Beichte von Jadis (Confession) ================================================================================ Kapitel 2: das Konzert ---------------------- Jeah! Der neue, fragwürdige Rekord war aufgestellt. Lauter als es jetzt schon war, konnte es an diesem Abend unmöglich noch werden. Das dachte Alexandra zumindest. Okay, auch sie jubelte als das Lichtspiel wieder anfing und man drei von vier Bandmitgliedern erkennen konnte: Tom, den Gitarrist, Georg, den Bassist und Gustav, den Schlagzeuger. Jedoch jubelte sie verhalten und in angemessenem Maße. Ganz im Gegensatz zu den Mädels links neben und hinter ihr. Eine Sirene die man sich direkt ans Ohr hielt, war ein Mäusehusten gegen das Kreischvolumen dieser Furien. Alexandra bekam nicht nur einmal einen Ellenbogen unsanft ins Gesicht gestoßen, weil alle versuchten sich nach vorn zu drängeln und auf die Bühne zu greifen. Innerlich rollte Alexandra mit den Augen. Als ob sie diese jemals erreichen würden. Tz...Weiber! Neben ihr rief Heidi finnische Sachen, was Alexandra zum lachen brachte. Dies ging jedoch unter, da in diesem Moment Bandmitglied Nummer vier, Bill, der Sänger und Toms Zwillingsbruder, auftauchte und Mädchen reihenweise in Tränen ausbrachen. Alexandra ignorierte dies gekonnt und versuchte auch irgendwie den neuen Ansturm des unglaublichen Lautstärkerekordes zu ignorieren, was ihr nicht ganz gelingen wollte. Tja, man sollte den Tag halt nicht vor dem Abend loben... oder in ihrem Fall: nicht vor Konzertende. “Wir sind durch die Stadt gerannt,” begann jetzt endlich die erste Zeile des Songs und die Konzertbesucher hörten langsam auf mit kreischen und fingen an mitzusingen. Zwar taten dies nicht alle, aber immerhin einige. Auch Heidi und Alexandra sangen fröhlich mit und genossen die Bühnenshow. Alexandra war erstaunt, dass die Songs live noch geiler klangen als auf CD. Der erste Hysterieanfall der Meute begann langsam sich zu legen, jedoch lief man jetzt Gefahr eine Kamera oder ähnliches an den Schädel geworfen zu bekommen, da jetzt wirklich JEDER in der Arena Bilder machen musste. Alexandra fischte erst einmal in aller Ruhe ihre Digicam aus der Tasche. Sie nahm das ganze Spektakel lieber auf. Zack! Schon wieder war ein Ellenbogen an ihre Augenbraue gedonnert. Und das nur weil Bill gerade seinen Zwillingsbruder “angerockt” hatte. In der ersten Reihe lebte man echt gefährlich, vor allem wenn man zwischen die begehrteste deutsche Teenieband und ihre verrückten Groupies geriet. Alexandra nahm sich jetzt erst einmal Zeit die Jungs genauer zu begutachten. Sie fing mit Tom an, da er ihr am nächsten war. Unweigerlich musste sie grinsen. Das weite T-Shirt und die Baggie-Jeans, zusammen mit dem Cappie waren so... ihr viel kein passendes Wort dafür ein. Es war eben einfach nur: Tom. Gustav war hinter dem Schlagzeug nicht ganz so gut zu erkennen, aber zufälligerweise sah er gerade in Heidis Richtung die gerade, bzw. immer noch, Fotos machte. Georg stand komplett auf der anderen Bühnenseite und war von ihrer Position aus so gut wie gar nicht zu sehen und Bill, Bill rannte gerade, passend zu “Achtung, fertig, los und lauf!” den Bühnensteg vor, was natürlich wieder von lautem Kreischen begleitet wurde. Da Alexandra mit ihrer Kamera nicht folgen konnte, machte sie einfach mal eine Nahaufnahme der anderen Bandmitglieder. Komischerweise bekam Tom dies mit, grinste frech und schnitt eine Grimasse direkt in ihre Richtung. Alexandra lachte und verwackelte das Bild leicht. Oh man, allein das wäre die ganze Anstrengung hierher zu kommen schon wert gewesen. Und was es für ein Grinsen war. Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie irgendwo mal in einem Fanbericht, oder so was ähnlichem, gelesen hatte, dass die Zwillinge das süßeste Lächeln auf der ganzen Welt hätten. Damals hatte sie es einfach so abgetan, doch jetzt... jetzt konnte sie nicht fassen, dass sie sich tatsächlich darüber Gedanken machte. Vermutlich lag das an der gesamten Atmosphäre die in der Arena herrschte, denn auch das Gekreische schien ansteckend zu sein. Es konnte aber auch befreiend sein. Oh da, Tom hat gerade einen Schritt zur Seite gemacht. Kreisch! Was? Gustav hat gerade in ungefähr meine Richtung gezwinkert? AAAHH!! Bill hat mich angesehen?!?!? Ich muss sterben!!! Ja klar war das übertrieben, aber es war doch auch langweilig, wenn unter den Fans Totenstille herrschen würde, oder? ODER? Alexandra schmunzelte über sich selbst. Es war schon interessant wie schnell man seine Meinung und Prinzipien innerhalb weniger Stunden über den Haufen werfen konnte. Boah, Bill hat gerade das Mädchen neben Heidi angesungen. Die blöde Kuh... Moment mal. Er war ihr jetzt so nah wie noch nie... WHAAAA!!! Ehe man sich versah, war “Übers Ende der Welt” auch schon vorbei und Bill war in die Bühnenmitte getreten. Alexandra warf einen Blick zur Leinwand. Gerade war er über Nahaufnahme in der ganzen Arena zu sehen. “Hallo Leute!!” Schreie. “Seit ihr alle da?” Noch mehr Gekreische. Heidi quiekte so laut, dass Alexandra annahm, sie würde spätestens nach einem weiteren Song keine Stimme mehr haben. “Ich hör euch nicht. SEIT IHR ALLE DA???” Erneut nahmen die Schreie ein apokalyptisches Ausmaß an. “Es ist absolut geil hier bei euch zu sein! Dresden ist eine Wahnsinnsstadt.” Alexandra rückte noch ein paar Zentimeter weiter zu Heidi, weil von weiter links jemand “BILL!” aus voller Kehle in ihr Ohr grölte. “Wie ich sehe, habt ihr ein paar richtig liebe Plakate gemacht.” meinte Bill weiter und seine Stimme hallte laut wider. Eine sehr schöne Stimme, wie Alexandra schon immer fand. Nichtsdestotrotz drängte sich ihr unweigerlich ein gewisses Georg-Plakat in den Sinn. “Ich hoffe wir alle haben heute einen unvergesslichen Abend. Und hier kommt auch schon der nächste Song.” Seine letzte Silbe war kaum verhallt, als schon das unverkennbare Intro von “Ich brech’ aus” begann. Die Menge begann erneut zu toben, was Bill sichtlich freute. “Ich hab heut n anderen Plan und der geht dich gar nichts an. Ich halt ihn fest in meiner Hand, mit dem Rücken an der Wand.” “AN DER WAND!” rief die Menge ins Mikro, welches er in die Luft hielt. Da war es, dieses unbeschreibliche Gefühl. Die Atmosphäre in der Arena war gigantisch. Die Jungs waren gigantisch. Das wusste sie bereits jetzt, nach 1 1/2 Liedern. Nein, das war nicht richtig. Eigentlich hatte sie das schon von Anfang an gewusst. Auch dieser Song war viel zu schnell vorbei. Es folgten: “Spring Nicht”, “Der Letzte Tag”, “Durch Den Monsun”, “Wir Sterben Niemals Aus” und “Stich ins Glück”. Als Bill daraufhin “Rette Mich” anstimmte, setzte er sich auf den linken Bühnenrand und ließ den Mädchen auf dieser Seite der Bühne genügend Zeit ihn anzuschmachten, ihn Plüschtiere in die Hand zu drücken und mehr als genug Fotos zu machen. Die an der Bühne angebrachten Scheinwerfer zauberten zu jedem Lied ein atemberaubendes Lichterspiel. Alexandra war froh die Kamera eingesteckt zu haben. Als das Lied beendet war, lief Bill geradewegs auf die andere Bühnenseite. Er ging etwas weiter rechts von Alexandra auf die Knie und fragte das Mädchen neben Heidi: “Wie ist dein Name?” Bill hielt ihr das Mikro direkt vor den Mund. “Anne.” hallte eine leicht angekratzte weibliche Stimme in aller Ohren wider. “Anne, welches Lied von unserm ersten Album gefiel dir denn am Besten?” “SCHREIII!” Alexandra hielt sich kurzzeitig die Ohren zu. DAS war laut. Bill lachte. “Okay...” er rückte ein Stückchen weiter und fragte nun Heidi “...und was ist dein Lieblingslied vom ersten Album?” Heidi musste sich etwas strecken um an das Mikro heran zu kommen. “Ich Bin Nich’ Ich.” antwortete sie schließlich, nachdem Bill sich noch ein bisschen weiter zu ihr hinunter gebeugt hatte. Alexandra hatte das Gefühl, dass er gerade genug Abstand zur Absperrung ließ, dass niemand ihn erreichen und betatschen konnte. Das war eigentlich nur zu verständlich. Wer wollte denn schon freiwillig, dass man an ihm zog und zerrte? “Oh, wirklich?” war Bills Reaktion auf Heidis Antwort “Weißt du was? Dann ist das hier nur für dich.” Er erhob sich und begann fast augenblicklich zu singen. “Meine Augen schaun mich müde an und finden keinen Trost. Ich kann mich nich’ mehr mit anseh’n - bin ichlos...” Alexandra sah zu Heidi, die ganz wässrige Augen hatte. Schlimmer wurde es nur noch beim Refrain, als Bill wieder auf ihre Seite kam und sie direkt ansang. “Ich bin nich’ ich, wenn du nich’ bei mir bist - bin ich allein.” Alexandra freute sich sehr für Heidi, welcher jetzt die Tränen über die Wangen liefen. Sie legte lächelnd und mitsingend den Arm um Heidis Schulter und wischte mit dem Daumen die Tränchen weg. Heidi lachte. Es waren Glückstränen. Nach Alexandras Geschmack verging auch dieser Song viel zu schnell. Bill, immer noch auf ihrer Seite der Bühne, fächerte sich soeben, durchgehend von Gekreische begleitet, theatralisch Luft mit der linken Hand zu. “Ganz schön warm hier.” stellte der fest und begann, begleitet von noch mehr Gekreische, seine schwarze Lederjacke auszuziehen. Er warf sie an den hinteren Bühnenrand und wandte sich wieder der Menge zu. Ehe sie darüber nachdenken konnte, entleerte Alexandra den Wasserbecher, den ihr die Security vorhin gereicht hatte, in seine Richtung. Der Wasserschwall traf ihn direkt von vorn und durchnässte sein T-Shirt. Einzelne Tropfen spritzten auch in sein Gesicht. Bill hielt in der Bewegung inne und versuchte den Übeltäter ausfindig zu machen. Nicht all zu schwierig, immerhin hatte Alexandra noch den Becher in der Hand. Wieso genau sie dies getan hatte, war ihr selber nicht wirklich klar. Es war einfach wie eine Art Reflex gewesen. Als Bill sie ausfindig gemacht hatte, zeigte er, begleitet vom Gegröle der Menge, erst auf sie und dann vor sich auf die Bühne. Und dabei hatte sie so ein unschuldiges Gesicht gemacht. “Du! Hierher!” Alexandra traute ihren Augen und Ohren nicht. Na toll, jetzt hatte sie den Salat. Völlig fassungslos starrte sie in sein grinsendes Gesicht und konnte gleichzeitig aus den Augenwinkeln wahrnehmen, wie Heidi rechts neben ihr und das andere Mädchen links neben ihr sie begeistert musterten. Ehe sie realisierte was das bedeuten würde, war schon ein Security-Mann an sie heran getreten und hatte sie halb über die Absperrung gezerrt. Ein nein, hätte er wohl gar nicht akzeptiert. Sie hatte zu wollen, das stand ganz außer Frage. Alexandra wusste zwar, dass es auf so einem Konzert immer mal wieder vorkam, dass jemand auf die Bühne geholt wurde, aber das das alles so eine Wendung nahm... Na ja, sie hatte sich das schließlich selber eingebrockt. Also stellte sie sich ihrem Schicksal. Sie hatte gerade noch genug Zeit um Heidi ihre, immer noch aufnehmende, Digicam in die Hand zu drücken. Hoffentlich verstand sie die Geste als “Lass weiter laufen. Und immer schön drauf halten. Und wehe du wackelst.” oder wenigstens so ähnlich. Als Alexandra die Bühne erklomm, dachte sie darüber nach, dass Bill ab jetzt wahrscheinlich bei jedem Konzert mit Wasser voll gespritzt werden würde, nur weil die Täter hofften, dann zu ihm auf die Bühne zu dürfen. Nachdem sie sich halb auf die Bühne gezogen hatte und halb von der Security geschoben wurde, sah sie unsicher in die Menge. Zum Glück konnte sie die Meisten Konzertbesucher nicht sehen, da es schon zu dunkel war. Die tausend, von Kameras stammenden, zuckenden Blitze reichten jedoch auch schon aus um sie etwas nervös zu machen. Einige in der ersten Reihe lächelten ihr zu und schienen sich für sie zu freuen. Und da Alexandra Theatererfahrung hatte, war der Moment der Angst auch schon wieder vorbei...fast jedenfalls. Sie blickte erneut in die Menge und sah diverse “Lass uns reden”-Plakate. Oh, und da war auch das Georg-Plakat. Von hier konnte sie es ganz deutlich sehen. Natürlich hatte sich das Mädchen direkt vor seiner Nase drapiert. Der Arme. Schnell sah sie woanders hin. Wie es der Zufall wollte, begann in diesem Moment die Melodie zu “Reden” und ein erneuter Nervositätsanflug durchfloss Alexandra. Hm, aber vielleicht konnte das ja doch noch ganz witzig werden. “Hallo”, Bill war zur Bühnenmitte getreten und winkte ihr zu, während sie noch etwas unentschlossen am Rand stand “du stehst in meiner Tür. Es ist sonst niemand hier, außer dir und mir.” Gut...das stimmte nicht ganz, aber trotzdem war der “Ich-weiß-nicht-was-ich-tun-soll”-Moment vorbei und Alexandra zog schnell zweimal hintereinander die Augenbrauen in die Höhe und sah dabei in Richtung Menge. Wahrscheinlich war sie gerade auf der Leinwand zu sehen, denn die Reaktion darauf war deutlich am lauten Grölen auszumachen. Gut, dann sollte die Show mal beginnen. “Okay, komm doch erst mal rein”, sang Bill breit grinsend weiter und winkte sie an sich heran “der Rest geht von allein, in Zimmer 483.” Alexandra gehorchte und trat langsam im Rhythmus der Musik näher. “Hier drin ist niemals richtig Tag, das Licht kommt aus der Minibar, und morgen wirds hier auch nicht hell”, während dieser Zeilen erreichte Alexandra den Sänger und stand jetzt nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt. Dieser hielt nun das Mikrofon der Menge entgegen. “WILLKOMMEN IM HOTEL!” sangen alle im Chor. Mit einem Schritt nach links, waren die letzten Zentimeter zwischen ihnen überwunden und Bill legte seinen Arm um sie. “Wir wollten nur reden, und jetzt liegst du hier, und ich lieg daneben, reden, reden.” Die Menge jubelte, als er sich nach dem Refrain von Alexandra löste und, den Steg entlang, nach vorn lief, jedoch nicht ohne ihr einen seiner Grinser zu schenken. “Komm her, wir werden nicht gestört, das hab ich schon geklärt - don’t disturb.” Tja, jetzt stand sie wieder alleine da und warf mal einen Blick zu den anderen Jungs. Als erstes sah sie zu Georg, da er in ihrem direkten Blickfeld stand. Er sah hinunter auf seinen Bass und schien von nichts anderem Notiz zu nehmen. Alexandra schmunzelte in sich hinein. Wahrscheinlich versuchte er krampfhaft das Plakat zu ignorieren, welches beharrlich vor seiner Nase auf und ab hüpfte. Ein Blick nach hinten verriet ihr, dass Gustav gerade in ungefähr die Richtung schaute, in der sie eigentlich neben Heidi stehen sollte. Auch er reagierte also nicht auf sie. Okay, blieb noch einer übrig: Tom. Auch der Gitarrist besah sich seine Gitarrengriffe, blickte jedoch auf, kurz bevor Alexandra den Blick wieder abwenden wollte. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er bestimmt die Hand gehoben und ihr gewunken, so kam es ihr zumindest vor. Statt dessen grinste er nur amüsiert und zwinkerte ihr zu. Alexandra lachte, gerade als Bill den zweiten Refrain begann und die Fans am Bühnensteg hinter sich ließ um zur Hauptbühne zurückzukehren. “Vor der Tür Alarm, die ganze Welt ruft an, alle zerren an mir, ich will mit keiner außer dir”, Bill trat wieder neben Alexandra und legte erneut den Arm um ihre Schultern “reden.” Er neigte seinen Kopf näher zu ihr und hielt das Mikrofon so, dass auch sie es erreichen konnte. Alexandra verstand die Geste sofort und sang mit ihm zusammen ”Redehehehehehehehehehen.” Die Menge tobte, Bill begann ein letztes Mal den Refrain zu singen und Alexandra wandte sich lachend ab. Als die letzten Töne verklungen waren, sah Bill zu ihr und trat abermals an sie heran, um sie kurz verabschiedend zu umarmen. “Danke.” war alles was ihr zu der ganzen Aktion einfiel. Ob er es gehört hatte, wusste sie nicht, da in eben diesem Moment etwas auf ihren Kopf tropfte und anschließend ihr Gesicht herunter lief. Sie erschrak und blickte in die lachenden Gesichter der Mädchen in der ersten Reihe. Sie hatten einen Punkt hinter ihr in den Blickpunkt genommen. Ein Blick über ihre Schulter und sie wusste, was passiert war. Tom stand mit einer leeren Wasserflasche in der Hand neben ihr und lachte ebenfalls. Er machte einen Schritt nach vorn, beugte sich über das Mikro und meinte nur: “Rache ist Blutwurst!” Alexandra prustete los, genau wie der Großteil der Menge. Was für ein Vergleich. Doch im Gegensatz zu dem zu “rächenden” Bill, war sie jetzt Pudelnass. Tom hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Er begleitete sie als “Wiedergutmachung” noch ein Stück in Richtung ihres Platzes und begab sich dann wieder zu seiner Gitarre, die auf dem Bühnenboden lag. Der Security-Mann half ihr wieder von der Bühne und schaffte unter den Mädchen in der ersten Reihe wieder ein bisschen mehr Platz für sie. Ihre Lücke hatte sich natürlich auf der Stelle geschlossen und ein weiterer Fan war an die Absperrung getreten. Als sich Alexandra irgendwie wieder dazwischen gequetscht hatte, warf ihr das Mädchen, welches kurzzeitig ihren Platz eingenommen hatte, einen bösen Blick zu. Und wenn Blicke hätten Brötchen werfen können, dann wäre sie jetzt wohl Becker gewesen... Heidi hingegen, strahlte sie an und tätschelte ihre Digicam. Wunderbar... für immer auf Memory Card gebannt. Alexandra nahm die silberne Kamera wieder an sich und filmte ab hier wieder selbst. Gerade rechtzeitig fokussierte sich der Zoom um zu filmen wie Bill das nächste Lied anstimmte und dabei in ihre Richtung sang. “Meine beste Sünde geht durch die Tür, ich bin schwer verletzt und süchtig nach ihr...” Alexandra bekam gerade noch so mit, wie ein Punker-Mädchen, von einem Heulkrampf gepackt - sehr untypisch - , zu ihr sah. Für einen Moment befürchtete Alexandra, sie würde gleich mächtig eine geballert bekommen, doch dann wandte sich das Mädchen wieder der Bühne zu und heulte einfach weiter. Alexandra fragte sich, ob es wohl besser wäre mit Heidi den Platz zu tauschen, aber die Mädels neben Heidi sahen auch nicht sehr vertrauenserweckend aus und blickten ebenfalls finster in ihre Richtung. Schnell wandte sie den Blick ab und machte sich ein gedankliches Memo an sich selbst: Bis zum Ende des Konzertes jeden Blickkontakt mit den Mädels meiden und nichts tun, was sie eventuell verärgern oder reizen könnte. Memo Ende. “Ich fühl mich besessen und verloren”, brachten ihr Bills Worte wieder in Erinnerung, dass sie verdammt noch mal auf einem Konzert war und Spaß haben hatte, und sich nicht darüber Gedanken machen wollte, ob sie nach Konzertende zusammengeschlagen in irgend einer Ecke liegen würde. Ja, Groupies waren schon... gruselig. “vergessen, wie nie geboren” sang die ganze Arena einheitlich und so laut, dass Bill überhaupt nicht hätte singen müssen, was er die nächste Zeile über auch nicht tat, sondern einfach nur staunend ins Publikum lächelte “zerfetz dein Tagebuch, ich find mich nicht auch wenn ich such, denn-“ “Nach die kommt nichts, unsern ersten Tag verfluch ich, nach dir kommt nichts, alles Neue macht mich fertig, nach dir kommt nichts, ich will das nicht, du bist und warst und wirst nie wieder alles sein, ich hasse dich.” Diese letzten drei Worte waren wohl die einzigen bei denen niemand aus der Menge angesungen werden wollte, dachte Alexandra bei sich und fühlte sich bestätigt, als Bill bei eben diesen Worten die Augen schloss und wirklich niemanden ansah. Na zum Glück, sonst hätte es hier wahrscheinlich noch Tote gegeben. “Leb Die Sekunde” war der nächste Song den die Jungs performten und damit richtig gute Laune unter die Leute brachten. Alle hüpften auf der Stelle auf und ab und sangen natürlich lauthals mit. Zu “Heilig” wurden die ersten Wunderkerzen ausgepackt und zu “Totgeliebt” gab die Lichttechnik noch einmal alles und befand sich in perfektem Einklang mit der gesamten Pyrotechnik. Die Show war einfach nur gigantisch. Ein negativer Aspekt war allerdings, dass ein oder zwei Mädchen in Alexandras näherem Umfeld einen Nervenkollaps nahe waren... sie ignorierte es. Als letzter Song an diesem Abend wurde “Vergessene Kinder” gespielt. Die Stimmung in der Arena änderte sich schlagartig. Kaum einer kreischte oder zerstörte auf andere Weise die Wirkung dieses Liedes durch unpassendes Verhalten. Alexandra war nicht nah am Wasser gebaut, aber das rührte sie irgendwie sehr. Als sie nach Ende des Liedes auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass gut zwei Stunden vergangen waren. Natürlich wurden die Jungs nicht einfach so gehen gelassen. “Zugabe”-Rufe wurden laut, kaum nachdem die letzten Akkorde verklungen waren. Nach ein paar Augenblicken des schauspielern, brachten Bühnenarbeiter zwei Barhocker auf die Bühne und platzierten sie auf dem Steg. Tom hatte unterdessen sein Gitarre gewechselt und lief hinter Bill zu den Hockern. Es folgte eine Akustikversion von “An Deiner Seite” die in einem silbernen Glitterregen endete. Während des Liedes kamen wieder viel Wunderkerzen zum Einsatz und noch mehr Mädchen lagen sich in den Armen. Es herrschte so viel Liebe unter den Menschen, dachte Alexandra und legte ihren Arm um Heidis Schulter um mit ihr zusammen ein Feuerzeug im Takt zu schwenken. Viele der Konzertbesucher sammelten wie die Verrückten den Glitter ein, den der Wind weit verteilt hatte, andere versuchten noch einmal auf sich aufmerksam zu machen, da jeder wusste, was jetzt gleich passieren würde. Nachdem sich die Jungs, einer nach dem anderen, verabschiedet hatten, hieß es “Ich werfe meine Wasserflasche, mein Handtuch, meine Drumsticks oder sonst irgend etwas in die Menge.” Toms Handtuch flog gefährlich nah an ihrem Kopf vorbei. Hinter ihr hörte sie nur das Gekeife der Dutzend Mädchen die es alle gefangen hatte. Nach einer Sekunde war das Handtuch in kleine handliche Stücke zerlegt. Als Alexandra sich wieder der Bühne zuwandte, bekam sie gerade noch mit wie Gustav seine Wasserflasche in Richtung Heidi entleerte. Die Arme konnte gerade noch so ihre Kamera in Sicherheit bringen. Gustav grinste und verschwand mit einem letzten Wink in die Menge von der Bühne. Tom war ihm auf den Fersen und wurde kurz nach seinem Abgang von Georg verfolgt. Der letzte auf der Bühne Verbliebene, Bill, befestigte noch das Mikro auf dem Mikroständer, rief noch ein spontanes “Ihr ward Spitze! Hoffentlich sehn wir uns alle mal wieder!” in die Menge und zog sich ebenfalls hinter die Bühne zurück. Die Scheinwerferlichter wurden fast augenblicklich gedämmt, die Leinwand ging aus und erste Bühnenarbeiter begannen bereits alles wieder abzubauen, doch der Lautstärkepegel der Fans blieb konstant. Tausende gebrochene Herzen wurden zurückgelassen. Das Gefühl hatte Alexandra jedenfalls, als sie in die Gesichter einiger Mädels sah, ihr Memo von vorhin vergessend. Ein leichtes Bedauern legte sich sogar auf ihr Gemüt. Das war es also gewesen. Das Konzert war vorbei... ~ Ende des 2. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)