Remember me von chalmey (Erinnerungen) ================================================================================ Kapitel 1: Verlorene Zeit? -------------------------- Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das sind die drei wichtigsten Zeitabschnitte eines menschlichen Lebens. Schwer wegzudenken, aber durchaus leicht zu übersehen. Man vergisst was war, überfliegt das Jetzt und verdrängt was sein wird. Die Zeit ist das, was uns formt, aber der Mensch lebt nicht zeitgemäß. So drängt sich die Frage auf: Leben wir überhaupt? Wir wünschen uns alte Zeiten zurück oder rennen der Zeit hinterher. Doch wenn sie vor uns steht, bemerken wir sie meist nicht. So grausam das auch klingen mag, es geht noch schlimmer. Wenn ein Mensch keine Vergangenheit hat, besitzt er dann eine Zukunft? Wenn er in der Zukunft lebt, verliert er die Gegenwart? Das muss wohl jeder für sich selbst beantworten, doch sicher ist: Zeitlos durch die Welt reisen ist kein Kinderspiel und wahrlich kein Vergnügen. Vergangenheit und Zukunft sind eng miteinander verbunden und ohne Gegenwart würden sie gar nicht erst existieren. Als meine Vergangenheit erlosch, ging meine Zukunft ebenfalls zugrunde. Als letzte Hoffnung, wie ein Grashalm in einer Wüste, blieb mir die Gegenwart. Doch eine letzte Frage muss gestellt werden: Wenn die Vergangenheit mit einer Katastrophe beginnt, endet die Zukunft auf dieselbe Weise? Es war früher Abend, so gegen sechs Uhr, in einem ungewöhnlich heißen Sommer. Die Sonne brannte immer noch, obwohl sie schon am Horizont versank. Herrliche orange-rote Töne unterstrichen die landschaftliche Umgebung und verliehen ihr eine gemütliche Atmosphäre. Sanfter Wind wirbelte duzende Gerüche durcheinander und konstruierte somit eine eigene sommerliche Duftnote. Die saftig grünen Blätter an den Bäumen bewegten sich leicht unter der Berührung dieser Brise. All diese Schönheit, die die Natur mir bot, bemerkte ich zwar, doch sie berührte mich nicht. An jedem anderen Tag wäre ich stehen geblieben, um mir alles genau einzuprägen, um das zu genießen, wozu ich sonst nicht kam. Zur Ruhe. Doch wie gesagt, an jedem anderen Tag, nur nicht heute, nicht jetzt. Eilig und zielstrebig rannte ich durch den wunderschönen Wald, der, wie mir schien, mich beruhigen wollte. Der Wind, der in meinen Ohren rauschte, flüsterte mir einschmeichelnd zu, die Situation sei nicht so schlimm wie sie schien. Doch ich wusste es besser und dieser Gedanke ließ mich noch einen Zahn zulegen. Ich sprang über Wurzeln, die wie lebendig gewordene Füße aus dem Boden ragten. Hin und wieder klatschten Zweige in mein Gesicht, dass schon völlig zerkratzt war. Schweißperlen rannen an meinen Schläfen hinunter. Mit einer hektischen Bewegung wollte ich mir die Flüssigkeit aus dem Gesicht wischen, trieb sie aber stattdessen in die Augen. Von dem brennenden Schmerz ließ ich mich aber nicht beeindrucken und lief einfach mit zusammengekniffenen Augen weiter. Nun war er da, der große Knall. In unser Leben hatte er sich geschlichen, uns vorangetrieben und zum Äußersten gereizt. Doch bevor etwas, das Unaussprechliche, passieren konnte, zog er sich zurück, verkroch sich in die hinterste Ecke und ließ, zur Ablenkung, all die kleinen, versteckten Momente und Augenblicke hervortreten, die wir alle so sehr schätzten und herbeisehnten. Nur um wiederzukehren und alles zu zerstören. Unbewusst entwich mir ein lauter Schrei. Tausende Fragen drängten sich mir auf und bohrten sich in meinen Kopf. Eine unangenehme Schwere schlich sich in meine Gelenke und meine Lungen drohten zu platzen. Wie konnte es nur so weit kommen? Alles was man aufbaute, brauchte, wovon man abhängig war, löste sich in nichts auf. Kann das sein? Worin lag da der Sinn? Wo? *** „Und denk ja nicht, dass ich dich heiraten will, Machoweib!“ rief ich laut. „Das würde mir im Traum nicht einfallen, du Vollidiot!“ schrie das angesprochene Mädchen ebenso laut zurück. Shampoo, das Katzenmädchen, stand rechts neben mir und kicherte leise. Zufrieden beobachtete sie den Streit zwischen mir und diesem erwähnten Machoweib. Das sie diesen Streit selbst provoziert hatte – sie hatte mich im Badezimmer überrascht, als ich gerade ein Bad nehmen wollte – störte sie nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Das konnte ja nur vorteilhaft für sie selbst sein. Und obwohl mir das bewusst war, übertrug ich meine Wut auf die mir gegenüberstehende Person. Mein Gesicht verfinsterte sich zusehends. „Ach ja, ich vergaß. Du hast sicherlich schon andere Pläne für die Zukunft...“ Verdutzt legte Akane den Kopf schief. „Wie? Was...was willst du damit sagen?“ „Tu doch nicht so, als hättest du von nichts eine Ahnung!“ Meine Verlobte schüttelte ihren Kopf. Die kurzen blauen Haare wirbelten leicht umher. „Ich weiß nicht was du meinst.“ Ich lachte laut auf. „Oh doch, das weißt du. Und wie du das weißt!“ sprach ich verachtend, während ich auf den Boden blickte, wo ein kleines schwarzes Ferkel aufgeregt von einem Bein auf das andere sprang. Dabei quiekte das Haustier laut. Sie hörte den giftigen Ton in meiner Stimme deutlich, doch sie konnte sich keinen Reim daraus machen, was in mich gefahren war. Und umso verzweifelter klang sie, als sie sich verteidigen wollte. „Nein, Ranma, ich weiß es wirklich nicht. Was hab ich denn getan?“ Ich biss mir auf die Zunge. Es reichte nicht nur, dass sie mich hintergangen hatte, nein. Jetzt log sie mir auch noch frech ins Gesicht und erwartete das ich ihr glaubte. Doch das ließ ich mir nicht gefallen, mit mir konnte man so etwas nicht machen! Mit wutverzerrtem Gesicht brüllte ich jetzt regelrecht. „Was du kannst, meine Liebe, kann ich schon lange!“ Und dann tat ich es. Den schlimmsten Fehler meines Lebens! Ich wirbelte herum, packte Shampoo unsanft an den Schultern und drückte meine Lippen auf die ihre. Im ersten Moment war das Katzenmädchen überrascht, fing sich jedoch schnell wieder und schlang ihre Arme um mich. Ich wollte eigentlich wieder loslassen, spürte aber wie das Mädchen in meinen Armen sich immer mehr an mich drängte. Obwohl mir bewusst war, was ich da tat und vor allem was ich damit anrichtete, kam ich nicht umhin Genugtuung zu verspüren. ´Auge um Auge´, das war nun mal eines meiner Lebensmottos. Und während ich immer noch in der Umklammerung der Chinesin gefangen war, versuchte ich die lauten Schreie meines Gewissens zu verdrängen. *** Gewaltsam wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich stolperte und der Schwerkraft sei Dank der Länge nach hinfiel. Mit zugekniffenen Augen schlug ich auf dem Boden auf. *** Nun ja, eigentlich hätte ich mich nicht wundern müssen, als ich mich langsam und in aller Gemütlichkeit, - überflüssigerweise auch noch mit einem leichten Grinsen um die Mundwinkel -, zu meiner Verlobten umdrehte. Das sie auf dieses Schauspiel reagieren würde, war mir klar. Doch trotz alle dem traf es mich hart, als ich sie sah. Und es drehte mir den Magen um. Mit vor Schmerz weit aufgerissen Augen und tränenüberströmten Gesicht wich Akane auf das Treppengelände zu. Schritt für Schritt von mir weg. Und dann kam die Einsicht. Wie ein Schlag ins Gesicht. Einen Welle der Reue spülte all die Rachegelüste, die sich in mir ausgebreitet und angestaut hatten, fort. „Akane, ich...“ stieß ich mit heißerer Stimme aus. Mein schlechtes Gewissen prügelte inzwischen regelrecht auf mich ein. Das blauhaarige Mädchen schüttelte wieder den Kopf. Sie öffnete ihren blutroten Mund, wollte etwas sagen, es in die Welt hinausschreien, doch ihre Stimme versagte. Keinen Ton brachte sie heraus. Als sie merkte wie hoffnungslos ihre Versuche waren, blieb ihr nur noch ein Ausweg. Sie machte auf dem Absatz kehrt, polterte die Treppe hinunter und rannte aus dem Haus. *** Langsam stemmte ich mich auf. Schwer atmend vom schnellen Tempo blickte ich auf meine schwarze Hose, die nach dem Sturz völlig zerbeult und zerrissen war. *** Die Tür stand immer noch sperrangelweit offen und die Hitze drang ins kühle Haus. „Um Himmelwillen! Was hast du getan, Ranma?“ Die entsetzte Stimme meiner Mutter drang in meine Gehörgänge. Mein Blick wanderte zu ihr, sie war einige Stufen hinaufgekommen, nachdem Akane das Haus verlassen hatte. So war ihr natürlich nicht entgangen, in welchem Zustand sich meine Verlobte befand. Ihre Augen blickten mich fragend und enttäuscht an. Das ertrug ich nicht. Akane hatte mich mit demselben Blick gebranntmarkt. Voller Enttäuschung. Mein Körper verkrampfte sich. Plötzlich schlug meine Mutter ihre Hände vor den Mund. Unser Anblick, ich trug eine Boxershorts während Shampoo nur mit einem weißen Badetuch bekleidet war, hatte sie wohl erahnen lassen, was passiert war. Sie schüttelte immer wieder den Kopf. „Wie konntest du das tun?“ fragte sie mich weinerlich. Ich wusste das sie es falsch verstand, das sie vom Schlimmsten ausging, doch so gerne ich das berichtigen wollte, ich konnte nicht. Mein Verstand verabschiedete sich nun entgültig. „Wie konntest du nur?“ *** Trotz den blutverschmierten Knien und dem dröhnenden Kopf jagte ich weiter durch den inzwischen stockfinsteren Wald. Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, verließ ich diesen endlich wieder. Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Eine Klippe? Mir war überhaupt nicht aufgefallen, dass ich bergauf gelaufen war. Vorsichtig trat ich auf den Abgrund zu und schaute nach unten, doch viel konnte ich nicht entdecken, es war einfach zu hoch. Ganz in meiner Nähe ertönte plötzlich ein spitzer Schrei und ließ mich zusammenzucken. Ich kannte diesen Laut, er weckte all meine Beschützerinstinkte. Auf der linken Seite versperrte mir ein hochgewachsener Busch die Sicht, also zwängte ich mich durch das Gestrüpp. Augenblicklich blieb ich wie angewurzelt stehen. Am Rande der Klippe stand Akane und starrte angstvoll auf den großen Wolf vor sich. Das graue Tier mit dem zotteligen Fell, - um das Maul klebte verschmiertes, getrocknetes Blut -, fixierte das Mädchen und knurrte sie mit gefletschten Zähnen an. Ich konnte von hier aus erkennen, dass ihr Körper stark zitterte. Sie wich unsicher zurück. Und wieder erblickte ich P-chan, der sich schützend vor Akane gestellt hatte. Das Ferkel quiekte aggressiv. Ich war in Begriff zu meiner Verlobten zu laufen, als P-chan auf den Wolf zusprang. Stutzend zögerte ich. Irgendetwas stimmte nicht und als ich näher hinsah, wusste ich auch wieso. Erst jetzt sah ich, dass das kleine Tier schon schwer angeschlagen war. Aus diesem Grund war der Angriff auch nicht kraftvoll genug und es kam, wie es kommen musste. Der Wolf hob seine Pfote und mit einem mächtigen Hieb katapultierte er das Ferkel über den Rand des Berges. Entsetzt schrie Akane auf. Reflexartig wollte sie nach ihrem geliebten Haustier greifen, doch sie bekam ihn nicht mehr zu fassen. Und dann war es an mir, geschockt aufzuschreien. Ich sah vor meinem geistigen Auge, was als nächstes passieren würde. „Nein, nicht! Akane!“ brüllte ich lauthals, während ich auf sie zulief. Doch es war zu spät. Der Boden unter den Füßen des Mädchens brach weg und sie fiel. „Nein! Akane!“ Ich sprang über den Kopf des Wolfes hinweg und stürzte mich ebenfalls in die Tiefe. Schnell streckte ich die Arme nach meiner Verlobten, bekam sie zu fassen und zog sie zu mir. „Akane? Hörst du mich?“ Ich berührte leicht ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu mir. Sie hatte ihre Augen geschlossen. Offensichtlich war sie bewusstlos. Vorsichtig umklammerte ich ihre Taille und legte ihre Arme um meinen Hals. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf und ich lächelte gequält. Unter „normalen“ Umständen wären wir uns niemals so nahe gekommen. Eine unglaubliche Sehnsucht packte mich, doch ich schüttelte sie ab. Stattdessen blickte ich hektisch um mich. Irgendetwas musste ich finden, womit ich unseren Freien Fall abbremsen konnte, sonst würden wir am Boden zerschellen, wie ein Schiff, dass auf Felsklippen stieß. Aber da war nichts, absolut gar nichts! Ein leichtes Benommenheitsgefühl schlich sich in meinen Kopf, doch ich wehrte mich krampfhaft gegen die steigende Müdigkeit. Plötzlich regte etwas meine Aufmerksamkeit an. Mit meinem freien Arm schirmte ich meine Augen ab. Um schärfer sehen zu können, kniff ich die Augen leicht zusammen und entdeckte eine glitzernde Oberfläche. Ich registrierte zunächst nicht, was ich dort sah, als der Mond plötzlich auftauchte und rasend schnell größer wurde. „Wasser! Ein See!“ rief ich überrascht aus. In der Luft drehte ich mich auf den Rücken, so das ich das Mädchen in meinen Armen größtenteils vor dem harten Aufschlag auf die Wasseroberfläche schützen konnte. Akanes Kopf presste ich gegen meine Brust und holte noch schnell Luft, bevor wir ins Wasser tauchten. Ich spürte den stechenden Schmerz im Rücken und hörte das Rauschen um mich herum. Einen Moment lang brauchte ich, um mich zu orientieren. Nachdem ich die Wasseroberfläche entdeckt hatte, schwamm ich , so schnell wie es meine höllischen Schmerzen zuließen, nach oben. Dort angelangt zog ich die frische Nachtluft tief ein und blickte mich nach dem Ufer um. Minuten später hatte ich diesen erreicht. Ich nahm Akane auf den Arm und watete aus dem lauwarmen Wasser. Plötzliches Schwindelgefühl packte mich und riss mich zu Boden. Ich fiel auf den Rücken, Akane auf mich drauf. Stöhnend versuchte ich meinen Oberkörper aufzurichten, ließ es aber schließlich bleiben. Zu sehr drehte sich alles um mich herum. Nun nahm ich meine Umgebung wieder wahr. Der grobe Sand unter mir war ungemütlich und ich begann leicht zu frösteln, als Wind aufkam und über meine nassen Klamotten strich. Nun lag ich hier, in meinem verhassten Mädchenkörper, und konnte mich keinen Millimeter bewegen. Völlige Ruhe umgab uns. Ich lauschte dem Pochen meines Herzens und betete inständig, dass das Herz meiner Verlobten es meinem gleichtun würde. Schwärze befiel meine Gedanken und ich schloss erschöpft meine Augen. Kurz darauf verlor ich ebenfalls das Bewusstsein. Träge schlug ich die Augen auf. Mein Umfeld war verschwommen, doch mit jedem Blinzeln schärfte sich mein Blick. Verwundert schaute ich mich um. Alles leuchtete hell und nach kurzem Überlegen, wusste ich auch wieso. Das komplette Zimmer, in dem ich mich befand, war schneeweiß. Weiße Wände, weißer Fußboden und das Bett, - ich lag seltsamerweise in einem -, war ebenfalls weiß. Beim Umsehen hatte ich drei Menschen entdeckt, die an meinem Bettende standen und in die gleiche Richtung starrten. Jetzt erst fiel mir der Krach auf, der im Raum herrschte. Ohne weiter drüber nachzudenken, wandte ich meinen Kopf und blickte in die selbe Richtung. Nun war ich völlig verwirrt. Links von mir stand ein weiteres Bett, um das sich sechs weißgekleidete Menschen versammelt hatten. Sie schienen sich laut zuzurufen, ich hörte auch alle Hintergrundgeräusche, doch verstehen konnte ich sie nicht. Meine Ohren schienen das Hören verlernt zu haben. Nur ihre Mimiken und Gesten sprachen Bände. Hektisch liefen sie um das Bett herum, blieben gelegentlich stehen, um an irgendwelchen seltsam aussehenden Geräten herumzufummeln und sprinteten dann wieder los. Nun blickte ich wieder zu den drei Leuten, die ich als erstes bemerkt hatte. Sie schienen schwer geschockt zu sein. Ihre weit aufgerissenen Augen verfolgten jede Bewegung, die diese weiß bekittelten Personen machten. Mein Blick wanderte zum wiederholten Male zum Nachbarbett, doch auch diesmal konnte ich nichts erkennen. Ein Mann, er hatte mir den Rücken zugekehrt, war sichtlich der Älteste unter ihnen. Sein graues, kaum noch vorhandenes Haar, zog sich über seinen Hinterkopf. Er hatte sich weit über das Nachbarbett gebeugt und wippte ständig vor und zurück. Ich runzelte die Stirn. Welch seltsame Bewegung er doch machte, man könnte doch fast meinen, er würde sich auf etwas stützen. Als er kurz inne hielt, konnte ich einen Blick auf dieses „Etwas“ werfen und mir stockte augenblicklich der Atem, ich fühlte mich plötzlich unglaublich schlecht. Im Bett neben mir lag eine junge Frau. Ihre schulterlangen blauen Haare lagen ausgebreitet wie ein Fächer auf dem großen Kissen. Die Augen hatte sie geschlossen und die kleine Stupsnase war, genauso wie der Mund, von einem Beatmungsgerät bedeckt. Über ihrem Kopf hing ein kleiner schwarzer Kasten, auf dessen Monitor sich eine lange weiße Linie auf grünem Hintergrund zog. Ein lautes Piepsen, ein Warnsignal wie es schien, tönte durch den ganzen Raum. Langsam dämmerte mir, was all die Menschen hier suchten und wieso sie so aufgeregt waren. Meine Zimmergenossin war in Begriff zu sterben! Der Druck in meiner Brust wurde stärker und ich musste meinen Blick abwenden. Mir war so übel und das Gesicht dieses Mädchens ging mir nicht mehr aus dem Kopf, der vor Schmerz zu platzen drohte. Meine Gedanken entglitten mir, als das Leben meinen Körper verließ. Ich keuchte auf. Ein Stich durchfuhr mich und alles um mich herum wurde schwarz. Das auch mein Kasten zu piepsen begann, bekam ich schon gar nicht mehr mit. Kapitel 2: Verlorene Erinnerungen --------------------------------- „Ich bitte dich, Nodoka. Setz dich endlich hin!“ rief Genma Saotome, ein kräftiger Mann, der mit einem beigefarbenen Kopftuch versuchte, seinen kahlen Kopf zu verstecken, laut. Ich blickte auf. „Du machst mich ganz nervös!“ Die angesprochene Frau seufzte. „Ich weiß, Liebling, entschuldige bitte. Es ist nur...“ Wieder ein Seufzer. Nodoka Saotome ließ ihren Blick über alle Anwesenden schweifen. Ich tat es ihr gleich. Mein Auge erfasste zuerst meinen Vater, der seine Brille abgenommen hatte und die Gläser mit seinem Trainingsanzug putzte. Schräg links von ihm saß Kasumi Tendo, die mit der Wäsche beschäftigt war und dem bevorstehenden Ereignis scheinbar völlig ruhig entgegensah. Ihr gegenüber hatte es sich ihre kleine Schwester Nabiki gemütlich gemacht. Sie schien genauso aufgeregt zu sein, wie mein Vater, denn sie – ihr Hobby hatte irgendetwas mit Zahlen zu tun – verrechnete sich ständig. Nun blieb mein Blick auf die in einem Kimono gekleidete Frau, meine Mutter, hängen. Ihre braunen Haare hatte sie hochgesteckt und in einer Ecke des Wohnzimmers stand, in einem Tuch eingewickelt, ihr Schwert, dass sie immer bei sich trug, wenn sie das Haus verließ. Sie war eine dieser Menschen, die auf alles eine Antwort wussten. Und dafür war ich in den letzten Wochen dankbar gewesen. Ich selbst hatte es mir auf der Terrasse bequem gemacht, trotz der eisigen Temperaturen, die draußen herrschten. Nach einem Moment des Schweigens setzte sich meine Mutter zu mir und nahm vorsichtig meine Hand in die ihre. Ein wolliges Gefühl breitete sich in mir aus, obwohl mir diese Berührung so fremd war. „Es gibt Momente, da denkt man, dass alles was man sieht, hört, denkt oder dem man begegnet, nicht von dieser Welt ist. Aber dann fühlt man etwas. Etwas das man nicht beschreiben kann, weil man es nicht kennt und doch so überragend groß zu sein scheint.“ Sie hielt kurz inne. „Doch der erste Instinkt ist immer der richtige. Merk dir das, Ranma!“ Verwirrt blickte ich zu meiner Mutter. Ich war mir sicher, dass sie vollkommen recht hatte, das irgendwo eine Logik dahintersteckte. Aber in dem Moment verstand ich kein Wort. „Würdest du mir einen Gefallen tun, Ranma?“ Schon wieder seufzte sie leise. „Bitte streite dich nicht mit Akane. Sei nett zu ihr, ja?“ Akane. Das war die jüngste Tendo-Tochter in diesem Haus. Mit ihr hatte ich diesen Unfall vor drei Monaten, der mein ganzes Leben verändert, umgekrempelt hatte. Ich hatte mir schon oft Gedanken um dieses mysteriöse Mädchen gemacht, mit dem ich wohl schon längere Zeit unter einem Dach lebte. Doch wie das Schicksal es wollte, konnte ich mich nicht erinnern. Da ich aber nicht verstand, wieso meine Mutter mich um so etwas Selbstverständliches bat, wollte ich genauer nachfragen. Genau in diesem Moment tönte eine laute Männerstimme durch das Haus. „Wir sind wieder da!“ Wie von einer Tarantel gestochen sprangen alle, die im Wohnzimmer saßen, auf und stürmten in den Flur Richtung Haustür. Meine Mutter drückte ein letztes Mal meine Hand, bevor sie ebenfalls in den Korridor eilte. Doch ich ließ mir Zeit, ich würde diese Akane schon früh genug kennen lernen. Meine Eltern hatten mich beauftragt, mich ein wenig um das Mädchen zu kümmern, „damit sie sich nicht so allein fühlt“, wie sie es so schön ausgedrückt hatten. An sich bestand darin kein Problem, bis auf ein kleine Schwierigkeit: Diese Hilfe die ich ihr anbieten sollte, hatte ich selbst dringend nötig. Schließlich war ich ebenfalls in der Eingangshalle angekommen und starrte völlig überrascht die Heimkehrenden an. Soun Tendo, der Hausherr, der seine jüngste Tochter aus dem Krankenhaus geholt hatte, in dem sie bis heute gelegen hatte, war ein Mann mittleren Alters, mit langen pechschwarzen Haaren und einem gleichfarbigen Schnurrbart unter der Nase. Er trug, wie mein Vater, ebenfalls einen dunkelgrünen Kampfanzug. In jeder Hand trug er einen braunen Koffer. Neben ihm stand, etwas scheu, seine Tochter. Der Grund, weshalb ich so überrascht war, war der, dass ich wirklich mit einem Mädchen gerechnet hatte. Doch vor mir stand eine junge und bemerkenswert schöne Frau, ungefähr in meinem Alter. Ich wusste zwar nicht wie sie vorher ausgesehen hatte, aber es schien, als hätte ihr der Krankenhausaufenthalt sichtlich zugesetzt. Ihre blasse Haut schimmerte leicht und der zierliche Körper zitterte. Die schulterlangen blauen Haare waren leicht zerzaust und genauso glanzlos, wie ihre großen rehbraunen Augen, die uns ausdruckslos und, wie mir schien, auch etwas leblos musterten. Ich blickte auf ihre zarten Hände, mit denen sie, wahrscheinlich aus Nervosität, spielte. Meine Augen ruhten auf ihr, während mein Verstand ihren Namen schrie. Akane. Meine Mutter lief einige Schritte auf sie zu und breitete leicht ihre Arme aus. „Willkommen zuhause, Akane! Schön das du wieder da bist!“ Sie machte Anstalten sie in die Arme zu nehmen, doch Akane wich zurück. Mit den selben kalten Augen blickte sie zu ihrem Vater auf und stellte ihm die wohl für alle Anwesenden erschreckendste Frage. „Ist das meine Familie...?“ Minuten später saßen wir alle um den großen dunklen Holztisch im Wohnzimmer. Die Tassen, in denen der Tee vor sich hindampfte, standen unberührt vor uns. Einen Moment lang beobachtete ich die grau-weißen Dampfschwaden. Sie schwebten durch die Luft, wie ein Tropfen auf glänzender Seide dahinglitt. Und je höher sie stiegen, desto mehr breiteten sie sich aus und veränderten ihre Form, mutierten zu einem anderen Etwas. Ich wusste nicht wieso, doch dieses Schauspiel beruhigte mich. Für eine kurze Weile hing eisiges Schweigen in der Luft, man konnte die Spannung schon fast mit den Händen greifen. Ich sah mich um. Alle Blicke waren auf Soun gerichtet, teilweise vorwurfsvolle Blicke. „Also haben wir jetzt zwei Kinder in diesem Haus mit ein und demselben Problem.“ brachte es Nabiki noch mal auf den Punkt. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihr kinnlanges schokobraunes Haar. Ihre fast schwarzen Augen hafteten während ihrer Feststellung auf ihrem Vater. „Na das kann ja was werden...“ Nun starrten alle Anwesenden auf uns „Kinder“, wie es Nabiki, - sie war nur ein Jahr älter wohlgemerkt -, so schön ausgedrückt hatte. Abwechselnd von Akane zu mir und wieder zurück. Wieso kam ich mir in diesem Moment nur so winzig vor? „Wie konntest du uns das nur vorenthalten, Tendo? So etwas wichtiges?“ wandte sich mein Vater empört an seinen alten Freund. „Ich...“ begann dieser, wurde aber unterbrochen. „Genma, mach Soun keine Vorwürfe. Er hat es bestimmt nicht böse gemeint. Er hatte sicherlich seine Gründe!“ versuchte meine Mutter ihren Mann zu beschwichtigen, was ich ihr hoch anrechnete. Dies war sicherlich kein Thema zum Kuchen essen. Trotzdem war ich der Meinung, sie sollten lieber nicht weiter auf Akanes Vater einreden, er schien nämlich sehr... „Ich wollte doch nur...“ setzte der Hausherr wieder an, aber auch dieses Mal kam er nicht weit. „Mach dir keine Sorgen, Vater. Es ist nicht schlimm. Wir verstehen ja, dass du durch den Wind warst.“ „Nein, es war ni...“ „Aber er hätte trotzdem etwas sagen sollen, Kasumi. Immerhin...“ widersprach Nabiki ihrer älteren Schwester. „Würdet ihr mich zum Teufel noch mal endlich ausreden lassen?“ rief Soun laut in die Runde. Peng. Das war wohl der eine Schuss zuviel gewesen. Dem Hausherrn war der Kragen geplatzt. Wir zuckten alle unter der Lautstärke zusammen. Er funkelte uns böse an, doch bevor er zu reden begann, holte er tief Luft und wandte sich an mich. „Ranma. Würdest du Akane ihr Zimmer zeigen? Du weißt ja wo es ist.“ Mir war es recht. Ich wollte mir wirklich nicht noch einmal die ganze Geschichte anhören und all die mitleidigen Blicke auf mir spüren. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass Akane Gefallen daran finden würde. Also nickte ich stumm und erhob mich, ohne den Blick von meiner Leidensgenossin abzuwenden. Im Flur wartete ich, bis sie mir folgte und führte sie anschließend in den ersten Stock. Ich spürte ihren Blick auf meinem Rücken und wurde unbewusst langsamer. Woran das lag, dass ich mich in der Nähe dieser jungen, und für mich völlig fremden, Frau wohl fühlte, konnte ich beim besten Willen nicht erklären. Doch das es so war, störte mich nicht im Geringsten. Wir hatten immer noch kein Wort miteinander gewechselt, als ich vor einer massiven Holztür stehen blieb und diese sachte öffnete. Mit einer leichten Handbewegung deutete ich Akane einzutreten. Wir stellten uns in die Mitte des Raumes und blickten uns um. Auch ich hatte dieses Zimmer, dass vor kurzem ausgiebig gereinigt worden war, noch nie betreten. Ein leichter Hauch von Reinigungsmittel schwebte noch in der Luft und ließ Akane ihr Gesicht verziehen. Auch ich rümpfte die Nase. „Was für ein grässlicher Gestank! Er erinnert mich ans Krankenhaus.“ erklang Akanes leise Stimme. Ich ließ den Klang ihrer Stimme in meinen Ohren widerhallen und kam zu dem Schluss, dass sie wie die eines Engels glich. Eilig durchquerte ich den Raum, um das Fenster zu öffnen. Dieses sprang knallend auf, nachdem ich es entriegelt hatte. Starker Wind wehte ins Zimmer und riss fast die gelben Gardinen von der Decke. Schützend hielt ich mir eine Hand vor das Gesicht, während ich mit der anderen versuchte, das Fenster zu schließen. Nach kurzem Abmühen hatte ich es endlich geschafft und wandte mich Akane zu. Sie hatte die Arme um sich selbst geschlungen. Ihr Körper zitterte stärker als zuvor. „Du kannst dich an nichts mehr erinnern.“ Es war wohl eher eine Feststellung, als eine Frage. Wieder nickte ich nur. Ich war immer noch nicht in der Lage, meine Stimme zu benutzen. „Du auch nicht...“ wiederholte sie. Das war die traurige Wahrheit und bittere Erkenntnis. Dieser Unfall, den wir damals hatten, hatte uns nicht nur alle Knochen im Leib gebrochen, sondern uns auch noch unseres Gedächtnisses beraubt. Alles war weg, einfach weg. Pechschwarze Farbe hatte sich über unsere Vergangenheit ergossen und sie mit der Dunkelheit verschmelzen lassen. Wir konnten uns an nichts mehr erinnern, es war, als hätten wir nie eine Vergangenheit gehabt, als wären wir einfach in die Gegenwart geworfen worden. Wie erschreckend dieser Gedanke doch war. Doch das wirklich Unerträgliche war, dass ich mir so hilflos und ungeschützt vorkam, eine Schwäche, die mich zu zerreißen drohte. Wie eine sanfte Brise drangen ihre Worte an mein Ohr. „Wind, der die toten Blätter an den Bäumen zum Leben erweckt und sie zum Sprechen bringt. Kann derselbe Wind nicht auch mir Leben einhauchen, damit ich mich nicht tot fühle?“ Unsere Blicke verfingen sich miteinander. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich kannte diese Augen, die mich anblickten, die sich in die meine bohrten. Und obwohl sie nichts preisgaben, nichts zu erzählen hatten, konnte ich in ihnen lesen, wie in einem Buch. Ein Buch, das ich in- und auswendig kannte. Obwohl es unbeschrieben war. Ihr Blick löste sich langsam von meinen Augen und sie schaute mir über die Schulter aus dem Fenster. Draußen nahm die Dunkelheit zu und die Sonne ergab sich den Bitten des Mondes. Ich sah, wie Akane ihre Lippen leicht bewegte, doch ich verstand sie nicht. Wie in Zeitlupe drehte sie sich um und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell und unregelmäßig. Ich musterte sie besorgt. „Mir ist schwindelig!“ presste sie hervor, während sie sich von der Wand abstieß, auf das Bett zusteuerte und sich auf die weiche Matratze niederließ. „Soll ich dir ein Glas Wasser bringen?“ fragte ich sie. Akane schien wohl überrascht zu sein, denn sie blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Es war mir nicht klar, wieso sie so lange gezögert hatte, bevor sie mir antwortete. „Ja...“ Leise schloss ich die Tür hinter mir und lief hinunter. Ich beeilte mich ziemlich, was beinahe die Folge hatte, dass ich die Treppe hinuntergestürzt wäre. Schlitternd kam ich unten an und in dem Moment, als ich die Tür zum Wohnzimmer öffnen wollte, hörte ich Souns tieftraurige Stimme, begleitet vom Schluchzen meiner Mutter. „...verheerender sei, als seine. Die Chance, dass ihr Gedächtnis zurückkehrt, liegt bei unter fünfzig Prozent! Zum Vergleich: Ranmas Chance liegt zwischen fünfundsiebzig und achtzig Prozent!“ Er machte eine kurze Pause. „Ansonsten ist alles so wie bei ihm. Keine Anstrengung, kein Stress, kein Druck. Ich konnte den Arzt überreden, dass die Kinder für die Nachuntersuchungen zu Dr. Tofu gehen. Ein Glück, dass der Mann einen so guten Ruf bei seinen Kollegen hat.“ Ich senkte den Blick und lehnte mich an die Wand neben der Tür. Akane hatte also so gut wie keine Chance ihr altes Leben wiederzubekommen. Diese Tatsache bedrückte mich sehr, zu sehr. Ich presste meine Lippen fest aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Schon wieder durchfuhr mich dieses hilflose Gefühl. „Und jetzt?“ fragte mein Vater leise. Er hörte sich mitgenommen an. „Was sollen wir jetzt machen?“ „Ich weiß es nicht, Saotome.“ antwortete sein alter Freund. „Wirst du ihnen von der Verlobung erzählen, Dad?“ Das war Nabiki. Ich riss die Augen auf. WAS? „Oh Gott, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht!“ rief Akanes Vater laut. Seine Tochter schien völlig ruhig zu sein. Im Gegensatz zu meinem Herzen, das so fest schlug, dass ich befürchtete, es wolle meinen Körper verlassen. „Ich würde vorschlagen, wir sagen ihnen nichts. Der Arzt meinte doch...“ Sie stockte. „Nein, das geht ja nicht. Alle Welt weiß es ja auch schon!“ „Ja, dank dir, Nabiki!“ zischte ihr Vater ihr zu. „Naja, also komm, Dad. Du und Herr Saotome seid ja auch nicht gerade unschuldig...“ „Ver...verlobt? Ich bin mit Akane verlobt?“ entfuhr es mir wohl etwas zu laut. Für einen winzigen Moment war es völlig still im Raum, bis die Tür aufgerissen wurde und meine Mutter auf den Flur trat. Sie blickte mich mit rot umränderten Augen an. „Ranma, du hast...“ sie brach ab. Verlobt. Dieses Wort umkreiste meine Gedanken, wie ein Geier seine Beute. In dem Moment, in diesen kurzen Minuten, konnte ich den Ausmaß der Bedeutung, die dieses Wort mit sich zog, noch nicht begreifen. Seit ich wieder zu Hause war, hatte ich regelmäßig ein und denselben Traum. Nacht für Nacht. Ein dunkles Bild durch das sich ein Fluss schlängelte. Die Umgebung war nicht zu erkennen, zu düster war dieser Traum. Stutzig machte mich erst das pechschwarze Wasser des Flusses, das nicht floss! Es stand still, wie in einem See. Und jetzt tauchte genau dieses Bild vor meinem geistigen Auge auf, mit einem kleinen Unterschied. Irgendetwas glitzerte leicht, doch was es war, konnte ich nicht erkennen. „Ich...ich brauch ein Glas Wasser...“ stieß ich mit Mühe und Not hervor. Meine Gefühle waren undefinierbar. Freute ich mich darüber oder brach eine Welt für mich zusammen? Ich wusste es beim besten Willen nicht. Kasumi verschwand in der Küche, um Augenblicke später wiederzukommen und mir ein blankpoliertes und bis obenhin mit der farblosen Flüssigkeit gefülltes Glas in die Hand zu drücken. Ich wandte mich um, wollte zur Treppe. Es zog mich förmlich zu Akane. Doch ich vernahm Souns leise und tiefe Stimme. „Ich bitte dich, Ranma. Erzähl ihr nichts von der Verlobung!“ Überrascht blickten alle den Hausherrn an. Ebenso auch ich. „Es wird sie wie ein Schlag treffen, sie wird geschockt sein. Ich will nicht das ihr etwas passiert!“ Er jammerte schon fast. Und ich? Ich nickte wieder nur. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Natürlich wollte ich auch nicht, dass ihr etwas geschieht. Doch ihr das verschweigen kam mir auch nicht richtig vor. „Aber Tendo...“ begann mein Vater. „Wir werden es Akane sagen, sobald es ihr besser geht. Aber im Moment ist sie noch stark angeschlagen und der Arzt meinte, wir sollen jegliche Stresssituationen vermeiden. Ich will kein Risiko eingehen!“ Mein Vater nickte. Damit gab er sich zufrieden. Spätabends lang ich in meinem etwas altmodischem Bett und blickte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen gen Zimmerdecke. In der Hoffnung, dass mich der Schlaf nun endlich überfallen möge. Ich fühlte mich ausgepowert, obwohl ich nicht die geringste körperliche Anstrengung getätigt hatte. War das normal? Sorgen machten sich in mir breit, die ich mit aller Macht verdrängen wollte. Kein Stress, kein Druck hatte der Arzt gesagt. Vorsichtig setzte ich mich auf, griff nach der bereitgestellten Wasserflasche neben meinem Bett und nahm drei kräftige Schlucke. Die kalte Flüssigkeit übermahnte meinen Körper und ich fröstelte. Ich ließ mich wieder rückwärts fallen und horchte in die Stille hinein. Ein Seufzer entfuhr mir. Ich war todmüde und hellwach zugleich. Dann schweiften meine Gedanken zu der Person im Nebenzimmer. Nachdem ich Akane das Wasser gebracht hatte, schlossen wir uns wieder den anderen an. Seltsamerweise war es mir nicht im Geringsten schwer gefallen, ihr diese Verlobungsgeschichte zu verschweigen. Wahrscheinlich hatte ich zu sehr Angst, dass sie es nicht ertrug. Den restlichen Abend hatte ich nicht ein Wort mehr mit ihr gewechselt. Was hätte ich auch schon zu sagen gehabt? Alles kam mir in ihrer Gegenwart so bedeutungslos vor, ja fast schon überflüssig. Ich stand auf und stellte mich ans Fenster. Draußen ging das Wetter vom Herbst in den Winter über. Ich liebte diese eisige Kälte, sie gab mir das Gefühl wirklich zu existieren. Mein Blick hob sich. Der Himmel war bewölkt. Keine Sterne, nicht einmal der Mond, waren zu sehen. Angestrengt versuchte ich mir ihre wunderschöne Stimme wieder ins Gedächtnis zu rufen, erinnerte mich an meine ersten an sie gerichteten Worte. Soll ich dir ein Glas Wasser bringen? Den Kopf schüttelnd begann ich im finsteren Zimmer auf und ab zu laufen. Dümmer hätte ich mich nun wirklich nicht anstellen können. Was hielt mich nur vom Schlafen ab? Ich wusste es nicht. Die Stirn runzelnd blieb ich stehen. Jetzt begann ich auch noch mich selbst anzulügen. Seufzend stieg ich wieder in mein Bett. Seit Stunden hatte ich versucht, mich an sie, an meine Verlobte, zu erinnern. Irgendetwas musste mir doch einfallen, sei es auch noch so belanglos. War das der Grund für meine schlaflose Nacht? Das mir nichts einfiel? Das ich das Schicksal herausforderte? Ich presste meine zu Fäusten geballten Hände an meine Schläfen, als ich plötzlich leise, tapsende Schritte vernahm. Verwundert richtete ich mich auf und horchte in die Stille. Da, schon wieder. Irgendjemand lief im Haus umher. Jemand, der ebenfalls nicht schlafen konnte. Neugierig sprang ich auf, öffnete die Tür und lugte vorsichtig in den Flur. Niemand da. Doch eingebildet hatte ich mir diese Geräusche nicht. Oder doch? Ich zuckte überrascht zusammen, als ich wieder etwas vernahm. Definitiv, jemand geisterte hier herum. Und zwar im unteren Geschoss. Leise schlich ich die Treppe hinunter und folgte dem schwachen Lichtschein, der einen Teil des Flures erleuchtete. Sekunden später stand ich vor der Küchentür, die nur angelehnt war. Von innen drang dumpfes Klirren und leises Gemurmel. „Wo sind denn hier die Gläser?“ Lautlos drückte ich die Tür auf und war keinesfalls überrascht Akane zu sehen, die Regal für Regal öffnete und wieder schloss. Ihre blasse Haut zeichnete sich kaum von dem weißen Küchenmobiliar ab. Sie trug immer noch die gleiche Kleidung vom Vortag. Hatte sie sich überhaupt hingelegt? Ich schielte zur Uhr, die über dem Kühlschrank hing. Nach Mitternacht. „Oben, rechts.“ hörte ich mich selbst sagen. Mächtig geschockt fuhr meine Verlobte herum und fegte dabei die Wasserflasche vom Küchentresen. Doch bevor diese mit einem großen Knall in tausend Scherben zerspringen konnte, fing Akane sie auf. Leicht erstaunt über ihre Reaktionsfähigkeit, musterte ich sie. Ihre großen braunen Augen begegneten meinen und wieder verweilten wir für Sekunden in dieser Position. Ich musste mich an sie erinnern, ich musste einfach! Langsam drehte sie mir den Rücken zu, öffnete die rechte obere Regaltür, fischte ein Glas heraus und füllte dieses mit Wasser. „Das kommt vom Training.“ Sie blickte mich fragend an. „Deine schnelle Reaktion. Sie kommt vom Training.“ Das blauhaarige Mädchen nahm am Küchentisch platz, ich ihr gegenüber. Mit erwartungsvollem Blick musterte sie mich. „Was für ein Training?“ „Kampfsport.“ „Kampfsport?“ wiederholte Akane überrascht. Ich nickte. Stille legte sich über uns. Ich konnte ihr deutlich ansehen, wie sie nachdachte, überlegte, ob ich wirklich die Wahrheit sagte. Ihre Augen blitzten leicht auf. „Du kannst dich also doch erinnern!“ „Nein...ich...meine Mutter hat es mir erzählt.“ Ich dachte an das Gespräch, das meine Mutter mit mir geführt hatte, ein paar Wochen zuvor. Warum wir bei den Tendo´s lebten. Und seit einigen Stunden wusste ich auch, weshalb ich mit der jüngsten Tochter des Hauses verlobt war. Einigung der Kampfsportschulen nannten sie es, Verbindung einer jahrzehnten langen Beziehung zwischen unseren Familien. „Und du trainierst auch?“ hörte ich sie fragen. Stumm nickte ich, verschwieg ihr jedoch bewusst, dass uns dieser Sport das Leben gerettet hatte. Eine Weile schwiegen wir uns an, dann erhob Akane sich. „Ich leg mich jetzt lieber hin, es ist schon reichlich spät.“ „Ja, das wäre das beste.“ Weitere zehn Minuten verweilte ich auf dem Stuhl, nachdem sie den Raum verlassen hatte. Den Raum, den sie mit ihrem wunderbaren Duft und dieser einzigartigen Wärme erfüllt hatte. Dieses Gefühl, das mir einen Schauer nach dem anderen den Rücken hinunterjagte. Irritiert über meine plötzlichen Empfindungen, die mein Herz erschütterten, unterbrach ich meine eigenen Gedankengänge. Ich konnte mich wohl kaum selbst ernst nehmen, ich kannte diese Frau doch keine vierundzwanzig Stunden. Wieso verfiel ich ständig in solch merkwürdige Gedanken? Ich starrte aus dem Fenster. Genau in diesem Moment brachen die Wolken auseinander und ein Teil des Mondes lugte hervor. Was tat sie nur mit mir? Kapitel 3: Eine kleine Hilfe ---------------------------- Zu meiner Erleichterung hab ich es endlich geschafft, diese Fortsetzung auf den Bildschirm zu bringen. Nie zuvor ist es mir so schwer gefallen, Buchstaben zu akzeptablen Worten zusammen zu reihen wie dieses Mal! Und ich kann nicht einmal erklären, woran es gelegen hat. Weiß der Teufel, was in mich gefahren ist... Zu allem Übel noch dazu, finde ich (wie sollte es anders sein?) keine passenden Worte für eine angemessene Entschuldigung für diese ewig lange Wartezeit! Trotzdem habe ich die kleinste Hoffnung, dass Ihr mir verzeiht... Liebste Grüße chalmey Meine erste Erinnerung hatte mich an dem Tag eingeholt, als ich wieder - mit Zustimmung unseres Arztes selbstverständlich – mit leichtem Training beginnen durfte. Ich wurde von meinem Vater in die riesige Übungshalle, das Tendo-Dojo, hinter dem Haus geschleppt. Viel konnte ich natürlich nicht erwarten, das hatte mir mein Vater deutlich gemacht, doch dieses abgemilderte Training hatte völlig ausgereicht mir bewusst zu machen, dass dieser Sport mein Leben beherrscht hatte, auf ein Weise, die...die mich glücklich machte! Das Gefühl von Macht und Stärke breitete sich in mir aus und ein unglaubliches Hochgefühl hatte mich gepackt, als ich mit Dehnübungen begann und nach einer Weile sogar Schläge und Tritte verteilen konnte. Es war leichter als erwartet und ich schien diese Bewegungsfreiheit gut zu verkraften, auch wenn ich nicht lange durchhielt. Nach schon einer halben Stunde ging mir die Luft aus und ich legte ein kurze Pause ein. Auf dem Boden sitzend und mit dem Rücken an die Wand gelehnt starrte ich verwundert auf meine Hände. Es war schon seltsam, obwohl ich mich an keine einzige Regel erinnern konnte, reagierte mein Körper auf alle Angriffe meines Vaters automatisch. Meine Bewegungen waren flüssig und ich hatte meine Schnelligkeit nicht verloren. Nur meine Kraft und Ausdauer – so mein Vater – hatten erheblich nachgelassen. Aber das schien kein allzu großes Problem darzustellen, das könnte man wieder „gerade biegen“ hatte der alte Herr gemeint, bevor er die Halle verlies. Immer noch saß ich dort, als mir plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, schwarz vor Augen wurde. Panik stieg in mir auf. Hatte ich doch mit dem Training übertrieben? Blitze schossen vor mir auf und nieder, verschwanden und tauchten leuchtend grell wieder auf. Alles drehte sich, Farben verschwammen ineinander, skurrile Muster entstanden. Dann das Bild, mein ewig währender Traum. Der Fluss, er glitzerte noch immer. Nun konnte ich unscharf die Umgebung wahrnehmen. Es standen Bäume dicht gedrängt am Ufer, dahinter grenzte ein Wald. Ich kannte diese Gegend nicht, wie so vieles andere auch. Und dann...ein Blitz... *** Ich berührte den Marmorrand der Badewanne. Er war kalt, obwohl dichter Wasserdampf aufgestiegen war und das gesamte Bad in einen drückend heißen Nebel getaucht wurde. Wasser – ich bevorzugte meist heißes – perlte an meiner Haut hinab, mein schwarzes Haar klebte an meiner Stirn und mein Zopf baumelte auf meinem Rücken. Leises Geplätscher entstand, als ich mich in der Wanne umwandte. Obwohl es im Bad so still und friedlich war, ließen mich genau diese Eigenschaften zappelig werden. Denn sobald ich diesen Raum wieder verlassen würde, war mir klar, dass nichts mehr so sein würde, wie vorher. Ich würde mein Geheimnis mit wildfremden Menschen teilen. „Was mach ich nur?“ Gut, eigentlich nichts weltbewegendes. Kann doch jedem mal passieren, nicht? Jeder Mensch ist doch was besonderes. Ich überlegte, versuchte mir vorzustellen, wie jeder einzelne da draußen reagieren würde. Augenblicklich tauchte ich tiefer. Oh, sie würden es nicht verstehen und erst recht nicht willkommen heißen. Was mach ich nur? Aber spielte das denn irgendeine Rolle? Ich hatte nicht vor, diesen „Zustand“ länger als nötig zu dulden. Bald, ich wusste zwar noch nicht wie, aber bald wäre ich wieder der Alte. Ein Seufzer entfuhr mir. Hörte sich ja alles sehr gut an, änderte aber nichts an der Tatsache, dass ich jetzt hier war. Naja, sie werden es sowieso erfahren. Früher oder später... Ein letztes Mal verschwand mein Kopf unter der Wasseroberfläche, prustend tauchte ich wieder auf und stemmte mich mit einem Arm ab, um die Badewanne zu verlassen. Das half wohl alles nichts, da musste ich jetzt durch. Mit einem Bein schon auf dem Boden kam mir ein Gedanke. Vielleicht sollte ich mich entschuldigen, für alles, und, ganz wichtig, für meinen Vater, dieser hirnlosen Verschwendung von Genmaterial, der ich alles zu verdanken hatte. Ein leichter Luftzug holte mich aus meinen beleidigenden Gedanken, die immer größeren Ausmaß annahmen. Verwundert wandte ich den Kopf. Woher kam dieser Durchzug? Das Fenster war geschlossen und soweit ich wusste, die Tür auch. Falsch. Entsetzt blickte ich zum eben erwähnten Holzstück, dass geräuschvoll zur Seite geschoben wurde und stattdessen ein Mädchen - ein nacktes Mädchen - seinen Platz einnahm. Zu geschockt, um auch nur einen Ton aus unseren Kehlen entweichen zu lassen, starrten wir uns an...starrten uns lange an... Ich wusste, dass diese soeben entstandene Situation, überhaupt nicht gut, wenn nicht sogar, katastrophal war. Trotzdem kam ich nicht umhin, die jüngste Tochter des Hauses zu...na ja... zu mustern. Sie hielt sich ein mit Schmetterlingen und Blumen besticktes Handtuch vor den Körper, was sie allerdings auch hätte komplett weglassen können. Oh, bitte nicht falsch verstehen, aber dieses Stückchen Stoff verhinderte beim besten Willen nicht, dass sich jedes, wirklich jedes, Detail ihres makellosen Körpers in meine Netzhaut brannte, um dort auf alle Zeiten vor sich hinzuschlummern. Abermals riss mich ein Luftzug aus meinen Gedanken. Mit einem lauten Rums schloss sich die Schiebetür, trennte den Baderaum vom Vorzimmer und ich war wieder allein. Auch wenn es im Raum erheblich kühler geworden war, war dies mit Sicherheit nicht der Grund, wieso ich zu zittern begann. Eine unheimliche Hitze schoss in meinen Kopf und ich wusste, dass meine Gesichtsfarbe der eines Krebses glich. Ich hatte mich nicht verguckt. Bestimmt nicht. Sie hatte auch hingeschaut. Alles gesehen...an MIR !!! *** Mein höllisch dröhnender Kopf riss mich aus diesem wirklich seltsamen Traum, dessen Nachgeschmack immer noch vor meinen weit aufgerissenen Augen auftauchte. Gott, was um Himmels Willen war das schon wieder gewesen? „Ein Traum!“ hauchte ich vor mich hin, doch so ganz überzeugt von meinen eigenen Worten war ich nicht. Kein Traum konnte solche Details entwickeln, geschweige denn, sie so verdammt realistisch erscheinen lassen. Hatte ich nicht schon fast das heiße Wasser in der Wanne spüren können? Die Dampfschwaden eingeatmet? Ich griff mir an die Schläfen, spürte kalten Schweiß, den ich mir mit dem Ärmel meines Kampfanzuges abwischte. Stimmt ja, ich saß immer noch, angelehnt an der Holzwand, in der Trainingshalle. Wie viel Zeit war seit meinem Training vergangen? War ich eingeschlafen, hatte ich deshalb geträumt? Ich korrigierte mich selbst. Kein Traum, Ranma. Ganz sicher, kein Traum! Und nun? Was sollte ich jetzt tun? Ich fühlte mich völlig übermüdet. Ein Bad. Genau, das bräuchte ich jetzt. Dringend sogar. Schwerfällig erhob ich mich, als mir wieder eines dieser Bilder in den Sinn kam. Schlagartig beschleunigte sich mein pochendes Herz. Ich resignierte. Vielleicht sollte ich später baden... Langsam schlenderte ich die lange Holzterrasse vom Dojo zum Haus entlang, als ich in den Augenwinkeln etwas bemerkte. Ich wandte den Kopf zum Eingangstor des Tendo-Grundstücks, dass sich leise quietschend öffnete und blickte dem Mann entgegen, der den Kiesweg zum Haus entlang lief. Geduldig hielt ich die Haustür offen, bis Dr. Tofu den Flur betrat. „Vielen Dank, Ranma.“ „Dr. Tofu, was machen Sie denn hier. Der nächste Termin ist doch erst in ein paar Tagen!“ Ich folgte dem Mediziner in Richtung Wohnzimmer. „Da hast du recht. Aber deswegen bin ich auch nicht hier.“ Er betrat den Gemeinschaftsraum, in dem, wie immer, alle versammelt beieinander saßen und seelenruhig ihren Tee genossen. „Ah, sieh an, wer uns besucht!“ rief Herr Tendo erfreut und legte die heutige Zeitung beiseite. „Guten Abend. Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“ Am anderen Ende des Tisches sprang Kasumi auf ihre Beine. „Natürlich nicht, Doktor. Einen kleinen Moment bitte, ich bringe Ihnen gleich eine Tasse Tee.“ lächelte sie sanft und begab sich in die Küche, wo sie einen Kessel mit frischem Wasser aufsetzte. „Nun setzten Sie sich zu uns, mein werter Freund.“, bat der alte Tendo und zeigte auf einen freien Platz, „ Wie geht es Ihnen?“ Neben dem jungen Arzt war noch Platz, sodass ich mich auch am Tisch niederließ. Ich folgte nur halbherzig dem Gespräch, zu sehr war ich damit beschäftigt, Doktor Tofu zu beobachten. Angestrengt versuchte ich mich an den Tag zu erinnern, an dem ich ihn das erste Mal kennen gelernt hatte. Damals stand ich kurz vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus. Meine behandelnden Ärzte standen um mich herum, als er den Raum betrat. Bis heute kann ich mir nicht erklären, wie ein einzelner Mensch nur so eine gewaltige Ruhe ausstrahlen konnte. Trotzdem blickte ich ihm im ersten Moment skeptisch entgegen. Mit seinem Pferdeschwanz sah er auch nicht gerade professionell aus, trotz dem weißen Kittel, den er über seinen Klamotten trug. Die restlichen Fachleute schienen hoch erfreut über sein Kommen gewesen zu sein, denn sie schüttelten ihm ausgiebig die Hand und warteten gespannt auf sein Kommentar zu meiner Krankenakte, die er sich nun zugewandt hatte. An seine genauen Worte konnte ich mich nicht mehr erinnern, doch war ich ihm äußerst dankbar gewesen das er der ausschlaggebende Grund war, das ich endlich dieses Krankenhaus verlassen konnte. In den ersten Tagen meiner Heimkehr war ich noch bettlegerisch und Doktor Tofu untersuchte mich in meinem Zimmer. Beschämt dachte ich daran, wie sehr ich mich doch am Anfang in diesen jungen Arzt getäuscht hatte. Ich war davon ausgegangen, dass er sich nicht sehr von seinen Kollegen unterscheiden würde, das er nur tun würde, was sie alle tun würden. Mich gesund pflegen. Aber nicht heilen! Doch seine Anwesenheit vollbrachte etwas, dass ich seit ich aus dem Koma erwacht war, noch nicht erlebt hatte. Diese Ruhe, diese sanfte und belebende Ausstrahlung legten sich wie Balsam auf mein zerrüttetes Innere. Alle Unsicherheit fiel von mir ab und wenn er mir gesagt hätte, dass alles wieder gut werden würde, hätte ich ihm ohne zu zögern geglaubt. Ich wurde plötzlich aus meinen Gedanken gerissen, als mein Vater völlig überrascht etwas ausrief. Neugierig blickte ich in die Runde. Alle Anwesenden starrten den jungen Arzt verwundert an. Dieser hatte, was ich jetzt erst bemerkte, eine kleine braune Flasche, die verdächtig nach irgendeinem Medikament aussah, vor sich auf den Tisch gestellt. „Ich kann nicht garantieren das das klappt, aber es wäre ein Versuch wert, finden Sie nicht?“ Kasumi lachte leise. „Das wäre wundervoll, oder?“ Wovon sprachen die eigentlich? „Ich weiß nicht. Bestimmt gibt es einen Haken!“ wandte sich Nabiki an den Doktor. Man sah ihr an, dass sie nicht so schnell zu überzeugen war. Misstrauisch strich sie sich über ihr Kinn. „Da hast du recht, Nabiki.“ stimmte ihr Dr. Tofu zu. „Einen Haken gibt es schon. Dieses Medikament ist neu auf dem Markt gekommen und natürlich noch nicht richtig ausgereift. Es wurde zwar gründlich getestet und fast alle Nebenwirkungen beseitigt, doch trotz alle dem ist das Ergebnis nicht 100 % sicher.“ Da ich immer noch kein einziges Wort verstand, verschaffte ich mir Gewissheit. Vorsichtig nahm ich das kleine Fläschen und untersuchte den Etikettaufkleber. Ich riss meine Augen auf. Ein Medikament das Gedächtnisverluste aufheben sollte? Nervosität stieg in mir auf. Heißt das, ich würde mich endlich wieder an alles erinnern? Keine fremden Gesichter mehr, kein beklemmendes Gefühl? Ich schaute wieder auf. „Gibt es denn immer noch Nebenwirkungen?“ „Leider schon. Der Wirkstoff wird durch das Blut direkt in das Gehirn transportiert, ähnlich wie bei normalen Kopfschmerztabletten. Dort soll es den Bereich des Hirns stimulieren, der für das Gedächtnis zuständig ist und so den, nun...nennen wir es mal, den beschädigten Teil fördern. Der Nachteil jedoch ist, dass dieser Wirkstoff nicht nur in das Gehirn wandert, sondern durch die Blutkörperchen im ganzen Körper verteilt wird und somit das Immunsystem angreift. Es könnte also sein, dass die Kinder anfälliger für Krankheiten werden.“ „Das ließe sich leicht verhindert, denke ich. Wenn die beiden gut auf sich aufpassen, sollte dies kein Problem darstellen.“ erwiderte Herr Tendo mit nachdenklicher Miene. Der Doktor nickte zustimmend. „Der Meinung bin ich auch. Der Anfang würde zwar etwas holprig werden, doch ich sollte mich schnell auf eine geeignete Dosierung festlegen können. Selbstverständlich versichere ich Ihnen, dass ich Ranma und Akane während der Medikamenteneinnahme überwachen werde. Sollte es also – was ich nicht vermute – zu Komplikationen kommen, könnte ich schnellstmöglich eingreifen.“ Mein Blick wanderte durch die Runde. Jetzt erst fiel mir auf, dass meine Mutter nicht anwesend war. „Das klingt alles sehr vielversprechend. Natürlich müssten die Kinder erst einmal einstimmen...“ Und Akane ebenfalls nicht. „Ranma, mein Junge! Was hältst du davon?“ Ich schaute zu meinem Vater, der mich fragend anblickte. Und nicht nur er. Alle Augen waren auf mich fixiert, warteten gespannt auf meine Antwort, dabei musste ich nicht großartig darüber nachdenken. Meine wahrscheinlich einzige Chance auf eine völlige Heilung würde ich mir um keinen Preis dieser Welt entgehen lassen! Wieder blickte ich um mich. Es störte mich gewaltig, dass Akane nicht anwesend war. „Ranma?“ Und was wäre, wenn sie nicht einwilligt? Ich meine, was würde ich dann tun? Würde ich ebenfalls die Finger davon lassen? Aber wieso sollte ich das? Ich will ja schließlich gesund werden. Spielte hier Loyalität eine Rolle? Innerlich schüttelte ich den Kopf. Weshalb sollte ich zu einem Menschen loyal sein, den ich keine Woche kannte? Ich fuhr mir durch die Haare. Sie ist meine Verlobte! „Ich weiß nicht.“ Verwundert und leicht amüsiert konnte ich beobachten, wie allen Anwesenden vor Verwirrung der Mund offen stand. Es hatte doch tatsächlich den Anschein, als würden ihnen gleich die Augen aus dem Kopf springen. „Was soll das heißen, du weißt es nicht?“ Meinem Vater war anzusehen, dass er etwas aufgebracht war. War er doch durch die ganze Situation recht mitgenommen. „Ich bitte dich, Junge! Denk doch mal nach. Endlich hast du die Gelegenheit, dich an alles wieder zu erinnern. Das ist es doch, was du wolltest, oder?“ Ich nickte. Ja, natürlich! „Ich will mich noch nicht entscheiden.“ Hätte mein Vater noch Haare auf dem Kopf, ich glaube die hätte er sich jetzt vor Verzweiflung gerauft. „Um Himmels Willen, warum denn nicht?“ Ja, warum eigentlich nicht? Warum sollte ich ihnen nicht sagen, weshalb ich so zögerte? „Ich möchte vorher mit Akane reden.“ Totenstille brach im Raum aus, die Zeit schien stillzustehen. „Aber natürlich!“ „Verständlich!“ „Sicher doch!“ Ich lag schon seit geraumer Zeit hellwach in meinem Bett. Im Minutentakt hörte ich Flugzeuge weit über unserem Haus fliegen. Diese Stille war beruhigend und gleichzeitig so ungewohnt. Akane und meine Mutter hatten einen langen Spaziergang gemacht. Sie hatten sich die Gegend angesehen, angehalten, um etwas zu trinken und darüber die Zeit vergessen. Doch nun waren sie wieder da und nichts konnte mich davon abhalten endlich mit Akane zu sprechen. Ich drehte mich auf die Seite. Es war schon reichlich spät, vielleicht sollte ich morgen mit ihr reden. Oder übermorgen. Beunruhigt zupfte ich an meiner Decke rum. War ich schon immer so ein Angsthase gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. Doch ich schnappte nach Luft. Nein, den Kopf schüttelnd stand ich auf, niemals! Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich kein Feigling war und zu meinem Erstaunen hatte mein Stolz ein mächtiges Problem mit diesem Gedanken. Überzeugt, dass das nur Gutes bedeuten konnte, trat ich auf den stockdüsteren Flur hinaus und spähte in die Richtung, in der ich Akanes Zimmer vermutete. Ein leichter Lichtschimmer, der unter ihrer Tür durchschimmerte, verriet mir, dass sie noch wach war. Also setzte ich mich in Bewegung und klopfte, mit einem seltsamen Gefühl im Bauch, leise an, um sie nicht zu erschrecken. Ich hielt die Luft an, um ihre Antwort nicht zu überhören, doch kein Laut drang aus dem Raum. Vorsichtig öffnete ich die Tür, lugte durch den Spalt und erkannte, dass sich niemand im Zimmer befand. Also riss ich die Tür ganz auf und betrat den Raum. Gut, ganz so anständig war das natürlich nicht. Eigentlich hatte ich hier nichts zu suchen und ich hätte auch draußen warten können. Doch dieses seltsame Gefühl im Bauch ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Vorhin hatte ich schon das dringende Bedürfnis gehabt, einfach so ins Zimmer zu platzen und der Drang mich aufs Bett zu schmeißen und einfach abzuwarten war groß. Fast amüsierte ich mich schon, wenn ich dran dachte, wie sie reagieren würde. Aber natürlich wollte ich nicht den Teufel heraufbeschwören und so nahm ich erst mal auf dem Schreibtischstuhl platz. Ich blickte mich um. Seit ihrer Ankunft hatte sie nichts an diesem Zimmer verändert, was ich voll und ganz verstehen konnte. Unsere Zimmer waren immerhin wichtige Anhaltspunkte, vielleicht würden sie uns helfen. Bei diesem Gedanken fiel mir wieder ein, weshalb ich hier war. Als die beiden wieder da waren, hatten wir uns alle zusammengesetzt und noch einmal alles besprochen, was Doktor Tofu gesagt hatte. Die ganze Zeit über hatte ich Akane beobachtet, gespannt wartete ich auf eine Reaktion, als sie von dem Wundermittel erfuhr. Vergebens. Nicht mal ein kleines Zucken oder ein interessierter Blick ihrerseits. Wie immer saß sie fast schon teilnahmslos da und versank in ihren Gedanken. Und nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, diese Gedanken lesen zu können. Wo blieb sie nur? Ich blickte auf den Tisch. In der Mitte lagen einige Blätter, daneben ein Bleistift, doch das Papier war unbenutzt. Mein Blick wanderte zum Bett, dass ebenfalls unberührt dastand. War sie überhaupt hier gewesen? Die Schreibtischlampe war an. Ich runzelte die Stirn. Sie war da und hatte... Ich entdeckte den kleinen Mülleimer auf der linken Seiten, neben dem Schreibtisch. Neugierig nahm ich das zusammengeknüllte Blatt, dass sie weggeworfen hatte und strich es glatt. Sofort erkannte ich ihre wunderschöne schwungvolle Handschrift, mit der sie einen einzelnen Satz geschrieben hatte. Was tue ich hier? Beunruhigt schluckte ich, als ich die Worte immer wieder las. Irgendetwas melancholisches schwang in diesen Worten mit, etwas tief trauriges und trotzdem vollkommen undefinierbar. Wie ein Rätsel, dessen Lösung ich mit meinem winzigen Verstand niemals erfassen könnte. Mit einem unbeschreiblichen Gefühl faltete ich das Stück Papier zusammen und erhob mich. Ich fühlte, dass es falsch war, hier zu sein, - jedenfalls zu diesem Zeitpunkt -, und wollte deshalb das Zimmer verlassen. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich Akane im Türrahmen erblickte. *** „Warum bist du abgehauen, Akane?“ „Ich soll ausgerissen sein? Wozu denn?“ ... „Gehen wir, Akane. Dein Vater ist außer sich vor Angst!“ „Ich kann nicht!“ ... „Dann...gehe ich wohl besser nach Hause. Ich komm dich auch nicht mehr suchen, klar?“ „Ich...ich werde hier bleiben...“ ... *** „Ich hab dich was gefragt!“ Ich massierte meine Schläfen, mein Kopf drohte wieder einmal zu platzen. „Entschuldige bitte, was hast du gesagt?“ Sie schloss die Tür hinter sich. „Was du hier tust hab ich gefragt.“ Was tue ich hier? „Ich...ich hab auf dich gewartet, ich wollte mit dir reden.“ So sehr hoffte ich, dass sie meine Verwirrung nicht bemerkte. Ich spürte, dass ich immer noch den Zettel in der Hand hielt. Ohne groß darüber nachzudenken steckte ich ihn unauffällig in meine Hosentasche. Akane schien mich mit ihren Blicken förmlich zu durchbohren und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in diesem Haus, waren ihre Augen nicht glanz- und leblos, sondern versprühten reines...Misstrauen. Ich lächelte. Aus irgendeinem Grund machte es mich glücklich, dass sie mich hier erwischt hatte. Diese Situation war mir so vertraut und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass dies vielleicht ein Bestandteil in meiner...nein...in unserer Vergangenheit war. Und deshalb auch so kostbar für mich! Ich ließ mich wieder auf den Stuhl nieder. „Wie geht es dir?“ Akane legte den Kopf schief. „Darüber wolltest du mit mir reden? Wie es mir geht?“ Ihre Skepsis stieg. Den Kopf schüttelnd holte ich tief Luft und begann zu erzählen. Ich wusste nicht genau, wie lange wir diskutiert hatten, doch ich wusste, in dieser Nacht hatte ich nicht viel Schlaf abbekommen. Akane hatte mir erzählt, dass sie sich nicht wohl dabei fühlte, noch mehr Medikamente zu nehmen und die Angst, eine Enttäuschung zu erleben, saß tief. Obwohl ich nicht in der Position war, Versprechungen abzugeben, versicherte ich ihr, dass ich dafür sorgen würde, dass es ihr wieder besser gehen würde. Mir war bewusst, dass dieses Versprechen mehr als dumm war, da ich ja nicht einmal mir selbst helfen konnte. Doch was blieb mir übrig? Ich wollte sie mit ihren Ängsten nicht alleine lassen. Und als sie auch noch zustimmte und mir völlig vertraute, wusste ich, dass ich ihr helfen, das ich sie retten konnte, so wie ich das, -und das wusste ich genau-, früher immer getan hatte... Kapitel 4: Ein Held? -------------------- Und weiter geht´s, nach Ewigkeiten, ich weiß. Deshalb fass ich mich mit meiner kleinen Rede kurz und wünsch euch nur viel Spaß. Liebe Grüße chalmey Es war Ende November. Die bittere Kälte hatte erheblich zugenommen. Die Straßen waren spiegelglatt, so dass sich zum täglichen Feierabendverkehr Staus mitten in der Stadt bildeten. In den Nachrichten hörte man verhäuft von schlimmen Unfällen, sogar mit Todesfolgen, aber darüber wollte ich nicht nachdenken. Ich genoss die wundervolle Kälte, denn nur im Winter roch die Luft wirklich sauber. Als würde eine riesige eisige Hand all die Abgase hinfort fegen. Ruhig und ausgelassen lief ich nach Hause, musterte mein Umfeld aber ganz genau. Die Eisschichten auf den breiten Dächern der Wohngebäude glitzerten leicht, an den Regenrinnen hingen, genau wie an den Straßenlaternen am Rand der Bürgersteige, spitzte Eiszapfen. Eine wunderschöne Dekoration der Natur. Ich kam vom Einkaufszentrum zurück. Kasumi hatte mich noch schnell losgeschickt, um einige Lebensmittel zu holen, die ihr ausgegangen waren. Den Weg kannte ich schon, da wir alle oft gemeinsam einkaufen waren. Also, so schloss ich, hatte ich ein gutes Gedächtnis und einen guten Orientierungssinn. Jedenfalls für meine Verhältnisse. *** „Äh...darf ich dich was fragen? Warum hast du solange bis dorthin gebraucht?“ „Du wagst es...“ ... „Schlechter Orientierungssinn?“ „Sehr schlecht!“ „Ganz mies!“ *** Für eine Sekunde drehte sich alles vor meinen Augen und ich schloss sie. Ich spürte, wie mir die Einkaufstüte aus meiner kalten Hand entglitt, doch das interessierte mich in diesem Moment weniger. Ich konzentrierte mich nur auf mich selbst, versuchte nicht mitten auf der Straße das Bewusstsein zu verlieren. Und es gelang mir. Nach einer Weile hatte ich mich wieder unter Kontrolle und wagte es, meine Augen zu öffnen. Unbewusst hatte ich sie fest zusammengekniffen, sodass das Licht jetzt unglaublich hell wirkte, als ich mich umsah. Behutsam ging ich in die Hocke und sammelte den Inhalt der Tüte, der verstreut auf dem Boden lag, ein. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich auch ja nichts übersehen hatte, machte ich mich wieder auf den Weg. Verwundert war ich schon. Mir war seit einiger Zeit klar, dass es sich bei diesen Gesprächsfetzen um Erinnerungen handelte, doch noch nie hatte ich so ein seltsames Gefühl dabei gehabt. Es war so anders, irgendwie eindringlicher. Intensiver. Ein Gefühl, dieses besagte Gespräch auch wirklich geführt zu haben. Obwohl ich mir der Tatsache bewusst war, dass dies nicht wirklich sicher war und ich mir auch alles nur einbilden könnte, schwang mit diesen Gedanken doch ein wenig Euphorie mit. Vielleicht entfaltete dieses Medikament, dass wir seit zwei Wochen nahmen, endlich seine Wirkung. Eine Besserung gab es aber schon. Meine Kopfschmerzen waren wie weggeblasen und auch diese schrecklichen Blitze vor meinen Augen tauchten nicht mehr auf. Ich erreichte das Grundstück. „Bin wieder da.“ rief ich der nichtvorhandenen Menschenmenge im Flur zu. Nachdem ich Mantel, Schal und Mütze an den Haken neben der Tür gehängt hatte und meine Schuhe ordentlich neben die Fußmatte zu den anderen Schuhen stellte, schlurfte ich mehr oder weniger in die Küche und begann die Lebensmittel in den Kühlschrank zu räumen. Wieder machte sich leichte Verwunderung in meinen Gedanken breit. Wo waren denn alle hin? Ich hatte damit gerechnet, meinen Vater sowie seinen alten Freund beim Go-spielen im Wohnzimmer anzutreffen. Oder wenigstens Kasumi, die doch dringend auf ihre Einkäufe wartete. Von meiner Mutter wusste ich, dass sie bei Nachbarn eingeladen war und mit ihr rechnete ich erst nach acht Uhr wieder. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf und ich verließ schnellstmöglichst die Küche, rannte die Treppe hinauf und stürmte in Akanes Zimmer. Panik befiel mich. Meine Verlobte war auch nicht da. Aufgeregt starrte ich aus dem Fenster, dass einen Spalt breit offen stand. Ich hatte Angst. Angst, dass Akane irgendetwas zugestoßen war, das die Familie mit ihr ins Krankenhaus musste, so schnell, dass nicht einmal Zeit geblieben war, um die Haustür zu verriegeln. Mucksmäuschenstill stand ich mitten in ihrem Zimmer und lauschte meinem heftig klopfenden Herzen, wartete schon regelrecht darauf, dass es vor lauter Sorge aus dem Takt kam. Doch ein dumpfes Geräusch ließ mich stutzten. Konzentriert versuchte ich die Richtung auszumachen, aus der dieser Lärm kam. Nach wenigen Sekunden ortete ich die Quelle und machte mich schnell auf den Weg ins Dojo. Dort angekommen, riss ich die Schiebetür zur Seite, dachte ich doch, Einbrecher auf frischer Tat zu ertappen, doch was ich dort sah, überraschte mich. Mitten in der Halle stand Akane und vollführte etwas, dass aussah wie ein alter afrikanischer Stammestanz. Die Erleichterung kroch in meine Gliedmaßen und meine Knie drohten nachzugeben. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich meine Muskeln bis zum Zerreisen angespannt hatte. Die junge Frau hatte mich noch nicht bemerkt. Meine Aufmerksamkeit lenkte sich wieder auf Akane, die, - recht wackelig auf den Beinen - , versuchte, mit dem rechten Bein in die Luft zu treten. Diesen hatte sie nicht einmal bis zur Hälfte angehoben, als mir klar wurde, wie dieses Kunststück ausgehen würde. Und kaum hatte ich diesen Gedanken ausformuliert, plumpste sie mit einem spitzen Schrei auf den Hintern. Wütend vor sich hinmurmelnd, ließ sie sich nach hinten fallen. Endlich fiel ihr Blick auf mich, doch Akane schien keineswegs überrascht zu sein, mich zu sehen. „Was machst du da?“ fragte ich leicht schmunzelnd, doch meine Verlobte schloss ihre Augen und zuckte nur mit den Schultern. Langsam lief ich auf sie zu und stellte mich direkt über sie, so dass sie mich sofort sehen konnte, als sie ihre Augen wieder öffnete. „Kampfsport.“ erklärte sie mir lächelnd und um diese Aussage zu untermauern, stand sie auf und stellte sich mit erhobenen Fäusten vor mich. „Aber es klappt nicht so, wie ich das möchte.“ Kopfschüttelnd griff ich nach ihren Handgelenken. „So kann das auch nichts werden. Deine Klamotten...“ deutete ich mit einem vielsagenden Blick auf ihren wohlgeformten Körper, dessen Konturen ich am Liebsten mit meiner Hand entlang fahren wollte. Ich fühlte ihre zarten Handgelenke und stellte mir auch den Rest ihres Körpers so vor. Akane entzog sich mir und stemmte ihre Arme in die Hüften. Skeptisch blickte sie an sich hinunter. „Wieso? Was stimmt mit meinen Klamotten nicht?“ Ich räusperte mich leise. „Nun ja, zuerst wären da deine Strümpfe.“ erklärte ich und zeigte auf die langen, schwarzen Wollstrümpfe, die bis knapp über die Knie gingen, aber trotzdem noch einen Spalt Haut zwischen ihnen und dem kurzen schwarzen Rock ließen. Ich bemerkte ihre weiße, leicht glänzende Haut an den Oberschenkeln. „Mit denen findest du keinen Halt und rutscht ständig aus.“ sprach ich altklug, doch das, was danach geschah, fegte mich komplett aus der Bahn. Plötzlich ließ sich Akane auf den Boden nieder. Vollkommen entgeistert folgte ich jeder Bewegung die sie machte. Meine Verlobte streckte zuerst das linke Bein in die Luft, fuhr mit beiden Händen ihre Haut entlang und streifte langsam und genüsslich den Strumpf von ihrem Bein. Und auch auf der anderen Seite entfernte sie das Stückchen Stoff auf dieselbe unglaubliche Art und Weise. Anschließend warf sie die Kleidungsstücke in die Ecke. Ich musste schwer schlucken. „So besser?“ Wie in Trance nickte ich. „Viel besser!“ murmelte ich leise und hörte sie kichern. Sie erhob sich wieder, mit auf den Rücken verschränkten Armen stellte sie sich auf die Zehenspitzen, ihr Gesicht war meinem so unglaublich nah, dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Ich spürte ihren warmen Atem und inhalierte den süßlichen Duft, den ihr Körper verströmte. „Und jetzt?“ hauchte sie mir entgegen. Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung. Oh Gott, sie war so verführerisch! „Ähm...d-dann...ähm...“ stotterte ich blöd vor mich hin und beschloss im nächsten Moment endlich angemessen zu reagieren. „Dein Pullover. Er ist zu eng, damit kannst du dich nicht frei bewegen. Wenn du einen Angriff blocken willst, wird er dich behindern.“ merkte ich an und hoffte, sie würde auf diesen einfachen Trick hereinfallen. Akane entfernte sich einen Schritt von mir. Sie zog leicht am Ausschnitt ihres dunkelblauen Pullovers und blinzelte in ihr Dekolteé. Grinsend hob sie ihren Blick wieder und fixierte mich mit ihren großen schokobraunen Augen, die freudig glänzten. Leicht schüttelte sie ihren Kopf, so dass ihre kurzen, - Akane hatte sie vor einer Woche geschnitten -, blau schimmernden Haare umherwirbelten. „Oh, vergiss das mal ganz schnell, mein Lieber.“ Wieder entfernte sie sich einige Schritte. „Ich hab nämlich unter dem Pullover gar nichts an!“ Lachend lief sie ein Stück durch die Halle. *** „Weißt du...du bist hübsch, wenn du lächelst!“ *** „Na los, Ranma, lass uns kämpfen. Ich verspreche dir auch, dass ich dir nicht wehtun werde.“ rief sie mir laut zu und hob abermals ihre zu Fäusten geballten Hände. Jetzt war es an mir zu grinsen. „Na dann bin ich ja beruhigt.“ erwiderte ich und stellte mich ebenfalls in Kampfposition. Ich spürte, wie sich meine Muskeln in den Beinen, Armen und im Oberkörper anspannten. Leicht winkelte ich mein linkes Bein an, um schnell Kraft für einen Sprint aufbringen zu können und trotzdem nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich blickte zu meiner Verlobten und stellte fest, wenn es hier nicht um einen Kampf gehen würde, könnte ich stundenlang hier stehen und sie betrachten. „Dann fang mal an, Akane.“ rief ich ihr zu und musste mir schnell eingestehen, dass sie verdammt flink war, als sie auf mich zulief. Akane hatte begonnen, Schläge und Tritte zu verteilen, denen ich jedoch gekonnt und ohne große Mühe auswich. Geduldig wartete ich auf eine Lücke, um den Spieß umzudrehen und in die Offensive zu gehen. Einige Sekunden vergingen, als ich eben diese Lücke fand und sie mit einem gezielten Stoß an die Schulter aus dem Gleichgewicht brachte. Schnell packte ich einen ihrer Arme, drehte ihn ihr auf den Rücken, so, dass ich hinter ihr stand. Ich hörte sie schwer atmen, während sie versuchte, sich aus meiner Umklammerung zu befreien. „Ich hab gewonnen.“ flüsterte ich ihr ins Ohr. Doch womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass Akane einen ungebrochenen Kampfgeist hatte. Eine Eigenschaft mehr, die mich an ihr faszinierte. Überrascht registrierte ich, dass sie mit ihren freien Händen nach meinen Unterarmen griff und sich mit all ihrer Kraft abstützte. Sie vollführte praktisch einen Handstand auf meinen Armen. Vor lauter Verblüffung ließ ich sie los und Akane sprang über meinen Kopf hinweg und landete sicher auf ihren Beinen. Ich wusste, was jetzt folgen würde, also ging ich in die Hocke und spürte wie ihr rechtes Bein über meinen Kopf ins Leere stieß. Auch ich streckte mein Bein aus und konterte, indem ich ihr ihr linkes Bein wegzog. Mit einem lauten Schrei fiel die junge Frau, doch bevor sie auf den harten Boden aufkam, fing ich sie schnell auf. Schwer außer Atem hatte ich mich über meine Verlobte gebeugt, stützte mich noch mit einem Arm am Hallenboden ab, ließ aber genug Abstand, um nicht in eine aussichtslose und unkontrollierte Situation zu geraten. War aber immer noch nah genug, um eben solche gefährlichen Gedanken aufkommen zu lassen. Akanes Hände hatten sich in mein rotes Hemd gekrallt, ihr Oberkörper drückte sich immer wieder leicht an meinen, wenn sie tief ein- und ausatmete. Wieder flüsterte ich. „Und schon wieder gewonnen.“ Akane starrte mir unverwandt in die Augen. Als sie nach einer Weile immer noch nichts darauf erwidert hatte, stand ich auf und zog sie mit mir hoch. Mein Arm lag um ihre Taille, ihre Hände waren immer noch in meinem Hemd vergraben. Ich hörte sie ungleichmäßig atmen, wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte. Diese Situation war so berauschend und unangenehm zugleich. Ihre Nähe machte mich ganz verrückt, doch ich versuchte mit aller Macht diese Gefühle zu verdrängen. Den Grund dafür kannte ich noch nicht. Akanes Blick war leicht verklärt, als sie mich ansah. Doch eigentlich tat sie nicht einmal dies. Sie schaute eher durch mich hindurch, als würde sie träumen und gefangen sein in ihrer eigenen Welt. Ich wusste nicht genau warum, aber es stimmte mich traurig. Seit ich sie kannte wechselte ihre Stimmung von einen auf den anderen Moment, schottete sich komplett ab. Ich war mir sicher, dass ihr das nicht einmal wirklich bewusst war, geschweige denn, dass sie das wollte, trotzdem fühlte ich mich jedes Mal, wenn sie sich wieder in dieser Verfassung befand, zurückgewiesen. Ein lächerlicher Gedanke, doch ich konnte nichts daran ändern, ich sah einfach zu, während sie innerlich mit sich selbst rang. Leicht enttäuscht wandte ich mich von ihr ab. Wieso zog sie es nicht einmal in Betracht, dass ich ihr helfen könnte? Warum nicht? Ich ließ mich, an der Wand angelehnt, auf den Boden sinken, hatte die Beine etwas angewinkelt und beobachtete, wie meine Verlobte aus ihrer Trance erwachte und ihre Arme um sich selbst schlang, als ob sie frieren würde. Hoffnungslos, aber trotzdem versuchte ich in ihr Innerstes zu blicken, während sie auf mich zulief. Gebannt sah ich, wie ihre Hüften leicht hin und her schwangen, wie ihr kurzer Rock mitwippte, bei jedem ihrer Schritte. Sofort packte mich wieder dieses Verlangen von vorhin und drängte all die sorgenvollen, verwirrenden Gedanken weit in den Hintergrund. Ihre nackten langen Beine schienen den Boden kaum zu berühren. Und plötzlich stieg ein ganz anderes Gefühl in mir auf. Ich war wütend. Wütend, weil ich nicht der Held für sie war, der ich so gerne sein wollte! Langsam ging Akane vor mir in die Hocke und beugte sich zu mir, bis ihre Stirn die meine berührte. Nun saßen wir hier, ihre Beine zwischen meinen, Kopf an Kopf und ich, wie ein kleiner pubertierender Junge mit hochrotem Gesicht, sollte doch jetzt... „Ich mag dich, Ranma.“ hauchte sie mir zu und eine Gänsehaut befiel mich. Meine Wut verflog und mein Herz klopfte heftig gegen meinen Brustkorb. All diese Gefühle in mir waren so fremd, doch meine Gedanken verlangten lauthals mehr. „Sehr sogar.“ Ich sah, wie ihre blutroten Lippen meine anstrebten und fühlte mich so schuldig. „I-ich halte d-das für keine so gute Idee...“ versuchte ich mich aus einem unerfindlichen Grund herauszureden. Doch Akane machte keine Anstalten, sich auch nur einen Millimeter von mir zu entfernen. „Wieso? Sollten Verlobte sich nicht mögen?“ Augenblicklich zuckte ich zurück und knallte mit meinem Kopf gegen die Wand. Was hatte sie gerade gesagt? Ich rieb mir meinen Hinterkopf, der außergewöhnlich stark schmerzte. Immer wieder starrte ich sie an, konnte nicht glauben, dass sie das wusste. „Woher...?“ Ich schluckte. „Woher ich das weiß?“ Die junge Frau zuckte mit den Schultern. „Spielt das eine Rolle?“ Nein, das tat es nicht. Wieder kam sie mir näher, doch dieses Mal konnte ich nicht zurückweichen. „Mal im Ernst. Was glaubst du, hatten wir für ein Verhältnis als Verlobte? Was denkst du, taten wir früher miteinander?“ Ihre Stimme klang belustigt, doch sie lächelte nicht, blickte mir nur in die Augen, forschte nach meinem Verstand. Erstaunt stellte ich fest, dass ich mir kein einziges Mal Gedanken darüber gemacht hatte. Es war eine berechtigte Frage, die jetzt auch in mir Interesse weckte. Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihren Rücken. Jeder weiß ja, wie ein verlobtes Paar miteinander umgeht. Jeder weiß, was für Gefühle und Berührungen in solch einer Beziehung existieren. *** „Ich glaube...das muss man...mit jemanden tun...den man auch mag.“ „Verstehe...mit mir kannst du es natürlich nicht!“ „Das habe ich nicht gemeint!“ ... „Wenn es dir nichts ausmacht...will ich gerne...“ ... *** Also war es nicht falsch, ihr so nahe zu sein. Es gab keinen Grund, mich schuldig zu fühlen. Als ihr Verlobter nutzte ich sie nicht aus. Nein, das tat ich nicht. Ich mochte sie ja! Ich war erregt, als sie mich küsste. Verzweifelt versuchte ich meine Gedanken zu ordnen, doch sie entglitten mir, wie Eis das in der Sonne zerfloss. All mein Sinne waren aufs Äußerste geschärft, ich schmeckte ihre süßen Lippen. Akane vergrub ihre Hände in meinen Haaren, drückte ihren Rücken durch und presste sich an mich. Ich spürte ihre weichen Brüste an meinem Oberkörper und befürchtete, mich nicht länger halten zu können. Mein Blut kochte, mein Verlangen stieg. Ich wollte immer mehr. Mit meinen Armen fuhr ich unter ihren Pullover und streichelte ihren Rücken, hörte sie leise seufzen. Und in diesem Moment verlor ich entgültig meine Beherrschung. Wie wild küsste ich die junge Frau in meiner Umarmung. Schnell griff ich unter ihre Arme, erhob mich und presste Akane stürmisch gegen die Wand. Sie schlang ihre Beine um meine Hüften, um nicht zu fallen, während ich mit meinen Händen ihre Handgelenke packte und diese über ihren Kopf an die Wand nagelte. Ich wollte nie mehr von ihr lassen. Meine Lippen bedeckten ihren Hals, ihr Dekolteé und ihr Gesicht mit heißen Küssen, während mein Innerstes vor Erregung zu platzen drohte. Gedämpfte Stimmen von draußen drangen an mein Ohr. Ich hörte, wie Akanes Vater nach uns rief, doch selbst jetzt ließen wir nicht voneinander ab. Inzwischen hatte Akane ihren Arm um meinen Hals geschlungen und ich fuhr mit meiner linken Hand ihren Oberschenkel entlang. Ihre Haut war so zart, sie verführte mich immer wieder dazu, sie zu berühren, sie zu küssen. Ich schob ihren Rock ein wenig hoch, streichelte sanft ihre Hüften. Meine Lust schien mich zu überwältigen. Ich wollte...wollte... Schritte erklangen auf dem Flur, Akanes Vater schob geräuschvoll die Tür zur Seite, doch bevor er auch nur einen noch so winzigen verhängnisvollen Blick auf diese Situation werfen konnte, hatten Akane und ich uns einige Meter voneinander entfernt. Wir waren beide schwer außer Atem, erhitzt und rot im Gesicht. „Was macht ihr beiden denn hier?“ riss uns die tiefe Stimme des Hausherren aus unserer Erstarrung. Wie aus der Pistole geschossen gab ich ihm eine Erklärung. „Wir trainieren.“ Gekonnt ignorierte ich den misstrauischen Blick meines Schwiegervaters in Spee, den er mir noch zuwarf, bevor er die Trainingshalle wieder verließ. Später am Abend, - ich saß auf der Fensterbank und blickte in die Nacht hinaus -, ließ ich innerlich immer wieder den Tag Revue passieren. Die restlichen gemeinsamen Stunden an diesem Tag war ich erfolgreich Akane entgangen. Nicht das ich mich jetzt dafür schämte was passiert war, oder gar irgendetwas bereute, aber es hatten sich wieder Gewissensbisse in meine Gedanken geschlichen. Natürlich ergab es einen Sinn, dass wir, als Verlobte, eine wundervolle Beziehung hatten. Jedenfalls in unserer Vergangenheit. Bestimmt haben wir uns aus vollem Herzen geliebt, wir hatten uns tag täglich gesehen, berührt, geküsst. Und vielleicht sogar noch mehr! Doch so sehr ich mich auch anstrengte, so sehr ich das auch wollte, all das kam mir fremd vor. So, als hätte ich so etwas noch nie erlebt. Es machte mich rasend. Mir kam ein schrecklicher Gedanke. Waren die Gefühle zu diesen Erlebnissen etwa auch dem Gedächtnisverlust zum Opfer gefallen? Stöhnend nahm ich eine andere Sitzposition ein. Die krampfhafte Haltung ließ meine Glieder schmerzen. Ich fühlte mich mies. Es war nicht gerecht, dass ich -. Ich horchte auf. Ein weiteres Mal vernahm ich ein Klopfen an meiner Tür. Schnell sprang ich von der Fensterbank und schritt zur Tür. Doch ich schaffte es nicht rechtzeitig und das Stück Holz wurde von außen geöffnet und gegen meine Stirn gestoßen. Ich spürte den Schmerz und torkelte benommen einige Schritte zurück. Akanes entsetzter Ausruf folgte sofort. „Du liebe Güte, Ranma! Hast du dir wehgetan?“ Was war denn das für eine Frage? Mir lag schon eine spitze Bemerkung auf der Zunge, die ich jedoch hinunterschluckte, als sie plötzlich ihre Finger sanft auf die pochende Stelle legte. Ihre Fingerkuppen waren kalt und linderten den Schmerz ein wenig. Natürlich war ich überrascht, doch es wäre eine Lüge, wenn ich bestreiten würde, dass es mir gefiel. Ich spürte, wie sie langsam begann, mir durch die Haare zu fahren. Genüsslich schloss ich meine Augen, wieder stieg mir ihr wunderbarer Duft in die Nase. Leise seufzte ich auf und nahm wahr, wie sie augenblicklich ihre Hände wegzog und sich schnell von mir entfernte. Verwundert öffnete ich meine Augen. Akane blickte zur Seite, leicht beschämt wie ich feststellte. „Ich muss dir was sagen, Ranma.“ sprach sie leise und mit einem Zittern in der Stimme. Höflich deutete ich ihr, sich zu setzten und sie nahm auf meinem Bett platz. Ich ließ mich neben sie nieder. „Also, wegen heute Nachmittag...“ Ich hab’s gewusst. Es war ein Fehler! Sie bereute es! Ich biss mir auf die Zunge. Niemals, niemals hätte ich mich zu so etwas hinreißen lassen dürfen. Ich war ja so dumm, so unglaublich dumm! Sie räusperte sich. „Ich muss mich bei dir entschuldigen. Das war unfair.“ Verwirrt starrte ich meine Verlobte an. Das ergab keinen Sinn. Was war unfair? Gerade wollte ich genauer nachfragen, als sie schon weitersprach. „Seit Tagen muss ich zusehen, wie das Medikament bei dir wirkt, wie du dich langsam wieder erinnerst, während sich bei mir nichts tut. Das frustriert mich, Ranma.“ Sie holte tief Luft. „Deshalb hab ich dich geküsst.“ Eine drückende Stille entstand. Schon eine Weile starrten wir uns nur an und langsam dämmerte ihr, dass ich kein Wort von dem verstanden hatte, was sie mir mitteilen wollte. „Es wird doch immer behauptet, dass man sich an Dinge erinnern kann, die einem wichtig waren, wenn man sich mit eben solchen Momenten konfrontiert sieht.“ Mit einem Satz sprang Akane auf. „Wieso kannst du dich erinnern und ich nicht? Wieso wirkt das Medikament bei dir und bei mir nicht? Ich habe es satt, Ranma! Ich habe es so satt. Es fühlt sich an, als ob ich ständig meiner Vergangenheit hinterher renne, wenn sie wieder um eine Ecke huscht. Aber ich bin zu langsam, immer entwischt sie mir.“ Ich sah, dass sie den Tränen nah war. Wie sehr wünschte ich mir, sie in den Arm zu nehmen, doch ich konnte nicht. Akane hatte sich schnell wieder gefasst. Und mit einer tonlosen Stimme fügte sie hinzu: „Und deshalb hab ich dich geküsst. Um mich endlich zu erinnern.“ Sie machte auf den Absatz kehrt und wollte mein Zimmer verlassen. Später wusste ich, dass dies der Moment war, in dem ich ihr Held hätte werden können. Doch ich war blind, wie so oft schon in meinem Leben. Ich war geblendet von den Worten, mit denen sie mich verletzt hatte. Immer wieder musste ich an ihr Gesprochenes denken, an den Tonfall, den sie mir entgegen geschmettert hatte. „Und kannst du dich jetzt erinnern?“ Meine Verlobte schloss die Tür hinter sich. Und ich wusste die Antwort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)