Der alltägliche Wahnsinn des Todes von inkheartop (Der Tod hat so seine Tücken [Es geht weiter!]) ================================================================================ Kapitel 1: Tod und der Engel ---------------------------- Der (alltägliche) Wahnsinn des Todes Ein verzweifelter Schrei ließ mich aufblicken. Dabei wollte ich es doch gar nicht sehen, das Leid und den Schmerz, den er zu ertragen hatte. Die Seelenpein, die seinen Körper verstümmeln ließ, in einer Weise, die ich mir nicht vorzustellen wagte. Er schrie wieder. Ein Außenstehender hätte nicht gewusst, wieso er sich auf dem Boden krümmte und immer wieder die zu erleidenden Schmerzen auskeuchte. Aber Außenstehende wussten ohnehin nichts. Gar nichts. Ihnen war meine Welt unbekannt und verdammt. Sie wollten sich nie mehr damit abgeben, als unbedingt notwendig war. Und das war nicht gerade viel. Ich wand meinen Blick wieder ab und stattdessen der Arbeit zu, die er gewagt hatte mit seinen Rufen zu unterbrechen. Es war eigentlich nur ein Blatt Papier. Schwarz wie die Nacht. Daneben lag eine große, schöne Feder, ebenfalls schwarz, allerdings leicht bläulich schimmernd. Die Tinte in dem kleinen Glas vor mir war rot. Blutrot. Ich ergriff die Feder, tauchte sie mit präziser Gewohnheit in die Tinte und setzte schließlich meinen Namen auf das Papier. Die Farbe glühte kurz auf, brannte sich dann leuchtend in die Fasern ein und zurück blieb ein giftig strahlender Schriftzug. Bevor ich mich wieder zu dem Opfer umdrehte, vergewisserte ich mich noch kurz, dass die Folter fürs Erste beendet war. Hinter mir konnte ich nur seinem angestrengten Schnaufen lauschen und so sah ich ihn dann schließlich an. Sein mittellanges, schwarzes Haar klebte ihm im schweißnassen Gesicht, das sich immer noch vor Schmerzen verzog, doch damit konnte ich leben. Leben, ha, welche Ironie dieses Wortspiel doch bot! „Der Vertrag“, sagte ich laut und deutlich, um mich zu vergewissern, dass er auch jedes Wort verstand. Dann beugte ich mich zu ihm hinunter und reichte ihm die schwarze Feder, so wie das schwarze Papier. Mit zitternden Fingern nahm er es entgegen und starrte dann aus außergewöhnlich blauen Augen das Schreibutensil an. Gott, wie erbärmlich! „Jetzt setz endlich deine verdammte Unterschrift unter diesen vermaledeiten Vertrag, dann haben wir es hinter uns!“, knurrte ich gereizt. Das war ja nicht zum Aushalten! „Ich dachte immer…“, murmelte er und sein Blick, der auf mir ruhte, wurde auf einmal beängstigend scharf. „Ich dachte immer, der Tod wäre männlich.“ Zu diesem Thema war ich schon häufiger angesprochen worden. Aber noch nie von einem Opfer. Ich runzelte also die Stirn, verdrehte dann aber genervt die Augen. Diese Typen ließen sich so leicht blenden! „Es heißt ja auch schließlich der Tod, nicht wahr?“ Er lachte leise. Selbst in dieser Situation konnte er noch Witze reißen, dabei hatte er Minuten zuvor noch Höllenqualen erlitten. Naiv. „Der äußere Schein trügt oft. Bringt man euch da oben eigentlich gar nichts mehr bei?“, seufzte ich genervt. Wieder lachte er. „Hab wohl nicht aufgepasst.“ Ich schüttelte mein langes Haar, von dem nicht einmal ich sagen konnte, welche Farbe es hatte. Es war undefinierbar, wie so einiges an mir. „Der Tod ist Neutrum“, meinte ich nur noch, bevor ich ihn mit meiner Stiefelspitze anstieß. „Und jetzt mach endlich!“ Aber er machte noch immer keine Anstalten, endlich seinen bescheuerten Namen unter den Vertrag zu setzen. . „Für Neutrum siehst du aber ziemlich feminin aus“, gluckste er. Dieser Kerl brachte mich noch um meinen, nicht zu verachtenden, Verstand. Und dabei hatte er auch noch Recht! Ich sah, um es mit seinen Worten auszudrücken, feminin aus. Langes Haar bis zur Hüfte, stechend goldene Augen, von langen, schwarzen Wimpern umrahmt. Mein Gesicht ist tatsächlich recht weiblich, doch zum Glück wurde mein Körper seit jeher von einem weiten, schwarzen Mantel umhüllt. Sonst hätte der Mann den Schock seines nicht mehr vorhandenen Lebens bekommen. Da war es fast schade, dass er schon tot war. Ich musste ihn ziemlich eigenartig angesehen haben, denn plötzlich brach er in schallendes Gelächter aus. Was war denn nun schon wieder los? „Ich hab nur gerade gedacht, dass dieser Blick tödlich sein könnte. Verstanden? Tödlich!“, lachte er. Hatte der nicht mehr alle Tassen im Schrank? „Ihr gefallenen Engel werdet auch von Jahrhundert zu Jahrhundert schlimmer“, seufzte ich verdrießlich. Was bildete er sich eigentlich ein, wer und vor allem wo er war? Verdammt, das hier war mein Reich! Das Reich des Todes! Dieser Kerl sollte vor Angst in die Hosen machen und sich nicht einen ablachen! Aber ich musste zugeben, dass Engel schon immer recht gewöhnungsbedürftig gewesen waren. Vor allem diejenigen, die von ihrer tollen Wolke heruntergeschubst worden und ziemlich unsanft bei mir unten angekommen waren. Dass der Typ vor mir ein Gefallener war, brauchte mich also eigentlich nicht zu wundern. Vermutlich hatte er sich beim Aufprall den Kopf gestoßen. „Jetzt ist mir klar, wieso sie dich verbannt haben! Dein Humor ist echt zum Totlachen“, sagte ich. Dummerweise hatte ich nicht auf meine Wortwahl geachtet und schon kicherte der Engel wieder los. Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Noch einmal stieß ich ihn mit meinem Fuß an. Diesmal etwas heftiger, damit er endlich mit diesem dämlichen Gegrinse aufhörte. „Ich mach ja schon, ich mach ja schon“, brummte er unwillig. Dem hatte ich die Suppe jetzt aber kräftig versalzen. Aber über Tod macht man sich nun mal nicht ungestraft lustig! Er nahm das schwarze Papier und setzte sich auf. Der hatte doch jetzt nicht ernsthaft vor, den Vertrag auch noch zu lesen? Also wirklich. Engel! „Jetzt zerbrich dir nicht den Kopf über das, was da steht!“, fuhr ich ihn an. „Der Tod ist das einzig Gerechte auf dieser Welt. Ohne Schlupflöcher und ohne Hinterlistigkeiten. Im Tod sind alle Menschen gleich!“ Ich zitierte meinen Standartspruch so wie immer, wenn sich einer dieser eingebildeten Politiker auf dieser Erde wieder versuchte rauszureden. Ich hab doch gar nichts Schlimmes gemacht! Ich bin noch nicht bereit zum Sterben! Ich war immer ein guter Mensch! Gott, wie ich das hasste! Allerdings hatte ich dabei eine entscheidende Tatsache übersehen: Der verrückte Schnösel vor mir war nun mal kein Mensch, sondern ein Engel. Wenn auch einer, der ziemliche Scheiße gebaut hatte, wenn er jetzt vor mir sitzen musste. Aber eben ein Engel. Dementsprechend seltsam sah er mich dann auch an. „Ja, okay!“, gab ich zu. Diese Flügelträger hatten vielleicht einen Blick drauf! Nervig! „Du bist ein Engel, also lies meinetwegen das Kleingedruckte! Wenn’s dich glücklich macht!“ Er grinste mich unverhohlen an und begann dann zu lesen. Hier sollte ich vielleicht hinzufügen, dass Engel schnell sind. In allem, was sie tun. Auch im Lesen. Und selbst, wenn man vor Tod sitzt. Engel wollen schließlich auch noch ein klitzekleines bisschen Würde bewahren. Und außerdem mussten sie immer alles besser wissen! „Also, hier steht“, fing er dann auch schon an. „Egal, was da steht, es stimmt und etliche vor dir waren schon glücklich damit!“, unterbrach ich ihn unwirsch. Er hob nur eine Augenbraue uns sah mich wieder aus diesen unergründlich blauen Augen an. Vollkommen egal, was ein Engel so anstellt, seine Augen bleiben immer blau. Unschuldig und wissend blau. Das unterschied sie in weiterer Hinsicht von Menschen und von Unterweltlern. Deren Augenfarbe ändert sich im Tod, je nachdem, was sie so verbrochen haben. Blaue Augen hatte ich schon eine Weile nicht mehr, wenn man mal von den tausenden von Kinderseelen absieht, aber das ist noch mal eine Kategorie für sich. „Da steht“, begann er noch einmal und jetzt musste ich mir wohl oder übel einen endlos langen Vortrag über das anhören, was in dem Vertrag unmöglich stimmen konnte. Sagte ich nicht schon, dass Engel besserwisserisch sind? Ich schweifte mit meinen Gedanken ab. Vermutlich reihten sich bei mir schon wieder die toten Seelen. Aller Wahrscheinlichkeit nach Türken, die konnten mit ihren Kriegsspielchen auch nie ein Ende finden. Dazu kamen noch die ganzen Kinder, die irgendwo auf der Welt verhungert waren. Bei denen musste ich immer besondere Vorsicht walten lassen, die waren immer komisch drauf. Kinder eben. Auch, wenn sie zu bemitleiden waren. Irgendwann schnappte ich wieder ein paar Wortfetzen auf, die der besserwisserische Vogel da von sich gab. „… und Tod hat die Pflicht, sich um Gefallener Engel Nr. 19 persönlich zu kümmern und…“ Ja ja, bla bla bla. Und so weiter. Tod hat die Pflicht. Ja, und so… Stopp! Hatte ich irgendetwas verpasst? Ich riss dem Engel den Vertrag aus der Hand und überflog die Zeilen. Tod hat die Pflicht, sich um Gefallener Engel Nr. 19 persönlich zu kümmern und ihn als würdiges Mitglied der Toten Seelsorge, Himmel Erde Hölle GmbH auszubilden. Zudem wurde festgelegt… Ich las nicht weiter. So etwas war mir seit Anbeginn der Menschheit nicht unter die Augen gekommen. Tod aus Ausbilder für einen übergeschnappten gefallenen Vogel, der zudem eine zu große Klappe hatte und einen äußerst makaberen Sinn für Humor. „Jetzt brauch ich erst mal nen Schnaps!“, stöhnte ich und ließ mich auf einen Stuhl fallen, der aus dem Nichts erschienen – und ziemlich unbequem – war und füllte ein gerade erst materialisiertes Glas mit einer klaren Flüssigkeit aus einer Flasche, die plötzlich erschienen war. In einem Zug war das Zeug auch schon weg und ich atmete befreit auf. Der Engel sah mich komisch an. „So langsam glaube ich wirklich, dass du Neutrum bist!“, murmelte er. „Nur n Kerl säuft während des Jobs!“ Ich verdrehte die Augen, der hatte auch von nichts eine Ahnung! „Wenn dein Job ewig anhält, kannst du nur währenddessen trinken!“, klärte ich ihn auf. „Dann war das wohl n ganz schöner Schock für dich, was?“, fragte er mitleidig. „Krieg ja nicht jeden Tag einen Azubi vorgesetzt“, knurre ich. Natürlich war das ein Schock! Und dann hat dieser Flügelfutzi doch ernsthaft den Nerv gehabt, mich anzugrinsen. Misstrauisch sah ich ihn an. „Was guckst du so komisch?“ „Du hattest dir den Vertrag vorher echt nicht durchgelesen, oder?“ Nein, hatte ich nicht, aber das würde ich dir garantiert nicht auf die Nase binden. Die trägst du sowieso schon viel zu hoch. „Tse“, machte ich deshalb nur und sah demonstrativ in eine andere Richtung. Als er aber wieder anfing zu glucken, funkelte ich ihn doch noch mal direkt an. „Ich hatte seit hunderten von Jahren keinen Engel mehr hier unten! Und der letzte ist einfach zu Luzifer nach unten abgedampft! Wenn ich das noch so genau weiß, denkst du, da mach ich mir die Mühe und lese diesen blöden Vertrag noch mal durch?!“, schnauzte ich ihn an. So, wie er mich ansah, dachte er anscheinend wirklich, dass ich das getan hätte. „Na ja, jetzt ist es sowieso zu spät“, murmelte ich. „Ich hab ja schon unterschrieben!“ „Und jetzt?“ „Wie ‚Und jetzt’?“ „Was passiert, wenn ich auch unterschreibe?“ „Ich schätze mal, du musst erstmal diese komischen Federdinger auf deinem Rücken loswerden“, erklärte ich stirnrunzelnd und betrachtete die zerzausten, schwarzen Flügel. Sahen irgendwie seltsam geknickt aus. „Sind ja anscheinend sowieso nicht mehr zu gebrauchen. Vermutlich gebrochen, so wie du geschrieen hast, als du hier runter gefallen bist.“ Er warf einen kurzen Blick auf seinen Rücken und seufzte. „Vermutlich hast du Recht.“ Natürlich hatte ich Recht! Ich war Tod, verdammt noch mal! „Und wenn du die Flügel los bist, fangen wir mit deiner Ausbildung an“, gab ich ihm zu verstehen. „Kinderbetreuung, Begleitung ins Licht zum Himmel, Verkündigung der Strafen, und so weiter.“ Er bekam große Augen, bei meiner Aufzählung. „Du hast aber ganz schön zu tun!“ Hörte ich da Bewunderung in seiner Stimme? „Tja, es ist gar nicht so einfach, Tod zu sein“, meinte ich, nicht ohne Stolz. „Dann wäre es gar nicht so schlecht, wenn ich dir helfe, was?“, grinste er. Ich zuckte mit den Schultern. „Vermutlich nicht“, dachte ich laut nach. Ja, vermutlich wäre es gar nicht so schlecht. Ehe ich mich versah, tauchte er die Feder in die blutrote Tinte. „Na, dann wollen wir mal!“, rief er und setzte schwungvoll seine Unterschrift auf das schwarze Papier. Im gleichen Moment, als die Schrift erglühte, fielen auch schon seine schwarzen Flügel ab und zurück blieb nur noch ein Haufen Federn. Stattdessen legte sich noch ein Mantel um seine Schultern, ähnlich dem meinen, aber doch nicht ganz so eindrucksvoll. „Dann mal los!“, rief er enthusiastisch und sprang leichtfüßig auf. „Ich hab dich doch sicher schon lange genug aufgehalten!“ Seufzend nickte ich. Hatte er ja wirklich. „Komm mal mit!“, wies ich ihn an und er folgte mir zu einer großen, dunklen Tür. Dahinter warteten etliche Seelen, die ins Jenseits begleitet werden wollten. Bevor ich die Tür allerdings öffnete, wollte ich noch etwas von ihm wissen. „Was hast du eigentlich verbrochen, dass du zu mir gekommen bist?“, fragte ich meinen neuen Lehrling. Er grinste wieder – daran würde ich mich erst gewöhnen müssen. „Alkohol im Dienst“, sagte er und lachte. Ich seufzte auf. Gott, was hast du mir da eingebrockt? Kapitel 2: Tod ganz weit unten ------------------------------ Der (alltägliche) Wahnsinn des Todes II Es war dunkel. Scheiße, war das dunkel. So dunkel hatte ich das gar nicht in Erinnerung gehabt. Kein Wunder, ich war schon lange nicht mehr hier gewesen. So um die dreihundert, vierhundert Jahre? Vielleicht mehr. Ziemlich lange auf jeden Fall. Trotzdem. Dunkel blieb dunkel und hier war es nicht mal nur dunkel. Es war auch noch verdammt kalt. Glaubte man gar nicht von diesem Ort. Glaubte man wirklich nicht. „Nur noch mal zum Mitschreiben“, durchbrach eine Stimme die Dunkelheit. Das zugehörige Gesicht konnte ich mir nur zu gut vorstellen. Sah es ja eigentlich den ganzen Tag, die ganze Nacht. Das ganze Leben… oder wie immer man das nennen mochte. Und, ganz ehrlich, ich war sehr froh darüber, dass ich dieses gottverdammte (und das meine ich wortwörtlich!) Gesicht mal für eine kurze Weile nicht sehen musste. Schade, dass ich die Stimme immer noch hören konnte Wirklich schade. „Warum sind wir noch mal hier?“ Ich unterdrückte ein tiefes, sehr tiefes Seufzen. Ich hatte es ihm doch wirklich oft genug erklärt. Wirklich oft. Und er kapierte es immer noch nicht. Dabei sollte man doch denken, dass so ein Engel ein besseres Gedächtnis hat. Na gut. Ex-Engel. „Weil“, sagte ich und bemühte mich, den genervten Ton möglichst offensichtlich darzustellen. „Weil das hier zum Job gehört. Unumgänglich. Glaubst du ehemaliges Federvieh etwa, ich bin gerne hier?“ Dem Grinsen nach zu urteilen, das ich sogar durch die Finsternis sah – und es war wirklich verdammt finster –, glaubte er das wirklich. Frechheit. Ich knurrte etwas Unverständliches, was er wohl nur als „Federvieh“ auffassen konnte. Mein Name für ihn. Passte aber auch einfach zu perfekt. Obwohl… gerupftes Federvieh würde vermutlich noch besser passen. Wäre allerdings zu lang für eine ordentliche, eindrucksvolle Beleidigung. Und ich musste immer eindrucksvoll sein, immerhin bin ich Tod. Leibhaftig. „Und was machen wir genau hier?“ Warum war eigentlich ausgerechnet ich mit dieser Nervensäge gestraft? Warum war ausgerechnet er mein erster – und hundertprozentig auch letzter – Azubi? Es gab doch noch so viel mehr gefallene Engel… Gut, die gab es nicht, aber es gab sicherlich ein paar bessere. Aber nein, die bekam natürlich mal wieder Luzifer, der alte Feuerschnösel. Konnte den noch nie leiden. „Wir müssen jemanden abholen, der versehentlich hier gelandet ist“, seufzte ich, bestimmt zum tausendsten Mal. Ich weiß es nicht genau. Bei siebenhundertfünfunddreißig hatte ich aufgehört zu zählen. Tatsächlich geschah in letzter Zeit ziemlich viel versehentlich. Erst dieser idiotische Vorfall mit dieser geflügelten Landplage (das konnte nur versehentlich gewesen sein. Wer sollte denn Tod so etwas zumuten wollen?), dann dieser eigenartige Vorfall mit Zerberus (dieser sabbernde Riesenköter hätte mich fast zerfleischt. Mich!) und als wäre das nicht genug, kam plötzlich so eine Touristengruppe vom Olymp, bestehend aus den schlimmsten, aufdringlichsten, unsterblichsten Halbgötterfritzen, die mir je untergekommen waren, in mein Büro marschiert, weil sie ihren Führer verloren und sich verlaufen hatten. Irgendwann würde ich die da oben verklagen. „Wie kann jemand versehentlich hier landen?“, hakte er weiter nach. Seltsamerweise klang seine Stimme auf einmal leiser. „Fehler in der Datenübertragung zwischen hier und dort, vielleicht ist der Hauptrechner abgestürzt, der ist ja sowieso schon uralt, oder vielleicht hat sich ein Bote verlaufen“, knurrte ich und es war klar, worauf ich anspielte. Er lachte unverschämterweise. „Du hättest mal dein Gesicht sehen müssen! Zum Sterben!“ Nach all der unendlichen Zeit bei mir (hier ist Zeit nun mal unendlich, weil sie eben nie endet) hatte er seinen Hang zu geschmacklosen Witzen immer noch nicht ablegen können. Sehr zu meinem Leidwesen. „Ich meine… du sahst einfach zu gut aus, als Herakles die Türklinke zum Bad abgerissen hat. Oder als… AAAAAAAAAHHHHHHHHHHHH!!!!!!!“ Ich zuckte zusammen, der Schrei ging mir durch Mark und Bein. In so einem Moment musste selbst ich mir Sorgen machen, immerhin war das hier kein besonders ungefährlicher Ort. Und das Federvieh schrie eigentlich nicht ohne Grund auf – zumindest nicht, seit er versucht hatte, mich zu erschrecken. Ha! Als würde das jemand schaffen können. Schließlich bin ich Tod! „Was hast du jetzt schon wieder angestellt, Nervensäge?“, murmelte ich in mich hinein und tastete mich langsam vor. Vermutlich war er irgendwo reingefallen, bei der verdammten Finsternis hier schließlich auch kein Wunder. Dann hatte ich mich also nicht getäuscht, als ich gedacht hatte, seine Stimme würde leiser werden. Idiot. Ich hatte ihm vorher extra noch gesagt, er solle in meiner Nähe bleiben. „Hey?“, rief ich, allerdings ohne Hoffnung auf Antwort. Aber ich musste zumindest so tun, als würde ich mir Sorgen machen. Verdammte Verantwortung. Von tausend Seiten kam mir auf einmal ein „Hey?“ entgegen. Gut, das war gruselig. Aber, wie gesagt, Tod lässt sich nicht so leicht erschrecken. „Nicht witzig!“, fauchte ich. „Nicht witzig!“ „Nicht witzig!“ „Nicht witzig?“ „Nicht witzig!“ „Nicht witzig?“ „Nicht witzig!“ Okay, das fand ich noch viel weniger witzig. Gewöhnliches Echo, schön und gut, aber bei der Variation in der Aussprache konnte ich nur zu einem Schluss kommen: Da waren mehrere. „Wer ist da?“, rief ich in die Dunkelheit und hätte mich im gleichen Augenblick ohrfeigen können. Schön blöd… „Wer ist da?“ „Wer ist da?“ „Wer ist da?“ „Wer ist…“ „Aufhören!“, knurrte ich in die Dunkelheit. Sofort verstummten die Stimmen. „Hier ist Tod!“ „Tod?“ „Tod!“ „Oh.“ Dieser neuerliche Ton machte mich stutzig. Dann Schritte. Ich konnte nicht sagen, aus welcher Richtung sie kamen, aber auf jeden Fall kamen sie näher. War das jetzt gut oder schlecht? „Hey, Tod, alter Kumpel!“ Schlecht, eindeutig schlecht. Ich kannte diese Stimme, dieses heuchlerische Lachen. „Was treibt dich den hierher?“, fragte die Stimme, dessen Besitzer ich immer noch nicht sehen konnte. „Der Job“, knurrte ich, hoffend, dass er mich aufgrund des bissigen Untertons in Ruhe ließ. Aber er war noch nie besonders helle gewesen. „Ist ziemlich dunkel hier“, meinte er auch, zwar völlig zusammenhanglos, aber ausnahmsweise musste ich ihm Recht geben. „Kann mal jemand das Licht anmachen?“, brüllte er plötzlich und ließ mich zusammenzucken. Der glaubte doch nicht wirklich, dass das… Ich blinzelte in das helle Licht, das eine nackte Glühbirne verbreitete, die nur wenige Meter von mir entfernt von der Decke hing. „Hey, Tod, alter Kumpel!“, wiederholte er noch einmal, kam mit großen Schritten auf mich zu und schon fand ich mich in einer festen Umarmung wieder und musste erst einmal nach Luft schnappen, als er mich wieder losließ. „Lange nicht mehr gesehen, was?“, grinste er mich breit an. „Und dann ausgerechnet hier.“ Er lachte dröhnend auf „Wirklich schade“, murmelte ich sarkastisch und fragte mich ernsthaft, ob es jetzt noch schlimmer werden konnte. Die Reisetruppe, der Zerberus, das Federvieh… Oh, den hatte ich fast vergessen. Obwohl ich nicht glaube, dass das sonderlich schlimm gewesen wäre. Sterben konnte er schließlich nicht mehr… hahaha… „Was treibste denn hier?“, fragte er mich, als ich nichts mehr sagte. „Ist doch nicht dein Aufgabenbereich.“ Ich grinste schwach. Er war wirklich genauso schlimm, wie mein Azubi. Hoffentlich trafen die niemals aufeinander, das wollte ich der Welt (und mir natürlich) ersparen. „Jemand ist hier gelandet, aber fälschlich“, meinte ich knapp und hoffte, dass er mir schnell weiterhelfen konnte. „Ach, du meinst sicher dieses junge Gör…“ Plötzlich klang er komisch verstimmt. „Kleine Hexe ist das, ne kleine Hexe…“ Ich hob nur eine Augenbraue. War das jetzt sarkastisch oder ernsthaft gemeint? Im Mittelalter kamen die doch immer wieder vor. Und in der Neuzeit seit Kurzem auch, aber das waren Stümper. „Verwöhntes Balg“, knurrte er. „Hat einen ganz schönen Radau gemacht, als se hier gelandet is.“ Ich bezweifelte, dass es sich um eine echte Hexe handelte, sonst redete er nicht so. Und darum war ich also hier? Um jemanden dorthin zu bugsieren, der es vermutlich noch nicht mal verdient hatte? Manchmal hasste ich meinen Job. In letzter Zeit immer häufiger. „Wo ist sie?“, fragte ich seufzend. Lieber das Ganze schnell hinter mich bringen, lautete meine Devise. „Da unten.“ Sein Finger zeigte auf ein Loch. Ein Loch, nur wenige Meter von mir entfernt. Ich ahnte schreckliches… „Ähm… ist da kürzlich jemand reingefallen?“, fragte ich und betete. Ja, ausgerechnet ich betete, aber das waren besondere Umstände. „In den letzten hundert Jahren?“ „In den letzten zehn Minuten?“ Und da lachte er wieder grölend. Ich hasste es, wenn sich meine Vorahnungen bestätigten. Da betete man schon mal und dann… „Der lustige Wicht gehört also zu dir?“ Er ging zu dem Loch hinüber und steckte den Kopf hinein. „Hey, Kleiner!“, hörte ich ihn gedämpft brüllen. „Dein Boss ist da!“ Dann grinste er mich wieder an. „Und bring SIE gleich mit!“, schrie er noch mal in die Tiefe. Kurz darauf streckte das Federvieh seinen altbekannten Kopf ins Freie und blinzelte erst einmal, wegen dem grellen Licht. Dann strahlte er mich an. „Ich hab sie!“ Und er kletterte aus dem Loch, zog jemanden hinter sich her. „Auftrag ausgeführt!“ Ausnahmsweise hatte er mal was richtig gemacht, na gut. „Wer oder was bist du denn?“, fragte plötzlich eine abschätzige Stimme. Das Balg mit den blonden Locken, das sich noch immer an die Hand des Federviehs klammerte, schaute mich an, als wäre ich ein Kaugummi unter ihren Lackschuhen. Bitte? Niemand redete so mit Tod! „Wer bist du?“, fragte ich zurück, versuchte mir den Ärger über diese Respektlosigkeit nicht ansehen zu lassen. „Ich bin tot“, stellte das freche Gör fest. „Und ich will in den Himmel!“ Gott, die willst du wirklich? „Sei still, du…“, knurrte er und ich musste ihm wieder Recht geben. Dass das bloß nicht zur Gewohnheit wurde. Das Balg streckte ihm die Zunge entgegen und zog dann am Arm des Azubis. „Ich will weg! Ich will in den Himmel! Ich will…“ Ich stöhnte auf. So ein verwöhntes Gör und ausgerechnet ich hatte es auf dem Hals. War ich nicht schon genug gestraft worden? Er grinste mich wissend an und ich beeilte mich, meine Stimme wieder zu finden. „Dann gehen wir jetzt“, sagte ich tonlos. Das Gör jubelte und riss dem Federvieh beinahe den Arm aus. Selber Schuld, wenn er sich mit dieser kleinen Nervensäge anfreundete. „Na dann, Tod, alter Kumpel“, wollte er sich verabschieden, da kreischte das Gör auf. „TOOOOD? Du bist TOOOOD?“ „Jaaa“, knurrte ich gereizt. „Und das da ist Luzifer.“ Ich deutete auf ihn. Sie sah mich nur verständnislos an. „Asrael?“, versuchte ich es weiter. „Beelzebub? Mephistopheles?“ Immer noch keine Reaktion. „Der Teufel, verdammt! Er ist der Teufel!“ Jetzt machte sie große Augen. „Echt? Wo sind denn die Hörner? Und du bist doch eigentlich rot!“ „Vorurteile“, winkte Luzifer ab. „Alles Vorurteile.“ Ich fand es nicht fair. Als Tod wurde man angeschrieen und als Teufel kam nicht einmal ein ängstlicher Pieps. Ich wusste doch, dass ich den falschen Berufszweig gewählt hatte. „Federvieh, wir gehen!“, knurrte ich und zerrte ihn, mitsamt Anhang, zu mir. Der Engel grinste mich an. „Ist sie nicht süß?“ Ich funkelte zurück. Was konnte man an der schon süß finden? „Solange ich mich nicht um sie kümmern muss“, murrte ich kurz angebunden. Nur nicht zu lange hier bleiben. Ich erwähnte ja schon, dass ich diesen Ort nicht mochte. Gott, was hast du mir da eingebrockt? Kapitel 3: Tod macht nicht lebendig ----------------------------------- Der (alltägliche) Wahnsinn des Todes III Zwei Augen starrten mich an. In ihrem Blick lag etwas Bedrohliches, Beängstigendes. Und doch sah das Funkeln leblos und leer aus. Schnell wollte ich den Blick abwenden, doch es funktionierte nicht. Ganz und gar nicht. Je mehr ich es versuchte, desto mehr schienen meine Augen von diesen anderen Augen angezogen zu werden. Als wären es Magnete. Ich konnte mich nicht davon lösen, konnte es nicht. Die undefinierbare Augenfarbe machte mich nervös, viel zu nervös. Und das Nervössein machte mich noch nervöser, denn eigentlich bin ich nie nervös. „Äh… hör auf mich so anzustarren!“, fuhr ich meinen Gegenüber an, so überzeugend wie irgend möglich. Dummerweise beeindruckte ihn das nicht im Geringsten. „Ich bin Tod!“, versuchte ich es ein weiteres Mal. Wieder erfolglos. Das böse Funkeln wurde nur bedrohlicher, ein Wunder, dass es überhaupt noch eine Steigerung gab. Herr Gott, eigentlich sollte er doch vor mir Angst haben. Warum war hier also das Gegenteil der Fall? Mein Blick huschte über die Gestalt. Vermutlich lag das an den Waffen an seiner Hüfte. Schwerter. Und gleich so viele auf einem Haufen. Ich zählte eins… zwei… „Glotz nich so auf meine Schwerter!“ Das Knurren ließ mich zusammenfahren. Mich! „Ich glotz nicht!“, beteuerte ich schnell, in der Hoffnung, er würde mir das Abkaufen. „Tust du wohl!“, murrte er mich finster an. „Tu ich ni-…“ Was tat ich eigentlich hier? Immerhin war das hier mein Reich und ich musste mich doch wohl in meinen eigenen Hallen nicht vor so einem Grünschnabel rechtfertigen. Obwohl… Grünschnabel war wohl der falsche Ausdruck… Ich atmete tief durch. Jetzt bloß nicht die Beherrschung verlieren, bei so einem Typen war das wahrscheinlich nicht gut. Der sah ja schon auf zweihundert Meter Entfernung gefährlich aus. Andererseits konnte ich ihn natürlich überhaupt nicht einschätzen. So einen Typen hatte ich bisher noch nie. „Also, noch mal“, seufzte ich. „Ich bin Tod.“ „Das haste schon mal gesagt, du Toter.“ Ich rollte mit den Augen, diesen Reflex konnte ich einfach nicht unterdrücken. „Nein, nein! Ich bin nicht tot, ich bin Tod!“ „Und wo liegt jetzt da der Unterschied?“ Zur Hölle (uh, den Ausdruck sollte ich nicht so oft benutzen), war der denn wirklich so schwer von Begriff? „Ich bin Tod!“, wiederholte ich genervt. „Der, die, das Tod! Der, die, das Tod in Person! Verstanden?“ Er sah mich stirnrunzelnd an, schien zu überlegen. Dieser Blick wieder, uah, dieser Blick. Der konnte echt Stein zum Schmelzen bringen. „Und was willst du dann hier?“ Ähm… hallo? Was sollte ich bitte schön hier wollen, das hier war immerhin mein Reich. Das Reich des Todes, das Todesreich… Was also sollte wohl ICH hier wollen? „Ich lebe… äh… wohne hier!“, entgegnete ich und er blickte mich wieder finster an, seine Hand lag immer noch beunruhigend fest auf den Schwertern. „Was willst du hier?“, fragte er wieder. Ich sank in einen Sessel. Hilfe! „Ich bin Tod!“, stöhnte ich, nun war es mit vollkommen egal, wie viele Schwerter der Kerl hatte. „Das hier ist mein Totenreich! Und…“ „Totenreich?“, unterbrach er mich. Und dann wandte er zum ersten Mal den Blick ab. Es wäre eine Erleichterung gewesen, aber… er SAH SICH UM?! Hatte der Kerl vorher noch gar nicht geschnallt, wo er eigentlich war? „Ich bin tot?“ Wow, was für ein Blitzmerker. „Bist du“, seufzte ich und ließ ein Glas erscheinen, das sich wie von selbst mit einer honigbraunen Flüssigkeit füllte. Ich brauchte jetzt erstmal einen kräftigen Schluck… „Ich kann nicht tot sein!“ Einer von den Ungläubigen also auch noch. Warum überraschte mich das jetzt nicht? „Bist du aber.“ „Bin ich nicht!“ „Doch.“ „Nein!“ „Doch!“ „Nein!“ Ich gab es auf, diese ‚Diskussion’ machte doch keinen Sinn. Resignierend schloss ich die Augen. „Du bist tot, mein herzliches Beileid“, meinte ich trocken. „Warum wärst du sonst hier?“ Plötzlich zischte es leise und dann spürte ich eine kalte, feste Spitze an meinem Hals. O-oh. Nicht gut. Aber einen Trumpf hatte ich noch im Ärmel, der hatte bis jetzt bei noch jedem funktioniert, der so weit gegangen war, Tod zu bedrohen. „Also, ich will dich ja nicht ärgern“, meinte ich betont gelassen. „Aber ist es nicht ein bisschen seltsam, Tod umbringen zu wollen?“ „Nein.“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Tja. Hatte ich schon erwähnt, dass bis jetzt noch niemand so weit gegangen war, Tod zu bedrohen? Jetzt bekam ich es doch so langsam mit der Angst zu tun. So richtig. Ich bekam schließlich nicht jeden Tag eine Schwertspitze in die Halsschlagader gedrückt. „Mach mich wieder lebendig!“ „Das geht nicht. Laut Paragraph 15 der Todesgesetzvorschriften für Angestellte Tode ist man tot, wenn man…“ „Egal.“ Ich stockte. Diesen Satz hatte ich aus reinem Reflex gesagt. So viele hatten schon wiederbelebt werden wollen. Seine Antwort war mir allerdings neu. Ich bekam immer mehr Respekt vor dem Kerl. Nicht gut. Ich hatte vor niemandem Respekt, schließlich war die normale Rangordnung anders herum. „Nee, du, das geht wirklich nicht!“, sagte ich eindringlich. „Ich hab aber noch was zu erledigen.“ Ich rollte wieder mit den Augen. Na und? Das interessierte hier oben ja wohl so was von überhaupt niemand! Die Schwertspitze drückte sich tiefer in meine Haut, scheußliches Gefühl. „Ich hab ein Versprechen gegeben!“, fuhr er mich an. „Der Tod ist hierbei keine Entschuldigung! Ich muss mein Ziel erreichen, sonst habe ich nicht nur mein Versprechen gebrochen, sondern bin auch noch aus der Mannschaft raus.“ Mannschaft? Äh… sorry, Freundchen, aber du bist tot, ist schnurzpiepegal, ob du jetzt in dieser Mannschaft bleibst oder nicht. Ich war nah dran, das auch laut auszusprechen, doch plötzlich flog mit einem Knall die Tür auf. Oh nein! Das war der denkbar ungünstigste Moment, den er erwischen konnte. Der Schwertheini reagierte blitzschnell, ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie dem Federvieh plötzlich die Einkaufstüten aus dem Armen fielen und auch ihm ein Schwert vor der Nase hing. „Äh…“, machte der Engel nur, und sah mich an. Ich konnte deutlich erkennen, wie er versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. Wenn ich hier erst wieder raus gekommen war, würde der was erleben… Dann fiel sein Blick auf den Schwertheini, der mit ausgestreckten Armen und Schwertern zwischen uns stand. „AAHH!“ Ich zuckte zusammen, das tat ich viel zu oft in letzter Zeit. Das gerupfte Huhn hatte aber auch ein Stimmorgan… „Wie cool ist das denn!“, rief er und für seine momentane Situation klang er viel zu freudig, richtig aufgeregt. „Dich kenn ich!“ „Hä?“, entwich es zwei Stimmen gleichzeitig. Woher sollte DER denn bitte schön DEN kennen? Aus einem seiner Erdencomics? „Du bist ja echt echt!“, grinste der Engel. Und damit schien er selbst den Typen zu verunsichern. „Natürlich bin ich echt.“ Der Engel grinste noch breiter. „Ja nee, is klar.“ Ich hasste seine Ausdrucksweise. Selbst in dieser Situation hätte ich ihm am liebsten die Worte im Hals umgedreht. Das wäre aber gegen den Vertrag gewesen. Mist, wann lief der eigentlich ab? Weil der nicht tot sein wollende Tote scheinbar abgelenkt war, schob ich das Schwert von meinem Hals weg und stand auf. Die Schwerspitze folgte mir. Hey, das war unfair! Der Kerl sah mich nicht mal an! „Woher kennst du ihn?“, fragte ich den Engel. „Oder besser: Woher glaubst du ihn zu kennen?“ Der Engel zuckte mit den Schultern, noch immer dieses unverwüstliche Grinsen auf dem Gesicht. „Japanischer Comic.“ Nee jetzt? „Ein Comic?“ „Na ja, eigentlich ein Manga, aber ich dachte, damit kannst du nicht so viel anfangen.“ Nicht mal die Frechheit war ihm beim Anblick der Schwerter abhanden gekommen. „Ein Comic?“, mischte sich der Kerl zwischen und plötzlich ein. „Ich bin keine Comicfigur! Ich bin…“ „Ich weiß, wer du bist!“, grinste der Engel. „Ewig cool, dass ich dich auch mal hier treffe. Obwohl…“ Plötzlich stockte er. „Oh, mein Gott!“ Ich warf einen Blick zur Decke, hoffentlich hatte der dort es nicht gehört. Der Engel sah mit einem Mal ziemlich geschockt aus. Wow, hatte der ne lange Leitung. „Du bist tot?“ Dazu sagte und dachte ich mir jetzt mal nichts. Zu viel Aufregung ist nicht gut für meinen Blutdruck. „Bin ich nicht!“, knurrte der Typ. „Aber du bist hier!“, wandte der Engel besorgt ein. Ja! Echt besorgt. „Du kannst aber nicht tot sein! Das ist vollkommen unmöglich! Immerhin bist du…“ „Er ist eine Comicfigur“, unterbrach ich ihn, doch der Engel schüttelte wild den Kopf. Er wurde auch immer kindischer. „Er ist DIE Mangafigur aus DEM Manga überhaupt! Der legitime Nachfolger von „Dragonball“, Band 25 war der meist verkaufte Manga in ganz Japan, das meistverkaufteste Buch nach „Harry Potter“! Und… und… wenn er tot ist, kann er doch sein Versprechen nicht erfüllen! Und er kann nicht mehr in der Mannschaft bleiben! Du musst ihn wieder lebendig machen!“ Jetzt fing der auch noch damit an. Mal ganz abgesehen davon, dass ich gerade mal die Hälfte von der verstanden habe, was er gerade gesagt hat… ES GEHT NICHT! „Er hat Recht“, sagte der Schwertfutzi plötzlich. „Ich hab zwar nur die Hälfte von dem verstanden, was er gesagt hat, aber er hat Recht.“ „Zwei gegen einen!“, grinste der Engel. „Du bist überstimmt.“ Seit wann konnte bei mir denn abgestimmt werden? „Aber ich bin keine Comicfigur!“, fügte der Schwertkämpfer noch hinzu. „Ich bin real, ich werde der beste Schwertkämpfer der Welt und das geht nur, wenn ich lebe!“ Gott, was hast du mir da wieder eingebrockt. Warum bekam immer ich die Problemfälle, konnte die nicht mal ein anderer Tod lösen? Die dort oben beschwerten die sich doch immer über die hohe Arbeitslosigkeit, hier wären noch ein paar Stellen frei. „Ich muss Leben kontaktieren“, murmelte ich nachgebend. Ich hasste es, diese Frau (na ja, eigentlich war sie ja auch ein Neutrum) um Hilfe bitten zu müssen. Ich hasste sie. Was aber zum Glück auf Gegenseitigkeit beruhte, etwas anderes wäre auch… brrrr… „Okay“, grummelte ich und versuchte, den Freudensingsang (‚Ode an die Freude’, so einfallslos!) des Engels zu ignorieren. Selbst dem Schwertkämpfer schien das Katzengejammer auf den Senkel zu gehen. „Der singt ja schlimmer als Ruffy!“ hörte ich im Hintergrund. Da fiel mir etwas ein. „Hey! Spinatkopf!“, rief ich über die Schulter, als ich die Nummer von Leben suchte. „Ich brauch deinen Namen, sonst wird’s nix mit Wiederbelebung.“ Der Kerl murmelte was von „Wie der Suppenlöffel“ und sagte dann laut: „Lorenor Zorro. Willste auch noch mein Kopfgeld wissen?“ Kopfgeld? Scheiße, hatte ich mich verhört? Gott, was hast du mir da eingebrockt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)