Angel Cage von Celest_Camui ================================================================================ Kapitel 5: Schicksal -------------------- Nun waren also schon einige Tage vergangen. Viel Zeit, und doch war es bedeutungslos. Denn ganz langsam und ohne einen Laut hatte sich etwas eingeschlichen. Der Garten Eden war befallen worden. Ein Parasit, ein Virus, eine Schlange des Bösen, die alles hier unvermeidlicherweise in ihre Fänge nahm, ihnen langsam aber sicher etwas sehr Wichtiges aus ihrem existierenden Leib presste. Die Luft namens Vertrauen. Denn Celest benahm sich ihrer Rolle gegenüber äußerst unpassend. Um nicht zu sagen, verantwortungslos. Und keiner konnte sagen, was eigentlich genau in ihr vorging. Denn niemand kannte sie wirklich. Nur zwei Engel konnten vermuten, weshalb sie so abwesend war. Kain saß schon geraume Zeit in seinem Haus und betrachtete die Tür des Nebenliegenden, die sich seit ebenso geraumer Zeit auch nicht mehr geöffnet hatte. Lange, wenn es nach ihm ging, viel zu lange, war es nun schon her, seit er ihr holdes Anlitz betrachten durfte. Und doch hatte er sich nicht getraut das Haus des trauten Wesens zu besuchen. Denn er hatte das Gefühl, dass hier im Himmelsreich der Häufigkeit gleichgesprochen wurde, wie auf der Erde der Urknall. Er hatte Angst. Natürlich machte er sich Sorgen, doch was würde ihn erwarten? Und war der Grund dafür wirklich Camui? Der "verfluchte" Engel... Was war es, das die beiden verband? Hass, Freundschaft.... Liebe? Nicht auszudenken. Jemand ihr derart Unwürdiges sollte sie nicht bekommen. Sie hatte so viel geopfert, vielleicht sogar mehr, als sie tragen konnte, um an diesen Ort zu gelangen. Um das zu bekommen, was sie besaß. Es war einfach nicht auszudenken, was er ihr alles damit antun würde. Was er... Kain damit antun würde. Und Camui? Der Schwarzgeflügelte saß ebenfalls in seinem Heim. Immerhin konnte er das Betragen der Einwohner Edens nicht im Geringsten nachvollziehen. Ihn verachteten alle, warfen ihm argwöhnische Blicke zu und mieden ihn, wo auch immer er hinging. Und das sollten die reinsten und großmütigsten Wesen des Universums sein? Dass er nicht lachte! Nun gut. Sollten sie eben. Aber dass sie ihre große Beschützerin, die einzige Herrscherin hier, wie es schien, einfach so ihrer Verzweiflung überließen und plötzlich anfingen, an ihr zu zweifeln, das konnte er nicht verstehen. Und was war mit ihm? War er wirklich besser? Er saß hier und wartete, regte sich darüber auf, dass sein Plan vollkommen aufging. Schließlich wollte er es ja nicht anders. Sollte sie ruhig erkennen, in was für einer Welt sie lebte. Wie sie sich ihr Reich erbaut hat. Doch sie litt... und er mit ihr. Dabei war sie doch keinen Deut besser als all die anderen hier. Sie war es doch, die all das hier für richtig hielt und es anführte. Also, woran sollte es liegen? Zweifelsfrei, sie war schön. Vielleicht war sie sogar schöner als jegliches weibliches Wesen, das er jemals gesehen hatte. Doch das allein brachte jemanden wie ihn nicht aus der Fassung. Und so kam es, dass Celest in ihrem Schlafzimmer saß und keinerlei Vorstellung davon hatte, was gerade in dem Haus rechts, wie auch in dem links von ihr, vor sich ging. Sie war einfach nur allein, nur für sich. Sie saß auf ihrem Bett und war sich schmerzlich dem Gefühl bewusst, dass sie schon lange alle kannten, sie aber niemand zur Kenntnis nahm. Einsamkeit. Dazu mischte sich noch eine gute Prise Existenzialphilosophie. Camuis Worte gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf! Schließlich hatte er irgendwo doch recht, oder? Was für eine Funktion hatte das Leben eines Engels eigentlich? Einem Gott zu dienen, den kaum eine Seele die letzten Jahre überhaupt zu Gesicht bekam? Und wer hat wann eigentlich gesagt, was verboten sei, und was nicht? Sie dachte an Kain, seines Zeichens ebenfalls Würdenträger. Wieso machte er sich keine Gedanken, wenn er doch ein so intelligenter Engel war? Ein Selbstständiger. Und wann war eigentlich der Zeitpunkt eingekehrt, an dem sie plötzlich alle akzeptierten? Sie schwelgte in Erinnerungen, von welchen sie sich erhofft hatte, sie würden in den Gefilden der Zeit auf immer und ewig untergehen. Doch auch sie schaffte es einfach nicht, ihrer Vergangenheit zu entfliehen. Es war schon so lange her. Sie wurde erschaffen... Engel kommen - wie auch Menschenkinder - als Babies auf diese Welt. Doch gibt es zwei gravierende Unterschiede zwischen den Spezies. Zum Einen werden Engel "beordert", zum Anderen der Geburtsprozess. Wenn ein Paar sich gefunden hatte, war es auf ewig vereint. Und dann kommt die Zeit, eine neue Generation heranzuziehen. Man geht zum Ranghöchsten und beorderte einfach ein Kind. Wie ein Produkt. Sogar die Haar- und Augenfarbe konnte frei gewählt werden. Und so entsteht ein Engel aus einem gebündelten Licht. Ganz langsam. Die ersten Jahre unterscheiden sie sich nicht sehr von dem, was wir ein Menschenbaby nennen. Sie altern im ganz normalen Prozess, lernen sprechen und feste Nahrung zu sich zu nehmen und entdecken alles mit interessierten Augen. Doch zwischen dem 17. und dem 19. Lebensjahr verändert sich alles. Schon lange wurde man als Engel anerkannt, hatte mit einem Schwur seine Seele gebannt und dafür Flügel erhalten. Doch… war dieser Tausch richtig gewesen? Ab diesem Zeitpunkt gibt es für ein Wesen des Himmels nur noch zwei Arten, den Tod zu erhalten und das Leben zu verlieren. Die erste war, wenn es einem genommen wurde, die zweite, wenn man nach vielen, unendlich langen Jahren so viel Wissen erlangt hatte, dass man beschloss, dass es Zeit war, zu gehen. Dieser Moment läutet ein letztes Mal den Alterungsprozess ein. Man lebt das körperliche Alter des Teenagers bis zum letzten Tropfen und alterte langsam bis zu dem Moment, in dem ein Mensch sterben würde. Und dann kehrt man zurück in eine höhere Ebene. Doch sie… sie war schon immer anders gewesen. Von Anfang an. Wann hatte sie eigentlich begonnen, etwas Besonderes sein zu wollen? War es schon immer ihr Wunsch gewesen? Und erneut vernebelten sich ihre Ansichten der Realität und der Täuschung, ebenso wie die ihrer Zukunft, der Gegenwart und vor allem… der Vergangenheit. Es war ein dunkles Zeitalter, eines, das vielleicht besser in Vergessenheit geraten sollte. Es war die Zeit des Krieges gewesen. Die Dämonen traten unter dem Zeichen des Teufels an, um in den Krieg zu ziehen. Ein erbittertes Gemetzel nahm seinen Lauf, um ein Reich zu schützen, das eigentlich doch überragend sein sollte. An den Rändern des Himmelreiches, sowie in der Hölle, wurden Tag für Tag unschuldige Engel getötet. Jedoch wurde schon immer verhindert, dass die Kämpfe sich auf das Innere der Städte bezogen. Und so war auch in Eden, ihrer Heimatstadt, nie viel davon zu spüren gewesen. Ein Tag jedoch sollte ihr kaum bestehendes Leben ändern und sie wieder zu dem machen, was sie sehr lange Zeit gewesen war; eine Außenseiterin. Ihre Eltern kämpften unter Einsatz ihres Lebens für etwas, das sie liebten, für sie. Das Schicksal jedoch ist nur selten gnädig, und so zahlten sie auch mit dem höchsten Einsatz für dieses Spiel – mit ihrem Leben. Celest wurde so zu dem einzigen Geschöpf im Himmelsreich, das sich noch in der normalen Wachstumsphase befand und keine Eltern mehr an seiner Seite zählen konnte. Sie war allein und … ungewollt, das ließ man sie auch mehr als genug spüren. Es gab nur einen einzigen Menschen, der sich um sie kümmerte. Ein Junge aus dem Nachbarshaus, der ihr Essen machte, sie erzog und zu dem sie den Rest ihres Lebens aufblicken würde. Kain. In seinen Augen konnte sie stets Trost und Zuversicht sehen, nicht etwa Missbilligung oder Mitleid. Er war alles für sie, und durch ihn hatte sie ihre Kraft wiedergewonnen. Durch ihn fand sie ihre Bestimmung und die Macht, die sie durch Leistung erhielt. Doch war es Richtig, mächtig zu sein? Und warum setzte sie sich überhaupt für diese Engel ein? Sie hatten sie verachtet, hätten sie elend dahin rotten lassen, obwohl ihre Eltern ihr Leben für den Schutz des Ihren gegeben hatten. Noch Jahre später wütete der unerbittliche Kampf. Und auch sie zog ihn den Krieg. erbarmungslos, voller… Hass. Nicht, um zu schützen, sondern, um zu zerstören. Und sie bewies allen, was sie konnte. Wie ironisch… war sie nicht dämonischer als all die dunklen Heerscharen zusammen? War sie nicht kälter und rücksichtsloser gewesen? In etwa im Jahre 685, zu ihrem achtzehnten Lebensjahr, wurde dieser höllische Irrsinn schließlich beendet. Wodurch? Das wurde nie bekannt gegeben… Ja, damals, was genau war sie denn gewesen? Und wieso hatte sie sich nie eine Frage gestellt? Religion, an den Gott glauben, den man nie gesehen hatte, seine Gesetze blind verfolgen? Warum durfte man für etwas verurteilt werden, das einem selbst gehörte? Der Glaube… Eigentlich wollte sie doch nur die Lebewesen beschützen. Doch wenn sie an die Leben der ersten und der zweiten Welt glaubte, warum verachtete sie dann die der dritten? Was machte Dämonen denn anders, abgesehen von ihrem eigenen Gut, dem Gewissen und Glauben? Sie erhob sich langsam aus ihrem Bett und blickte aus dem bogenförmigen Fenster hinaus. Es war alles so schön hier. So ruhig und friedlich. Langsam sog sie die angenehm kühle Luft in ihre gierigen Lungen. Ein Seufzer entglitt ihren Lippen. Warum musste sie ausgerechnet jetzt daran denken? Warum nicht schon vor einem Jahr, oder erst im nächsten? Ihr Blick schweifte über die Landschaft, bis er zu Camuis Behausung streifte. Sie hielt inne. Natürlich! Es war alles so klar, und doch so… unbewusst. Ruckartig drehte sie den Kopf zur Seite. An der Wand stand das geheimnisvolle Schwert, daneben die noch viel geheimnisumwobenere Notiz. Weiter begab sie sich sowohl gedanklich, als auch körperlich. Sie hatte den plötzlichen Drang, etwas tun zu müssen, denn es war die einzige Erklärung, die ihr blieb. Hektisch, schon fast ungeschickt sprang sie mehr oder minder unter die Dusche. Das eiskalte Nass störte sie nicht, denn sie hatte andere Dinge, um die sie sich kümmern musste. Warum hatte sie überhaupt so lange gewartet? Sie hatte es doch schon lange gewusst, oder etwa nicht? Etwas hier an all dem, was sie als Wahrheit sah, war nicht korrekt. Und sie würde herausfinden müssen, was es war. Für das Wohl aller Lebewesen, die es gab. Eine Möglichkeit schwebte seit einiger Zeit in ihrem Kopf herum, ohne dass sie diese als eine solche wahrnahm. Doch nun war es genug. Ein für alle mal. Sie war wach, und das bedeutete, dass es jetzt erst richtig losging. Schwer zu glauben, doch sie war zu allem bereit, was auf sie zukam, denn sie hatte endlich etwas wiedergefunden, das mit ihren Erinnerungen im Netz der Zeit verharrte, bis zu dem Moment, an dem sie bereit war, ihr Schicksal anzunehmen. Als ihr Blick das Gebäude des „Verfluchten“ streifte, wurde es ihr schlagartig bewusst. Ihm ging es genau so, wie es ihr damals gegangen war. Und auch sie hatte sich nicht anders verhalten, als die anderen es damals bei ihr taten. Camui konnte jedoch bestehen, weil er wusste, was recht war, und was nicht. Er hatte die Macht, sich nicht erst Regeln beugen zu müssen, nicht erst anderen etwas nachmachen zu müssen und so an zweifelhafte Kraft zu kommen. Er hatte innere Stärke. Und sie wollte nun endlich lernen, was Leben bedeutete. An ihrem Schrank holte sie ein leichtes, langes Reisegewand, welches sie so gleich etwas ungeschickt überzog. Auch nahm sie ihren Riemen für ihr Schwert und steckte es sich an diesen. Ungewiss war doch die Zukunft. Wie blind war sie nur gewesen? Wie konnte sie es nur übersehen? Auf Schmuck und das Frisieren ihrer Haare verzichtete sie gänzlich. Das Gefühl der unendlichen Kraft durchströmte sie. Und sie hatte viel Zeit aufzuholen. Mit schnellem, sicherem Schritt eilte sie durch ihre Eingangstür und blinzelte dabei kurz dem Licht entgegen. Dieses ganze neue, viel bessere Selbstbewusstsein, es trieb sie aufrecht voran. Vor Camuis Tür verharrte sie einen kurzen Augenblick. Sie holte noch einmal tief Luft und klopfte zweimal kräftig gegen die Türe. Innen waren Schritte zu hören. Ein paar Sekunden später öffnete der Schwarzbeschwingte das Stück Material, das die beiden noch voneinander trennte. Verblüfft starrte er diese faszinierende Frau an. „Wa…“ Sie unterbrach ihn jedoch mit ernstem Blick und klarer Stimme. „Ich werde mit dir kommen. Zeig mir den Weg…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)