Bis dahin wollte er zumindest den halbwegs verständnisvollen Großvater spielen. Er hätte gestern gegenüber Kai nicht so laut werden dürfen. Das hatte den Jungen sichtlich erschreckt. Er durfte nicht riskieren, dass die Kinder auf die Idee kamen fortzulaufen. Wenn sie erst unter Boris’ Aufsicht standen, war das egal. Aus der Balkov-Abtei gab es keinen Fluchtweg. Von dort würden sie niemals entkommen können. Voltaire gestattete sich ein selbstzufriedenes Grinsen. Sehr bald schon würde sein Plan gelingen. Ein Plan, der ihm die gewaltigste Macht auf Erden verschaffen sollte. Und Kai war die Waffe, mit der er diese erringen würde. Ein paar Tage verstrichen. Die Kinder verbrachten sie großteils zu dritt in Sergejs Zimmer, wo sie einander Trost spendeten und sich fragten, was aus ihnen werden würde. Keiner von ihnen schaffte es, über den Tod ihrer Eltern zu sprechen. Immer wenn das Thema irgendwie in diese Richtung driftete, verfielen sie in bedrücktes Schweigen. Kai hatte seinen Geschwistern den Beyblade ihrer Mutter gezeigt. Sie fragten ihn weder, warum er ihn an sich genommen hatte, noch forderten sie ihn auf, ihn einem von ihnen auszuhändigen. Kai war für beides dankbar. In den Momenten, in denen er allein war, holte er den Blade hervor und betrachtete den Phönix. Dranzer. Das war sein Name. Der alte Kampfgefährte seiner Mutter. Wie oft hatte Kai sie gebeten von Dranzer und den vielen verschiedenen Bitbeasts zu erzählen? Ihre Geschichten hatten ihn fasziniert und einmal war sie mit ihm hinaus in den Garten gegangen, hatte ihren Blade gestartet und Dranzer herbeigerufen. Kai erinnerte sich noch genau an diesen ehrfürchtigen Anblick. Das herrlich leuchtende Gefieder. Die mächtigen goldenen Krallen. Der melodiöse Klang seiner Stimme. Die wilden, stolzen Augen... Nie zuvor hatte irgendein Wesen Kai so gemustert wie der Phönix. Ihm war, als könnte das Bitbeast direkt in seine Seele blicken, doch hatte ihm das keine Angst gemacht. Vielmehr fühlte der Junge sich erkannt und verstanden und er war sich sicher gewesen, Dranzer könne seine Gedanken lesen. Es war ein seltsames Gefühl gewesen, ein bisschen unheimlich, doch trotzdem schön, und Kai hatte sich geschworen, eines Tages auch so ein prächtiges Bitbeast zu besitzen. Dann könnte er gegen seine Mutter und Dranzer antreten und würde sie besiegen und ein großer Beyblader werden wie sie und sie wäre stolz auf ihn... Doch so würde es nun nie mehr kommen. Seine Mutter war tot und Dranzer seiner Herrin beraubt. Kai fragte sich, was der Phönix fühlen mochte. Empfand er auch diesen schrecklichen Verlust, diese Leere in seinem Herzen? Erschien auch ihm jeder neue Tagesanbruch einfach nur sinnlos? Seit Kai den Blade an sich genommen hatte, schien ihm das Bild des Phönix farbloser und blasser geworden zu sein, als hüllte sich das Wesen in seinen eigenen Trauerschleier. Du vermisst sie, nicht wahr, Dranzer? Ich vermisse sie auch. Irgendwie fühlte sich der Junge besser, wenn er zu dem Bitbeast sprach, selbst wenn dieses nie irgendeine Reaktion zeigte, ob es ihn verstand. Ihm konnte er all die Dinge sagen, die ihm gegenüber seinen Geschwistern nicht über die Lippen kamen und Kai hatte das Gefühl, als würde Dranzer ihm zuhören. Aus diesem Gedanken schöpfte der Kleine Trost. Was glaubst du, was aus uns werden wird, Dranzer? Großvater scheint sich überhaupt nicht für uns zu interessieren und er wird immer so schnell böse, wenn wir was falsch machen. Ich will nicht mehr in diesem Haus bleiben. Ich möchte hier weg, zusammen mit Nadia und Sergej. Einfach nur ganz weit weg... Ein lautes Klopfen an seiner Zimmertür ließ Kai aus seinen Gedanken aufschrecken. Hastig stopfte er den Beyblade unter sein Kopfkissen, sprang vom Bett und rief "Herein!" Der altersschwache Diener, den er schon am ersten Tag in der Villa getroffen hatte, trat ein. "Das Abendessen ist angerichtet, Master Kai. Ihr Großvater wünscht, Sie unten zu sehen." Kai verzog mürrisch das Gesicht. Er hasste diese Anrede, aber er wusste, dass sein Großvater darauf bestand. Die Dienerschaft sollte den erlauchten Enkeln des Herrn Hiwatari den gebührenden Respekt erweisen. "Ist gut, ich komme." Er setzte sich in Bewegung, hielt jedoch inne als er an dem großen Wandspiegel in seinem Zimmer vorbeikam und sein Spiegelbild sah. Er hatte einmal den Fehler gemacht, mit ungekämmten Haaren vor seinem Großvater zu erscheinen und sein Trommelfell schmerzte immer noch von der Schimpftirade. Seufzend griff er nach einem Kamm und versuchte seinen zottigen Haarschopf wenigstens um ein Minimum zu bändigen. Aber das war gar nicht so leicht, egal wie sehr er es versuchte, seine Haare standen kreuz und quer ab. Nach zwei Minuten beschloss er, es gut sein zu lassen und musterte kritisch sein Spiegelbild. Er sah zersauster aus denn je. Aber man konnte ihm nicht vorwerfen, er hätte es nicht versucht. Schulterzuckend wandte er sich um und verließ das Zimmer. Nadia und Sergej warteten draußen auf dem Flur auf ihn. Wann immer es möglich war, vermieden die Geschwister es, ihrem Großvater allein gegenüber zu treten. Er machte ihnen mit seinen ständigen Wutausbrüchen Angst. Nadia warf einen belustigten Blick auf Kais Haare, besaß jedoch den Anstand, seine Steckdosenfrisur nicht zu kommentieren. "Großvater wird nicht gerade begeistert sein", meinte Sergej besorgt, doch Kai zuckte abermals mit den Schulten. "Ich kann nichts dafür." Um einer weiteren Bemerkung seines Bruders zuvor zu kommen, setzte Kai sich in Bewegung und ging als Erster die Treppe hinunter. Die beiden Anderen folgten. Im Speisezimmer trafen sie auf Voltaire und Kai wappnete sich bereits innerlich gegen einen erneuten Wutausbruchs von Seiten seines Großvaters, ehe er bemerkt, dass dieser nicht allein war. Auf dem Platz neben ihm saß ein fremder Mann mit strähnigen violetten Haaren, der sich angeregt mit ihm unterhielt, beim Eintreten der Kinder jedoch aufblickte. "Ah, wie schön, da seid ihr ja!", begrüßte Voltaire seine Enkel ungewohnt warmherzig. Die drei Angesprochenen tauschten einen verwunderten Blick. "Setzt euch, wir haben heute jemanden zu Gast. Begrüßt Herrn Balkov!" Artig traten die Kinder vor und reichten dem Fremden nacheinander die Hand. Kai schauderte, als sich die langen, schweißfeuchten Finger um die seinen schlossen und zwei kalte, schwarze Augen ihn von oben bis unten musterten. Bemüht, nicht zu stark zu blinzeln, erwiderte Kai den Blick und fragte sich, wie lange er seinen Ekel noch unterdrücken konnte. Endlich ließ der Mann seine Hand los und verzog dann seinen Mund zu einem falschen Lächeln. "Es freut mich, euch drei endlich kennen zu lernen. Euer Großvater hat mir ja schon viel von euch erzählt. Es klang sehr... vielversprechend." Erneut blieb sein Blick an Kai hängen und sein Grinsen wurde noch breiter, wodurch seine gelben Zähne offenbart wurden. Kai musste an die böse Hexe im Märchen denken, die die Kinder erst mit schönen Versprechungen und leckeren Süßigkeiten in ihr Lebkuchenhaus lockt, um sie dann dort zu braten und zu verzehren. Erneut überkam ihn ein Schauder. Er hatte "Hänsel und Gretel" nie gemocht... Das Abendessen war für die Kinder eine unangenehme Angelegenheit. Sie wagten es nicht, den Kopf zu heben aus Angst, dem Blick ihres Großvaters oder dieses komischen Herrn Balkovs zu begegnen. Sein Vorname lautete Boris. Das erfuhren sie sehr schnell, denn die beiden Männer unterhielten sich während des gesamten Essens und ihr Großvater nannte seinen Gast ausschließlich beim Vornamen. Dieser wiederum zollte Voltaire den allerhöchsten Respekt, nannte ihn "Gaspadin" und stimmte auf kriecherische Art und Weise jeder Bemerkung des alten Herren zu. Zu Anfang waren die Gespräche eher belanglos, drehten sich um den zunehmenden moralischen Verfall der russischen Jugend, die zahlreichen Fehlentscheidungen der Regierung und eine kürzlich besuchte Vorstellung des Moskauer Ballettensembles. Die Kinder hörten bald nicht mehr zu, sondern löffelten nur schweigsam ihre französische Zwiebelsuppe und warteten sehnsüchtig auf das Ende der Mahlzeit. Doch nachdem die Teller abgeräumt waren, blieb die ersehnte Erlaubnis den Tisch zu verlassen aus. Stattdessen gebot Voltaire seinen Enkeln sitzen zu bleiben und zuzuhören. "Ich habe Herrn Balkov heute aus einem bestimmten Grund zu uns eingeladen. Ihr müsst nämlich wissen, dass er der Leiter einer Einrichtung ist, die meiner Firma - der Hiwatari-Corporation - untersteht. Diese Einrichtung befindet sich in einem ehemaligen Kloster hier in Moskau und wird daher auch als "Balkov-Abtei" bezeichnet. In Wahrheit handelt es sich dabei jedoch um ein Institut für Bildung und Erziehung begabter Kinder - Kinder, wie ihr es seid. Sie legen dort Wert auf die verschiedensten Talente, aber eine Begabung wird in der Abtei besonders berücksichtig und das ist die Fähigkeit zu Beybladen." Kai horchte auf und hob überrascht den Kopf. Eine Schule für's Beybladen? "Wie ich weiß, war eure Mutter eine begabte Bladerin, und es scheint so, als hättet auch ihr drei ein gewisses Talent dafür. Besonders du, Kai." Voltaire fixierte seinen jüngsten Enkel und Kai wurde mulmig zumute. Woher wusste sein Großvater, dass er ein guter Blader war? "Nun, kurz gesagt, es ist mein Wunsch, dass ihr drei in der Abtei unterrichtet und erzogen werdet. Ich bin ein viel beschäftigter Mann und die meiste Zeit des Jahres außer Landes. Deswegen werde ich euch in Herrn Balkovs Obhut geben. Es wird euch in der Abtei gefallen, ihr werdet auf viele Gleichaltrige treffen und ihr erhaltet die beste Ausbildung, die ihr kriegen könnt. Neben dem Beybladen werdet ihr natürlich auch schulischen Unterricht erhalten und wenn ihr erstmal euren Abschluss gemacht habt, steht euch alles offen. Ihr könnt in jeder machtvollen Position auf der Welt arbeiten oder sogar später die Leitung meiner Firma übernehmen - nicht, dass da ein Unterschied bestehen würde", fügte er noch hinzu, worauf ihm Boris mit einem schleimigen Grinsen zunickte und die beiden Männer verschlagene Blicke austauschten. Die Kinder jedoch hatten nur soviel verstanden, dass ihr Großvater sie auf eine Art Internat schicken wollte. Zugegeben es schien ein sehr gutes Internat zu sein mit einem außergewöhnlichen Interesse am Beybladen, aber letztendlich auch nur eine Schule wie jede andere auch. Sergej und Nadia gingen bereits zur Schule und wussten, dass das nichts war, wovor man sich fürchten musste. Immerhin würden sie zusammenbleiben und wenn sie obendrein noch diesem düsteren Haus entkommen konnten, sollte es ihnen nur recht sein. So nickten sie schließlich und Kai beeilte sich, es ihnen gleich zu tun. Sie hatten ja ohnehin keine wirkliche Wahl. "Gut, wenn das so ist, möchte ich, dass ihr jetzt nach oben geht und eure Sachen packt. Wir fahren in einer Stunde ab." Die Kinder trauten ihren Ohren nicht. Noch heute abend sollten sie in die Abtei ziehen? Und dann wurden sie erst kurz vorher informiert? Sergej setzte dazu an, etwas zu sagen, doch der eiskalte Blick seines Großvaters ließ ihn sofort verstummen. "Habt ihr nicht gehört? Ab nach oben mit euch!", knurrte er diesmal ungehalten und rasch verschwanden die drei aus dem Esszimmer. Kai brauchte nicht lange, um seine Sachen zu packen, er besaß ja kaum noch etwas, was ihm etwas wert war. Er holte Dranzer unter seinem Kopfkissen hervor und verstaute ihn sicher in seiner Hosentasche, ehe er seinen Koffer in Sergejs Zimmer schleifte. Auch Nadia hatte sich bereits mit ihrer Tasche hier eingefunden und zu dritt sprachen sie aufgeregt über diese neue Wendung in ihrem Leben. "...er hätte uns das ruhig früher sagen können! Aber vielleicht wird es ja ganz schön dort..." "Ich weiß nicht, habt ihr diesen Balkov gesehen? Irgendwie ist mir der Typ unheimlich..." "Ich frage mich, warum die in dieser komischen Abtei so einen Aufriss ums Beybladen machen..." "Meint ihr, ich bin gut genug für die? Kai hat von uns allen echt die besten Chancen..." So redeten sie noch eine ganze Weile, bis plötzlich ein Klopfen an der Zimmertür sie aufschrecken ließ. Der alte Diener trat ins Zimmer, verbeugte sich und griff nach den Taschen. "Master Sergej, Master Kai und Miss Nadia, der Herr Hiwatari wünscht, dass sie herunterkommen." Mit diesen Worten drehte er sich um und trug ihre Koffer und Taschen die Treppe hinunter. "Wünscht? Wohl eher: befiehlt", flüsterte Sergej grimmig und setzte sich in Bewegung. Kai und Nadia warfen sich einen letzten beklommenen Blick zu und folgten ihm... "Hey Kai! Sag mal, träumst du, oder was?" Erschrocken fuhr der Angesprochene aus seinen Gedanken und blickte in das verwunderte Gesicht Hilarys. "Wie? Was ist?" Kai blinzelte einmal und sah sich verwirrt um. Ray, Max und Tyson hatten ihr Trainingsmatch offenbar beendet. Er registrierte kurz, dass Drigger als einziger noch kreiselte, bevor er sich bewusst wurde, wie bescheuert er wirken musste. Augenblicklich verschränkte er die Arme und hüllte sich wieder in seine Maske aus Eis. "Also, was ist los?", knurrte er im Bemühen, möglichst gefasst und bedrohlich zu klingen. Und anscheinend klappte es, denn Hilary war sichtlich eingeschüchtert. "Ich... äh... nun ja... also, du hast minutenlang... minutenlang nur vor dich hingestarrt... und keinen Ton gesagt... also, da dachte ich..." "Was immer du gedacht hast, du hast dich geirrt!", fauchte er und nun warf ihm auch der Rest des Teams verwunderte Blicke zu. "Hey, Kai, du hast keinen Grund, Hilary so runter zu machen", versuchte Max das Mädchen zu verteidigen, doch Kai bedachte ihn nur mit einem seiner berühmten Todesblicke. "Was mischst du dich da eigentlich ein, Max? Das geht dich gar nichts an!" herrschte er nun den Amerikaner an. Jetzt wurde es sogar Ray zuviel: "Verdammt, Kai, jetzt reg dich endlich mal ab! Falls du es noch nicht gemerkt hast, wir durften den ganzen Morgen als Opfer für deine schlechte Laune herhalten! Ich weiß ja nicht, was dir heute für 'ne Laus über die Leber gelaufen ist, aber das musst du nicht an uns auslassen! Wie wär's, wenn du einfach mal sagst, warum du heute so angepisst bist?!" "Ach ja, du Klugscheißer? Vielleicht geht es mir einfach nur auf den Geist, mich mit nervigen Kleinkindern und unfähigen Bladern abzugeben?!", schrie ihm der Russe entgegen, ehe er sich wutschnaubend umdrehte, mit schnellen Schritten davonstapfte und seine völlig perplexen Teammitglieder im Hof stehen ließ. "Ähm... Ich glaub, das heißt, das Training ist zu ende, oder?" fragte Tyson zaghaft, erhielt aber nur ein mehrfaches Schulterzucken als Antwort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)