Terra illunis von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: pater ---------------- „Steh da nicht rum, geh weiter!! Los, mach schon!!“ Die Peitsche knallte neben ihm auf den Boden, immer und immer wieder. Aber das Mädchen, das zitternd auf dem Hochseil stand und dem sein ganzer Zorn galt, bewegte sich nicht. Ihr Gesicht war errötet, sie hatte Fieber. Wieder knallte die Peitsche, wieder schrie er sie an..... Sie setzte langsam einen Fuß nach vorne, dann den anderen. „Na endlich“, erklang die wütende Stimme des Mannes. Sie tastete sich weiter nach vorne, Zentimeter um Zentimeter.... Das Seil wankte, sie schwebte gut acht Meter über dem Boden. Noch ein Schritt, noch einer... Doch auf einmal verschwamm alles, sie vernahm nichts als Dunkelheit. Spüren tat sie nichts mehr, nicht dass sie fiel, nicht dass sie auf dem Boden aufschlug, durch nichts abgefedert außer einigen dünnen Matten auf dem Manegenboden. Alles um sie herum war völlige Finsternis. Sie schreckte hoch, schweißgebadet. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie geschrien hatte. „Nicht schon wieder, bitte nicht....“. Jede Nacht sah sie diese Bilder. Jede Nacht durchlebte sie alles, was sie immer hatte vergessen wollen. Jede Nacht, jede Nacht seit jenem Tag. Seit diesem Tag war sie gerannt, auf der Flucht vor etwas, vor dem man nicht fliehen konnte. Etwas, was man nicht sehen konnte. Vor dem es kein Entkommen gab. Es war genauso, wie er gesagt hatte. Sie würde die Hölle auf Erden erleben, vollkommen allein, in totaler Finsternis. Solange, bis sie tat was er von ihr verlangte. Warum starben Menschen so schnell, so einfach? Menschen, die sich an ihr Leben klammerten, egal wie hart, wie aussichtslos es zu sein schien. Und warum gab es andere Menschen, die nicht starben, egal was passierte, egal wie viele um sie herum getötet werden? Obwohl es nichts gab, was sie sich mehr wünschten. Nichts, wirklich nichts... An jenem Tag hatte sie alles verloren, was ihr Leben erleuchtet hatte. Es war so schnell gegangen, sie waren umgefallen wie Puppen, als hätten sie nie gelebt, als hätte sie jemand die ganze Zeit an Fäden gehalten und jetzt plötzlich losgelassen. Nur sie, sie hatte überlebt. Genau wie damals in Indien. In dieser Nacht sah sie es wieder. Die Panzer, die Soldaten, die alles niederschossen, alles zerstörten was ihnen begegnete. Männer, Frauen, Kinder. Alles war voller Rauch und Staub. Tagelang. Und dann war es still. Still wie in einer Geisterstadt, in der es kein Leben mehr gibt. Kein Leben bis auf eines. Ein Mädchen, kaum 3 oder 4 Jahre alt, dass zusammengekauert und wimmernd in den Ruinen eines Hauses saß. Sie zitterte, weinte aber nicht. In ihren Augen war nichts, kein Funke Leben, nur Leere. Wohin soll man gehen, wenn man auf der Flucht vor sich selbst, seiner eigenen Vergangenheit ist? Sie erinnerte sich an eine Inschrift, eine Inschrift über Blue Water die sie damals in Tartessos gesehen hatte. Damals hatte sie nicht verstanden. Doch jetzt tat sie es. „Der Besitzer von Blue Water kann entweder Gott oder der Teufel sein.“ Für sie hatte der Stein immer Schutz bedeutet, obwohl sie seinetwegen gejagt worden war. Er hatte ihr den Weg zu ihrer Vergangenheit gewiesen, ihr Tartessos gezeigt. Und schließlich hatte er ihr die Macht gegeben, Jean zurückzuholen. Doch jetzt erkannte sie, dass er auch die Macht hatte, Leben zu nehmen, auch die, die er selbst zuvor zurückgegeben hatte. Und die Kraft, Menschen zu zerstören, auch ohne sie zu töten. Ihnen alles zu zeigen, an dem sie fast zerbrochen wären. Immer und immer wieder. Solange, bis ihr Wille stirbt und nichts als eine leere Hülle bleibt, die alles tut, was man von ihr verlangt. Sie hatte all diese Jahre, die gefüllt waren mit Leid und Tod, nie ganz vergessen können. Aber sie hatte Menschen gehabt, die sie trösten würden, die der Dunkelheit in ihr Licht entgegensetzten. Sie hatte nie gemerkt, wie sehr sie ihr geholfen hatten, erst jetzt, wo sie nicht mehr da waren, merkte sie, wie sehr sie ihr fehlten. Sie waren tot, und sie war Schuld. Hätten sie sich nie getroffen, wären sie jetzt noch am Leben. Warum war sie die einzige, die wieder überlebt hatte? WARUM?? Er hatte gesagt, er würde sie das gleiche wie ihr Vater durchleiden lassen. Alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten würden sterben, alle bis auf sie. Und sie würde es immer und immer wieder sehen, nachts wenn sie schlief. Sie würden sie immer wieder fragen: „Warum du? Warum bist du noch am Leben?“ Solange, bis es sie zerbrach. Und genauso wie sie erst jetzt begriff, was ihr Jean, Grandis und all die anderen bedeutet hatten, begriff sie erst jetzt, was ihren Vater zu dem hatte werden lassen, was er war. Sie hatte ihn gehasst, weil sie ihm immer egal zu sein schien, weil er tötete, ohne etwas dabei zu spüren, weil er nur noch für seinen Hass lebte. Und weil er sich umgebracht hatte. Obwohl sie ihn endlich gefunden hatte. War Hass der einzige Weg, nicht zu seiner Puppe zu werden? Hatte er sich ihr nie genähert, aus Angst, sie dadurch zu töten? Warum sah sie die Wahrheit immer erst, wenn es schon zu spät war? Sie hätte ihm diese Fragen stellen können, wenn sie nur früher verstanden hätte, was er durchleben musste. Wie hatte er den Willen aufgebracht, gegen Gargoyle zu kämpfen, gegen seine Puppe? Wie hatte er noch hoffen können auf eine bessere Welt? Nadia verstand es nicht. Hätte sie ihn doch noch fragen können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)