BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 8: ----------- "Das is' doch der Psycho!" Sofort wurde Hana hellhörig. Ausgerechnet diesen Satz hatten ihre Ohren aus dem allgemeinen Stimmengewirr gefischt. Hastig ging sie ein paar Schritte rückwärts, um aus der Seitenstraße zu spähen, in die sie gerade eingebogen war. Die Hauptstraße war voller Schüler, wie immer um diese Zeit. Hana mochte Jugendliche nicht besonders, daher wählte sie oft kleinere Nebenstraßen, wenn alle auf dem Heimweg waren. "Der starrt das Vieh schon die ganze Zeit an. Is' das seine Katze?" Hanas Ohren hatten sich an die dumpfe Jungenstimme geheftet, filterten jetzt jedes Wort aus dem Prasseln des Regens, aus dem Murmeln, dem Gelächter. Ihr Blick zuckte durch die Reihen von Jugendlichen, die schwatzend die Straße entlangliefen. Die meisten von ihnen trugen Kapuzen. Hana konnte nicht sehen, wer da sprach. "He, Psycho, ist das deine Katze?", rief eine andere Stimme. Blitzschnell schoss Hanas Blick in die Richtung, aus der die Worte kamen. Keine Sekunde später machte sie Joshuas schwarzen Schopf unter den spöttisch lachenden Schülern aus. Hana biss die Zähne zusammen. Verdammt. Genau wie sie es befürchtet hatte. Einen Moment zögerte sie, dann hastete sie ein wenig widerwillig auf Joshua zu. Warum lief sie ihm eigentlich jeden verfluchten Tag über den Weg? Das war doch nicht normal. "Lass das Vieh da runter holen!" Das war der Junge, der am Anfang gesprochen hatte. Er war fett und hatte ein Hundegesicht. Neben ihm standen zwei andere Typen; ein Schlaksiger mit hellblond gefärbten Haaren und einer mit Brille und Zahnspange. Alle drei machten einen auf Hip Hop, aber keiner von ihnen vermittelte dabei einen halbwegs glaubwürdigen Eindruck. Bei dem mit der Zahnspange sah der viel zu lange Pulli einfach nur lächerlich aus. Joshua schien Hana noch nicht einmal bemerkt zu haben, aber auch auf die pöbelnden Schüler ging der schwarzhaarige Junge nicht ein. Geradeso, als nähme er all die anderen Menschen auf der Straße nicht wahr, hatte Joshua den Kopf in den Nacken gelegt, und starrte bewegungslos einen Zaunpfeiler an. Hana folgte etwas irritiert seinem Blick und entdeckte schließlich Schnurri, die auf dem Pfeiler hockte und dümmlich in den schmalen Vorgarten zu ihrer rechten schielte. Also war die Katze heute früh wirklich Schnurri gewesen. Hana war erleichtert darüber, dass sie den Verdacht auf Paranoia fürs Erste beiseite schieben konnte. Für einen Moment rang sie sich ein bitteres Lächeln ab. Dann wurde ihr Gesicht wieder hart. Die Katze war bestimmt ausgerissen. Das klatschnasse Fell klebte eng an Schnurris Körper, sie wirkte auf diese Weise noch dünner als sonst. Wie konnte dieses Tier nur so desorientiert sein? Hana war sich eigentlich sicher, dass sich jede normale Katze bei diesem Wetter einen Unterschlupf gesucht hätte. „Alter, das ist vielleicht echt seine Katze.“, wiederholte sich der Dünne. Anscheinend war er mächtig stolz auf seine Theorie. Hana verzog den Mund. Dumme Jugendliche konnte sie erst recht nicht ausstehen. Es waren meistens die Dummen, die in den U-Bahnen Ärger machten. Sie hatte einmal erlebt wie sich zwei schmächtige Punks mit einem bulligen Nazi angelegt hatten. Bevor irgendjemand handgreiflich wurde, war sie jedoch ausgestiegen. Sie fühlte sich meist unwohl in solchen Situationen und wollte der angespannten Stimmung so schnell wie möglich entfliehen. Im Moment ging es ihr nicht anders. Am liebsten wäre sie auf der Stelle umgekehrt. Sie hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Langsam kam Hana zum Stehen, ein paar Meter von Joshua und den Idioten entfernt. Was sollte sie tun? Hastig blickte sie sich um. Die Schülermenge schob sich weiter die Straße entlang, schenkte Joshua und den drei Möchtegernhoppern kaum Beachtung. Verdammt. Sie hatte keine Lust auf Reibereien. Erst recht hatte sie keine Lust auf Joshua. Ob sie einfach umkehren sollte? Einen Moment lang sah sie zögernd den Jungen an. Nein. Im Grunde wusste sie ganz genau, dass sie sich dazu nicht entscheiden könnte. „Lol, wirf mal ’nen Stein nach dem Vieh. Vielleicht haut’s dann ab.“ Hana hatte den Begriff lol nun schon mehrmals gehört, doch ihr war noch immer völlig unklar, was er bedeutete. Hörte sich jedenfalls dämlich an. Der Blonde hob einen flachen Stein vom Boden und zielte auf Schnurri. So ein Arschloch! Jetzt ging er zu weit. „Hey!“, rief Hana durch den Regen und hetzte mit verkrampften Magen auf das Geschehen zu. Der dünne Junge ignorierte sie beflissentlich und schmiss ohne zu Zögern nach dem Tier. Das Geschoss verfehlte die Katze um Längen. Schnurri schenkte der ganzen Situation kaum Beachtung. Sie wirkte genauso abwesend wie Joshua. Der schlechte Wurf schien den Schlaksigen keineswegs zu entmutigen und er suchte die Straße bereits nach einem neuen Stein ab. Der Dritte mit der Brille tat die ganze Zeit überhaupt nichts. „Joshua!“ Erst jetzt löste sich der Schwarzhaarige aus seiner Starre und sah sie an – nur ganz kurz und abgeklärt, als überraschte ihn ihr Kommen nicht im Geringsten. Ohne ihr irgendein Zeichen zu geben blickte er dann wieder zu Schnurri hinauf. Hana verlangsamte ihren Schritt, kam verunsichert zum Stehen. Sein Blick hatte sich in ihre Gedanken gebrannt. Er war so anders gewesen. So … kalt. Das war sie nicht gewohnt. „Ob seine Katze auch mit sich selbst spricht?“, schaltete sich der Fette wieder ein. Er hatte mitten im Satz dumpf gelacht. Sein Hundegesicht nahm einen schlecht gespielten apathischen Ausdruck an und er mimte das monotone Mauzen einer Katze, die anscheinend mit sich selbst kommunizierte. Der Blonde kicherte ganz kurz und hoch, der Ruhige mit der Zahnspange bemühte sich nicht einmal um ein Lächeln. Hana schnaubte verächtlich. Noch bevor der Dünne einen neuen Stein auf dem Bürgersteig gefunden hatte, sprang Schnurri mit einem gewagten Satz vom Pfeiler. Joshua kniete sich fast im selben Moment auf den Boden, als hätte er nur auf diesen Augenblick gewartet. Er streckte die offene Handfläche nach dem Tier aus – nicht um es zu greifen, sondern nur um zu zeigen, dass es bei ihm willkommen war. Hana beobachtete wie seine Hose gierig das Pfützenwasser aufsog. Für einen Moment hielten selbst die drei Idioten inne und beobachteten stumm Joshua und die Katze. Der Fette klappte kurz den Mund auf, als wollte er etwas sagen, überlegte sich es dann aber anders. Schnurri tat zwei Sekunden lang gar nichts, dann schüttelte sie sich unbeholfen die Nässe aus dem Fell. Mit tapsigen Schritten lief das Tier schließlich auf die drei Jungen zu. Jetzt erst brach der Blonde mit seinem unangenehm hohen Kichern die Stille. „Dummes Vieh.“ Das war das erste Mal, dass sich der Brillenträger einschaltete. Sein Ton war viel ernster, als das spöttische Gelaber der beiden anderen – seine Stimme wollte überhaupt nicht zu dem lächerlichen Aussehen passen. Joshua blieb reglos, kniete noch immer in der Pfütze und hielt die Hand weiterhin ausgestreckt. „Pack sie doch einfach!“, schrie Hana dem schweigenden Jungen zu, eine Spur zu hoch und viel verzweifelter als beabsichtig. „Mach schon!“ Doch Joshua rührte sich nicht, wartete nur ab. Warum tat er nichts, verdammt noch mal? Sollte sie vielleicht einfach hinrennen, und die Katze schnappen? Der Gedanke behagte ihr gar nicht, und es fehlte ihr an Überwindung. Stattdessen wandte sie sich wütend an die drei dämlichen Typen: „Lasst ja die Finger von der Katze!“ Sie beachteten Hanas halbmutige Drohung nicht weiter. Das Hundegesicht lachte dumpf, als Schnurri begann, sich an seine stämmigen Waden zu schmiegen. „Ey, Psycho, deine Katze mag mich!“ Hana starrte wie versteinert das Tier an. Wie bescheuert konnte diese Katze eigentlich sein? Sie wollte irgendetwas unternehmen, doch sie wusste nicht was. Nervös kaute sie sich auf der Unterlippe herum. Die Schülermenge um sie herum hatte sich gelichtet und die vorbeirauschenden Autos spritzten Pfützenwasser auf den Bürgersteig. „Schnurri! Komm her!“ Das war Joshuas Flüstern. Hana blickte ihn stumm an, wie er reglos im Regen hockte und versuchte, seine klitschnasse, entlaufene Katze zu sich zu locken. „Kannst das Vieh gerne wiederhaben.“ Der Fette grinste spöttisch und verpasste dem Tier, das anhänglich um seinen Knöchel schnurrte, einen heftigen Tritt. Schnurri entfuhr noch ein kurzes, klägliches Maunzen, dann schrammte sie über den nasskalten Bürgersteig auf Joshua zu – und blieb nur einen halben Meter vor dem Jungen reglos in der Pfütze liegen. 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