BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Es war zwar kühl im Treppenhaus, aber wenigstens nicht nass. Hana zog fröstelnd die kalten Hände in ihren Pulli, nur die Fingerspitzen schauten noch aus den Ärmelsäumen hervor. Ihr war unwohl zumute, als sie Joshua die hölzernen Stufen nach oben folgte. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht? Das ganze war völlig lächerlich. Sie nahm die Einladung dieses fremden Psychopathen an, nur weil er sie auf den Defekt ihrer Heizungen aufmerksam gemacht hatte. Total bescheuert. Sonst hatte sie die Kälte in ihrem Haus auch nie gestört, wozu gab es schließlich Decken? Verunsichert und missgelaunt starrte sie seinen Rücken an. Sie hielt bewusst ein paar Stufen Abstand zu ihm. Sie war sich selbst nicht einmal sicher, warum. Vielleicht um den Abgrund zwischen ihnen aufrecht zu erhalten? Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie nur Joshua gegenüber diese Distanz bewahrte, oder ob sie schlichtweg jeden Menschen so behandeln würde. Sie wusste es nicht. Der Junge schwieg, also blieb Hana auch stumm. Der gedämpfte Lärm eines Fernsehers drang von irgendwoher zu ihr herüber. Ansonsten war es still. Ach nein, da war ja auch noch das leise Ächzen der Treppe unter jedem von Joshuas Schritten. Verwundert heftete Hana ihren Blick an seine Füße. Ihre eigenen Schritte verursachten keinen einzigen Laut. Aber so viel schwerer konnte Joshua doch gar nicht sein, oder? Der Junge blieb abrupt stehen und Hana, die noch immer auf seine Schuhe starrte, wäre fast gegen ihn geknallt, wenn sie sich nicht in letzter Sekunde an das Geländer gekrallt hätte. „Pass doch auf.“ Eigentlich hatte sie ihn zurechtweisen wollen wie bisher, doch ihre Worte waren kaum mehr als ein Murmeln geworden. Irgendwie beschämte sie es, ihn weiterhin so anzugiften, während sie jetzt quasi sein Gast war. Außerdem war sie selbst es gewesen, die nicht richtig aufgepasst hatte. Seltsamerweise verbitterte sie diese Einsicht. Joshua schloss still die Wohnungstür auf, zwei Mal drehte er den Schlüssel im Schloss. „Ich bin wieder da.“, rief Joshua halblaut, nachdem Hana durch den schmalen Türspalt zu ihm in den Flur geschlüpft war. Sie rümpfte die Nase. Es roch nach Fisch. Dann schloss Joshua hinter ihr ab. Wieder zwei Mal. „Das ist schön.“ Joshuas Mutter. „Willst du etwas zu Essen?“ Die fremde Stimme klang dünn, irgendwie gebrochen, und kam aus einem Zimmer am anderen Ende des Flurs. Hana war etwas nervös. „Nein.“, antwortete der Junge und durchquerte den Flur. Hana folgte ihm schnellen Schrittes und ließ währenddessen schweigend ihren Blick durch die Wohnung schweifen. Sie wusste die Atmosphäre nicht recht einzuordnen. Die Einrichtung erschien ihr ziemlich billig, die Wände grau und tot, aber trotzdem wirkte der schmale Flur nicht lieblos eingerichtet. Es mutete fast ein wenig paradox an. Der fleckigen hölzernen Kommode fehlten zwei Schubfächer, aber auf der Ablage konnte Hana nicht einmal die Spur von Staub finden. Stattdessen stand dort eine hellrote Plastikvase mit einer künstlichen pinkfarbenen Nelke. Darum tummelten sich liebevoll angeordnete Stoffblüten in völlig symmetrischen Mustern, nicht ein einziges rutschte aus seiner der Reihe. Ein paar schäbige, bunt bestickte Topflappen hingen an der gegenüberliegenden Wand und ergaben zusammen eine übergroße Blumenform. Überall wo Hana hinsah fand sie kitschige Details, die sich mit dem Rest der ranzigen Wohnung stritten. Hana konnte nicht wirklich Gefallen daran finden, und der ganze Klimbim passte auch überhaupt nicht zu Joshua. Die Dekoration war mit Sicherheit das Werk seiner Mutter. Joshua trat durch einen verblichenen Perlenvorhang in die Küche und Hana folgte ihm verunsichert – diesmal dicht hinter ihm. In der Küche war der Fischgeruch noch intensiver. Der Regen prasselte von außen an die Fensterscheibe. „Es gibt Fisch.“, erklärte Joshuas Mutter tonlos, als wäre das nicht schon offensichtlich gewesen. Die Frau saß im Rollstuhl. Einen Moment lang schämte sich Hana dafür, Joshuas Mutter vorhin als psychopathisch abgestempelt zu haben, nur weil diese das Haus so gut wie nie verließ. Die Frau hatte ja keine Wahl gehabt. Hana hatte vorschnell geurteilt. Dann schoss dem Mädchen ein anderer Gedanke durch den Kopf: Es war sicher unhöflich, wenn sie die Fremde nicht einmal begrüßte. „Hallo.“, murmelte sie halblaut. Sie bekam keine Antwort. Die Frau schien sie gar nicht zu beachten, sondern starrte nur ihren Sohn an. Ihre Augen waren ebenfalls grün, nur viel älter. Viel trüber. „Ja, Mama. Danke. Aber ich habe keinen Hunger.“ Joshuas Stimme ließ das Mädchen frösteln. Seine Worte waren distanziert, sachlich. Selbst Hana behandelte er herzlicher. „Gut. Dann esse ich ein wenig mehr.“ Die Stimme der Frau hatte etwas Selbstmitleidiges. Ihr Gesicht sah noch gar nicht so alt aus, doch ihr wirres Haar war dünn und blass. Hana verlagerte ihr Gewicht unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sie fühlte sich unwohl, ihr behagte die Stimmung zwischen Joshua und seiner Mutter nicht. Ihr Blick zuckte nervös über die altbackenen, beigefarbenen Fliesen des Küchenbodens. Sie waren blitzblank. „Du weißt doch, weil ich krank bin. Da habe ich keinen Hunger.“ Joshuas Stimme war noch immer abgeklärt und ruhig. Eine Weile passierte gar nichts und Hanas Unbehagen wuchs mit jeder Sekunde. Hätte sie seine Einladung doch einfach abgelehnt! Das Mädchen beschloss, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Dann kam ihr die zwei Mal verschlossene Wohnungstür in den Sinn. Sie schluckte. Schließlich nickte die Frau, während sie mit der Gabel abwesend auf ihrem Teller herumkratzte. Sie hatte den Fisch noch nicht einmal angerührt. Ohne ein weiteres Wort wand sich Joshua ab und verließ die Küche. Hana schob sich hinter ihm flink durch den Perlenvorhang hindurch. Sie war froh, dass sie hier raus war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)