Once upon a time von Chibichi (Eine Sammlung von märchenhaften Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 2: An alternative Story ------------------------------- Kennt ihr das Gefühl, dass man etwas Wichtiges verpasst hat, weil man zu der Zeit etwas völlig anderes gemacht hat? Oder vielleicht das Gefühl, dass man sich vollkommen falsch entschieden hat und sich nun sein Leben lang fragen muss, was gewesen wäre, wenn man die Alternative gewählt hätte? Wenn ihr eins dieser Gefühle kennt, dann müsstet ihr mich eigentlich auch kennen. Aber wahrscheinlich habt ihr mich bereits vergessen oder als verschwommenes Traumgespinst, das euer übernächtigter Verstand produziert hat, zur Seite gewischt. Das passiert wirklich oft mit euch Menschen. Da kann man euch noch so sehr helfen und ihr vergesst einen trotzdem sofort, nachdem man euch eure Wünsche erfüllt hat. Aber eigentlich sollte ich mich nicht beklagen, denn schließlich bringt das meine Aufgabe so mit sich. Es ist ja auch kein Wunder, dass ihr versucht, meine Existenz damit zu erklären, dass ihr nur geträumt habt. Wer von euch würde schon freiwillig zugeben, dass ihm eine echte Fee begegnet sei? Gott sei Dank ist es nur eine Legende, dass jedes Mal wenn ein Mensch seinen Glauben verliert, eine Fee ihr Leben verliert. Ansonsten wären wir schon alle vor langer Zeit wie die Fliegen umgefallen und es würde nicht einmal mehr helfen, wenn ihr euch die Hände wund klatschen würdet. Na, wer sollte dann eure Wünsche erfüllen? Habt ihr euch eigentlich nie Gedanken darüber gemacht, dass eure Märchen auf der Wahrheit beruhen könnten? Oder glaubt ihr etwa Aschenputtel hätte selbst den Kürbis in eine Kutsche verwandelt? Nein, natürlich nicht! Meine liebe Großmutter Felicitas höchstpersönlich war Aschenputtels Patin und hat ihr jeden Wunsch erfüllt. Nur so hat das arme Ding die Chance ihres Lebens bekommen und den Prinzen heiraten können. Auch ich bin im Wunschgeschäft, aber ich arbeite etwas anders als meine Großmutter. Denn ich widme mich nur den Menschen, die ihre Chance des Lebens bereits vertan haben und nun an den Konsequenzen verzweifeln. Tja, eine falsche Abzweigung auf dem Weg des Lebens genommen und schon ist das ganze Dasein verpfuscht. Eigentlich sollte man euch die Suppe, die ihr euch selbst eingebrockt habt, auch auslöffeln lassen, aber wir Feen haben wahrscheinlich einfach ein viel zu weiches Herz dafür. Aber anstatt so lächerliche und wirklich einfallslose Wünsche nach einem großen Haus, einem schnellen Auto und tonnenweise Geld zu erfüllen, biete ich euch eine viel bessere Gelegenheit an. Ich bringe euch zurück in die Zeit, in der ihr den großen Fehler begangen habt, der euer Leben so negativ beeinflusst hat. Dann liegt es an euch nach den Sternen zu greifen und euer eigenes Lebensglück erneut zu schmieden. Na, ist das kein Angebot? Nur für den Fall, dass ihr irgendwann einmal meine Dienste in Anspruch nehmen wollt, seufzt dreimal des Nachts und stellt euch die Frage, wie euer Leben wohl aussehen würde, wenn ihr es anders gelebt hättet. Schon werde ich bei euch sein und euch helfen. Aber merkt euch: Ich komme nicht für jede ach so kleine Veränderung, die ihr in eurem Leben haben wollt. Denn ihr Menschen seid ja nie wirklich zufrieden und ihr neigt dazu uns Feen für Flaschengeister zu halten, wenn ihr uns ausnahmsweise mal nicht vergesst. Wir kommen nicht sofort angesprungen, um euch jeden Wunsch von den Augen abzulesen. „Jawohl Meister!“ „Wie Ihr wünscht, Meister!“ Solche Sätze werdet ihr nie von einer echten Fee hören, schließlich haben wir auch unseren Stolz. Gerade ein einziges Mal habe ich eine Ausnahme gemacht. Alleine hätte das Mädchen niemals sein Glück gefunden, dazu hatte es viel zu sehr die Gabe immer die falschen Entscheidungen zu treffen. Aber bildet euch selbst ein Urteil über die Geschichte von der dummen, kleinen Cäcilie, die ohne mich nichts auf die Reihe bekommen hätte. Cäcilie hatte schon öfters herzzerreißend geseufzt, so dass ich bereits einige Zeit, bevor sie mich überhaupt zu sich rief, auf sie aufmerksam wurde und ihr Schicksal verfolgte. Sie hatte aber auch alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Also wirklich mal, benutzt ihr Menschen denn nie euren Verstand? Die gute Cäcilie hatte bereits sehr jung die Schule abgebrochen, um bei einer ominösen Agentur als Schauspielerin groß rauszukommen. Aber dazu reichte weder ihr minimal vorhandenes Talent, noch das ach so große Engagement ihres vielbeschäftigten und geldscheffelnden Agenten aus. Daher schlug sie sich mit einem miesen Job nach dem nächsten durchs Leben und konnte meistens gerade eben die Miete für das miefige, ungezieferverseuchte Loch, das ihr Vermieter ein gemütliches Apartment nannte, zusammenkratzen. Am Ende des Monats blieb ihr nichts anderes übrig als von den übriggebliebenden Brotkrümeln auf dem Toasterboden zu leben. Na ja, okay, das war jetzt eine kleine Übertreibung meinerseits, aber sie konnte von Glück sagen, wenn sie mal etwas Anständiges zwischen die Zähne bekam. Zu guter Letzt hatte der ja so vertrauensselige „Heizungsableser“ (als wenn es etwas zum Ablesen geben würde, wo das arme Ding sich nicht einmal im kältesten Winter die Heizkosten erlauben konnte) die letzten, wertvollen Habseligkeiten Cäcilies eingesteckt und beim nächsten Pfandleiher versetzt. Und damit waren dann die Kette mit dem goldenen Kreuz, die ihr früher ihre Großmutter geschenkt hatte, sowie das restliche Geld für die nächste Miete verschwunden. Es wurde also wirklich Zeit, dass ich einschritt. Als Nächstes hätte vielleicht der Vermieter sie noch auf die Straße gesetzt oder der Himmel wäre ihr auf den Kopf gefallen, wer weiß. Möglich ist ja alles. Also erschien ich ihr in einer verregneten, eisigen Nacht, als sie sich vergeblich versuchte unter einer dünnen Decke zu wärmen, mitleidserregend dreimal seufzte und sich fragte, warum ihr Leben so schief gelaufen war und sie noch immer keinen großen Durchbruch als Star geschafft hatte. Natürlich bin ich nur ganz, ganz langsam sichtbar geworden, obwohl ich eigentlich spektakuläre Auftritte liebe. Dichte Rauchschaden, lauter Trommelwirbel, ein Scheinwerferspot direkt auf mich gerichtet, und eine Stimme verkündet: „Und hier ist sie! Mitten in Ihrem Wohnzimmer, live und in Farbe: die Helferin der Verzweifelten, die alternative Wünscheerfüllerin, die echte und einzige Parinas, Ihre gute Fee!!!!“ Mensch, war das ein geiler Auftritt, allerdings ist die ältere Dame, die ich damals aufsuchte, fast an einem Herzinfarkt abgenippelt. Das gab vielleicht hinterher Ärger mit dem Feen-Aussichtsrat. Seitdem muss ich meine Auftritte auf Sparflamme ausführen. Aber zurück zur eigentlichen Geschichte, ich wurde also langsam vor Cäcilies Augen sichtbar, nur begleitet von leiser Harfenmusik. Es fehlte nur noch, dass ein himmlischer Chor „Fürchte dich nicht“ sang… Jedenfalls war das schon fast zu viel für die kleine, naive Cäcilie, denn sie blinzelte ungläubig vor sich hin, als könnte sie nicht glauben, was sie da sah. Zwischenzeitlich schien sie mein Erscheinen auf das alte Thunfischsandwich vom Mittag zu schieben. Nach reichlicher Verzögerungszeit sprang sie überrascht vom Bett auf und rief: „Wer bist du? Was machst du hier?“ Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, murmelte sie fassungslos vor sich hin: „Ich muss verrückt geworden sein. Das gibt es doch nicht. Ich habe bestimmt den Verstand verloren.“ Ich ließ sie noch ein bisschen weiter rumfaseln und räusperte mich dann. Dass ihr Menschen aber auch immer so merkwürdig reagiert, wenn man zu euch kommt. „Du bist nicht verrückt geworden.“, erklärte ich nachsichtig, obwohl ich da schon fast an meiner eigenen Aussage zweifelte, so wie sie sich aufführte. „Ich bin wirklich und tatsächlich hier. Gestatten, mein Name ist Parinas und ich bin eine gute Fee. Hier ist meine Karte.“ Damit überreichte ich ihr meine Visitenkarte. Zögerlich nahm Cäcilie diese entgegen und starrte auf den schnörkeligen Schriftzug. „Du… du bist eine gute Fee? Aber gibt es Feen nicht nur im Märchen?“, brachte sie nach einer Weile heraus. Ich seufzte. Das war ja mal wieder klar. Also musste ich wohl alles erklären: „Ja, ich bin eine gute Fee und uns gibt es nicht nur im Märchen. Als die Märchen geschrieben wurden, wussten wenigstens noch alle Menschen, dass wir existieren. Heute glauben die meisten nicht mehr an uns, weil wir ja nicht in eure ach so wissenschaftlicherklärbare Welt reinpassen. Aber ich bin hier, um dir zu helfen. Ich werde dir ein Angebot machen, dass du nicht ausschlagen kannst.“ Ihr braucht euch nicht zu wundern, selbst Feen gucken gerne mal einen guten Mafiafilm. Cäcilie hatte es allerdings nun vollends die Sprache verschlagen und sie stotterte nur noch: „Ei…ein Angebot?“ „Ja, ein Angebot.“, nickte ich. Himmel, war die begriffsstutzig. „Ich gebe dir die Möglichkeit, dass du zu dem Zeitpunkt zurückkehren kannst, an dem du die Entscheidung deines Lebens getroffen hast. Dann kannst du dich neu entscheiden und dein Leben verändern. Also, was sagst du dazu?“ Es dauerte etwas, bis sie die Tragweite meines Vorschlags verstand. Dann lächelte sie glücklich und antwortete: „Danke, gute Parinas. Ich würde gerne noch einmal den Moment erleben, bevor ich bei dieser Agentur unterschrieben habe. Ginge das?“ „Klar geht das.“, erklärte ich grinsend und schwang meinen Zauberstab über ihrem Kopf. „Viel Glück, Cäcilie, und entscheide dich gut.“ Damit wäre meine Aufgabe eigentlich erfüllt gewesen, wenn sich die Kleine wirklich gut entschieden hätte. Sie hatte tatsächlich darauf verzichtet bei dieser ominösen Agentur zu unterschreiben. So musste sie sich nicht halb zu Tode schuften, um die Gebühren für den habgierigen Agenten und dann noch die Miete zusammenzukriegen. Stattdessen hatte sie eine andere Agentur gefunden, die in ihr „das neue Gesicht“ sah, nach dem ganz Hollywood gesucht hatte. Ihre Karriere ging steil bergauf, obwohl die Filmrollen, die sie annahm, kein wirkliches Talent erforderten, sondern eher kurze Röcke und tiefe Ausschnitte. Bald war die kleine Cäcilie als wildes Partyluder bekannt, um das sich lauter falsche Freunde scharrten, die auch ein Stück vom großen Kuchen abhaben wollten. Sie gab stets ein Vermögen aus, ihr gehörten mehrere Penthäuser und ihr Kleiderschrank platzte vor Designerstücken, die sie nur einmal trug. Wer hätte gedacht, dass aus ihr eine echte, verzogene Diva wird? Ich jedenfalls nicht. Bald war sie durch ihren extravaganten Lebensstil hoch verschuldet, das Finanzamt war hinter ihr her wegen Steuerhinterziehung, die neuen Rollenangebote wurden zaghafter und alle falschen Freunde waren weg. Zurück blieb einzig und allein eine verzweifelte Cäcilie, die sich aus tiefsten Herzen wünschte, eine andere Entscheidung getroffen zu haben. Es wurde also wieder Zeit, dass ich einschritt. Mein Auftritt in ihrem fast leergeräumten Penthaus, schließlich war kurz vor mir eine Schar Gläubiger da gewesen, war etwas pompöser als beim ersten Mal. Endlich konnte ich wieder den Spezialeffekt mit den Rauchschaden und etwas coolere Erscheinungsmusik benutzen. „Da bin ich wieder, Cäcilie.“, verkündete ich. Ihr tränennasses, mit Wimperntusche verschmiertes Gesicht erhellte sich schlagartig, als sie mich erkannte. Kein Wunder, schließlich musste sie nicht mehr vor dem Scherbenhaufen ihrer Starkarriere stehen. „Parinas!“, rief sie glücklich. „Wie gut, dass du da bist. Ich habe so gehofft, dass du noch einmal zu mir kommst. Es ist alles schief gegangen…“ „Wir werden das schon wieder hinkriegen.“, beruhigte ich sie. „Ich werde dich wieder zurückschicken und dieses Mal denkst du genau über deine Entscheidung nach, okay?“ Sie nickte und so schwang ich den Zauberstab erneut über ihrem Kopf. Jetzt hätte es endlich ein Ende haben können, aber Cäcilie hatte immer noch kein Glück. Lernt ihr Menschen denn nichts dazu? Sie wechselte wieder die Agentur, aber diesmal wurde sie kein großer Star. Am Anfang wurden ihr nur so vielversprechende Rollen wie Statist in einer Seifenoper oder Handmodel bei dem neuen Spülmittel-Werbespot angeboten. Als der große Durchbruch weiter auf sich warten ließ, versuchte der neue Agent, der starke Ähnlichkeit mit einer Ratte hatte, ihr zu verklickern, dass sie eine große Chance in einem Filmgenre hatte, das meistens nachts in entschärfter Version im Fernsehen lief oder in der dunklen Ecke der Videothek zu finden war. Würde sie nicht darauf eingehen, sähe er sich gezwungen, sie an das Kleingedruckte in ihrem Vertrag zu erinnern. Entweder nahm sie die Filmrollen an oder sie musste dem Rattenagenten zehn Millionen blechen. Entsetzt verließ Cäcilie das Büro der Agentur, eilte nach Hause und rief dieses Mal direkt nach mir: „Parinas! Parinas! Bitte, komm und hilf mir. Es ist alles noch schlimmer geworden.“ Die Rauchschwaden verdichteten sich, die Lasershow setzte ein und ein lauter Knall kündigte meine Ankunft an. „Aus der Dunkelheit der Nacht erscheint die gute Fee Parinas!“ Endlich mal wieder ein Auftritt, der meiner würdig war. „Cäcilie, schön dich mal wieder zu sehen.“, begrüßte ich sie mit einem leicht ironischen Unterton. Wäre sie in der Lage gewesen das Kleingedruckte zu lesen, müsste ich ja gar nicht hier sein. Hoffungsvoll blickte sie mich an: „Hilfst du mir, Parinas?“ Ich ließ sie noch einen Moment lang zappeln und nickte dann: „Dies ist aber deine letzte Chance, also nutze sie gut. Triff also nicht wieder die falschen Entscheidungen.“ „Ich werde nicht noch einmal solche Fehler machen und alles gut durchdenken.“, versprach sie mir kleinlaut. „Gut.“, sagte ich knapp und schwang wieder den Zauberstab. Sie versuchte ihr Glück bei der nächsten Agentur. Gleich beim ersten Film hatte sie eine bedeutende Nebenrolle, die das Publikum verzauberte. Ein Film folgte dem anderen und jeder von ihnen war ein anspruchsvoller Kassenknüller. Nach einiger Zeit konnte sie mit einer Hauptrolle die Kinobesucher zu Tränen rühren und wurde auch prompt für den Oscar nominiert. Strahlend nahm sie die goldene Trophäe am Abend der Oscarverleihung entgegen. „Ich danke allen, die mir das ermöglicht haben. Und ganz besonders danke ich Parinas, meiner guten Fee.“ Dabei zwinkerte sie in die Kamera. Na Gott sei Dank, endlich ein Happy End. Und falls ihr mal meine Dienste beansprucht, vergesst mich nicht und bedankt euch hinterher brav. Es muss ja nicht unbedingt bei der nächsten Oscarverleihung sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)