Mitternachtsmahl von Constantin ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 - Lehrgang ------------------------------- Robyn hasste es, wenn über sie gesprochen wurde, als wäre sie nur ein Tier, ein Gegenstand, über den man verhandelte. Doch genau dies tat ihre Mutter gerade - wie so oft. Die ganze Situation kam ihr so surreal vor, hätte sie gewusst, was ein "Film" ist, so dächte sie sicherlich, sie wäre in einem sehr schlechten. Das ganze Szenario hatte schon etwas kitschiges an sich: Ein finsterer Wald, völlige Stille, Nebel, der an ihren nackten Füßen kitzelte und den Boden entlangkroch, in jene Richtung, in die der selbe, kaum spürbare Wind ihn trug, welcher auch die Blätter in den Baumkronen ein stilles Lied spielen ließ, verheißungsvoll. Vor dem großen, hell leuchtenden Vollmond hatte sich ein Vorhang aus schwarzen Wolkenfetzen gezogen, ein zerrissener Schleier der Dunkelheit. Robyn zitterte - doch nicht etwa vor kälte, obgleich ihr Atem für sie im fahlen Mondschein sichtbar wurde wie eine schemenhafte Geistergestalt, die sogleich wieder verschwand. Es war Angst, die ihren Körper leise erbeben ließ. Meist resultierte diese Angst aus einem Gemisch von Furcht und Ehrfurcht und eingeprügeltem Respekt gegenüber ihrer geliebten Mutter Miri, doch dieses mal war jemand anwesend, der ihr noch unheimlicher erschien. Vor ihrer Mutter stand eine hochgewachsene Gestalt von unnatürlicher, männlicher Schönheit, dessen ohnehin schon blasse Haut in der vom Mond erhellten Finsterniss noch schöner wirkte. Seine Gesichtszüge waren fein, fast sanft, und dennoch ging von diesem Mann eine ungeheure Kraft aus, die sowohl Schutz als auch Gefahr gebar. Und obgleich seine Erscheinung die eines Menschen war unterschied sie sich von eben diesen ebenso wie sie ihnen ähnelte. Seine eisblauen Augen zeugten von einer gefährlichen Intelligenz, sein schneeweißes Haar stand im völligen wiederspruch zu seinem so makellosem und jungem Gesicht. Nein, er konnte kein Mensch sein - sonst wäre er bereits tot. Kein Mann lebte lange in der Gegenwart ihrer Mutter. Miri war ein Todbringender Engel, wunderschön, verführerisch, tödlich. Sie geizte niemals mit ihren weiblichen Reizen, im Gegenteil, sie wusste ihre vorzüge jederzeit perfekt zur Geltung zu bringen, ihren ohnehin schon sehr wohl geformten Körper, die perfekten Kurven und den üppigen Vorbau zu betonen und doch nicht wie eine Frau des Fleisches zu wirken - sie war weitaus mehr als eine Edelhure, das wusste jeder Mann, der sich nach ihr verzehrte. Sie hatte Macht, und davon nicht zu wenig, sie war unglaublich Klug und gefährlich, wie eine Schwarze Witwe. Und so standen sich diese beiden Unmenschen Gegenüber, während Robyn ihren Sicherheitsabstand gegenüber ihrer eigenen Mutter wahrte. "Ich weiß nicht", sprach Miri mit einer Stimme, die ohne weiteres Holzkohle entzündet hätte. "Weshalb du mir folgst, Jijuro. Doch dein Schutz hat sich bereits als nützlich erwiesen und in gewisser hinsicht bin ich dir sogar dankbar dafür." Ja, so kannte Robyn ihre Mutter. 'In gewisser hinsicht', niemals war sie irgendjemandem etwas schuldig, und sollte dies doch der Fall sein, gestand sie es weder sich noch sonst jemandem ein. Eine starke Frau, die alleine zurecht kam - oder etwa nicht? "Doch dieses eine Mal möchte ich dich um eine Art Gefallen bitten." Jijuro schwieg die ganze Zeit, keine Regung zeigte sich in seinem Gesicht, weder interesse noch der Genuss eines gewissen Triumphes bahnten sich ihren Weg durch seine in stein gemeißelten Züge, und Robyn konnte es kaum fassen, dass ihre Mutter jemanden so offen um einen Gefallen bat - oder um eine 'Art Gefallen'. Ehe sie fortfuhr warf Miri einen verächtlichen Blick auf ihre Tochter, als wäre sie ein ungehorsames Kind, welches ihrer Erzeugerin Jahrelang mit Vorwand nur Kummer bereitete und für das die Prügelstrafe schon fast zu schade ist. Auch in der Dunkelheit konnte Robyn den vernichtenden Blick ihrer Mutter spüren. "Es ist so schwer, sie richtig zu erziehen. Zum einen ist sie ein widerspenstiges Kind, zum anderen einfach zu ... weich. In unserer Welt wird sie so nicht lange überleben, das weißt du. Darum ... bitte ich dich, ihr ein Lehrer zu sein." Miri brauchte einen Augenblick, als hätte ihr das Wort 'Bitte' einen Schlag vor die Brust versetzt. "Ich weiß um deine Fähigkeiten und Härte, ich bin mir sicher, dass du sie in die Bahnen lenken und so erziehen wirst, wie es meinen Vorstellungen entspricht, in dieser Hinsicht vertraue ich dir voll und ganz. Außerdem ..." Sie trat ein ganzes Stück näher an den immernoch regungslos vor ihr Stehenden heran und blickte zu ihm hinauf, da er doch ein wenig größer war als sie. "Außerdem ... kann ich, wenn ich will, mich sehr erkenntlich zeigen." Auch, wenn sein Gesicht sich nicht rührte - Robyn wusste, dass ihre Mutter ganz geschickt eine schwache Stelle ausgemacht hatte, obwohl dies in diesem Fall keine all zu große Kunst war. Der unterschied lag darin, dass nur Miri - und nur SIE - in der Lage war, diese Schwachstelle auszunutzen. Jijuro begehrte ihre Mutter. Nicht, wie es andere taten, nicht, wie es die Männer der Menschen taten, bloße Begierde, reine Liebe des Fleisches, nichts anderes, bis Miri ihnen den Tod bringt. Nein, Jijuro wollte sie haben, nicht "besitzen" sondern sein Eigen wissen, er wollte nicht nur ihren Körper, er wollte Miri ganz und gar, ihren Geist, ihr Verlangen und ihre Liebe. Seit sie ihn in den Lahmia-Ruinen geküsst hatte folgte Jijuro ihr wie eine Leibwache - im eigenen interesse. Es war eine völlig undurchsichtige und seltsame Beziehung zwischen den beiden, die die gerade ein mal fünfzehnjährige Robyn nicht nachvollziehen konnte. Ebensowenig konnte sie verstehen, wie ihre eigene Mutter sie und ihr Leben einfach so in die Hände dieses Mannes legen konnte, als schicke sie sie einfach nur zur Schule - und nicht in ihr sicheres Verderben. Jijuro's Stimme war stark und deutlich zu vernehmen, auch, wenn er nur leise sprach als er antwortete. "Du weißt, dass du mich um einen solchen Gefallen nicht bitten musst, Miri. Meine Beweggründe mögen dir undruchsichtig erscheinen, dennoch folge ich dir und deinem Wort solange du es willst." Während er sprach ließ er Miri's Blick nicht los, unentwegt starrte er ihr in die Augen und Robyn hatte das Gefühl, zum ersten mal einen Ausdruck der Hilflosigkeit und Hingabe in dem Gesicht ihrer Mutter zu erkennen, doch konnte sie sich nicht erklären, was dort vor sich ging. Solche Dinge entzogen sich ihrem Verständnis. In dem Augenblick, in dem sich ihre Mutter erneut Jijuro näherte, so nahe, dass sich ihre Körper berührten, und ihre Hand auf seine Brust legte, den Blick gesenkt und das Gesicht mit einem unerklärlichem Ausdruck, spürte Robyn einen heftigen Stich zwischen Magen und Herz, ein unerklärliches Gefühl, nicht unbedingt schlecht aber erschreckend und ihr völlig unbekannt. Mit einem mal rannte sie davon, sie wusste nicht, wieso, doch ihre Füße trugen sie im Sprint durch das Unterholz, sie rannte und rannte, wusste nicht, wie lange sie lief, geschweigedenn wohin, wollte nurnoch weg von ihrer Mutter und ... ihm. Ob es Miri überhaupt auffallen würde, dass sie weg war? Wer weiß, sicherlich war sie erbost, aber keineswegs besorgt um ihre Tochter. ♠ Miri's Lippen lösten sich nur langsam und gegen ihren Willen von Jijuro's, doch dieser äußerst unangenehme Zwischenfall zwang sie dazu, von ihm abzulassen. Sie reagierte den Umständen entsprechend gelassen und sprach mit ruhiger Stimme. "Sie ist fortgelaufen." Diese erkenntnis schien relativ spät zu kommen, doch war es Miri in diesem Augenblick nicht wirklich zuzumuten gewesen , alle ihre Sinne beisammen zu haben. Das erste mal hatte sie bewusst gehandelt, gewusst, was sie tat, damals, in den Ruinen, als sie Jijuro zum ersten mal nach langer Zeit und unter vier Augen sah, in seiner Assassinen-Rüstung und dem Wahnsinn nahe - eine bemitleideswerte Kreatur. Doch nun war es anders - er hatte sich in so kurzer Zeit völlig gewandelt, war nicht mehr der selbe, war ... anziehender. Miri schüttelte leicht den Kopf. "Wir müssen sie suchen." "Sie wird nicht weit kommen. Irgendwann holt die Angst sie ein, sie weiß nicht, wo sie ist. Ich werde sie schon finden, mach dir keine Sorgen." Sorgen? Natürlich machte sie sich welche, doch hatte er denn nicht gemerkt, dass ihre Gedanken gerade völlig andere Wege gegangen waren? "Natürlich ..." ♪ Der Schweiß brannte sich kalt auf Robyn's Haut ein, als sie endlich zum stehen gekommen war. Warum nur war sie forteglaufen? Als sie sich mit den Händen über's Gesicht fuhr merkte sie, dass sie nicht nur erschöpft war und sich überanstrengt hatte - sie weinte. Ohne, dass es ihr aufgefallen war waren bereits unzählige Tränen über ihre Wangen gelaufen, sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen und spürte, wie ihre Augen brannten, aus ihrem erschöpftem Keuchen wurde ein Schluchzen, ihre wackeligen Knie gaben schließlich nach und sie sackte weinend zusammen, die dünnen Arme um die Beine gelegt und kauerte sich auf dem Waldboden zusammen. "Mein Kind, warum weinst du?" Robyn schrak zusammen und schnellte sofort wieder in die Höhe, sich an einem Baum festklammernd und die Augen vor Angst geweitet. Die Stimme, die zu ihr gesprochen hatte gehörte, soweit Robyn dies in der Dunkelheit feststellen konnte, einer kleinen, alten, gebrechlichen Frau, eine "liebe Oma", könnte man sagen. Auch, wenn sie es nicht genau sehen konnte, glaubte sie, die Alte lächeln zu sehen. Nein, moment, dachte sie sich. Das ist kein Lächeln sondern ein gemeines Grinsen. Sie sollte recht behalten - für eine alte, gebrechliche Oma konnte diese Frau nämlich verdammt schnell und hart zuschlagen, so hart, dass Robyn das Bewusstsein verlor, als ihr Kopf gegen den Baum prallte. Das einzige, was sie vernahm, ehe sie vollends in Ohnmacht viel, war ein krankhaftes kichern, gefolgt von einem Mäusepiepser. Mäuse? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)