Shadow von Calyses ================================================================================ Kapitel 2: Velvet ----------------- 2.Velvet Am nächsten Tag war der Himmel grau und Wolkenverhangen. Zumindest regnete es nicht mehr. Shadow hatte in seinem Steinhaufen ruhig geschlafen. Zum ersten Mal seit dem Verschwinden seiner Familie hatten ihn keine Alpträume gequält. Wahrscheinlich hatte er die richtige Entscheidung getroffen, als er beschloss den Wald zu verlassen. Seinen ganzen Mut zusammen nehmend stand Shadow auf der Böschung, die den Wald von der gewaltigen Ebene trennte. Jetzt musste er es tun. Nach diesem nächsten Schritt gab es kein zurück mehr. Er schloss die Augen, setzte eins seiner kleinen Pfötchen vor das andere verlor auf dem glitschigen Untergrund den Halt und purzelte kopfüber die regennasse Böschung hinunter. Solange die Böschung triefend nass war und Fiffyen so klein, gab es wirklich kein zurück in den Wald mehr für das junge Pokémon. Am Vortag, vom Wald aus hatte hier alles wie ein großes wogendes Meer ausgesehen. Beim durchwandern der Felder sah Shadow nun aber, dass keineswegs alles eine riesige homogene Masse war. An manchen Stellen hielt Moos das Regenwasser zurück und morastige Stellen bildeten sich. Zwischen dem Gras wuchsen Kräuter und Pflanzen, die sich alle im Geruch unterschieden, Brennnesseln und Disteln stießen an manchen stellen vereinzelt, an manchen Stellen in großen Polstern durch das Gras. Das Fiffyen lief durch eine grüne Höhle, die sich ständig veränderte, aber nie aufzuhören schien. Über seinem Kopf wog und peitschte das Gras im Wind, wobei es das Wasser abzuschütteln versuchte, das darum in einem stetigen Sprühregen auf die Erde fiel. Shadow versuchte instinktiv unter den größten Pflanzen zu laufen um sich zu verbergen. Augen hätten ihn auch kaum wahrgenommen, da er sowieso kleiner als das meiste hoch gewachsene Grün um ihn herum war. Doch eine Nase konnte dieses Versteckspiel nicht täuschen. Da Shadow die meiste Zeit mit dem Wind lief, warnte er jegliches Kleintier vor seiner Anwesenheit. Seinen Durst konnte er an den Wassertropfen stillen, die an den Grashalmen klebten, doch nach einiger Zeit des Laufens fühlte er, wie sich eine Leere in seinem Magen breit machte. Zu Beginn seiner Irrwanderung hatte er natürlich noch größeren Hunger gehabt, aber wer wusste, wann er das nächste Mal etwas zu fressen fand. Shadow lief so schnell ihn seine kleinen Pfötchen tragen konnten. Jeder Schritt brachte ihn weiter von seiner Heimat weg. Plötzlich schrak es zusammen und überschlug sich fast, als es auf der Stelle stehen blieb. War da nicht eben ein Schatten gewesen, ein Rascheln im Gras das nicht von ihm stammte? Shadow ging vorsichtig weiter, seine Pfötchen begannen von der ungewohnten Anstrengung zu schmerzten und er begann zu hinken. Vor ihm schien mehr Licht durch das Gras. Die dunklen Wolken, die während der ersten Tageshälfte über den Himmel zogen wurden zu weißen fedrigen Fetzen und die Sonne schien durch das sich lichtende Grün. Der Boden fiel sanft zu einer Senke ab, in der noch Wasser vom Regen der vergangenen Nacht stand. Wie wohl das angenehm kalte Wasser den geschundenen Läufen tat. Nach einer kurzen Zeit Ruhe stieg Shadow zur anderen Seite aus der Senke. Als er seine Schnauze durch die nächsten Grashalme schob, bot sich ihm ein unglaublicher Anblick. Von einem bis zum anderen Ende seines Blickfeldes erstreckte sich ein breiter dunkler Streifen, wie ein großer, träger Strom dahin fließend, bis in die Unendlichkeit. Die Wärme der Sonne ließ feine Dampfschwaden über der feucht glitzernden Oberfläche emporsteigen. „Das ist eine Straße. Sie ist von Menschen gemacht!“ Shadow schrak zusammen. Wer hatte das gesagt? Verängstigt blickte er sich um. Neben der Stelle, an der er durch das Gras gekommen war saß ein Geschöpf, wie er noch nie eins gesehen hatte. Es musste hinter ihm her gekommen sein, ohne dass er es bemerkt hatte. Wieso hatte er es nicht gehört? Doch nun waren diese Fragen nicht wichtig. Was war das für ein wesen und was wollte es? Die Schnauze, schwarz wie Schiefer, war umrahmt von einer schneeweißen Mähne, deren lange Haare, durch den Wind zerzaust, bis auf die Brust und leicht über die Schultern des Geschöpfes reichten. Das Dichte kurze Fell, das den drahtigen Körper umspielte war ebenso weiß wie die Mähne und bildete mit ihr zusammen einen krassen Gegensatz zu der schwarzen Schnauze. Shadows ängstlicher Blick fiel auf die großen schwarzen Klauen, die die Pfoten dieses Wesens, groß wie Pranken, zierten. Doch noch auffälliger war das Horn, das zu einer Seite der Schnauze durch die Mähne brach, die Symmetrie des Gesichtes auflöste und über den Kopf des Geschöpfes ragte und genauso scharf in den Himmel schnitt, wie die ebenso schwarze Rute. „Wer oder was bist du?“, fragte Shadow von diesem Anblick stark verängstigt. Was wollte dieses Geschöpf von ihm? Würde es ihn im nächsten Moment anfallen und seine riesigen Krallen in seinen kleinen Körper schlagen um ihn kurze Zeit später genüsslich zu verzehren? Aber, warum hatte es ihn dann nicht schon angegriffen? „Ich? Ich bin Velvet! Ich komme von den Bergen, dort wo du scheinbar hin willst.“ Bei diesen Worten erhob sich das Wesen und schritt auf Shadow und die Straße zu. Shadow sah nun, dass es nicht viel größer war als er selbst. Vielleicht überragte es ihn um eine Kopflänge. Die weißen Läufe ließen schienen fast schon zu lang für den im Gegensatz dazu kurz geratenen Körper. Dennoch verliehen sie dem Wesen eine gewisse Anmut und Eleganz. Andere würden vielleicht sagen, dass sich weniger Anmut als Hochnäsigkeit in den Bewegungen wieder spiegelte. „Wa-wa-wa-was…?“ versuchte Shadow zu stottern, doch Velvet fiel ihm ins Wort. „Hör zu! Ich beobachte dich jetzt seit einiger Zeit.“ Velvet machte eine kurze Pause bevor sie weiter sprach. „Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du mich brauchst, wenn du dort ankommen willst. Du hast viel Glück gehabt… bis jetzt. Aber ewig mein Kleiner, ewig wird das nicht weitergehen. Hast du dir eigentlich schon eine kleine Mahlzeit gefangen, heute? Bestimmt nicht…“ Velvet umkreiste Shadow, der sich immer weiter zusammenkauerte. „Weißt du Kleiner, dein Mut gefällt mir. Ganz allein hier umherzulaufen. Eigentlich kannst du nicht sehr alt sein, denn sonst wärst du vorsichtiger und wahrscheinlich wärst du dann nicht so klein geraten. Unentwegt starrte Shadow dieses Wesen an. Ihm war immer noch nicht klar, was es von ihm wollte. Velvet waren diese ängstlichen Blicke nicht entgangen. Für den Anfang konnte sie sich die Unsicherheit des kleinen Welpens zu Nutze machen. Dazu sollte sie diese aber noch etwas schüren. Shadows Augen folgte immer noch jeder ihrer Bewegungen. „Wahrscheinlich, “, dachte Velvet, „hat der Kleine bald soviel Angst vor mir, dass er keine Fragen stellen wird.“ Fragen waren etwas, was Velvet um jeden Preis vermeiden wollte, denn Fragen würden sie in jedem Fall an die schmerzhaften Geschehnisse der vergangenen Tage erinnern. Sie blieb direkt in der Sonne stehen, so dass Shadow seinen Blick von ihr abwenden musste, denn das strahlend weiße Fell blendete seine Augen. „Komm mit!“ bellte sie Shadow zu und lief einige Schritte, doch er war wie erstarrt, so gewaltig hatte das Auftauchen und Gebaren dieser Fremden auf ihn gewirkt. Als sie über die Schulter zu ihm zurück sah, bemerkte sie, dass er sich nicht gerührt hatte. „Sag mal Kleiner, bist du taub? Du sollst mitkommen! Oder willst du solange hier sitzen bleiben bis dich vielleicht ein Mensch findet?“ Diese Worte drangen zu Shadow durch. Menschen! Sie waren schuld, dass er jetzt nach seiner Familie suchen musste. „Du willst, dass ich mit dir komme?“ fragte er. „Aber wa…?“ Wieder fiel sie ihm ins Wort. „Frag nicht so viel, komm lieber mit. Du hast doch bestimmt Hunger, oder? Wollen wir doch mal sehen, was sich dort drüben so finden lässt“ „Dort drüben? Du willst doch nicht über dieses von Menschen gemachte Ding?“ Angst vibrierte in seiner Stimme. „Nun stell dich nicht so an! Sieh her!“ Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen ging sie stracks auf die Straße zu und setzte eine ihrer Pranken auf den dampfenden Asphalt. „Es beißt nicht!“ Shadow setzte sich langsam in Bewegung und trottete zur Straße, allerdings in gebührendem Abstand zu diesem komischen Wesen, das ihm einen Schrecken nach dem anderen einjagte. Wenn dieses Tier ihn nicht fressen wollte, was wollte es dann von ihm und warum fing es plötzlich an ihm zu helfen? Hatte es nicht gerade auch etwas netter geklungen, wie wenn es sich sorgen machen würde. Aber wie kam ein wildfremdes Wesen dazu sich um ihn zu Sorgen? Ein letzter Blick auf die riesigen Krallen des Geschöpfes sagten ihm, dass es das Beste sei, wenn er momentan einfach nur tat, was von ihm verlangt wurde. „Was ist? Beeil dich ein bisschen. Komm, bevor ich es mir wieder anders überlege…“ Velvet stand schon mitten auf der Straße. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)