Ich komm dich holen von KhAosArt ================================================================================ Kapitel 1: Unerwartete Nachricht -------------------------------- Sie sitzt vor ihrem Computer. Starrt auf den Bildschirm. Versucht, sich auf die Buchstaben und Zahlen darauf zu konzentrieren. Doch sie verschwimmen immer wieder vor ihren Augen. Immer wieder muss sie an das Gespräch mit Spasti denken. „Ich glaube, ich habe Zorro heute gesehen“, hatte diese gesagt. Doch das geht doch gar nicht! Er ist doch vor 5 Jahren an dem ganzen scheiß Gift krepiert! Er ist doch schon seit 5 Jahren tot, ihr Engel. Ihr Engel, den nur sie und er selbst Engel genannt haben, und sonst alle Zorro. Dieser Spinner! Wie oft hatte sie sich in den letzten Jahren danach gesehnt, aufzuwachen und Engel neben sich liegen zu sehen! Ewig hat sie sich Vorwürfe gemacht, weil sie es nicht verhindert hatte. Weil sie einfach abgehauen ist! Und jetzt soll er wirklich noch am Leben sein? Joe spürt, wie neue Hoffnungen in ihr aufkeimen. Hoffnungen, ihren Liebsten bald wieder bei sich zu haben. Bitte, lass es wahr sein!, fleht sie innerlich. Bitte, lass ihn noch am Leben sein! „Mama?“ Ihr Sohn reißt sie aus ihren Gedanken. David Che. Er ist jetzt schon 6 Jahre alt. Und er sieht seinem Vater von Tag zu Tag ähnlicher, stellt sie fest. Joe lächelt. „Ja, was ist denn, mein Schatz?“, fragt sie ihn sanft. „Oma ist da.“ Joe nickt. „Dann geh du schon mal vor zu ihr, ja? Ich komme auch gleich nach.“ „Okay“, meint David und geht in Richtung Wohnzimmer, in dem seine Großmutter schon wartet. Joe schaltet inzwischen den PC aus. Ihr Blick wandert zu dem Foto auf ihrem Schreibtisch. Es zeigt sie selbst mit Engel und David Che als Baby. Sie sieht Engel an. „Es wäre zu schön, wenn du noch am Leben wärst!“, flüstert sie zu Engel´s Ebenbild auf dem Foto. Streicht mit dem Finger sanft über Enegl. Sie fasst einen Entschluss: Wenn er wirklich noch am Leben ist, dann muss sie ihn finden! Egal, wie! Sie geht ins Wohnzimmer. Zu ihrer Mutter und ihrem Sohn. „Hallo Mama“, begrüßt sie ihre Mutter leise. Diese schaut von dem Buch auf, aus dem sie david Che gerade vorgelesen hat. Sie legt es beiseite. Steht auf. Geht auf Joe zu. Nimmt sie in den Arm. „Hallo, meine Kleine.“ Sie legt ihren Arm um Joe´s Schulter. Führt sie zum Sofa, auf dem sie mit David Che gesessen hat. Joe setzt sich hin. Ihre Mutter neben sie. David legt seinen Kopf auf Joe´s Schoß. Sie lächelt. Es dauert nicht lange, dann schläft ihr Sohn ein. Kapitel 2: Das Gespräch ----------------------- Joe schaut ihre Mutter an. „Spasti hat Engel gesehen“, platzt es dann aus ihr heraus. Ihre Mutter sieht sie verwirrt an, Sagt: „Ja und?“ „Ey, Mama, sie hat David´s Vater gesehen!“ „Was? Ach so, der…Aber ich dachte, der sei tot?“ „Ich ja auch…Aber Spasti meint, sie hat ihn gesehen.“ „Vielleicht hat sie sich ja auch geirrt.“ „Nein, ganz sicher nicht.“ Joe treten Tränen in die Augen. Ihre Mutter meint: „Und selbst, wenn er noch leben sollte, was ändert das an der Situation?“ „Ich muss ihn suchen!“, meint Joe aufgebracht. Sie scheint ihre Mutter nicht gehört zu haben. Aber in Wahrheit hat sie deren Worte ganz genau gehört. Sie ignoriert sie bloß. Will sich nicht wieder die ganze Leier von vorn anhören müssen. „Ich muss ihn finden, unbedingt!“ „Das ist doch nicht dein Ernst! Such dir lieber einen Mann! David braucht einen Vater!“ Joe seufzt. Jetzt geht das schon wieder los. „Engel ist sein Vater!“ „Ich meine einen Vater, der sich auch um ihn kümmern kann.“ „Er kann sich doch um ihn kümmern! Ich muss ihn nur finden, dann wirst du schon sehen, wie gut sich Engel um seinen Sohn kümmern kann.“ „Oh bitte, das glaubst du doch selbst nicht!“ „Doch, das tue ich! Ich werde ihn finden und dann wirst du es sehen!“ Joe schlägt mit der Faust auf den Tisch. Davon wird David Che wach. „Hmm?“, macht er bloß verschlafen. „Du, David, ich muss mal weg, verreisen“, spricht sie ihren Sohn an. „Ich hab etwas ganz wichtiges zu erledigen. Deine Oma passt solange auf dich auf, während ich weg bin.“ Sie schaut zu ihrer Mutter. Diese seufzt. „Okay.“ Joe lächelt. „Danke“, sagt sie und nimmt ihre Mutter in den Arm. „Wann kommst du denn wieder?“, will ihr Sohn von Joe wissen. Doch sie weiß es nicht, wie lange es dauern wird, bis sie Engel gefunden hat. Sie antwortet: „Das weiß ich nicht genau. Aber ich bin bestimmt bald wieder da.“ Sie küsst David Che auf die Stirn. Kapitel 3: Die Suche beginnt! ----------------------------- Sie steht auf der Straße. Überlegt, wohin sie jetzt gehen soll. Wo sie mit der Suche beginnen soll. Sie entscheidet sich für den Alex. Auch, wenn sie nicht glaubt, dass sie ihn da tatsächlich findet. Aber einen Versuch ist es ihr wert. Also schnappt sie sich ihre rote Reisetasche und läuft zur S-Bahnstation. Wie damals, denkt sie und muss lächeln. Sie erinnert sich an den Tag, als sie von zu Hause abgehauen ist. Als Engel sich das erste Mal getroffen haben. Sie nimmt die S-Bahn zum Alex. Da steigt sie aus, läuft zum Brunnen. Dorthin, wo sie damals mit Engel so oft war. Doch sie hatte Recht. Wo auch immer Engel sich aufhält, hier jedenfalls ist er nicht. Dafür trifft Joe auf Maria. „Hey Joe!“, kommt Maria auf sie zugerannt. Nimmt sie fest in den Arm. „Na, wie geht´s denn er Patentante?“, lacht Joe, nachdem Maria sie wieder losgelassen hat. „Ach, gut, gut. Und selbst?“, fragt er. „Passt schon“, antwortet sie. Sie weiß grad gar nicht, wie es ihr geht. Kann ihre Gefühle nicht einordnen. „Sag mal, weißt du es schon, dass Zorro noch lebt! Ich hab ihn gestern gesehen. Zwar nur von weitem, aber er war es! Ganz sicher!“, kriegt Maria plötzlich ´nen totalen Laberflash. „Ich meine, ich erkenne doch deinen Zorro…“ Joe unterbricht ihn. „Ja, das habe ich auch schon von Spasti gehört, dass sie ihn auch gesehen hat. Deshalb suche ich ihn ja auch.“ „Ach so…“, macht Maria. Er schaut sich um. „Hmm…“ „Weißt du vielleicht, wo er sein könnte?“, fragt Joe ihn dann. Er überlegt. Dann antwortet er: „Also früher war er ja oft hier am Brunnen…und in seiner Laube, als sie noch stand…aber jetzt? Sorry, ich hab keine Ahnung.“ Maria schaut nach unten. Weil er an die schöne Zeit mit Zorro zurückdenkt. Dabei lächeln muss. Nicht nur Joe wünscht sich, dass er noch lebt. Auch Maria will seinen Kumpel wieder sehen. „Ist nicht so schlimm…“, versucht Joe ihn zu trösten. „Ich werde ihn schon finden. Und dann kommen wir dich mit David besuchen!“ Damit zaubert sie ein Lächeln in das traurige Gesicht von Maria. Er liebt den kleinen Sohn von Joe und Zorro, genauso wie er Zorro´s Freundin mag. Und Zorro ist sowieso sein bester Kumpel. „Okay, dann such mal schön. Ich bin sicher, wenn jemand Zorro finden kann, dann bist du das!“, meint Maria aufmunternd. Joe nickt. Na hoffentlich, denkt sie. Dann verabschieden sie sich und beide gehen weiter ihre Wege. Maria geht zu seinem neuen Freund. Und Joe sucht weiter nach ihrem Engel. Kapitel 4: Wo bist du? ---------------------- Noch 2 Monate irrt sie durch Berlin. Immer noch auf der Suche nach Engel. In der Hoffnung, ihn zu finden. Doch vergeblich. Engel bleibt verschwunden. Vielleicht hat Spasti sich ja doch geirrt?!, denkt Joe traurig. Aber was ist mit Maria? Er hat ihn doch auch gesehen. Die beiden dürfen sich einfach nicht geirrt haben! Sie sucht weiter. Denkt sich oft, sie könnte doch Passanten fragen, ob jemand Engel gesehen hat. Doch was will sie denen sagen? Sie weiß ja nicht mal, wie er jetzt aussieht. Also beschließt sie, seine Eltern zu kontaktieren. Doch da sie nicht viel über sie weiß, gestaltet sich dies sehr schwierig. Das hat doch alles gar keinen Sinn!, denkt sie verzweifelt. Sie sitzt mal wieder am Brunnen auf dem Alex. Es ist Winter. Anfang Januar und kalt. Sie zieht ihre Jacke enger um sich. So werde ich ihn doch nie finden! Ihr laufen Tränen die Wange herunter. Sie kramt in ihrer Reisetasche, die sie nach wie vor mit sich herumschleppt, bis sie das Foto findet. Das, was vorher auf ihrem Schreibtisch stand. Mit ihr, Engel und David Che drauf. Sieht den Engel darauf ganz genau an. Mindestens eine ganze Minute lang starrt sie ihn unentwegt an. Dann wendet sie den Blick ab. Schaut auf. Alex steht vor ihr. „Joe?“ Er scheint fassungslos. „Du bist es ja wirklich! Was machst du denn hier?“ „Ich suche meinen Verlobten“, antwortet sie nur knapp. Sie will jetzt nicht mit ihm reden. Sie will gar nix mehr, außer Engel finden. „Deinen Verlobten?“ „Ja, meinen Verlobten! Engel“, antwortet sie bissig. „Und jetzt lass mich in Ruhe.“ Damit steht sie auf, nimmt sich ihre Tasche und läuft in schnellem Schritt davon. In Richtung U-Bahn-Station. Auf halbem Weg überkommt sie ihr schlechtes Gewissen. Es war nicht richtig von ihr, Alex so anzugehen. Er kann ja schließlich auch nix dafür, dass sie ihren Engel nicht findet! Sie will sich entschuldigen, aber als sie sich umdreht, ist er auch schon wieder weg. Dann halt ein anderes Mal, denkt sie sich. Sie denkt nach. Wohin will sie eigentlich? Sie weiß es nicht. Dann beschließt sie, mal wieder nach Hause zu fahren. Zu ihrem Sohn. Der kann ja auch nix für ihre Hirngespinste. Also geht sie nun doch zur U-Bahn-Station. Fährt wieder nach Friedrichshain. Sie kommt an, steigt aus. Läuft dann ziellos die Straßen entlang. Wünscht sich, Engel würde ihr begegnen. Einfach so. Würde ihr zur Begrüßung einen Kuss geben, sie ganz fest in die Arme nehmen. Endlich wieder bei ihr sein. Und nie, nie wieder weg gehen. Wieder steigen ihr ein paar Tränen in die Augen. Das wäre doch zu schön, wenn das passieren würde. Aber natürlich passiert ihr das nicht. Alle Passanten, die ihr auf ihrem Weg entgegen kommen, sind Rentner oder irgendwelche Faschos, kein Engel. Kurz vor ihrem Haus fällt ihr ein Ort ein, an dem sie ihn noch nicht gesucht hat. Der Friedhof, auf dem sie war, als sie damals abgehauen ist. Dort, wo Engel mal war, als seine alte Laube weggerissen worden ist. Natürlich! Aber vorher macht sie sich erstmal auf den Weg nach Hause. Sie vermisst David Che. Außerdem muss sie mal dringend wieder duschen. Und neue Klamotten braucht sie außerdem. In dem Haus angekommen, muss sie erstmal das ganze Treppenhaus hoch. Sie wohnt schließlich ganz oben, in der obersten Etage. Oben angekommen kramt sie ihren Schlüssel heraus. Öffnet die Tür. Tritt hinein in ihre Wohnung. Sie stellt fest, dass David nicht da zu sein scheint. Schade eigentlich. Joe geht erst ins Schlafzimmer, holt sich neue Klamotten aus ihrem Schrank. Geht dann ins Bad. Zieht sich aus und schmeißt ihre ganzen alten Klamotten in die Waschmaschine. Wäscht sie. Sie geht unter die Dusche. Dreht den Wasserhahn auf. Spürt das warme Wasser auf ihrer Haut. Denkt wieder an Engel. Wie lange soll sie denn noch suchen, bis sie ihn wieder findet? Wird sie ihn überhaupt jemals wieder sehen? Sie kann die Tränen nicht zurückhalten, die ihr über die Wangen laufen. Sie kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie kann diesen inneren Schmerz nicht mehr verdrängen. Diese Sehnsucht, die in ihr brennt, kommt wieder in ihr hoch. Alles auf einmal. Alles tut ihr weh, und es gibt nichts, was sie dagegen tun kann. Plötzlich wird um sie herum alles schwarz. Kapitel 5: Gib niemals auf! --------------------------- Joe öffnet die Augen. Sie findet sich in einem Bett wieder, um sich herum viele Leute in Weiß gekleidet. David sitzt auf ihrem Bett. Sie bemerkt, dass ihre Mutter mit einem der in Weiß gekleideten Männer redet. Sie versteht aber nicht, was sie besprechen. Als David ein lautes „Mama!“ von sich gibt, sind plötzlich alle Augen auf sie gerichtet. Die Gespräche verstummen. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt sie einer der Männer. Er stellt sich als Chefarzt Doktor Müller vor. Sie ist in einem Krankenhaus, erklärt er ihr. Sie sei zusammengebrochen, wahrscheinlich sei die Anstrengung und Aufregung der letzten Monate daran Schuld. Sie solle sich ein wenig schonen. Sie wollen sie noch eine Woche da behalten, damit sie wieder ein wenig zur Ruhe kommen kann. „Nein“, presst sie daraufhin hervor. „Nein, das geht nicht. Ich muss meinen Verlobten finden!“ Joe versucht, sich aufzurappeln. Sie will nur noch weg. Ihre Mutter hält sie zurück: „Nein, Johanna, du bleibst jetzt verdammt noch mal hier! Komm zur Vernunft, dieser Kerl ist doch schon seit Jahren tot!“ „Nein, ist er nicht…“ Joe´s Stimme wird brüchig. Sie kann nicht glauben, dass ihre Mutter sie hintergeht. Sie versucht noch einmal, sich aufzurappeln. „Und ich verschwinde jetzt aus diesem Scheißschuppen.“ Sie steht auf, läuft ein paar Schritte. Alles für ihren Geschmack viel zu langsam. Sie versucht, schneller zu laufen, doch es funktioniert nicht. Stattdessen wird ihr schwindlig. Sie versucht, es zu ignorieren, doch das Schwindelgefühl wird immer stärker. Nach ein paar Schritten kippt sie um. Als sie wieder aufwacht, findet sie sich wieder einmal in dem Krankenhausbett wieder. Sie seufzt leise. Sie ist erschöpft. Vielleicht hätte sie vorhin doch liegen bleiben sollen. Das hätte ihr wahrscheinlich besser getan. Vielleicht hätte sie dann jetzt nicht dieses wahnsinnige Schwindelgefühl, vielleicht würde es ihr dann besser gehen. Sie blickt sich um. Sie ist allein. Alle sind gegangen. Am liebsten würde sie jetzt aufspringen, von hier abhauen, Engel suchen und finden. Ja, Engel finden! Ihren Engel… Joe steigen die Tränen in die Augen. Fragt sich, ob das alles eigentlich noch Sinn hat. Stellt sich dieselben Fragen immer und immer wieder. Joe merkt, wie ihre Blase drückt. Schwerfällig erhebt sie sich aus dem Bett, schlürft aus dem Zimmer in Richtung Toilette. Kurz vor ihrem Ziel sieht sie – IHN! Sie erkennt ihn sofort. Er ist es. Die Statur, die Haare, der Gang. Auch wenn sie sein Gesicht nicht sieht, weil er ein paar Meter vor ihr läuft, doch sie ist sich sicher. Das ist ihr Engel! „Engel!“, will sie ihm hinterher schreien, doch sie bekommt keinen Ton heraus. Nur ein Keuchen entrinnt ihrer Kehle. Sie kann das nicht glauben, dass sie so schwach ist – ausgerechnet JETZT! Ausgerechnet jetzt, wo sie ihn endlich gefunden hat. Sie nimmt noch mal alle ihre Kraft zusammen, schreit aus vollem Halse: „Engel! Engel! Bitte dreh dich um! Ich bin´s, Joe!“ Doch auch wieder kommt nichts weiter als ein leiser Laut aus ihr heraus. Sie spürt, wie ihre Tränen ihr den Blick nehmen. Jetzt hat sie ihn endlich gefunden und dann kann sie ihn nicht mal auf sich aufmerksam machen. Joe resigniert. Sie sinkt in sich zusammen. „Was machen Sie denn hier draußen?“, holt sie eine Stimme aus ihrer Trance. Joe blickt auf. Vor ihr steht der Arzt, der bei ihr im Zimmer war, als sie im Krankenhaus aufgewacht ist. Doktor Müller oder so. Sie kann sich nicht mehr daran erinnern. Es ist ihr auch herzlich egal. „Ich habe Ihnen doch strenge Bettruhe erteilt“, spricht er weiter. „Ich musste mal auf´s Klo“, erwidert Joe kleinlaut. Kann er sie nicht in Ruhe lassen? Der Arzt reicht ihr die Hand, zieht sie wieder auf die Beine, schafft sie wieder in das Zimmer, zurück ins Bett. Dann wendet er sich ab, geht aus dem Zimmer. „Und ab jetzt bleiben Sie hier drin, bis ich etwas anderes angeordnet habe, in Ordnung?“, meint er abschließend, als er zur Tür heraus geht. Dann ist er weg. Joe ist wieder allein. Denkt nach. Also lebt er doch noch, denkt sie lächelnd. Endlich hat sie Gewissheit. Das gibt ihr wieder Mut. Sie wird ihn finden! Sobald sie hier endlich wieder draußen ist, wird sie ihn weiter suchen und endlich finden. Jawoll! Und dann werden sie endlich wieder vereint sein. Joe fallen die Augen zu. Sie sieht Engel vor ihrem inneren Auge. Sie lächelt. Bald darauf schläft sie ein. Kapitel 6: Der heimliche Besucher --------------------------------- Leise öffnet er die Tür. Schleicht sich ins Krankenzimmer, an das Bett seiner Liebsten. Endlich hat er sie gefunden. Sie, die Frau, die er schon seit Jahren suchte, die er für immer verloren geglaubt hatte. Liebevoll sieht er sie an. Sie schläft. Er lächelt. Sie ist immer noch so wunderschön wie damals, denkt er. Streichelt sanft ihre Wange. Er denkt an die schöne Zeit, die sie hatten. Wie schnell alles zu Ende war. Wie verzweifelt er nach ihr gesucht hat, ehe er sie jetzt endlich gefunden hat. Am liebsten würde er bei ihr bleiben, bis sie aufwacht. Ob sie ihn erkennen würde? Ob sie in der ganzen Zeit oft an ihn gedacht hat? Ob sie ihn noch liebt? Wie gerne würde er einfach nur bei ihr bleiben. Einfach nur in ihrer Nähe sein, nach all den Jahren der Entbehrung. Doch das geht nicht. Er muss weg von hier. Weg von ihr. Ehe sie ihn hier entdecken und ihn wieder mitnehmen. Ihn wieder für lange Zeit einsperren. Das kann er ihr nicht antun. Nicht noch einmal. Er beugt sich zu ihr hinunter. „Ich liebe dich, meine wunderschöne Prinzessin“, flüstert er ihr zu, bevor er ihr einen sanften Kuss auf ihre Lippen gibt. Sie fühlen sich noch immer so wunderbar wie damals an, denkt er. Schweren Herzens löst er den Kuss. Er wendet sich ab, geht zur Tür, öffnet sie. „Ich liebe dich“, flüstert er ihr ein letztes Mal zu, bevor er aus ihrem Zimmer geht und die Tür hinter sich schließt. Kapitel 7: Traum oder Realität? ------------------------------- Joe öffnet die Augen. Tief und fest hat sie geschlafen. Und geträumt. Von Engel. Es war doch ein Traum, oder? Aber es fühlte sich so echt an…! So real hat sie noch nie von ihm geträumt. Als die Tür geöffnet wird, wird sie aus ihren Gedanken gerissen. David betritt den Raum. Und ihre Mutter. Und Maria. „Hallo ihr drei“, begrüßt sie ihre Besucher. „Wie geht es dir?“, fragt Maria sie. „Ganz okay“, antwortet Joe schulterzuckend. „Wann kann ich endlich hier raus?“ Sie will hier nicht mehr sein, sie hat das Gefühl, das Krankenhaus mache sie wahnsinnig. Sie hat Krankenhäuser schon immer gehasst. Außerdem will sie weiter nach Engel suchen. Nach ihrem Engel. Ob er sie nicht vielleicht doch besucht hat? Dann muss er noch irgendwo in der Nähe sein. Doch woher hat er dann von ihrem Krankenhausaufenthalt gewusst?! Wie soll das möglich sein? Traurig sinkt sie in sich zusammen, als ihre Mutter ihr sagt: „Du wirst noch ein paar Tage da bleiben. Zur Beobachtung, meinte der Arzt.“ „Muss das wirklich sein?“, fragt sie deprimiert und genervt zugleich. „Du weißt doch, wie sehr ich Krankenhäuser hasse…“ „Tut mir Leid, aber scheint so…“, meint ihre Mutter, „außerdem sind sie doch alle sehr nett zu dir, oder?“ Joe seufzt: „Ja, klar. Trotzdem kotzt mich das alles hier an. Ich will hier endlich raus. Ach, du verstehst es nicht, Mama.“ „Ich kann doch auch nix daran ändern, Johanna.“ „Ich weiß…“ „Du, Mama…“, meldet sich jetzt auch David Che zu Wort. „Wenn du wieder hier raus kommst, kommst du dann wieder zurück nach Hause? Also ganz?“ Joe schüttelt den Kopf. „Nein, ich muss dann wieder weg…“ „Willst du etwa schon wieder nach diesem komischen Typen suchen?“, fällt ihr ihre Mutter ins Wort. „Engel ist kein komischer Typ“, zischt Joe. „Er ist immerhin der Vater meines Sohnes!“ „Und ein Krimineller.“ „Nein, er ist nicht kriminell, Mama.“ „Und was war das damals mit dem Überfall?“ „Das war doch nur wegen uns“, Joe kommen langsam die Tränen, auch vor Wut. Wie kann ihre Mutter nur so starrköpfig sein?! „Ja, natürlich“, meint ihre Mutter sarkastisch. Dann mischt sich Maria ein. „Er ist wirklich ein guter Mensch, sie sollten nicht über ihn urteilen, bevor sie ihn kennen gelernt haben.“ „Das habe ich schon…und wie!“, meint Joe’s Mutter. „Und deshalb bin ich auch der Meinung, dass er weder ein guter Mann für meine Joe ist noch ein guter Vater für David. Und ich bin dagegen, dass du weiter nach ihm suchst, meine Liebe.“ „Das ist mir egal!“, antwortet Joe, „ich bin inzwischen erwachsen, Mama, falls du das vergessen haben solltest. Ich bin nicht mehr die kleine, unschuldige Johanna, die du vor allem und jedem beschützen musst, obwohl du das ja eh nie wirklich getan hast!“ Es ist soweit, Gefühlschaos. Es bricht wieder aus ihr heraus. „Was soll das denn wieder heißen?“, fragt ihre Mutter sauer. „Das weißt du doch selbst am besten!“ Scheiße, denkt sich Maria. „Hey, kann ich mal bitte mit Joe unter vier Augen sprechen?“, fragt Maria Joe’s Mutter. Diese schaut ihn nur herablassend an. „Wenn es sein muss“, knurrt sie dann, „aber red ihr das mit diesem Typen aus!“ Dann schnappt sie sich David und verlässt das Krankenzimmer. „Endlich“, seufzt Maria. „Das war ja nicht auszuhalten.“ Joe nickt nur. Dann meint sie: „Egal, was du sagst, ich werde weiter nach ihm suchen. Solange, bis ich ihn gefunden habe.“ „Ich wollte es dir ja auch nicht ausreden. Ich will nur nicht, dass du enttäuscht bist, solltest du ihn doch nicht finden, ja?“ „Ja, klar. Aber ich weiß, dass er noch lebt und dass ich ihn finden werde, früher oder später. Ich weiß es einfach!“, erwidert Joe. „Was macht dich da so sicher, Kleines?“, fragt Maria. „Ich habe ihn gesehen.“ „Wo? Hier im Krankenhaus? Oder wo?“ Maria ist aufgeregt. Sollte er seinen Freund etwa doch noch nach all den Jahren wieder sehen?? „Ja“, antwortet Joe. „Einmal draußen auf dem Gang und einmal…diese Nacht vielleicht.“ „Wieso vielleicht?“ „Weil ich nicht hundertprozentig sagen kann, dass es so war. Ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht doch nur geträumt habe. Aber ich bin mir sicher, dass er hier war. Ich spüre das doch“, meint sie überzeugt. Maria überlegt. „Naja, aber woher soll er denn wissen, dass du hier bist?“ Joe zuckt mit dem Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht hat er mit jemandem gesprochen. Ich weiß es nicht.“ „Hm“, Maria ist am Grübeln. „Wenn er es wirklich gewesen sein sollte, dann könnte es doch sein, dass er auch nach dir sucht. Nach dir und David Che. Dann kommt er vielleicht wieder.“ „Aber warum hat er dann nicht mit mir geredet, als er hier war?“, Joe steigen Tränen in die Augen. „Er hätte mich doch ansprechen können, oder diese Nacht wecken.“ „Überleg doch mal…er weiß doch auch nicht, wie du reagiert hättest. Das alles ist doch schon 5 Jahre her. Vielleicht ist es ihm lieber, dich nur zu sehen, als dass er von dir einen Korb kriegt. Denn er scheint immer noch an dir zu hängen, wenn er schon hier auftaucht.“ Joe weiß nicht, wie sie darauf reagieren soll. Das, was Maria sagt, klingt alles so logisch. Außerdem war er ja schließlich Engel’s bester Freund, also muss er wohl recht haben. „Und was soll ich da jetzt machen?“, fragt Joe dann. „Dich erstmal ausruhen“, meint Maria gelassen, so als wäre es das logischste auf der Welt. „Und dann kannst du weiter nach ihm suchen. Aber zuerst verbringst du bitte etwas Zeit mit deinem Sohn.“ Seine letzten Worte lassen Joe aufhorchen. Damit hätte sie jetzt nicht gerechnet, dass er jetzt anfängt, über David zu sprechen. Aber er hat ja recht – dadurch, dass sie momentan die ganze Zeit nach ihrem Geliebten gesucht hat, hat sie jemand anderen total wichtigen in ihrem Leben komplett vergessen: ihren eigenen Sohn! Ich bin eine schreckliche Mutter, denkt sie und ihr steigen Tränen in die Augen. An Maria gewandt sagt sie nickend: „Du hast Recht. Sobald ich hier draußen bin, fahr ich erstmal mit David Che weg…irgendwohin, wo es schön ist.“ Maria lächelt zufrieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)