Children of Elements von chaoticgirl (Buch I - Freundschaft) ================================================================================ Kapitel 3: Tod eines Drachen ---------------------------- Jemand wanderte durch den Wald. Er blieb stehen, bückte sich um einen Pilz zu begutachten und schnitt diesen dann ab. Er legte den Pilz zu vielen anderen in einen Korb und dann blickte er seufzend zum Himmel, der nur vereinzelt durch das Blätterdach der Bäume erkennbar war. Fünf Tage war es her, dass sein Freund weg war. Fynn wusste, dass Xankir nicht so schnell wieder da sein konnte. Er musste ja erst mal zum Versteck seines Clans fliegen, danach musste er mit dem Clanältesten sprechen und dann musste er auch noch Rorax überreden mit zurückzukommen. Aber er wollte unbedingt endlich wissen, warum er nur Xankir, nicht aber Rorax verstehen konnte. Und dann war da auch noch diese seltsame Angst vor Rorax, die er sich nicht erklären konnte. Plötzlich hörte er in einem Busch, der nur etwa zehn Ellen von ihm entfernt war, etwas niesen und kurz darauf ein leises Wimmern. Fynn ging vorsichtig näher. Wieder ertönte ein Niesen. Der Junge bog ein paar Zweige des Busches zur Seite und entdeckte ein kleines, hellgrünes Wesen. Fynn blinzelte, rieb sich die Augen und sah noch mal genauer hin. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Da, in dem Busch versteckt, lag ein winzig kleiner Drache, vielleicht eine Armlänge groß. Es schüttelte den Kopf und blickte ihn dann mit großen Augen an. „Hunger!“ Fynn stockte der Atem. Hatte das Kleine etwa gerade geredet? Aber wie konnte das möglich sein? Er verstand doch nur Xankir und keinen anderen Drachen sonst! „Hungäääääääär!“, quäkte das kleine Wesen. Vorsichtig streckte der Mensch seine Hand aus und berührte den Babydrachen an der Schnauze. Er dachte, es würde versuchen ihn zu beißen und als es sein Maul öffnete und die Zähne zeigte, zog er schleunigst seine Finger außer Reichweite, doch es rief nur wieder: „Huuuuungääääääär!“ Vorsichtig streichelte Fynn dem kleinen Drachen über den Kopf. „Tja Kleines, leider habe ich keine Ahnung, was Drachen so fressen. Was machen wir denn da?“, sprach er beruhigend auf das Baby ein. „Huuuuuuungääääääääääääär!!!“, der Drache wurde langsam ungeduldig. Fynn sah sich nach etwas essbarem um. Dann fiel ihm sein Korb voller Pilze in. Die sollte er eigentlich seiner Mutter für das Abendessen bringen, aber es gab ja noch genügend davon im Wald. Er nahm einen Pilz aus dem Korb und hielt ihn dem kleinen Drachen hin. Dieser versuchte ihn in die Schnauze zu nehmen, doch die Pflanze war zu groß und es ließ sie fallen. Fynn nahm sein Pilzmesser und teilte den Pilz in vier Teile. Dann hielt er dem hungrigen Minidrachen ein Stück von Stiel hin. Der Kleine kaute auf ihm herum und… spuckte ihn mit einem „Bah!“ wieder aus. „Die Stiele essen sie erst, wenn sie größer sind. Sie müssen sich erst noch an den bitteren Geschmack gewöhnen“, erklang eine sanfte Stimme hinter Fynn. Er fuhr herum. Hinter ihm stand ein großer Baum und in seiner Rinde war eine Gestalt zu erkennen. Das Wesen löste sich von dem Baumstamm und kam auf den Menschen zu. Seine Haut sah aus wie Rinde, seine Arme wie Äste und seine Füße endeten in Wurzeln, die sich bei jedem Schritt im Boden verankerten und wieder herausgerissen wurden. Es war Ardhi, die Erdgottheit, einer der vier Elementargöttern. Fynn wusste nicht, was er sagen sollte. Die Elemente zeigten sich nur sehr, sehr selten. Man erzählte sich, dass sie alles wussten, was es zu wissen gab. Und sie waren sehr mächtig. Ardhi, die Erde, konnte den Pflanzen und dem Boden befehlen; Newa, die Luft, beherrschte den Wind, die Orkane und die Wolken; Maji, das Wasser, war Herrin über den Regen, die Flüsse und Seen und über jeden noch so kleinen Wassertropfen und zum Schluss Moto, das Feuer, ihm waren der Blitz und die Flammen untertan. Jeder von ihnen war eine mächtige Gottheit, die, wenn sie wollte, jeden vernichten konnte, und wenn sie sich zusammenschlossen, dann konnten sie ganze Fürstentümer in Chaos und Verzweiflung stürzen. Doch meist waren es friedfertige Götter, die im Verborgenen wirkten. „Ardhi“, flüsterte Fynn ehrfürchtig und verneigte sich. „Dieser junge Drache wurde hier von seiner Mutter versteckt. Jäger waren ihnen auf den Fersen. Doch sie findet den Weg nicht mehr zurück. Er ist ein Erddrache, er steht unter meinem Schutz, doch ich habe viele Pflichten und keine Zeit, um ihn nach Hause zu bringen. Darum bitte ich dich, bring ihn zu seiner Familie.“ Die Stimme des Erdgottes erinnerte Fynn an Xankirs. „Erddrache, was meint Ihr damit? Gibt es denn verschiedene Drachenarten?“ „Ja, es gibt vier Drachenarten.“ „Für jedes Element eine…“, murmelte Fynn. „Richtig. Ich weiß, dass dich und Xankir die Frage quält, warum du Rorax nicht verstehen konntest, und du fragst dich, warum du auf einmal verstehen kannst, was dieser, sehr junge Drache dir sagt.“ Fynn fragte gar nicht erst, woher Ardhi das alles wusste. Schließlich war er eine Gottheit. „Und warum ist das so?“ „Du hast Xankirs Blut getrunken. Er ist ein Erddrache, das siehst du an seinen Schuppen.“ „Er ist grün“, flüsterte der Mensch. Dann blickte er den kleinen Drachen an, der stumm den Gott ansah, als wüsste er, dass jetzt alles gut werden würde. „Auch grün…“ Ardhi nickte. „Ich sehe, du verstehst langsam.“ „Ich kann Xankir und den Kleinen hier verstehen, weil ich Xankirs Blut getrunken habe! Damit kann ich jetzt alle Erddrachen verstehen, habe ich Recht?“ „Ja. Durch die Adern der Erddrachen fließt mein Segen. Nun fließt er auch durch deine. Es gibt nur wenige Menschen, die dieses Geheimnis wissen. Aber diese wenigen verfolgen die Drachen, weil sie dem Irrglauben erlegen sind, dass sie dann den Drachen befehlen können. Man sollte nicht allen Legenden glauben, die sich die Menschen erzählen!“ „Ich verstehe“, antwortete Fynn. „Und Rorax kann ich nicht verstehen, weil er ein Wasserdrache ist und er unter dem Schutz der Göttin Maji steht. Aber wie kommt es, dass ich keine Angst vor diesem Drachen, dafür aber vor Rorax habe?“ „Nun, dieser hier ist etwas zu klein, um vor dir Angst zu haben und du hast keine Angst vor ihm, weil er so klein ist. Aber eigentlich haben alle Drachen Angst vor Menschen. Das ist ihr Instinkt. Sie können gar nicht anders. Der Geruch von Menschen bedeutet für sie Gefahr. Dass Xankir keine Angst vor dir hat und du keine vor ihm, verstehe ich auch nicht. Das müsst ihr alleine herausfinden.“ Ein Wimmern war zu hören. Fynn hatte den Babydrachen schon fast vergessen. Schnell ging er zu ihm und hielt ihm ein Stück einer Pilzkappe unter die Nase. Der Kleine fraß sie auf, wobei er ein zufriedenes Knurren von sich gab. Fynn drehte sich zu Ardhi um, doch er war verschwunden. Der Junge starrte auf die Stelle, an der von einem Augenblick noch das Element gestanden war. „Hunger!“, meldete sich der Kleine wieder. Fynn verfütterte daraufhin seinen ganzen Bestand an Pilzen an den hungrigen Drachen. Danach schlief dieser glücklich ein. Der Junge sah traurig in seinen leeren Korb. Er hatte sich schon so auf Mutters Pilzgericht heute Abend gefreut. Plötzlich wuchsen rund um ihn herum überall Pilze aus dem Boden. Fynn verstand. Das war der Dank der Erde dafür, dass er sich des kleinen Drachens annahm. Er sammelte alle ein und nahm das Drachenbaby auf den Arm. „Keine Sorge Kleiner, ich kümmere mich schon gut um dich.“ Dann verneigte sich der Mensch noch einmal in die Richtung des Baumes, aus dem der Gott gekommen war und murmelte: „Ich danke Euch.“ Anschließend machte er sich auf den Weg nach Hause, wo er den Minidrachen im Stall bei der alten Stute versteckte und danach seiner Mutter die Pilze brachte. Am nächsten Morgen nahm Fynn den Kleinen wieder mit in den Wald. Am späten Abend hatte er ihn mit ins Haus genommen, als seine Eltern schon geschlafen hatten. Dann hatte er die Überreste des Abendessens an seinen Schützling verfüttert und sie hatten friedlich in Fynns Bett bis zum frühen Morgen geschlafen. Sobald der kleine Erddrache wieder anfing nach Nahrung zu verlangen, hatte Fynn ein bisschen Brot für sich eingepackt und sein Pilzmesser, um dem Drachen ein Frühstück im Wald zu besorgen. Er ging zur Lichtung, an der er sich vor sechs Tagen von Xankir verabschiedet hatte, denn dort kam nur selten ein Mensch vorbei und es gab auch viele Büsche mit schmackhaften Beeren. Dort angekommen machte er sich daran die Büsche abzuernten, dann setzte er sich mit dem Kleinen im Schoß in die Sonne, aß sein Brot und schob ab und zu eine Hand voll süßer, roter Beeren in die Schnauze des kleinen, grünen Nimmersatts, der dabei fröhlich quietschte. Danach spielten die beiden Fangen. Der Kleine war zwar sehr langsam und tapsig, doch Fynn ließ ihm immer genügend Vorsprung, bevor er ihn wieder einfing. Heimlich hoffte der Mensch, dass die Erdgottheit sich noch einmal zeigen würde, doch er wurde enttäuscht. Plötzlich fiel ein Schatten auf die beiden, verschwand gleich wieder und ein Zweiter huschte über sie. Flügelschlagen wurde hörbar. Vollkommen verängstigt duckte sich der Babydrache und winselte. Fynn rannte auf ihn zu, packte ihn und versteckte sich unter einem großen Busch. Kurz darauf landeten zwei Drachen mit dem Rücken zu Fynn auf der Lichtung und falteten die Flügel. Der größere der beiden sah sich um und machte wandte sich dann mit Knurren und Fauchen um. „Ich hätte auch schwören können, dass hier eben noch jemand war. Seltsam…“, sagte der kleinere der beiden mit einer Stimme die wie das Knarzen der Bäume klang. „X… Xankir?!“ Fynn krabbelte mit dem Minidrachen im Arm unter dem Busch hervor. Die beiden Drachen drehten sich um. „Fynn!“, rief Xankir verwundert. Die beiden Freunde liefen aufeinander zu, Fynn setzte den kleinen Drachen auf dem Boden ab und umarmte Xankirs Hals. Doch Rorax blieb auf Abstand. Man sah ihm sein Misstrauen dem Menschen gegenüber an. Er knurrte und es hörte sich so an, als wäre er über irgendetwas ziemlich böse. Xankir blickte erst Rorax, dann Fynns Schützling fragend an. „Stimmt, frag ich mich auch“, sagte er. „Was fragst du dich?“, wunderte sich Fynn. „Oh, du kannst Rorax nicht verstanden. Na ja, wir fragen uns, wo dieser Kleine hier herkommt“, mit diesen Worten senkte er den Kopf und blickte den Minidrachen an, der sich hinter Fynns Beinen versteckte und leise und ängstlich quietschte. Der Junge hob ihn auf und streichelte ihm beruhigend. „Ich habe ihn im Wald gefunden, als ich beim Pilzsammeln war.“ Rorax schnaubte ungläubig. Fynn ignorierte ihn. „Ardhi hat mich gebeten…“ „Ardhi hat dich gebeten? Was meinst du damit?“, unterbrach ihn Xankir. „Nun, er hat sich mir gezeigt und er bat mich, den Kleinen hier zu seiner Mutter zurückzubringen.“ „Rorax schnaubte noch lauter, woraufhin Xankir ihm einen missbilligenden Blick zuwarf. „Unglaublich, Ardhi die Erdgottheit hat sich DIR gezeigt?“, Xankir war sehr überrascht. Fynn sah ihn verwundert an. „Wieso betonst du das ‚dir’? Ist das so unglaubhaft?“ “Nun, ich dachte immer, dass sich die Elemente den Menschen nicht zeigen, weil sie sie für hinterhältig und nicht vertrauenswürdig erachten“, meinte Xankir zögernd. „Sie zeigen sich auch nicht oft den Menschen. Nur sehr, sehr selten hat ein Mensch die Ehre, mit ihnen sprechen zu dürfen.“ Rorax begann zu fauchen und zu knurren. „Er fragt, ob du Ardhi GESEHEN, oder ihn nur gehört hast“, übersetzte Xankir. „Also, er stand direkt vor mir. Ich konnte ihm ins Gesicht sehen“, berichtete Fynn in Rorax’ Richtung. „Bei den Elementen, du musst irgendwie bewiesen haben, dass man dir vertrauen kann“, sagte Xankir. Rorax meldete sich wieder. „Hey, das könnte sein!“, rief Xankir. „Vielleicht vertrauen dir die Elemente, nun, zumindest Ardhi, weil du mit uns…“ Rorax schnaubte zum dritten Mal. „… weil du mit mir befreundet bist“, korrigierte sich Xankir. „Auch wir Drachen schenken nicht einfach jedem unser Vertrauen.“ Wieder sagte Rorax etwas, das Fynn nicht verstand. Xankir verdrehte die Augen, ignorierte ihn aber sonst. Der Kleine hatte sich etwas beruhigt und betrachtete seine größeren Artgenossen neugierig. Rorax knurrte. „Er fragt, warum der Kleine alleine im Wald war und ob du weißt, wo seine Mutter ist.“, sagte der Erddrache. „Ardhi erzählte mir, dass seine Mutter ihn hier versteckt hat, weil Jäger hinter ihnen her waren, doch sie findet den Weg nicht mehr zurück“, erzählte Fynn. Rorax und Xankir blickten sich an. „Was ist? Wisst ihr etwas darüber?“, fragte Fynn, dem der Blick nicht entgangen war. „Gestern kam eine Kike zum Versteck unseres Clans und berichtete, dass ihr Clan sie fortgeschickt hat, weil ihr Baby von einem Kiuma aus einem anderen Clan ist. Auf dem Weg zu unserem Versteck hat sie ihr Kind verloren.“ „’Kike’? ‚Kiuma’? Was ist das?“, erkundigte sich Fynn. „’Kike’ ist das, was für euch eine ‚Frau’ ist“, erklärte Xankir. „Also ein weiblicher Drache, eine Drachin? Dann ist ein ‚Kiuma’ ein männlicher Drache?“, erkundigte sich der Mensch. „Genau. Und das hier, könnte doch das Kijana – so nennen wir die noch nicht erwachsenen Drachen, also unsere Kinder – sein, dass die Kike verloren hat“, sagte Xankir. „Das wäre ja prima! Dann bringen wir es ihr zurück!“, freute sich Fynn. „ ‚Wir’?“, Xankir schaute überrascht. „Wieso ‚wir’? Du willst doch wohl nicht mit?“ „Doch, klar! Ardhi hat den Kleinen in meine Obhut gegeben, und ich werde ihn nicht aus den Augen lassen, bis er bei seiner Mutter ist“, sagte der Mensch trotzig. Wieder sahen sich Xankir und Rorax an. Der blaue Drache schüttelte den Kopf, doch Xankir lachte. „Ich glaube nicht, dass wir ihn umstimmen können, Rorax! Der ist stur.“ Rorax senkte geschlagen den Kopf. „Dann werde ich schnell nach Hause gehen, Mutter sagen, dass ich ein paar Tage lang weggehe und hole mir und dem Kleinen noch etwas Proviant für den Weg“, rief der Junge und setzte sich in Bewegung. Xankir wollte noch etwas sagen, doch Fynn war schon außer Hörweite. Rorax knurrte. „Ja, das wird eine Riesenüberraschung für den Clan, wenn wir mit einem Menschen dort auftauchen. Hoffentlich rennen nicht alle in Panik davon“ erwiderte Xankir und lachte. Die Sonne ging schon langsam unter, als Fynn wiederkam. Er hatte viel zu schleppen, deswegen hatte es so lange gedauert. Er hatte einen schwer aussehenden Rucksack auf dem Rücken, trug unter dem einen Arm zwei Decken und auf dem Anderen saß das schlafende Kijana. Rorax war nicht zu sehen, doch Xankir lang noch auf der Lichtung und hob den Kopf, als er Fynn hörte. Dieser blieb drei Armlängen vor ihm stehen, ließ die Decken fallen und setzte sich, wobei er aufpasste, dass er das Kijana nicht weckte. „Wo ist Rorax?“, fragte er leise. Da bewegte sich hinter Xankir etwas Schwarzes. Fynn zuckte zusammen. Katzengleiche Augen blickten ihn an. „Da ist er doch“, sagte Xankir. Fynn erkannte nun einen schwarzen Drachen der hinter Xankir gelegen hatte und sich nun reckte und streckte. „Bei allen Elementen…“ hauchte der Junge. Rorax’ blaue Schuppen sahen in der langsam einbrechenden Dämmerung schwarz aus. Unter dem riesigen Blätterdach konnte man nur noch wenig sehen. Rorax gab Laute von sich. „Ja, du hast Recht, wir sollten los. Steig auf Fynn“, sagte Xankir. Der Mensch legte die Decken um Xankirs Hals, setzte sich an den Halsansatz, schlang einen Arm um den schuppigen Gefährten und hielt mit der anderen Hand das schlafende Kijana fest. Die beiden Drachen reckten ihre Flügel und dann startete erst Rorax und danach Xankir. Nachdem sie den Wald unter sich gelassen hatten und sich Richtung untergehende Sonne wendeten, fragte Xankir: „Kannst du denn einfach deiner Mutter sagen, dass du ein paar Tage wegbleibst? Was denkt sie, wo du bist?“ „Ach, ich übernachte öfters ein paar Tage im Wald oder auf dem Berg, wenn es mir im Dorf zu langweilig wird.“ „Aha“, sagte Xankir nur. Eine Weile flogen sie schweigend immer der Sonne entgegen. Dann unterbrach Fynn die Stille. „Wie hast du es eigentlich geschafft, dass Rorax mitgekommen ist?“, flüsterte er seinem Freund ins Ohr. „Na ja, es war gar nicht nötig, ihn zu überreden. Ich habe nur gesagt, dass ich zu dir fliege und da ist er auf mich zugekommen und sagte, dass er dir nicht vertraut und mich nicht alleine zurückfliegen lässt. Er meinte, jemand sollte auf mich aufpassen. Wahrscheinlich ist er, auch wenn er es sich nicht eingestehen will, ein bisschen neugierig auf dich. Er hat ebenso wenig wie ich jemals einen Menschen vor dir gesehen. Wir fliegen ja immer weg, sobald einer in unsere Nähe kommt.“ Sie versuchten ihr Lachen zu unterdrücken. „Sag mal“, fragte Fynn. „Was hast du denn bei deinen Clanältesten herausgefunden?“ Er wollte überprüfen, ob er das Gleiche herausgefunden hatte. „Ah ja, das hatte ich vor lauter Überraschung über das wieder gefundene Kijana fast vergessen. Also, warum ich keine Angst vor dir habe, konnte mir unser Clanältester nicht erklären, aber eine alte Legende könnte unser zweites Rätsel lösen, nämlich warum du mich, aber andere Drachen nicht verstehen kannst. Diese Legende geht so: Vor vielen Jahrmillionen erschufen die vier Elemente die Erde mit all ihren Landschaften, Meeren und Kontinenten. Doch die Erde war leblos und leer und so erschufen sie Tiere. Doch diese Tiere ließen sich von ihren Instinkten leiten und es gab nur ein Gesetz. Fressen, oder gefressen werden. Das Recht des Stärkeren. Doch die Elemente wollten ein Wesen erschaffen, das seine Umwelt sehen kann und ihre Schönheit erkennt. Jedoch waren die vier Gottheiten sich uneins. Ardhi wollte ein Wesen schaffen, das die Bäume und Pflanzen verehrt und von ihnen lebt, Maji dagegen, wollte in Wesen, dessen Nahrung die Meere, die Flüsse und Seen, also das Wasser war. Moto dagegen wollte das Feuer als Lebensquell diesem Wesen geben und Newa fand natürlich, dass Luft das Einzige sein sollte, das dieses Wesen am Leben erhält. Sie legten die äußere Form fest. Ardhi gab Lehm, Maji machte ihn nass und nachdem sie ihn gemeinsam geformt hatten, trocknete Newa das überflüssige Wasser und Moto brannte den Lehm. Das wiederholten sie vier Mal. Nun hatten sie vier Lehmdrachen, ohne Seele. Dann, zum Schluss, gab jedes Element einem dieser Lehmdrachen seinen Segen und sie begannen zu leben. Sie waren durch nichts voneinander zu unterscheiden als durch die Farbe und die verschiedenen Charakter. Das Wasser ist misstrauisch und vorsichtig, die Erde ist ruhig und freundlich, die Luft ist fröhlich und stets gut drauf, das Feuer ist draufgängerisch und unbezähmbar. Doch die vier Drachenarten begannen gegeneinander zu kämpfen und brachten Leid und Verzweiflung über die Welt. Damit die Drachen zusammenhalten, beschlossen die Elemente einen mächtigen Feind für sie zu schaffen. Sie brachten den Menschen auf die Welt, der die Drachen wegen ihrer Haut, ihren Klauen und Knochen und vor allem wegen ihrem köstlichen Blut zu jagen. Denn im Blut der Drachen floss ja der Segen der Götter und wer es trank, erhielt die Fähigkeit mit dem jeweiligen Elementdrachen sprechen zu können. So brachten sie eine Art Gleichgewicht in die Welt. Na, was sagst du, könnte das des Rätsels Lösung sein?“, beendete Xankir die Geschichte. „Ja, ich denke schon. Ardhi hat mir aber noch erzählt, dass manche Menschen glauben, dass sie, wenn sie das Blut eines Drachen trinken, den Drachen befehlen können“, antwortete Fynn. „Was?“, Xankir lachte laut auf. „Pssst!“, Fynn sah besorgt das Kijana an, doch es schlief tief und fest. „Sei leise, sonst weckst du es noch auf.“ „Entschuldige, aber das ist lächerlich. Wir Drachen lassen uns von Menschen doch keine Befehle geben“, sagte Xankir leise. „Ich weiß, aber manche Menschen glauben das wirklich“, erwiderte der Mensch. Xankir schwieg. Sie flogen bis tief in die Nacht weiter. Fynn hatte inzwischen eine Decke um das Kijana und die Zweite um seine eigenen Schultern gewickelt. Als er vor Müdigkeit beinahe von Rücken des grünen Drachens gefallen wäre, meinte dieser zu Rorax: „Ich glaube, wir sollten die Nacht lieber auf dem Boden verbringen, sonst fallen meine beiden Passagiere noch runter.“ Der blaue Drache nickte und hielt auf einen Felsvorsprung zu, der groß genug war, um zwei Drachen als Landebahn und Nachtquartier zu dienen. Als sie gelandet waren, seufzte Fynn erleichtert auf. Ihm tat schon alles weh. Er lehnte sich gegen Xankir, hielt das Kijana fest im Arm und war bald darauf eingeschlafen. Rorax legte sich auf Xankirs andere Seite und dann waren auch die Drachen eingeschlummert. Als Fynn aufwachte, war es noch stockdunkel. Erst wollte er sich umdrehen und weiterschlafen, da bemerkte er Rorax, der nahe am Rand des Felsvorsprungs stand und hinunterstarrte. Fynn schob das Kijana unter eine von Xankirs Tatzen und ging zu dem blauen Drachen hinüber. „Was ist los Rorax? Hast du was gehört?“ Der Drache nickte und Fynn lauschte. Jetzt hörte er auch Geräusche. Ein seltsames Klirren ertönte, doch er konnte nicht sagen, wo diese Geräusche herkamen. Die Felswände warfen jeden Ton zurück und das Echo hörte sich so an, als käme er von überall her. Fynn drehte sich um, weil er Xankir wecken sollte und schrie erschrocken auf. Rorax fuhr herum und jetzt sah er sie auch: Drei Männer standen auf einem Felsvorsprung über dem ihren und zielten mit Speeren und Lanzen auf den Erddrachen, der sich, geweckt durch Fynns Schrei, verschlafen umsah. „NEIN!“, schrie der Junge und wollte seinem Freund helfen. Doch Rorax war schneller. Mit Gebrüll sprang er auf die Männer zu. Xankir hatte gemerkt, was los war, schnappte sich das Kijana mit dem Maul und schwang sich in die Luft. Das Drachenbaby weinte. Es spürte, dass etwas nicht stimmte und hatte Angst. Zwei Männer waren überrascht durch Rorax’ Auftauchen umgefallen. Durch die dunkelblauen Schuppen war Rorax von ihnen nicht bemerkt worden, bis er sie angesprungen hatte. Doch der Dritte stieß mit seiner Lanze zu. Sie bohrte sich in die dicke Haut an Rorax’ Rücken. Der schlug mit dem Schwanz zu und der Angreifer lag regungslos auf dem Boden. Dann brüllte der Drache noch mal, packte Fynn mit seinem Maul am Kragen und flog Xankir nach. Sie flogen lange, doch plötzlich fing der blaue Drache an zu stöhnen und zu taumeln. Dann stürzte er ab. Zum Glück befanden sie sich gerade über einem flachen Fluss. Der Drache landete darin und Fynn auf ihm. Xankir landete am Ufer, setzte das Kijana, das immer noch weinte ab und rief: „Rorax! Rorax, was ist los?“ „Bleib da Xankir! Pass auf das Kijana auf!“, antwortete Fynn. Rorax stand auf, stolperte auf das Ufer, an dem Xankir stand zu und brach dort erschöpft zusammen. Er atmete schwer. Fynn zog vorsichtig die Lanze aus der Haut. „Was hat er Fynn? Die Lanze hat ihn doch kaum verletzt! Die Haut eines Drachen ist am Rücken am dicksten! Was hat er denn?!“ Xankir war total panisch. Fynn betrachtete erschüttert die Lanze. „Xankir…“, sagte er zögernd. „Xankir, Jäger wissen das. Sie wissen, das Lanzen und Speere einem Drachen nicht viel ausmachen… deswegen… arbeiten sie mit… Gift…“ „Mit Gift…?“, Xankir begann zu zittern. „Ja, sie vergiften die Spitzen… mit einem sehr starken Gift…“ Fynns Augen brannten. Er konnte nicht glauben, was da gerade passierte. Sicher würde er gleich aufwachen. Das konnte nur ein Traum sein! Rorax atmete schwerer. Plötzlich würgte er und spukte silbernes Blut. Xankir war sprachlos. Das Kijana hatte sich beruhigt und beobachtete die Szene verständnislos mit großen Augen. Fynn nahm Rorax’ Kopf in den Schoß und küsste ihn auf die blutige Schnauze. „Es tut mir so leid Rorax“, sagte er tonlos. Die Tränen rannten ihm über das Gesicht. „Geh… geh… zu Maji…“, keuchte Rorax mit einer Stimme, die sich wie das Rauschen eines Flusses anhörte. Fynn sah ihn überrascht an. „Wie… wieso kann ich dich verstehen?“ Etwas lief ihm über das Kinn. Er leckte es ab. Es schmeckte wie Drachenblut. Das musste dahin gekommen sein, als er den sterbenden Drachen geküsst hatte. Rorax atmete seufzend aus und schloss die Augen. Dann entspannten sich seine Muskeln. Rorax war tot… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)