The Road von Polarfuchs (Street Soldier [SasuSaku]) ================================================================================ Kapitel 3: Zeit --------------- Davenport, Iowa 20. Mai 2008 Mir ist heiß. Meine Knochen fühlen sich an, als würden sie brennen. Manchmal, wenn ich meine Augen aufkriege, sehe ich kaputte Wände und losen Putz. Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich weiß nicht, wie ich hierher komme. Ich denke daran, dass ich vielleicht träume. Vielleicht wache ich gleich auf. Irgendwann spüre ich kleine Finger an meinem Gesicht, etwas Kühles auf meiner Stirn. Meine Augen lassen mich nur etwas Rosafarbendes sehen. Ich höre eine Stimme. Sie flüstert meinen Namen und ich glaube, es ist Mum. Ich versuche ihr zu antworten, aber mein Mund bewegt sich nicht. Plötzlich ist mir kalt. Dann wird alles wieder schwerer. 21. Mai 2008 In dem kleinen Raum ist es ungewöhnlich warm. An den Wänden tanzen Schatten und das hohle Knistern von Feuer drängt sich an meine Ohren. Mein Nacken tut mir weh, aber ich schaffe es trotzdem, den Kopf zu drehen. Am Boden in der Ecke steht ein großer Behälter, in dem das Feuer brennt. Er ist kniehoch und nicht breiter als 40 Zentimeter. Ansonsten ist alles wie immer. Nur Rose ist nicht da. Ich richte mich auf und merke, wie sich mein Magen zusammenzieht. Mir ist schwindelig und mein Hals fühlt sich so trocken an, wie lange nicht mehr. Neben der Matratze steht eine Flasche Wasser. Ich nehme einen Schluck und spucke die Hälfte gleich darauf wieder aus. Es ist eiskalt und kitzelt im Hals. Die Flasche stelle ich zurück, bevor ich mich wieder zurücklehne. Meine Knochen tun immer noch weh. Irgendwann kommt Rose wieder. Sie hat eine Plastikschüssel in den Händen und schaut mich überrascht an. Sie sieht aus, als hätte sie kaum geschlafen und ihre Haare sind vom Wind durcheinander. »Wie geht’s dir?«, fragte sie leise. Fast höre ich sie nicht. »Hn.« Sie seufzt und kniet sich neben mich auf die Matratze. In der Plastikschüssel ist Suppe. Jedenfalls sieht es so aus wie eine. »Hier.« Sie drückt mir die Brühe in die Hände und fasst mir gleich darauf an die Stirn. Es fühlt sich fast vertraut an. »Das Fieber ist gesunken.« »Fieber«, wiederhole ich. Die Suppe ist warm und riecht ungemein gut. Mein Magen knurrt wie auf Kommando und fast erwarte ich, dass Rose lacht. Aber sie ist nicht so wie Naruto. Hunger kann sie umbringen. »Iss.« Sie hält mir einen Plastiklöffel hin. »Du warst ’ne ganze Weile krank. Ich dacht‘ schon, du stirbst mir weg.« »Wie lange?« »Zwei Tage. Wohl eine schlimme Erkältung.« Ich sehe sie an und frage mich, ob eine Erkältung wirklich so schlimm werden konnte. Andererseits ist es mir auch egal. Hauptsache es geht mir jetzt besser. Dann fange ich an zu essen. Rose steht wieder auf, nimmt eine der Decken und setzt sich in die Nähe des Feuers auf dem Boden. Sie sagt nichts mehr. Es ist okay. So ist es angenehmer. Das Feuer knistert unnatürlich. Im Kamin klingt das anders. Viel ruhiger. Als ich fertig bin, lege ich die Sachen zur Seite und greife nach der Wasserflasche. Dieses Mal trinke ich langsamer. Angenehmer macht das aber nichts. »Willst du auch?«, frage ich Rose, aber sie schüttelt nur den Kopf »Du solltest dich noch ausruhen«, sagt sie dann. »Das Schlimmste ist vorbei, denk ich, aber trotzdem.« Ich nicke. Dann ist da wieder das Schweigen. Juni 2008 Das Jahr findet gerade seinen Höhepunkt. Es fühlt sich jedenfalls so an. Die Nacht ist angenehmer, als der Tag. Das Essen schimmelt schneller. Die Herumtreiber sind störender denn je. Aber man lebt, das zählt. Manchmal frage ich mich noch, ob ich das überhaupt will. Aber dann sehe ich da Rose. Sie ist klein und dürr und hasst das Leben – irgendwie jedenfalls – aber sie kämpft. Das bewundere ich. Vielleicht ist es auch nur Neid. Ich weiß nicht genau. Aber ich weiß, dass ich Rose nicht mehr alleine lasse. Mittlerweile ist ihr das auch egal. Ich denke sogar, dass sie es irgendwie sogar begrüßt, mich bei sich zu haben. Die Penner machen leichter einen Bogen, wenn sie sie nicht alleine sehen. Und das ist auch gut so. Inzwischen ist alles einfacher geworden. Rose hat mir gezeigt, wie man überlebt. Wie man wo und um welche Uhrzeit am besten Essen herbekommt. Wir sind eingebrochen, haben geraubt und dabei nie Spuren hinterlassen – jedenfalls keine Offensichtlichen, wie zerbrochene Fensterscheiben oder eine übermäßig große Ausbeute. Rose ist in sowas erstaunlich kreativ. Sie weiß, worauf ’s ankommt. »Träum nicht.« Plötzlich steht Rose neben mir und drückt mir einen Apfel in die Hand. Hab sie gar nicht bemerkt. »Tu ich nicht«, höre ich mich selbst brummen. Die meiste Zeit bin ich schlecht gelaunt. Einen Grund gibt es nicht wirklich. Oder vielleicht doch. Das Leben hier ist scheiße. Entweder die Polizei sammelt dich am Tag ein oder ein Penner will dich in der Nacht abstechen. Ist auch schon vorgekommen. Rose hat ihm eins mit ‘nem Rohr übergehauen und die ganz Harte gemimt. Ich saß da noch auf dem Sofa und wusste gar nicht, was los ist. Seit dem hab ich das scheiß Lagerhaus mit Fallen vollgestellt. Neben dem Sofa liegt ein Brecheisen. Das war das erste Mal, dass ich diesen Haufen Müll im Lagerhaus sinnvoll fand. Rose meinte irgendwann mal, dass das Zeug bei der Räumung hier gelassen wurde – alles, was nicht mehr gebraucht wurde und wofür ein Container zu teuer wäre. »Jetzt tust du’s schon wieder.« Ich stehe kurz davor, Rose mit dem Apfel in meinen Händen abzuwerfen. »Nein. Und hör auf mich zu beobachten.« »Es war nicht zu übersehen.« »Hn.« Wir stehen in einer Seitengasse. Es ist warm und die Sonne nervt. Der Apfel schmeckt gut. Richtig süß. Dabei hasse ich Süßes. September 2008 Früher hatte ich nie bemerkt, ob es wärmer oder kälter wurde. Jedenfalls nicht, wenn es um ein oder zwei Grad ging. Jetzt spüre ich es deutlich. In der Nacht jagt es einem die Gänsehaut über den Körper. Mittlerweile trage ich einen Pullover. Besser macht es das alles nicht unbedingt. Rose läuft neben mir. Wir gehen irgendeine Hauptstraße entlang. Schuhläden und Elektronikgeschäfte zwischen widerlich-bunten Fresstempeln. Den Weg gehen wir selten. Eigentlich nur, wenn der Schrottplatz Arbeit gegen Geld bietet. Meistens alle zwei Wochen. Es ist nicht viel, aber besser als nichts. Und die Straße führt direkt hin. »Wir haben noch Zeit«, meine ich irgendwann und bleibe stehen. In den Schaufenstern der Elektronikläden zeigen sie Fox News in den Fernsehern. Gretchen Carlson berichtet über die erschreckend hohen Vermisstenanzeigen Amerikas der letzten Jahre. Sie zeigen Bilder von kleinen Kindern im Hintergrund, hauptsächlich Mädchen. Dann auch Ältere. Irgendwann ein Bild von einem Mädchen, das Rose zum Verwechseln ähnlich ist. Sie nennen sie Sakura Haruno. War zwölf oder dreizehn, als sie verschwand. Dann ein anderes Bild. Ich drehe mich um, suche Rose, aber die ist nicht da. Ein letzter Blick auf den Fernseher. Gretchen Carlson zählt betrübt die Namen auf. Dann kommt mein Bild. Ein langer Bericht folgt, aber ich gehe. Ich bekomme das Bild von dem Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Selbst, als wir schon wieder in der Lagerhalle angekommen sind. Rose hab ich beim Schrottplatz wiedergetroffen. Geredet hat sie nicht. Aus dem Weg geht sie mir auch. Es ist, als würde sie damit antworten, ohne dass ich überhaupt gefragt habe. Vielleicht weiß sie es nicht mal. Ich gehe die Treppen zu dem kleinen Raum hoch. Wie eine Maschine. Die kleine Rose sitzt auf der Materatze und starrt Löcher in die Luft. Dann bemerkt sie mich. Sie erschreckt sich nicht mehr – wusste wahrscheinlich sowieso, dass ich komme. »Rose«, sage ich. Eine Aufforderung. Sie schaut weg. »Sakura Haruno.« Sie zuckt. Ich weiß Bescheid. »Warum machst du daraus ein Geheimnis?« Ich weiß, ich sollte nicht fragen. Neugier ist keine Eigenschaft, die ich mag. Naruto war immer neugierig. Sie steht auf und geht zu der Kommode. »Woraus?« »Du weißt, was ich meine.« »Tu ich das?« Ihre Stimme ist nicht überzeugend. Ich hätte ihr auch nicht geglaubt, wenn sie es gewesen wäre. »Mach keinen Scheiß. Antworte!« »Wozu verdammt?«, fragt sie sauer und dreht sich um. Ihre Katzenaugen strahlen vor Angriffslust. »Mich nervt ‘s.« Stimmt sogar. »Ach und deshalb soll ich dir meinen scheiß Lebenslauf in den Arsch schieben?« Sie versucht sich an mir vorbei zu quetschen, aber ich halte sie fest und drücke sie gegen den Türrahmen. Sie zuckt. Dann kommt die Angst. »Lass das.« »Nein.« Sie versteht, dass ich es ernst meine. Ich verstehe, dass sie Angst hat. Noch vor ein paar Monaten hätte ich das ausgenutzt. Ich hätte mit ihrer Angst gespielt und sie manipuliert, bis ich hatte, was ich wollte. Aber das ist Rose. Sie ist anders. Ich seufze leise, lockere gleichzeitig meinen Griff. Ich will ihr nicht wehtun. »Sag’s einfach.« Es dauert nicht lange, bis sie redet. »Ich mag den Namen nicht. Er gehört nicht mehr zu mir.« Danach lasse ich sie in Ruhe. Dezember 2008 Der Winter kommt spät dieses Jahr, dafür aber verdammt kalt. Ich liege auf dem Sofa, eingewickelt in mehrere Decken und trotzdem fühlt es sich an, als würden tausend stumpfe Nadeln sich in meine Haut rammen. Rose liegt oben. Fast beneide ich sie. In dem kleinen Zimmer oben gibt es keine Fenster; keine Möglichkeit für den Wind, sich einzuschleichen. Einen Moment denke ich darüber nach, mir eine Unterkunft zu suchen, aber ich verwerfe die Idee schnell wieder. Camps für Obdachlose gibt es keine und die Kirchen sind überfüllt. So wenige Wohltätige es in dieser Stadt gibt, ist das auch kein Wunder. Irgendwann ist es, als würde ich einschlafen. »Sasuke.« Ich spüre kleine warme Finger an meiner Wange. Höre eine Stimme, die nicht mehr als ein Flüstern ist. Fast glaube ich, es ist ein Engel. »Sasuke, wach auf.« Rose schüttelt mich leicht, zwingt mich die Augen zu öffnen. »Hm?« »Komm. Steh auf.« Ich verstehe nicht, was sie will, spüre aber die Taubheit in meinen Beinen. Es ist eisig kalt. »Du holst dir noch den Tod. Komm.« Ich lasse mich von ihr vom Sofa ziehen. Meine Beine halten mich kaum, aber ich versuche, sie nichts merken zu lassen. Sie klaubt die Decken zusammen und geht die Treppen rauf. Ich folge ihr. Oben brennt das kleine Feuer und es ist angenehmer als unten. Die dürre Rose wirft die Decken auf die Materatze und verkriecht sich darunter. Sie verschwindet fast ganz. Ihre Stimme klingt gedämpft. »Mach die Tür zu.« Ich folge ihrem Befehl mehr aus Eigennutz. Erst weiß ich nicht, was ich tun soll. Rose rührt sich unter den vielen Decken nicht mehr, aber ihr rosa Schopf ist noch zu sehen. Dann lege ich mich zu ihr auf die Materatze. Rose rückt vorsichtig von mir weg. Ich sehe ihren schmalen Rücken - will ihr Rückgrat fast mal nachfahren. Die Versuchung ist groß. »Rose«, höre ich mich leise sagen. »Schlaf einfach«, bittet sie. Es ist, als würde sie sagen, mach es nicht noch schlimmer. Sie hat Angst. Und ich lasse sie in Ruhe. Es ist angenehm warm. Ich erinnere mich nur langsam daran, dass ich in dem kleinen Zimmer liege. Rose schläft. Sie liegt mit ihrem Gesicht zu mir auf der Seite. Ihr Mund ist einen Spalt weit offen, ihre Züge entspannt. Fast mechanisch streiche ich ihr mit meinen Fingerkuppen über die Wange. Ihre Haut ist weich. Rose zuckt. Ihre Augenlieder flattern, aber meine Hand ist schon längst wieder bei mir. Als sie mich sieht, kreischt sie erschrocken. »Was machst du hier?« »Du hast mich hergeholt.« Einen Moment zweifle ich an ihrem Verstand. Rose glaubt mir nicht. Dann die Erleuchtung. »Oh.« »Hn.« Ich rolle mich auf den Rücken und starre die Decke an. Irgendwo drängt sich mir die Frage auf, warum ich sie angefasst habe – oder besser, warum es schön gewesen war. Ich versuche mir einzureden, dass es an der Einsamkeit liegt. Hier ist niemand, dem man trauen kann; niemand, der mich erkennen darf. Und Rose ist keine Alleinunterhalterin. »Worüber denkst du nach?« Rose beobachtet mich. Stören tut es nicht. »Ob ich wahnsinnig werde.« »Ja.« Ich schaue sie an. »Wirst du irgendwann.« Sie lächelt nicht, meint es wahrscheinlich sogar ernst. »Wie kommst du darauf?« »Irgendwann wird doch jeder wahnsinnig. Auf seine Art.« »Und du?« »Ich auch. Jeder. Ich hoffe, ich sterbe vorher.« Ich stocke. »Du willst aufgeben? Plötzlich?« »Ich habe doch schon aufgegeben, Sasuke.« Plötzlich wirkt sie traurig. Ihr Lächeln hat etwas von einem geschlagenen Hund. »Ich bin nur zu feige, um es richtig zu beenden.« »Angst vor'm Tod«, stelle ich nur fest. Das hatte ich nicht erwartet. »Ja.« Ich sage nichts mehr. Rose ist auch still. Aber etwas ist anders. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)