Das Blut des Königs von CAMIR (Gibt es überhaupt Helden in Zeiten des Krieges?) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Als sie außer Sichtweite des jungen Mannes war, lehnte sich Amaryll an einer Hauswand und sank zu Boden. Er hatte recht gehabt: sie war am Ende ihrer Kräfte und konnte sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten. Aber sie wollte um keinen Preis, dass jemand anderes als Iain sie jemals in einem solchen Zustand sah. Noch immer taten ihr alle Gliedmaßen von dem Angriff aus das Tor weh. Es hatte sich angefühlt, als hätte man sie selbst in Stücke gerissen und umso überraschter war sie gewesen, dass sie in einem Stück aufgewacht war. Dennoch wirkten ihre Gliedmaßen noch immer nicht, als wären sie am richtigen Platz. Sie versuchte mit ihren Heilkräften etwas gegen das Gefühl zu unternehmen, stellte aber überrascht und ein wenig schockiert fest, dass sie sich nicht mehr konzentrieren konnte. Es war alles aufgebraucht. Sie hatte die Tamuraner eiskalt angelogen – sie wäre zu nichts mehr fähig gewesen. Trotzdem hatte es sie überrascht, dass man ihr diese Lüge einfach abgenommen hatte. Von Nachteil war dies jedoch gewiss nicht. Sie wartete noch einige Momente, bis sie sich einigermaßen erholt hatte, um sich ein sicheres Nachtquartier zu suchen. Dann stand sie langsam auf und wanderte durch die dunklen Straßen. Sie war am Ende ihrer Kräfte und darum froh, dass niemand sie bemerkte oder gar aufhielt. Die auf der Straße liegenden Leichen und die aus der Ferne kommenden Geräusche erinnerten sie daran, dass längst nicht alles ausgestanden war. Ein verlassen aussehendes Haus am Ende der Straße erregte schließlich ihre Aufmerksamkeit. Nachdem sie feststellen konnte, dass sich tatsächlich niemand mehr darin aufhielt, entschied sie sich zu bleiben. Sie öffnete die Tür und betrat das Gebäude. Es wirkte recht hektisch verlassen und was mit seinen Bewohnern geschehen war, mochte sie sich gar nicht erst ausmalen. Dennoch war es momentan die angenehmste Bleibe, die ihr zur Verfügung stand. Nachdem sie das Schlafzimmer gefunden hatte, sank sie auf das Bett und wurde augenblicklich vom Schlaf übermannt. Ein Sonnenstrahl, der ihr ins Gesicht fiel, weckte sie erst Stunden später. Es dauerte einige Sekunden, bevor sie begriff, wo sie war und was geschehen war. Das taube Gefühl ließ langsam nach, aber ihre Kräfte hatten sich immer noch nicht regeneriert. Sie stand langsam auf und sah sich im Zimmer um. Es handelte sich um einen schlicht ausgestatteten Raum mit zweckmäßigen Möbeln. Neben dem Bett stand ein Krug mit Wasser, den sie benutzte, um ihren Durst zu löschen. Das war das einzige, was sie den unbekannten Besitzern wegnahm, auch wenn sie ein leichtes Hungergefühl verspürte. Stattdessen rückte sie ihre Rüstung zurecht und machte sich auf den Weg. Was war mit dem König geschehen? Und was mit seinem Plan? Vermutlich war inzwischen alles zu spät, aber sie wollte sehen, was sich machen ließ... Im Gegensatz zum Vorabend, waren die Straßen der Stadt wieder bevölkerter, was sie sofort bemerkte, als sie aus der Tür trat. Die Besitzer des Hauses waren immer noch nicht zurückgekehrt und vermutlich würde das auch so bleiben. Die meisten der Passanten waren tamuranische Soldaten, die versuchten, die eroberte Stadt unter Kontrolle zu bringen, aber es gab auch den einen oder anderen Zivilisten. Etwas gemeinsam hatten aber alle: die Leere im Blick und die Gehetztheit. Die Zivilisten wollten die Aufmerksamkeit der Tamuraner nicht auf sich ziehen, froh bis jetzt überlebt zu haben. Und wenn es Amaryll sich recht überlegte, dann wollte sie es ihnen gleich tun. Sie beeilte sich, in eine dunkle Seitenstraße zu kommen und sah dann an sich herab. So wie sie momentan gekleidet war, würde sie dies auf alle Fälle tun. Sie trug eine Rüstung, die eindeutig anareanisch war und hatte ein Schwert auf dem Rücken. So würde sie keine Stunde überleben, wenn man sie entdeckte. Einen Moment überlegte sie, wie sie dieses Problem lösen konnte, dann fielen ihr die Leichen ein. Mehrere davon hatten Umhänge getragen und die brauchten sie gewiss nicht mehr. Ein Umhang würde ihre Kleidung verdecken, denn die Rüstung wegzuwerfen und sich wie eine Zivilistin zu kleiden kam nicht in Frage. Sollte sie versuchen das Schicksal des Königs in Erfahrung zu bringen, schloss sie Kampfhandlungen nicht ganz aus. Auch wenn es sie im ersten Moment große Überwindung kostete, einem Toten, ein Kleidungsstück abzunehmen, so gelang es ihr doch, sich dazu durchzuringen. Sie hatte Glück, nicht dabei gesehen zu werden und noch mehr Glück, dass der Umhang groß genug war, ihr Aussehen zu verbergen. So getarnt stürzte sie sich in das größere Menschengewühl. Überall waren die Auswirkungen der Schlacht noch zu sehen, aber es war ebenso eindeutig, dass die Scharmützel vorüber waren. Die Tamuraner waren allgegenwärtig und bis auf den jungen Perregrin war ihr kein Angehöriger das anareanischen Militärs begegnet. Vermutlich waren die Soldaten bereits alle tot oder Gefangene, ein Schicksal, das die anderen Ratsmitglieder vermutlich teilten. Sie hatte wenig Hoffnung, dass noch einer von ihnen am Leben war, zumindest von denjenigen, die am Kampf teilgenommen und das Tor verstärkt hatten. Aber wie bei allem anderen, war auch ihr Schicksal ungewiss. Viele der Zivilisten versuchten zu retten, was von ihrer einstigen Heimat übrig war. So gut wie jeder von ihnen hatte entweder Hab und Gut oder Angehörige oder sogar beides verloren, doch sosehr es Amaryll schmerzte, diese Menschen leiden zu sehen, sie konnte es nicht verantworten, ihnen beizustehen. Entferntes Gemurmel und Geräusche die auf eine größere Menschenmenge hindeuteten, machten sie aufmerksam und sie eilte in Richtung des Lärms, der aus Richtung des Palastes kam. Tatsächlich begegneten ihr recht bald die ersten Ausläufer einer großen Versammlung. Empörung und Angst war den meisten Anwesenden anzumerken, aber genauso wenig traute sich jemand, zu protestieren. „Wie können sie es nur wagen...!“ „Die Demütigung...“ „Das hat er nicht verdient...“ „Unser armer König... wenn man nur etwas tun könnte...“ Der König! Natürlich! Es ergab alles Sinn. Warum sollten die Tamuraner König Aran in seinem Palast still hinmeucheln lassen, wenn sie ihn stattdessen öffentlich hinrichten und damit ein Exempel statuieren konnten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)