BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Hana hockte am nächsten Morgen keine vierzig Meter von Joshuas Wohnung entfernt auf einer Bank. Sie lehnte mit angezogenen Knien an die beschmierte Rücklehne und zupfte mit den Fingern geistesabwesend an den Spitzen ihrer gelben Turnschuhe herum. Es war eine dumme Angewohnheit den brüchigen Gummi ihrer ausgelatschten Treter abzuknubbeln, schließlich löste sich die Sohle ohnehin schon ab. Doch sobald Hana in ihre Gedanken abdriftete, suchten ihre Finger wie von selbst nach ihren Schuhen. Wenn sie so weitermachte musste sie sich wahrscheinlich bald Neue klauen. Es war ein grauer, nasser Morgen. Die Luft war so schwer, dass sie die Stimmung der Straße ins Eilige und Distanzierte drückte. Es nieselte nicht einmal und doch merkte Hana förmlich, wie die Menschen am liebsten allesamt ihre Regenschirme gezückt hätten, nur um den Eindruck des Mistwetters zu unterstreichen. Die tiefen Wolken leckten gierig die Farbe von den hohen Häusern und hüllten ganz Berlin in ihre schwammigen Graunuancen. Hana starrte in den Himmel. Der Regen würde sicher nicht allzu lange auf sich warten lassen. Hana war gestern viel zu spät eingeschlafen und viel zu früh aufgewacht. Irgendwann kurz vor dem Einschlafen hatte sie zum hundertsten Mal den Entschluss gefasst, einfach nicht mehr an Joshua zu denken – die ganze Sache zu vergessen und wie bisher in den Tag hinein zu leben. Heute früh hatte sie dann das dämliche zerknitterte Blatt aus der Spüle gefischt, es auseinander gefaltet und es dann fast eine geschlagene Minute säuerlich angestarrt, als es ihr leer und stumm entgegen glotzte. Selten zuvor war sie sich selbst so lächerlich vorgekommen. Was hatte sie denn erwartet? Das auf einmal Bilder darauf auftauchen würden? Es nervte sie tierisch, dass sie nicht einfach von der ganzen Sache ablassen konnte. Sie wurmte allein die Tatsache, dass sie schon wieder vor seinem Haus herumlungerte. Ursprünglich hatte sie sich ablenken und ein wenig Bahn fahren wollen, um vielleicht hier und da eines der kargen Worte des morgendlichen Berufsverkehrs aufzuschnappen. Normalerweise ging sie um diese Zeit nie raus, denn die hektische Müdigkeit, die der Tagesanbruch über ganz Berlin spülte, verkalkte die Lippen der Menschen, schnürte den Worten das Leben ab und lenkte die Themen ins Rationale und Geschäftliche. Und so etwas interessierte Hana nicht. Aber heute früh hatte die Unruhe Hana aus ihrem Unterschlupf getrieben. Nachdem sie dann einige Augenblicke unschlüssig vor ihrer Haustür gestanden hatte, lief sie schließlich ohne irgendeinen Entschluss gefasst zu haben in Richtung Straßenbahnhaltestelle. Allerdings kam sie nicht weit, denn schon nach ein paar Minuten strandete sie auf der Bank neben Joshuas Haus, und begann damit, in den zugezogenen Himmel zu starren und abwesend ihre Schuhe auseinander zu nehmen. Nur weil dieser Arsch sie gestern so aus der Fassung gebracht hatte, mit seinem gestörten Gefasel. Und mit seinem hauchdünnen Lächeln. Bei dem Gedanke an ihn rupfte Hana ein weiteres Stück vom spröden Gummi ihrer Schuhe. Joshua musste gerade in der Schule sein. Sie sah ihn meistens auf seinem Heimweg, wenn sie wie so oft in der Nähe ihres Hauses die Zeit totschlug. Besonders nachdem der Brief angekommen war, hatte sie ihn viel intensiver beobachtet als zuvor. In den letzten zwei Wochen waren ihr eine Reihe von weiteren seltsamen Eigenheiten des Jungen aufgefallen. Zum Beispiel dass er den bescheuerten Nietengürtel nie in der Schule trug. Außerdem wechselte er meistens sein Oberteil wenn er nach hause kam. Er hatte zwar fast immer weiße Shirts an, doch während der Schulzeit trug er auch manchmal Kragenhemden oder dergleichen. Wenn sie ihn dann nachmittags noch einmal sah, lief er wieder mit stinknormalen T-Shirts durch die Gegend. Außerdem nahm er mindestens zweimal in der Woche einen anderen Schulweg als sonst, und er folgte auf dem Rückweg immer der gleichen Route, die er am Morgen gewählt hatte. Und er bewegte ununterbrochen die Lippen. Er flüsterte. Lächelte leise. Starrte in die Leere. Und flüsterte wieder. Die Härchen auf Hanas Armen stellten sich unwillkürlich auf. Unheimlicher Junge. Wie von selbst zuckte ihr Blick zu seiner Wohnung. Hana hatte ihn schon ein paar Mal am Küchenfenster im zweiten Stock erblickt. Auch seine Mutter kannte sie vom Sehen her, und diese kam dem Mädchen ebenso verschroben vor wie Joshua. Die Frau saß tagsüber ständig am Fenster und starrte besorgt auf die Straße. Fast so als hätte sie Angst, dass jeden Moment ein Unfall passiert. Außerdem verließ sie nie das Haus. Es war Hana ein Rätsel, wovon die beiden sich überhaupt ernährten, da Joshuas Mutter scheinbar nie einkaufen ging. Hana hatte sie nicht ein einziges Mal auf der Straße gesehen. Und einen Vater schien es in dieser Familie ja nicht zu geben, jedenfalls hatte Hana noch nie einen Mann in dieser Wohnung gesehen. Heute war das Fenster geschlossen und die blauen Rippen der Jalousie schirmten fremde Blicke ab. Normalerweise waren die Rollläden erst abends heruntergelassen. Ob Joshuas Mutter Hanas ständige Blicke bemerkt hatte? Nein, wahrscheinlich nicht. Hana stellte sich beim Lauschen und Beobachten geschickt an. Niemand hatte Hana jemals bemerkt. „Guten Morgen.“ Hana fuhr erschrocken herum, rang mit geweiteten Augen nach Atem. Joshua stand direkt hinter ihr. Er lächelte. Sein dünnes, verspieltes, unheimliches Lächeln. „Ich habe dich erschreckt.“, stellte er leise fest. Noch immer aus der Fassung erhob sich Hana ruckartig von der Bank. Sie wusste selbst nicht so genau warum, aber irgendwie kam sie sich im Stehen beherrschter vor. „Du Spinner! Schleich dich nie wieder so an!“ Sie biss sich verärgert auf die Zungenspitze. Das klang total bescheuert. Aber was Besseres fiel ihr im Moment nicht ein. „Ich hab mich nicht angeschlichen.“ Sein Lächeln schwand augenblicklich. Hana versuchte sich halbwegs zu fassen, starrte den Jungen feindselig an. Erst jetzt nahm sie den Regen wahr, der von Joshuas Nasenspitze tropfte und spürte selbst die Nässe auf ihrer Haut. Seltsam. Ihr war gar nicht aufgefallen dass es angefangen hatte zu regnen. „Wie ich dich kenne hast du auf mich gewartet.“ Joshuas Vermutung klang eher wie eine Tatsache. „Du kennst mich überhaupt nicht!“, zischte Hana zwischen ihren Zähnen hervor. „Kein Bisschen. Und ich hab auch nicht auf dich gewartet, dass das klar ist!“ Ihre Worte fühlten sich ein wenig schal auf ihrer Zunge an. Sie hatte doch nicht auf ihn gewartet, oder? „Ach so.“ Ganz kurz huschte erneut ein Anflug eines Lächelns über sein Gesicht, oder täuschte Hana sich? Schon wieder kam sie sich total unbeholfen vor. Nein. Schnell schob Hana diesen Wortlaut beiseite. Nicht unbeholfen. Sie war einfach nur genervt. Das war alles. Sie konnte ja auch nichts dafür dass dieser Typ sie nicht in Ruhe ließ. „Musst du nicht in die Schule?“ Warum konnte ihre Stimme nicht fester klingen? Wenigstens ein Bisschen. Joshua schüttelte den Kopf. „Ich bin krank.“, sagte er ernst. Ja. Aber nicht körperlich. Hana verkniff sich eine allzu bissige Bemerkung. „Dann geh mal lieber nach Hause und wärm dich auf, wenn du so krank bist.“ Sie wusste nicht recht ob Joshua den sarkastischen Unterton mitbekam. Joshua sah sie nur eine Weile stumm an. Sie starrte zurück, in seine lebendig grünen Augen. Um sie herum prasselte der Regen und löste wie immer die verschiedensten Gerüche aus der Erde, schwängerte die Luft mit kühler Nässe. Die morgendliche Hektik war schon seit einer Weile abgeebbt, nur noch jede halbe Minute jagte ein Auto die Straße entlang. Bloß aus der Innenstadt drang Gedämpft der Verkehrslärm. Berlin war nie still. „Du hast Recht. Es ist kalt und nass.“ Joshua verzog ganz leicht den Mund. „Wenn du frierst kannst du auch mit zu mir nach Hause kommen.“ Hana sah ihn mit zusammengepressten Lippen perplex an. Das Angebot überforderte sie. Was sollte das denn jetzt? „Da kann ich auch zu mir gehen.“, sagte sie knapp. Augenblicklich hatten ihre Worte die Schärfe verloren. „Die Heizungen in deinem Haus funktionieren nicht.“, bemerkte Joshua sachlich. Hana Blick zuckte sofort störrisch zur anderen Straßenseite. „Ich brauch keine.“ Woher wusste er so was? Sie fühlte sich unangenehm entblößt. Sie mochte nicht, wie er Tatsachen unverblümt aussprach. Außerdem ging ihn das nichts an. „Wenn du frierst schon.“ „Dann frier ich eben nicht.“, erwiderte Hana bissig. „Was kümmert dich das?“ Regenwasser lief ihr beim sprechen in den Mund. Joshua zuckte mit den Schultern. „Ich mag dich eben.“ Die Worte versetzten ihr einen Stich. Wieder hielt sie seinem Blick nicht stand und stierte auf die Straße. So etwas hatte ihr noch nie jemand gesagt. „Beschissene Anmache“, murmelte sie nur trotzig. Als eine Weile nichts zurückkam blickte sie ihm wieder ins Gesicht, nur ganz kurz. Zum ersten Mal schien er aufrichtig verwirrt, als könne er mit ihren Worten nicht wirklich etwas anfangen. Es tat ihr fast sogar ein wenig Leid, aber sie dachte nicht einmal daran, sich zu entschuldigen. „Lass mich einfach in Ruhe.“ Joshuas Mund wurde fest. Wieder rauschten zwei Autos die Straße entlang und spritzten das Wasser auf, das sich auf dem löchrigen Asphalt in kleinen Pfützen sammelte. „Schade dass du mich nicht ausstehen kannst. Wenn du frierst kannst du aber trotzdem zu mir kommen.“ Dann ging er wortlos an ihr vorbei, geradewegs auf seine Wohnung zu. Hana ließ sich unzufrieden zurück auf die Bank fallen. Ihre Hose sog gierig das Wasser des nassen Holzsitzes auf. Echt tolles Gespräch. Was hatte ihr das ganze Theater jetzt gebracht? Nichts. Sie war noch genauso verwirrt wie vorher, wenn nicht sogar mehr. Sauer starrte sie Joshua hinterher. Wie er mit seinen pendelnden Schritten durch den grauen Regen lief. Ich mag dich eben. Der Satz hallte viel zu deutlich in ihrem Kopf nach. Und dann stellte sie sich vor, wie sie wieder nach Hause gehen würde, und ihr das heutige Gespräch keine Ruhe ließ. Wie sie wieder bis in die Nacht mit seinem bescheuerten Brief am Küchentisch sitzen würde, nur um ihn abends zu zerknüllen und in die Spüle zu werfen. Und dabei würde sie die ganze Zeit über frieren, mit ihren nassen Klamotten in der ungeheizten Küche. Verdammt. „Joshua!“ Kurz danach presste sie die Lippen fest aufeinander, als könnte sie dadurch ihren Ruf ungeschehen machen. Sie wollte sein dämliches Angebot nicht annehmen! Doch der Junge drehte sich schon zu ihr um. Hana starrte auf die zerrupften Spitzen ihrer Turnschuhe. „Würde das denn mit deiner Mutter klar gehen?“ Er antwortete nicht, aber Hana traute sich auch nicht, zu ihm aufsehen. „Ich meine wenn ich mitkomme …“ Die Worte schmeckten auf seltsame Art bitter und erleichternd zugleich. Sie hatte ein mulmiges Gefühl im Magen. „Ach so. Klar.“, antwortete Joshua über den prasselnden Regen hinweg. Hana verzog den Mund und warf dem Jungen einen verstohlenen Blick zu. Er lächelte jetzt. Und zum ersten Mal reichte sein Lächeln bis zu seinen leuchtend grünen Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)