Human von Rici-chan (RenxHoro Kapitel 25 kommt + Epilog) ================================================================================ Kapitel 11: HUMAN 11 -------------------- HUMAN 11 Nichtsahnend war jener bis zu diesem Zeitpunkt weiter in seine düsteren Gedanken vertieft. Doch plötzlich ging ihm wirklich buchstäblich das Licht aus. Er hatte kaum noch Zeit um ein Wort hervorzubringen: "Was-?" Ein verblüffter Ausdruck zierte nun das bewegungslose Gesicht, des schlaffen Körpers. Er hatte ihm vertraut, hätte nie zu träumen gewagt, dass er ihn einmal hintergehen würde. Oder ihn so außer Gefecht setzten würde. Vor allem zu welchem Zweck? Ren schob in einer schnellen Bewegung den Körper von sich, sodass Horo neben ihm lag. Das Gesicht mit dem noch erstaunten Ausdruck war zu ihm gewandt. Mit einem kleinen Klirren hatte seine Hand wieder ihre Normalform angenommen und er tastet nach dem Messer, welches Horo zuvor benutzt hatte. Als er es in der Hand hatte, starrte er es an, dann seinen Kameraden. Er konnte sich nicht bewegen, dafür alles um sich herum wahrnehmen. Ren wollte Horo nichts tun, nur sich selbst. In dieser Lage konnte er ihm nicht helfen, sich selbst auch nicht. Wenn er sich ausliefern würde, würde er seine fliehenden Kameraden verraten, da man ja Informationen aus seinem Körper ziehen konnte. Das Messer blitzte in dem Licht, als er es sich an den Hals mit der gesunden Hand hielt. Egal ob er menschlich war oder nicht, wenn er erst die gröbsten Versorgungskabel getrennt hatte, und danach noch sein Notlöschprogramm einschaltete, wäre er keine Last mehr. Seine Entscheidung schien unwiderruflich. In diesem Zustand würde er seiner... Schwester auch nichts nutzen. Er legte an und zielte. Bewegungsunfähig musste der Soldat nun mit ansehen was sein Freund da vorhatte. Unmerklich schienen seine Augen sich noch mehr zu weiten. Ein einziger bitterer Gedanke war es, der ihn ausfüllte. Das verzeih ich dir nie. Wenn Ren wirklich tat was er da vorhatte, würde er es ihm nie verzeihen können. Egal ob er dann tot war oder nicht. Er hatte die ganze Zeit gekämpft. Für ihn. Um ihn zu schützen und in Sicherheit zu bringen. Und wozu das nun? Dafür dass er sich schließlich selbst umbrachte? Sollte es das gewesen sein? Horo konnte sich ein Leben ohne ihn schon lang nicht mehr vorstellen. Selbst wenn Ren irgendwann völlig bewegungsunfähig wäre, würde er sich noch immer nicht von ihm trennen können. Er konnte nicht benennen was es war, das ihn so denken ließ. Er wusste nur, dass es stark war. Stärker als alles was er bis dahin geglaubt hatte zu kennen. Er wollte Ren nicht verlieren. Um keinen Preis der Welt. So blitzte feurige Entschlossenheit in seinen Augen auf, als er mit aller Macht gegen die starre Taubheit ankämpfte. Ren bemerkte diesen Umschwung, diesen Wiederstand nicht. Aus der kleinen Öffnung in Horos Nacken schienen Funken zu sprühen. Aber auch das bemerkte der arme Schwarzhaarige nicht. Er hatte die Augen geschlossen, das Messer bereit. Nebenbei maß er die verstreichende Zeit, obwohl gerade einmal ein paar Sekunden vergangen waren. Er sah Zahlen und Symbole vor seinen inneren Augen aufblitzen, rechnete alles durch und brachte sein Löschungsprogramm in Bereitschaft. Auch die Notfallsvorkehrungen musste er abschalten. Sein Ausdruck sagte höchste Konzentration aus, seine Hand schien zu glühen, hielt aber standhaft weiter das Messer fest. Als er endlich fertig war, wagte er es nicht nochmals zu Horo zu sehen. Vielleicht konnte dessen Anblick seine Entscheidung trüben... Aber nein! Er tat das für Horo, für ihn alleine. Dennoch wollte er ja weiter existieren, er musste sich zu diesem Schritt zwingen. Fast ohne bemerkt zu werden lief salzhaltige Flüssigkeit aus seinen Augen und formten sogenannte Tränen. Er verabschiedete sich vom Leben, von den wenigen schönen Dingen, die er kennen gelernt hatte in dieser kurzen Zeit. Er holte mit dem Messer aus, bereit für den letzten Schritt. Es wäre ihm vor Anstrengung Schweiß über das Gesicht gelaufen, wenn er welchen gehabt hätte. Hatte er welchen? Aber das war nun egal. Er war dazu verdammt weiter zu beobachten. Zu sehen wie die Zeit ihm davon lief. Und wie Rens Gesicht nass wurde. Er glaubte erst seinen Augen nicht zu trauen, doch es stimmte. Der Spionageroboter, was immer er wirklich war, weinte. Weinte um sein Leben. Weinte um ihn? Aber diese im Dämmerlicht scheinende Träne brach den letzten Wiederstand. Es fühlte sich an, als würde tief in ihm etwas brechen, ihn befreien. Er sah das Messer, wie er damit ausholte. Wie es kurz darauf losschnellte, mit seiner Kehle als Ziel. Wie die Klinge tief ins Fleisch, oder was auch immer dort sein möge, schnitt und alle lebenswichtigen Verbindungen mit sich nahm. Doch nein, es wäre genauso gekommen, wenn sich nicht eine Hand um die scharfe Klinge legen würde, sie krampfhaft festhielt. Von der nun auch langsam aber sicher rote Flüssigkeit herab tropfte. Die Spitze kaum zwei Zentimeter von der Haut des ursprünglichen Ziels entfernt. Der Arm zittert unter höchster Kraftanstrengung. Der restliche Körper noch immer wie gelähmt. Der Blick starr auf die Klinge gerichtet. Die Entschlossenheit brannte noch immer. Ren merkte den Widerstand, die Gegenwehr und öffnete verschreckt die Augen. In der gleichen Sekunde ließ er das Messer jedoch noch nicht los. Dann sah er den Blick, die Hand, das Blut. Und es tat ihm leid. Er hätte wissen müssen, das Horo es nicht wollen würde, selbst wenn es zu seinem eigenen besten war. Traurig, bedrückt und doch froh darüber noch zu leben holte er Luft und ließ das Messer los, als Zeichen das er aufgab. Er brauchte ebenfalls ein paar Sekunden, um die eingesetzten Löschvorgänge zu stoppen, um die Konzentration zu vermindern. Er lebte noch, aber was würde Horo nun von ihm denken? Er ahnte es. Er beugte sich vor und brachte die kleinen Kabel wieder in die richtige Lage, musste sogar einmal kurz schweißen. Eines der Kabel war fast schon verschmort gewesen. Gott sei dank hatte er wenigstens noch eine Hand. Er zog sich zurück, als die Zeit um und alles wieder an seinem Platz war. Nun wartete er nur noch das Urteil ab. Der Körper blieb noch weiter erstarrt. Das Messer und die Hand die sich darum geschlossen hatte schwebten noch immer in der Luft auf derselben Höhe. Erst als alle Verbindungen wieder an ihrem Platz waren, sackte sie leblos herunter. Der Messer fiel klirrend zu Boden. Die dunkelblauen Augen schlossen sich für einige Sekunden, der Körper schien kurzzeitig zu ruhen. Kurz darauf setzte er sich aber mit gewohnter Kraft und Geschmeidigkeit auf, noch immer wortlos. Auch würdigte er ihn noch keines Blickes, starrte lediglich das blutige Messer auf dem Boden an. Unweit davon lag noch immer der amputierte Körperteil. Langsam streifte ein Blick den Spion, wie ein eisiger Windhauch, der schließlich auch auf ihn gerichtet blieb. Noch immer kein Wort. Es war schwer auszumachen was Horo dachte. Seine Miene war völlig ausdruckslos. War er fassungslos darüber was Ren versucht hatte? Was er schließlich auch getan hatte? War er wütend? Traurig? Froh, dass er ihn hatte stoppen können? Nichts war abzulesen. Und doch, langsam zeigte sich ein Ausdruck. Nicht die vielen Fragen waren darauf zu sehen. Doch beinhaltete der Blick nun alle Antworten darauf. Grenzenlose Enttäuschung. "Das war ein Fehler." Diese einfachen Worte und doch so bedeutungsschwer. Verletztes Vertrauen. Ebenfalls fast emotionslos besah sich Ren Horos Verhalten. Er war wirklich ebenso so gut wie menschlich, wenn er nicht wirklich schon ein Mensch war, was das Blut andeutet. Wenigstens hatten sie so einen Hinweis mehr. Ren sah mehr als das er es in den Worten hörte. Er hatte Horos Vertrauen in einem intimen Moment missbraucht, noch schlimmer wäre es gewesen wenn sie sich dabei noch geküsst hätten. Das war ein Schlag in den Rücken gewesen, unfair. Aber er bereute es nicht. Er war natürlich auch froh dass er noch lebte, aber das war nebensächlich. So blieb seine einzige Antwort: "Das denke ich nicht." Und langte erneut nach dem Messer. Noch einmal konnte er Horo nicht so ausschalten, das funktionierte nur einmal so. Man konnte sie auch anders abschalten, aber dazu benötigte man mehr Zeit, die er nicht hatte. Außerdem bezweifelte er, das es wirken würde. Anscheinend besaß Horo mehr Gewalt über seinen Körper als ihm eigentlich zustand. In einer Bewegung die einem Zucken gleichkam versetzte er dem Messer einen Tritt. Jenes war so nun außerhalb von Rens Reichweite. So schnell würde er ihn nicht mehr in die Nähe des Messers lassen. Auch wenn ihm bewusst war, dass es ihm nicht schwer fallen sollte einen anderen scharfen Gegenstand zu finden. Doch wollte er, aus schon fast emotionalen Gründen, nicht, dass er sein eigenes Messer in Rens Hals stecken sah. So tat er noch zwei schnelle Schritte und hob den blutigen Gegenstand von Boden auf. Er wischte ihn kurz an seinem Shirt ab und steckte ihn nun wieder weg. Diesmal verschloss er das Versteck aber zusätzlich. Er sah wieder zu seinem Gefährten. Abschätzend. Er kam ihm mit einem Mal so fremd vor. Und er spürte einen heftigen Drang immer mehr in sich aufwallen. Es war keine Logik dahinter, er verstand den Sinn nicht warum er so... fühlte. Jedoch spürte er den Drang immer unwiderstehlicher werden zu schreien. Ihn an den Schultern zu packen und zu schütteln und ihm dabei ins Gesicht zu schreien. Ebenso beschlich ihn die leise Ahnung, dass ihm dabei ebenso salzhaltige Flüssigkeit aus den Augen rinnen würde. So hielt er sich mit aller Kraft zurück, doch dies kostete ihn viel Kraft, weshalb seine geballten Fäuste unaufhörlich bebten. Er hatte sich selbst auch nie so außer Kontrolle erlebt. Es war ihm nie so schwer gefallen sich zu beherrschen, wie jetzt. Ren konnte das Messer auf diesem Weg nicht erreichen. Er sah ihm fast mit Bedauern hinterher. Er sah auch, fast ebenso traurig, das Horo kurz davor war zu explodieren. Und das seinetwegen. Etwas bei diesem Verhalten erfüllte ihn mit Erfüllung, als wollte er den Blauhaarigen schon immer einmal so sehen. Er richtete sich auf, sodass er sich den nun fast vertrockneten Tränen auf seinen Wangen gewahr wurde. Verwundert strich er sich selbst über die Wange. Er hatte geweint? Wann denn? Wahrscheinlich erst vor kurzem. Konnte er es wieder herauf beschwören? Verrückte Idee. In diesem Moment hatte er Horo fast vergessen. Es war fast schon ein berauschendes Erlebnis zu weinen, dem Tode so nahe gewesen zu sein. Und er sah es noch immer nicht als Fehler an. Er blickte auf, sah das Horo noch immer mit sich zu kämpfen hatte. Schüttelte dann fast schon verständnislos den Kopf. "Also wirklich... ich finde einen anderen Weg, du bist mich bald los." Auch wenn er momentan nichts zu Essen hatte, musste er bei diesen Worten schlucken. Es fühlte sich trocken an. Gleichzeitig spürte er ein seltsames Gefühl in der Nase, dann einen kleinen Schmerz in den Augen. Er wollte blinzeln, doch konnte er nicht. Er musste ihn weiter anstarren, bis seine Sicht verschwamm. Das allein steigerte seinen Zorn noch, wollte er doch sehen wen er da vor sich hatte. So blinzelte er nun endlich wütend und es wollte immer noch nicht recht weggehen. Also wiederholte er das ganze mehrmals. Doch dann... was war das? Er spürte etwas auf der Wange. Es kitzelte fast schon etwas. Doch das war ihm im Moment ziemlich egal. Er schaffte es schließlich sich aus seiner Starre zu lösen und ging ein paar Schritte auf Ren zu. Er wusste nicht was er tun würde, wenn er ganz vor ihm stehen würde. Er fürchtete sich sogar etwas davor. Ein Zustand den er nie gekannt hatte. Er fürchtete sich vor sich selbst. Vor der Macht, die diese Gefühle über ihn hatten. Doch er ging weiter. Und er spürte was er tun würde, als sich sein Arm wie von selbst hob. In einer schnellen Bewegung hatte er seinen Kameraden nun geohrfeigt. Der Schlag schallte noch kurz im Raum nach und seine Sicht schwamm wieder vor Tränen. Er wusste selbst kaum wie ihm geschah. Schließlich packte er ihn auch hart an den Schultern und rüttelte ihn kurz bis er anfing zu schreien. "Wag es ja nicht! Und hör sofort auf so zu reden! Wozu habe ich dann die ganze Zeit durchgehalten?!" Er erzitterte unter der Heftigkeit seiner eigenen Stimme, wie sie den ganzen Raum auszufüllen schien. Auch spürte er eine gewisse Erleichterung, Erleichterung dem Drang endlich nachgegeben zu haben. Endlich seine Gedanken in Worte formulieren zu können. Auch der Strom aus Strom aus Salzwasser wollt nicht abreißen und floss immer weiter über seine Wangen, ungeachtet. Ren beobachtete weiter. Fast so wie er es eigentlich tun musste als Spionageroboter. Beobachten und berichten. Er sah das Verhalten, was fast schon zu menschlich war. Die Mimik, die Gestik, die Tränen. Und dann die Ohrfeige. Es hatte einen fürchterlichen Laut gegeben. Es klang, als würde man auf eine Mischung von Haut und Metall schlagen. Dabei war ein heller Ton vorrangig. Er wollte das Gesicht wieder zu Horo drehen, aber es misslang ihm bei der nächsten Aktion. Er wurde überrannt von den Worten, den Taten, und den Tränen. Er wusste nun, was diese Emotionen für eine Wirkung haben konnten. Es zerriss ihn innerlich, ihn so zu sehen. Gleichzeitig spürte er auch bei sich diese Wallungen. Gefühle, Leidenschaft, Schmerz. Er konnte sich nur mit einer Hand wehren, seiner einen gesunden Hand. Er umfasste die fremde Hand die ihm am nächsten war und zog daran. „Damit du selbst leben kannst, du vollkommen beschissener Idiot! Für wenn wollte ich das gerade den machen? Ich bin dir nur ein Klotz am Bein! Ich kann nicht mehr laufen und bewegen kann ich mich auch kaum! Du sollst alleine weiter fliehen, verdammt!“ Tränen. Salzhaltige Flüssigkeit lief seine Wangen hinab, ließ die Sicht verschwimmen und bewirkte, dass er sich noch elender fühlte als zuvor. War es doch ein Fehler gewesen? So standen sie da, zwei Roboter - Menschen? - mit tränennassen Gesichtern und schrien sich gegenseitig an. Ohne wirklich zu wissen warum sie das taten. Dabei war die Antwort so einfach, die simpelste von allem. Liebe. Beinahe kindliche Nächstenliebe, zu dem einzigen Freund den sie hatten. Doch das erkannten sie nicht, noch nicht. In dieser Hinsicht waren sie wirklich dumm. Dumm wie unreife Kinder, die noch nicht viel von der Welt verstanden und einfach nur taten wonach ihnen war, ohne nach dem Warum zu fragen. Ohne dass sie das Warum verstehen würden. Immer noch völlig erstarrt hielt Horo Ren nur weiter krampfhaft an den Schultern fest. Der verbitterte Ausdruck noch immer auf dem Gesicht, der Verzweiflung nahe. Wieder rüttelte er an ihm, als könnte er damit das Gesagte ungesagt machen, das Gehörte ungehört. "NEIN VERDAMMT!" Zu mehr war er nicht fähig. Er drückte lediglich seine vollkommene Unzufriedenheit mit dieser Entscheidung aus. Wobei das noch maßlos untertrieben war, wie jeder weiß. "Sag so etwas nie wieder!" Nun hielt er schon Rens Gesicht in den Händen, ohne selbst zu wissen warum er das tat. Als würde es gleich zerbrechen, als könnte es verschwinden. Er konnte sich nicht ausdrücken. "Ich... ich... ich will das nicht... du bleibst bei mir... Und außerdem... du... du bist mit keine Last..." Unzusammenhängend sprach er nun, völlig untypisch für einen Soldaten, der nur präzise Antworten geben sollte. Aber er war schlicht und einfach verwirrt, wusste selbst nicht wie er seine Gedanken einordnen sollte. Er kam sich so hilflos vor. Hilflos bei dem Gedanken ohne Ren sein zu müssen. Ihn zurückzulassen. So wand er beschämt den Blick ab, doch hielt auch das nicht lang. "... Ich brauche dich." Mit diesen Worten blickte er wieder langsam zu ihm auf, schüchtern wie es schien. Ja geradezu unsicher. Und er hielt dieses geliebte Gesicht mit einer Zärtlichkeit in Händen, bei der jede Mutter eines kleinen Kindes vor Neid erblasst wäre. Er konnte nicht anders. Er brauchte ihn weil er ihn liebte und liebte ihn weil er ihn brauchte. Fast schon erschrocken von diesen Worten und dem Ausbruch starrte Ren sein Gegenüber nur an. Sah ihn einfach nur ganz genau an. Wie konnte das sein? Wie waren sie in diese Situation geraten? Und wieso wollte Horo nicht verstehen? Ren verzog das Gesicht, die Worte die ihn trafen, trafen direkt sein Gehör, aber nicht seinen Verstand. Auch er begriff nicht, warum sie so waren, und warum weder er Horos noch dieser seinen Standpunkt verstand. Warum waren sie verdammt noch einmal so? Noch mehr Salzwasser begann aus seinen Augen zu rinnen, verschlechterte seine Sicht, sodass er blinzelte und das Gesicht verzog. Und das, wo der Blauhaarige gerade so unsicher und unschuldig wie ein kleines Kind wirkte. Wieso wollte dieser nicht verstehen? Wieso konnte er das nicht? „... denkst du, ich dich nicht? Du verdammter Idiot...“ fluchte er verzweifelt. Wieso konnte er nicht verstehen? Er wollte doch nur, dass er leben konnte. Da draußen starben jeden Tag Menschen, aus Hunger, aus Krieg, aus Krankheit und ebenso aus… Liebe. Dürfte er das nicht auch? Wurde ihm das verwehrt? Aus tränennassen Augen sah er den Größeren an. „Was denkst du denn, warum ich das mache? Denkst du, ich kann mit ansehen, wie du meinetwegen sterben würdest? Denkst du, ich will das!!“ schrie er zuletzt, schluchzte dann wieder, vollkommen von diesen Emotionen überrannt. Er konnte sie nicht kontrollieren, die packten ihn einfach und ließen ihn nicht mehr los. Dabei schien es fast in ihm zu brennen, es zu verzehren. Nur wusste er nicht, wonach, nach was dieses neue Gefühl verlangte. Ungläubig hielt der Größere immer noch dieses von Schmerz verzehrte Gesicht in Händen. Doch rührte dieser Schmerz weniger von körperlichem, eher von seelischem Schmerz her. Der der tiefer ging und länger anhielt. Er verstand was er ihm sagen wollte und doch konnte er es nicht akzeptieren. Es war für ihn einfach keine Möglichkeit ihn hier zu lassen. Er wollte ihn bei sich haben, um jeden Preis. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn er sich wirklich umbrachte, damit er leichter fliehen konnte. Es schien alles sinnlos wenn er daran dachte. Er wusste einfach nicht was er ohne ihn machen sollte und auch die Flucht schien ihm dann sinnlos. Warum sollte er noch fliehen? Wozu? Wovor? Vor dem Tod? Dazu konnte er nur ein kurzes bitteres Lachen von sich geben. Es war einfach lächerlich und doch so einfach. So sah er ihn wieder an, ließ sich von diesem goldenen Blick gefangen nehmen. Erwiderte ihn aber schon fester, entschlossen. "Ich gehe nicht ohne dich. Wenn du stirbst, sterbe ich auch." Ganz einfach. Es erschien ihm mit einem Mal so klar, so simpel. Es war völlig irrational so zu denken, sich so abhängig zu machen. Aber es fühlte sich dennoch richtig an. Er gehörte hier her, zu ihm. Egal wie kitschig und unlogisch es auch klingen mochte. Er wollte es so. Langsam zog er ihn nun näher zu sich. Er handelte ohne es in Frage zu stellen, ohne darüber nachzudenken. Wie es ein Soldat, ein Roboter eigentlich tun sollte. Nur hatte dieser Kuss etwas völlig un-soldatenhaftes. Er schloss wieder sehnsüchtig die Augen, schmeckte die Tränen, spürte seine Wärme, oder was auch immer es zu spüren gab. Die Augen schlossen sich wie von selbst. Er brauchte das, er brauchte ihn. Er liebte es, er liebte ihn. Ren, immer noch überladen, fast schon überfordert, konnte schließlich nur eine menschliche Reaktion auf das Ganze zeigen. Er erwiderte den Kuss, und langsam schien damit eine Erkenntnis in ihn zu erwachen. Er musste bei Horo bleiben, bei diesem dumpf sinnigen, ziemlich stümperhaften Roboter-Menschen, der ohne ihn nicht zu recht kommen würde. Wenn er nicht auf ihn aufpasste, wer dann? Und konnte er es zulassen, das Horo zu jemand anderen so war wie zu ihm jetzt? Das er einer anderen Kreatur zu nah kam? Jemand anderen gar küsste? Tief in ihm brodelte eine Besitzgier auf, die ihn völlig ausfühlte. Horo würde ohne ihn nicht leben, also musste er für Horo leben. Für SEINEN Horo. Niemand würde ihm etwas tun... In Anbetracht dieser Erkenntnis konnte er seinen gesunden und seinen nicht mehr voll funktionsfähigen Arm heben, um ihn zu umarmen. Um seinen Horo an sich zu drücken. Ihn zu küssen, ihm Wärme zu spenden, ihm alles geben was er wollte. Er sollte nicht mehr traurig sein. Das spürte Horo so nun auch. Mehr als deutlich und er erwiderte die Geste ebenso sehnsüchtig. Er zog ihn eng in seine Arme und küsste ihn weiter. Immer leidenschaftlicher und inniger, als würde sein Leben davon abhängen. Er genoss dieses Gefühl so sehr, ihn so nah bei sich zu haben. Und die Vorstellung keine Gefühle zu haben rückte immer weiter in den Raum des Unvorstellbaren. Denn es war sprichwörtlich zu schön um wahr zu sein. Und er wollte es definitiv nicht mehr missen, das stand fest. Keuchend löste er sich schließlich auch von ihm und sah ihn mit roten Wangen an. Diese Röte kam aber weniger vor Scham und mehr von den restlichen Tränen und diesen aufwallenden Gefühlen. Abschätzend musterte er ihn kurz. "Glaubst du mir nun? Kommst du mit mir?" Das war im Moment alles was für ihn zählte. Selbst die Flucht selbst schien somit bedeutungslos. Auch die Suche nach ihrem Heilmittel war nun weit entfernt. „Ja“ flüsterte der Kleinere nun. Was hätte er auch sonst sagen sollen? Horo vor ihm, mit roten Wangen, noch leuchtenden Augen und roten Lippen vom küssen. Wie konnte er da nein sagen? Er hatte seine gesunde Hand noch immer an Horos Wange, streichelte diese. „Bleibst du dafür bei mir?“ fragte er nun auch. Er konnte sich die Antwort denken, wusste sie durch die Taten und durch alles was Horo von sich gab. Er wollte es aber noch einmal gehört haben. Wollte hören, dass er selbst als willenloser Gegenstand noch bei ihm sein könnte. Wollte hören, dass nur er ihn glücklich machen konnte. Das er sein war, und Horo ihm gehörte. So sah er ihn mit großen goldenen Augen an, die nun überhaupt nur die eines Menschen sein konnten, solche Hoffnung strahlten sie aus. Ein leises Lächeln umspielte die Lippen des Größeren nun. Er verfestigte seinen Griff nur noch mehr und auch das Lächeln wurde breiter. "Ja, für immer... " Er sagte es so wie es ihm zuerst in den Sinn kam. Soweit er jetzt denken konnte wollte er solang wie sie noch zu leben hatten bei ihm sein. Nicht mehr und auch nicht weniger. Er genoss es einfach viel zu sehr diesen Blick auf sich zu spüren und ihn im Arm zu halten. Wieder musste er ihn küssen, zärtlich. Und ebenso sanft strich er ihm über den Rücken. Wieder wusste er nicht warum er das tat, doch fühlte es sich wieder richtig an, so selbstverständlich. Den Straßenlärm von draußen nahm er schon lang nicht mehr wahr. Nur noch Ren war für ihn wichtig. Sein Ren. Und wie er ihn ansah. Es war einmalig und er würde diesen Blick nie vergessen. Fast schon erleichtert schloss Ren ihn in sein seine Arme. So warm, so weich… Oder kam es ihm nur so vor? Er beschloss, dass es egal war. Was machte es für einen Unterschied? Es blieb doch trotzdem sein Horo, nur seiner. Zufrieden seufzte er, bemerkte so nicht, in welchen Dämmerzustand er sank. Die ganze Zeit war Blut aus der Wunde getropft, und wer wusste schon, was nun in ihrem Körper war? Was dieser brauchte? So versank Ren in einen halbwachen Zustand, der vom Blutverlust herrührte. Seine Augen halb offen, seine Arme schwach, seine Lippen zu einem verträumten Lächeln verzogen. Sein Liebster deutete dieses Zeichen von Entspannung falsch und ließ sich sanft mit ihm zurück auf die Couch sinken. Auch wenn durch den Knoten in Rens Hosenbein schon etwas Rotes hindurch schien, gab es doch weit interessanderes als jenes. So beschäftigte Horo sich nur mit diesem seligen Lächeln und ließ es auf sich wirken. Ebenso völlig verträumt. Die Welt verstummte erneut um ihn herum, doch es war ihm egal. Er war sogar angenehm. Nun war er wirklich vollkommen auf Rens Anblick fixiert. Sanft streichelte er dessen Wange, küsste ihn erneut zärtlich. Kannten sie doch keine andere Art ihre Zuneigung zu zeigen, sich nahe zu sein. So waren sie in gewisser Weise immer noch unschuldige Kinder, die mit der reinsten und unschuldigsten Form der Liebe lebten. Nur jene kannten. Fern von körperlichen Gelüsten. Nur konnte Ren diesen Kuss nicht erwidern. Nicht, weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte. Sein unklarer Blick begann sich noch mehr zu trüben und an den Rändern griff die Schwärze um sich, bis er nicht einmal Horos blaues Haar sehen konnte. Warum war das so? Erst spürte er noch die Wärme, und dann wurde es kalt, eiskalt. So lag er bewusstlos in Horos Armen, mit geschlossenen Augen und schlaffen Gliedmaßen. Irritiert öffnete dieser so langsam wieder die Augen. Schlief er? Nein, dieser Zustand war ziemlich untypisch für einen Schlaf. Leichte Panik erfasste ihn und schlich sich immer tiefer in seinen Körper. Etwas erschrocken blickte er nun schnell zu seinem Beinstumpf. Das Blut tropfte dort bereits durch den Stoff der Hose auf die Couch. Auf jener hatte sich bereits ein beachtlicher dunkler Fleck gebildet. Nein. Das war alles was er zu denken fähig war. Das durfte nicht sein. Nicht nach allem was sie zusammen geschafft hatten. Es durfte einfach nicht so enden. Immer noch war alles still. Aber diese Stille beunruhigte ihn nun nur umso mehr. Er hatte keine Zeit. Schnell hievte er sich seinen Freund auf die Arme und begann zu laufen. Er wusste nicht wohin. Doch er lief einfach los. Raus aus ihrem Unterschlupf, hinaus auf die Straße. Hindurch zwischen all den Menschen, die ihm nur irritierte Blicke schenken und nur schwerfällig und meckernd auswichen. Schließlich sah er es vor sich. Sein Ziel war auf einmal ganz klar. Wenn Ren Blut hatte, dann war er ein Mensch. Und wenn er ein Mensch war und Blut verloren hatte, was brauchte er dann? Eine Bluttransfusion. Und wo bekam man eine? In einem Krankenhaus! Er erinnerte sich mit einem Mal gestochen scharf daran, dass er vor nicht allzu langer Zeit an einem vorbei gekommen war. Das war noch vor seiner Gefangennahme gewesen, doch war es nicht allzu weit entfernt. Nur um ein paar Häuserblocks und dann... Besorgt sah er wieder auf Ren. Jener hing immer noch schlaff in seinen Armen und wirkte beunruhigend blass. So lief er wieder los, so schnell er konnte. Unbewusst war er während seiner Überlegungen stehen geblieben, doch nun rannte er wieder wie der Teufel. Ohne die Straße auch nur eines Blickes zu würdigen überquerte er sie. Einige Autos blieben mit quietschenden Reifen und einem lauten Hupkonzert stehen. Doch all das hörte er immer noch nicht. Nur blieben nun auch einige Schaulustige auf den Bürgersteigen stehen und verfolgten die Szene. Es wichen ihm nun auch mehr Menschen aus als er über den nächsten Bürgersteig lief. Nur noch über die Straße... Wieder kam ein Auto quietschend und schleudernd zum stehen. Jedoch war der Fahrer des nächsten nicht so aufmerksam gewesen, zudem fuhr er wesentlich schneller als in diesen Straßen erlaubt war. Er hatte es wohl eilig. Wollte vielleicht auch jemanden ins Krankenhaus bringen? Horo hatte so gerade noch genug Zeit um dem Fahrer in die Augen zu sehen, während dieser völlig erschrocken, wieder den Blick der Straße zuwandte. Reflexartig wandte er dem Auto schützend den Rücken zu und drückte Ren noch mehr an sich, nahm seinen Kopf in eine Hand, als ihn auch schon das Auto mit voller Wucht erfasste. Er prallte er mit dem Becken, dann dem Rücken und schließlich dem Kopf auf die Motorhaube und Windschutzscheibe, auf letzter hinterließ er einen großen Bruch, welcher sich wie ein Spinnennetz über die gesamte Scheibe zog. Er rollte regelrecht über das Dach und den Kofferraum hinweg und kam wieder heftig auf dem dunklen Asphalt auf, welcher nun auch von Bremsspuren geziert wurde. Immer noch hielt er Ren schützend an sich gepresst. Das Auto dass ihn gerammt hatte schleuderte und überschlug sich ehe es an einer Laterne zum stehen kam. Wieder versammelten sich Schaulustige. Einige von ihnen riefen wohl auch die Polizei und einen Krankenwagen. Seine Sicht war unklar und er spürte eine warme Flüssigkeit über sein rechtes Auge laufen. Doch sah er noch auf Ren in seinen Armen herab und stellte fest dass er jenen weitestgehend geschützt hatte. Dies zauberte ihm wieder ein Lächeln auf die Lippen ehe er selbst ohnmächtig wurde und von einer stummen Welt in eine Dunkle fiel. +*+*+ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)