BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 10: ------------ „… Vielleicht noch ein Kreuz oder so?“, murmelte Hana, als Joshua schweigend die schlammige Graberde mit dem Schaufelblatt glättete. „Schnurri ist nicht christlich.“, antwortete Joshua sachlich. Er schien ihr nicht böse zu sein, aber Hana traute seiner Stimmung nicht ganz. Er war jetzt so ruhig. So still. Seit Hana ihn zurechtgewiesen hatte, war ihm nicht ein einziges weiteres Wort über seine anderen Freunde oder deren Meinung über die Lippen gekommen. Er hatte getan, was sie ihm gesagt hatte. Die ganze Zeit über. Ohne Widerspruch. „Dann … vielleicht ein Grabstein oder so…?“, schlug Hana leise vor. Sie wollte sich wieder an ihn herantasten, ganz langsam. Sich mit ihm versöhnen. Dass er nicht auf seine unsichtbaren Freunde gehört hatte, sondern stattdessen seine Katze begraben hatte, bedeutete Hana mehr, als er vermutlich ahnte. „Irgendetwas, damit man den Ort nicht so schnell vergisst.“ „Ich hab mal gehört, dort, wo jemand begraben liegt, wachsen unzählige Schneeglöckchen.“ Zwischen den Zweigen des Holunderstrauchs neben den beiden tröpfelte es noch immer leise vor sich hin, eine leichte Brise riss den übrigen Regen und ein paar gelbliche Blätter von der Birke neben dem Haus. „Das wird sicher sehr schön aussehen.“ Hanas Stimme war belegter als die von Joshua. Der Junge nickte. „Ich kann mir kaum ein besseres Grabmal vorstellen.“ „Dann kann man Schnurri aber nur im Frühjahr finden.“ Er blickte vom Grab auf und wandte sich ihr zu, bevor er antwortete. „Nennt man das dann nicht … romantisch?“ Er nahm das Wort in den Mund, als stammte es aus einer anderen Sprache. Dann lächelte er ihr zu, zum ersten Mal an diesem Tag. Es war ein leichtes Lächeln, seine Augen funkelten verspielt. „Kann sein.“, antwortete Hana und bemühte sich ebenfalls um ein Lächeln. Es fühlte sich trotzdem wehmütig an. Verkrusteter Dreck klebte an Joshuas rechter Wange, seine Hände waren schmutzig und auch seine Hosenbeine starrten vor Schlamm. Hana hatte ihm die Schaufel gezeigt, die schon immer an dem alten Schuppen im hinteren Teil des Gartens gelehnt hatte, und ihm kurzerhand befohlen, das Grab für seine Katze zu schaufeln. Ihr Ton hatte keinen Widerspruch geduldet. Geholfen hatte sie ihm auch nicht. Sie fand, dass das Joshuas Aufgabe war. Es war ihr wichtig, dass er es allein tat. Dass er es bewusst tat. Das war er Schnurri schuldig. Und Joshua hatte die mühsame Arbeit erledigt. Kein Beklagen über seine völlig verdreckte Kleidung. Kein Wort über den lästigen Schlamm, der immer wieder in das frisch geschaufelte Loch zurücklief. Hana war sich nicht sicher, ob sie sich da etwas vormachte, doch sie wurde den Eindruck nicht los, dass er Schnurri angemessen bestatten wollte, dass er es von sich aus tat. Sie hätte ihm gerne dafür gedankt, aber natürlich konnte sie das nicht. „Ich glaube Schnurri ist jetzt glücklich.“, stellte Hana stattdessen knapp fest und blickte unsicher zur Seite. „Schnurri ist tot. Es ist ihr vollkommen egal.“ Er sah sie an als hätte sie irgendetwas unpassend Kindisches von sich gegeben. Hana antwortete nicht. Einen Moment lang wollte sie ihm diese Bemerkung übel nehmen, aber konnte es schließlich doch nicht. Vermutlich hatte er ja Recht. Es war eine bescheuerte Angewohnheit der Menschen, die hässlichen Tatsachen in hübsche Kleider zu zwängen. Sie starrte die nass glänzenden Zweige des Holunderstrauches an. „Na dann bin ich eben jetzt glücklich.“ Das klang sogar noch bescheuerter. Sie verzog kaum merklich den Mund. „Das ist gut.“, antwortete Joshua. Aus dem Augenwinkel glaubte sie ihn lächeln zu sehen und irgendwie regte sie das auf. Kurz darauf stahl sich auch ein flüchtiges Schmunzeln über ihr eigenes Gesicht. Sein bescheuertes Psycho-Lächeln nervte sie noch immer. Es tat gut zu wissen, dass noch alles mehr oder weniger beim Alten war. „Du hast die Kette gar nicht um.“, stellte Joshua enttäuscht fest. Die Leichtigkeit in Hanas Zügen erstarb augenblicklich. Sie hatte sich geirrt. Es war nicht mehr alles beim Alten. „Nein.“, sagte sie. „Hab sie nicht um.“ Dann presste sie die Lippen aufeinander. Irgendwo im Garten fing ein Vogel an zu zwitschern. Eine Weile schwieg auch Joshua. „Du willst sie nicht sehen, oder?“ Hana starrte die verwischten Abdrücke von Joshuas Sneakers im Schlamm an. Die matschige Erde war so verschmiert, dass Hana die eigenen Fußspuren zwischen denen von Joshua nicht mal mehr ausmachen konnte. „… Meine Freunde meine ich.“, fügte er leise hinzu, als er keine Antwort bekam. „Stimmt. Ich will ihnen nicht begegnen.“ Sie bekam beim Sprechen die Zähne kaum auseinander. „Kann ich dann die Kette wiederhaben?“ Jetzt sah er sie direkt an, als wartete er darauf, dass sie seinen Blick erwiderte. Aber Hana sah ihm nicht in die Augen. Sie zuckte stattdessen versteift mit den Schultern. „Klar.“ Dann wandte sie sich stumm dem scheibenlosen Küchenfenster zu, ihrem Einstieg in das verwahrloste Haus. Hana wusste in diesem Moment nicht recht was sie denken sollte. Sie wusste nur dass ihr plötzlich kalt war. Und sie wurde dass niederschmetternde Gefühl nicht los, Joshua endgültig an dessen unsichtbare Freunde verloren zu haben. Oder nein. Eher, dass sie sich die ganze Zeit über nur eingebildet hatte, wirklich ein Teil von ihm für sich gewonnen zu haben. „Warum hasst du meine Freunde so sehr?“ Joshuas Papierstimme ließ sie inne halten. Hana schnaubte verbittert. „Das fragst du noch?“ „Ja.“ Jetzt drehte sie sich zu ihm um. Begegnete seinen hellgrünen Augen. „Du kapierst es nicht, oder?“ Verbissen ballte sie die Hände zu Fäusten. Fuhr sich mit der Zunge über die blassen Lippen und atmete tief ein. „Du machst dich völlig von ihnen abhängig und kriegst es nicht mal mit. Das bist überhaupt nicht mehr du! Irgendwelche Stimmen flüstern in deinem Kopf den größten Scheiß und du hörst auf alles was sie dir sagen!“ „Das stimmt nicht.“ Joshuas Worte waren zum ersten Mal ein wenig scharf. „So?“ Hana schluckte. Ihr Hals fühlte sich trotz der feuchten Luft wie ausgetrocknet an. „Ich tue nicht immer das, was sie mir raten.“ Sie schloss ein wenig überrascht den Mund. Eigentlich hatte sie mit Widerspruch bezüglich der Realität seiner Freunde gerechnet. „Hätte ich auf sie gehört, wären wir uns kein zweites Mal begegnet.“ Joshua sah sie eindringlich an. Ganz ernst. „Aber ich wollte dich gegen ihren Willen wieder sehen.“ Hana wich eilig seinem Blick aus und stierte die Schaufel an, die noch immer unbeachtet im Dreck lag. Seine plötzliche Offenheit war ihr irgendwie unangenehm. „Aha.“ Sie wartete auf eine Antwort, aber stattdessen folgten nur ein paar unbehaglich stille Sekunden. „Wie schön dass du dich über deine eifersüchtigen Hirngespinste hinwegsetzten konntest.“ Noch im selben Moment bereute sie die stechende Bemerkung. Aber Joshua schüttelte nur den Kopf. „Sie sind nicht eifersüchtig. Sie sorgen sich nur um mich.“ Hana hielt missbilligend den Mund und wartete ab. „Sie sagen du bist die Einzige, die in der Lage ist, mich zu verletzten. Und sie sagen, dass du es tun wirst, früher oder später. Ich soll dich vergessen. So schnell wie möglich.“ Er zögerte einen Moment, bevor er fort fuhr. „Sie sagen du bist schlecht für mich.“ Eine Weile schwiegen beide. Selbst der Vogel von vorhin war irgendwo zwischen den nasskalten Zweigen verstummt. „Wenn du das so siehst…“ Ihre Stimme fühlte sich irgendwie verkalkt an. Sie schluckte. Wartete ab. Joshua antwortete nicht. Hana rieb sich unruhig die gefrorenen Finger an ihrem Hosenbund. Warum antwortete er nicht? Sie hatte eigentlich mit einer Berichtigung gerechnet. Dass nicht er, sondern nur seine Freunde das so sahen. Dass er selbst eigentlich ganz anderer Meinung war. Aber Joshua schwieg. „Du glaubst ihnen?“, flüsterte Hana erstickt. Es klang mehr wie eine Feststellung. Sie sah ihn an. Verwirrt, enttäuscht. Einsam. Vielleicht auch verletzt, doch sie wollte das verhasste Wort nicht in ihren Kopf lassen. Joshua aber blickte nur zurück, mit stillem Gesicht. Mit Augen, die Hana nicht zu deuten wusste. Das Mädchen wandte sich schweigend ab. Die letzten Schritte zum offenen Fenster lief sie schneller als nötig, mit einem einzigen Satz schwang sie sich in die dreckige Küche ihrer Wohnung. Sie brauchte nicht zu suchen, sie wusste wo der Anhänger lag. Auf dem Tisch. Gleich neben dem Brief. Sie starrte mit leerem Blick dass mehrfach zerknüllte und wieder geglättete Blatt an. Für einen Moment dachte sie daran, wie sie Joshua zum ersten Mal auf der Straße angesprochen hatte. Erinnerte sich an sein unheimliches Lächeln. Es war kaum ein paar Tage her, aber es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Und Joshua kam ihr vor wie ein anderer Mensch. Sie kam sich selbst vor wie ein anderer Mensch. Ohne noch länger zu zögern griff sie nach dem Anhänger und kletterte wieder auf das niedrige Fensterbrett. Dann ließ sie sich in das nasse, hohe Gras ihres Gartens fallen und lief zielstrebig auf den schwarzhaarigen Jungen zu. Sah ihn dabei nicht ein einziges Mal an. „Hier.“ Sie streckte den Arm aus. Ihre kalten Finger umschlossen das dunkle Bändchen, das Blechherz baumelte matt glänzend zwischen den beiden. „Danke.“ Ganz flüchtig sah Hana zu ihm auf. Suchte in seinen Zügen, ohne zu wissen wonach. Der Junge erwiderte ihren Blick nicht. Er betrachtete nur still den Anhänger. Fast schon ein wenig traurig. Oder auch nicht. Sie hatte keine Ahnung. „Nein!“ Joshuas Hand zuckte erschrocken zurück und Hana riss die Kette ruckartig an sich. „Ich geb’ dir das Teil nicht.“ Joshua sah sie verwirrt an. „Merkst du nicht wie krank das ist? Wir geben hier alles auf wegen … wegen nichts. Deine dämlichen Freunde gibt’s nicht mal!“ Hana hatte keinen blassen Schimmer was genau sie mit alles meinte. Aber Joshua verstand es. „Was willst du damit tun?“ Er klang unsicher. Ein wenig überfordert zuckte sein Blick durch ihren Garten, als stürmte gerade eine Vielzahl von wütenden Stimmen auf ihn ein. Sie drückte das Stück Blech fester an sich, als könnte es ihr jeden Moment von Joshuas unsichtbaren Freunden aus den Händen gerissen werden. Ja, was wollte sie eigentlich damit? Sie spürte wie das metallene Herz in die feste Umklammerung ihrer Finger schnitt, während das eigene heftig gegen ihre Rippen hämmerte. „Du wirst es nie wieder bekommen.“ Sie befeuchtete nervös die zitternden Lippen mit der Zunge. „Sie sind schlecht für dich. Nicht ich.“ Joshuas Mundwinkel zuckte ganz kurz. Es dauerte einige Sekunden, ehe er antwortete. Hinter den Büschen rauschte ein Auto vorbei. „Lass das. Bitte.“ Hana sah ihn stumm an. Trat einen Schritt zurück. „Nein.“, hauchte Joshua. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Aber Hana stürmte schon davon, kletterte geschickt über den rostigen Gartenzaun und sprang auf den nassen Bürgersteig. Hektisch sah sie sich um. Sie hatte keine Ahnung wo sie hinwollte. Erst als sie Joshuas Schritte hinter sich im Gras rascheln hörte, hetzte sie unentschlossen in eine Richtung. … Wenn es denn Joshuas Schritte waren. Sie rannte noch schneller und versuchte krampfhaft die Vorstellung zu verjagen, dass ihr mehr als nur eine einzige Person folgte. 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