Das Portal von Rentalkid ================================================================================ Ruhe Vor Dem Sturm ------------------ Kapitel 7 – Ruhe vor dem Sturm Wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm verhielt sich die Elfenbeinsee an diesem Nachmittag und zeigte sich somit der kleinen Kogge gnädig, die zu jener Stunde einsam das Meer überquerte, welches Caims – die größte Insel Minewoods – schon seit Jahrtausenden vom sagenumwobenen Kontinent Adessa trennte und nicht selten einen todbringenden Grenzwall darstellte. Nicht so an diesem Tag, und so sollte sich der Aberglaube einiger ängstlicher Dunkelelfen auf dem leichten Passagierschiff zu deren Erleichterung nicht bestätigen. „Einerseits hoffe ich, dass wir so schnell wie möglich dieses verfluchte Meer hinter uns gelassen haben werden, andererseits fürchte ich mich weit mehr vor ... du weißt schon was ...“ Zwei junge, männliche Jäger unterhielten sich am Bug des Schiffes. Sie waren merklich angespannt. Von ihren überwiegend weiblichen Kameraden schienen sie abgekapselt, wie es untereinander jedoch nicht untypisch war. Wo man auch hinsah: Die blauen Spitzohren hielten sich soweit wie möglich entfernt von der Reling, scheuten die Nähe zum offenen Gewässer. Es war schlichtweg nicht das liebste Element dieser stolzen Rasse. Ein Gruppe Frauen besprach einige Meter von dem Duo entfernt wehmütig die anstehenden Aufgaben. „Wieso müssen ausgerechnet wir nach Adessa? Sind dafür nicht die Soldaten da? Was können zwölf von uns dort schon ausrichten?“ „Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Und alles nur wegen dieser verdammten Menschen!“ Ein verschlagen aussehender, großer Elf mischte sich in die Diskussion ein. Mit einem Augenzwinkern und lässiger Handbewegung versuchte er die verspannte Stimmung aufzulockern. „Was macht ihr euch Gedanken? Sang ist doch dabei, also wird's ein Spaziergang. Der Kommandant würde seinen Sohn doch nicht zum Teufel jagen. Beruhigt euch also wieder!“ Unter Deck, im spärlich bemessenen Stauraum des Schiffes, drängelten sich hinter schweren Gittern die unruhigen Nutztiere der Jäger. Leiria trieb es hier her und auch Sang hockte mit schwerem Blick ganz am Ende des Lagers. Das ständige Auf und Ab des Schiffes bekam dem jungen Dunkelelf überhaupt nicht. Die verhasste Jagdkumpanin amüsierte dieser Umstand zudem – auf Streit war sie aber nicht aus. Braja schritt die hölzernen Stufen zu den improvisierten Stallungen hinab. „Hier bist du! Ich hab dich gesucht, es ist Zeit zu ...“ Kurz bevor sie den Satz beenden konnte, bemerkte auch die Anführerin des ausgesandten Jagdschwadrons die Anwesenheit des ungebetenen Gastes. Zunächst fühlte sie sich auf frischer Tat ertappt, auch wenn noch gar nichts Bedeutendes ausgesprochen worden war. Sang jedoch sah nicht so aus, als hätte er die Ankunft Brajas überhaupt bemerkt. Die Übelkeit stand ihm in sein kantiges Gesicht geschrieben. Mit einem eindeutigen Handzeichen bat die junge wie erfahrene Elfe ihre engste Freundin zu sich und flüsterte ihr ein bedeutsames Anliegen zu. „Ginge es nach Gardif, würden wir die Menschen nur überwachen und Meldung machen, sollten sie tatsächlich weitere Angriffe planen. Lady Uriah will jedoch den Jungen, was für uns bedeutet, dass wir ihn nicht nur ausfindig machen, sondern auch entführen müssen!“ Leiria seufzte niedergeschlagen. „Und wie wollen wir das anstellen? Jeder hier kennt die Instruktionen! Wenn wir intervenieren, obwohl wir es nicht dürfen, ist das Verrat! Dann sind wir alle aufgeschmissen! Vor allem mit dem da im Gepäck.“ Entnervt blickte die junge Dunkelelfe aus den Augenwinkeln in Richtung Sang, der sein spärlich bemessenes Frühstück jetzt kaum noch bei sich behalten konnte. „Wir trennen uns zu gegebener Zeit vom Rest der Gruppe – mit Sang-, damit niemand einen Verdacht schöpft. Dann gelte es nur noch, ihn irgendwie loszuwerden.“ Die blauen Augen Leirias leuchteten, ihre spitzen Ohren ragten in die Höhe und ein kindliches Lächeln komplettierte das abstrakte Mienenspiel. Die hübsche junge Frau agierte fast wie ein kleines Kind, dem man ein heiß ersehntes Spielzeug schenkte. „Sang loswerden? D-du m-meinst ihn um---“ „Willst du noch etwas lauter reden, Mädchen?“ stauchte Uriah ihre Gefährtin zusammen. Ihr kleiner Freudentaumel hatte Leiria die prekäre Situation kurzzeitig vergessen lassen. Peinlich berührt, schlug sie die Hände vor dem Mund zusammen und entschuldigte sich im Flüsterton. „verzeih' mir! Es ist nur ... Himmel, wie lange warte ich schon darauf, ha ha!“ Braja zog verwundert die Augenbrauen hoch und antwortete: „Ist ja allerhand. Du würdest ihn also wirklich töten? Hat er das in deinen Augen verdient?“ „Wer braucht den schon?“ Leiria streckte ihrer Kameradin schelmisch die Zunge entgegen, ebenso lässig, wie sie vom möglichen, tragischen Ableben eines der Ihren sprach. „Selbst seinem alten Herren ist er ein Klotz am Bein, nur zugeben, würde Ortoroz das nicht. Aber ihn in unsere Gefilde abzukommandieren, ist doch Beweis genug.“ In den Worten ihrer Freundin konnte die Anführerin dieser bedeutsamen Mission einige noch nicht gekannte Seiten jener hochgeschätzten Dunkelelfe kennenlernen. Allerdings gefielen sie ihr nicht. Die Leichtigkeit mit der Leiria offen über den Mord an einem der Ihren sprach, war fast schon beängstigend. „Genug jetzt! Das sollte nur der allerletzte Ausweg sein, damit das klar ist!“ wies die Ranghöchste ihren Schützling energisch zurecht. „Völlig klar!“ gab die junge Leiria sich hörig. „Dann verstehen wir uns.“ Braja fühlte sich genötigt, noch den letzten Gefahrenherd vorsorglich auszulöschen. „Lass dir ja nichts anmerken, verstanden?“ Leiria salutierte – ganz wie eine Soldatin – mit dem zufriedensten Gesichtsausdruck, den sie je aufgezogen hatte „Jawohl!“ ___________________________________________________________ Eine ziemliche Bescherung, die sich Peter jedoch ganz selbst eingebrockt hatte. Sein Wutausbruch, der sich gegen die schweigsame Dunkelelfe entlud, war völlig über das Ziel hinaus geschossen. Mittlerweile zeigte der Franzose sich reumütig. Zumindest Eva hatte Verständnis für seinen Kurzschluss. Dirand trabte am Ende der Vierergruppe hinter der Frau her, der er bei ihrer ersten Begegnung glücklicherweise nicht gleich an die Gurgel gegangen war, die Augen stets verlegen auf den Boden gerichtet. Eva wandte sich ihm zu, versuchte ihn aufzumuntern; nur hatte sie mittlerweile wieder zu altem Trott zurückgefunden, die Emotionen gingen ihr ab. „Mach dir darüber keine Gedanken, es ist ja nichts passiert. Reyne ist nicht nachtragend.“ „Danke. Ich könnte mir aber trotzdem in den Hintern beißen.“ „Vielleicht sollte ich mal mit Elmo reden und die Wogen glätten? Wenn er deine Geschichte erstmal kennt, wird er dir deine Tat sicher nachsehen.“ „Nein!“ Vehement wies Peter die helfende Hand, die die blonde Kriegerin ihm anbot, ab. So laut, dass er sich anschließend vor Ärger auf die Zunge biss. Sicherlich hatten die anderen ihn hören können. Eva auf jeden Fall, die deshalb noch leiser flüsterte. „Wieso nicht?“ Das Mädchen war sogar noch jünger als er. Es wäre zwar hilfreich, aber Peters Meinung nach auch völlig unangebracht, sich diese Bürde abnehmen zu lassen, und dabei war völlig egal, welch hohe Stellung sie in ihren Kreisen auch inne hatte. Peter würde sich selbst mit den beiden arrangieren müssen, schon allein um nicht ein noch schlechteres Bild abzugeben. „Danke für das Angebot, aber ich mach das selbst.“ Skeptisch beäugte die hübsche Ritterin den schwer gezeichneten Jungen aus den Augenwinkeln. So recht glauben, konnte sie ihm nicht. Schwer vorzustellen, dass dieser junge Bursche den Mumm dazu aufbringen könnte, auf einen Schrank wie Elmo zuzugehen, und sich ihm zu erklären. Der Gedanke daran ließ Eva kurzzeitig sogar das Laufen vergessen und so zog Peter schließlich an ihr vorbei. Bei dieser Gelegenheit eröffnete sich ihr eine ganz andere Seite des Jungen – voller Überzeugung und Willenskraft. Seine Körpersprache, sein Blick; die junge Dame war beeindruckt, und vor allem gespannt darauf, ob er seinen markigen Worten auch Taten würde folgen lassen können. Peter stapfte gehobenen Hauptes auf den bulligen Soldaten mit dem grünen Haupt und der modischen Frisur zu, der ihm nur wenige Minuten zuvor die Tracht Prügel seines Lebens verpasst hatte. „Elmo, richtig?“ fragte der Franzose ganz unverblümt. Leicht irritiert legte sich der Ritter seine Antwort zurecht. Neugierig, was der Junge zu sagen hatte, war er durchaus. „Richtig. Hab deinen Namen noch nicht aufschnappen können.“ „Peter.“ Eine träge Auf- und Ab-Bewegung mit dem Kopf sollte Elmos zur Kenntnisnahme signalisieren. Bis jetzt lief das Gespräch, insofern man es schon als solches bezeichnen wollte, recht vielversprechend. Peter fuhr fort: „Ich wollte mich entschuldigen. So schnell wie möglich, denn ---“ „Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen. Das war ein Missverständnis und sicher nicht dein Fehler.“ „Ich denke doch, denn ich urteilte vorschnell über einen von euch, nur weil er ... sie ... anders aussieht. Deswegen will ich mich zumindest erklären. Bisher hatte ich keine guten Erfahrungen mit der Spezies gemacht, der sie angehört; als sie dann vor mir stand, war ich nicht mehr Herr meiner Sinne.“ So bedacht, wie sich Peter ausdrückte, wortgewandt und mit kräftiger Stimme, wusste er Elmo zu imponieren. Mittlerweile ahnte der Ritter, was den Jungen bewog. Trotzdem sammelte der Jungspund mit dem Schneid, den er in diesem Augenblick bewies, viel Sympathie. „Ich verstehe das. Soweit es mich betrifft, steht einem Neuanfang nichts im Wege. Vergessen wir diese dumme Geschichte, betrachten wir sie als geklärt, in Ordnung?“ Ganz so einfach hatte Peter sich die Sache eingangs nicht vorgestellt, doch auch er durfte zu seiner Erleichterung erkennen, dass der erste Eindruck getäuscht hatte. „Eins noch: Auch ich muss mich entschuldigen, dafür, dass mein Temperament mit mir durchgegangen ist. Es war nicht nötig, dich zu verletzen. Nur war auch ich nicht mehr Herr meiner Sinne, wie du so schön sagtest. Ich hoffe, du akzeptierst auch meine Entschuldigung.“ Mit diesen Worten reichte er Peter die Hand. Elmo überragte ihn um ein paar Zentimeter. Dem Ritter nach den anfänglichen Schwierigkeiten freundschaftlich die Hand schütteln zu können, war eine Genugtuung für Dirand. „Schon vergessen.“ Beide fuhren nun weitaus entspannter mit ihrem Gespräch fort. Es blieb nicht unbemerkt. Eva fiel es in diesem Moment schwer, Peter akkurat einzuschätzen. Lange war es her, dass ein Fremder so zu dem Einzelgänger Elmo durchdringen konnte oder überhaupt nur wagte, es zu versuchen – Sie selbst hatte es nie geschafft. Die komplizierte Attitüde des Mannes widersprach ihrer zielgerichteten Einstellung zum Leben. Womöglich würde der Neue ja seinen Teil dazu beitragen, eine Brücke zu schlagen. „Gibt es viele Dunkelelfen, die an eurer Seite kämpfen?“, drang des Jungen Frage an das Ohr der blonden Frau, die wieder aufmerksam zu lauschen begann. „Ha ha ha, nein, nein“, amüsierte sich Elmo über die Unwissenheit des Neunzehnjährigen. „Viele sind es nicht. Reyne ist gar die einzige, die sich gegen ihr Volk gewandt hat. Das ist nicht leicht für sie, ganz allein unter Menschen. Du verstehst?“ Er beobachtete seine Kameradin bei jedem Wort, das er über sie sprach. Seine Augen funkelten dabei regelrecht. „Den meisten Leuten geht es wie dir, sie haben ihre eigenen Erfahrungen mit ihrer Spezies gemacht, und das waren fast ausschließlich schlechte. Auch wenn sie hier mittlerweile respektiert wird, kann nicht jede Frau und nicht jeder Mann mit ihr umgehen. Viele haben sogar schon Schwierigkeiten damit, sich in ihrer Nähe aufzuhalten.“ „Deswegen ist sie so still.“ „Nicht ganz, schließlich bin ich ja noch da.“ Peter wagte nicht Elmo die Frage nach seinen Gefühlen für die Elfe zu stellen, auch wenn sie sich schon jetzt aufdrängte. Womöglich interpretierte er selbst viel mehr in die spärlichen Informationen, die er bisher sammeln konnte, als sie tatsächlich hergaben. An der Spitze der Gruppe wanderte die Dunkelelfe, die zur Zeit Gesprächsthema Nummer eins war, immer ein wachsames Auge auf die Tiefen des Waldes gerichtet, den sie durchquerten. Sie war hochaufgeschossen, wie es fast alle Dunkelelfen waren, ob nun Männlein oder Weiblein. Längst nicht alle waren jedoch von so natürlicher Schönheit wie sie. Ihr mattschwarzes Haar glich einer Löwenmähne. Zusätzlichen Charakter verlieh ihr der perlweiße Haaransatz, der an einigen wenigen Stellen – wie ihrer Stirn – schon tief in ihr dunkles Haar überging, so als würde die neue Farbe die alte langsam verdrängen wollen. Ihre blaue Haut war relativ hell, sodass sich ihre zahlreichen schwarzen Tätowierungen deutlich von ihrem Körper abhoben. Sie zeichneten die junge Elfe für die Ewigkeit als Soldatin, als Angehörige der Armee, die Lord Gardif vor vielen Jahren aufzubauen begann. Ob nun mit oder ohne die künstlerischen Bemalungen: Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut, stand diese in jüngsten Zeiten doch fast ausschließlich für Angst und Leid. Trotzdem hatte sie in den vielen Jahren nie ihren Stolz verloren, nur überwog er nicht ihren Sinn für Gerechtigkeit. „Wie kam es eigentlich dazu, dass sie mit un... euch kämpft?“ Elmo wurde wieder etwas ernster. Sicherlich war es abzusehen, dass diese Frage früher oder später aufkommen würde, trotzdem hatte er sich noch Hoffnungen gemacht, er könne diesem Thema aus dem Wege gehen. „Das ist eine lange Geschichte.“ „Verstehe ...“ Im Allgemeinen wäre die Sache damit wohl erledigt gewesen, doch zu Peters Überraschung begann Elmo nach einem lauten Seufzer tatsächlich, zu erzählen. ... ... ... ... ... ... Skylark Canyon. Drei Jahre früher (Minewood-Zeit) Das Gebirgsmassiv im Süden Adessas war ein Flecken unberührter Natur. Nur sehr selten verschlug es Bewohner Minewoods in diese Gegend, und das aus gutem Grund. Der riesige, überwucherte Canyon war zwar ein atemberaubend anzusehendes Naturschauspiel, galt aber vor allem als Todesfalle. Ein dichter Wald wuchs auf den Gipfeln der Bergketten bis weit hinunter in die steilsten Täler, die sich kilometerweit durch die Ländereien gruben. Dieses hochgelegene Gebiet überhaupt zu erreichen, verlangte großer Anstrengungen. Wie eine gigantische Plattform ragte das Gebirge aus dem ansonsten flachen Land heraus, so als wäre der Rest des Kontinents über die Jahrtausende hinweg abgesackt, dieser Bereich davon jedoch unbeeinflusst geblieben. Vom Ozean aus gab es keinen Zugang in die fruchtbaren Täler, die so viele fabelhafte Legenden umwoben; zu steil und zu hoch ragten die scharfkantigen Felsen aus dem Wasser. Woher kamen die Eindringlinge also? Aus dem Westen vielleicht? Gar aus dem Norden? Sicher nicht – es handelte sich schließlich um Dunkelelfen! Der Logik nach gab es nur eine Möglichkeit: Sie wurden von Caims aus an diesen Ort gebracht, von Gardif beauftragt. Nur was diese kleine Schar Elfen hier wollte, ließ die beiden Freunde rätseln, die sich in sicherer Distanz im dicken Geäst eines Mammutbaumes einen Überblick über das Geschehen verschafften. „Vielleicht verfolgen sie uns ja?“ Ein allerhöchstens achtzehnjähriger Bursche stellte diese beunruhigende Vermutung auf und wurde dafür postwendend von seinem Anführer gescholten. „Unsinn! Dann würden wir sie wohl kaum bemerkt haben. Sieh sie dir doch mal genau an, Maio: Es sind Soldaten.“ Jetzt fielen dem jungen Kerl auch die schweren Rüstungen und Kriegsbemalungen der Dunkelelfen auf, wenn sie aus so großer Entfernung auch nur sehr schwer zu erkennen waren. Maio hatte darauf gebrannt, den abenteuerlustigen Elmo auf dieser Reise begleiten zu dürfen. Soweit er wusste, war der temperamentvolle Ritter der einzige Mensch, der sich überhaupt schon zuvor so weit in den Süden Adessas vorgewagt hatte. Nach den ersten anstrengenden und allen voran tristen Tagesmärschen verfluchte er seine Entscheidung jedoch schon wieder, behielt seinen Unmut allerdings stets für sich, um seinem Anführer nicht zur Last zu fallen. Immerhin hatte sich der Einzelgänger zunächst gesträubt den Jungspund mitzunehmen. Dessen Wehleidigkeit hätte seine Bedenken nur bestätigt. Wie es in diesem Augenblick allerdings schien, sollte sich die beschwerliche Reise schlussendlich doch noch auszahlen. „Sie sind auf der Suche“, murmelte Elmo. „Aber wonach bloß?“ Maio wurde unruhig. In seinem Bauch begann es, ob der durchaus spannenden aber mindestens ebenso prekären Situation, zu kribbeln. „Wer weiß? Jedenfalls scheint es Gardif das Leben einiger seiner Soldaten wert zu sein. So tief, wie sie in den Canyon vordringen, werden sie vielleicht nicht mehr rauskommen.“ „Äh, das heißt dann wohl, wir folgen ihnen nicht?“ Elmo blickte seinen jungen Kameraden gar nicht an, grinste nur leicht und versuchte dessen Enttäuschung etwas zu lindern. „Nein, nicht heute. Wir können uns glücklich schätzen, ihnen aus solch sicherer Distanz begegnet zu sein.“ „Verstehe ...“ Plötzlich riss Elmo ein Gedanke aus seiner stillen Pose. Aufgeregt wandte er sich an seinen Kameraden: „Maio, reich mir bitte meine Tasche!“ Der Junge nahm es als Aufforderung und händigte seinem Vorbild das schwere Gepäck aus, das über einen massiven Ast neben ihm gehangen war. Ohne seinen Blick von der Elfen-Karawane in der Ferne abzuwenden, packte Elmo die Tasche und zog einen merkwürdigen, schwarzen Gegenstand heraus. Merkwürdig für Maio, der so eine moderne Art Fernrohr noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Es war ein Feldstecher, den Elmo schon bei sich hatte, als er vor vielen Jahren nach Minewood kam. Ein durchaus nützliches Hilfsmittel, wenn es auch sicherlich nicht der Faszination gerecht werden konnte, die Maio im ersten Augenblick dafür empfand. „Willst du mal sehen? Hatte ganz vergessen, dass ich den bei mir habe.“ „Wenn ich darf!?“ In der Tat hatte Elmo ihm das Fernglas schon herübergereicht. Es amüsierte ihn, wie geehrt sich der Nachwuchs-Ritter ob dieser Geste fühlte. „Lass es nur nicht fallen!“, ermahnte er ihn freundschaftlich und instruierte den Jungen anschließend im korrekten Gebrauch des Fernglases. „So herum halten. Ja, genau richtig ...“ Maio hatte die Dunkelelfen nun sehr gut im Blick. Irgendwie schien es den Jungen zu beunruhigen, dem Feind derart über die Schulter zu schauen. Ein gewisser Nervenkitzel war ebenfalls mit von der Partie, da er stets befürchtete, sie könnten ihn und Elmo entdecken. Doch nichts dergleichen geschah. Sieben Männer und drei Frauen konnte er ausmachen. Allesamt Soldaten – wie ihre Körperbemalung verriet. Einige ritten auf Guris, andere liefen nebenher. Inmitten der Karawane zogen zwei der echsenähnlichen Lasttiere eine Art Kutsche durch das überwucherte Gebirge. Die Strapazen waren ihren schwerfälligen Bewegungen anzumerken. Und dann geschah es: Einen kurzen Moment nur schienen die Elfen unachtsam zu sein, und doch reichte es aus, ihr Schicksal zu besiegeln. Zuerst riss es den schwer beladenen Wagen in den Abgrund und mit ihm die unglücklichen Seelen, die versuchten dessen Absturz in höchster Not noch zu verhindern. Dann tat sich der Boden unter den übrig gebliebenen Frauen und Männern auf und verschlang auch sie, zusammen mit dem Dickicht um sie herum. Gräser, Sträucher und sogar Bäume wurden mit ihnen in die Tiefe gerissen. Das Schicksal der Karawane schien auf tragische Art und Weise besiegelt. „Hast du das gesehen, Elmo?“ schrie Maio seinen Kameraden an. „Ja, ja, ich habe es gesehen ...“ Nur was? Elmo war kein abergläubischer und schon gar kein religiöser Mensch, doch wie anders konnte man eben Geschehenes denn beschreiben, als dass sich die Erde auftat und die Dunkelelfen verschlang, sie regelrecht auffraß!? Zum ersten Mal musste der Mann mit eigenen Augen sehen, welche Naturgewalten sich unerwünschten Eindringlingen in Skylark in den Weg stellen konnten. In diesem Augenblick bereute Elmo vor allem, den unerfahrenen Jungen an diesen todbringenden Ort geführt zu haben. „Was ist da nur passiert? Der Erdboden ist einfach eingebrochen, so als ob ...“ „... dieses ganze Gebirge ausgehöhlt und in höchstem Maße instabil ist“, vollendete der ältere Ritter den Gedankengang seines aufgebrachten Freundes. Dazu fiel Maio nichts mehr ein. Natürlich waren die Dunkelelfen ihre Feinde, nur hatte diese kleine Gruppe im Speziellen für die Zwei keinerlei Bedrohung dargestellt. Beide waren ob des Todes dieser Wesen entsetzt. „Letzten Endes wussten sie vorher, worauf sie sich einlassen. Es wird sich auch bis nach Caims herumgesprochen haben, dass man Adessas Südspitze meiden sollte. Ihr Ruf eilt dieser Gegend schon seit Jahrhunderten voraus.“ „Aber meinst du nicht, sie hatten einen guten Grund dafür, hierher zu kommen?“ „Und wenn schon! Wir werden uns ganz sicher nicht aufmachen und es herausfinden“ wies Elmo seinen scheinbar wahnwitzig gewordenen Schützling zurecht. Elmo begann alsbald, sich seinen Weg zurück zum Erdboden zu bahnen. Geschickt kletterte er am Geäst des riesigen, uralten Baumes hinunter, den er und sein Gefährte als sicheren Rückzugsort ausgewählt hatten. Maio tat es ihm kurz darauf gleich, hörte dabei aber nicht auf, auf seinen Mentor einzureden. „Und wenn nun jemand überlebt hat?“ Für einen Moment unterbrach der grünhaarige Heißsporn seinen Abstieg. „Dann wäre das nur noch ein Grund mehr, hier schleunigst zu verschwinden.“ „Ich weiß nicht“ Maio gab sich nachdenklich und seltsam schuldbewusst. „Gebietet es uns nicht die Ehre, zumindest zu versuchen, ihnen zu helfen?“ „Unsere Ehre?“ Scheinbar stand eine längere Diskussion bevor. So viel musste nun auch Elmo einsehen. „Mein gesunder Menschenverstand gebietet mir jedenfalls, mein Glück nicht herauszufordern. Einen maroden Berg willst du erklimmen? Und das alles auch noch, um ein paar Dunkelelfen das Leben zu retten? Klingt für mich so, als wolltest du jung sterben, mein Freund.“ „Ich glaube nicht, dass sie uns was tun würden. Ich meine: Wir sind ja schließlich nicht im Krieg, oder so“, stotterte der idealistische Jüngling. „Und wenn wir nun tatsächlich helfen können, wäre das ja eventuell ein erster Schritt in eine bessere Zukunft, nicht?“ Der große Ritter warf Maio, der sich einen halben Meter über ihm seinen Weg nach Unten bahnte, einen durchdringenden Blick zu. Er war in vielerlei Hinsicht noch ein Kind. Ein naiver Junge. Zum Ritter geschaffen, schien er obendrein nicht wirklich. Zu klein, zu mager, gar zu lebhaft. Einzig an Heldenmut mangelte es ihm nicht, und damit wusste er seinem älteren Kumpanen zu imponieren. Nach einer anstrengenden Kletterpartie erreichten beide endlich wieder festen Boden und sattelten bald darauf ihre Pferde. „Also geht es dir um die Ehre“, ließ Elmo Revue passieren. „Du meinst, wir wären dazu verpflichtet diesen Leuten zu helfen, bestünde die Möglichkeit dazu. Hab ich das richtig verstanden?“ Irgendetwas hatte der Hüne im Hinterkopf, als er diese Frage formulierte, das war offensichtlich. Irritiert gab ihm Maio Antwort: „J-ja, g-ganz recht!“ „Dann soll es wohl so sein!“ „Ist das D-dein Ernst?“ Dem Jungen ging regelrecht das Herz auf. „In der Tat! Ich werde mich auf den Weg machen und retten, was noch zu retten ist, während du hier die Stellung hältst. Wie sich das für einen Anwärter gehört.“ Und so verflog die Hochstimmung des Nachwuchses auch wieder. „Was?“ Entgeistert blickte Maio seinem Vorbild tief in die Augen. „Du hast mich schon verstanden! Zunächst einmal will ich nicht riskieren, so zu enden, wie die Spitzohren zuvor. Deswegen lass ich lieber alle nicht benötigten Pfunde an Ort und Stelle. Am aller wichtigsten aber ist, dass du schlicht und ergreifend zu jung bist, dich in solche Gefahr zu begeben.“ „Aber Elmo---“ „Kein aber! Wenn du auch in Zukunft von mir lernen willst, lerne lieber ganz schnell meine Entscheidungen zu respektieren, verstanden?“ Maio starrte nach dieser Ansprache wütend auf den Boden, würdigte seinen Mentor keines Blickes mehr, zeigte sich jedoch einsichtig. „Verstanden!“ „Gut, Sehr gut!“ Die offenkundige Enttäuschung des Jungen verwunderte Elmo keineswegs. In dessen Alter war er selbst ganz genauso abenteuerlustig und naiv und hätte sich – ohne zu zögern – in derartige Gefahren gestürzt. Doch auch in der seinen Vergangenheit gab es stets Menschen, die ihm diese unsinnigen Gedanken wieder austrieben. „Der Gipfel ist einige Kilometer weit weg von hier, es wird also etwas dauern. Vertreib dir die Zeit, wie immer du willst, aber komm ja nicht auf die Idee, diese Lichtung hier zu verlassen!“ Nachdem Elmo seinem Kameraden diese letzten Anweisungen mit auf den Weg gegeben hatte, griff er zu seinem Schwert und legte seinen Rucksack an, bevor er schließlich aufbrach, noch tiefer in den gefährlichen Canyon vorzudringen. Seine Bedenken, am Ende des Weges womöglich das Schicksal der Dunkelelfen zu teilen, waren nicht kleiner geworden. ... ... ... ... ... ... ___________________________________________________________ Wenngleich es auch die wahre Heimat beider Elfenrassen war, fühlten sich Braja und ihre Untergebenen in Adessa keineswegs heimisch. Die traurige Vergangenheit ihrer gesamten Spezies lag tief im Innern dieser Landen begraben, und das sollte sie – ginge es nach der neuen Generation – auch bleiben. Eine simple Mission hatte sie an diesen Ort geführt, und umso schneller man die Aufgaben erfolgreich zu Ende bringen konnte, desto schneller war man wieder zu Hause. Doch die Anführerin und ihre engste Freundin Leiria wussten es besser: Ganz so einfach und planmäßig würde es diesmal nicht ablaufen. Neun Halbdrachen trugen neun schmächtige, drahtige Dunkelelfen, die von einem steilen Hügel aus ihre Blicke über das riesige Waldgebiet wandern ließen, das sich zu ihren Füßen erstreckte. Die Heimat der Lichtelfen. In allen neun Augenpaaren konnte man Abscheu, Neid und gar Furcht vor diesem fremden Land deutlich erkennen. Von ihrer Position aus war es noch immer ein weiter und beschwerlicher Weg bis nach Tapion. Einen allzu großen Vorsprung hatten die Angreifer allerdings nicht. Hoch über den Köpfen der Elfen kreisten drei prächtige Falken, als würden die Tiere sie beschützen wollen. Braja dirigierte ihr Guri ins Zentrum der Truppe und begann darauf das weitere Vorgehen näher zu erläutern. „Wir werden keine Zeit verschwenden und uns von Ballybofey fern halten! Wir umgehen das Waldgebiet und nehmen anschließend die Fährte der Menschen auf. Vergesst nicht, dass wir hier sind, um zu kundschaften! Wir müssen um jeden Preis vermeiden, entdeckt zu werden; haltet eure Rachegelüste also gefälligst zurück!“ Einige der Männer und Frauen rümpften die Nase und verdrehten die Augen aufgrund dieser Zurechtweisung. Sang meldete sich gar zu Wort. „Den Wald umgehen? Das dauert doch 'ne verfluchte Ewigkeit! Wie sollen wir sie da noch einholen?“ „Ein kleines Jagdgeschwader sollte wohl um einiges schneller unterwegs sein, als eine Horde Ritter. Wir werden eben sichergehen müssen, unser Bestes zu geben! Das heißt: Keine Pausen und keine Entschuldigungen, verstanden?“ Sang antwortete nicht. Sollte diese Belehrung darauf abgezielt haben, ihn einzuschüchtern, hatte sie dieses Ziel verfehlt. Vor seiner verhassten Anführerin Schwäche zeigen, würde der stolze Generalssohn nie im Leben. „Nun gut, die Trupps werden wie gehabt eingeteilt. Leiria, Sang und ich werden gen Westen ziehen. Die beiden anderen Gruppen demnach in Richtung Osten. Wir bleiben in Kontakt. Jeden Tag fliegen wir eine Nachricht von Ost nach West und umgekehrt. Sollte sich etwas ergeben, informiert eure Gruppe das Schiff.“ Einer der Falken, der hoch über Braja und ihren Untergebenen seine Kreise zog, landete während der Ansprache elegant auf der gepolsterten Schulter Leirias, die dem Tier ein Stück Fleisch anbot, das es genüsslich verschlang. Die edlen Flugkünstler waren den Dunkelelfen hörig. Sie dienten ihnen dazu, Nachrichten rasch über größere Distanzen zu überbringen. Jede der Dreiergruppen besaß einen, sodass man sich gegenseitig auf der Höhe des Geschehens halten konnte. Sie alle hatten ihre Herrin, der sie zahm untergeben waren. Für Leiria war es typisch, diese Rolle zu übernehmen, da sie sich zu der gesamten Tierwelt Minewoods in gewisser Weise hingezogen fühlte. Sie liebte die vielfältigen Geschöpfe dieser Welt, ob sie nun so prachtvoll und schön waren, wie der Falke auf ihrer Schulter, oder ... weniger prachtvoll und weniger schön, wie das zweibeinige Ungeheuer, welches sie auf seinem buckligen Rücken trug. „Uns allen steht eine anstrengende Reise bevor, soviel steht fest, doch ich habe vollstes Vertrauen in eure Fähigkeiten und zweifle deshalb auch nicht am Erfolg unserer Mission. Was die Menschen auch vorhaben – ob sie weitere Angriffe planen, oder es von mir aus auch für immer aufgeben – wir werden es herausfinden! Erst dann kehren wir wieder zurück nach Caims, nicht eine Sekunde früher. Ist das bei allen angekommen?“ Brajas Blicke durchbohrten Sang regelrecht. Ihre Untertanen nickten mit entschlossenem Blick. Nur Ortoroz Zögling ging jede Sekunde, die Braja im Rampenlicht ihrer neuerlich erlangten Position verbrachte, auf die Nerven, und das ließ er sie schon ob seiner Teilnahmslosigkeit spüren. Den Rest der Jäger wusste die Ansprache der blauen Elfe jedoch zu motivieren. Keiner wollte auch nur eine Minute länger in Adessa verweilen, als unbedingt notwendig. „Dann brechen wir auf!“, verkündete Braja und appellierte ein letztes Mal an ihre Gefolgschaft. „Vergesst nicht, regelmäßig Meldung zu machen!“ ___________________________________________________________ Seine Geschichte begann gerade, ihren Höhepunkt zu erreichen, doch sah Elmo sich gezwungen, seine Erzählungen zu unterbrechen. Reyne und Eva, die unlängst an den beiden gesprächigen Männern vorbeigezogen waren, hatten die Taverne mittlerweile erreicht, und Peter vermutete völlig richtig, dass es dem Ritter nicht genehm war, vor der Dunkelelfe über die gemeinsame Vergangenheit zu sprechen. So versuchte der Junge seinerseits, den Erzählfluss zu beschleunigen. „Und die Elfen waren alle umgekommen?“ Elmo wurde aus seinen bildhaften Gedankenspielen gerissen. „Alle bis auf eine, versteht sich.“ „Natürlich! Und das war ...“ „... Reyne, die hübsche junge Dame, die du so überschwänglich begrüßt hast. Sie war übel zugerichtet, gar so übel, dass ich sie zunächst auch für tot hielt. Die anderen Elfen waren hoffnungslos verloren, stürzten etliche Meter in die Tiefe. Außer Reyne, habe ich keinen einzigen überhaupt nur zu Gesicht bekommen. Der Canyon hatte sie regelrecht verschlungen, könnte man sagen.“ Elmo fiel der trübe Blick Peters auf. „Obwohl wir beide natürlich wissen, dass dem nicht so war, richtig?“ Etwas überrascht blickte der Franzose zum nun grinsenden Ritter auf. „Wie?“ „Ein Erdrutsch, meine ich. Es war ein Erdrutsch, dem diese armen Seelen zum Opfer gefallen sind. Dafür ist Skylark fast schon berühmt, sicher aber berüchtigt. Natürlich verbreiten sich Märchen von irgendwelchen unerklärlichen Phänomenen und Mysterien besser, und vor allem schneller; doch um sich davon ernsthaft beeindrucken zu lassen, mangelt es uns Menschen wohl an der nötigen Fantasie.“ Elmo wich vom Thema ab. Er versuchte das Gespräch nun zu beenden, da man sich allmählich in Hörweite Reynes befand. Eine Frage konnte Peter ihm jedoch noch stellen. „Und weil du ihr Leben gerettet hast, hat sie sich dir angeschlossen?“ „Ha ha ha, ja! Es klingt seltsam, ich weiß, aber so war es. Ich glaube, diese Demut und diese Dankbarkeit sind tief in den Grundfesten ihrer Seele verankert, in ihren Wesen, wenn du verstehst.“ Peter nickte. Er verstand es sogar sehr gut, auch wenn er bisher nicht die Gelegenheit hatte, die Dunkelelfe näher kennen zu lernen. „Ich finde nicht, dass es seltsam klingt. Klingt nach einer großartigen Geschichte“, gab sich der Junge begeistert. „Na das hört man doch gern! Auch wenn Reyne sie ohne Zweifel noch viel besser erzählen könnte. Du musst wissen, dass sie eine grandiose Rednerin ist, mit einer fesselnden, sinnlichen Stimme. Ganz ehrlich!“ Verwundert fixierte Peter die große Dunkelelfe, die an die hölzerne Wand der Taverne lehnte und mit verträumten Blick in die Tiefen des Waldes blickte, der sie alle umgab. „Sie wirkt gar nicht redselig, eher schweigsam.“ Elmo blieb auf der Stelle stehen, wendete sich Peter zu und sagte: „Es ist in der Tat eher ein seltenes Vergnügen, ihr zuhören zu dürfen, aber dafür auch ein umso größeres. Sie ist mir über die letzten drei Jahre hinweg eine sehr große Hilfe gewesen, eine wahre Bereicherung für mein Leben, und das vieler anderen Menschen, mit denen sie zu tun hatte, ob diese das nun zu schätzen wissen, oder nicht. Sie passt auf mich auf, hält mir den Rücken frei, und ich tue dasselbe für sie.“ Eva näherte sich den beiden Männern eiligen Schrittes, doch unterbrach sie das Gespräch zwischen ihnen nicht. Peter war der Meinung, es wurde passend beendet. Der Ritter Elmo schien ein gutherziger und vor allem aufrichtiger Mensch zu sein. Der erste Eindruck, den Peter auf so schmerzhafte Art und Weise erlangte, hatte ihn zu seiner großen Erleichterung in eine völlig falsche Richtung geführt. „Was steht ihr hier herum?“ Eva stellte die Frage merklich amüsiert. „Peter, es wird Zeit, dich den Anderen vorzustellen!“ Ihrem Elan nach zu urteilen, freute sie sich darauf, den Neuankömmling ihren Gefährten zu präsentieren; wenn ihn das selbst auch eher einschüchterte, ließen seine jüngsten Erfahrungen mit Elmo zumindest anfängliche Ängste verfliegen. Bewusstlos schlagen, würde ihn wohl niemand mehr so schnell. Der Ritter verweilte noch einige Augenblicke in seiner Pose, nachdenklich gestimmt. Beim Anblick seiner Gefährtin Reyne begann sein Erinnerungsvermögen immer wieder Bilder zu zeichnen. Bilder einer alten Geschichte, welche er in ihrer Gänze noch nie jemandem anvertraut hatte. Auch heute nicht. ... ... ... ... ... ... Skylark Canyon. Drei Jahre früher (Minewood-Zeit) Dem Feind mittlerweile so gefährlich nahe gekommen, verlangsamte der umsichtige Mann seine Bewegungen zusehends. Sorgenfalten zeichneten seine Stirn. Wieso war er überhaupt hier? Um zu helfen, oder doch nur, um seinem jungen Kameraden, der zu ihm aufblickte, kein schlechtes Vorbild zu sein? Als er geduckt den letzten Hügel erklomm, der ihn noch vom Orte des Geschehens trennte, zweifelte Elmo, ob er wirklich das richtige Tat. Falls die feindseligen Dunkelelfen dieser Naturgewalt tatsächlich hatten trotzen können, würde es sehr wahrscheinlich zu einer Auseinandersetzung kommen, und wenn Elmo auch ein Krieger war, so spärlich war er an diesem Tage bewaffnet: Es bat ihm keinerlei Rüstung Schutz. Mit einem prekären Intermezzo wie diesem, hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. „Jammern hilft dir jetzt auch nicht weiter, du Held ...“ Diese Worte richtete er an sich selbst, um sich den letzten Schub Selbstvertrauen einzuflößen, den er benötigte, um endgültig bis zum Unglücksort vorzudringen. Was Elmo dort zu Gesicht bekam, verschlug ihm schon bald darauf komplett die Sprache. „Mein Gott ...“ Ein Blick genügte, um dem Mann in Erinnerung zu rufen, mit welcher Ehrfurcht dieser Canyon von den Bewohnern Adessas betrachtet wurde. Man hielt sich besser fern von hier, wenn einem sein Leben lieb war, hieß es – völlig zurecht, wie der todbringende Landstrich es einmal mehr unter Beweis gestellt hatte. Das tückische Gebirge war überwuchert von Gräsern, Sträuchern und Wäldern. So dicht, dass sich Steilhänge selbst dem geschulten Auge oftmals verbargen. Hier allerdings, hatten sich vor kurzer Zeit gänzlich neue Abgründe aufgetan, als ein tiefer Riss in diesem so fruchtbar scheinenden Erdboden die gesamte Karawane verschluckte. Kein Elfenkörper war weit und breit auszumachen, kein Guri, nicht einmal Teile der Ausrüstung. So schnell, wie sich das dramatische Ereignis abspielte, hatten die Männer und Frauen nicht die geringste Chance, sich in Sicherheit zu bringen, oder in irgendeiner Form gegen die Urgewalt anzukämpfen, die sie bedrohte. Zunächst lugte Elmo nur über den Abhang hinaus. Aus sicherer Distanz. Doch auch so offenbarte sich ihm Schreckliches. Das andere Ende dieser massiven Wand aus Gestein und feuchtem Erdboden war nach seinen Schätzungen rund fünfzig Meter von ihm entfernt. Auseinandergerissen mit unvorstellbarer Kraft, die jedoch nur das letzte, winzige Überbleibsel einer noch viel gigantischeren Energie darstellte, die ihren Ursprung in den Tiefen der Erde nahm. Genau dahin zog es nun auch die Aufmerksamkeit des Mannes, der sich zwar längst sicher war, hier keine Überlebenden mehr anzufinden, jedoch seine eigene Neugier nicht länger unterdrücken konnte. Er wollte das Grabmal der Dunkelelfen zumindest mit eigenen Augen gesehen haben. Vorsichtig schaute er über die Klippe hinaus in die Tiefe. Kühle Winde ließen ihn im ersten Moment erzittern. Eine leichte Berührung mit der Hand reichte aus, um einen Steinschlag auszulösen. Zwar waren dessen Proportionen zu verachten, doch fuhr dem wagemutigen Ritter nichtsdestotrotz ein Schrecken durch Mark und Bein. „Reiß' dich zusammen, Mann!“ Hochkonzentriert verschaffte sich Elmo einen Überblick über das Schlachtfeld, auf dem vor kurzem der wohl einseitigste Kampf geführt worden war, den dieses Land jemals zu Gesicht bekommen hatte. An einigen der rasiermesserscharfen Klippen aus Gestein klebte das Blut der Gefallenen. Leichen konnte Elmo immer noch nicht ausmachen. Der Abgrund war dafür schlichtweg zu tief. Doch als sein Blick gen Osten wanderte, stieß er doch noch auf einen blauen Körper. Erst als er sich bis auf wenige Meter näherte, bemerkte Elmo, dass es sich in der Tat um eine Frau handelte. Sie war zwar nicht sehr tief gestürzte – prallte auf einen Abhang, der bei dem Erdrutsch entstand-, doch konnte sich der Mann dennoch nicht vorstellen, dass sie überlebt hatte. Er verschwendete zunächst auch keinen Gedanken daran. Unbeeindruckt, wog er längst ab, ob er sich nicht auf die Kletterpartie einlassen sollte, um den Leichnam zu bergen und der Elfe anschließend die letzte Ehre zu erweisen. Eine verrückte Idee, soviel war sicher, aber sein Ehrgefühl gebot ihm das. Auf den Knien hockend, wendete er sich mit dem Gesicht zu seinem jungen Gefährten, der aus großer Distanz das Geschehen mit Argusaugen beobachtete. Wie würde er es wohl allein auf sich gestellt zurück nach Hause schaffen, sollte dem Ritter etwas geschehen? Elmo zögerte einen Augenblick. Herunter zu klettern, stellte nicht das Problem dar. Schon eher, mit der leblosen Blauen auf dem Rücken die Felswand in die Felswand wieder zu erklimmen. Eine schwere Entscheidung, die ihm ausgerechnet die Elfe abnehmen sollte. „Ka...pitän...“ „Huh?“ Verwundert lehnte sich der grünhaarige Draufgänger ein weiteres Mal über die Klippe. Sie war noch am Leben! Es blieb keine Zeit mehr für reifliche Überlegungen. Elmo stieg zum Abhang hinab, ruckartig und sehr zügig, die ihn stets umgebende Gefahr völlig außer Acht lassend. Gerade als er den letzten halben Meter Weg mit einem Sprung abkürzte, brach wieder ein Laut aus dem schwer verletzten Wesen heraus. „...Hil...fe...“ Ob sie ihn wohl überhaupt wahrnahm? Vielleicht wäre einer gesunden Kriegerin diese Rettungsaktion zuwider gewesen, aber all der tief im Wesen der Dunkelelfen verwurzelte Rassenhass, war in diesem Augenblick ausgeblendet. Elmo handelte sowieso lieber, das lag ihm im Blut. Er löste seinen Gürtel von der Hüfte, setzte die Dunkelelfe auf, nahm sie Huckepack, und schnallte die Frau auf seinem Rücken fest. So fest, wie es eben möglich war. Wie er letztlich das Kunststück vollbrachte, mit der schlecht befestigten Last den Steilhang zu erklimmen, sollte Elmo selbst ein Rätsel bleiben. Doch es gelang! Völlig erschöpft rang der Ritter nach Luft, auf allen Vieren im feuchten Grase. Neben ihm lag die schöne Fremde, die zu seiner Erleichterung noch immer atmete. Zu schwach zum Einen, eine Bedrohung darzustellen, zu schwach jedoch auch, um Elmo einen langen Marsch unter erschwerten Bedingungen zu ersparen. Doch auch in diesem Zustand strahlte sie eine ganz besondere Faszination aus. Wer sie wohl war? Ihr schwarzes Haar, mit den weißen Ansätzen. Ihre kunstvolle Rüstung, die Körperbemalungen, ihre gesamte Aura – sie wirkte wie eine Göttin auf ihren Retter. ... ... ... ... ... ... Reyne hatte bis heute nichts von ihrer Ausstrahlung eingebüßt. Auch war sie zum größten Teil immer noch ein Mysterium für Elmo. Über ihre Vergangenheit wusste er – drei Jahre nach den Ereignissen am Skylark Canyon – kaum besser Bescheid als an jenem schicksalhaften Tag ihres Zusammentreffens. Und doch: immerhin mehr als jeder andere Mensch. Der junge Neuling, den es längst zur Tür der Unterkunft gezogen hatte, schaffte es doch tatsächlich – wenn auch ungewollt – im sturen Kopf des Ritters längst vergrabene Erinnerungen ans Tageslicht zu bringen. Eines war Elmo vor geraumer Zeit schon klar geworden: Nie wieder würde er des scheuen Wesens seiner Gefährtin wegen misstrauisch werden. Es würde sich nicht auszahlen. Im Gegenteil. Noch immer stand der kräftige Mann in voller Montur wie angewurzelt einige Meter von seinen Kameraden entfernt. Sicher wäre es ratsam gewesen, endlich aus den Träumereien zu erwachen, doch zuvor wurde ihm noch eine seltene Ehre zuteil, die ihm den Tag zu versüßen wusste. Gerade als Elmo drauf und dran war, aus seiner Starre zu erwachen, trafen sich die Blicke des unzertrennlichen Duos. Für den Menschen war es üblich, ja fast schon affektiv, beim Anblick dieser zeitlosen, himmelblauen Augen, wie die personifizierte Zufriedenheit dreinzuschauen. Das liebevolle Lächeln der Elfe hingegen war gerade deshalb ein solch süßes Geschenk, da es sich über die Jahre der Bekanntschaft seine Besonderheit bewahren konnte. „Eines vorweg: Nach den jüngsten Geschehnissen sind nicht alle von unseren Leuten bester Laune, was man ihnen natürlich zugestehen muss“, erklärte die junge Frau dem leicht angespannt wirkenden Jungen. „Falls du also ein paar schiefe Blicke mit auf den Weg bekommen solltest, denk dir einfach, sie würden mir gelten.“ Vielmehr wollte Eva sich mit dieser kleinen Ansprache wohl selbst beruhigen. Peter war schließlich schon kurz in der Taverne gewesen und böses Blut gegen seine Person hatte er nicht gewittert. Der mitleidige Blick, den der Junge im Affekt in Evas Richtung aussandte, verriet der blonden Kriegerin, dass er sie durchschaute. Alle etwaigen Abneigungen, die in der stickigen Holzhütte – dem Auffanglager der Menschen in Ballybofey – umherschwirrten, waren mit aller größter Wahrscheinlichkeit tatsächlich gegen ihre Person gerichtet. Die zwei vertieften das Thema nicht weiter und drückten fast synchron die schwere Tür auf. Zur Überraschung beider, waren die Männer und Frauen drinnen viel zu beschäftigt, um sie überhaupt zu bemerken, geschweige denn, zu begrüßen. Tische und Stühle waren verschoben und umgestellt worden, und die ganze Meute saß gebannt im Halbkreis um das Zentrum des Gebäudes versammelt. Von überall her drang Gemurmel durch die dicht gedrängten Reihen, einige der Anwesenden bemerkten nach dem lauten Zufallen der Vordertür auch endlich die Rückkehrer und konnten es kaum erwarten, die spannenden Neuigkeiten zu verbreiten, die es, dem Anblick dieser Versammlung nach zu urteilen, durchaus zu geben schien. Ein riesiger, stämmig gebauter Kerl trat aus dem Gemenge heraus. Seiner schulterlangen, zu einem Zopf gebundenen grauen Mähne und dem Vollbart im gleichen Farbton nach zu urteilen, war der Mann längst jenseits der fünfziger Marke angelangt. Das waren dann aber auch schon die einzigen äußerlichen Anzeichen, bis auf ein paar tiefe Stirnfalten, die auf sein gehobenes Alter hinwiesen. Seine Statur war geradezu monströs. Dagegen wirkte sogar der durchaus kräftige und hochaufgeschossene Elmo wie ein Waldelf, dachte Peter im ersten Moment. Als er schließlich noch mit seiner rauen Bassstimme die zierliche Eva adressierte, war das Bild vom stolzen Wikinger, das sich während dieses ersten Kontaktes in des Jungen Hirn einbrannte, perfekt abgerundet. „Wir haben noch einen Gast, Eva! Und zwar einen echten Helden, wie es scheint!“ Der Bärtige schien das völlig ernst zu meinen, jedenfalls lag keinerlei Sarkasmus in seiner Stimme. was sowohl die Ritterin, wie auch den jungen Franzosen neugierig machte. Während sich die beiden ihren Weg vorbei an ihren Kameraden hindurch bahnten, um an den spannenden Diskussionen teilhaben zu dürfen, betrat endlich auch Elmo die Taverne, nur um ganz genauso überrascht zu werden, wie das Duo vor ihm. Der Frau wurde mit angemessener Höflichkeit Platz gemacht, wohingegen sich der Neuankömmling schüchtern durch die Reihen bitten musste. Peters Gefühlswelt änderte sich beim Anblick der ihm gut bekannten, zerlumpten Arbeitskleidung schlagartig. Ebenfalls bekannt kam ihm das Gesicht des Mannes vor, der nun auch Blickkontakt mit Peter aufgenommen hatte. Die kurzen, ungepflegten blonden Haare, das markante Kinn, die ramponierte Nase, und natürlich dieser herablassende Blick, den er genau in dem Moment aufsetzte, in dem er Peter wiedererkannte. Ein Blick, der sich eingeprägt hatte ... „Du!?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)