Mal ganz sorglos von Chibichi (Fanfics rund um die Sorglospunks) ================================================================================ Kapitel 4: 3, 2, 1…. Angst!!!! ------------------------------ In den tiefsten Tiefen des Internets ist alles zu finden. Aber nur die wenigsten Menschen haben dort eine Quelle für neue Einfälle entdeckt, mit denen man einer meistens recht mittellosen, dafür aber umso sorgloseren Punkband zu einem weltweiten Bekanntheitsgrad verhelfen kann. Vielleicht gab es auch nur einen Menschen, der diese Fähigkeiten besaß, und dieser Mensch war Nifen, die Bandmanagerin der Sorglospunks. Und dieses Mal hatte sie das Wunder von eBay entdeckt. Ich muss gestehen, dass ich von Nifens eBay-Erforschung nur das fertige Endprodukt mitbekam, da ich zu dieser Zeit sehr viel um die Ohren hatte. Mein schwarzes Telefon stand selten still, denn scheinbar hatte jemand einer gewissen Teenie-Boy-Band gesteckt, dass ich ihren Hit für eine interessante Schnitzeljagd zweckentfremdet hatte. (Dass der Songtext von vorneherein für eine solche Gelegenheit verfasst worden war, wollte mir Bill einfach nicht glauben…) Warum sonst hätte ich ausgerechnet Tokio Hotel unter Vertrag nehmen sollen? Bestimmt nicht weil die Jungs so „knuffig“ waren. Sie waren eher eine leichte Beute gewesen und hatten ihre Seelen für ‘nen Appel und ‘n Ei hergegeben. Aus meiner Sicht waren sie nur ein kleiner Lückenfüller, der bereits im Diesseits die Leute für mich nervte und halb in den Wahnsinn trieb. (Ein bisschen Spaß muss man sich ja ab und an mal gönnen.) Jedenfalls verbrachte ich die meiste Zeit damit, einen völlig aufgelösten und flennenden Bill einigermaßen zu trösten und wenigstens ein bisschen glaubhaft zu versichern, dass mir etwas an ihm lag. Allerdings, irgendwann nach dem zwanzigsten verheulten Anruf („Du magst uns nicht mehr… buhuuuuuuu…“), habe ich dann doch lieber mein Telefon auf stumm gestellt und mich verdrückt. Verdammt noch mal, ich bin der Teufel und keine Kummerkastentante von der Bravo! Also schneite ich mal wieder in der Sorglospunk-WG herein. Hier würde Bill mich bestimmt nicht ausfindig machen. Und außerdem hatte ich die Band seit unserem Balkonien-Urlaub nicht mehr besucht. Das lag einerseits an den nervigen Teenie-Boys und ihren Selbstmitleidskrisen, und andererseits daran, dass ich befürchten musste, dass Easy mal wieder das wechselhafte Wetter nicht passte. Ich weiß auch nicht, warum ich immer herhalten musste, wenn es um solche Angelegenheiten ging. Regen, Sonne, Schnee, Nebel… Und nie war man mit dem Ergebnis auf lange Sicht zufrieden. Nicht einmal der Einsatz meiner teuflischen Nebelmaschine an Silvester war richtig gewürdigt worden. Es war plötzlich zu nass, zu heiß, zu kalt, zu wenig Sicht. Na ja, aber was tat man nicht alles für seine Lieblingsband? (Bitte, fang jetzt nicht wieder an zu weinen, Bill…) Als ich also in der Band-WG auftauchte, sprang mich gleich eine aufgeregte Easy mit einem freudigen „Chiiiiiiiiiiiiii!“-Ruf an. „Wo hast du nur gesteckt?“ „Ach, ich hatte viel zu tun. Der Job kann manchmal echt höllisch sein“, antwortete ich grinsend und wand mich vorsichtig aus der Umklammerung, ohne dass die Schwingen unnötig zerzausten. Schließlich konnte ich ihr doch nicht sagen, warum Tokio Hotel mich so auf Trab hielten. Momentan sollte die sorglose Frontfrau ja noch glauben, dass das Konzert am Ende der Welt nur ein Traum gewesen war. Easy packte mich am Ärmel und zog mich zur Couch im Wohnzimmer, wo es sich bereits Jack und Kiwi gemütlich gemacht hatten. „Komm, setz dich, setz dich. Nimm dir doch ein Plätzchen“, quasselte die Frontfrau munter und hielt mir eine Schale mit Inspirationsplätzchen unter die Nase. Zumindest wusste ich nun, warum sie so aufgedreht war. In den Plätzchen steckten schließlich die beiden stärksten Sorglospunkwunderdrogen überhaupt: Schokolade und extra viel Kaffee. Eigentlich war das einer meiner größten Geniestreiche gewesen, als ich das Rezept entwickelt hatte. Dankend nahm ich eins der Plätzchen an, kraulte Kiwi am Ohr, die mir sofort auf den Schoss gesprungen war, und fragte erst mal nach: „Was war denn bei euch so los in der letzten Zeit?“ „Ach, Chris chattet beinahe Tag und Nacht mit dieser Barkeeperin aus Tokyo und bettelt Nifen an, ob wir nicht mal eine Tour durch Japan machen könnten“, erklärte Jack mit einem vielsagenden Blick. Easy nickte und plapperte drauf los: „Aber es ist auch etwas echt Merkwürdiges passiert. Nifen hat sich in ihrem Büro seit zehn Tagen eingeschlossen. Wir haben keine Ahnung, was sie da drinnen ausheckt. Abranka schiebt deshalb schon Wache vor der Tür, damit wir sofort erfahren, was los ist, wenn Nifen mal wieder herauskommt.“ Wenn die Bandmanagerin so geheimnisvoll tat, musste es etwas verdammt Interessantes sein, das sie da plante. Da schadete es ja nichts, wenn man vielleicht einmal an der Tür lauschte. Die Zwillingsschwestern waren natürlich sofort bereit, etwas zu spionieren. Also wurde noch Chris unter Protestrufen vom Laptop weggezerrt und wir leisteten der überaus neugierigen Muse vor der Bürotür Gesellschaft. Gleich sechs Ohren, eins von Wolkenhöhe und eins von Katzenkopfhöhe aus, wurden fest gegen die Tür gepresst. Okay, rein theoretisch hätte ich meine teuflischen Kräfte nutzen können und einfach durch die Tür schauen oder gleich direkt ins Büro schlendern können, schließlich können mich normale Türschlösser nicht aussperren, aber das wäre nicht so aufregend gewesen. Gerade als wir angestrengt versuchten, die leisen Geräusche im Büro zu deuten, wurde die Tür enthusiastisch aufgestoßen. „Hey! Ich habe einen… Sagt mal, was macht ihr denn alle dort auf dem Boden?“, wurden wir von Nifen begrüßt. Gleich drei Sorglospunks, ein Bandmaskottchen, eine Muse und ein Teufel saßen wehklagend auf ihrem Hosenboden und hielten sich den Kopf. Warum mussten Türen auch so hart sein? Als wir uns wieder, trotz Kopfschmerzen, aufgerappelt hatten, beendet Nifen ihre Ankündigung. „Ich habe einen wahnsinnig tollen Auftritt für euch. Die Leute haben sich förmlich um ein Konzert von euch gerissen.“ Die Augen der Managerin funkelten fröhlich hinter ihrer Sonnenbrille. „Die Leute haben sich darum gerissen?“, fragte Chris erstaunt. Easy hoppelte durch den Flur, vielleicht wegen dem Überschuss an Kaffee, und rief: „Hurra, ein Auftritt. Wir haben einen Auftritt!“ „Wo sollen wir denn überhaupt auftreten?“, erkundigte sich Jack vorsichtig. „Also“, setzte Nifen an. „Ich habe eine ganz neue Strategie eingesetzt und ein Konzertangebot von euch bei eBay reingestellt…“ „Bei eBay?!!?“, riefen alle drei Sorglospunks entgeistert und warfen einen vorwurfsvollen Blick Richtung einer gewissen Wolkenbesitzerin. „Das war nicht meine Idee“, verteidigte sich Abranka. „Nicht jede Idee ist automatisch von mir!“ „Genau“, bestätigte Nifen. „Da bin ich ganz alleine darauf gekommen. Ich habe intensive eBay-Forschung betrieben. Bei eBay wird ja alles angeboten: Smileys für 1.000 Euro, McDonalds Monopoly-Sticker für über 40.000 und sogar eine Seele wurde versteigert.“ Ich nickte wissend. „Das war ein echtes Schnäppchen, grad mal 5,50 Euro. Ich wüsste gerne, was die bösen Menschen, die mir mein Gebot wegnehmen wollten, damit eigentlich vorhatten“, murmelte ich. Nifen überging meinen Kommentar. „Jedenfalls habe ich mir gedacht, dass genauso gut ein Konzert versteigert werden kann. Also habe ich die ganze Auktion mit Argusaugen überwacht und der Höchstbietende war Dr.Angst.“ „Dr.Angst?“, echote Chris skeptisch. „Der Nick klingt aber nicht sehr vielversprechend.“ „Er ist ein Wissenschaftler, der Angstzustände erforscht. Schließlich habe ich ihn auch sofort gegooglet. Und er möchte das Konzert für den heute Abend anstehenden Ärztekongress auf seinem Anwesen“, erklärt die Managerin gutgelaunt. „Und die Versteigerung wird das große Loch in der Bandkasse wenigstens zeitweise etwas stopfen.“ Die Band stand noch etwas unter Schock, dass ihr Management mal wieder auf das Internet zurückgegriffen hatte, um einen Auftritt zu organisieren. Na ja, und wenn Nifen mich früh genug eingeweiht hätte, hätte ich die Schrei-Teenies sitzen gelassen und mit teuflischen Tricks dafür gesorgt, dass das Gebot schwindelerregende Höhe erreicht. Am späten Nachmittag saßen die komplette Sorglospunkband, Nifen, Abranka und ich im teuflischen Wunderauto, das ich schnell aus der unterweltlerischen Tiefgarage geholt hatte. Kiwi hatte sich geweigert mitzukommen und wollte lieber ein gemütliches Nickerchen in der neuen T-Shirt-Schublade von Chris machen. Nach dem Kleiderschrankmassaker hatte der Bassist seine Kleidungsstücke lieber in einer Kommode untergebracht. Was er allerdings nicht ahnte, war die Tatsache, dass Kiwi ganz genau wusste, wie man Schubladen öffnet. Und sie beobachtete immer sehr amüsiert, wenn Chris sich über die mysteriösen Katzenhaare beklagte, wie mir das Bandmaskottchen im Vertrauen gesagt hatte. Nach einer recht kurzen Autofahrt, schließlich hatte das Wunderauto ganze 500 Kilometer auf einmal übersprungen, erreichten wir das Anwesen von Dr. Dr. Agne Timo Angst, das mit dem umliegenden Parkgelände, um bei der Wahrheit zu bleiben, wirklich und sogar tatsächlich wirklich, absolut und uneingeschränkt gruselig war. Man hätte hier wohl eher ein Treffen mit Dr. Jekyll und Frankenstein als einen normalen Ärztekongress erwartet, wie Jacks entsetzter Blick nur bestätigte. Chris kaute nervös an seinen Fingernägeln und dachte an die zahlreichen Gruselfilme, die auf solchen Anwesen spielten. Gerade mal Easy, noch ganz unter der Wirkung der Plätzchen, und Nifen, wohlwissend, dass die Band sonst wahrscheinlich meutern würde, ließen sich nichts anmerken. Mit einem bangen Gefühl luden wir die Instrumente aus dem Kofferraum und schritten damit den Kiesweg zur Haustür hinauf. Ein schauerlicher Gong ertönte, als Easy an der Klingel zog, und wenige Augenblicke später öffnete sich die alte Eichentür knarrend. „Sie wünschen?“, erkundigte sich ein Butler mit gräulicher Gesichtsfarbe und musterte die Band blasiert. „Das sind die Sorglospunks“, erklärte Nifen mit einer ausladenden Handbewegung in Richtung der Band. „Wir sind hier, weil Dr. Dr. Angst einen Bandauftritt für den Ärztekongress bestellt hat.“ Der Butler nickte und ließ uns herein. „Der Doktor erwartet Sie schon. Bitte folgen Sie mir.“ Eilig schritt er voran durch den dunklen Flur, so dass wir Schwierigkeiten hatten, mitsamt dem Schlagzeug hinterherzukommen. Nach zahlreichen düsteren Gängen gelangten wir endlich zum Saal im westlichen Flügel des Anwesens, in den uns der Butler geleitete. Mehrere Menschen in weißen Kitteln waren dort versammelt, unterhielten sich angeregt und tranken bunte Cocktails. Ein kleiner, unscheinbarer Mann mit zerzaustem Haar stand etwas abseits. Und genau diesen steuerte der Butler zielsicher an. „Doktor?“ „Ah!“ Der kleine Mann stieß einen erschreckten Schrei aus und machte einen Satz nach vorne. Gehetzt sah er den Butler an. „Wa… was ist denn, Igor?“ „Die Band ist da, Doktor“, erklärte Igor gelassen und deutete auf Easy, Jack und Chris. Dr. Dr. Agne Timo Angst nahm eine Brille aus der Tasche seines Kittels und putzte diese hektisch. „Gut, gut, ich befürchtete schon, dass sie sich verspäten. Das hätte vielleicht zu einem Aufstand mit Mistgabeln und Fackeln unter dem Publikum führen können.“ Etwas verängstigt schaute er durch den Saal, als würden die Ärzte vielleicht wirklich einen Aufstand anzetteln. Nifen lächelte und hielt dem Doktor ihre Hand hin. „Keine Sorge, Dr. Dr. Angst, die Band ist sehr Aufstand erprobt. Aber bevor es dazu kommt, sollten wir vielleicht lieber den Auftritt vorbereiten.“ Der kleine Mann sah irritiert und beinahe erschreckt auf Nifens Hand und nickte nur leicht: „Das wäre wohl besser. Man weiß ja nie…“ Und schon trippelte er schnell zur Bühne. Die Bandmanagerin sah ihm verwundert hinterher und betrachtete dann fragend ihre Hand, ob damit vielleicht irgendetwas nicht stimmte. „Der Doktor hat Angst vor dem Händeschütteln“, raunte Igor erklärend. „Er ist ein unglaublicher Wissenschaftler und hat sich zur Erforschung der Angst selbst mit zahlreichen Phobien infiziert. Seither hat er Angst davor, das Haus zu verlassen. Daher muss der jährliche Ärztekongress hier stattfinden.“ „Ah so“, murmelte Nifen und ließ die Hand wieder sinken. Davon hatte sie natürlich nichts bei Google gefunden, obwohl sie so gut recherchiert hatte. Während die Band schnell ihre Instrumente aufbaute, um den befürchteten Aufstand der Ärzte zu vermeiden, löcherten Abranka und ich den Butler mit Fragen. Scheinbar hatte ich die Muse schon mit meiner Neugierde angesteckt. Aber Igor erwies sich als ausgezeichnete Informationsquelle. „Der Doktor hat nach jahrelanger Forschung ein ultimatives Anxiolytikum entwickelt“, sagte er anerkennend. „Ein was, bitte schön?“, erkundigte ich mich. Die Bandmuse blätterte derweil schnell in ihrem musischen Fremdwörterlexikon herum. „Ein Medikament, das jede Art von Angst bekämpft“, erklärte der Butler herablassend. „Doch leider hat er inzwischen eine Pharmacophobie entwickelt und kann daher das Anxiolytikum nicht testen. Wirklich bedauerlich…“ „Ah ja, wirklich schade…“, bestätigte ich und warf Abranka einen fragenden Seitenblick zu. Nach kurzer Suche hatte sie den Begriff im Wörterbuch entdeckt und flüsterte mir zu: „Das ist die Angst davor, Medikamente einzunehmen. Es muss wirklich schrecklich sein, als Erforscher der Angst so viele Ängste zu haben und sich nicht mehr selbst heilen zu können, weil man Angst davor hat.“ Ich nickte nur stumm, denn Easy hatte bereits das Mikrofon ergriffen und den ersten Song angestimmt. Das Konzert war ein voller Erfolg. Wer hätte gedacht, dass ein kompletter Ärztekongress den Refrain von „Melancholische Tomaten“ mitgrölen konnte und sogar bei dem Grinchsong textsicher war. Dr. Dr. Agne Timo Angst klatschte begeistert in die Hände und forderte eine Zugabe nach der anderen. Als schließlich das ganze Sorglospunk-Repertoire rauf und runter gespielt worden war, waren die Ärzte vollkommen zufrieden und Dr. Dr. Angst musste keine Aufstände mehr befürchten. Also konnten wir uns getrost auf den Heimweg machen. Erleichtert das gruselige Haus unbeschadet zu verlassen, stiegen wir in das teuflische Wunderauto und waren im Nu wieder in der Sorglospunk-WG. Easy, diesmal unter der aufputschenden Wirkung eines tollen Konzertes, wuselte gleich in die Küche, um eine Großladung Kaffee für alle zu kochen. Nifen sank mit einem Siegeslächeln auf das Sofa und murmelt: „Nach dem Erfolg sollten wir überlegen, ob wir nicht öfters ein Konzert bei eBay einstellen.“ „Na ja, heute ist ja alles gut gegangen, aber ich finde es trotzdem etwas fraglich uns zu versteigern“, antwortete Jack und setzte sich neben die Managerin. Chris nickte und polierte liebevoll seinen Bass mit dem Extra-weich-und-flauschig-Instrumente-Poliertuch. „Stellt euch mal vor, die hätten wirklich einen Aufstand angezettelt und dann vielleicht meinen Bass zerkratzt.“ „Das wäre nicht das Einzige mit Kratzern…“, vernahm ich eine Stimme aus den Tiefen der Sesselkissen. Kiwi, das Bandmaskottchen, hatte sich dort gemütlich zusammengerollt und auf uns gewartet. Schnell setzte ich mich auf die Armlehne des Sessels und zupfte ein verräterisches Garnfädchen aus Kiwis Krallen. „Na, warst du fleißig?“, erkundigte ich mich grinsend. Das orangegetigerte Maskottchen grinste ebenfalls: „Sagen wir mal, dass ein gewisses Lieblingshemd keinen einzigen Knopf mehr hat…“ Argwöhnisch schob Abranka ihre Wolke näher an den Sessel. „Was miaut ihr da eigentlich?“ „Ach, ich erzähle Kiwi nur, wie toll das Konzert war“, antwortete ich mit Unschuldsmiene. Schließlich war es nicht meine Aufgabe als Teufel einfach Bandmaskottchen zu verpfeifen. Chris würde schon früh genug entdecken, dass seine Hemdknöpfe in der ganzen WG verstreut waren. Inzwischen kam die sorglose Frontfrau mit einer großen Kaffeekanne und einem Türmchen Kaffeebecher hereingestürmt. „Das Konzert war ja wirklich umwerfend. Da soll noch mal einer sagen, Ärztekongresse wären langweilig“, quasselte sie aufgekratzt und goss sich das lebensspendende Elixier ein. Jack angelte sich ebenfalls einen Becher vom Tisch und sah ihre Zwillingsschwester an. „Es wäre bestimmt ein noch viel größerer Erfolg gewesen, wenn wir noch einen neuen Song gehabt hätten. Vielleicht sollten wir dich wieder auf Kaffeeentzug setzen, damit du mal etwas schreibst.“ „Alles nur das nicht!“, rief Easy entsetzt. „Ich setze mich gleich morgen hin und schreibe einen neuen Song, aber streich mir ja nicht den Kaffee. Das überlebe ich nicht.“ Die Bandmanagerin gähnte verhalten. Die zehn Tage eBay-Forschung und –Beobachtung zeigten langsam ihre Spuren. „Dann mach das mal, Easy. Morgen stell ich dann mit dem neuen Song in der Repertoireliste eine weitere Konzertauktion ins Netz. Aber jetzt hau ich mich lieber mal aufs Ohr. Gute Nacht allerseits“, verabschiedete sich Nifen, erhob sich und schlurfte zu ihrem Zimmer. „Schlaf gut!“, riefen wir ihr nach. Aber schon im Türrahmen blieb sie schreckensbleich stehen und zitterte am ganzen Körper. Sofort sauste Abranka mit ihrer Wolke zu der entsetzten Managerin. „Was ist denn los? Alles in Ordnung?“ Nifen schüttelte langsam den Kopf und murmelte schwach: „Nein… Ich habe ganz plötzlich wahnsinnige Angst bekommen.“ „Wovor denn?“, erkundigte sich Easy verwirrt. „Vor etwaigen Kaffeeentzug vielleicht?“ „Red doch keinen Quatsch“, mischte sich Jack ein und sah besorgt zu Nifen. Die Bandmanagerin ging mit Abrankas Hilfe wieder zurück zum Sofa und sagte leise: „Ich hatte Angst davor, ins Bett zu gehen…“ „Wie bitte? Angst davor, ins Bett zu gehen? Gibt es so etwas überhaupt?“, fragte Chris verwundert. „Klar“, schaltete ich mich ein und kramte in meiner Tasche herum. Auf dem Kongress hatte ich mir einen Flyer über die Arbeit von Dr. Dr. Agne Timo Angst eingesteckt, den ich nun suchend durchblätterte. „Das nennt man Clinophobie, steht hier.“ Nifen sah sehr irritiert aus und zitterte nur noch ganz leicht. „Aber ich hatte so etwas noch nie. Was soll ich denn nun machen?“ „Na ja, vielleicht solltest du heute auf dem Sofa schlafen und morgen sieht die Welt bestimmt viel besser aus“, schlug Easy vor. Aber leider sollte sie nicht Recht behalten… Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass eine Nacht darüber zu schlafen absolut nichts genutzt hatte. Eigentlich hatten wir auch gar nicht geschlafen, denn Chris hatte eine schreckliche Achluophobie entwickelt. Als Easy das Licht im Wohnzimmer versehentlich ausgemacht hatte, fing der Prince of Punk an, ohrenbetäubend zu schreien. Seine Panik vor der Dunkelheit zwang uns, alle Lampen in der Sorglospunk-WG die ganze Nacht über brennen zu lassen, so dass niemand wirklich ein Auge zukam. Beim Frühstück fand Jack heraus, dass sie an Mageirocophobie litt, denn sie war nicht in der Lage sich einen Tee zu oder überhaupt etwas zu kochen. Währenddessen klagte Easy über einer Amnesiphobie und stand panische Angstzustände aus, dass sie vielleicht ihr Gedächtnis verlieren könnte. Auch Abranka blieb nicht verschont vor der grassierenden Angstwelle und musste ihren Plan, in diversen Lexika einen Ausweg zu finden, wegen akuter Bibliophobie aufgeben. Sie konnte nicht einmal in die Nähe von Büchern kommen, weshalb wir die gesamte Sorglospunk-Bibliothek in den Keller räumten. Selbst ich war nicht mehr in der Lage bei der Informationsstelle meines Büros anzurufen, um dort vielleicht etwas zu erfahren. Schließlich erkrankte ich an einer schlimmen Hexakosioihexekontahexaphobie und das machte es unmöglich, eine Telefonnummer, die mit 666 begann, zu wählen. Ebenso wenig konnte ich einfach mit dem Fahrstuhl selbst zur Informationsstelle fahren, weil ich schnell eine neu aufkommende Hadephobie feststellte. Es war einfach lächerlich. Der Teufel selbst bekam Angst vor der Hölle… Der Tag wurde noch abgedrehter, als er so schon war. Nifen entwickelte eine Xanthophobie, so dass wir alle gelben Gegenstände ebenfalls in den Keller stopfen mussten. Bei Chris kam noch zuerst eine Aulophobie hinzu, also wanderten Jacks Flöten auch in das Exil, und dann noch eine nicht minderstarke Catoptrophobie, so dass kurze Zeit später die Spiegel im Haus denselben Weg gingen. Allein zu Kiwis Freude entwickelte niemand eine Aelurophobie, eine Felinophobie oder gar eine Galeophobie, die alle eine tierische Angst vor Katzen bedeuteten. Irgendwann nachmittags wollte sich die nicht mehr ganz so sorglose Frontfrau der Sorglospunks von den seltsamen Ereignissen etwas ablenken (außerdem befürchtete sie in dieser Katastrophe noch einen zusätzlichen Kaffeeentzug) und sich an den Schreibtisch setzten, um wie versprochen einen neuen Song zu verfassen. Als sie aber vor dem leeren Blatt saß, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Ein eindeutiger Fall von Easiophobie, der Angst zu schreiben. „Wie passend“, kommentierte Chris missmutig. „Lass dir etwas einfallen, Abranka. Wir brauchen dringend eine Lösung.“ Die Muse schüttelte nur entsetzt den Kopf und murmelte kleinlaut: „Das geht nicht.“ „Und warum nicht?“, hakte Jack erstaunt nach. Schließlich hatte die Bandmuse immer eine rettende Idee gehabt, wenn alles ausweglos schien. Abranka schaute kurz in meine schlaue Lektüre vom Ärztekongress und erklärte: „Ich habe schreckliche Ideophobie…“ „Du hast Angst vor Ideen?“, stieß Nifen fassungslos hervor. „Was sollen wir denn jetzt nur machen?“ „Ich glaube, so langsam bekomme ich eine Hellenologophobie“, sagte Jack matt und sank in den Sessel. „Diese ganzen griechischen Wörter machen mir Angst.“ Easy nickte. „Und ich leide jetzt auch noch an Neoorthographogermanophobie, aber die neue deutsche Rechtschreibung war mir ja noch nie geheuer.“ Als zum Schluss noch jeder an Musicophobie erkrankte, haute die Bandmanagerin mit der Faust auf den Tisch. „Das kann so doch nicht weitergehen. Wer hat denn von einer Punkband gehört, die sich vor Musik fürchtet?“ „Das ist alles Schuld von diesem Doktor. Wir müssen uns irgendwie bei ihm angesteckt haben“, fauchte Jack und verschränkte die Arme. Ich nickte: „Schließlich hat er sich selbst mit Angst infiziert. Am besten ruft derjenige, der noch keine Angst vor Telefonen hat, bei Dr. Dr. Agne Timo Angst an und bittet ihn um sein ultimatives Anxiolytikum. Wir bieten uns einfach als Versuchskaninchen an. Schlimmer kann es nicht werden.“ „Genau“, rief Easy zustimmend und angelte nach Nifens Organizer, um bei dem Doktor anzurufen. Spät am Abend, bekanntlich hat ja nicht jeder ein etliche Kilometer überspringendes, teuflisches Wunderauto, klopfte es endlich an der Tür. Igor, der gruselige Butler, überbrachte uns das Gegenmittel, da der Doktor selbst das Haus nicht verlassen konnte. „Jeder soll zwei dieser Tabletten mit viel Wasser einnehmen“, übermittelte er die Anweisungen von Dr. Dr. Angst. „Falls sich die Ängste nicht sofort verflüchtigen, wird eine erneute Einnahme des Medikamentes am nächsten Morgen vorgeschlagen.“ Jeder nahm seine zwei Tabletten von dem grauhäutigen Butler, der sich kurz darauf verabschiedete, entgegen und betrachtete diese zögerlich. „Okay, wir nehmen sie gleichzeitig“, schlug Jack vor und umklammerte ihr Wasserglas. „3,2,1…“ Gemeinsam konsumierten wir das Anxiolytikum und ich konnte sofort spüren, dass ich wieder eine 666 ertragen und sogar in zur Hölle fahren konnte. Die Bandmuse machte vor Freude einen Luftsprung auf ihrer Wolke und jubelte: „Ich kann wieder Ideen haben!!!“ Alle waren erleichtert und hüpften vor Freude durch die WG. Easy rannte sogar sofort zum Schreibtisch, um die neuen Ideen, die von der Muse nur so durch die Luft geschleudert wurden, auf Papier zu bringen. Nach nur fünf Minuten hielt sie strahlend ein vollgeschriebenes Blatt hoch und verkündete: „Wir sollten mal schnell testen, ob die Musicophobie noch anhält.“ Chris zückte sofort seine Gitarre und Jack holte ihre Flöten aus dem Keller. Lauthals stimmte die nun wieder sorglose Frontfrau das neue Lied an: „Wir zitterten und schlotterten Blanke Panik saß in unserem Nacken Die Angst ging um wie eine Grippewelle Aber schau ihr tief in die Augen Denn gegen Furcht gibt es eine Medizin Und die heißt Sorglospunks! 3,2,1… Angst!!! Du glaubst, du kriegst mich klein? Aber ich fürchte mich nicht! 3,2,1… Angst!!! Hörst du mich, Angst? Ich lach dir ins Gesicht! Ein Sorglospunk fürchtet nicht einmal die Furcht Wir bleiben nicht vor Angst starr Verstecken uns nicht unterm Bett Denn wir sind mutig Nur ein Sorglospunk bekämpft die Furcht Bis sie Angst vor uns hat! 3,2,1… Angst!!! Du glaubst, du kriegst mich klein? Aber ich fürchte mich nicht! 3,2,1… Angst!!! Hörst du mich, Angst? Ich lach dir ins Gesicht! 3,2,1… Angst!!! Hörst du mich, Angst? Ich lach dir ins Gesicht!“ Easy sah sich beifallserheischend um, während der Bassist leicht den Kopf schüttelte. „Eigentlich haben wir es Igor zu verdanken und die Medizin heißt Anxiolytikum, aber was soll’s…“ „Wenn soweit wieder alles in Ordnung ist, kann ich ja jetzt eine neue eBay-Auktion einstellen“, meinte Nifen fröhlich. „Dann schreib aber lieber eine Klausel hinzu, dass wir nicht mehr bei Angst erforschenden Doktoren auftreten“, bemerkte Jack spitz. Die Bandmanagerin nickte nur schnell. So einen Tag wollte keiner von uns noch einmal durchmachen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)