An unexpected Lesson von MajinMina (Eine unerwartete Lektion) ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Kapitel 5 Ein strahlender Morgen brach an, perfekt für ein Auftritt unter freiem Himmel. Kenshin war dafür sehr dankbar, denn Donner oder Regen als Ablenkung brauchte er nun wirklich nicht für seinen ersten Bühnenauftritt. Auch war er dankbar, dass er relativ gut geschlafen hatte. Es war wohl diesmal eine der wenigen Nächte ohne die schrecklichen Albträume gewesen. Vielleicht war ja das Schauspielern ein gutes Gegenmittel gegen diese Träume, überlegte er träge. Auch diese Nacht hatten Kenshin und Baiko sich die Nachtwache geteilt. Am Morgen zuvor war Kenshin davon geschlichen, um heimlich seine Kata zu üben. Doch Baiko hatte ihn später gefunden und beobachtet. Diesen Morgen jedoch sah Kenshin keine Notwendigkeit, sein Training vor Baiko zu verheimlichen und sagte ihm, wohin er zum Üben gehen würde. Es fühlte sich gut an, das Schwert durch die frische Morgenluft schwingen zu lassen. Es gab einmal eine Zeit, während der dunklen Jahre in Kyoto, wo ihn die Schwertübungen nur an Mord und Gemetzel erinnert hatten. Aber jetzt hatte er wieder die kindliche Freude am Training entdeckt. Als er fertig war, fühlte er sich erfrischt und bereit, den Herausforderungen des Tages entgegen zu treten. Der Termin für den Auftritt war auf den späten Morgen festgelegt worden, damit die ganze Gruppe gleich nach dem Mittagessen weiter nach Miyazaki fahren konnte. Nicht nur das Stück mit Kenshin stand auf dem Plan, sondern auch eine Szene aus dem Drama „Kanijncho“. In diesem Drama, so wurde Kenshin erzählt, könnten Daisuke und Orinosuke ihre ganze Schauspielkunst unter Beweis stellen. Das ganze Lager glich an diesem Morgen einem Ameisenhaufen. Schnell wurde das Frühstück hineingeschlungen, um halb Acht Kabuki geübt, um Neun die Bühne hergerichtet und geschmückt. Kenshin saß zu dieser Uhrzeit schon bei Ikuko zum Schminken. Keine zehn Minuten nachdem Kenshin im Wagen verschwunden war, tauchte der Arzt Satoshi auf. Er entschuldigte sich für seine frühe Störung und sagte, er wolle nach Ennosukes Bein schauen, aber der wahre Grund war, dass er Kenshin noch mal zu sprechen wünschte. Die Tatsache, das dieser rothaarige Wanderer dem kleinen Jungen, den er vor Jahren im Lager der Kiheitai gesehen hatte, so ähnlich war, hatte seine Neugier geweckt. Allerdings war Daisuke der Einzige, den er im Lager traf. Satoshi versteckte seine Enttäuschung und betrachtete die emsigen Vorbereitungen, bis Ennosuke angehumpelt kam und ihn zu seinem Zelt führte. Wenig später kehrte er zurück zur Bühne, auf der jetzt die Möbel und Kulissen schon bereit standen und traf dort Orinosuke, der ihn begrüßte. “Satoshi-san”, verbeugte er sich kurz, “wie geht’s meinem Bruder? Vater ist gerade beim Umziehen und hat mich beauftragt, mich für ihn zu erkundigen.“ „Er erholt sich schnell,“ begann Satoshi. „Die Naht heilt gut und die Blutung hat aufgehört. Ich denke, er wird keine Probleme mehr haben, wenn er nicht zu viel auf den Beinen ist.“ „Gute Neuigkeiten!“ sagte Orinosuke. Er wandte sich sofort wieder seiner Arbeit zu, doch Satoshi hielt ihn auf. „Ich habe etwas Medizin und Anweisungen zur Pflege deines Bruders dabei. Vielleicht sollte ich das Himura-san übergeben?“ “Himura!” knurrte Orinosuke. Der Name alleine brachte schon sein Blut in Wallung, aber er kontrollierte seinen Ärger und antwortete mit so ruhiger Stimme wie möglich: “Himura-san zieht sich gerade für das Stück um. Er ersetzt meinen jüngsten Bruder. Vielleicht kannst du ja deine Sachen mir übergeben.“ Satoshi übergab ihm einige Päckchen mit Salben und geschriebenen Anweisungen und meinte dann, „Weißt du, es ist wirklich seltsam, einen Japaner mit roten Haaren zu treffen, aber der Rurouni ist schon der Zweite, der mir begegnet!“ “Der Zweite?” wiederholte Orinosuke, plötzlich sehr interessiert. „Ja,“ fuhr Satoshi fort, begierig, jemandem – irgend jemandem - seine Geschichte erzählten zu können. „Vor circa acht Jahren war ich Mitglied der Kiheitai, drüben in Choshu – du weißt schon, die Armee, die sich gleich am Anfang der Bakumatsu-Zeit formiert hat – und da gab es einen kleinen Jungen mit einem großen Schwert und roten Haaren. Ich hatte damals noch nie zuvor rote Haare gesehen, aber man sagte mir, er sei wirklich ein Japaner. Dreizehn oder Vierzehn musste er gewesen sein. Wahrscheinlich hatte sich irgendwann einmal ausländisches Blut in die Familie gemischt. Ich habe ihn nie persönlich getroffen - er war schon wenig später nach Kyoto verschwunden. Deswegen ist der Rurouni der zweite Mensch mit roten Haaren, den ich sehe. Vielleicht ist er ja ein Verwandter zu dem Jungen? Wäre das nicht ein Zufall?!“ “Ich glaube nicht an Zufälle,” murmelte Orinosuke düster. Er starrte den Wagen an, in dem, wie er wusste, Kenshin jetzt saß und geschminkt wurde. „Wenn ich jetzt so darüber nachdenke,“ erzählte Satoshi weiter, „Ist er sogar der dritte Rothaarige, von dem ich gehört habe!“ „Der Dritte?“ fragte Orinosuke abwesend, die Augen immer noch auf den Wagen geheftet. „Hm. Natürlich hast du auch schon von Hitokiri Battousai gehört, oder nicht?“ Orinosuke wandte sich wieder zu Satoshi um, seine Augen verschmälerten sich. „Wir haben Gerüchte über einen Hitokiri mit Namen Battousai gehört, kurz bevor wir Kyoto verlassen haben. Wieso?“ „Nun, man erzählt sich, dass dieser Mann auch rote Haare hatte. Natürlich habe ich ihn nie gesehen, aber man sagt, er sei über zwei Meter groß gewesen mit glühenden Augen...“ „Gewesen?“ „Ja, von dem, was man so hört, soll er wohl gleich nach dem Sturz des Shogunats verschwunden sein. Ich vermute, ihn wird’s wohl doch noch erwischt haben. Aber die ganzen Geschichten über ihn erzählt man sich immer noch...“ “Ja, danke!” schnitt ihm Orinosuke das Wort ab. „Ich muss jetzt wieder arbeiten. Ich leite deine Anweisungen an den Rurouni weiter.“ Dann ging er davon und ließ Satoshi stehen. Nein, dachte Orinosuke, während er auf der Bühne weiterarbeitete. Solch einen Zufall konnte es nicht geben. Der Junge, den der Arzt gesehen hatte, war damals 13 oder so... und das war vor acht Jahren. Und der Rurouni war jetzt 22, hatte er gesagt. Himura mochte vielleicht den Arzt getäuscht haben, aber ihn nicht. Er würde seinen letzten Ryo darauf verwetten, das Himura genau dieser Junge war. Und das würde bedeuten, dass er mitten im Geschehen des Bakumatsu in Kyoto dabei gewesen war. Und dann noch die Sache mit Hitokiri Battousai. Es gab Gerüchte in Kyoto, die er selbst gehört hatte, bevor sie die Stadt verlassen hatten – ein Killer, dessen Name alle in Angst und Schrecken versetzte. Und der hatte auch rote Haare? Kagoshima war so weit südlich in Japan, deswegen hatten sie niemals Neuigkeiten aus Kyoto erhalten, nachdem sie dort weggezogen waren. Natürlich auch nicht über diesen Attentäter. Er wusste also nicht, ob er wirklich zwei Meter groß war, aber was er wusste, war, dass Augen sehr wohl glühen konnten, wenn man den Wunsch zu töten hatte... “Hey, Orinosuke, starrst du Löcher in die Luft?” rief Ryosuke aus dem Zelt hinter der Bühne. Orinosuke funkelte ihn an. Er stopfte die Sachen von Satoshi in seinen Ärmel und verdrängte vorerst die Gedanken über gewisse Menschen mit roten Haaren. Später, auf dem Weg nach Miyazaki, würde er noch genug Zeit haben, die Wahrheit aus dem Rurouni herauszuquetschen... Ikuko fügte gerade die letzten Pinselstriche an dem Gemälde auf Kenshins Gesicht an, als dieser plötzlich eine sehr feindliche Aura erspürte, die von Orinosuke kommen musste. Er konzentrierte seine Sinne, um zu erspüren, was der Grund für diese plötzliche Wut sein könnte, aber er konnte nichts herausfinden. Eine plötzliche Welle der Angst durchflutete ihn, als er befürchtete, der Arzt könnte zurückgekehrt sein und mit ihm gesprochen haben. „Ach was,“ redete er sich ein. “Vermutlich haben ihn die Kinder geärgert…” Ikuko fühlte die Anspannung, die Kenshin befallen hatte und fürchtete, er könnte jetzt Lampenfieber bekommen. “Nein, nein,” beruhigte sie Kenshin schnell. Ikuko lachte warmherzig während sie seine Haare hochsteckte. „Du wärst ja nicht der Erste mit Lampenfieber. Du hättest mal meinen Ältesten bei seinem ersten Auftritt sehen sollen... alle seine Nägel waren abgekaut, bevor er die Bühne betrat...“ Sie setzte ihm jetzt die Perücke auf den Kopf und half ihm in den Kimono. „Es kann sein, dass nach deinem Auftritt noch Leute zu dir kommen, um dir Komplimente zu machen. Wenn es so sein sollte, dann versuche immer, dich wie eine Dame zu verhalten. Nehme dem Publikum niemals die Illusion, auch wenn irgendein Mann dich dumm anmachen will.“ „Anmachen will?“ rutschte es Kenshin heraus. „Du meinst, verführen?“ Ikuko musste angesichts der Panik in Kenshins Gesicht ihr Lachen zurückhalten. „Ja, das passiert ab und an. Die Männer wissen ja oft nicht, dass ein Mann die Frauenrolle spielt“. Toll. Also nicht nur auf der Bühne so tun, als ob man eine Frau wäre, sondern sich danach noch von lüsternden Bauern anmachen lassen. “Ach, und noch was,” sagte Ikuko. „Mein Mann hat sich für dich einen Bühnennamen ausgedacht – Shinosuke der Erste. Magst du ihn? Er hat von deinem Vornamen die letzte Silbe genommen und einen Namen daraus gemacht, der denen unserer Familie ähnelt.“ Ein Bühnenname? Und dann auch noch einer, der so klingt, als ob er Teil dieser Familie wäre... damit hatte er nicht gerechnet. „Das ist mehr, wie Sessha verdient,“ bedankte er sich demütig und verbeugte sich so tief, wie er mit der Perücke konnte. Baiko wartete vor dem Wagen bereits auf ihn und half ihm beim Herabsteigen. Als sie zur Bühne gingen, sah Kenshin bereits die Leute aus dem Dorf zusammenströmen. Der Arzt war mit seiner Frau und seinen Kindern auch dabei und schaute sich andauernd um, wie als ob er jemanden suchen würde und Kenshin hatte das dumpfe Gefühl, das er dieser Jemand war. Baiko sah den Arzt auch und schlug sich plötzlich gegen die Stirn. „Fast hätte ich’s vergessen!“ sagte er entschuldigend und holte einige Dinge aus seinem Ärmel. „Hier, das ist für dich – Ennosukes Medizin und Anweisungen vom Arzt. Er hat sie Orinosuke-san gegeben und der hat sie mir gegeben. Ich werde sie am besten zu deinen anderen Sachen legen.“ So. Es war doch der Arzt gewesen, der Orinosuke so in Aufruhr versetzt haben musste. „Baiko,“ meinte Kenshin angespannt, „hat der Arzt mit Orinosuke gesprochen? “Weiß ich nicht. Wieso?“ Kenshin antwortete nicht. Ein Bauer mit seiner Familie kam gerade vorbei und verbeugte sich äußerst höflich vor ihm. Er schob seine Besorgnis beiseite und erwiderte möglichst damenhaft die Verbeugung, wobei er in seinen Geta stolperte. „Tss... nicht sehr damenhaft, was?“ stichelte Baiko. „Baiko...“ Kenshins Stimme war ein gefährliches Grummeln. “Du spielst mit dem Feuer.” “Hör zu, Himura,” kam Baiko wieder zum Thema zurück, “wenn der wütende Sack dich wieder auf dem Kieker hat, dann spiel doch einfach die unschuldige Dame. Benutz das, was du gelernt hast.“ „Wie meinst du das?“ fragte Kenshin. „Naja, ich dachte, dass ist offensichtlich,“ antwortete Baiko. „Wenn Satoshi wirklich Orinosuke-san irgendwas erzählt hat, willst du ihn ja nicht darin bestätigen, oder? Und das erreichst du nicht, indem du ihn mit dem Schwert bedrohst. Aber du könntest so tun, wie wenn du eine ahnungslose Witwe bist – so eine, wie du spielst – und das würde ihn sicher verwirren.“ „Hm, ich verstehe, was du meinst...“ Als sie am Zelt hinter der Bühne angekommen waren, verließ ihn Baiko mit den Worten „Wird schon schief gehen!“, doch Kenshin war jetzt angespannt. Ryosuke bemerkte das sofort, hielt es aber, wie Ikuko, für Lampenfieber. Er beendete schnell sein Make-up und sah nun wie ein doch recht furchterregender Dämon aus. Als er Kenshin aufmunternd anlächelte, war der Effekt eher beunruhigend. “Lampenfieber, Himura-san?” fragte er einfühlsam. „Hmmmm? Was?“ murmelte Kenshin. „Oh, Nein, Ryosuke-san, ich denke nur nach. Gomen...“ Daisuke warf Ryosuke einen kurzen Blick zu. Ryosuke nickte kaum merklich zurück. „Himura-san, hab ich dir eigentlich schon Mal erzählt, wie sich mein jüngster Bruder bei seinem ersten Auftritt benommen hat?“ begann Ryosuke. „Er war ja nicht das erste Mal auf der Bühne, aber das erste Mal musste er sprechen und singen. Kaum ging es los, da erstarrte er – wie eine Salzsäule. Weißt du, was Vater dann gemacht hat? Er kam von hinten an ihn heran und hat ihn gezwickt, genau in den Hintern. Das hat ihn wieder entspannt!“ Ryosuke brüllte vor Lachen während Daisuke die Handlung nachahmte. „Funktioniert doch immer!“ lachte Daisuke schallend. Kenshin schaute von einem zum anderen, Schrecken im Gesicht. Er beschloss, schnell seinen Humor wieder zu finden und sich zu entspannen, bevor diese drastischen Maßnahmen auch bei ihm ergriffen würden und zwang sich zum lächeln. „Schon besser, Himura-san.“ Bemerkte Daisuke anerkennend. „Also, nur Mut!“ Plötzlich verstummte das Gemurmel des Publikums draußen vor der Bühne und Kenshin hörte Ennosuke das Stück und die Namen der Schauspieler ankündigen. Es dauert ein bisschen, bis er bemerkte, das dieser Shinosuke der Erste ja er selbst war. Nun, besser als der Name, den man ihm während der Revolution gegeben hatte, dachte er reumütig. Er betete zu den Göttern, dass er diese Sache ohne Schaden überstehen möge. Endlich kündigte ein Trommelschlag den Beginn des Stückes an. Kenshin musste als erstes auf die Bühne. Für die ersten Minuten lief alles gut. Aber dann hörte er plötzlich das Publikum über ihn Lachen. Er sah in die Menschenmenge und erstarrte. Nach so vielen Jahren, in denen er versucht hatte, so unauffällig wie möglich zu sein, fand er es plötzlich erschreckend, von hundert Paar Augen angestiert zu werden. Er verkrampfte sich und seine Hand glitt instinktiv an seine linke Seite zu seinem nicht vorhandenen Sakabatou. Das Publikum lachte noch mehr, da es dachte, alles würde zum Stück gehören. Glücklicherweise betrat jetzt auch Daisuke die Szene und bemerkte sofort, was los war. “Ein wandernder Exorzist bin ich,” intonierte Daisuke seinen Kabuki-Sing-Sang, “und da sehe ich eine Witwe, die meine Hilfe benötigt. Ohne Zweifel ist sie von einem schrecklichen Gänse-Dämon besessen!“ Kenshin war zwar wie versteinert, bemerkte aber den neuen, nicht eingeübten Text. Von einem Gänse-Dämon besessen? So stand das nicht im Script. Die Angst, von Daisuke gleich in den Hintern gezwickt zu werden, löste ihn aus seiner Versteinerung. Er fokusierte all seine Konzentration auf Daisuke und Ryosuke, der nun ebenfalls die Bühne betrat und bald hatte er das Publikum um ihn herum vergessen. Es machte ihm mit der Zeit sogar Spaß und als am Ende die Bohnen-Werf-Szene kam, fand er sich sogar mutig genug, um absichtlich, wie am Tag zuvor, auf den Bohnen am Boden auszurutschen und hinzufallen – nicht ohne zuvor noch eine Ladung Bohnen schnell wie der Blitz auf Ryosuke zu werfen. Das Publikum war begeistert und klatschte lange und laut. Als er sich vor der Menge mit Ryosuke und Daisuke an seiner Seite verbeugte, war er zwar immer noch entgeistert, dass ihn so viele Leute anstarrten, aber es war jetzt okay – keiner hatte ihn bedroht und keiner hatte ihn erkannt. Er war immer noch sicher. Als sie alle hinter die Bühne ins Zelt gegangen waren und sich Daisuke und Ryosuke schnell für das nächste Stück umzogen, sah Kenshin, dass sogar Orinosuke seine Feindseligkeit verloren zu haben schien. Um sein Glück aber nicht weiter zu strapazieren, verließ er so schnell wie möglich das Zelt und steuerte auf den Wagen zu, um sich dort wieder in sein männliches Selbst zu verwandeln. Kaum war er so vorsichtig, wie es ihm in den hohen Sandalen möglich war, ein paar Schritte gelaufen, als ihn schon ein Bauer einholte. „Verehrte Dame, verehrte Dame!“ rief er aus aber Kenshin lief weiter, weil er nicht merkte, dass der Bauer ihn meinte, bis er ihn schließlich am Ellebogen packte. Überrascht blickte Kenshin den Mann an, der sich höchst freundlich vor ihm verbeugte. “Verehrte Dame! Bitte, erlaubt diesem unwürdigen Bauern, sich euer Hochwohlgeborenen vorzustellen!” begann er, während er sich ohne Unterbrechung immer weiter verbeugte. Kenshin war einigermaßen erschreckt und wusste nicht, wie er reagieren sollte, deswegen erwiderte er schüchtern die Verbeugungen. Niemals die Illusion zerstören, erinnerte er sich an Ikukos Worte. „Verehrte Dame, eure Notlage hat mich sehr bewegt,“ fuhr der Bauer fort. Was zur Hölle…? „Dass eine Witwe sich selbst vor so schrecklichen Dämonen verteidigen muss, ohne einen Ehemann, der sie beschützt! So eine himmelschreinende Ungerechtigkeit!“ Oh-oh, dachte Kenshin, der Typ musste das Stück für bare Münze gehalten haben! Er verbeugte sich, um das Gespräch zu beenden und versuchte, weiterzulaufen, aber der Mann stoppte ihn abermals. „Ich bin nur ein armer Bauer und selbst ein Witwer! Ich besitze allerdings einige Morgen Land voller Kartoffeln, Sojabohnen und paar Ochsen - es wäre mir eine Ehre, euch all meinem Besitz und auch mich selbst anzubieten – wollt ihr mich heiraten?“ Jetzt wurden Kenshins Augen groß und er schlug schnell den Fächer auf, um sein Gesicht dahinter zu verbergen. Dieser Mann machte ihm gerade einen Heiratsantrag! Ihm war zwar gesagt worden, er solle die Illusion aufrecht erhalten, aber das ging eindeutig zu weit! Panisch schaute er umher, um irgendeine Möglichkeit zu finden, sich aus dieser unmöglichen Situation heraus zu manövrieren. Glücklicherweise kam genau in diesem Moment der Retter in Form von Baiko. „Geliebte! Triffst du einen Bewunderer deines Auftrittes?“ rief Baiko herzlich aus und legte besitzergreifend seinen Arm um Kenshins Taille. „Geliebte?“ quietschte der Mann. „Diese Frau ist deine Frau? Oh. Ich dachte, sie wäre eine Witwe!“ Kenshin wich einen Schritt zurück und seine Augen huschten zwischen den beiden Männern hin und her. Er hatte keine Ahnung, was Baiko vor hatte, aber er wusste, das es peinlich enden würde. „Ja, sie ist meine Frau,“ antwortete Baiko mit einem Lächeln, „aber wir heiraten erst in ein paar Tagen.“ Er nahm Kenshins Hand und tätschelte sie zärtlich, bevor er sie auf seinen Arm legte und sich zum Gehen wandte. „Oh, Ah, Mh!“ stammelte der Mann. „Bitte, ehrwürdige Dame, verzeiht mir mein forsches Verhalten. Oh je...“ Schnell eilte er in einer Mischung von hektischen Schritten und entschuldigenden Verbeugungen davon. Kenshin ließ den Fächer zuschnappen und starrte Baiko an. Seine Hand krallte sich in Baikos Arm bis dieser vor Schmerzen japste. „Geliebte?“ Kenshins Stimme war tief und gefährlich. „Wir werden heiraten? Hättest du dir nicht etwas anderes ausdenken können?“ Baiko befreite sich von Kenshins Schraubstock-Griff. „Was denn, ich musste schnell handeln, oder?“ grinste er unbeeindruckt. „Und es hat doch geklappt! Eine Frau sollte dankbar sein, wenn ein starker Mann sie vor aufdringlichen Bewerbern beschützt!“ Kenshin knurrte und wollte gerade den Fächer wieder auf Shinsengumi-Art aufschlagen, als Baiko sagte: „Komm, ich geh mit dir das restliche Stück zum Wagen, falls es noch mehr liebeskranke Fans von der Sorte gibt. Ich wollte sowieso dahin um für Daisuke noch etwas für die Kulisse zu holen.“ Baiko platzierte Kenshins Hand wieder auf seinem Arm und schenkte ihm ein selbstgefälliges Lächeln. Wenn jemand die beiden zusammen laufen gesehen hätte, hätte er nur bemerkt, wie ein Mann eine Frau mit einem äußerst düsterem Gesichtsausdruck und einer schwarzen Wolke über ihrem hochgesteckten Haar führte. Verdammt, dachte Kenshin. Es war so demütigend! Kaum am Wagen angekommen, streifte er die Geta ab und hüpfte sofort hinein. Schnell befreite er sich von der Perücke und schüttelte in großer Erleichterung sein eigenes Haar. In wenigen Minuten war er auch von Obi und Kimono befreit und nun rubbelte er zu guter Letzt noch die weiße Schminke ab. Jetzt erst wagte er es, einen Spiegel zur Hand zu nehmen, um zu sehen, ob noch Rückstände der weißen Farbe in seinem Gesicht waren. Nur in seiner X-förmigen Narben schienen sich noch ein paar Reste gehalten zu haben, aber auch die verschwanden, als er noch einmal mit Nachdruck darüber rubbelte. Er band sein Haar zusammen und er holte – endlich - sein Sakabatou und steckte es durch seinen Gürtel. Jetzt fühlte er sich wieder komplett er selbst. Jetzt allerdings kam die Sorge wieder zurück, der Arzt würde noch irgendwo da draußen auf ihn warten. Er wollte gerne Daisuke und seine Söhne in dem Drama anschauen, aber wenn er sich zu dem Publikum stellen würde, könnte Satoshi ihn vielleicht sehen oder wieder mit Geschichten aus der Vergangenheit anfangen. Sein Blick glitt nach oben. Vom Wagendach aus konnte man sicher eine gute Sicht auf die Bühne haben, ohne dem lästigen Arzt zu begegnen, überlegte er. Leichtfüßig sprang er auf das Dach und setzte sich. Die Aussicht war exzellent und er genoss das dramatische Stück, in dem es um die Rivalität zweier großer Kriegsherren im Japan des 12 Jh. ging. Es ging um die Loyalität der Samurai zu ihrem Kriegsherren, Loyalität bis in den Tod. Kenshin kannte die Geschichte von seinem Meister, der ihm oft solche Legenden von Tapferkeit, Ehre und Tod erzählt hatte. Auch während der Bakumatsu-Zeit in Kyoto hatte er Männer kennen gelernt, die er zutiefst für ihre bedingungslose Treue gegenüber dem Shogun bewundert hatte. Natürlich hatte er sie trotzdem getötet, wie es eine eigene Pflicht erfordert hatte... Seine Gedanken wurden wieder in die Gegenwart gerissen, als er die Trommeln hörte, die das Ende des Stückes verkündeten. Schnell sprang er vom Dach und begann, den Wagen für die baldige Abfahrt zu beladen, hoffend, dass dieser verdammte Arzt nicht auftauchen würde. Doch als sie endlich alles verladen hatten, war schon eine Stunde vergangen und der Arzt war sicherlich schon lang gegangen. Kenshin atmete auf. Sie aßen alle schnell zu Mittag und machten sich dann wieder auf den Weg, um über die bergige Straße so schnell wie möglich nach Miyazaki zu gelangen. Kenshin nahm wieder die Position auf der rechten Seite des Wagens ein und Noriko und Nomi leisteten ihm Gesellschaft. Als die Strecke holpriger und die Straße schmäler wurde, setzten sich die zwei in den Wagen, sehr zur Erleichterung Kenshins, der jetzt seine ganze Aufmerksamkeit darauf richten konnte, drohende Gefahr so schnell wie möglich bemerken zu können. Die Yakuza mussten hier irgendwo in der Gegend sein. Orinosuke bemerkte, dass Kenshin jetzt alleine war und verlangsamte sein Tempo, bis er neben Kenshin lief. Kenshin nickte ihm zu, sagte aber nichts. Irgendwas an Orinosuke machte ihn nervös, und seine ständigen, durchdringenden Seitenblicke machten es auch nicht besser. Endlich begann er zu reden. „Ich hatte eine faszinierende Unterhaltung heute Morgen. Mit dem Arzt, Satoshi-san. Er hatte wirklich ganz außerordentliche Geschichten zu erzählen.“ Vielsagend sah er Kenshin in die Augen, doch der lief unberührt weiter. „Scheint so, als ob er ein Mitglied der Kiheitai während des Bakumatsu war. Du kennst doch die Kiheitai, oder?“ Kenshin sagte abermals nichts. „Anscheinend gab es dort einen kleinen Jungen – einen kleinen Schwertkämpfer mit roten Haaren, der mit den Ishin Shishi nach Kyoto ging.“ „Warum erzählst du mir das?“ fragte Kenshin schließlich knapp. „Du bist dieser Junge, oder nicht!“ knurrte Orinosuke. Weil Kenshin darauf nicht antwortete, wurde seine Stimme drohender. „Antworte mir!“ Was war es , was Baiko ihm geraten hatte, falls es zu so einer Situation kommen sollte? Sich wie die dümmliche Witwe in dem Stück zu verhalten? Kenshin setzt ein unschuldiges Gesicht auf und wandte sich dann fragend zu Orinosuke um. „Oro?“ “Was zum…?” Jetzt war Orinosuke wirklich wütend und seine Augen sprühten. „Spiel hier nicht den Unschuldigen, Junge! Du bist es, oder nicht?!“ Vor Kenshin lagen einige größere Felsenstückchen auf dem Weg. Kenshin entschloss sich, diese nicht gesehen zu haben und stolperte rücklings darüber. Krachend fiel er zu Boden, wo er mit kullernden Augen liegen blieb. „Oro, oro, oro!“ rief er aus. Orinosuke hielt kurz an und schaute voller Verachtung zu ihm nach unten. „Jämmerlich!“ spuckte er aus. Dann stapfte er davon. Wenn Orinosuke seine Augen zurückgewandt hätte, hätte er die plötzliche Verwandlung Kenshins bemerkt, denn die Kulleraugen wurden sofort von den schmalen, alles-sehenden Augen eines Hitokiri ersetzt. Baiko eilte herüber, um ihm beim Aufstehen zu helfen. „Was war denn los?“ fragte er. „Er weiß es!“ sagte Kenshin. „Weiß was?“ „Der Arzt hat ihm von der Kiheitai erzählt. Er weiß es.“ “Aber er hat doch nichts über… du weißt schon wen gesagt?” „Nein, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch das herausfindet.“ „Naja, dann ists ja gut,“ meinte Baiko erleichtert. „Immerhin hast du ihn jetzt für eine Zeitlang mit deiner Vorstellung verwirrt.“ „Nein,“ sagte Kenshin grimmig. “Nichts ist gut! Er wird bald eins und eins zusammenzählen können. Am besten wäre es, wenn ich jetzt sofort gehe, bevor alles nur noch schlimmer wird.“ „Das kannst du Daisuke-san nicht antun. Er zählt auf deine Hilfe!“ „Ach, und du denkst, er will meine Hilfe noch, nachdem er herausgefunden hat, wer ich wirklich bin?“ Kenshin lachte bitter. „Nein, Baiko, jeder, der einmal herausgefunden hat, das ich ein Hitokiri – und zwar nicht nur irgendeiner, sondern DER Hitokiri Battousai – war, kann in mir nichts anderes mehr sehen. Und es ist richtig, wenn sie Angst vor mir haben - nicht weil ich gefährlich bin, sondern weil diejenigen, die Rache an mir üben wollen, gefährlich sind. Ich weiß leider aus Erfahrung, dass die Rachesüchtigen nichts dabei empfinden, Unschuldige niederzumetzeln, wenn sie denken, dass sie dadurch auch mich treffen können.“ Er senkte seinen Blick und schüttelte den Kopf. „Was habe ich mir nur dabei gedacht, als ich Daisuke’s Angebot akzeptiert habe? Für wen habe ich mich gehalten? Es wird immer so sein...“ Wieder einmal wuchs der Zorn in Baiko ob dieser Ungerechtigkeit. Was für eine Art von Dank war es, wenn jemand, der dieser alten, ungerechten Shogunats-Regierung ein Ende bereitet hatte von allen so behandelt wurde? Er seufzte frustriert. „Himura, Matsuo hatte recht – du bist ein guter Mann - aber wenn du versuchen solltest, dich heimlich davon zu machen, dann werde ich dir persönlich die Hölle heiß machen. Hast du das verstanden?“ Kenshin schenkte Baiko ein kleines Lächeln. „Sessha hat es verstanden, Baiko-san.“ Der Nachmittag schritt voran und sie kamen nur langsam auf der steilen Bergstrasse vorwärts. Als sie endlich die Spitze des Berges erreicht hatten, brach kurzes Gejubel aus, doch sie erlaubten sich keine Rast sondern eilten weiter, froh, dass es nun lange Zeit bergab gehen würde. Leider verdunkelte sich der Himmel zunehmend und es sah nach Regen aus. Das Licht wurde düsterer. Irgendetwas schien da vor ihnen auf der Strasse zu liegen. Irgendetwas Großes. Kenshin konnte es wegen den schlechten Lichtverhältnissen nicht klar erkennen, doch als er Orinosuke darauf hinwiesen wollte, war der bereits schon mit vorsichtshalber gezogenem Schwert voraus gerannt. Kenshin folgte. Als sie näher kamen, sahen sie, dass es ein umgestürzter kleiner Handkarren war, der mitten auf der Straße lag. Er war aufgeschlitzt und auf einer Seite war ein großer Blutspritzer. Der Inhalt des Karrens – Rettich und Kohl – lag auf der Strasse verstreut. „Schnell!“ rief Orinosuke aus, „geh zurück und schaff die Frauen und Kinder in den Wagen! Vielleicht sind die Banditen noch hier!“ Kenshin rannte zurück und tat, wie ihm befohlen. „Baiko,“ rief er, „Geh zu Orinosuke!“ Auch Ryosuke rannte jetzt nach vorne, gefolgt von Daisuke. Kenshin half in der Zwischenzeit den Frauen und Kindern schnell beim einsteigen und sprang dann auf das Dach des Wagens, um einen besseren Blick auf die Umgebung werfen zu können. Er hatte zwar nirgendwo in der Nähe eine feindliche Ki gespürt, aber man konnte sich nie zu sicher sein. Allerdings, kaum landete er auf den Wagendach, schrie eine der Frauen im Wagen: „Hilfe! Wir werden angegriffen!“ Es war Mei und sie war in Panik. Kenshin steckte schnell von oben seinen Kopf durch den Wageneingang. „Mei-dono, bitte beruhigt euch! Ich bin es nur!“ „Du kannst so hoch springen?!“ rief Bunjiro erstaunt aus. „Wow! Kannst du mir das beibri-...“ Seine Mutter packte ihn grob. „Lass deinen Vater nicht hören, dass du mit diesem Mann sprichst!“ zischte sie recht laut. Kenshin hatte sich unterdessen auf das Dach gestellt und die Umgebung untersucht. Es gab nicht das geringste Anzeichen von den Banditen, aber irgendetwas war links der Straße im Geäst zu sehen. „Baiko!“ rief er und winkte zu der Stelle. „Schau mal da drüben!“ Baiko rannte, wohin ihn Kenshins Finger wies. Es war ein Hut, der da im Geäst hing und wenige Schritte entfernt fand er einen blutbeschmierten Mantel. Er rannte zurück zur Strasse und winkte Kenshin, zu ihnen zu kommen. “Scheint so, als ob die Händler zu diesem Schubkarren angegriffen wurden,” bemerkte Baiko grimmig. „Aber das Blut ist nicht mehr frisch und ich konnte keine anderen Spuren bemerken. Was hat das zu bedeuten, Himura?“ Kenshin war schon den Spuren ins Geäst gefolgt. Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg, um ja keine Spuren zu zerstören. Die Banditen hatten sich nicht gerade Mühe gegeben, ihre Spuren zu verwischen. Auch wenn sie vielleicht nicht für Jedermann sichtbar waren, für Kenshin, der jahrelang mit seinem Meister Spurenlesen geübt hatte, waren sie so offensichtlich, als ob ein Elefant durchs Gestrüpp getrampelt wäre. Nachdem er der Spur ein Stück gefolgt war, kehrte er zu den anderen zurück. „Scheint so, als ob die Banditen sich nach Osten gewandt haben. Dem Blut auf der anderen Straßenseite nach zu urteilen, haben sich die verwundeten Männer vielleicht nach Norden gewandt, um sich in das nächste Dorf zu retten. Anscheinend waren es mehrere Angreifer, mindestens drei oder vier!“ „Sicher, dass sie nach Osten sind?“ fragte Baiko mit einem besorgten Blick auf die noch vor ihnen liegende Strasse. „Ja.“ Antwortete Kenshin. „Sie waren nicht gerade vorsichtig, als sie durch das Gebüsch getrampelt sind. Ihre Spuren sind leicht zu finden und die gehen ein ganzes Stück nach Osten. Ich denke, wir werden bis zum nächsten Dorf auf der Strasse sicher sein.“ „Aha. Und das alles weißt du einfach so?“ bemerkte Orinosuke sarkastisch. „Vielleicht sind das ja Freunde von dir aus deiner Zeit in Kyoto, und du führst uns gerade zu ihnen.“ Kenshin überhörte die unverblümte Beleidigung und wandte sich statt dessen an Daisuke. „Es würde Sinn machen, wenn die Opfer in die entgegengesetzte Richtung gegangen sind. Also wenn ihre Spuren zum Dorf führen, dann sind die Angreifer wohl nicht den gleichen Weg gegangen. Außerdem, hat der Arzt nicht erzählt, dass die Yakuza überwiegend kleine, abgeschieden gelegene Gehöfte überfallen und nicht größere Dörfer?“ „Ja.“ Bestätigte Baiko. „Dann sind sie vermutlich nur auf der Suche nach leichten Zielen – Bauern auf dem Weg zum Markt, einsame Bauernhöfen. Da sie hier so offen ihre Spuren hinterlassen haben, sind sie wohl weitergezogen. Ich schätze, dass sie mindestens eine halbe Tagesreise entfernt sind. „Scheint mir Sinn zu machen,“ nickte Baiko. Auch die anderen nickten zustimmend. Nur Orinosuke nickte nicht – statt dessen zog er unvermittelt sein Schwert und hielt es Kenshin an die Kehle. “Hoffentlich hast du Recht!” knurrte er bedrohlich. „Denn wenn nicht, und wenn du uns ein eine Falle führst...“ Er drückte das Schwert fester gegen die Haut an Kenshins Hals. Baiko schnappte nach Luft. Er hatte Kenshin bei seinem Training gesehen und er wusste, wie schnell er sich bewegen konnte und zu was er fähig war. Plötzlich bekam er Panik, dass Kenshin vielleicht die Geduld verlieren konnte und... Doch zu seiner Erleichterung stand Kenshin steckensteif da, ohne einen Muskel zu bewegen. Er erwiderte Orinosukes wütenden Blick mit einem kalten Glitzern seiner Augen. Plötzlich mischte sich Ryosuke ein und stellte sich zwischen seinen Bruder und Kenshin. „Jetzt ist das Maß aber voll!“ schrie er und stieß Orinosuke mitsamt seinem Schwert weg. „Du vergiftest die ganze Reise mit deiner Bitterkeit, jeden Tag wird es schlimmer. Jetzt lässt du deine Wut sogar an Fremden aus! Warum gehst du nicht einfach nach Kyoto und lässt uns in Ruhe?!“ „Wie wagst du es!“ schnauzte ihn Orinosuke an. Er steckte sein Schwert ein und ballte nun die Fäuste, genau wie Ryosuke. Daisuke packte ihn und hielt ihn zurück. Dasselbe tat Baiko mit Ryosuke. „Weißt du, was ich denke?“ schrie Ryosuke weiter. „Ich denke, du bist neidisch auf den Rurouni! Er ist ein freier Mann, ohne Bindungen, kommt und geht, wie es ihm passt – du bist neidisch, dass du das nicht auch kannst. Nimm doch deinen Krempel und geh einfach!“ Orinosukes Gesicht war nun eine zornige Maske. „Wie kannst du so reden, obwohl du auch ein Angebot von der Familie deiner Frau aus Tokyo bekommen hast?!“ fauchte er. Angesichts von Ryosukes überraschtem Gesichtsausdruck fügte er hinzu, „Oh ja, dachtest du, dass ich das nicht wüsste?“ Ryosukes Augen verschmälerten sich und er funkelte seinen Bruder wütend an. “Hör mir genau zu, Bruder!” spuckte er aus. „Ich bin nicht wie du und werde es auch niemals sein. Du denkst, du bist zu gut für irgendeine andere Stadt als Kyoto. So denke ich nicht. Gib mir eine Bühne und ein Publikum und dann ist es mir egal, wo ich auftrete – ich biete den verdammt besten Auftritt, den ich geben kann. Ist mir egal, ob Kagoshima, Kyoto, oder dieses gottverlassene Dorf heute morgen! Was lässt dich denken, dass diese Bauern hier weniger verdienen als irgendeine hochstehende Persönlichkeit? Du bist ein Idiot, Bruderherz! Nimm endlich deine Sachen und verlasse uns. Und wenn du das nicht kannst, dann musst du endlich mit der Situation fertig werden und deine Bitterkeit herunterschlucken, denn es reicht uns! Und nur damit du es weißt - ich hab das Angebot aus Tokyo bereits abgeschlagen, bevor wir Kagoshima verlassen hatten!“ Damit wandte sich Ryosuke ab und stürmte zum Wagen zurück, den vor Wut dampfenden Orinosuke und den erschütterten Daisuke im Rücken. Daisuke ließ Orinosuke nun los und starrte ihm in die Augen. Er war einigermaßen entsetzt von der Wut, die er in ihnen fand. Anscheinend hatte sich wirklich viel angestaut in den sieben Jahren, seit sie Kyoto verlassen hatten. Und diese angestaute Bitterkeit war nun dabei, die ganze Familie zu spalten. „Nimm deine Position vor dem Wagen wieder ein!“ befahl Daisuke Orinosuke grimmig. „Wir reden später weiter. Baiko, pass auf, dass die Frauen und Kinder im Wagen bleiben, es geht weiter! Wir wollen noch vor Einbruch der Nacht in der nächsten Stadt ankommen. Ich möchte nicht im Dunkeln hier in der Wildnis sein, nur für den Fall, das Himura-san unrecht hat. Apropos, wo ist der eigentlich?“ „Was?!“ Baiko war so von dem Streit zwischen den beiden Brüder eingenommen gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie Kenshin sich diskret zurückgezogen und davongegangen war. Etwas Panik überkam ihn, da ihm einfiel, dass Kenshin noch nicht vor allzu langer Zeit den Wunsch geäußert hatte, die Familie zu verlassen. Schnell sprintete er zurück zum Wagen; Als er sah, dass Kenshin bereits schon dort war und mit Ennosuke sprach, verlangsamte er erleichtert sein Tempo. Ennosuke seinerseits hatte in der Zwischenzeit versucht, aus Kenshin herauszuquetschen, was da vorne zwischen den Brüdern vor sich ging, weil er sich leider mit seinem verletzten Bein nicht aus dem Wagen bewegen konnte. „Was ist passiert?“ „Einige Bauern wurden von Banditen überfallen,“ antwortete Kenshin. Als Ikuko’s Kopf bei dem Wort „Banditen“ aus dem Wagen schoss, fügte er schnell hinzu, „Es war nicht heute – mindestens vor einem Tag oder mehr. Wahrscheinlich haben sie die Gegend hier schon verlassen.“ Ikuko seufzte erleichtert und verschwand wieder im Wagen aber Ennosuke war nicht befriedigt. „Wenn das der Fall ist, warum schreien sie dann die ganze Zeit da vorne herum?!“ Kenshin versteckte seine Augen unter seinem Pony, ängstlich, die Wut in ihnen preiszugeben, die er gerade nur schwer zurückhalten konnte. „Das,“ presste er heraus, „scheint eine Familienangelegenheit zu sein.“ „Eine Familienangelegenheit? Wovon sprichst du?“ fragte Ennosuke genauer nach, aber dann sah er seine zwei Brüder herbeilaufen und konnte sich angesichts der Wut in Orinosukes Gesicht den Rest schon denken. „Orinosuke und Kyoto?“ Kenshin nickte, sagte aber nichts mehr. Statt dessen kehrte er zu seiner Position an der rechten Seite des Wagens zurück um für den Aufbruch bereit zu sein. Daisuke schwang sich nun zu Ennosuke auf den Wagen, doch bevor dieser seinem Vater irgendwelche Fragen stellen konnte, donnerte Daisuke schon, „Ich will darüber jetzt nicht sprechen! Heute Abend werden wir das Problem ein für alle Mal lösen!“ Japanisch: Kata: Übungen einer Kampfkunsttechnik. Kiheitai: private Armme Choshuus, gegründet von Takasugi Shinsaku am Beginn der Bakumatsu-Zeit. Bestand vorwiegend aus Bauern und nicht aus Samurai. Geta: Holzsandalen Gomen: sorry. Nächstes Kapitel: Die Wanderer treffen auf neue Bedrohungen und ein dunkles Geheimnis aus Daisukes Vergangenheit während der Bakumatsu-Zeit kommt ans Licht... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)