Königin von Ilmare ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Königin Der Vollmond stand hoch am Himmel. Wolkenfetzen jagten an dem hell strahlenden Himmelskörper vorbei. Gespenstische Stille lag über den dunklen Gassen der Lagunenstadt. Das leise Glucksen des Wassers in den Kanälen schien verstummt und auch der Wind schien sein Heulen aufgegeben haben. In dieser völligen Stille bewegte sich eine Gestalt in raschem Schritt vorwärts. Das weite, durchaus prachtvolle Gewand war von einem dunklen Samtumhang verdeckt, der auch den Kopf des Mädchens umschmeichelte und es eins mit der Dunkelheit werden ließ. Ihr schneller Schritt hallte von den steinernen Wänden die sich dicht an den Weg schmiegten wieder und so bemerkte sie nicht die vorsichtigen Schritte, die ihr folgten. Immer weiter lief sie, bis schließlich ein Kanal ihren Weg kreuzte. Sie seufzte und blickte sich nach beiden Seiten nach einer Brücke um. Vielleicht hätte sie doch nicht diesen Weg wählen sollen. Nach einer Weile entschied sie dem Kanal nach links zu folgen. Der Weg war leicht rutschig, sodass sie auf ihren hohen, eleganten Schuhen nur langsam vorankam. Nein, diesen Weg hätte sie wirklich nicht wählen sollen. Im Mondlicht, das hier unten nur noch schwach vorhanden war konnte sie in der Nähe endlich eine Brücke ausmachen. Ihre Schritte wurden wieder schneller. Rasch stieg sie die flachen Stufen hinauf und hatte die Mitte der Brücke bereits erreicht, als sie der Schritte hinter sich gewahr wurde. Erschrocken wirbelte sie herum und sah – Nichts. Nur die kahle Hauswand, an der sie gerade noch vorbei gegangen war. Ihr Blick huschte den schmalen Weg entlang, der jedoch verlassen hinter ihr lag. Seufzend drehte sie sich um. Jetzt hatte sie schon Halluzinationen. Sie verließ die Brücke und huschte durch die enge Gasse, die sich dahinter auftat. Schließlich gelangte sie auf einen Campielli, ein kleiner Platz wie es vielleicht zu hunderten in der Stadt gab. Ein Lächeln huschte über die Lippen des Mädchens, als sie sich abermals nach links wandte. Es dauerte nicht lange, bis sie vor einem unscheinbaren Hauseingang halt machte. Ein wenig zögerlich hob sie die Hand und klopfte dreimal kräftig gegen das Holz. Zuerst blieb alles still, dann erklangen Schritte im Innern, die langsam lauter wurden. Quietschend wurde die Tür geöffnet. „Sie wünschen?“, fragte ein Mann gehobenen Alters. Seine bereits ergrauten Haare waren im Nacken mit einem schlichten schwarzen Band zusammengebunden. „Guten Abend“, erwiderte das Mädchen freundlich. „Verzeiht, ich habe mich verspätet, ich vermute es hat bereits angefangen.“ Sie zog eine Schriftrolle aus ihrem Umhang hervor und reichte sie dem Mann, der sie aufmerksam betrachtet hatte. Jetzt warf er einen kurzen Blick auf das Dokument und nickte zustimmend. „Sie haben sich in der Tat etwas verspätet, Madame. Aber ich denke, Sie werden nicht viel verpasst haben.“ Er steckte das Papier in die Innentasche seines einfachen, wenn auch aus edlen Stoffen gefertigten Kasacks und machte dann eine einladende Bewegung in Richtung des Innenraums um das Mädchen hereinzubitten. Danach schloss er die Tür sanft hinter ihr. „Wenn Sie mir bitte Ihren Mantel überlassen würden?“, fragte er sanft und mit angedeuteter Verbeugung. Er half dem Mädchen den schweren Samtstoff von den Schultern zu nehmen und reichte sie dann an einen Jungen weiter, der sich bis dahin still und halb verborgen im Schatten aufgehalten hatte. „Der Festsaal befindet sich oben. Bitte folgen Sie mir.“ Der Hausdiener ging die Treppe hinauf wobei er darauf achtete, dass die junge Dame dicht hinter ihm war, er sich jedoch nicht aufdrängte. Das Mädchen warf einen Blick durch das Untergeschoss. Wie in den meisten Häusern der Lagunenstadt waren hier nur wenig Möbel zu sehen, um einen zu großen Schaden bei Hochwasser zu vermeiden. Die Treppe knarrte leise, als Diener und Gast sie betraten. Es war eine leicht geschwungene Holztreppe aus edlem Holz. Blank schimmerte es im Kerzenschein und sah dabei aus, als hätte es ein unheimliches Eigenleben. Ihr Blick richtete sich nach oben und nun drangen auch die sanften Klänge an ihre Ohren, die scheinbar aus dem Ballsaal zu kommen schienen. Ein wenig nervös glitt ihre Hand zu der Maske, die ihre Augenpartie sowie einen Teil der Wangen und der Nase verdeckte. Sie hatte das kunstvoll gearbeitete Meisterwerk erst am Morgen erhalten, zusammen mit dem mitternachtsblauen Kleid das sie nun trug und das ihrem Körper ungemein schmeichelte. In der Schachtel hatte sie ebenfalls die Einladung zu diesem Ball gefunden, die der Hausdiener zuvor entgegengenommen hatte. Wer ihr Wohltäter war, wusste sie nicht, doch ihre Neugier hatte über ihre Furcht gesiegt und ein Maskenball war nun wirklich nichts Alltägliches. Zum Glück kannte sie sich in Labyrinth aus Gassen, Plätzen und Kanälen der Lagunenstadt recht gut aus, sonst hätte sie das Haus wohl nicht gefunden. Der Diener hielt vor einer großen, weißen Flügeltür, hinter der Musik nun lauer erklang. „Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen, Madame“, sagte der Mann und öffnete mit einer Verneigung den einen Flügel der Tür. Ein wenig zögerlich trat das Mädchen ein. Ihre Augen weiteten sich bei dem was sie sah. Stumm starrte er ihr hinterher. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er sah, dass das Kleid, welches er ihr geschickt hatte ihren Körper sanft umschmeichelte, auch wenn unter dem dunklen Umhang nur ein Teil davon sichtbar war. Ob die Maske ihr hübsches Gesicht ebenfalls gut zur Geltung brachte, konnte er nicht sehen, da sie die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Ihre Schritte waren schnell und schon bald war sie an einer Ecke verschwunden. Höchste Zeit für ihn sich auf den Weg zu machen, ihr zu folgen. Seine Schritte waren leise. Schattengleich huschte er hinter ihr her. Seinem Schatz. Seiner Königin. Schließlich gelangte er an einen Kanal, der in sanften Strömen vor ihm dahin floss. Warum nahm sie nur diesen Weg? Schweigend beobachtete er, wie sie mühsam über den glatten Boden lief, darauf bedacht nur ja nicht zu fallen. Ein Lächeln stahl sich wieder auf seine Lippen, während sein Blick weiterhin auf ihr ruhte. Jetzt hatte sie die Brücke erreicht, die ihr Ziel gewesen zu sein schien. Als sie die Hälfte hinter sich gebracht hatte folgte er ihr langsam. Aber es war zu früh. Sie hatte ihn gehört. Oder gespürt? Er erstarrte mitten in der Bewegung. Wurde eins mit seiner Umgebung. Wurde eins mit der Nacht. Sie sah ihn an. Ihr Blick ging direkt durch ihn hindurch. Wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er sah, dass sie seufzte und ihren Weg dann fortsetzte. Abermals nahm er die Verfolgung auf, bis sie schließlich ihr Ziel erreicht hatte. Wieder barg er sich im Schatten. Bemerkte amüsiert, wie sie nur zögerlich die Hand hob. Wenig später war sie im Haus verschwunden. Zufrieden ließ er sich gegen die Hauswand hinter sich zurücksinken. Sie wusste nicht, wohin sie den Blick zuerst richten sollte. Leise Musik von Flöten und Streichern erfüllte den Raum, der in warmen Kerzenschein lag. Vor ihr tummelten sich zwanzig bis dreißig weitere Gäste, die ebenfalls in bester Kleidung und kunstvolle Masken gewandet waren. Staunend ging sie langsamen Schrittes durch den Raum, nicht bemerkend, dass die anderen Gäste ihr überraschte Blicke zuwarfen und kleine Geflüsterfeuer entbrannten. Das Mädchen betrachtete gerade die prunkvollen Kronleuchter an der Decke, als sich die Flügeltüren hinter ihr ein weiteres Mal öffneten. Sofort wurde es still. Selbst die Musik war verstummt. Ein junger Mann kam herein. Sein schwarzes Haar war nicht, wie es zurzeit in Mode war im Nacken gebunden, sondern umrahmte in wilden Strähnen sein Gesicht und reichte ihm bis auf die Schulter. Die Maske, die sein fein geschnittenes Gesicht von der Stirn bis zur Nase verdeckte, war schwarz wie sein Haar und seine restliche Kleidung, die aus einem samtenen Rock, der über einem dunkelgrauen Hemd lag und schwarzen, engen Hosen bestand, die knapp unterhalb des Knies in dunkle Lederstiefel übergingen. Das Mädchen schluckte trocken. Konnte wie die anderen Gäste nicht den Blick von ihm wenden. Immer wieder ließ sie ihre Augen über die feinen silbernen Verziehrungen wandern, die seine Kleidung und auch die Maske wie dünne Ranken zierten. Der Mann schritt mit langen Schritten durch den Raum. Ein Rascheln ging durch die Menge, als sich alle zur anderen Seite drehten um ihn mit ihren erwatungsvollen Blicken folgen zu können. Das Mädchen drängte sich ein wenig nach vorn um einen besseren Blick zuhaben, stellte sich jedoch so, dass sie nicht unmittelbar in seinem Blickfeld stand. Eine Gänsehaut legte sich über ihre Arme, als sie ihn genauer betrachtete. Der gewaltigen Ausstrahlung des großen, schlanken Körpers gewahr wurde. Er hatte inzwischen die Tribüne erreicht, auf der das Orchester seine Instrumente aufgebaut hatte. In einer eleganten Bewegung sprang er hinauf und ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er sich den Versammelten zuwandte. „Willkommen!“, rief er mit ruhiger, tiefer Stimme. Ein wohliger Schauer lief ihr den Nacken und Rücken hinunter als sie ihn hörte. „Ich freue mich sehr, dass Ihr alle meiner Einladung nachgekommen seid. Der heutige Abend dient allein der Freude und der Leidenschaft. Tanzt. Lacht. Vergnügt euch.“ Mit diesen Worten nickte er den Musikern zu und diese begannen daraufhin wieder mit ihrem Spiel. Langsam ging er die Gasse entlang. Sein Grinsen war einer ernsten Miene gewichen. Endlich. Endlich war es soweit. Endlich würde er sie besitzen. Mit ihr spielen. Und sie dann für immer an sich binden. Die Tür des Hauses öffnete sich wie von selbst, noch bevor er sie berührt hatte. „Es ist alles wie Sie es wünschten, junger Herr“, begrüßte ihn der Hausdiener. Der junge Mann schmunzelte. So lange war der Alte nun schon bei ihm. Und während Haare und Haut des Dieners alt und grau wurden, so hatte er – sein junger Herr – sich nicht verändert. „Gut, danke. Nicolo, komm her“, befahl der junge Mann mit schneidender Stimme, nachdem der Hausdiener ihm den Mantel abgenommen und damit verschwunden war. Der Junge, der seit einiger Zeit dem alten Diener half, weil dieser einige Arbeiten nicht mehr allein bewältigen konnte, kam mit schüchternem Blick auf ihn zu. „Ja, Herr“, flüsterte er mit gesenktem Kopf. „Sorge dafür, dass alles bereit ist. Heute Abend darf dir kein Fehler unterlaufen.“ „Ja, Herr.“ Der Junge erzitterte unter dem kühlen Blick seines Herrn, was diesem ein Grinsen auf die Lippen malte. Lachend fuhr er durch das kinnlange, schwarze Haar Nicolos und meinte: „Keine Angst, Kleiner. Du bist Alfredo eine große Hilfe und somit auch mir. Mach dir nicht so viele Gedanken und hohle lieber meine Maske.“ Der Junge hob überrascht den Blick. Ein scheues Lächeln huschte über seine Lippen, dann verschwand er rasch im Schatten des langen Flurs. Wenig später kam er zurück, in der Hand eine schwarze Maske, die kunstvoll von silbernen Ranken verziert wurde, die sich an der feinen Form entlang wanden. „Hier ist sie, Serafin.“ Erschrocken hielt Nicolo inne, als ihm bewusst wurde, dass er seinen Herrn gerade mit seinem Vornamen angesprochen hatte. „Verzeiht, ich wollte nicht ... vergebt mir, Herr“, stammelte er und fiel vor dem jungen Mann auf die Knie. Dieser hatte ihn mit gerunzelter Stirn beobachtet. Nun ging er ebenfalls auf die Knie, legte die Finger unter das Kinn des Jungen und hob es langsam an, sodass er ihm in die Augen blicken konnte. „Es ist nicht schlimm“, sagte er mit sanfter Stimme. „Nenn mich ruhig so, aber nur wenn wir allein sind, ja?“ Nicolo nickte. Schluckte hart. „Gibst du mir jetzt die Maske“, fragte Serafin leise. „Natürlich, Herr“, wisperte der Junge, legte die Maske behutsam auf das Gesicht seines Herrn und befestigte sie am Hinterkopf. „So, und jetzt geh Alfredo helfen. Ich will nicht, dass er zu lange allein ist.“ „Jawohl.“ Nicolo nickte heftig mit dem Kopf und verschwand dann in einem der angrenzenden Räume. Serafin lächelte leicht und schüttelte den Kopf. Er war viel zu nachsichtig. Jeder andere Herr hätte seinen Diener dafür geköpft oder sonst was mit ihm angestellt. Aber das kümmerte ihn jetzt nicht. Er wusste, dass Nicolo Angst vor ihm hatte und die sollte er auch haben, auch wenn Serafin nicht vorhatte ihm irgendetwas zu tun. Er seufzte, zupfte seine Kleidung noch ein wenig zurecht und stieg die Treppe hinauf. Schon nach wenigen Schritten hörte er die Stimmen, die aus dem Ballsaal drangen. Das schrille Lachen, der Frauen, das dumpfe Murmeln der Männer. Normalerweise verabscheute der junge Mann diese Feste, doch seit er das Mädchen gesehen hatte, verschwand sie nicht mehr aus seinen Gedanken. Er war wie besessen vorn ihr. Ihrem langen, lockigen Haar, welches wie Feuer ihre weichen Züge umrahmte. Die blaugrünen, mandelförmigen Augen. Die sinnlich geschwungenen blassroten Lippen. Mit den Gedanken bei ihrer Schönheit stieg er Stufe um Stufe empor. Vor der Flügeltür hielt er einen Moment inne, dann stieß er sie mit einem Ruck auf. Sofort verklangen Musik und Stimmen. Serafin ließ seinen Blick nur kurz über die Menge gleiten. Er spürte ihre Anwesenheit, konnte sie jedoch noch nicht ausmachen. Mit langen Schritten ging er auf das Podest der Musiker zu und sprang mit Leichtigkeit hinauf. Während er seine Willkommensworte sprach, ließ er abermals seinen Blick schweifen. Dort! Dort stand sie! Die Augen fest auf ihn gerichtet schien sie die Augen gar nicht abwenden zu können. Er nickte den Musikern zu und sprang vom Podest herunter. Die Musik setzte ein und die Gespräche wurden wieder aufgenommen. Serafin wurde sogleich von einer Gruppe junger Mädchen umringt, die ihn kichernd und schnatternd zum Tanzen bringen wollten. Der junge Mann lächelte und ließ sich mitziehen, achtete aber darauf, den Blick auf seine Auserwählte nicht zu verlieren. ‚Was will ich eigentlich hier?’ Diese Frage ging dem Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Sie wusste ja noch nicht einmal, wer dieser geheimnisvolle Mann war, der scheinbar der Gastgeber dieses Festes war. Um sie herum wurde gelacht und getanzt, aber auch getratscht und geflüstert. „Er soll mit hohen Tieren der Politik verkehren und von ihnen Geld bekommen, damit er ihnen die Gegenspieler aus dem Weg räumt“, murmelte eine Frau mit kunstvoll hochgestecktem schwarzen Haar und einem leuchtend roten Kleid, das viele Schleifen zierte. „Ich habe gehört, dass er das Haus seiner Familie in Brand gesteckt und dabei zugesehen hat, wie seine Eltern und seine jüngere Schwester in den Flammen umkam“, sagte eine andere Frau mit braunem Haar und grünem Kleid. „Meinen Sie wirklich? Er ist doch erst zwanzig Jahre alt, zumindest ist es das, was ich gehört habe“, sagte die Schwarzhaarige. „Achtzehn, meine Liebe. Auch wenn man es seinem Körper nicht ansieht. So ein stattlicher junger Mann. Den würde ich nicht von der Bettkante stupsen.“ Verhaltenes Kichern erklang. Das Mädchen drehte sich weg. Ihr Herz pochte wie wild. Der Gastgeber war nur ein Jahr älter als sie. Langsam ging sie durch die Anwesenden hindurch. Ihr Blick wanderte wie von selbst an den Umstehenden vorbei und fiel auf den jungen für sie noch immer namenlosen Mann, der sie allein mit seiner Anwesenheit fesselte. Ein kleiner Stich fuhr durch ihre Brust, als sie bemerkte, dass er von Frauen jeder Altersklasse förmlich umzingelt war. Nein, sie würde wohl kaum eine Chance haben, mit ihm zu reden, geschweige denn ihn näher kennen zulernen. So beschloss sie sich wieder auf den Heimweg zu machen. Ein wenig enttäuscht huschte sie zur Tür. Niemand sprach sie an, so wie es schon den ganzen Abend über niemand getan hatte. Dass die Blicke zahlreicher Männer und auch Frauen auf ihr lagen und sie musterten, bemerkte sie in ihrer Aufregung nicht. Leise huschte sie durch die Tür und stieg langsam die Treppe hinunter. „Sie wollen schon gehen, Madame?“, fragte eine leise Stimme. Das Mädchen sah sich um. Der Junge, der bei ihrer Ankunft mit ihrem Umhang verschwunden war, stand neben der Haustür. In der Hand hielt er einen Eimer mit Wasser. „Ja, würdest du mir bitte meinen Umhang bringen?“ „Natürlich, Madame.“ Der Junge nickte, verschwand und kehrte kurz darauf mit ihrem Umhang zurück. Rasch warf sie ihn über und verschloss sorgfältig die silberne Schnalle an ihrem Hals. „Wünschen Sie eine Begleitung für den Nachhauseweg?“, fragte der Junge höflich. Das Mädchen verneinte und trat dann auf die dunkle Gasse vor dem Haus hinaus. Langsam ging sie den steinernen Weg entlang und überließ sich ihren Gedanken. So merkte sie auch nicht, welchen Weg sie einschlug. Erst als sie an einem Kanal gelangte, sah sie auf. Sie wusste nicht wo sie sich befand, das war nicht der Kanal, den sie zuvor überquert hatte. Rasch drehte sie sich wieder um und lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Jetzt, da sie sich genau auf ihre Umgebung konzentrieren musste, fühlte sie sich beobachtet, ja gar verfolgt. Er hob den Kopf. Wo war sie? Erschrocken ließ er seinen Blick durch die Menge gleiten. Sie war verschwunden. Wohin? Und Warum? „Tanz mit mir“, säuselte ein junges Mädchen, die dem Wein schon ausgiebig zugesprochen hatte. „Später vielleicht“, murmelte Serafin abwesend und schob sie von sich. Wenig später war er aus dem Ballsaal verschwunden. „Herr, sie ist gegangen!“ Nicolo kam ihm schon auf der Treppe entgegen. „Ja ich weiß“, erwiderte der junge Mann ein wenig ungehalten. „Alfredo“, rief er. “Ja, junger Herr?“ Der alte Hausdiener kam aus seinem Zimmer. „Ich muss gehen. Hol meinen Mantel und sorge dafür, dass der Ball weitergeht und die Gäste versorgt sind. „Jawohl, der Herr.“ Alfredo verneigte sich leicht, dann holte er den Mantel seines Herrn. Serafin stürmte aus dem Haus, jegliche Vorsicht missachtend. Wieso war sie gegangen? Er verlangsamte seinen Schritt erst, als er leise Schritte hörte. Verwundert hob er den Kopf. Er spürte ihre Anwesenheit, zog sich in den Schatten zurück und tatsächlich, nur wenige Augenblicke später bog sie um eine Ecke, wobei sie fast ein wenig ängstlich einen Blick zurück in die Gasse warf, aus der sie gerade gekommen war. Das Gefühl nicht allein zu sein, war immer weiter angewachsen. Mit ungutem Gefühl warf sie immer wieder ängstliche Blicke über die Schulter. Nie sah sie jemanden, doch das Gefühl blieb. Noch einmal beschleunigte sie ihren Schritt. Vielleicht hätte sie das Angebot des Jungen, ihr eine Begleitung zu stellen nicht ablehnen sollen. Schnell bog sie um eine Ecke und blickte sich gehetzt um. Endlich hatte sie den kleinen Campielli erreicht, und bog in die richtige Gasse ein. Auf der Brücke hielt sie wieder inne. Ihr Blick ging nach oben. Dort hoch am Himmel, stand der Vollmond. Sein silberner Schein bedeckte sanft die schlafende Stadt, ließ das Wasser des Kanals unter ich in seltsamen Licht erstrahlen. Fast kam es ihr vor, als könne sie die Hand ausstrecken und die große leuchtende Scheibe einfach zu sich heranziehen. „Wenn er so nah ist, ist er wunderschön, nicht wahr?“ Die Stimme war ganz leise und dennoch fuhr sie ihr durch Mark und Bein. Erschrocken wirbelte sie herum und starrte entsetzt in fast schwarze Augen. „Wie ich sehe, hast du mein Geschenk erhalten, Lucia“, sprach er mit ruhiger Stimme weiter und sein Blick wanderte über das Kleid, das unter ihrem Umhang hervorlugte. Starr vor Schreck blickte sie ihn an. Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Der Mann der dort vor ihr stand war eben jener, von dem sie noch kurz zuvor gedacht hatte, dass sie ihm nie näher käme. Noch immer trug er die schwarze Maske, die sein Gesicht zur Hälfte verdeckte. Nur über seinen kunstvoll bestickten Rock war ein schwarzer Mantel gezogen worden. „Gefällt es dir?“, fragte er jetzt und trat einen Schritt auf sie zu. Sie machte daraufhin einen zurück und stieß nun gegen das Geländer der Brücke. „Lass mich dich ansehen“, meinte er und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. In einer raschen Bewegung griff er an ihre weite Kapuze und hob sie ihr behutsam vom Kopf und öffnete dann geschickt die silberne Schnalle. Lautlos fiel der Mantel fiel zu Boden. Lucia konnte sich nicht bewegen. Gefangen von seinem Blick ließ sie alles zu, ohne auch nur einen Wimpernschlag zu tun. Wer war er? Was wollte er von ihr? Diese Fragen gingen ihr immer wieder durch den Kopf, während er anerkennend nickte, als sein Blick über ihren Körper glitt. „Ich mag es, wenn du dein Haar so hochsteckst“, flüsterte er und streckte die Hand aus um ihr eine lockige Strähne ihres roten Haars hinter das Ohr zu schieben, die sich aus den hochgesteckten Haaren gelöst hatte. Nur ganz kurz streifte er dabei ihre Wange. Lucia wusste nicht, was mit ihr los war. Ihr Herz schlug wie wild, aber nicht aus Angst. Fasziniert starrte sie ihr Gegenüber an. Jetzt beugte er sich vor. Ihr Herz schien ihren Brustkorb sprengen zu wollen. Als er mit den Lippen ihren Hals streifte, hielt sie vor Schreck den Atem an. „Heute Nacht wirst du mir gehören. Mein Juwel. Mein Leben. Mein Herz. Meine Königin“, wisperte er an ihrer Haut und küsste sie mit jedem Wort. Schauer um Schauer lief Lucias Rücken hinunter. Sie konnte sich nicht bewegen, selbst wenn sie es gewollt hätte. Seine Hände lagen locker an ihren Seiten und strichen dann und wann langsam auf und ab. Lucia versuchte sich wieder daran zu erinnern, wie man atmete. Ein leises, beruhigend klingendes Lachen erklang, dann spürte sie, wie seine Lippen, die ihren Hals erforscht hatten sich öffneten. Schmerz. Grausamer, kalter Schmerz. Die Zähne des Vampirs brachen durch die Haut. Blut. Warmes Blut rann in feinen Rinnsalen über ihr Schlüsselbein. Er trank. Immer weiter und weiter. Lucia fühlte, wie seine kräftigen Arme sie auffingen. Sie hielten. Dann wurde alles schwarz. Er spürte wie das Leben aus ihr glitt. Nun endlich hatte er sein Ziel erreicht. Behutsam nahm er den Körper auf die Arme, drückte ihn fest an sich und hauchte dem Mädchen einen sanften Kuss auf die blassen Lippen. Ja. Sie würde seine Königin sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)