Einsame Weihnacht von Ryuno-Ki ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Das nächste Problem ergab sich dadurch, dass er immer noch nicht seine Geldbörse wieder hatte. "Was willst du denn, Kleiner?" Chris musterte den Knaben. Vor ihm stand ein in dreckige Lumpen gekleideter, braunhaariger Junge mit wachsamen Augen. Seine Cordjacke war ihm ein wenig zu groß und seine Jeans war an einigen Stellen bereits durchgescheuert. Er war ganz offensichtlich ein Straßenkind. Chris fragte sich, ob er wohl irgendwo ein verstecktes Messer bereit hielt und ihn wohl im nächsten Moment anspringen und die Kehle aufschlitzen würde, wenn er erführe, dass Chris kein Geld bei sich hatte. Bei diesem Gedanken wich er unwillkürlich ein paar Schritte zurück und richtete sich wieder auf. Auf dem schmuddeligen Gesicht breitete sich wieder ein Grinsen aus: "Was haben Sie denn anzubieten, Mister?" "Ich habe zur Zeit kein Geld bei mir", erwiderte Chris, während er mit der linken Hand sich an den Hinterkopf fasste. Dabei rutschte der Mantelärmel ein wenig runter und die silbrig glänzende Uhr kam zum Vorschein. "Dann nehm ich solange ihre Armbanduhr als Pfand", sagte der Bursche. Chris sah ihn einen Moment verwundert an, blickte dann zu seinem Handgelenk und begann zähneknirschend das Kettenglied zu öffnen. Widerwillig überreichte er die teure Armbanduhr. "Nun halte aber auch deinen Teil ein." Auf einem Mal blitzte ein freches Grinsen auf seinem Gesicht auf. Der Junge trat Chris gegen das Schienbein, wand sich um und floh. Im ersten Moment fasste sich der Erwachsene an's Schienbein und rieb es sich einen Augenblick lang, bis er dann zur Verfolgung ansetzte. Obwohl Chris größer war, sah er den Jungen immer nur kurz, bevor er in eine weitere Gasse verschwand. Das schwindende Licht tat dazu ein Übriges. Doch mit einem Mal verstummten die Schritte des Knaben. Als Chris um die Ecke geschlittert kam, blickte er in eine dreckige schmale Seitenstraße. Hier und da flackerte ein Außenlicht und er bemerkte sogar einige offene Stromleitungen, an denen es gelegentlich blitzte. Auf dem Boden lagen einige alte Zeitungen und Müll; ein paar Container versperrten an manchen Stellen den Weg. Etwas außer Atem betrat er langsam die Gasse, während er sich aufmerksam umsah. Dann entdeckte er den Jungen auf einer kleinen Mauer sitzen. Er warf seine Uhr und fing sie mit einer Hand wieder auf. "Hier steckst du also", sagte Chris grimmig. "Gib mir meine Armbanduhr wieder, du Schuft!" Als der Erwachsene noch einen Schritt auf den Burschen zuging, fing dieser mit einem Mal mit einer schnellen Bewegung den Schmuck in der Luft und schnipste mit der anderen Hand einmal. Erschrocken sah Chris sich um. Aus zahlreichen Verstecken kamen bullige Männer hervor. Einige waren mit Schlägern, andere mit Eisenketten, dritte mit Messern bewaffnet, aber allesamt trugen sie eine Cordjacke und Jeans. Ein Hinterhalt!, fuhr es ihm durch den Kopf. Hastig versuchte er, sich umzudrehen und die Flucht zu ergreifen, doch da rannte er bereits in einen vierschrötigen Mann, auf dessen Schulter ungeduldig ein Knüppel lag. Panik begann in ihm aufzusteigen und Chris wirbelte wieder zu dem Jungen herum. "Was soll das?", forderte er zu wissen, "Was willst du von mir?" Mit einem leichten Ruck sprang der Bursche von der Mauer und näherte sich langsamen Schrittes Chris, seine Uhr wieder auf- und abwerfend. Kurz vor ihm blieb er stehen und winkte ihn mit einem Fnger zu sich 'runter. Da ihm nichts anderes übrig blieb, beugte sich Chris zu ihm. Mit einer schnellen Bewegung schlug ihm der Junge in's Gesicht. Der Erwachsene taumelte zurück und hielt sich die Nase. Sie blutete. "Was willst du von Rosy?", schrie ihn der Bursche an, "Ich weiß, dass du sie als Sarah kennst. Und willst du 'was wissen?" Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: "Sie ist hier. Und sie hat dein Portmonee." Auf eine Handbewegung hin kam Sarah hinter einer Ecke hervor. Sie trug jetzt auch eine Jacke und Jeanshosen. Rosy ging auf den Jungen zu, stellte sich hinter ihm und legte ihre Hände auf seine Schultern. Mit einem leicht schüchternen Lächeln begrüßte sie Chris. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken umher. Was macht sie hier? Was hat Sarah mit diesen Halunken zu tun? Oder heißt sie doch Rosy? Ich glaube nicht, dass sie mir hier 'raushelfen wird. Wie komm' ich nur wieder hier 'raus? Man konnte seine Gedanken quasi aus dem Gesicht ablesen. Furchtsam blickte er sich um.Hier werde ich wohl nicht ohne blaue Flecken wegkommen. "Vergiss es", sagte der Junge. Ruckartig blickte Chris ihn an. "Eine falsche Bewegung und du lernst meine Freunde kennen." Einige ließen darauf ihre Knüppel in der Hand wippen. Der Bursche wandte sich um und kehrte zu der kleinen Mauer zurück, auf die er sich mit einem kleinen Sprung saß. "Was willst du noch von mir?", fragte Chris fast flehend, "Du hast doch schon meine Wertsachen! Mehr besitze ich nicht." Einige Männer fingen hämisch an zu lachen, verstummten jedoch auf einen eisigen Blick des Jungen hin wieder. Wieso scheuen sie diesen Kleinen?, fragte Chris bei sich. Sie sind doch größer und stärker und außerdem in der Überzahl. Woher nimmt er seine Macht über diese Männer? "An deinem Geld sind wir gar nicht interessiert", sagte der Junge. "Dann kannst du es mir ja zurückgeben", bemerkte Chris. Daraufhin bekam er einen Knüppel in die Magengegend. Keuchend brach er zusammen und rang nach Luft. Der Schläger hinter ihm zog seinen Kopf an den Haaren zurück, so dass Chris wieder den Jungen ansehen musste. "Wir sind an deinem Geld nicht interessiert", wiederholte er. Der Knabe wartete darauf, ob er noch einmal eine Bemerkung fallen lassen würde. Als Chris weiterhin schwieg, fuhr er fort: "Dafür hast du etwas anderes, das uns wichtig ist." Was kann das nur sein?, fragte Chris sich, Er war ratlos. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)