Fulfill my Desires! von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Midnight's Children ------------------------------ Ich träumte. Die gesamte Szene ähnelte aber nicht den Vorigen. Es war schlimmer. Um mich herum lag ein langer Steg, oder eine Brücke, aber es schien kein Ende zu geben. Von irgendwo her erahnte ich ein hilfloses Schreien und Rufen. Es kamen mehr und mehr Stimmen hinzu. Manche davon stammten von Frauen, manche von Männern und andere von Kindern. „A...l...e...x...a...n...d...e...r...“ Mein Name schallte von überall her und ich wusste sofort, wessen Stimme es war, die mich zu sich rief. Ich musste hier weg. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den Anderen, um nicht von der schmalen Trittfläche zu fallen, aber es war nicht einfach. Nichts war in diesem Traum einfach. „Geh nicht weg...“ Und ob ich wegging. Vor mir eröffnete sich ein Licht. Ein strahlend-helles Licht. Die Silhouette meiner leiblichen Mutter. „GEH WEG!“ Mein Schrei ging im Nichts unter. „VERSCHWINDE!“ Ich verfiel in unkontrolliertes Husten und brach in Schweiß aus. „Alexander.“ Das Schemen kam näher. „Alexander... Alexander... Alexander...“ Der Klang ihrer Stimme machte mich wahnsinnig. Es wurde schlimmer. Winde kamen von überall her und trugen den Geruch von frisch geschnitten Wiesenblumen mit sich. Ganz besonders die Veilchen erweckten meine Aufmerksamkeit. Der Geist meiner Mutter stand nun direkt vor mir. Hasserfüllt starrte sie auf mich herab, als ob ich die Schuld an allem trug, was an jenem Tag geschehen war. „Mörder...“ Es war nur der Hauch einer Stimme, aber die Worte waren tödlich. Ich brach in mich zusammen. „Ich bin kein Mörder. E... es war ein gottverdammter Unfall!“ Mein Weinen schien sie nicht zu interessieren. „MÖRDER!“ Sie schrie mir ins Gesicht; ihre sonst so schönen Züge, waren zu einer hässlichen Fratze verzogen, dann zersprang ihr Bild in tausende kleine, glänzende Splitter. Plötzlich war alle Last von mir abgefallen. Mit dem verschwinden der Erinnerungen kehrte meine natürliche Stärke zurück. Das Stimmengewirr verstummte, als ich mich aufräkelte und meinen Weg fortsetzte. „Es ist war nicht meine Schuld. Es war nicht meine Schuld. Es war nicht meine Schuld.“ Die Worte halfen mir, mich nicht ganz zu verlieren. Der Steg schien schmaler zu werden. Nach wenigen Metern war er kaum mehr eine Hand breit und ich hatte große Probleme mein Gleichgewicht zu halten. Einen kurzen Blick erhaschte ich auf die Ebene unter mir. Zuerst hielt ich es für ein Meer aus schwarzer Farbe, durchzogen von silbrig-goldenen Fäden, welche wie Öl darauf schwammen; aber ich täuschte mich. Gesichter waren zu erkennen. Zwar verzerrt und teilweise völlig entstellt, aber sie waren da und starrten mit ihren leeren Augen ins Nichts. Einige schienen sich aus der Menge befreien zu wollen und traten als unförmige Masse heraus. Ich bekam es mit der Angst zutun und hielt meinen Blick ab jetzt nur noch oben. Vor mir löste sich eine große Tür aus der Dunkelheit und ich war nur wenige Meter von ihr entfernt. Die alte Scharniere quietschte und die beiden Flügel schwangen auseinander. Erschrocken blieb ich stehen und wäre beinahe schon wieder gestürzt – hätte es mein Alptraum so gewollt. Jemand trat aus der dahinter liegenden Gähne heraus. Ein paar verfaulte, alte Hände deuteten auf mich. Die langen Fingernägel waren mit Insekten überseht. Mir wurde schlecht, als mir der Gestank von faulen Fleisch in die Nase drang. „M-ö-r-d-e-r.“ Der Fremde sprach dieses Wort völlig betont, als wäre es das einzige, was zählte. Mit ungleichmäßigen Schritt kam er auf mich zu. War das der Tod? Jener Begleiter zu den himmlischen Pforten? Vielleicht. Aber mich würde er nicht bekommen. Ich hatte nur eine Chance. Angewidert schloss ich die Augen und begann einfach zu rennen. Meine Angst durfte keine Überhand nehmen und trotzdem öffnete ich frühzeitig die Augen. Wie ich es mir dachte! Eine weitere Illusion. Wie auch meine Mutter zuvor zersprang die Gestalt des Todes in tausende Glassplitter. Einige bohrten sich mir in die Haut, aber ich rannte weiter, durch die Tür... in die Freiheit. Schockiert riss ich die Augen auf. Vor mir endete der Weg. Ich wollte anhalten, aber konnte es nicht. Mit einem Schrei des Entsetzens fiel ich in das tintenschwarze Meer, direkt in die Arme der schrecklichen Kreaturen. „Das ist deine Strafe Alexander...“ Die Stimme meiner Mutter hallte mir ein letztes Mal im Ohr, dann sah ich nur noch vollständige Schwärze; bekam keine Luft mehr und schien in diesem Becken voller Seelen zu ertrinken. „Alexander...“ *** „Ah!“ Ich schreckte auf. „Ruhig, Alex. Atmen.“ Völlig hysterisch schaute in die Gesichter von Mohane und Danny. Ich fühlte mich miserabel. Mein Körper war schweißgebadet und meine Haare klebten überall im Gesicht. „W... Wo bin ich?“ Überall war weiß. Meine Augen hatten sich noch gar nicht an das grelle Licht gewöhnt. Es war Mohane der mir antwortete; Danny war viel zu beschäftigt, seine Tränen wegzuwischen. „Du bist im Krankenhaus.“ Kopfschmerzen. Ich hatte einfach nur Kopfschmerzen. „Mein Gott, du hast fast fünf Tage geschlafen.“ Mohane räusperte sich, als ich fragend eine Augenbraue nach oben zog: Danny’s Augenringe waren nicht zu übersehen; und der sorgvolle Ton, nicht zu überhören. „Die Ärzte meinten, du seist halb verblutet von einem Kerl rein getragen worden. Hätten wir dich doch nur am Strand geweckt.“ Ich wusste, dass Mohane sich Vorwürfe machte, genauso wie die Anderen, aber mir war es gleichgültig. Noch immer machte ich nicht die Antstalten, etwas zu sagen. Meinen schwulen Freund schien das förmlich zu zerreißen. Er packte mich bei den Schultern. „Alex, du wärst beinahe nicht durchgekommen! Der Oberarzt meinte, dein Herz hätte für einen kurzen Moment ausgesetzt.“ Ich rührte mich noch immer nicht; so verzweifelt er auch sprach, stattdessen schaute ich einfach nur an ihm vorbei. Er versuchte meinen Blick zu fangen, schaffte es aber nicht. So hatte ich Danny noch nie gesehen. Von der sonst so starken Persönlichkeit war nichts mehr zusehen. „Verdammt, du warst für ein paar Sekunden tot!“ Mohane zuckte leicht bei diesen Worten zusammen und nahm Danny an der Schulter. „Du solltest Luft schnappen gehen. Ich möchte alleine mit Alex reden.“ Seine Miene war ernst und ich wusste er würde mich fragen, was am Strand passiert war. Ich sah, wie schwer es Danny fiel, sich von seinem Platz zu trennen. Er wollte bei mir sein, aber ich nicht bei ihm. Nicht jetzt. Mit hängenden Schultern verließ er den Raum, dann wandte sich Mohane zu mir. „Wie geht’s?“ Keine Antwort meinerseits. Die letzten Stunden waren einfach zu viel für mich gewesen. „Jetzt hör’ zu. Eigentlich wollten wir dir nen gefallen tun und dich einfach schlafen lassen. Du sahst ziemlich friedlich und entspannt aus. Ich verstehe sowieso nicht, wie du nicht aufwachen konntest.“ Er hielt einen Moment inne und schaute betreten zu Boden. Langsam wurde ich neugierig. Die Frage, welche ich mir schon die ganze Zeit fragte, wurde nun beantwortet. „Ich hatte mein Handy doch extra neben dich gelegt und den Wecker eingestellt. Mein Gott, ich habe dich sogar gegen zehn nochmal angerufen, um zusehen, ob du auch wirklich wach bist, nur du hast nicht abgenommen. Wir hätten wissen müssen, dass da was nicht stimmen kann.“ Nun, dass war ziemlich idiotisch gewesen. „Da war kein Handy.“ „Wie? Und ob. Genau links von dir.“ Er war sichtlich irritiert und ich wurde laut. „Für wie blöd hälst du mich eigentlich. Da war nur meins.“ Ich wollte in Ruhe gelassen werden, dass alles erst einmal verdauen. Mir war einfach nicht nach reden. „Beruhige dich Alex. Niemand konnte das ahnen.“ Sein sonst so starker Slang fehlte und gab ihm etwas sehr ruhiges. Ich erkannte Mohane so kaum wieder. Man konnte sehen, dass er aus dem Haus gestürmt gekommen war, nachdem er erfahren hatte, wie schwer es mich erwischt hatte. Er trug eine einfache blaue Sporthose und hatte ein in aller schnelle ein weißes Shirt draufgezogen. Ein großes Kaffeefleck brangte darauf und wurde nur leicht von der schwarzen Jacke verdeckt. Unter normalen Umständen würde er nie das Haus so verlassen. „Wo ist Alan?“ Mich wunderte es, dass er nicht da war. Sonst kam er immer, wenn mit irgendwem was nicht stimmt. „Er ist vor einer Stunde gegangen. Marissa hatte ihn nach draußen geschleppt. Ich glaube, das hat ihn zu sehr überfordert. Sein bester Freund kurz vor dem Tod...“ Betroffen hielt er inne und schaute an mir vorbei. „Was ist mit meinem Job?“ Blitzartig schaute er wieder auf und ein stiller Vorwurf lag in seinem Augen. Ich wunderte mich selbst wie ich zu dieser Zeit überhaupt an meine Arbeit denken konnte, aber ich tat es nun einmal. „Danny hat dich sofort entschuldigt. Jeder im Büro war geschockt. Dein Chef soll angeblich im Kreis gehüpft haben, als ihn die Nachricht erreicht hatte. Für ihn war die Hoffnung auf einen ehrwürdigen Nachfolger gestorben. Es standen sogar ein paar Zeilen über dich in der Zeitung.“ Ich horchte auf. Plötzlich war ich hell wach und mir fielen die drohende Worte Clay’s wieder ein. Ganz war ich noch nicht in Sicherheit. Seine Worte waren damals ernst gemeint gewesen und das hieß, ein falsches Wort und er würde es wissen. Ich musste vorsichtig sein. Auf keinen Fall wollte ich es mit diesem Typen aufnehmen. Nur zu gut konnte ich mich daran erinnern, wie still plötzlich die Gruppe geworden war, nachdem aufgetaucht war. „Was haben sie geschrieben?“ Mohane zögerte einen Moment bevor er letztendlich antwortete und ich befürchtete das Schlimmste. „Sie sprachen von einem tragischen Unfall am Strand. Mehr zumindest haben sie aus dem Kerl, der dich ins Krankenhaus gefahren hat, nicht raußbekommen. Als Name gab er einfach nur Yuen Clay an. Wohl ein Asiate, oder zumindest ein Halbasiate, wegen des englischen Nachnamens.“ Völlig überrascht schüttelte ich den Kopf. Jetzt kannte ich wenigstens seinen Vornamen. „Mehr nicht?“ Diese Frage war mir wichtig. „Nein, nur das du mit schweren Blutungen eingeliefert wurdest und eben nur ganz knapp davon gekommen warst.“ Erleichtert atmete ich aus. Mohane schien es nicht zu bemerken, stattdessen redete er weiter. „Danny hatte sich um die paar Zeilen gekümmert. War schwer für ihn.“ Das konnte ich mir denken. Steif stand Mohane von seinem Stuhl auf. Er schaute mir kaum ins Gesicht; wahrscheinlich vor Scham, und zupfte an seiner Jacke. „Was ist wirklich am Strand passiert, Alex. Diese ganzen Verbände deuten eindeutig nicht auf einen Unfall.“ Mit einer übertriebenen Handbewegung untermalte er seine Worte. Ich wandte meinen Kopf ab und musterte ein paar Geräte neben mir. Sonst war da nur weis Wand. Ich verfolgte die Schläuche und bekam es mit der Übelkeit zutun. Schläuche... Verbände überall. Wie stark verletzt war ich gewesen? „Ich kann mich nicht erinnern.“ Ich versuchte überzeugend zu wirken, aber ich hatte das Gefühl das Mohane mir nicht glaubte. Ein schneller Themawechsel war angesagt. „Du hast gemeint, mein Chef hätte die Hoffnung auf einen ehrenvollen Nachfolger aufgegeben. Heißt das, meine Beförderung ist im Eimer?“ Eine weitere Sorge, welche mich plagte. „Nein, er hatte Angst, dass du das hier nicht überleben würdest. Danny meinte, dein Chef werde Freudensprünge machen, wenn er dich wiedersieht.“ Ich war erleichtert. „Du solltest dich wieder ausruhen. Ich habe gehört sie wollen dich noch ein paar Wochen hier behalten. Nur zur Sicherheit.“ Mit einer kurzen Nicken verabschiedete er sich, ohne ein weiteres Wort und verschwand mit hängendem Kopf aus dem Raum. Ich wusste, dass er mir kein einziges Wort glaubte, aber was hatte ich für eine andere Wahl? Müde ließ ich mich in mein Kissen zurückfallen und schloss traurig die Augen. Die Ärzte hielten mich drei Wochen lang im Krankenhaus, nahmen unterschiedliche Blutproben von mir und gingen sicher, dass sich meine Wunden nicht weiterhin entzündeten. Alan und Marissa kamen an nächsten Tag vorbei und auch bei ihnen Beiden, war die Laune nicht besser als bei Danny und Mohane. Alle gaben sich die Schuld an der ganzen Geschichte, was ja zu teils auch der Fall war. Sogar Stella stattete mir einen kurzen Besuch ab und brachte einen Blumenstrauß, welcher von dem gesamten Büro kam, mit. Es hatte mich aber nur wenig gekümmert. Bei Gedanken war ich immer wo anders. Wie froh war ich, als man mich endlich entließ und ich wieder in meinen Alltag zurückkehren konnte. Mein Chef hatte mich mit offenen Armen empfangen und schon nach wenigen Tagen harter Arbeit bot er mir seinen Chefposten an, welcher in einem Jahr frei sein würde, da er dann selbst aufhören würde. Meinen Freunden war verziehen, da jene Nacht und auch die Gedanken an Clay immer mehr in den Hintergrund rückten. Sogar die Alpträume ließen wieder nach. Es war, als wäre das alles nie geschehen; als sei nur meine Phantasie mit mir durchgegangen. Nur morgens, wenn ich in den Spiegel schaute, erinnerten mich die kleinen Narben, an den Schultern, an das Geschehen. Trotzdem verrut ich niemanden davon. Das Jahr verging ohne das etwas geschah und der Tag, an dem ich endlich die Chefposition bekommen sollte, rückte erstaunlich schnell näher. Ich war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Es gab nur noch wenige Probleme, zwei Stück um genau zusein. Mein Größtes war wohl, dass sich Danny seit dem Besuch im Krankenhaus von mir fernhielt – wie als sei ich etwas gefährliches. Trat ich in den Raum, verließ er ihn. Wenn ich ihn etwas fragen wollte, so musste er plötzlich irgendwo hin. Das ging schon eine ganze Weile so. Sogar zu seinem Geburtstag konnte ich nicht gratulieren, da er nicht im Betrieb war und sein Telefon nicht abnahm. Es war einfach nur seltsam. Mein zweites Problem lag darin, dass ich abends nicht mehr ausging. Nun, es störte mich nicht sehr, zumal ich nie wirklich Zeit dafür hatte, aber wenn ich wohin ging, so begleitete mich eine natürliche Angst, welche ich vorher nicht hatte und das noch nach einem Jahr. „Viel Glück beim weiteren Handel.“ Der Tag der Beförderung war gekommen. Schon als ich wie üblich das Büro betrat, wurde mir von allen Seiten gratuliert. Die weißen Wände wurden mit unzähligen meiner Berichten verhangen – direkt neben denen meines Ex-Bosses und gaben dem großen Gemeinderaum eine ungewohnte Fülle. Überall lagen buntes Konfetti. Ein kleinen wenig verstört war ich schon. Man hatte mir in diesem Betrieb noch nie so viel Aufmerksamkeit geschenkt; zumindest nicht im positiven Sinne. Eine junge blonde Frau, an die ich mich nicht erinnern konnte, umarmte mich ganz kurz und wünschte mir viel Glück. Ein schwarzhaariger Typ in zerrissenen Jeans klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Was für eine falsche Höflichkeit. So ging es weiter, bis ich das eigentliche Büro betrat. Dort wurde es noch schlimmer. Der Rest der Mannschaft hatte sich um einen großen Tisch versammelt und jubelten, als ich den Raum betrat. Mein Chef stand mitten drin und klatschte mir mit feuchten Augen zu. Er trug wie immer einen grauen Anzug und eine etwas zu bunt geratene Krawatte. Die Menge wurde still. Irgenwie hatte ich mir meine Beförderung früher völlig anders vorgestellt. Etwas ruhiger vielleicht. Stattdessen wurde ich völlig überrumpelt, von falschen Gefühlen und falschen Menschen. Bob Rogers, so hieß mein Chef, nahm einen tiefen Zug und begann mit seiner Rede. „Ich bin jetzt schon seit über vierzig Jahren erfolgreich in dieser Branche, auch wenn ich als ein kleiner Fotograf um die Ecke begonnen habe.“ Er nahm einen tiefen Schluck aus einem Glas. „Vor etwa fünfunddreißig Jahren habe ich hier begonnen, als billiger Laufbursche, wohlbemerkt. Nun...“ Bob hielt inne und klaute sich ein Stückchen Käsekuchen, welcher er geschickt in der rechten Hand hielt. „Nun, jetzt war ich ganze zwanzig Jahre lang Chef dieser kleinen Redaktion und nie zuvor hatte ich einen besseren und disziplinierteren Journalisten als Sie, Alexander.“ Ich schreckte ein wenig auf, als ich meinen Namen hörte. Die Anderen klatschten, mit breitem Lächeln auf ihren Lippen. „Als ich vor einem Jahr gehört habe, wie man ihn wegen schlimmen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert hatte, war ich sichtlich schockiert.“ Wie auf Kommando trat eine betretende Athmosphäre ein. „Aber zum Glück ist ja noch einmal alles gut gegangen...“ Die Menge lockerte wieder auf und ein Typ mit Pferdeschwanz schenkte den Schampus nach. „Jetzt kann ich glücklich behaupten, dass ich den richtigen Nachfolger gefunden habe. Jemanden, auf den wir alle stolz sein können...“ Ich stand einfach nur verblüfft da. Alle begannen zu klatschen und Jubelrufe kamen von allen besetzten Ecken. Etwas robotisch bewegte ich mich auf den Tisch zu. Er war mit allem möglichen gefüllt. Kuchen aller Art, Chips, Sodas, alkoholische Getränke... viele alkoholische Getränke und irgendwelche Sandwiches. Alles war auf bunte Teller, oder Platten gepackt. „Heute ist lockeres arbeiten angesagt. Bis heute Abend möchte ich die fertige Zeitung sehen. Alexander, Sie kommen mit mir ins Büro.“ Ich war froh der Menge entfliehen zu können. Ein wenig wunderte es mich aber, dass Stella und Danny fehlten. Ich konnte sie nirgendwo sehen. Mein Chef winkte mich zu sich rüber und hielt mir die Tür auf. Kaum war ich drin, lag der volle ernst in seinem Gesicht. „Ich schätze Sie sehr und das wissen Sie. Nun, nach dem Unfall letzten Jahres mache ich mir aber Sorgen. Sie wirken abwesend. Auch, wenn ich sie lachen sehe. Irgendetwas hat sich geändert.“ Ich verzog keine Mimik. Vielleicht mochte ich mich verändert haben, aber das machte jeder einmal im Leben durch. „Sir, machen Sie sich keine Sorgen. Mir geht es vollkommend gut. Was vor einem Jahr geschehen ist... es ist vergessen.“ Bob kratzte sich am Kopf und legte die Stirn in Falten. Etwas beunruhigt stampfte er den Raum auf und ab. Dann blieb er stehen und schaute mich direkt an. „Alexander, Sie sind der wohl beste Journalist, den ich je hier hatte. Sie arbeiten diszipliniert und mit völliger Hingebung. So etwas sieht man nur selten. Lassen sie den Job aber nicht über sich bestimmen. Machen Sie etwas in ihrem Leben, treffen Sie ein hübsches Mädchen. Sie sind noch jung und ich habe lange überlegt, ob ich Ihnen diesen Job wirklich geben soll. Immerhin liegt jetzt noch mehr Stress auf Ihnen.“ Rogers Worte beunruhigten mich. Er glaubte tatsächlich, ich könnte mich mit diesem Job übernehmen. „Ich habe schon immer unter einem gewissen Druck gestanden, Sir. Meinen Eltern war Disziplin und Ausdauer schon immer sehr wichtig gewesen. Ich glaube kaum, dass ich mit dieser Position viele Probleme haben werde.“ Völlig fertig ließ sich mein Chef auf seinen Stuhl fallen. Ich befürchtete, dass er jeden Moment einen Herzinfarkt bekam. Sein Gesicht war ungewöhnlich rot und man sah ihm an, wie sehr unter diesem Anzug schwitzte. „Genau da liegt mein Problem. Sie wurden schon immer gedrillt. Wo blieb Ihre Jugend?“ Ich antwortete nicht sofort. „Antworten Sie mir.“ Ich holte tief Luft. „Mein Interesse lag nie darin, wie jeder Andere zu sein.“ Mehr konnte ich ihm dazu nicht sagen. „Ich gebe mich mit dieser Antwort vorerst zufrieden. Versprechen Sie mir aber, dass Sie sich auf gar keinen Fall übernehmen werden. Sonst erleiden Sie spätestens in zwei Jahren einen Herzinfarkt, oder einen Schlaganfall.“ Mein nicken schien Bob zu beruhigen. „Sie dürfen jetzt gehen.“ Etwas nachdenklich verließ ich das Büro und wäre beinahe in Stella hinein gelaufen, welche völlig überpackt um die Ecke kam. Sie konnte gerade noch rechtzeitig bremsen. „Hey, nicht träumen.“ Sie lächelte mich mit ihren wahnsinnig roten Lippen an. „Jetzt hast du dein Ziel erreicht... Wie fühlst du dich?“ Ich nahm ihr den größten Teil des Stapels ab und gab ein leicht gezwungenes Grinsen von mir. Es reichte. Sie kaufte es mir einfach ab. „Seltsam.“ Stella sagte nichts weiter dazu, sondern nickte einfach nur ein wenig in sich versunken. „Was ist los?“ Sie deutete etwas verstohlen zu ein paar Typen, welche links von uns am Wasserspender standen. Ich verstand sofort. „Du musst dir wohl einen anderen Partner suchen. Chef und Angestellte ist gesetzlich verboten.“ Sie nickte einen Moment traurig, dann begann sie zu grinsen. „Wird vielleicht gar nicht nötig sein. Ted... mein Nachbar... er ist verdammt nett und gut aussehen. Vielleicht wird da ja mehr daraus.“ Wir liefen zu ihrem Schreibtisch und ich stellte die gesamten Artikel und Akten direkt neben das Bild von Danny, Stella und mir. Ein Typ hatte es letztes Jahr im Sommer geschossen. Wir drei saßen auf einem der vielen Schreibtische. Stella hatte darauf ein paar weiße Shorts und eine gelbe Bluse an. Ihr Haar hatte sie mit einem ebenso gelben Haarband zurückgehalten. Kumpelhaft hatte sie einen Arm auf meine Schulter gelegt gehabt und in die Kamera gelacht. Ich musste bemerken, dass ich ein wenig verkrampft neben Danny saß. An den Grund konnte ich mich nicht mehr erinnern. Danny dagegen saß links von mir auf den Boden, einen roten Plastikbecher zum Cheers erhoben. Ruckartig ließ ich von dem Bild ab und widmete mich Stellas Gespräch. „Ist doch was tolles. Warum dann der Blick?“ Sie wurde einen Moment rot und begann dann hastig in ein paar Unterlagen zu blättern, nur um einen Blickkontakt zu vermeiden. „Ach, es ist nichts. Vergiss es einfach nur... ist nichts...“ Etwas unbewusst musste ich meine Augenbraue hochgezogen haben, denn als sie aufschaute und mein Gesichtsausdruck sah, hatte sie plötzlich in ihrem Terminkalender zu wühlen. „Danny kann heute nicht, dass sich irgendwas eingefangen. Ich soll dir von ihm gratulieren.“ Ich war verwundert. Es war das erste Mal seit letztem Jahr, dass er etwas ‚direkt’ an mich gerichtet hatte. Plötzlich stoppte sie mit ihrer Beschäftigung und begann auf ihren Lippen zu kauen. Unsicher schaute sie erst den Boden, dann die Wand und dann mich an. „Lass uns heute Feiern gehen. In eine Disco, oder irgendwas in der Richtung. Einfach nochmal richtig Spaß haben. Du kannst deine Freunde mitbringen, ich bringe meine mit.“ Mal wieder wollte ich ablehnen, aber sie ließ es nicht zu. „Nein, du kommst. Morgen beginnt für dich der ernst des Lebens. Außerdem kann man so eine Beförderung nicht einfach ungefeiert verstreichen lassen.“ Zwar versuchte ich ihr klar zumachen, dass ich wirklich nicht raus mochte, schon wegen meinen gewissen Ängsten, aber sie ließ mich einfach nicht zu Wort kommen. „Heute Abend am Orange’S. Wehe du bist nicht da! Wenn nein, kannst du was erleben.“ Sie lächelte mich selbstsicher an. Damit war unserer Gespräch abgeschlossen. Zu meinem Pech verging der Tag wie im Flug und der Abend rückte wie eine bedrohliche Wolke voran, die man nicht stoppen konnte. Eine ganze Zeit lang hatte ich überlegt, einfach weg zu bleiben, aber versprochen war versprochen und Stella hatte recht, ab morgen gab es keine privaten Treffen mehr, dann war ich ihr Chef und sie meine Angestellte. Schon ein komisches Gefühl. Außerdem musste ich unbedingt diese verdammte Angst los bekommen. Ich konnte kaum den Rest des Lebens abends zu Hause verbringen. Es war tatsächlich kindisch und schwach von mir, mich wie ein kleiner Junge zu benehmen, der das erste Mal in seinem Leben einen Horrorfilm gesehen hatte. An der Küste gelegen war das Orange’S einer der beliebtesten Clubs in der Umgebung. Er war leicht zu erreichen und bot eine große Anzahl von jungen, reichen Singlemenschen, die am Abend nichts besseres zu tun hatten, als feiern zu gehen. Zu dieser Sorte Wohlverdiener gehörte ich nicht – zumal mein Gehalt wirklich nichts besonderes war. Schon von weitem konnte man das orange Gebäude mit seinen unzähligen Lichtsäulen erkennen. Das Highlight dieser Küste. Insgesamt bestand der Komplex aus zwei Gebäuden mit je nur einem Geschoss, wobei auch der Keller als Party-Fläche diente. Das vorderste Gebäude, auf dem protzig und groß der Name des Edelclubs prangte, diente als Disko und Bar, während das Zweite, außen herum verspiegelt und verglast, den Pool und die Lounge beherbergte. Der Keller beider Häuser war miteinander verbunden und war, wie die Lounge, nur mit einer VIP-Card, oder einer Einladung betretbar. Stella wartete draußen auf mich, während ich mit versucht lässigen Schritt auf sie zukam. Ich war bewusst so locker, da sie nicht bemerken sollte, wie unwohl ich mich in Wirklichkeit fühlte. Sie dagegen wirkte völlig unbeschwert und ich hatte langsam das Gefühl, dass unsere Scheinbeziehung zu etwas ganz anderem diente. Ihre langen Haare hatte sie sich geglättet und teilweise nach oben gesteckt,was sie noch unwiderstehlicher zu machen schien und das erste Mal sah ich sie in einem Kleid. Einem kurzen dunkelgrünen mit viel Spitze. Als krönender Abschluss diente ein breiter weißer Gürtel den sie locker auf den Hüften trug und die knielangen weißen Stiefel. Dagegen trug ich ein einfaches schwarzes Hemd und, da es erst früh am Abend und ungemein hell war, eine Sonnenbrille. Sonst hatte ich mich für ein paar einfache Jeans und sportlichen Schuhen entschieden. Um den Hals trug ich ein schwarzes Bändchen, an dem der Ehering meiner leiblichen Mutter baumelte. Viele Jahre hatte ich ihn in irgendeiner Schublade verschwinden lassen, in der Hoffnung, alles, was früher geschehen war, vergessen zu können. Nachdem ich das Krankenhaus verlassen durfte begann ich das Kettchen zu tragen, als Erinnerung und als Warnung. „Da bist du ja!“ Wundervoll und was jetzt? Ich hatte keine Ahnung wie ich sie begrüßen sollte, aber das erledigte sich ganz von selbst. Sie umarmte mich einmal kurz und lächelte mich dann völlig erfreut an. „Ich hab echt gedacht, dass du nicht kommst.“ Was ich ja auch anfangs nicht vorhatte. Sie sprach weiter, „Lass uns reingehen.“ Sie deutete auf die meterlange Menschenschlange zur Tür hin. „Wie lange glaubst du müssen wir warten?“ Wie immer blieb ich direkt und Stella schaute mich einen Moment unpassend schockiert an, dann legte sich wieder ihr typisches Lächeln auf die Lippen. „Ich kenne da jemanden, der jemanden kennt, welcher wiederum jemanden kennt, der uns einfach an der Schlange vorbeilotsen wird.“ Ich verstand nicht direkt, von welcher Person Stella da redete, aber ich wollte es auch nicht genauer wissen. Sie nahm mich am Arm und zog mich mit sanfter Gewalt in Richtung Eingang. Ich sah ihr Ziel sofort. Ein rießiger Dunkelhäutiger mit der üblichen schwarzen Sonnebrille und einen Anzug. Mir kam die ganze Szene klischeehaft vor. So wie in den Filmen über Drogenbosse und dem großen Geld. Nur Schmuck trug der Riese keinen. Stattdessen hatte er ein Handy am Ohr und schien, ohne viel Mimik zu zeigen, mit jemanden zu telefonieren. Er war nicht so breit wie ein Bodybuilder, man hatte aber den Eindruck, dass er wöchentlich ins Fitnessstudio ging. Als er uns kommen sah hob er den Kopf und winkte uns mit einer Hand heran. Er sprach noch ein paar Worte in sein Handy und legte dann einfach auf. „Hey. Na Stella? Siehst ziemlich fit aus.“ Zuerst schien mich der Große gar nicht zu beachten. Ganz zu seinem Recht. Sie schien es nicht zu bermerken, sondern lachte einmal kurz verlegen auf, „Das liegt an dem Aerobic. Sowas hilft echt.“ Er grinste und seine wirklich sehr weißen, noch klischeehafteren Zähne kamen zum Vorschein. Ich fühlte mich in diesem Moment nicht sehr wohl. „Oh, ihr Beide kennt euch ja noch gar nicht.“ Natürlich nicht, wie denn? Sie räusperte sich einen Moment. „Alex, das ist mein Nachbar, Carl West.“ Sie lächelte den großen Dunklen stolz an. „Carl, dass ist Alex.“ Er lächelte mich noch mal einen Moment an und reichte mir die Hand. „Ich bin erfreut Sie kennenzulernen.“ Ich nickte und brachte kein Wort heraus. Ihn schien es gar nicht zu stören. „Wollen wir rein?“ Stella antwortet und warf mir einen tadelnden Blick zu. Was hatte ich jetzt schon wieder falsch gemacht? Sie hatte mal wieder recht gehabt. Carl brachte uns sicher an die Tür und in den Klub. Meine Augen mussten sich an das gedämpfte Licht und den vielen unterschiedlichen Leuchtstrahlern gewöhnen. Überall saßen oder standen Leute, tanzenden, tranken, chillten oder knutschen in irgendwelchen Flächen oder Ecken. Die Bar, klar gekennzeichnet durch ein großes Leuchtschild mit der Aufschrift „Drinks and Flirts“ und mit verschiedenen Leuchtröhren verziehrt befand sich auf der anderen Seite des rießigen Raums. Ich hatte vor so schnell wie möglichst dort hin zu verschwinden und den Abend gemütlich an der Bar zu verbringen. Mit ein paar Drinks und der Musik des DJs im Ohr. Tanzen wollte ich auf gar keinen Fall. Mir war auch nicht danach. Es war nicht einfach sich durch die tanzende Menge zu bewegen. Immer wieder versuchten jüngere Mädchen (ich war mir sicher, dass manche gar nicht 21 sein konnten) mich zum Tanzen zu bewegen. Ob mit einem verführerischem Augenzwinkern, oder einer einfachen Handbewegung. Viele davon trugen extravagante Kleidung oder Frisuren und schienen nur auf einen willigen Mann zu warten. Pech nur, dass ich nicht zu dieser Sorte gehörte. Für mich sah jeder dieser Mädchen gleich aus. Uninteressant. Vor mir konnte ich die Bar wiedererkennen. Sie war größer als ich zunächst erwartet hatte und zu meinem Pech voll mit suchenden Singles. Unbewusst musste ich an einen großen Armeisenhaufen denken. Für einen kurzen Moment schaute ich nach hinten. Stella und Carl waren nirgendwo zu sehen – etwas, dass mich nicht störte. Ich hatte mein Ziel erreicht. Warum hatte ich auch zugesagt? Diese Frage schoss mir schon den ganzen Abend durch den Kopf. Meine einzige Antwort darauf war meine nervige Gutmütigkeit. Ich konnte zu nichts und niemanden nein sagen, was mir schon einige Probleme im Leben gebracht hatte. Zum Beispiel in der Middleschool, als ich ein Mädchen vor einem ziemlich miesen Typ beschützen wollte, obwohl ich sie gar nicht wirklich kannte. Noch am selben Tag lauerte mich seine Clique an einem Supermarkt in der Nähe meines Zuhauses auf. Es war das erste mal, dass ich wirklich verprügelt wurde. Damals hatte ich zu viel Angst und war viel zu schwach um auch nur auf den Gedanken zu kommen, dass bisschen Selbstverteidigung anzuwenden, dass ich zu jener Zeit beherrscht hatte. Die Fläche vor mir klärte sich, nachdem ich den eigentlich Tanzbereich dieses Raumes verlassen hatte und die paar Stufen zur Bar hinauf trat. Sofort kam eine Blondine angetorkelt. „Hey du! Bist du nicht der Typ aus der Zeitung?“ Das sie mich unter diesem Alkoholeinflusses erkannte, überraschte mich. Während sie sich an meiner Schulter festhielt suchte ich nervös nach einer Ausrede, um von hier zu verschwinden, aber sie ließ nicht locker. „Man du bist echt süß. Wegen dir hab ich sogar angefangen einen Bericht über den Klimawandel zu schreiben.“ Sie war voll und der Geruch von Martini und Wodka drang in meine Nase. „Na sag doch was. Wie heißt du noch mal?“ Vielleicht wusste sie wirklich nicht, was sie tat, aber trotz allem legte sie mir verführerisch die Arme auf meine Schulter und schaute mich von unten herauf an. Tatsächlich besaß sie ein paar wirklich entzückende blaue Augen. „Alexander. Ich heiße Alexander.“ Sie lächelte kurz und hauchte dann völlig gelassen. „Nenn’ mich Rebekka.“ Als sie in mein erstauntes Gesicht schaute... mein Mund stand offen... ließ sie von mir ab und begann stattdessen in ihrer Brieftasche zu wühlen, die mir vorher gar nicht aufgefallen war. Dabei wirkte sie hochkonzentiert, dann steckte Rebekka mir einen kleinen weißen Zettel zu. „Du kannst mich ja irgendwann mal anrufen.“ Sie lachte und verschwand irgendwo in die Menge. Das Stück Papier entpuppte sie als eine Visitenkarte auf der ihr voller Name, die Handynummer und College drauf standen. Auch nicht gerade eine sichere Variante, um an ein Date zu kommen. Ein kleinen wenig verwirrt bewegte ich mich auf die Bar zu und schnappte mir einen Sitzplatz, just bevor ihn ein anderer einnehmen konnte. Rebekka hatte mich gar nicht wirklich zu Wort kommen lassen. Sie wollte mich gar nicht zu Wort kommen lassen. Der Barkeeper riss mich aus meinen Gedanken. Ein eher junger Typ mit kurzgeschorenem dunklen Haar und einer Figur, die nur von monatelangen Training in der Armee kommen konnte. Vielleicht war er ein Marine. „Sollte man in einem Club nicht Spaß haben?“ Er verzog sein Gesicht zu einem Grinsen, stellte Glas und Geschirrtuch ab und stütze sich auf seinen Händen. „Ich war noch nie ein Freund großer Menschenmengen.“ Lässig saß ich auf dem Stuhl und schaute mir die Szene noch einmal genauer an, konnte aber nichts entdecken, was mein Journalistendasein geweckt hätte. „Warum bist du dann hier?“ Er kratzte sich an der Stirn und stellte dann das Glas zurück in einer der Glasregale hinter ihm, während er nebenbei die Bestellung von irgendeiner Person neben mir aufnahm und sich ans mixen eines Longisland machte. „Eine Freundin hat mich hergeschleppt. Ich wollte wirklich nicht nein sagen.“ Er nickte verständnisvoll und stellte dem Typ zwei Personen weiter den Drink hin. „Vielleicht hilft dir der richtige Alkohol, lockerer zu werden. Was darf ich dir bringen?“ Das wusste ich selbst nicht. Schon ein ganzes Jahr lagen meine Geschmacksnerven so ziemlich blank. „Gibt’s eine Empfehlung?“ Es war das einzige was mir gerade einfiel. Der Barkeeper schien mit dieser Frage kein Problem zu haben. „Hm, ich denke ein Blue Lagoon würde passen. Longdrinks kommen hier immer gut an.“ Ein neuer Song spielte an, auch dieser war mir unbekannt. „Bitteschön. Ein Blue Lagoon. Lassen es dir schmecken…?“ Der junge Mann sah mich erwartungsvoll an und zog dabei seine Braue ein wenig in die Höhe. Erst jetzt viel mir die kleine Narbe neben der Lippe auf, die sich bei jeden Wort ein wenig streckte. „Alexander. Nenne mich einfach Alex.“ „ Ich bin Patrick. Wenn du irgendetwas brauchst sag’s mir einfach. Ich kann sogar Mädchen organisieren... bei Bedarf. Ich glaub aber nicht, dass ich dir ne Tanzpartnerin suchen muss.“ Er wandte sich mit dem Rücken zu mir und kümmerte sich um seine Gläser. „... Wahnsinn. Ich würde auch gerne mal in den VIP Bereich eingeladen werden. Hab gehört das im Keller echt ein paar Hohe Tiere feiern.“ Neben mir bewegte sich ein großer Blonder schwerfällig auf seinem Platz und redete mit einer Frau, die direkt neben ihm stand. Sofort viel mir ihr sehr tiefer Ausschnitt auf. „Oh ja, sie lassen wirklich nur wenig Leute rein. Ich hab schon mal einen runtergehen sehen. Im schwarzen Anzug.“ Der Mann nickte fleißig. „Ja, ich auch. Im Anzug. Das scheinen wohl alle irgendwelche schwerreichen Arschlöcher zu sein.“ Die Frau setzte sich auf seinen Schoß und und schmiegte sich eng an ihn. „Mhm, vielleicht kommen wir Beide ja auch irgendwann einmal runter, zu den Edelschlampen.“ Ich wandte mich von dem Gespräch der Beiden ab. Stattdessen versuchte ich, ein wenig mehr von Patrick über diese VIP Leute zu erfahren. Der Journalist in mir war geweckt. „Patrick!“ Der Barkeeper murmelte etwas zu seinem Arbeitskollegen einen Meter weiter rechts, bevor er sich mir wieder zu wandte. „Was ist los, mein Freund?“Er schaute mich geduldig an, während er seine Schürze zurechtzupfte. „Erzähle mir etwas über die VIP’s in diesem Club.“ Der Barkeeper erfror einen kurzen Moment zu Eis und verlor reichlich an Farbe. Er fasste sich schnell wieder. „Da gibt's nicht viel zu wissen.“ Etwas zu hektisch nahm er ein weiteres Glas in die Hand und begann es abzureiben. „Sag mir was du weißt.“ Ich ließ nicht nach. „Jeden Abend kommen hier immer wieder seltsame Typen hinein und hinausspaziert. Alle tragen sie Anzüge, oder teure Kleider... zumindest die meisten von ihnen. Auf jeden Fall immer dunkel und teuer aussehend... sogar der eine, mit den zerissenen Jeans.“ Er beugte sich näher zu mir heran. „Wenn du wirklich wissen willst, was ich denke... Nun, ich glaube die haben alle echt Dreck am Stecken. Dunkle Geschäfte... du weißt was ich meine.“ Ich nickte nachdenklich un sah mich dann um. „Gibt es sonst noch irgendetwas auffälliges?“ Für einen paar Sekunden starrte er konzentriert auf einen leeren Fleck neben mir, dann winkte er ab. „Nun, nichts besonderes mehr. Manchmal wirken sie erstaunlich bleich. Kann aber auch nur an dem wenigen Licht liegen.“ Völlig rapide wechselte er das Thema. „Und was machst du? Sportler? Anwalt? Nein warte, dass passt nicht zu deinem Äußeren. Arzt?“ Ich schüttelte meinen Kopf, während ich vergnügt an meinem Drink schlürfte. „Ich bin weder sportlich genug für einen Sportler noch intelligent genug um Arzt zusein.“ Er grinste und stellte das Glas, mittlerweile kristallklar, auf die Theke. „Wo arbeitest du dann?“ Grinsend nahm ich einen weiteren Schluck und schaute ihn dann belustigt von seiner Neugierde, an. „Ich arbeite als Journalist einer Zeitung.“ Mehr verratete ich ihm auch nicht. Er dagegen nickte erstaunt mit dem Kopf. „Das hätte ich dir wohl kaum zugetraut. Welche Art von Artikel scheibst du? Ich meine, es gibt ja einige, die sich auf ein spezielles Thema festlegen. Du weißt was ich meine?“ Patrick wurde immer gelassener. Er wurde mir sogar etwas sympathisch. „Mein Fachgebiet liegt eher bei geographischen und biologischen Artikeln. Wissenschaftlich eben.“ Er nicke interessiert. „Ich habe damals mein Studium abgebrochen und bin zur Armee gegangen. Eigentlich wollte ich früher immer etwas mit Chemie zutun haben, aber... naja... ich halte mich mit Nebenjobs über Wasser. Hey, ich muss weitermachen. Wenn du mal wieder labern möchtest... Du kannst mich jeden Abend hier finden.“ Ich wollte etwas erwidern, aber er war schon wieder auf etwas anderes konzentriert. In den darauf folgenden paar Minuten beendete ich meinen Longdrink und mischte mich dann wieder in die Menge. Von weitem konnte ich Stella und Carl sehen, wie sie ein wenig zusammen tanzten. Stella schien Spaß zu haben und ich wollte die Beiden nicht stören. Etwas anderes begann sich in meinen Gedankengang zu mischen. Leicht nervös begann ich den Treppeneingang zum Keller zu suchen. Etwas zog mich dorthin. Vielleicht meine Neugierde. Ich fand ihn auch bald, nicht weit entfernt von der Bar. Wie sich herausstellte, sogar direkt daneben. Eine Wand trennte die beiden Abschnitte des Clubbereiches und der des VIP’s voneinander. Ganz zu meinem Pech stand ein Türsteher davor. Schwarz, groß und mir dem Blick eines Killers. Durchzukommen war wirklich unmöglich. Also versuchte ich es mit etwas (ungeschickter) Taktik. „Entschuldigen sie mich.“ Ich stellte mich vor dem Riesen auf, obwohl ich mit einer Körperlänge von 1.75m noch immer sehr klein wirkte. Er blieb stumm. „Ich bin Journalist und würde liebend gerne ein wenig über diesen Club schreiben... auch über den VIP Bereich.“ Der Dunkle starrte mich einen Moment lang mit einem Todesblick an. „Alles was sie wissen wollen können sie an der Bar erfahren.“ Ich versuchte es weiter. „Dort war ich schon, aber mir wurde nicht viel erzählt. Ich würde wirklich gerne etwas genauer darüber schreiben.“ Er ignorierte mich und starrte einfach über mich hinweg. „Jetzt lassen Sie mich einfach durch! Ich bleibe auch nicht länger als eine halbe Stunde da unten!“ „Verpiss dich Arschloch, oder ich schick dich persönlich nach unten.“ Mir war klar, dass er gerade auf meinen Tod angespielt hatte, was mir in diesem Moment völlig egal war. „OK, wie viel willst du?“ Selbstverständlich gab ich nicht auf. Der Dunkle dagegen schien die Nase voll von mir zu haben und nahm mich einfach am Kragen. „Ich warne nur noch einmal. Entweder, du verpisst dich freiwillig, oder ich geh sicher, dass du so schnell deinen verdammten Mund nicht mehr auf bekommst.“ Ein paar Leute um uns herum wurden auf die Szene aufmerksam und sahen teils erschrocken, teils amüsiert zu. „Wag' es und dein Arsch landete keine Stunde später im Knast.“ Er sah mich mordlustig an. „Wenn du überhaupt so weit kommst.“ Er zischte diese Worte förmlich. „Schau gut her!“ Mit flickem Handgriff holte er ein kleinen Gegenstand aus seiner Hosentasche. Wie erwartet handelte sich sich um ein kleines Taschenmesser. „Willst du wissen, wie viel ich dir damit raus schneiden kann? Mindestens deine Zunge, Hurensohn.“ Obwohl ich in Lebensgefahr schwebte, wie auch vor einem Jahr am Strand gab es hier einen Unterschied: Ich hatte Chancen. „Zwinge mich nicht, dich außer Gefecht zu setzten. Ich komme da runter... egal wie!“ Wie besessen saß der Gedanke tief in mir drin, dass da unten etwas sein könnte, was wichtig für mich war. Auf welche Weise wusste ich nicht, aber ich musste dort runter gelangen. „Glaub mir Goldmariechen. Ich habe schon größere wie dich aus dem Club geschmissen.“ Es reichte. Von mir aus konnten wir beide den ganzen Abend so stehen bleiben, uns gegenseitig beleidigend, aber der Druck, in die Kellerräume zu kommen wurde größer. Ohne wirklich meiner Aktion bewusst zu sein, hielt ich ihn am Arm fest und wollte ihn gekonnten Griffes auf den Boden befördern, da wurden wir unterbrochen. „Was soll das Theater!“ Ein Mann erschien vom Treppeneingang. „Jackson, was ist hier los?“ Er schien verärgert und schaute uns beide an. Als er seinen Blick über mich streifte, blitzte eine kurze Erkenntnis auf, verschwand aber sofort wieder. Irgendwoher kannte ich ihn. Wie Patrick zuvor erzählte trug auch er einen dunklen Anzug, ein paar hochglanzpolierte Schuhe und eine teure Uhr. Seine dunklen Haare hatte er zu einem sehr lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Er erkannte das Problem sofort. „Geh von dem Türsteher runter, Idiot. Wie viel Aufmerksamkeit willst du eigentlich noch auf dich ziehen.“ Vielleicht hätte ich seine Stimme erkannt, aber er sprach gepresst. Tatsächlich war sein Gesicht bleich. Seine Augen aber dunkel und aufmerksam. „Komm mit! Bevor du noch mehr Schaden anrichtest!“ Ich irrte mich. Er war nicht nur wütend, sondern zornig. Grob nahm er mich am Arm und stampfte schlecht gelaunt zur Treppe hin. „Jackson, geh sicher das sich diese Menschentraube hier auflöst!“ „Was fällt dir ein, meinen Türsteher so anzugreifen!“ Der Typ vor mir stampfte noch immer in wilder Rage vor mir er, die Treppe herunter und dann einen schlecht beleuchteten, schmalen Gang entlang. Beim Vorbeigehen fielen mir die feinen Spinnenweben an den Lichtern auf und wie unglaublich kühl es war. Die Wände waren grau, oder weiß und schlecht verputzt. Mich erinnerte das alles mehr an einen alten Hauskeller, als ein Teil eines bekannten Clubs. Ein paar Stahlrohre führten den Weg entlang und verschwanden mal hier, mal dort hinter die Mauer. Dieser Ort schien einfach nur untröstlich und mir kam das Bild eines Horrorfilms in den Sinn, den ich mal vor längeren gesehen hatte. Je näher wir der Tür vor uns kamen, desto nervöser wurde ich. Warum? Vielleicht, weil mich dahinter etwas unbekanntes, bedrohlich aufzulauern schien. Tief im Inneren erhoffte ich mir sogar, die Typen am Strand, vor einem Jahr dort aufzufinden. In diesem abgeschotteten, trostlosen Keller. Ich atmete die modrige Luft ein und war mir sicher, meinem Ziel näher zu kommen. „Ich rede mit dir!“ Der Mann, nicht viel älter als ich, blieb vor mir, und wenige Meter vor der Tür stehen. „Was sollte das da oben?“ Er begann völlig neutral zu sprechen, der Zorn von vorhin, war verschwunden. „Neugierde.“ Es war die Wahrheit. Mehr konnte der Typ nicht von mir erwarten. „Aha. Was willst du überhaupt wissen? Ich meine, immerhin hast du es geschafft, hier herunter zu kommen.“ Ich kam mir idiotisch vor. Tatsächlich hatte ich keine Antwort darauf. Ungeduldig begann er mit dem Fuß zu tappen. „Du hast noch nicht mal einen Grund, hab ich Recht?“ Schuldbewusst schwieg ich. Es kam eher selten vor, dass ich etwas ohne wirklichen Grund tat. Er sah mich einfach nur fassungslos an. „Du bist wahnsinnig. Ich hoffe dir ist bewusst, dass dich Jackson hätte umbringen können. Mich wundert es, dass er nicht schon eher handgreiflich geworden ist!“ „Ich hatte alles im Griff!“ Der Blick meines Gegenüber wurde plötzlich düster. „Das denkst auch nur du.“ Eine seltsame Stille trat ein und ich hasste es. Etwas beiläufig beobachtete ich ihn, wie er seinen Hemdärmel zurecht zupfte. Keine Emotionen waren zu sehen. Er machte keine Anstalten etwas zu sagen und mir wurde die Stille unangenehm, dann viel mir etwas auf. „Wo ist die Musik?“ Überrascht schaute er auf, seine Augen hefteten sich an meine. Leises Misstrauen flackerte auf, als wolle er eine Falle hinter meiner Frage finden. Nur war da keine. „Schalldichte Tür. Wir wollen hier unten unsere Ruhe und sollte jemand an Jackson vorbeikommen ist spätestens hier Ende für ihn. Die Türen lassen sich nur von Innen öffnen. So gibt es keine ungebetenen Gäste.“ Ich nickte langsam und ging an ihm vorbei, nahe genug an die Tür heran, um sie besser begutachten zu können. Sie war aus einem harten, sehr hellem Stahl, ohne Schlüsselloch - von einer Klinke ganz zu schweigen. Sie erinnerte mich ein wenig an eine der Türen, die man bei den Kühllagern von Fleischerhäusern fand. Sofort bekam ich Gänsehaut und ich wandte mich wieder an den Typen, dessen Namen ich noch immer nicht kannte. Er schaute einfach nur zu mir herüber und rührte sich nicht. Auf was wartete er? Statt weiter etwas zu unternehmen stellte ich mich wieder zu ihm und sagte gar nichts, neugierig, wann er endlich etwas machen würde. Ich nutze die Zeit, um auch ihn ein wenig besser zu mustern. Unauffällig schaute ich immer mal auf ihn, während er etwas auf seinem Handy tippte, dass er in einer beifälligen Bewegung aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Mir viel nichts besonderes auf. Sehr dunkle Haare, braune Augen, groß, schlank, aber athletisch gebaut. Etwas bleich war er schon, aber das konnte auch an dem schlechten Licht liegen. Wie der Barkeeper vorher schon behauptet hatte trug auch er einen teuren, schwarzen Anzug, es konnte sich aber auch nur um einen Dresscode handeln. Nervös schaute ich mich noch einmal um, dann bemerkte ich etwas Neues. Hinter meinem Gegenüber waren verwischt und kaum erkennbar die Worte „Midnight's Children“ zu lesen. Sie passten sich dem Rest des Ganges an: unsauber und lieblos geschrieben. Der Andere schien zu bemerken, dass etwas meine Interesse gefangen hatte. Zuerst schaute er verstohlen auf mich, dann auf das hinter ihm. „Bevor das Orange'S gegründet wurde, gab's hier immer wieder mal ein paar zwielichtige Clubs. Der letzte „Midnight's Children“ war einer aus der Gothic-Szene, hielt aber nicht lange, weil kurz darauf Jim Granton das Gebäude aufgekauft hat.“ Für einen kurzen Moment runzelte ich die Stirn. Er gab mir Informationen, ohne, dass ich gefragt hatte, schien aber keine Anstalten zu machen, mich in den VIP-Bereich hinein zulassen. Ich fragte mich, wie man in den Raum kommen wollte. Klopfen, oder Rufen würde nichts bringen. Im Stillen wartete ich mit dem fremden Typen. Wir sagten nichts mehr. Es schien eine ganze Ewigkeit zu dauern, dann regt sich etwas. Erwartungsvoll richtete sich mein Blick auf die Tür, die sich leicht quietschend in Bewegung setzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)