Beichte von Jadis (Confession) ================================================================================ Kapitel 9: bis zum bitteren Ende -------------------------------- Kapitel 9 ~bis zum bitteren Ende~ Sie erwachte, auf den Bauch liegend, mit einem direkten Blick auf die Anzeige der digitalen Uhr die auf dem Nachttisch stand. 06:51 Alexandra stöhnte und drehte sich auf ihre linke Seite. Zehn Minuten später gab sie ihr Vorhaben wieder einzuschlafen auf und setzte sich in dem Doppelbett, welches viel zu groß für sie allein war, auf. Nach ein paar Sekunden des Verweilen zog sie ihre Sachen über und ging zum Bad, wo sie sich erst einmal ein Glas Leitungswasser einschenkte und in einem Zug trank. Es war viertel nach sieben, als sie ihr Zimmer mit dem Vorhaben verließ, das Hotel auf direktem Wege zu verlassen. Sie würde im Empfang eine Nachricht hinterlassen. Gerade als sie in die Lobby trat, öffnete sich die Tür zum Speisesaal und ein gehetzt aussehender David eilte ihr entgegen. Ein Kaffeefleck war auf sein T-Shirt gespritzt, was den Eindruck erweckte, als hätte er sich für sein Frühstück nicht sehr viel Zeit gelassen. Er murmelte vor sich hin und erkannte Alexandra erst, als er fast in sie hinein gelaufen wäre. “Lexa! Gut dass du hier bist. Zu dir wollte ich gerade.” Noch ehe sie ein “Guten Morgen.” murmeln konnte, redete David weiter auf sie ein. “Ich habe eine Nachtschicht eingelegt und die Mehrzahl der Termine bereits festgelegt. Heute Nachmittag, punkt 14 Uhr, holt ein Chauffeur dich von zu Hause ab und bringt dich zum Flughafen. Wir sehen uns dann morgen in Hamburg. Fahr vorsichtig.” Unfähig etwas anderes als “Okay.” zu sagen, ließ sie sich umarmen und verließ das Hotel in Gedanken, nachdem sie der Empfangsdame ihre Zimmerkarte ausgehändigt hatte. Sie schlenderte gemütlich durch Leipzigs Straßen und nahm nur wenig Notiz von dem aufkommenden Berufsverkehr. Es waren noch keine 12 Stunden vergangen, seit sie wusste, dass sie das neue Mitglied einer Band war, und schon jetzt begann das Starleben auf sie einzuwirken. Chauffeur. Hamburg. Flughafen. Das begann ja schon mal sehr viel versprechend. Kurz nach sieben Uhr hatte sie ihre horrenden Parkgebühren der Tiefgarage bezahlt und war jetzt endgültig pleite. Zum Glück, hatte die Fahrt hierher nur die Hälfte ihres Tanks geleert. Dies bedeutete, dass noch genug Sprit für den Nachhauseweg übrig war. Normalerweise sträubte sie sich immer, nach so einem Ausflug einfach wieder nach Hause zu fahren und ganz normal wieder in den Alltag zu starten. Doch dieses Mal würde sie nur schnell ihre Koffer packen um dann ein neues Abenteuer zu beginnen. Diesmal war es wirklich etwas anderes. Etwas aufregendes und absolut spannendes. Die Autobahnfahrt war nicht so anstrengend wie die gestrige. Es waren nur wenige Reisende unterwegs, sodass sie nach drei Stunden Fahrt und einer anschließenden, kurzen Parkplatzsuche kurz nach 10 Uhr im Flur ihrer Wohnung stand. Sie war nicht lange weg gewesen und doch fühlte es sich an, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Ein wohltuender Schauer lief ihr über den Rücken, als sie daran dachte, für eine Weile nicht hier zu sein. Ihrem Alltag entfliehen und im Rampenlicht stehen: das war es was sie wollte. Überstürzt ließ sie ihre Tasche von ihrer Schulter gleiten und eilte in ihr Schlafzimmer um zwei Koffer vom Schrank zu zerren. Sie hatte das blöde Gefühl, dass sie aus diesem Traum erwachen würde, wenn sie sich nicht beeilte. Eine gute Stunde später sah sie zufrieden auf zwei vollständig gepackte Koffer. Einer war etwas überfüllt und sie hatte sich auf ihn drauf setzen müssen, um ihn schließen zu können, aber immerhin war sie jetzt startklar. Ein Blick zur Uhr ließ sie seufzen. Jetzt hieß es eben noch drei Stunden warten. Aber im Warten war sie ja schon Weltmeisterin. Warten auf den Feierabend bei der Arbeit. Warten auf Urlaub. Warten auf ein Tokio Hotel Konzert. Warten auf ihre Chance ihr Talent beweisen zu können. Warten auf die große Liebe. Alexandra hatte ihr ganzes Leben immer auf irgendetwas gewartet. Und es war bei weitem noch nicht alles eingetreten. Ihr Warten schien immer weiter zu gehen. Vielleicht nahm es in der ein oder anderen Beziehung nie ein Ende. Mit der Absicht sich etwas essbares zu machen, ging sie in die Küche und vermied es diesmal den Fernseher einzuschalten. Ihr Kühlschrank war augenscheinlich leer. Auch gut, immerhin würde dann, über die Tage die sie nicht da war, nichts schlecht werden. Aus Verzweiflung aß sie schließlich Cornflakes ohne Milch, denn die war auch alle. Tütensuppe wäre zwar eine Alternative gewesen, aber leider war das Verfallsdatum schon seit ca. 3 Jahren abgelaufen. Die Sekunden vergingen schleichend, die Minuten schleppend und die Stunden zögerlich. Alexandra wurde immer nervöser und versuchte sich mit dem Lesen des 1. Bandes einer Enzyklopädie des Wissens abzulenken. Nachdem sie die erste Seite viermal gelesen hatte, immer noch ohne zu wissen was sie las, weil ihre Gedanken ständig um etwas anderes kreisten, stellte sie das Buch zurück ins Regal und zog sich frische Sachen an, welche sie bereit gelegt hatte. Viertel vor zwei hielt sie es nicht mehr aus und schleppte ihr Gepäck ins Treppenhaus. Es fiel ihr nicht sonderlich schwer ihre Wohnung hinter sich zu lassen. Sie drehte sich nicht mehr um, nachdem sie die Wohnungstür zugeschlossen hatte und sich und ihre Sachen auf den Gehweg vor der Eingangstür beförderte. Und hier saß sie jetzt. Einen Koffer neben sich stehend, auf dem anderen sitzend, aller geschätzter zehn Sekunden auf die Uhr sehend und ungeduldig mit den Fingern auf ihren Oberschenkel trommelnd. Langsam bekam sie das ganze Warten satt. Stunden später, wie es ihr schien, hielt ein Taxi direkt vor ihrer Nase und sie sah den Fahrer mit großen Augen an, während sie sich erhob. Er stieg aus, wandte seinen Blick ab und überquerte die Straße um zu dem kleinen Fastfoodladen auf dieser Seite der Straße zu gelangen. Alexandra setzte sich wieder und tat das Einzige was sie tun konnte. Richtig, Warten. Nach ein paar Minuten kehrte der Taxifahrer zu seinem Fahrzeug zurück. Er hatte eine große Tüte voll mit Fastfood in der Hand. Auf die Seite der Tüte war ein goldenes M gedruckt. Der Mann warf ihr einen letzten Blick zu, fuhr aus der Parklücke und verschwand. Gerade als sie sich fragte, an was sie ihren Chauffeur wohl erkennen würde, kam am Ende der Straße ein schwarzer Jeep um die Ecke gebogen. Eine Vollbremsung später stand er in der Parklücke vor ihr. Eine Volldrehung und ein paar qualmende Reifen hätten noch gefällt und es wäre ein Hollywoodreifer Stunt gewesen. Die getönte Scheibe der zu ihr gewandten vorderen Seite des Fahrzeuges glitt langsam nach unten. Es dauerte ein paar Sekunden bis Alexandra realisierte, wer sie da vom Beifahrersitz her angrinste. “Sind wir hier richtig bei Behlert?” fragte Gustav und rückte sein Cappie zurecht. “Absolut richtig.” antwortete Alexandra leicht perplex und erhob sich um zum Fenster zu gehen. Ein witziges Bild bot sich ihr, als sie ins Innere des Wagens sah. Gustav hatte einen Stadtplan vor sich ausgefaltet, allerdings bemerkte Alexandra, dass er ihn falsch herum las. Georg saß auf dem Fahrersitz und sein Blick ging immer wieder zu dem Navigationsgerät, welches am Armaturenbrett angebracht war. In der linken Hand hielt er einen Milchshake und zog gerade am Strohhalm. Auf der Rückbank saßen die Zwillinge und bewarfen sich gerade mit Papierkugeln, die sie aus Servietten gedreht hatten. Sie schienen sich sehr zu amüsieren. Auch sie hielten jeweils einen Milchshake in der Hand und hatten leere Burgerverpackungen neben und auf sich liegen. “Hi Lexa.” sagten alle vier monoton, was sie zum lachen brachte. “Hi Jungs”, lachte auch Alexandra und fügte hinzu “Egal, was ihr für Zeug nehmt, nehmt weniger oder gebt mir auch etwas.” Ein Becher tauchte vor ihren Augen auf. Alexandra nahm einen Schluck und reichte Bill seinen Erdbeershake zurück. Wäre das “Was macht ihr vier eigentlich hier?” “Wir sind dein Fahrdienst.” sagte Georg, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt und tippte gerade irgendetwas in das Navigationsgerät ein. Ja ne, war ja logisch. “Es war nicht leicht, David davon zu überzeugen”, berichtete Bill “aber letzen Endes hat er klein bei gegeben.” “Das hat er nur gemacht, weil er nicht weiß, dass Georg wie der Henker fährt.” schaltete Tom sich ein und klopfte Georg auf die Schultern. Während die Beiden sich balgten, öffnete Gustav die Beifahrertür und trat auf den Gehweg um Alexandra mit den Koffern zu helfen. Der Kofferraum war auch ohne ihr Gepäck schon voll und es machte den Anschein, als würden sie zu fünft gleich in einen gemütlichen Urlaub fahren. Gerade als Gustav den Kofferraum schloss, sah Alexandra auf der anderen Straßenseite ein Mädchen in einem Kaffee durch die Scheibe hindurch auf sie zeigen. “Wir sind aufgeflogen.” folgte Gustavs Stimme und sie fühlte sich wie in irgendeinem Actionstreifen B la James Bond “Schnell steig ein.” Bill öffnete auf seiner Seite die Tür und rutschte in die Mitte der Rückbank. Alexandra kletterte in den Wagen und setzte sich auf seinen alten Platz. Die Verpackungen von Burgern und Chicken Mc Nuggets lagen auch im Fußraum verstreut. Alexandras Augenbrauen mussten in Richtung ihres Haaransatzes gewandert sein, nachdem sie ins Innere geklettert war, denn Tom fühlte sich zu einer Erklärung genötigt. “Wir hatten Hunger und sind bei McDoof in den Drive In gefahren.” “Klingt ja spannend.” meinte Alexandra sarkastisch, während Gustav die Tür hinter ihr zuknallte und wieder auf den Beifahrersitz Platz nahm. “Das war es.” bestätigte Gustav und widmete sich wieder dem Stadtplan “Vor Allem, weil Tom ein Big King Menü bestellt hat. Stell dir das mal vor.” Alexandra brauchte eine Weile, bis sie die Absurdität dieser Bestellung erkannte. “Und das schlimme ist”, fuhr Bill fort. “Er hat ihn bekommen.” beendete Georg. Tom kicherte fröhlich vor sich hin und spielte mit seinem Lippenpiercing. Alexandra fühlte sich ein wenig verarscht, sagte jedoch nichts, da sie es plötzlich sehr eilig hatte, ihr Überleben etwas mehr zu sichern, als Georg den Gang einlegte und das Fahrzeug in Bewegung setzte. Kurz gesagt: sie schnallte sich an. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass das Mädchen aus dem Kaffee mit einem Stift in der Hand auf die Straße gerannt kam und enttäuscht inne hielt, als sie sich entfernten. “Die war süß.” bemerkte Tom, wurde allerdings nicht wirklich beachtet. Gustav kämpfte erneut mit der Karte, während das Navi ihnen anzeigte, in 300 Metern rechts abzubiegen. Die waren schnell zurückgelegt und nach einer scharfen Rechtskurve, in der Alexandra sich an der Tür festhalten musste um nicht zu sehr nach links geschleudert zu werden, beschwerte sich Gustav: “Wir sind falsch. Du hättest hier wenden sollen.” Vielleicht lag es daran, dass er immer noch die Karte falsch herum hielt, vielleicht auch an was anderem. “Das Navi wird wohl wissen was es tut.” rechtfertigte sich Georg, als er an einer roten Ampel hielt. Alexandra wünschte sich plötzlich, eine Reisetablette genommen zu haben und wühlte in ihrer Tasche. “Auf Technik ist doch kein Verlass. Würdest du jetzt bitte wenden?” “Mitten auf der Kreuzung, oder was? Außerdem gibt es überhaupt keinen Grund zu wenden. Mach mich nicht wahnsinnig, Hobbit.” Gustav schien die Titulierung entweder nicht mitbekommen zu haben oder war sie bereits gewohnt, denn seine Augen suchten weiterhin die Karte ab. “Genau”, mischte sich jetzt Tom ein und warf eine Papierkugel auf Gustav “mach Georg nicht wahnsinnig, Hobbit.” Auch das ignorierte Gustav und legte endlich mal die Karte zur Seite. “Ist Saki noch hinter uns?” Saki? Alexandra, die gerade die Packung Reisetabletten in den Tiefen ihrer Tasche gefunden hatte, wirbelte herum, genau wie der Rest der Insassen. Ein Auto des gleichen Typs stand dicht an ihrer Stoßstange. Alexandra konnte Saki gut erkennen. Was sie noch sah war, dass er nicht allein unterwegs war. Wäre die Heckscheibe nicht getönt gewesen, hätte sie ihm wahrscheinlich gewunken. War irgendwie klar, dass er seine Schützlinge nicht alleine ließ, oder? “Ja, er ist noch da.” bestätigte Bill und Gustav schien ein wenig beruhigter zu sein. Schließlich sagte er die nächsten 10 Minuten nichts mehr und überließ die Routenplanung dem Navigationsgerät. Laut dem Gerät würden sie in einer Dreiviertelstunde am Dresdner Flughafen sein. Zum Leidwesen aller, gewann Tom alle Runden Schere, Stein, Papier und durfte somit eine seiner Hip-Hop-Platten auflegen. Die Fahrzeit verging schnell und sie erreichten den Flughafen ohne sich zu verfahren. Dem Navi sei Dank. Das erste was Gustav tat, nachdem er ausstieg, war einen Papierkorb zu suchen und den Stadtplan darin zu versenken. Alexandra war froh, endlich wieder an die frische Luft zu kommen, auch wenn es die Luft eines Parkhauses war. Georgs Fahrweise war doch recht... gewöhnungsbedürftig. Saki parkte seinen Jeep direkt neben ihren und als er ausstieg, staunte Alexandra nicht schlecht, dass vier weitere Männer aus dem Wagen kletterten. Alle komplett in schwarz gekleidet, augenscheinlich ebenfalls Leibwächter. Einer nach dem anderen reichte ihr die Hand zur Begrüßung. Unterdessen hatte Georg den Kofferraum geöffnet und Bill und Tom brachten zwei Kofferwagen heran gekarrt. Gemeinschaftlich wurde der Kofferraum geleert und es blieb an Tom und Georg hängen, die Wagen durch die Flughafengebäude zu rollen. Auch Saki und seine Leute hatten einen Wagen für ihr Gepäck beansprucht, nur fiel das irgendwie kleiner aus... Alexandra fragte sich, und das war in letzter Zeit nicht das erste Mal, wie es sich wohl anfühlen würde mit den Jungs wie selbstverständlich durch die Gegend zu laufen. Jetzt stellte sie fest, dass es sich zwar irgendwie seltsam anfühlte, aber bei weitem nicht so außergewöhnlich war, wie man es sich vermutlich vorstellte. Immerhin waren sie alle nur Menschen. Kaum waren sie über die Verbindungsbrücke in das Hauptgebäude getreten, setzten die Jungs sich monoton schwarze Sonnenbrillen auf. Gerade als sich Alexandra fragte was dies wohl zu bedeuten hatte, sah sie die ersten Leute Handykameras zücken und auf ihre kleine Gruppe zeigen. Ein kleines Blitzlichtgewitter war ab hier ihr ständiger Begleiter. Hinzu kamen Rufe aus der Menge und ein paar Autogrammanfragen. Weiter als ein paar Meter kamen die Menschen jedoch nicht an die Jungs und Alexandra, die ausgerechnet in der Mitte gehen musste, heran, da sie von Saki und seinen Leuten abgeschirmt wurden. Unsicher sah sie zu Bill, der neben ihr lief und eine kleinen Koffer mit Rädchen hinter sich herzog. Er schien den ganzen Tumult gar nicht wahrzunehmen und sah stur geradeaus. Ihr Weg führte sie zum Ticketschalter, wie Alexandra annahm. So oft war sie noch nicht auf einem Flughafen gewesen. Leicht verwirrt musste sie dort feststellen, dass Saki und Georg die Autoschlüssel an die Dame hinter dem Schalter abgaben und im Gegensatz dazu eine handvoll Tickets erhielten. Georg reichte Alexandra ihr Flugticket und ohne Umschweife gingen sie zum Check In um ins Terminal zu gelangen. Alexandra nahm das Ticket in Augenschein und schlussfolgerte, dass sie noch über eine Stunde auf ihren Flieger warten mussten. Das Gepäck wurde abgegeben und nach einer Durchleuchtung des Handgepäcks und einem Schritt durch den Metalldetektor gelangten sie in den abgesperrten Bereich des Flughafens, in dem zahlreiche Duty-free-Shops ihre Waren anboten. Nachdem sie sich jeder ein paar Packungen Süßigkeiten und eine Zeitschrift gekauft hatten, machten sie es sich auf den recht bequemen Wartebänken gemütlich. Alexandra stierte vor sich und spürte dabei die ständig neugierigen Blicke der Passanten. Ein Blitzlicht in unmittelbarer Nähe ließ sie leicht erschrocken aufblicken. Sie blickte in die Linse von Gustavs Fotoapparat, der gleich noch ein Bild schoss. Er grinste als er danach, über die Kamera hinweg, in ihre Richtung sah. “Süß.” neckte er sie. Alexandra zog eine Grimasse und reckte ihm die Zunge entgegen, nicht damit rechnend, dass Bill in diesem Moment ein Gruppenfoto von Allen machte. Er besah sich das Bild auf der digitalen Anzeige seiner Kamera und lachte, als er sich neben seinen Bruder setzte. Tom lehnte sich zu ihm rüber und beschwerte sich: “Na toll, ich hab die Augen zu.” Auch Alexandra lehnte sich näher zu Bill und sah sich das Display an. Auch sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Tom hatte in der Tat die Augen geschlossen, den Mund allerdings weit geöffnet, warum auch immer. In der einen Hand hielt er eine bereits halb leere Tüte Chips, mit der anderen Hand kratzte er sich am Kopf. Georg war gerade dabei seinen Kopf in den Nacken zu werfen und sein Haar nach hinten zu werfen. Alexandra steckte Gustav die Zunge entgegen und er grinste noch immer. Ohne Frage ein sehr gelungener Schnappschuss. Die Minuten vergingen und die Zwillinge begannen, sich mit einer Runde Marc O’ Polo auf die Nerven zu gehen. “Marc O’.” begann Tom. “Polo.” setzte Bill fort. “Marc O’.” “Polo.” “Marc O’.” “Polo.” Alexandra blätterte durch eine Frauenzeitschrift und bekam nur am Rande mit, wie Georg Tom eine handvoll Chips ohne Vorwarnung in den Mund schob, nur damit er endlich ruhig war. “Marc O’.” sagte er mit letzter Kraft und kaum zu verstehen. “Polo.” lachte Bill. Tapfer kaute und schluckte Tom die Chips, sodass das Spiel weiter gehen konnte. Georg und Gustav verdrehten genervt die Augen. Alexandra grinste vor sich hin, hatte allerdings nach einer viertel Stunde Dauerbeschallung Marc O’ Polo auch die Nase voll. Gustav, der ihr gegenüber saß, tippte sie mit seinem Fuß, von den Anderen unbemerkt, am Bein an. Mit gehobenen Augenbrauen sah sie ihn an und versuchte zu verstehen, was er ihr verdeutlichen wollte, indem er sich den Mund zu hielt und mit den Augen kurz zu Bill deutete. Alexandra nickte kurzerhand, drehte sich leicht nach rechts und beobachtete wie Georg so tat, als würde er Abfall in einen nahe gelegenen Mülleimer schaffen. Auf dem Rückweg hielt er hinter dem nichts ahnenden Tom inne und sah zu Alexandra. Drei, zwei, formte er mit seinem Mund und Gustav hob langsam seine Kamera, die er auf seinem Schoß liegen hatte, an sein Auge. Bill und Tom wurden in ihrem Wechselspiel immer schneller und kurz nachdem Georg laut “EINS!” rief, stürzte er sich auf Tom, um ihn den Mund zuzuhalten. Alexandra tat das Selbe bei Bill und hörte schon bald darauf das vertraute Geräusch eines Fotoapparatauslösers. Toms “Marc O’” blieb ihm halbausgesprochen im Halse stecken und Bill ließ sich vor Schreck nach hinten fallen, als Alexandra ihn packte und somit zum Schweigen brachte. Gustav lachte und machte gleich noch ein paar Fotos, während die Zwillinge versuchten sich gegen diesen rätlichen Angriff zu wehren. “Noch ein ‘Marc O’ Polo’ und du hast die längste Zeit Dreadlocks gehabt, Filzlöckchen.” drohte Georg und entließ Tom, als er glaubte ein genuscheltes “Okay, okay.” gehört zu haben. Auch Alexandra entließ Bill, der immer noch halb gegen sie gelehnt war und nun endlich ohne Behinderung über die Aktion lachen konnte. Georg kehrte zufrieden zu seinem Platz zurück. Als er Alexandra passierte klatschten die Beiden sich ab. “Aber ich hab gewonnen.” war plötzlich von Tom zu hören. “Ja, is klar.” nickte Bill und drehte sich zu Alexandra. “Der Klügere gibt eben nach.” sagte sie. “Wo sie Recht hat,” begann Gustav. “Hat sie Recht.” beendete Georg. Tom schmollte, die anderen Vier lachten. Die Zeit verging wie im Flug und schon bald wurden die Fluggäste zum letzten Check In aufgerufen. Sie packten ihr Handgepäck und begaben sich zum entsprechenden Terminal. Alexandra zeigte einer Flugbegleiterin ihr Ticket und bekam von ihr ihren Platz in der Maschine gewiesen. Sie seufzte. Es war der Fensterplatz einer Dreierreihe. Bill ließ sich neben sie fallen, neben Bill war Toms Platz direkt am Gang. Georg und Gustav saßen zusammen mit Saki in der mittleren Dreierreihe, der Rest von Sakis Leuten vor und hinter ihnen. Wie wild kramte Alexandra plötzlich in ihrer Handtasche und warf sich eine weitere Reisetablette ein. “Du hattest doch schon eine.” bemerkte Bill und sah sie halb amüsiert an. Alexandra schluckte die bittere Pille hinunter. “Ja”, sagte sie und schnallte sich den Gurt um die Hüfte “aber das ist mein erster Flug und ich fürchte, ich habe etwas Angst.” Bevor Bill antworten konnte, erschien Toms Kopf in ihrem Blickfeld. Er hatte sich nach vorn gelehnt und fragte: “Darf ich auch eine?” Alexandra reichte ihm leicht verdutzt die ganze Packung. War sowieso nur noch eine drin. “Tom hat auch Flugangst.” erklärte Bill ihr in ruhiger Stimme “Keine Angst. Fliegen ist sicherer als Autofahren.” Alexandra drängte sich ein unschönes Bild in den Kopf. Ein betrunkener Pilot der gerade im Cockpit eine Stewardess poppte und sich anschließend feines weißes Pulver durch die Nase zog. Die Flugbegleiter machten die Passagiere gerade auf die Sicherheitsvorkehrungen während des Starts, des Flugs und der Landung aufmerksam. Alexandra versuchte alles so gut es ging mitzubekommen und ärgerte sich, dass der Mann der vor ihr saß noch ein letztes Telefonat führen musste. So bekam sie nur die Hälfte der Hinweise mit. Nach unzähligen, plagenden Minuten setzte sich die Maschine mit einem Ruck, der die peinlich berührte Alexandra leicht aufschreien ließ, in Bewegung. Alexandra schluckte und musste dem Drang widerstehen aufzuspringen und schreiend aus dem Flugzeug zu rennen. Bill lächelte ihr beruhigend zu und griff nach ihrer Hand, die sich krampfhaft in die Lehne ihres Sitzes gekrallt hatte. Tom hatte die Augen geschlossen, seine Kopfhörer aufgesetzt und lenkte sich mit seiner speziellen Art von Lieblingsmusik ab. Innerlich bekreuzigte sie sich, während das Flugzeug über das Rollfeld fuhr und die Startposition einnahm. Bill drückte ihre Hand und sie versuchte ruhig zu bleiben und gleichmäßig zu atmen. Das war nun mal der Weg den sie sich ausgesucht hatte, und den würde sie jetzt bis zum bitteren Ende gehen. ~ Ende des 9. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)