Das Portal von Rentalkid ================================================================================ Au Revoir --------- Kapitel 1 – Au Revoir In einer so großen Stadt wie Marseille, mit ihren hunderttausenden von Einwohnern, muss man wohl zu Hause sein, um einen einsamen, gemütlichen Ort zu kennen, den man zu später, sommerlicher Abendstunde ganz für sich allein hatte. Peter kannte so einen Ort, einen Platz an dem ihn niemand störte, wann immer er für sich sein wollte. Der alte Hafen war so überfüllt mit Fischer-, Sport- und Segelbooten, dass man fast nirgends mehr die Wasseroberfläche ausmachen konnte, nur noch ein weißes Meer aus Metall und Kunststoff. Kein sonderlich schöner Ort, aber dafür am Abend ein umso ruhigerer. Nur wenige Menschen hielten sich zu dieser Zeit hier auf, die meisten von ihnen lebten auf ihren Booten, einige waren ganz einfach vernarrt in sie. Peter zog es stets zur äußersten Anlegestelle, die weiter ins offene Meer hinaus ragte als alle anderen. Von hier aus konnte er zum einen das meist rege Treiben auf der Uferpromenade neben ihm aus der Ferne beobachten und hatte zum anderen einen inspirierenden Blick auf die spärlich beleuchtete Altstadt. Stimmen einiger Jugendlicher hallten durch die Abendluft, nur ein paar Meter Luftlinie von ihm entfernt; Eine hohe, massive Felswand trennte ihn von dem Grüppchen. Er hatte keinerlei Interesse an Gesellschaft. Auf seine eigene Weise brachte Peter alle Menschen, die ihm wichtig waren, in Gedanken mit sich mit. Er trug sie mit sich herum, und die Last wog schwer auf seinen Schultern. Viele schöne Erinnerungen waren ihm zwar geblieben, doch genügte dem Jungen das nicht. Obwohl er schon einige duzend Mal zu diesem Ort gepilgert war, unterschied sich dieser Tag von allen anderen. Dieses Mal sollte er den Kampf gegen seine eigene Untätigkeit auf einer ganz anderen Ebene austragen; nicht mehr nur in Gedanken. Die Wurzel allen Übels auszumachen, wäre ein schier unmögliches Unterfangen gewesen. Peter war um seine tiefen Depressionen nicht zu beneiden, aber was unterschied ihn letztlich von den anderen verlorenen Seelen auf dieser Welt? Überall gab es Menschen, die auf der Suche nach neuem Halt waren, einem Ziel, das es wert war, danach zu streben. Peter wusste, dass er sich selbst ernster nehmen müsste, um eine Lösung zu finden, doch stattdessen fiel er Tag für Tag immer tiefer dem Abgrund entgegen. Es begann schon vor zwölf Jahren: Peter war sieben, und seine Eltern ständig auf Reisen. Sie wollten alle schönen Orte auf der Welt zumindest ein Mal gesehen haben, witzelte sein Vater immer. Nur kamen sie von einer ihrer Reisen nicht mehr zurück. Er konnte damals nicht begreifen, dass seine geliebten Eltern tot waren, plötzlich nicht mehr existierten; das überstieg seine kindliche Vorstellungskraft bei Weitem. Tatsächlich hatte der kleine Junge damals geglaubt, seine Eltern hätten endlich gefunden, wonach sie immer gesucht hatten, einen schönen Ort an dem sie eben lieber waren, als im grässlichen Marseille bei ihrem Sohn. Ein dummer Gedanke; doch brannte sich dieser regelrecht in seine Gedanken ein. Auch mit nunmehr neunzehn Jahren konnte Peter noch immer nicht richtig um seine Mutter und seinen Vater trauern. Doch damals hatte er es letztendlich verkraften können, war zumindest gewillt dazu, weiter zu machen. Der Schlüssel zum Erfolg waren seine Freunde gewesen. Behaupten zu können, echte Freunde zu haben, die in der schwersten Zeit zu einem hielten, machte ihn zurecht stolz, und so war es nur logisch, dass der Verlust eines solchen Freundes die am schwersten zu verarbeitende Erfahrung in seinem Leben darstellte. „Fünf Jahre ... auf den Tag genau ...“ Peter stand am Rand des Steges, den Blick gen Sonnenuntergang gerichtet und warf einen Kieselstein in hohem Bogen ins Wasser. Manchmal dachte er darüber nach, selbst auf die Suche zu gehen. „Maurice? Du bist wirklich nicht gekommen ...“ „Entschuldigung?“ Peter erstarrte regelrecht vor Schreck, als er realisierte, dass sich ihm jemand hinter seinem Rücken angenähert hatte. Er musste feststellen, dass ausgerechnet an diesem besonderen Tag ein Fremder ihn in seiner so hoch geschätzten Einsamkeit störte. Gleich danach schoss ihm aber schon der nächste Gedanke durch den Kopf. Könnte es denn wirklich sein? „Maurice?“ Während Peter hoffnungsvoll den Namen seines Freundes aussprach, wandte er sich gleichzeitig in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Oh ...“ Was für eine Enttäuschung. Nun direkt vor ihm stand ein unbekannter, kleinwüchsiger Mann. Eine abstrakte Gestalt, alles andere als glücklich proportioniert. Peter nahm sich vor, nett zu sein. „Hast mich wohl verwechselt, he he! Kommt nicht oft vor, so etwas. Siehst' ja warum.“ Als er den kleinen Mann mit seiner kratzigen, hellen Stimme reden hörte, fragte sich Peter, ob womöglich gerade ein Zirkus in der Stadt Halt machte. Kein sonderlich freundlicher Gedankengang, aber die Figur vor ihm war wirklich nur schwerlich ernst zu nehmen. „Auch auf der Suche, huh? Ich bin es nämlich!“ Komischerweise traf der Zwerg auf Anhieb den Nagel auf den Kopf. „Kann man wohl so sagen; aber eigentlich bin ich nur hier, weil ich keine Ahnung hab, wo ich eigentlich suchen soll.“ Schon allein mit dieser Äußerung hatte Peter dem seltsamen Fremden schon weit mehr verraten, als allen Menschen, die ihm am Herzen lagen. Vielleicht war es ihm ja nur so heraus gerutscht, vielleicht fiel es ihm aber auch ganz einfach leichter, mit einem Fremden über die Dinge zu reden, die ihn bedrückten. „Ja, he he, so sieht das aus. So geht es den meisten Menschen, denen etwas sehr wertvolles im Leben abhanden gekommen ist, ja.“ Nun noch ungläubiger, rang Peter um Fassung. „Wir ... kennen wir uns?“ fragte er verdächtigend, wenngleich er auch nicht wirklich daran glaubte, diesem seltsamen Kauz schon jemals über den Weg gelaufen zu sein. „Oh nein, nein, nein! Daran würde ich mich erinnern, glaub mir.“ „Ich mich wohl auch.“ Mit Sicherheit sogar. „Trotzdem nicht schlecht; ihre Menschenkenntnis mein' ich.“ Peters Anspannung löste sich wieder. Mochte der Mann vor ihm auch seltsam aussehen, zumindest wirkte er alles andere als gefährlich, und wusste mit seinen Äußerungen zu beeindrucken. „Danke sehr, he he. Ich heiße übrigens Neil.“ Die untersetzte Figur kam etwas näher, und streckte seine linke Hand in die Höhe. „Peter“, sagte der Junge und schlug ein. „Sie sind also nicht von hier?“ „Nein nein, ich komme aus einer ganz anderen Ecke. Und wir sind doch jetzt per Du, oder?“ Peter nickte zustimmend. „Natürlich. Ich frage nur, weil sie ... weil du gar keinen Akzent hast.“ „Danke, das hört man gern. Weißt du Peter, ich bin nicht zum ersten Mal hier in Frankreich, auch schon zum zweiten Male in Marseille, wenn ich mich recht entsinne.“ „Aha. Klingt, als würdest du viel herumkommen.“ „Oh ja, sehr viel sogar! He he.“ „Was verschlägt dich ein zweites Mal hierher?“ „Oh, ich liebe das Meer, und die Menschen hier sind ... etwas Besonderes.“ Natürlich fragte Peter in provozierendem Ton nach Neils Beweggründen Marseille mehrmals zu besuchen, hatte er selbst doch keine sehr hohe Meinung von seiner Heimatstadt. Doch auch der Junge mochte das Meer und zumindest einige der Menschen hier, das konnte er nicht abstreiten. „Darf ich dich etwas fragen Peter?“ wagte sich der Fremde weiter vor. „Mmh, warum nicht?“ Die beiden hatten es sich mittlerweile bequem gemacht. Peter saß am Stegrand, den Blick wieder dem Sonnenuntergang gewidmet; Neil stand mit verschränkten Armen neben ihm. „Hast du Etwas, oder Jemanden verloren?“ Peter schwieg zunächst. Bevor er Neil darauf antwortete, wollte er sich ein umfassenderes Bild von ihm verschaffen. Wer war er? In seiner grünen Stoffkutte und mit seinem streng anliegenden, lichten Haar, wirkte er ein wenig wie die Karikatur eines typischen Iren, oder besser gesagt, wie der ihm aus der irischen Mythologie bekannte Leprechaun, nur ohne Goldschatz. Der Jüngste war er auch nicht gerade, was aber eher für ihn sprach. Ratschläge konnte Peter zwar nicht gebrauchen – schließlich hatte er davon die letzten Jahre schon unzählige erhalten-, aber womöglich hatte der Koboldverschnitt ja noch ein As im Ärmel. „Jemanden“ gab der junge Franzose zu. „Ich kann mir nicht vorstellen, das eine Sache mir je so wichtig sein könnte.“ „Oh du würdest dich wundern; jeder Mensch ist anders, he he. Aber du hast natürlich recht: nichts wiegt so schwer, wie der Verlust einer vertrauten Person, das habe ich über die Jahre auch lernen müssen. So sind sie, die Menschen.“ Neil schaffte es nach jedem Satz noch ein wenig seltsamer zu erscheinen. Wovon sprach er eigentlich? Der kleine, alte Mann verstand es vortrefflich, mit Bedacht zu reden. „Und du reist umher um den Menschen Ratschläge zu geben? Nobles Unterfangen, muss man schon sagen.“ „Ganz so einfach sind meine Beweggründe dann doch nicht zu erklären“, erläuterte Neil. „Wie ich schon sagte, bin auch ich auf der Suche. Auf der Suche nach ganz außergewöhnlichen Menschen, he he.“ „Sollte ich mir jetzt Sorgen machen?“ Peter lächelte verlegen, da er immer noch völlig im Dunkeln tappte und sich so langsam wünschte, Neil würde die Karten auf den Tisch legen. „Nein, das ist nicht nötig, he he.“ „Du glaubst in Marseille fündig zu werden?“ Da muss ich dich wohl leider enttäuschen, alle wirklich außergewöhnlichen Menschen sind längst auf und davon.“ Der kleine Mann trabte vorsichtig näher an Peter heran. Er musste sich kaum zu ihm herunter beugen, da er nicht viel höher in die Luft ragte, als der sitzende Junge vor ihm. „Du bist noch hier.“ Ungläubig nahm Peter aus den Augenwinkeln Blickkontakt mit Neil auf, der nun mit einem faltigen, erwartungsvollen Grinsen auf dem Lippen dicht bei ihm stand. „Und wie kann ich ihnen behilflich sein?“ „Dir!“ „Wie bitte?“ „Du wolltest sagen: Wie kann ich dir behilflich sein, he he.“ „Natürlich“, fiel es Peter wieder ein. „Eigentlich gar nicht. Du könntest mir jedoch einen großen Gefallen tun, behilflich, könnte ich dann vor allem dir sein!“ „Wenn's nicht zu abgedreht ist, bitte. Also: worum geht's?“ „Zunächst würde ich gerne dein Wort einholen, he he. Peter, würdest du mir dein Wort geben, dass, wenn ich dir wirklich helfen kann, du mir im Gegenzug einen Gefallen gewährst?“ Peter blickte sich um. Der alte Hafen hatte sich kein Stück verändert. Immer noch konnte er aus der Ferne Geräusche vorbeifahrender Autos und hin und wieder das Gelächter einiger Jugendlicher vernehmen. Er träumte also nicht, wenn das Verhalten des Koboldes auch immer seltsamer wurde. Peter sorgte sich jedoch nicht, dass ihm der alte Mann in irgendeiner Form gefährlich werden könnte. So entschloss er sich, auf das Spielchen einzugehen. „Na gut, warum nicht. Ich frag mich nur, wie du mir helfen könntest. Ernsthaft ...“ „Sehr schön, dann wäre das schon mal geklärt.“ Neil griff zielstrebig in die große Brusttasche seiner grünen Weste und holte zur großen Überraschung des Jungen einen Spiegel hervor. „Du weißt wahrscheinlich nicht, was das hier ist, huh?“ Der Mann fuchtelte und drehte den Spiegel vor den Augen Peters wild herum, als würde er ihn zum Verkauf anbieten. „Na ja ... Sieht verteufelt nach einem Spiegel aus.“ „Richtig, richtig, aber nicht was du darunter verstehst. Ein einfacher Spiegel vermag dir wohl kaum zu zeigen, was dein Herz begehrt, hab' ich Recht?“ So langsam wurde auch dem geduldigen Franzosen das Spiel zu bunt, doch behielt er seine wachsenden Bedenken zunächst für sich; schluckte einige Seitenhiebe, die ihm spontan einfielen, herunter und sparte sie sich für später auf. „Tja, was soll ich sagen? Nein! Meine können das jedenfalls nicht. Keine Ahnung, was in den höheren Preislagen so angeboten wird.“ „Ja ja ja, verstehe schon“ kürzte Neil die sarkastischen Ausflüchte Peters ab. „Du wärst aber auch die erste Person gewesen, die mir das auf Anhieb abgekauft hätte. Weswegen du dich natürlich selbst vom Wahrheitsgehalt meiner kleinen Geschichte überzeugen darfst.“ Neil überreichte dem Jungen den kleinen Spiegel vorsichtig mit beiden Händen; ein verheißungsvolles Funkeln in den Augen verriet seine Anspannung. Peter griff unbeeindruckt sofort zu, ohne ein Wort zu sagen. Der eigentliche Spiegel war in eine dezente Fassung eingelassen, die eine Schar von ineinander gewundenen Schlangen darstellte. Im spärlichen Abendlicht wirkte dieser Gegenstand fast lebendig. Nach kurzem Zögern blickte Peter endlich in den Spiegel und sah zunächst nur das Erwartete: sein Spiegelbild, doch veränderte sich das Bild schon sehr bald. „Was?“ Das war nicht der gut gebaute Junge mit dem kurz geschorenen, schwarzen Haar, der an diesem Abend vom Stegrand aus aufs Meer blickte, sondern ein jüngeres Abbild von ihm – viel schmächtiger, mit Tränen in den Augen. Er konnte dieses Bild sofort zuordnen, auch wenn er damals nicht auf den Jungen herabblickte, sondern durch dessen leere Augen, die die seinen waren, schaute. Das war fünf Jahre her – auf den Tag genau. Beinahe hätte er sich selbst nicht wieder erkannt, so wild, mager und klein. „Schon erstaunlich, nicht wahr?“ Peters Augen blieben auf die Oberfläche des magischen Spiegels fixiert, da sich die Bilder darin weiter veränderten. Lange Zeit schwieg der Junge, denn auch, wenn tief im Innern seiner Selbst die Antwort schon seit Jahren verborgen lag, versuchte er noch immer sie zu unterdrücken, sich selbst zu belügen, bis zum letzten Augenblick. Die eine Hälfte seines Ichs hoffte, nicht ihr Gesicht sehen zu müssen, die andere flehte geradezu danach. „Wovor fürchtest du dich, Peter?“ Wieder so eine lästige Frage. „Ich fürchte mich nicht!“ entgegnete er Neil entschieden. Er bemerkte gar nicht, dass ihm mittlerweile die Tränen in den Augen standen, die er zuvor noch in denen seines alter Egos betrachtet hatte. Mit welchen Tricks arbeitete dieser merkwürdige Zwerg nur? War das alles ein schlechter Scherz? Aber woher sollte ein Fremder ihn so gut kennen, wie eine solche Szenerie erschaffen können, und vor allem: warum? „Oh doch, das tust du! Angst hast du, panische Angst, vor der Wahrheit! Dabei ist sie ein Paradebeispiel für all das Gute im Menschen.“ Neils Stimme klang jetzt viel eindringlicher, fast schon bedrohlich. Jedwede Höflichkeiten schienen auf einmal über Bord geworfen. „Ich war zu jung, verdammt! Mein Leben läuft doch nicht wegen einer dummen Jugendromanze schief!“ Peter sprach diese Worte zwar aus, glaubte zugleich aber nicht im Ansatz an das, was er da sagte und konnte nicht den Bruchteil einer Sekunde seine Aufmerksamkeit von dem Spiegel nehmen. Seine eigenen Gedanken zeigten sich ihm darin wie ein trauriger Kurzfilm – ein ums andere Mal. Seine letzten, verloren geglaubten Erinnerungen an Julie ... „Sei doch wenigstens jetzt mal ehrlich zu dir selbst!“ riet ihm der alte Mann. „Dieser Spiegel lügt nicht. Das tut er nie!“ „W-was ... was soll das denn noch helfen?“ Schließlich hatte Peter genug von den Bildern des Mädchens, das vor fünf Jahren spurlos verschwunden war und ihn einsam zurückließ. Bis heute wusste er nicht, ob sie überhaupt noch am Leben war, oder sich womöglich ihren lang gehegten Traum erfüllt hatte und einfach von allem davongelaufen war. „Wenn ich dir nun sage, dass ich weiß, wo du sie finden kannst, würde es dir etwa nicht weiterhelfen? Würdest du nicht alles darum geben, sie wiederzusehen?“ Entgeistert und völlig perplex starrte Peter Neil nach dessen einschneidenden Fragen an. Seine kleine, zittrige Hand hatte dieser mittlerweile auf seine Schulter gelegt. Der Junge nahm die Welt um sich herum langsam wieder war, bemerkte, wie sie sich veränderte. „Wer bist du?“ Noch bevor Neil antworten konnte, tat sich die Wasseroberfläche direkt unter Peters Füßen auf. Wellen schlugen kreisrund gegen anliegende Boote und schwappten über das Pier. Auch Peter wurde vom kalten Meerwasser durchnässt. Der unerwartete Kälteschock ließ ihn in die Höhe schnellen. Wenn ihn irgendetwas hätte aus diesem Traum reißen können, dann eben diese kalte Dusche. Er zitterte am ganzen Leib, spürte die unangenehme Eiseskälte durch und durch, aber alles war noch immer so surreal wie vorher. Der kleine Mann, den er um mindestens vier Kopflängen überragte, war noch immer da und sah ihn aus seinen funkelnden Augen heraus an. „Wenn du erlaubst, so würde ich jetzt gern den Gefallen einlösen, den du mir schuldig bist.“ „Und der lautet?“ „Steig hinab, mein Freund! Mehr verlange ich nicht, und du wirst es nicht bereuen!“ „Wohin führt dieser Weg?“ wollte Peter wissen, dessen tiefe Melancholie ihn zugleich regelrecht in das Ungewisse drängte. „In ein neues Leben“ versprach Neil. Peter wagte also den nächsten Schritt und sah hinab in den Abgrund, der sich vor ihm auftat. Er erkannte nur beängstigende, tiefschwarze Dunkelheit, die sich ihren Weg in die Unendlichkeit zu bahnen schien. Doch wenn das der Weg war, den er würde gehen müssen, dann sollte es eben so sein! Ein letztes Mal wandte sich Peter an Neil, den mysteriösen Fremden, dem er sehr bald schon nicht weniger als sein Leben anvertrauen würde. „Was wird geschehen?“ Immerwährend blickte die nun zufrieden wirkende Gestalt dem Jungen in die Augen, mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen. Er schien sich längst sicher, sein Ziel erreicht zu haben. „Das liegt einzig und allein bei dir, Peter.“ Mit einer eröffnenden Geste wies Neil dem jungen Franzosen den Weg hinab in das Portal im Hafen. Peter hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ihn der Weg hinführen würde – er glaubte zu träumen. Doch ob Fantasie oder Realität: er würde den nächsten Schritt wagen, denn seit Jahren keimte zum ersten Mal wieder Hoffnung in ihm auf, die Dinge richtig stellen zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)