Brüder von Mono-chan (das letzte Kapitel ist da) ================================================================================ Kapitel 14: Recherchen ---------------------- Es war mittlerweile halb fünf. Tsubasa hatte vom Training nicht viel mitbekommen, genau genommen hatte er sich früher verabschiedet mit der Ausrede, auf Daichi aufpassen zu müssen. Besonders gut gelaufen war es ohnehin nicht, er war ständig damit beschäftigt gewesen, den Spielfeldrand abzusuchen. Weder Sanae noch Yukari waren wie verabredet um 15 Uhr aufgetaucht. In einer kurzen Spielpause hatte er mehrmals versucht, sie auf dem Handy zu erreichen, aber es war ausgeschaltet und die Nummer von Yukari hatte er nicht. Gegen Viertel nach vier hatte er das Spielen schließlich aufgegeben und war gegangen. So hatte es eh keinen Sinn.... Zu seiner Überraschung hatten alle die Ausrede geglaubt – fast alle, wie er in diesem Moment feststellen musste. „Tsubasa! Warte!“ Taro beeilte sich aufzuholen. „Was machst du denn hier, ich dachte das Training läuft noch.“, meinte Tsubasa abwesend, während er bereits wieder Sanaes Nummer wählte. „Das war für dich ja auch kein Hindernis, früher zu gehen, oder?“ Taro legte leicht den Kopf schräg. „Willst du mir nicht endlich sagen, was mit dir los ist?“ „Was sollte los sein? Ich muss nach Hause, das hab ich doch vorhin schon gesagt!“ „Und warum läufst du dann Richtung Innenstadt? Komm schon, Tsubasa, ich seh doch das was nicht stimmt. Du hast noch schlechter gespielt als heute morgen, und ich hab gesehen, wie oft du versucht hast, Sanae zu erreichen. Warum bist du so nervös?“ Tsubasa schwieg. Unter normalen Umständen wäre er wahrscheinlich nicht so unruhig gewesen, nur weil Sanae nicht wie verabredet auftauchte, obwohl das nicht wirklich zu ihr passte. Aber der rote Opel, den er wieder vor seinem Haus hatte stehen sehen, und der weiße Brief, den er wieder im Briefkasten gefunden hatte, verstärkten das ungute Gefühl enorm. Er wußte nicht, was in dem Brief stand, er hatte ihn ungeöffnet in die Tasche gesteckt, aber allein das Wissen, das er da war, genügte vollkommen. „Tsubasa?“ Für ein paar Sekunden hatte er Taros Anwesenheit völlig vergessen. Eine freundliche Frauenstimme verkündete, dass er die Mailbox von Sanae Nakazawa angewählt hatte und bei Bedarf gerne eine Nachricht hinterlassen könne.... Er seufzte und legte auf, bevor er Taro anblickte. „Tut mir leid – ich erklär dir alles später. Du hast nicht zufällig Yukaris Handy-Nummer, oder?“ „Äh...“ Taro blickte ihn irritiert an. „Doch, die hab ich, wieso?“ „Weil sie mit Sanae unterwegs sein könnte.... Bitte, ich erklär dir wirklich alles später, aber erst muss ich wissen, wo sie ist!“ Taro musterte ihn ein paar Sekunden nachdenklich, dann suchte er sein Handy aus der Tasche, suchte die entsprechende Nummer und hielt ihm das Telefon hin. „Nimm am besten gleich meins, ich hab dasselbe Netz wie sie, dürfte billiger sein.“ „Danke.“ Der Freiruf ertönte, und wenige Sekunden später wurde endlich abgenommen. Tsubasas Erleichterung hielt jedoch nicht lange an, als Yukari ihm eröffnete, dass Sanae nicht mehr bei ihr war. „Wir haben uns vor ungefähr 15 Minuten getrennt, wir waren in der Bibliothek, und...“ „In der Bibliothek?! Was wolltet ihr denn da?“ Yukari schien zu zögern. „Na ja, wir......das soll dir Sanae selber sagen, denke ich.“ Tsubasa verstand überhaupt nichts mehr. „Und wo ist sie jetzt?“ „Sie wollte noch in der Bibliothek bleiben und was nachschauen. Tut mir leid, dass wir dir nicht Bescheid gesagt haben, aber Sanaes Akku war leer, und wir hatten dann verabredet, dass ich mich bei dir melde, und dann habe ich gemerkt, dass ich deine Nummer nicht habe....ich wollte gerade Taro anrufen, damit er es dann an dich weiterleitet....“ Als Tsubasa das Gespräch kurz darauf beendete, fühlte er sich nur zum Teil erleichtert. Was hatte Sanae in der Bibliothek zu suchen?? Er gab Taro das Handy zurück und setzte seinen Weg fort. „Zur Bibliothek, nehme ich an?“ Tsubasa nickte, und Taro seufzte, während er ihm wieder folgte. „So hab ich dich noch nie erlebt! Was ist denn los, verdammt noch mal?“ „Ich erklär dir alles später....“ „Ja, das hoffe ich auch!“, brummelte Taro missmutig. „Sonst musst du mir das Gespräch bezahlen, klar?“ *** Es war nicht weit zur Bibliothek, aber für Tsubasa wurde der Weg zu einer Ewigkeit. Taro hatte es aufgegeben, ihm Fragen zu stellen, aber genauso beharrlich ließ er sich auch nicht abschütteln. Tsubasa wußte nicht, ob er darüber erleichtert sein sollte. Sie legten den Weg schweigend zurück, und erst, als das Bibliotheksgebäude in Sicht kam, griff Taro den Gesprächsfaden wieder auf. „Willst du reingehen und sie suchen?“ „Falls sie nicht gerade draußen steht, wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, nehme ich an.“ Taro nickte. „Dann warte ich draußen, falls sie rauskommt.“ „Danke.“ „Kein Thema....ich hab zwar immer noch keinen Plan, warum du so durch den Wind bist, aber wenn es dir danach wieder besser geht, soll es mir recht sein.“ Taro schüttelte leicht den Kopf. „Machst du dir immer solche Sorgen, wenn Sanae dich versetzt?“ „Sie hat mich bis jetzt noch nie so versetzt.“ „Aha.“ Eine weitere Antwort blieb Tsubasa erspart. Mittlerweile hatten sie die Bibliothek erreicht, das Gebäude lag auf der anderen Straßenseite. Glücklicherweise musste er nicht suchen, just in diesem Moment schwang die große Flügeltür auf, und Sanae trat auf den Gehweg. Tsubasa war noch nie so erleichtert gewesen, sie zu sehen – und auch noch nie so wütend. Er hatte es so eilig, über die Straße zu kommen, dass er nicht auf den Verkehr achtete und beinahe von einem Auto erfaßt worden wäre, hätte ihn Taro nicht am Ärmel gepackt und zurück gerissen. „Hey, Vorsicht!“ Durch das Hupen wurde Sanae aufmerksam. Sie wandte sich um und Schuldbewußtsein zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Nach einem kurzen Blick nach links und rechts huschte sie über die Straße zu den Beiden hinüber. „Kannst du mir bitte erklären, was das soll?!“, meinte Tsubasa aufgebracht, ohne sie zu Wort kommen zu lassen. „Ich hab x-tausend Mal versucht dich zu erreichen, warum tauchst du einfach so nicht auf ohne Bescheid zu sagen??“ „Ich....es tut mir leid, mir ist erst zu spät aufgefallen das mein Handy-Akku leer ist und da war es auch schon zu spät....hat Yukari dir Bescheid gesagt?“ „Nein, hat sie nicht, weil sie meine Handy-Nummer nicht hatte!! Ich hab sie gerade mit Taros Hilfe angerufen und erfahren, wo du bist! Was willst du überhaupt hier?!“ „Ich werd's dir nachher in Ruhe erklären, aber es war wichtig....Yukari hatte die Idee....ich hätte nie gedacht, dass es so lange dauert, tut mir wirklich leid.....“ Taro räusperte sich. „Könntet ihr mir vielleicht mal zwischendurch erklären, was hier gespielt wird? Ich mein, dass Sanae einfach nicht aufgetaucht ist war sicher nicht die feine Art, aber kein Grund, sich dermaßen Sorgen zu machen.“, meinte er mit einem Seitenblick auf Tsubasa. „Irgendwas stimmt hier nicht, meiner Meinung nach, und ich will wissen, was!“ „Ich....“ Taro schüttelte unwillig den Kopf und schnitt Tsubasa damit wieder das Wort ab. „Wehe, du willst mich wieder auf später vertrösten! Ich will JETZT hören, was los ist!“ Tsubasa seufzte. „Schon gut....“ „Ich glaube, es ist wirklich das beste, wenn wir Taro alles erzählen.“, meinte Sanae leise. „Dann kann ich auch gleich erklären, was ich in der Bibliothek wollte. Aber ich würde sagen, dass wir dazu besser irgendwo hingehen, wo es gemütlicher ist.....“ „Gute Idee. Ich wohne hier ganz in der Nähe.“, meinte Taro sofort. „Mein Vater ist gerade nicht da, wir haben also Ruhe um zu reden.“ Tsubasa nickte widerstrebend. Anscheinend hatte er keine andere Wahl..... *** „Wie bitte?!“ Sanae lächelte schwach, obwohl die Situation eigentlich nicht lustig war. Irgendwie hatte sie gerade ein starkes Deja-Vu – genauso hatte Yukari am Nachmittag auch reagiert. Natürlich hütete sie sich, das zu erwähnen. Sie saßen im Wohnzimmer der kleinen Wohnung, die Herr Misaki gemietet hatte, und Taro blickte fassungslos von Tsubasa zu Sanae und wieder zurück. „Du bekommst Drohbriefe?“ „Drohbriefe sind zuviel gesagt.“, meinte Tsubasa dumpf. „Eher – Erinnerungsbriefe, oder wie auch immer du sie nennen willst.“ „Einen Stein durchs Fenster zu werfen klingt meiner Meinung nach schon nach einer Drohung. Und dann noch der rote Opel, der dich überall hin verfolgt...“ „In meiner Fantasie...“ Taro schüttelte unwillig den Kopf. „Du solltest unbedingt zur Polizei, Tsubasa!“ „Sag ich doch!“, mischte sich Sanae ein und erntete dafür einen finsteren Blick von Tsubasa. „Ich gehe auf keinen Fall zur Polizei!“ „Aber warum....ich meine, das trägt doch Kenjis Handschrift! Hast du dich wenigstens informiert, ob er immer noch da ist, wo er hingehört?“ „Nein.....“ „Und warum?“ „Keine Ahnung, warum! Ich habe es halt nicht gemacht! Davon abgesehen habe ich den Brief mit dem Zeitungsartikel ja auch erst gestern bekommen!“ Sanae räusperte sich. „Ich habe da auch nicht dran gedacht, um ehrlich zu sein.....aber Yukari hatte heute mittag dieselbe Idee, darum sind wir zur Bibliothek....“ Tsubasa blickte sie entgeistert an. „Du hast Yukari davon erzählt??“ Sanae wurde rot, als sie sich bewußt wurde, dass sie sich gerade gehörig verplappert hatte. „Tut mir leid... „Was habt ihr denn rausgefunden?“, hakte Taro nach, bevor Tsubasa noch etwas sagen konnte, und Sanae atmete tief durch. „Yukari und ich haben zusammen Zeitungsartikel der letzten drei Jahre durchforstet, und....“ „Und?“ „Na ja....Kenji ist vor einem Jahr auf Bewährung entlassen worden....“ „Was?!“ Tsubasa erstarrte, und auch Taro wurde bleich. „Na also, das passt ja dann......jede Wette, das er auf Rache aus ist, und....“, setzte er bereits an, aber Sanae schüttelte den Kopf. „Nein. Kenji kann es nicht gewesen sein. Er ist tot.....“ Stille senkte sich über die Küche. Nach ein paar Sekunden zog Sanae ihre Handtasche von der Stuhllehne zu sich und kramte einen reichlich zerknitterten Ausdruck hervor. „Yukari musste früher weg, aber ich wollte meinen Jahrgang noch zuende durchschauen, und dann hab ich das hier gefunden und noch schnell ausgedruckt.....“, meinte sie leise, während sie das Papier glatt strich und dann auf den Tisch legte. „Es war im August letztes Jahr, er ist anscheinend zu schnell in ner Kurve gewesen und gegen einen Baum gefahren......“ „Au weia.“; meinte Taro betroffen. Tsubasa dagegen schwieg, er machte auch keine Anstalten, den Artikel zu lesen. Sanae faßte unter der Tischplatte nach seiner Hand. „Tut mir wirklich leid, dass du dir solche Sorgen gemacht hast, aber ich wollte nur wissen, ob Kenji dahinter stecken könnte, damit wir was in der Hand haben um zur Polizei zu gehen....“ „Das wäre ja geklärt.“, meinte Tsubasa dumpf. „Kenji war es nicht, und ich gehe nicht zur Polizei.“ „Tsubasa.....“ „Was erwartest du denn? Die lachen mich aus, wenn ich mit nichts als zwei Briefen und einem Zeitungsartikel da aufkreuze! Und einem roten Opel, der mich angeblich verfolgt! Wenn Kenji wirklich – wenn er es sein könnte, dann hätte ich es eingesehen, aber so.....“ Sanae seufzte. „Manchmal hast du wirklich einen unheimlichen Dickkopf!“ Tsubasa erwiderte nichts darauf, und Taro zog den Zeitungsartikel näher zu sich herüber. „Schon heftig....man könnte das fast als Schicksal bezeichnen.“, meinte er nachdenklich. „Er muss sofort tot gewesen sein.....“ In diesem Moment piepten nacheinander zwei Handys, und alle drei zuckten zusammen. „Das klingt nach einer Rund-SMS.“, meinte Taro dann mit einem schwachen Lächeln, während Tsubasa bereits einen prüfenden Blick auf das Display warf. Dann reichte er das Telefon an Sanae weiter, die zu faul war, ihres aus der Handtasche zu suchen. Ihre Augen weiteten sich erstaunt. „Oh...“ „Was besonderes?“, wollte Taro wissen, und Tsubasa nickte, froh von dem Thema Polizei wegzukommen. „Ja, und dich betrifft es auch. Kojiro hat uns für morgen nach Toho eingeladen, zu einem spontanen Spiel und ner anschließenden Feier....anscheinend hatte er keine Lust bis Samstag zu warten und will das schon mal vorziehen.“ Taro musste lachen. „Okay....dann geht’s wohl morgen nach Toho. Ihr fahrt doch, oder?“ Tsubasa nickte erneut. „Ich denke schon.“ Das versprach immerhin eine interessante Ablenkung zu werden...... Er schickte eine kurze Antwort-SMS zurück und blickte dann Sanae an. „Ich glaube, wir sollten langsam...zumindest meine Eltern werden sich schon wundern, wo ich bleibe.“ „Ja....ich muss auch nach Hause....“ „Wann soll das morgen denn losgehen?“, wollte Taro wissen. Tsubasa zuckte mit den Schultern. „Ne Uhrzeit hat er nicht mitgeschickt – ich denke das sich wieder Fahrgemeinschaften bilden werden, ich sag dir Bescheid sobald ich was weiß.“ „Alles klar – und ich hoffe, du hältst mich auch mit dieser Brief-Sache auf dem Laufenden.“ „Ja....aber tu mir wirklich den Gefallen und behalt es für dich, ich will nicht dass es alle wissen....die Aufregung damals hat mir gereicht.“ „Du kennst mich doch, ich hab noch nie was weitererzählt. Und Yukari kannst du sicher auch vertrauen.“ „Ja, ich weiß.“ *** Diese Nacht verbrachte Sanae wieder bei Tsubasa. Sie mussten nicht großartig darüber sprechen, beide wollten nicht alleine bleiben. Gegen neun kam eine weitere SMS von Kojiro, dann noch eine von Ryo. Danach stand der Plan für morgen fest. Das Spiel sollte um zwölf beginnen, um zehn trafen sich alle beim Fußballplatz in Nankatsu und würden sich dann auf diverse Autos verteilen. Die meisten hatten zum Glück Zeit – entweder sie ließen die Uni dezent ausfallen oder sie konnten sich den Tag anderweitig frei boxen. Während Sanae sich wieder ins Bad zurück zog, um sich fertig zu machen, sagte Tsubasa noch via Handy Taro Bescheid – und dann erinnerte er sich plötzlich wieder an den Brief, den er im Briefkasten vorgefunden hatte. Zum Glück hatte er sich heute selbst um die Post gekümmert, seine Mutter wäre wohl doch stutzig geworden wenn sie schon wieder so einen ungestempelten Umschlag vorfand. Über der ganzen Aufregung und dem Gespräch mit Taro hatte er es dann vergessen – oder verdrängt. Tsubasa zog den Umschlag aus der Hosentasche und blickte ihn ein paar Sekunden finster an, bevor er ihn zusammen knüllte und ihn ungöffnet in den Papierkorb warf. Zu so einem Spielchen gehörten immer zwei, und er würde ab jetzt nicht mehr mitmachen! Den Gedanken an den Zeitungsartikel verdrängte er sofort wieder. Kenji war tot – eine Sorge weniger. Aber irgendwie fühlte er sich trotzdem nicht gut bei dem Gedanken daran.... Sanae kam zurück und sah an seiner Miene wie immer sofort, dass ihn etwas beschäftigte. „Denkst du immer noch über heute mittag nach? Über die Polizei?“ „Nein, nicht über die Polizei.“ „Über was dann?“ Tsubasa zögerte. „Glaubst du, Kenji hätte mich damals umgebracht?“ „Was?!“ Sanae erstarrte. „Wie kommst du denn darauf?“ „Na ja....immerhin wollte er mich verstümmeln, und ich hätte ihn mit etwas Glück erkennen können im Keller....“ „Das ist doch was ganz anderes als jemanden umzubringen!“; protestierte Sanae energisch. „Hör auf, über so was nachzudenken!“ „Na ja.....“ Tsubasa seufzte. „Kenji ist tot, und ich sollte erleichtert sein, aber irgendwie weiß ich dann doch nicht, ob ich traurig sein soll.....beides fühlt sich nicht richtig an.“ Sanae schwieg ein paar Sekunden, dann kam sie zu ihm hinüber und nahm ihn in den Arm. „Vergiß ihn einfach, ja?“, meinte sie leise, bevor sie ihn sanft küsste. „Wenigstens für heute abend. Denk nicht mehr darüber nach....“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)