Engelszorn und Dämonenliebe von Pokerface (Keine Homage an unsere ehemalige Fanart-Admin!xD) ================================================================================ Prolog: Vermeindlicher Frieden ------------------------------ Erschöpft lag Allan in ihrem Bett und schlief. Ihr Geliebter saß auf einem thronähnlichen Sessel und betrachtete sie. Nachdenklich nippte er an seinem Wein, als er ein Geräusch von der Türe hörte. Sachte wurde sie geöffnet und eine Frau mit langem, schwarzem Haar trat ein. Sie trug ein weites, hellgrünes Kleid und ein sanftes Lächeln lag auf ihren Lippen, doch als sie das Gesicht ihres Gegenübers sah, verblasste es und ließ Sorgenfalten auf ihrer Stirn erscheinen. Sie trat vor ihn, verbeugte sich und sagte: „Mein K-…", wurde aber von einer Handbewegung des Schwarzhaarigen unterbrochen. „Du hast es nicht nötig, dich vor mir zu verbeugen und mich mit meinem Titel anzusprechen und das weisst du.“, sagte er und wies auf den ihm gegenüberliegenden Stuhl, „setz dich, Rina.“ Die dunkelhäutige Dämonin ließ sich langsam auf dem Sessel nieder und forschte im Gesicht ihres Freundes. Es spiegelte Trauer und Gram wider, doch da war noch etwas… Der Raum war ruhig, Allans Atem allein durchbrach die Stille. Allans Atem allein… „Was ist passiert, Iblis? Wo sind die Kinder?“ Iblis sah von seinem Kelch auf und sein Blick drückte solche Qual aus, dass Rina es gleich wieder bereute, gefragt zu haben.„Sie sind nicht mehr hier. Morgenstern befahl Edgar, sie nach „Oben“ zu bringen“, sagte er nach einer Weile und seufzte schwer. Fassungslos starrte sie den Dämonenkönig an „Was?! A- aber… Wieso?“ „Meine Tochter ist ein Lichtwesen, das Dämonenblut hat sich nicht durchgesetzt. Und mein Sohn…“ Iblis stand auf und ging zum Fenster. Leise folgte Rina ihm und sie spürte schon jetzt, wie ihr das Herz schwerer wurde; Seit dem Tod seiner Schwester hatte sie ihn nicht so aufgewühlt gesehen. „Das Orakel verlangt ihn… Die Schatten sprachen und sagten, er sei ihr Erbe, haben ihn zum Diener des Orakels gemacht, den Kronprinzen Chrashans. Es war meine und Morgensterns Aufgabe, die Himmlischen auszulöschen, doch wir haben versagt und müssen mit unserer Hoffnung, unseren Kindern, bezahlen.“ Rina spürte, wie sich ein Klumpen in ihrem Magen bildete und sie schluckte schwer. Welche Tragödie war nun im Kommen? War ihrem Freund denn kein Frieden gegönnt? „Die Kinder werden nicht sicher sein. Das Orakel ist allgegenwärtig.“ „Allan weiß das, aber sie tut, was jede Mutter tun würde: Sie versucht, ihre Kinder zu schützen. Und ich auch. Es mag ziemlich verzweifelt wirken, aber in der nicht-magischen Welt sind sie in jedem Fall sicherer als hier, wo Magie ständig gewirkt wird. So werden sie nicht erfahrenen, wer sie sind und dieses Unwissen kann ihnen helfen, verborgen zu bleiben. Ein vorherbestimmtes Leben zu führen, ist eine Grausamkeit, die ich meinen Kindern nicht antun will.“ Er seufzte erneut. „Sie ist eine sehr naive Göttin, meine Morgenstern, und es steckt noch soviel Mensch in ihr…“ „Und doch ist unsere Königin eine weise und gerechte Herrscherin“, warf die junge Dämonin ein. „Ja… ihre menschliche Seite macht sie zu einer besseren Regentin, als ich es je sein werde“ „Nein, mein Kö—“ Iblis brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. „Lass es, Rina. Als Prinz hast du mich nie mit soviel Hochachtung behandelt, dass ich die Stelle meines Vater eingenommen habe, heißt noch lange nicht, dass ich ebenso geeignet dafür bin.“ Er betrachtete Allan und ihr Anblick vermochte, die Sorgenfalten um seinen Mund durch ein zärtliches Lächeln verblassen zu lassen. Ihr Gesicht war noch bleich und man sah ihr die Strapazen der Geburt deutlich an. „Die Prophezeiung hat sich nicht erfüllt. Die Himmlischen regieren noch immer.“ Er machte eine Pause, bevor er fort fuhr, so als wolle er seinen Worten mehr Nachdruck geben. „Wir werden gegen das Himmelsgewölbe ziehen, um das Orakel eine Weile von den Kindern abzulenken. Weder ich noch Morgenstern geben sie freiwillig her.“ Besorgnis spiegelte sich in seinem Gesicht wider und Rina wusste, dass nicht die Sorge um den bevorstehenden Krieg an ihm nagte. Es gab nur eine Möglichkeit, wie sie ihm helfen konnte. „Iblis, ich werde hinauf gehen und über sie wachen.“ Iblis sah sie ernst an. „Rina, du musst das nicht wegen der Treue gegenüber deinem König tun.“ „Ich mache das nicht für den König, ich mache das für dich! Iblis…“ Sie legte ihre Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn. Sie wusste, wie verzweifelt er war, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ, denn sie spürte das Beben seines Körpers. „Iblis, ich werde gehen. Du hast mich damals, als meine Familie ausgelöscht wurde, am finstersten Ort in meiner finstersten Stunde gefunden und eine Kerze angezündet und nun ist es an mir, genau dasselbe zu tun. Du weißt über meine Fähigkeiten Bescheid. Mir wird nichts passie...“ Erschrocken wich sie zurück, als sie bemerkte, wie dreist sie gewesen war. Wieso sollte der König sich um sie Sorgen? Beschämt senkte sie den Blick. „Verzeih, mein König“, wisperte sie, doch Iblis zog sie wieder zu sich und streichelte ihr sanft den Rücken. „Du bist eine wundervolle Freundin, Rina… Vielen Dank.“ Rina sah auf und blickte ihn traurig an. Ich liebe dich… Beflügelt von seiner sanften Berührung, fühlte sie sich dazu geneigt, die Worte laut auszusprechen, mit denen sie schon so lange kämpfte. Doch ihr Blick fiel auf die schlafende Allan und obwohl ihre Augen geschlossen waren, glaubte Rina ihren stechenden Blick zu spüren, fühlte sich ertappt bei einem Verbrechen, welches sie gar nicht begangen hatte. „Ich komme sooft wie möglich hinunter, um euch von den Kindern zu erzählen“, sagte sie und die Tatsache, dass da, wo sie liebte, keine Gegenliebe war, ließ Ihre Stimme kalt klingen und trieb die Bitterkeit wie Galle in ihr empor. Iblis, mit seinem eigenen Problem zu beschäftigt, merkte nicht, was in seiner Freundin vorging. Sie löste sich von ihm, verbeugte sich und spreizte die ledernen Flügel, doch Iblis umfing ihr Gesicht mit beiden Händen, zog sie wieder zu sich und küsste sie sanft und kurz auf den Mund. Der Kuss war nicht mehr als eine Geste der tiefen Freundschaft, die die beiden verband, doch die junge Dämonin erbebte unter der flüchtigen Berührung seiner Lippen. „Ich bin die zu großem Dank verpflichtet, Rina, Herrin der Pflanzen“, wisperte er, ihr Gesicht noch in den Händen haltend, und sah ihr in die Augen. Die Sorgen der vergangenen Stunden hatten das stets leidenschaftlich leuchtende kobaltblau verblassen und ein mattes eisblau erscheinen lassen. Rina nickte stumm, verneigte sich erneut und verließ das Zimmer. Iblis betrachtete noch eine Weile lang Allan, bevor er sich wieder seinem Wein widmete. Er drehte den Kelch in den Händen und dachte über die Zukunft nach. Sein Reich würde erneut in den Krieg ziehen, doch er wollte ihn soweit wie möglich hinauszögern. Ein leises Gefühl in ihm sagte, dass die Kinder seine letzte Hoffnung auf Frieden waren. Der letzte Hoffnungschimmer, der in der ewigen Nacht schwach sein Licht verbreitete. Kapitel 1: Süsser Schmerz ------------------------- Lautlos glitt eine verhüllte Gestalt durch die dunklen Gassen. Der Fremde, ein junger Mann mit langen, schwarzen Haaren, war in einen weiten ebenfalls schwarzen Mantel gehüllt. Bei sich trug er eine Sporttasche und in einer Hand hielt er eine Zeitung, um seine Schulter hing ein Bogen. Er warf einen kurzen Blick auf das Papier, dann näherte er sich einem Haus, klopfte an die Türe und wartete auf eine Antwort, doch nichts geschah. Gelächter drang an seine Ohren und als er sich umsah, entdeckte er ein Fenster, welches ihm Einblick in das Wohnzimmer des Hauses bot. Im Haus befand sich ein brünettes Mädchen, das sich mit einem ebenfalls braunhaarigen Mann unterhielt und immer wieder auflachte. Neben den beiden stand ein dunkelhäutiges Mädchen, welches sich zärtlich um eine Pflanze kümmerte. Eine Aura ging von ihr aus, die der junge Mann sofort erkannte, doch sie schien ihn nicht bemerkt zu haben. Irritiert furchte er die Stirn. Ihn überraschte die Tatsache, dass sie überhaupt hier war, er hatte nicht erwartet, auf jemanden seinesgleichen zu stoßen. Ein leises Gefühl des Misstrauens kam in ihm auf und er entschied, einfach nicht auf das Mädchen zu achten. Ein leises Rascheln lenkte ihn von der schönen Schwarzhaarigen ab und als er sich umdrehte, war ihm, als ob sich etwas über seinem Kopf bewegt hätte. Eine Flut roter Haare… Ein leiser Schauer durchfuhr seinen Körper, als dieser Gedanke sein Bewusstsein streifte. Die Schlange um seinen Hals stupste ihn leicht an und deutete mit ihrem Kopf auf die Türe. Der Fremde klopfte erneut und wieder rührte sich niemand. Er drückte die Türklinke herunter, doch die Türe war abgeschlossen. „Langsam reicht es mir“, wisperte er genervt, hob das Bein und mit einem kräftigen Tritt sprang die Türe aus ihren Angeln und fiel krachend zu Boden. Erschrocken umklammerte das Mädchen ihren Gegenüber und die dunkelhaarige Frau betrachtete den Fremden schockiert, als eine Präsenz den Raum durchströmte. „Wa- Was fällt dir ein?! Sag mal, geht’s noch?!“, rief der junge Mann verdattert, als er sich von seinem Schock erholt hatte. Das Mädchen ließ ihn augenblicklich los und starrte zu Boden. „Die Tür war abgeschlossen und auf mein Klopfen hat niemand reagiert. Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber wenn man mir keine andere Wahl lässt“, antwortete der Fremde kühl, grinste spöttisch und warf die Zeitung auf einen nahe gelegenen Tisch. „Hier drin steht, ihr hättet noch freie Zimmer.“ Verärgert über die Gleichgültigkeit, die der Fremde ihm und seinen Mitbewohnern entgegenbrachte, sah der Inhaber der Wohnung ihn erbost an. „Also, das ist ja wohl die Höhe. Tritt unsere Türe ein und verlangt dann auch noch ein Zimmer! Wer bist du überhaupt?“ Der Neuankömmling schob die Kapuze seines Umhangs vom Kopf und schüttelte seine schulterlangen, ebenholzfarbenen Haare aus. Das dunkelhäutige Mädchen schnappte nach Luft, als sie das Gesicht des Fremden sah und schockierter als zuvor weitete sie die Augen. Sie weiß, wer ich bin, aber diese Reaktion… Wieso reagiert sie so verschrocken? Im Grunde kann ich ihr doch egal sein, dachte der junge Mann, als er sie betrachtete. „Mein Name ist Shadow“, sagte er dann laut, „Und ich bin hier für ein Zimmer. Sofern es meine Finanzen zulassen, bezahle ich den Schaden. Ich habe eine lange Reise hinter mir und wenig Geduld übrig, wollte nicht rau rüberkommen.“ Sein Blick haftete auf dem Mädchen und seine kobaltblauen Augen schienen in ihre Seele zu blicken. Ihr Gesicht drückte Trauer aus und lautlos formten ihre Lippen seinen Namen: Shadow… Überrascht über die plötzlich bedrückende Atmosphäre, trat das braunhaarige Mädchen, das sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte, vor und sagte: „Shadow… seltsamer Name. Na ja, mach dir keine Sorgen wegen der Türe, wir können zusammenlegen. Oh, übrigens, das ist Jeremy und ich bin Dayna. Das Mädchen dort hinten ist Rina.“ Rina drehte sich beim Klang ihres Namens um und Shadow blickte sie etwas verwirrt an, bevor sie davon eilte. Kopfschüttelnd sah er ihr hinterher. Zu gern hätte er gewusst, was diese Reaktion zu bedeuten hatte. Im Stillen entschied er, sie nachher aufzusuchen und mit ihr zu reden, obwohl er ihr lieber nicht zu nahe kommen wollte. Ein leises Räuspern unterbrach seine Gedankengänge und er wandte sich um. Fragend sah Dayna Shadow an. „Also“, begann sie und warf dabei einen verstohlenen Blick auf Jeremy, der sich gerade einem anderen braunhaarigem Mädchen widmete, das verdutzt die am Boden liegende Türe anstarrte, bevor sie fort fuhr, „ich zeig dir dann mal die Zimmer, ja?“ Der junge Mann nickte stumm und folgte Dayna. „Du gehörst zu den Glücklichen, die ein Einzelzimmer bekommen. Nur wenn es zu viele werden, müssen wir hier ein zusätzliches Bett reinstellen. Dein Zimmer liegt neben Shikalls und gegenüber ist Rinas.“ Sie blieb vor einer Türe stehen und öffnete sie. Im Zimmer standen ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch. Shadow warf seinen Mantel auf das Bett und drehte sich dann zu Dayna um. „Okay“, sagte sie und lief zur Tür hinaus, „ich lass dich jetzt alleine, ich muss nämlich dringend zu Jeremy. Scheu’ dich nicht, dich frei zu bewegen.“ Sie zwinkerte ihm noch kurz zu, dann war sie verschwunden. Achtlos warf Shadow seine Tasche auf den Mantel, den Bogen jedoch legte er auf den Tisch und schlug das Leinentuch, in das er eingehüllt war, nach hinten. Der Bogen war mit feinen, smaragdgrünen Adern durchzogen. Bevor Shadow den Raum verließ, strich er sanft über ihn. „Bald…“, wisperte er dabei. Als er die Tür hinter sich schloss, durchlief ein erneuter Schauer seinen Körper, doch Shadow ignorierte ihn beflissentlich, klopfte an Rinas Türe und trat, ohne auf eine Antwort zu warten, ein. Die junge Frau stand neben einer Pflanze und strich sanft über ihre Blätter. Er trat zu ihr und sein Blick haftete auf der Blume, denn sie schien vor seinen Augen zu wachsen. „Deiner Reaktion nach zu urteilen, weißt du, wer ich bin“, sagte er und löste seinen Blick von der Pflanze. „Das würde jedes magiebegabte Wesen wissen, sobald du den Raum betrittst“, antwortete sie ausweichend und drehte sich nicht um. „Woher komme ich?“, fragte er im schärferen Ton. Er hatte jemanden gefunden, der mehr über ihn wusste, dessen war er sich sicher. „Das… darf ich dir nicht sagen.“ Erbost packte er sie an den Schultern und drückte sie gegen die Wand. Eine Verzweiflung, die dem Mädchen nur allzu vertraut war, ließ das Kobaltblau seiner Augen zu eisblau verblassen und beim Anblick seines Gesichts schnappte Rina nach Luft. „Iblis“, flüsterte sie und biss sich gleich auf die Lippe, als ihr klar wurde, was sie da eben ausgesprochen hatte. „Iblis?“ Durchdringend sah der junge Mann sie an. „Lass mich… bitte!“ Und tatsächlich ließ Shadow sie los. Er kämpfte die Gefühle der Verzweiflung und der Verlorenheit an den Rand seines Bewusstseins hinab, raffte seine Schultern und sah sie dann kalt an. „Wie du willst, aber wisse eins: Ich bin nicht deinetwegen hier. Ich kam hierher, weil ich keine Vergangenheit habe und somit keine Zukunft. Es bleibt mir also nur noch ein Weg übrig. Wir werden uns nicht mehr wieder sehen.“ Tränen liefen Rina über die Wangen, als er ihr den Rücken zudrehte und das Zimmer verließ. Schluchzend glitt sie die Wand hinab auf den Boden. Wie war das bloß geschehen? Ihre Gedanken rasten und die Tränen suchten gnadenlos ihren Weg ins Freie. Er sieht aus wie sein Vater… Iblis!! Zitternd stand sie auf und lehnte sich gegen die Wand. Eine Sekunde starrte sie die offene Türe an, bevor magische Ranken lautlos aus dem Boden wuchsen, sich sanft um Rinas Füße und Hüfte schlangen, und sie genauso lautlos wie zuvor mit sich herab zogen. „Mist!“, flüsterte die junge Frau mit dem feuerroten Haar und lief nervös auf und ab. Wütend warf sie die Tasche, die sie bei sich hatte, gegen die Wand und stützte sich mit beiden Händen am Waschbecken ab. Das Fenster, in das sie gerade eingestiegen war, stand noch immer offen, die kalte Abendbrise wehte hinein und spielte mit ihrer hüftlangen Haarpracht. Nur um haaresbreite war sie bei diesem Raubzug der Polizei entkommen. Nächstes Mal würde sie nicht so viel Glück haben, dessen war sie sich sicher. Ich sollte eine Weile pausieren, was den Beutezug betrifft, dachte sich die Diebin und begann, wieder auf und ab zu laufen, als sie in eine kleine Wasserlache trat und zu Boden stürzte. Sie schrie laut auf und versuchte aufzustehen, doch als sie auftrat, knickte sie gleich wieder ein. „Mist“, knurrte sie erneut und griff sich an den Knöchel, „so ein Dreck!“ Fluchend strampelte sie mit den Beinen und versuchte mehrmals, vergeblich aufzustehen, als plötzlich ein Schatten über ihr auftauchte. Erschrocken sah sie auf und blickte in zwei trübe, eisblaue Augen. „Was tust du da?“, fragte der junge Mann mit ausdrucksloser Miene. „Also, weißt du, ich lieg hier so zu meinem Vergnügen rum“, sagte sie mit gelassener Heiterkeit und als er Anstalten machte zugehen, fügte sie hinzu: „Das war sarkastisch gemeint! Ich bin ausgerutscht, was sonst?“ „Da versucht man mal, ein netter Kerl zu sein, aber nein.“ „Es tut mir Leid, aber kennst du noch andere Gründe, warum jemand auf dem Boden liegen sollte?“ Der Helfer reichte der Frau die Hand und zog sie herauf. Leise stöhnte sie, als sie den Fuß belastete und er legte ihren Arm um seine Schulter. „Nicht auftreten, du darfst den Fuß nicht belasten. Ich bring dich auf dein Zimmer und sehe mir das an“, sagte er und lächelte sanft, „mein Name ist Shadow.“ Das rothaarige Mädchen sah auf und erwiderte das Lächeln schüchtern. „Ich bin Cat… Also, eigentlich Flaren, aber alle nennen mich Cat!“ Er betrachtete Cat aus dem Augenwinkel, verwirrt darüber, wie seine Sorgen von ihrer Präsenz an die Grenze seines Bewusstseins gedrängt wurde. „Ist was?“, fragte Cat, als sie das leichte Zittern spürte, das durch Shadows Körper lief. „Nein, alles okay!“, antwortete Shadow und lächelte erneut. „Okay…“ Verwirrt über die Sänfte in seinem Lächeln spürte sie, wie sie errötete. In ihrem Zimmer angekommen, setzte Shadow Cat auf ihr Bett. Sie sah, wie er in seiner Tasche, die er aus seinem Zimmer geholt hatte, kramte und eine Salbe und einen Verband hervorholte. Er kniete sich vor ihr nieder, nahm ihren linke Fuß in die Hände und drückte seine Finger sanft in ihr zartes Fleisch, um den Verletzungsgrad festzustellen. Das Mädchen sog die Luft scharf ein, als sie einen stechenden Schmerz spürte. „Verzeih“, sagte der junge Mann leise, schraubte den Deckel der Salbe auf und massierte den wohlriechenden Balsam ein, dann wickelte er den Verband stramm um das Fußgelenk. Cat spürte eine unangenehme Nervosität in sich aufsteigen, als er seine Finger über ihren Fuß glitten, bevor er sie losließ, und das Mädchen kämpfte den Drang nieder, ihm den Fuß zu entreißen. „So! Das sollte fürs Erste genügen“, sagte er und erhob sich, „das hier ist nur provisorisch, weshalb du den Fuß nicht belasten und in den nächsten Tagen einen Arzt aufsuchen solltest. Ich werde mal mit Dayna reden, ob ich dich herunter bringen kann. Im Wohnzimmer hast du wenigstens Gesellschaft.“ Er drehte sich um und schritt zur Tür, als das braunhaarige Mädchen, dem er schon am Eingang begegnet war, den Kopf durch die Tür steckte. Shadow lief an ihr vorbei und verschwand aus Cats Blickfeld, in ihren Gedanken würde er jedoch länger bleiben, denn das Mädchen sah ihm kurz hinterher, dann betrat sie das Zimmer, setzte sich neben Cat und grinste sie an. „Na?“, sagte sie und zwinkerte. „Was ‚na’?“, antwortete Cat genervt und wunderte sich über die Erleichterung, die sie verspürte. „Das weißt du genau! Einer der absolut süßesten Jungs, die ich je gesehen habe, ist gerade aus deinem Zimmer gekommen. Daraus lässt sich schließen, dass ihr alleine wart. Wie bist du denn an diesen Leckerbissen von einem Mann gekommen?“ „Reiko, da läuft nichts…“, sagte Cat und drehte sich von ihr weg, um die Röte, die ihr ins Gesicht stieg, zu verbergen, doch der neugierigen Reiko entging nichts. „Noch nicht! Gib’s zu! Du stehst auf den Neuen!“ „Natürlich, ich bin ihm mit Haut und Haar verfallen, weshalb ich auch nichts eiliger vorhatte, als ihn loszuwerden, um seine Anwesenheit nicht mehr ertragen zu müssen“, murmelte sie und Reiko sah sie einen Moment verdutzt an, bevor sie wieder grinste. „Und wenn schon! Das ist nur die anfängliche Schüchternheit… Das nennt man Liebe auf den ersten Blick! Ich meine, sieh dich an! Kaum ist er weg, schon ist deine Laune am Nullpunkt angelangt“, sagte Reiko und lachte fröhlich. „Reiko, eigentlich bin ich erleichtert. Außerdem ich bin nur gestürzt und er hat mir geholfen, das ist alles.“ „Ach, wie romantisch! Der Retter in letzter Not! So, wie er die Türe zugerichtet hat, muss er verdammt durchtrainiert sein, mein lieber Mann… Stell dir vor, er ist im Be-“ „Reiko!! Halt die Klappe!“ Genervt über das endlose Gerede ihrer Freundin, das gerade im Begriff war, vulgär zu werden, stand sie auf, knickte jedoch sofort ein, als sie den Fuß belastete, landete aber sanft in Shadows Armen. „Idiot…“, murmelte er, als sie unter den Schmerzen aufkeuchte, und hob sie hoch. „Wa- Was tust du?!“, stammelte sie verwirrt und sah hilfesuchend zu Reiko, die jedoch zwinkerte nur und grinste. „Na, was wohl? Ich bringe dich herunter, da du dich selbst zu einem Pflegefall gemacht hast!“, antwortete er und lief die Treppe hinab. Unten angekommen setzte er Cat auf dem Sofa ab. „Also, ich übergebe dich jetzt Daynas Obhut. Bitte, pass auf dich auf.“ Cat nickte verdutzt über den sorglichen Tonfall seiner Stimme und fühlte sich plötzlich schlecht. Eigentlich hatte sie keinen Grund ihn nicht zu mögen und sie fand ihn auch sympathisch… Nur seine Nähe war ihr Unangenehm. Als er verschwunden war, setzte sich Dayna zu ihr und stupste sie an. „Na?“, sagte sie und grinste. Cat seufzte verzweifelt auf. „Nein, Dayna, da läuft nichts, okay?!“ Kümmert euch doch um euren eigenen Kram!, dachte sich die junge Frau, schnappte sich ihr Buch und schlug es auf. Das Letzte, was sie wollte, war ein erneutes Gespräch über Shadow! Drei Tage nach ihrem Sturz besuchte Cat das Krankenhaus. In diesen Tagen hatte sie Shadow nur einmal wieder gesehen und zu ihrem Glück konnte sie sagen, dass ihr deshalb weiteres dummes Gefasel erspart geblieben war. Der Arzt, eine ungewöhnlich junge Frau mit hüftlangem schwarzem Haar, hatte sich als Dr. Nico Cooper vorgestellt und seltsamerweise kam die Ärztin ihr bekannt vor. „Eine leichte Verstauchung“, diagnostizierte sie und drückte Cat eine Salbe in die Hand. „Dreimal täglich auftragen. Kommen Sie in einer Woche zur Nachuntersuchung.“ Damit verabschiedete sie sich und Cat stand allein vor der gläsernen Türe des Krankenhauses. Lange starrte sie den westlichen Horizont an. Der Tag war noch hell, doch die Dämmerung tastete sich schon mit rosigen Fingern den Appalachen entgegen. „Ein bisschen Bewegung kann mir nicht schaden“, murmelte sie und lief seufzend los. Dank dem stabileren Verband, den die Ärztin ihr verpasst hatte, konnte sie richtig auftreten. Den Weg bis zur WG schätzte sie auf dreißig Gehminuten, doch sie wollte einen Umweg nehmen, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Der Weg führte sie an einer Bogenschiessanlage vorbei und schon von weitem sah die junge Frau die gut gebaute Gestalt eines Mannes, der auf dem Schiessplatz stand. Sie erkannte anfangs nicht mehr als seine Silhouette, doch als sie näher kam, sah sie die Spitze des Geschosses in der Abenddämmerung glitzern. Cat verfolgte die Flugbahn des Pfeils und er traf die Mitte der Zielscheibe. Sie blinzelte erstaunt und in dem Augenblick traf ein weiterer Pfeil ins Schwarze. Verwundert über die Zielsicherheit betrachtete sie den Schützen. „Shadow…“, wisperte sie und wich erschrocken zurück, als er sich zu ihr umwandte. Hatte er sie tatsächlich seinen Namen flüstern hören? „Cat? Was tust du hier?“ Zögerlich trat sie vor und sah ihn schüchtern an. „Also, ich war im Krankenhaus und ich interessiere mich fürs Bogenschiessen. Deshalb bin ich hier vorbei gekommen.“, stotterte sie und hätte sie sich selber reden hören können, hätte sie sich geohrfeigt, aber die Worte waren aus ihrem Mund gekommen, noch bevor sie gedacht hatte. „So? Hast du selbst schon mal geschossen?“ Interessiert trat auch Shadow näher und musterte sie eingehend. Stumm schüttelte den Kopf, als sie seinen Blick spürte. „Na, dann sollten wir das ändern. Komm!“ Possenreißerisch verbeugte er sich und bot ihr dabei den Arm an. Cat hakte sich schmunzelnd unter und gemeinsam liefen sie zum Schiessplatz. Shadow drückte ihr einen Aluminiumbogen in die Hand, er selbst hielt den Seinigen, aus Ebenholz gefertigten Bogen, in der Linken. Den Arm hebend deutete er auf eine Zielscheibe keine dreißig Meter von ihnen entfernt. Mit der Rechten griff er zu seinem Köcher und holte zwei Pfeile hervor, einen davon reichte er Cat. „Sie mir genau zu“, sagte er und blickte auf die Zielscheibe, „fixiere deinen Blick auf die Mitte des Ziels und lass deine Umwelt nicht mehr in dein Bewusstsein.“ Cat stellte sich so hin, wie Shadow es ihr gezeigt hatte, dann hob sie den Bogen und legte den Pfeil an. Ermutigt von seinen indigoblau schimmernden Augen spannte sie die Sehne und ließ das Geschoss davon schnellen. Es beschrieb eine graziöse Kurve, bevor es keine vier Meter vor ihren Füßen landete. Grummelnd ließ sie den Bogen sinken und stierte den Pfeil trotzig an. Shadow lachte leise ob ihrer Miene und sie stupste ihn beleidigt. „Lach nicht! Du hast mehr Übung als ich!“ Der junge Bogenschütze lachte weiter, legte eine Hand auf ihre Hüfte und griff mit der anderen nach ihrer Hand am Bogen. „Pass auf, wir probieren es gemeinsam.“ Wütend und blind vor Tränen setzte Dayna auf eine Sitzbank im Park und unterdrückte ein Aufschluchzen. „Tschuligung“, nuschelte sie, als sie den bereits auf der Bank sitzenden Mann berührte und würdigte ihn keines Blickes mehr. Sie hätte sich selbst ohrfeigen können, dafür, dass sie jetzt weinte. Dabei wollte ich es ihm heute sagen. Ich liebe dich… was ist denn bloß so schwer daran?, schalt sie sich selbst, und kam sich schon beinahe lächerlich vor. Große Selbstzweifel plagten sie und trieben weitere Tränen in ihre Augen, und ließ die bereits angesammelten die Wange hinabrollen. „Ich kann es nicht, verdammt…“, schluchzte sie leise, ihr Gesicht in den Händen verbergend, als zwei Finger sie davon schoben und hoben ihr Kinn an. Erstaunt blickte sie in Jeremys braune Augen, drehte sich dann sofort weg und wischte sich die Tränen weg, doch der junge Mann drehte sie wieder zu sich. Sie spürte, wie seine Lippen ihre sanft berührten und dieser zärtliche Kuss ließ sie erbeben. „Ich habe dich zum Weinen gebracht… Tut mir leid“ „Je- Jeremy… ich… ich“ „Ich weiß“, unterbrach er sie und küsste sie erneut. „Ich will mit dir zusammen sein.“ Er schloss sie in die Arme und weitere Tränen kullerten ihre Wangen hinab. „Wa… Wieso weinst du? Ich… Habe ich was falsch gemacht?“ Ihm kam der Gedanke, er hätte ihr verhalten falsch gedeutet, doch Dayna schüttelte den Kopf und drücke sich fester an ihn. „Nein, ich bin nur glücklich…“ Wenig später liefen die Beiden Hand in Hand der untergehenden Sonne entgegen. „Komm, ich weiß von einem schönen Ort, in der nähe einer Schiessanlage, von wo man den Sonnenuntergang beobachten kann“, hatte Jeremy gesagt und jetzt befanden sie sich unweit des Bogenschiessanlage. Zwei Gestalten standen dort- scheinbar engumschlungen- und als das Paar näher kam, erkannten sie die Beiden. „Cat und Shadow… Hey!“ Jeremy wollte den beiden zurufen, doch Dayna zog ihn hinter einen Baum. „Sch!“, zischte sie und legte ihm eine Hand auf den Mund. Vorsichtig spähte sie hinter dem Baum hervor und quietschte leise. „Was?“, fragte Jeremy verwirrt, als Dayna grinste und fröhlich in die Hände klatschte. „Er will… er… was tut er?“ Der Pfeil schnellte von der Sehne und traf den dritten Ring von innen. „Ja!“, rief Cat fröhlich und drehte sich grinsend zu Shadow um. Er erwiderte ihr Lächeln und strich ihr über den Rücken, was eine ungewollte Röte in ihre Wangen trieb. „Gut gemacht! Mach weiter so und du bist bald besser als ich.“ „Da- Danke…“, sagte sie und bemerkte, dass sie wieder stotterte. Seine Augen leuchteten in einem verführerischen indigoblau und Cat spürte plötzlich die unangenehme Nervosität, die seine Nähe in ihr weckte. Noch bevor er ihr noch näher kommen konnte, wich sie zurück und drehte sich mit einem gewisperten „Entschuldigung“ um. Beklemmendes Schweigen beherrschte den Moment, in dem in Cat die Nervosität stieg und sie schließlich anfing zu zittern. „Cat, alles okay…?“, fragte Shadow verunsichert und wollte das Mädchen an der Schulter berühren, als es sich ruckartig umdrehte. „Ich geh lieber…“, flüsterte sie leise, verwirrt von ihrem eigenen Verhalten und lief schnell zum hölzernen Tor des Schiessplatzes, wo sie beinahe mit Dayna zusammenstieß. „Tschuligung, Dayna!“, murmelte sie und wollte weiterlaufen, doch ihre Freundin hielt sie fest. „Cat… Was ist los? Du zitterst ja…“ Besorgt musterte Dayna die Jüngere. „Ich… mir tut der Fuß weh.“ „Und wann sagst du mir die Wahrheit?“, murmelte Dayna, nahm Cat bei der Hand und eilte mit ihr davon. Jeremy gab sie ein Zeichen, er solle mit Shadow reden. „Wo… Wo gehen wir hin?“, fragte Cat, als sie davongezogen wurde. „Wohin wohl? Nach Hause!“ Nach Hause? Sie saß in einem kahlen Raum. Obwohl er keine Fenster besaß, war es hell. Im Nebenraum hörte sie zwei Leute sich streiten. Das kleine Mädchen schlang ihre Arme um ihre Beine und wiegte sich vor und zurück. Bald würde etwas Schlimmes geschehen, dass spürte sie. Sie hörte, wie Glas zerbrach und kurz darauf knallte eine Türe. Ein wütendes Stapfen kam näher und die Türe zu ihrem Zimmer wurde geöffnet. Ein Mann trat ein und schritt auf sie zu. „Va-“, setzte sie an, doch ihr Vater schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. „Das ist alles deine Schuld, du Biest! Wegen dir ist deine Mutter fort, bist du nun glücklich?!“, schrie er sie an, das Gesicht vom Zorn gerötet. „Nein…“, wimmerte sie leise und wurde erneut von der Wut ihres Vaters getroffen. Nein, flehte sie, Du bist nicht mein Vater! Lass mich in Ruhe, du bist nicht mein Vater! Furcht und Wut stiegen in ihr auf. Verschwinde!! Sie rief das Wort mit der ganzen Kraft ihrer Gedanken, als plötzlich… Jeremy trat aus dem Schatten des Baumes und schritt auf den Platz zu. Er wusste nicht, was er sagen sollte, weshalb er sich Shadow nur zögerlich näherte. Dieser ließ wieder einen Pfeil nach dem anderen von der Sehne schnellen. „Hey Shadow…“, grüßte er und der Bogenschütze warf ihm von der Seite einen Blick zu. Seine eisblauen Augen wirkten matt und Jeremy furchte verwirrt die Stirn. Er hätte schwören können, dass sie eine andere Farbe gehabt hatten. „Was war denn da los?“, fragte er wieder zögernd. „Das geht dich nichts an“, antwortete Shadow und ein weiterer Pfeil traf ins Schwarze. „Na, hör mal, sie hat geweint, da interessiert es mich halt, was da vorgefallen ist!“, sagte Jeremy, die Stirn noch immer kraus und Shadow zuckte leicht zusammen. Sie hatte geweint? „Ich an deiner Stelle würde mir ernsthaft Sorgen darüber machen, wo meine Prioritäten liegen!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Shadow starrte ihm hinterher, völlig in seine Gedanken vertieft und fragte sich, ob er ihr Unrecht getan hat. Ein Gefühl hatte ihn davor gewarnt, ihr zu nahe zu kommen, hatte ihm von ihr abgeraten und aus beinahe kindlichem Trotz hatte er sich dem widersetzt. Sie hatte Angst. Shadow wusste nicht wieso, doch er hatte die Furcht deutlich in ihren Augen gesehen. Er seufzte schwer und sah dann zum Himmel, die Sonne war bereits untergegangen. „Ich sollte wohl langsam gehen…“, murmelte er, wickelte seinen Bogen wieder in ein Seidentuch und verließ den Platz. Mit wieder trockenen Augen und immer noch ein wenig verwirrt saß Cat im Wohnzimmer. Neben ihr saß Dayna und redete mit Jeremy, doch Cat hörte sie nicht. Ihre Gedanken waren bei dieser Vision- war es eine gewesen? Sie konnte sich überhaupt nicht an ihre Kindheit erinnern. War das ein Ausschnitt daraus gewesen? Sie versuchte, die Vision in ihrem Gedächtnis zu bewahren, doch sie verblasste schon. Nur ein Gefühl der Furcht breitete sich aus, wenn sie sich zu erinnern versuchte. „Und er hat wirklich gar keine Reue gezeigt?“, rief Dayna aufgebracht und riss Cat aus ihren Gedanken. „Das würde ich nicht sagen Er sagte nur, dass es mich nichts anginge“, antwortete Jeremy und versuchte, seine Freundin zu beruhigen. Womit er eigentlich nicht ganz Unrecht hat, dachte er sich, als er sah, was für ein Aufstand Dayna machte. „Was hat er überhaupt getan?“, fragte Alona, eine weitere Bewohnerin der WG und legte ihre Hand tröstend auf Cats Schenkel. „Das ist ja die Höhe! Wie kann er es nur wagen?“, wütete Dayna, ohne sich die Vorwürfe anzuhören und Cat verstand den Wirbel, den die Mädchen machten, nicht. „Sei still!“, rief sie, als Dayna Luft holte, um noch mehr Anschuldigungen aufzustellen, und richtete sich aus. „Du weißt doch gar nicht, was er getan hat, genauso wenig wie du weißt, was da vorgefallen ist, nämlich nichts! Was erlaubst du dir eigentlich irgendein Urteil?“ Eine leichte Brise erfasste den Raum und erst da bemerkten alle, dass die Türe geöffnet worden war. Shadow stand im Rahmen und blickte ausdruckslos in die Runde. Dann durchschritt er schweigend den Raum und verschwand hinauf in sein Zimmer. Cat tat einen Schritt in seine Richtung, hielt jedoch inne, als sie sich wieder nervös fühlte. Seufzend schüttelte sie den Kopf und verließ ebenfalls den Raum, während ihre verdatterten Mitbewohner alleine zurückblieben. Rina breitete ihre Flügel aus und landete sanft auf dem Boden. Sie spürte ein leichtes Beben. „Na so was…“, murmelte sie, beugte sich hinab und berührte die Erde. „Mutter? Was ist mit Euch? Wem zürnt Ihr?“, fragte Rina, doch noch ehe sie eine Antwort erhielt, ertönte ein Horn. „Bei Mutter Natur!“, keuchte die Dämonin, als ihr Blick dem Ruf folgte. Vor ihr erstreckte sich ein gigantisches Heer. Chrashan zog also in den Krieg. Kapitel 2: Krieg ---------------- Mit zwei kräftigen Flügelschlägen hielt sich die Herrin der Pflanzen in der Luft. Unter ihr erstreckte sich Chrashans Streitmacht. Unzählig viele Leute zählten das Heer… und alle würden sie in den Tod gehen. Ob dieser Tatsache schüttelte Rina betrübt den Kopf. Ein Heer aus Dämonen würde niemals einen Krieg gegen die Himmlischen gewinnen- Allein daran zu denken, war schon töricht genug gewesen. An dem Schutzwall aus purem Licht würden die Wesen der Schatten schon zu Grunde gehen. Rina streckte den einen Flügel, während sie den anderen enger an ihren Körper legte, um so in weiten Kreisen über die versammelten Truppen zu fliegen. Sie entdeckte am Rand eine Dämonin, die sich von ihrem Geliebten verabschiedete. Seine weißen Schwingen umfingen sie und ihre eignen ledernen und pechschwarzen Flügel hingen schlaff herab. Sie weinte bitterlich und der Engel drückte sie fest an sich. Die Verdammten. Mit der Hilfe von den Engeln, die aus dem Himmelsgewölbe verbannt wurden, könnte man den Wall vielleicht überwinden, doch dabei würden sie viel zu viel Energie verlieren und dazu kamen dann auch noch die Waffen aus Licht, welche die Himmlischen verwendeten. Alle würden sie untergehen und das nur wegen einer launischen Göttin und ihrem Sohn, der das Opfer, das sie alle brachten, nicht zu würdigen wusste und sich lieber umbringen wollte? Iblis konnte doch nicht so blind sein und das alles geschehen lassen. Um seinen Sohn zu retten, würde er doch nicht ein ganzes Volk- sein Volk- in den Tod stürzen? Oder? Shadow wusste inzwischen, dass er ein Dämon war, also konnte es genau so gut sein, dass er sich dem Orakel freiwillig anschloss. Was für eine Torheit es doch gewesen war, zu glauben, auf der Erde könne er sicher sein! Wo Schatten existierten, konnte man den Schattenerben nicht verbergen. Rina musste diesen Krieg auf jeden Fall verhindern. Chrashan würde daran zerbrechen! Als sie unter den vielen Zelten der Soldaten auch das der königlichen Familie entdeckte, breitete sie ihre Flügel aus und landete. Das Zelt war etwas größer als die anderen und kobaltblau gefärbt. Vor dem Eingang standen ein Dämon und ein Engel Wache. Rina wollte sich gerade den beiden nähern, als ein starker Arm sich um ihre Taille schlang und eine Hand sich über ihren Mund legte, um sie so am Schreien zu hindern. Die Dämonin versteifte einen Augenblick, dann entspannte sie sich und lehnte sich gegen den Mann, der sie festhielt. Selbst zwischen doppelt so vielen fremden Soldaten würde sie diesen Geruch wieder erkennen. Suteyn. „Lady Blättertanz, wie schön, Euch wieder zu sehen. Man hört so selten von Euch, dass ich es leider als notwendig empfunden habe, Euch zu entführen“, sagte eine melodische Tenorstimme und Suteyn spürte ihr Lächeln unter seiner Hand. Er zog sie noch einige Schritte zurück in die Ruinen eines alten Kastells, dann ließ er sie los. „Suteyn Schattenschwert, mein Freund! Ihr wisst, dass ich im Auftrag Seiner Majestät unterwegs bin, weshalb ich kaum in Chrashan verweile und wenn, dann nur, um Seiner Hoheit Bericht zu erstatten. Aber sagt, wie geht es Euch?“ Suteyn war Iblis' Adjutant und auch sein bester Freund. Rina hatte ihn zusammen mit Iblis kennen gelernt und seine witzige Art hatte bei ihr sofort Gefallen gefunden. Sie fiel ihrem alten Freund um den Hals und er drückte sie zärtlich an sich. „Außer der Sehnsucht nach Euch, hat mir sonst nichts das Leben vermiesen können!“ Er lachte erheitert, bevor er fort fuhr. „Schönste Rina, wie lange ist es her? Fünf oder gar sechs Jahre?“ „Auf jeden Fall ist es zu lange her, mein Guter, ich bitte um Vergebung“, sagte die Dämonin und lachte ebenfalls, ihre Sorgen schienen vergessen. „Doch nun erzählt, wie ist es Euch all die Jahre ergangen?“ „Nun, es lebt sich halt nur halb so gut, wenn einem das fehlt, das, wenn man es hat, die lange Zeit auf das Süßlichste verkürzt.“ Die Herrin der Pflanze blickte ihn irritiert an, dann lächelte sie breit. „Suteyn, sprecht Ihr da von einer Dame? Ihr seid verliebt! Wo ist den Euere Holde hin entschwunden? Doch nicht in die Arme eines anderen?“ Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Für wahr“, sagte der Hauptmann und lehnte sich gegen eine Wand des Gemäuers, „ich rede von einem Mädchen. Um genauer zu sein von dem schönsten und lieblichsten Geschöpf, das ich je gesehen habe. Seit der ersten Berührung schlägt mein Herz nur noch für sie.“ Die Herrin der Pflanzen lachte über die Schwärmerei ihres Freundes. „Euren Worten nach zu schließen, liebt Ihr sie sehr“, sagte sie und merkte, wie sein Gerede sie ein wenig traurig stimmte. Iblis- ihre vergebliche Liebe- hatte seine Morgenstern und selbst Suteyn hatte jemanden gefunden. Und wie leicht es ihm fiel, über das alles zu sprechen. Rina wusste jedoch nicht, wie viel Überwindung es ihn kostete, seine ruhige Stimme zu wahren, als er sagte: „Ich liebe sie mit ganzer Seele, mit jedem Atemzug, den ich tue. Ich… lebe nur für Euch.“ Die junge Frau erstarrte plötzlich und sie merkte, wie sie sich ihre Wangen rötlich färbten. „I- Ihr beliebt zu scherzen! Seid doch nicht lächerlich, Ihr Schmeichler.“ Doch Suteyns Miene blieb ernst und seine purpurvioletten Augen leuchteten leidenschaftlich. Er ergriff eine Strähne ihrer langen Haarpracht und küsste diese, dann beugte er sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen, doch die Dämonin wich ihm aus. „Ihr verzeiht mir sicher, Suteyn, wenn ich mich nun verabschiede, aber Iblis dürfte schon auf mich warten“, stotterte sie, wandte sich ab und lief in Richtung des kobaltblauen Zeltes. „Rina!“ Sein Ruf hallte über den Platz, doch das geschäftige Treiben im Lager verschluckte ihn, sodass er ihr Ohr nicht erreichte. Wütend hieb er mit der Faust gegen die Wand der Ruine. „Verdammt…“ Rina näherte sich den beiden Wachen, woraufhin diese markig Haltung annahmen. Sie schüttelte den Kopf und versuchte jeden Gedanken an Suteyn aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Es gab wichtigeres zu besprechen. „Mutter Natur, es erfüllt mich mit Freude, Euch wohlauf zu sehen“, sagte der Dämon und Rina verzog einen Moment lang abschätzend das Gesicht. Die Mehrzahl der Bewohner Chrashans nannten sie so und sie konnte es nicht leiden, mit der Mutter selbst gleichgestellt zu werden. Doch dann lächelte sie die Wachen an und sagte: „Möge Vento stets Euere Schwingen mit Aufwind füllen.“ „Und möge Nesace Euere Wälder schützen. Bestimmt wollt Ihr zu seiner Majestät, doch leider sagte Seine Hoheit, dass er nicht gestört werd-“ „Ich habe wichtige Nachrichten von der Erde“, unterbrach sie ihn unwirsch und betrat das Zelt. Drinnen lag Iblis auf seinem Lager und über ihm räkelte sich Morgenstern, den Oberkörper entblößt. „Ver… Verzeiht…“, stotterte die Herrin der Pflanzen, peinlich berührt, dass sie in eine etwas intimere Szene geplatzt war. Jeder Gedanke an Suteyn war wie weggeblasen. Sie wollte das Zelt augenblicklich verlassen, als Morgenstern rief: „Warte, du bringst doch Neuigkeiten von meinen Kindern, richtig? So bleib hier.“ Majestätisch erhob sie sich und mit einem Fingerschnippen erschien ein Morgenmantel, den sie sich in aller Ruhe zuband. Dann setzte sie sich wieder auf das Lager und Iblis legte besitzergreifend seine Arme um ihre Taille. „Was gibt es neues? Wie geht es unserem Sohn?“ Obwohl der Anblick der beiden ihr vor Eifersucht die Galle hochkommen ließ, bewahrte sie dennoch ein ruhiges Äußeres. Und wieder war die Rede von Shadow. „Eurem Sohn geht es den Umständen entsprechend gut und auch Eurer Tochter geht es gut.“ Iblis stützte sein Kinn auf Morgensterns Schulter und sah Rina freundlich, beinahe fröhlich, an. Bei der Liebe der Mutter, was machte ihn so fröhlich? Wenn ihr, einem Laien was die Kampfkunst angeht, bewusste war, das es schlecht um das Heer stand, dann musste das einem erfahrenen Kriegsherren wie Iblis erst recht klar sein. Was sollte an seinem Sohn so besonders sein, dass man ihn um jeden Preis beschützen musste? Er war ein Dämon wie jeder andere. „Ausgezeichnet. Gibt es sonst noch etwas Neues?“ „Nein, meine Königin, doch dürfte ich um ein Wort mit Seiner Majestät erbitten?“, fragte Rina höflich und verbeugte sich. Iblis, der bis jetzt kaum zugehört hatte, hob den Blick. „So sprich, Herrin der Pflanzen.“ Sie sah sich zögernd um; Eigentlich wollte sie den König alleine sprechen. Doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und Mutter Erdens Puls unter ihren Füßen spürend sprach sie: „Iblis, lass es nicht zu diesem Krieg kommen. Siehst du nicht, was für verheerende Wirkungen er haben wird? Dein Reich wird untergehen!“ „Neunzehn Jahre lang habe ich diesen Krieg aufgeschoben und die Himmlischen rückten immer näher. Wir haben keine Wahl“, antwortete Chrashans König ruhig. „Natürlich haben wir sie! Bei Mutter Erde, bist du wirklich so blind?“ Fassungslos starrte sie ihn an. Es schockiere sie, dass er nicht nur eine Sekunde daran dachte, seinen Sohn zu opfern. „Rina, dieser Krieg ist unabwendbar.“ „Nein, ist er nicht!“, schrie die Dämonin aufgebracht, „mit dem Leben eines Dämonen könnte man alles verhindern!“ Langsam und wie in Trance ließ Iblis seine Frau los und besah Rina mit einem Blick, in dem kein Funken Liebe lag. Grob packte er sie am Oberarm und zerrte sie aus dem Zelt. Mit einer unwirschen Handbewegung bedeutete er den Wachen, zu gehen. „Verschwinde!“, brüllte er Rina dann an und wies auf den Himmel. Doch sie sah ihn unverwandt an. „Nur um deinen verfluchten Willen durchzusetzen, willst du ein Volk opfern- dein Volk, verdammt! Und das wegen dem Leben eines mickrigen Dämons? Der ganze Krieg könnte verhindert werden, wenn du ihn dem Orakel übergibst, aber nein! Du zerstörst lieber dein Land, als den armseligen Wicht zu opfern. Wie tief bist du gesunken, König Dämonenblut?“ Wütend über ihre Worte schlug Iblis ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. „Mickriger Dämon? Du sprichst von meinem Sohn!“ Rina hob den Kopf und grinste herablassend. „Ja genau, kein Dämon, sondern ein Mischling! Haben Morgensterns Küsse deinen Verstand so umnebelt, dass du die Lage nicht erkennst, in der sich Chrashan befindet?“ Iblis' Hand schnellte hervor, packte Rina am Hals und hob sie einige Zentimeter über dem Erdboden. Der Hass, der so unvermittelt in seinen Augen aufloderte und sie preußischblau färbte, erschreckte Rina eine Sekunde, doch dann besann sie sich auf ihre Kräfte. Eine Ranke spross aus der Erde und wollte sich von hinten um Iblis schlingen. Aber der König hob beinahe lässig die Hand, woraufhin das Gewächs Feuer fing. Verzweifelt wand es sich und verschwand wieder in der Erde. Zwei weitere Ranken wollten das Gelenk der Hand, mit der er Rina hielt, umfassen, doch als sie ihn berührten, welkten sie auf der Stelle. Rina röchelte und griff in einer verzweifelten Geste nach seinem Arm, als er sie von sich schleuderte. Unsanft landete sie auf dem Boden und brauchte einige Sekunden, bis sie sich wieder erholt hatte. „Du sprichst dem Verrat das Wort!“, schrie er sie an, als sie sich mühevoll aufrappelte. „Nein…“, wisperte sie und fühlte, wie Tränen ihre Wange hinabrollten, „du hast für das Volk da zu sein, nicht es für dich!“ Dann drehte sie sich um und wollte gehen, als Morgensterns Stimme sie zum Stehen bleiben bewog. „Und dann? Wenn das Orakel Shadow hat, werden die Himmlischen sich zurückziehen? Werden sie den Thron aufgeben und Frieden schließen?“, fragte sie ruhig und Rina drehte sich nicht um. „Das Orakel würde, wäre es vollzählig, den Engeln ihre Macht rauben, es würde hinter uns stehen.“ Morgenstern lachte freudlos und schüttelte den Kopf. „Als zwischen den Dämonen und den Verdammten Krieg herrschte, war das Orakel bei uns? Als ich versuchte, meine Aufgabe zu erfüllen, war das Orakel da? Nein, nicht einmal, als ich es anflehte, ist es mir zu Hilfe gekommen. Und nicht ein Mal hat es sich als würdig genug erwiesen, meinen Sohn als Opfer einfordern zu können.“ Sie hielt inne und Rina war versucht, sich umzudrehen, doch sie wollte dem blasphemischen Geschwätz Morgensterns nicht gestatten, Eintritt in ihr Herz zu finden. „Warum? Warum sind es wir, die immer einstecken müssen? Jahre schon kämpfen wir für unsere Freiheit und trotzdem scheinen wir doch nur zu verlieren. Es ist mir zuwider, Schlachten zu bestreiten, in denen wir verlieren müssen, um zu gewinnen. Denk darüber nach, Rina.“ Ein Wind zog auf und von einer Sekunde auf die andere war Rina verschwunden, und dort wo sie gestanden war, lag ein Efeublatt. „Morgenstern…“ „Nenn mich nicht so“, sagte sie unwirsch und hoffte, die Herrin der Pflanzen wieder auf ihrer Seite zu haben. Die Zwillinge würden den Frieden bringen, dessen war Morgenstern sich sicher. „Sie brauchen nur etwas Zeit“, seufzte sie und lehnte ihren Kopf gegen Iblis' Brust. „Zeit, die wir nicht haben, und nun komm, liebste Allan. Lass uns drinnen weiterreden.“ Rina flog hoch über Chrashan und als sie ihr Ziel erblickte, landete die Dämonin. Sie befand sich in Shetas, welches im Süden Chrashans lag. Dieser Ort befand sich genau da, wo früher ihr Heimatdorf gestanden hatte. Etwas abseits des Dorfes war ein kleiner Wald und in dessen Mitte befand sich ein Schrein, der zum Gedenken der verstorbenen Bewohner, darunter auch Rinas Familie, gebaut wurde. Hierher zog sie sich zurück, wenn sie mit ihren Gedanken alleine sein wollte. Seufzend lehnte sie sich an den Stamm einer Linde und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Morgensterns Worte beschäftigten sie mehr, als ihr lieb war. Wie hatte sie nur so über das Orakel reden können. Sobald es vollzählig war, würde sich seine Macht intensivieren und dann würde es ihnen helfen. Oder? Dieses Oder störte sie. Es schien ihr Vertrauen in die Magie zerstören zu wollen. Und dann war da auch noch Suteyn. Hatte er das wirklich ernst gemeint? Ein Wind zog an ihr vorbei und wehte einen süßen Duft herbei, der verlockend ihre Nase koste. Rina wandte den Kopf zu Seite und sah eine Gestalt in einem weiten dunkelgrünen Kleid auf sie zukommen. Als sie näher kam, konnte die Dämonin sie besser erkennen. Die Person, eine junge Frau, hatte veronesergrüne Haare, die ihr bis zu den Schulterblättern reichte, und war von atemberaubender Schönheit, doch am faszinierendsten waren ihre Augen. Die Pupillen hatten verschiedene Formen. Die eine sah aus, wie die einer Katze und die andere war statt rund viereckig. Und beide Augen schienen einem bis in die tiefsten Abgründe der Seele sehen zu können. „Wer seid Ihr?“, fragte Rina und die Fremde lächelte lieblich. „Ich bin die Wächterin dieses Waldes, sowie ich die Wächterin jedes Waldes bin.“ Rina sah sie einen Moment verständnislos an, dann wurde ihr bewusst, wer vor ihr stand und sie fiel auf die Knie. „Nesace, Wächterin des Waldes, Teil des Orakels“, wisperte sie unterwürfig und hätte sie nicht starr zu Boden geblickt, hätte sie Nesace überhebliches Grinsen gesehen. Wie sehr sie es genoss, angebetet zu werden. „Rina, Herrin der Pflanzen, Tochter Mutter Erden- meine Dienerin, erhebt Euch“, sagte die Wächterin. Zögerlich stand die Angesprochene auf und verneigte sich tief. „Nesace, meine Herrin, ich bin Euere untertänigste Dienerin.“ Sie wusste nicht genau, was sie sagte, aber etwas- oder jemand- schien ihr die richtigen Worte in den Mund zu legen. Sie stand vor dem leibhaftigen Orakel, dem Boten der Urkraft! Sie war überwältigt von der stillen Macht, die Nesace ausstrahlte. Die Waldwächterin lächelte kurz, bevor sie seufzend die Rinde einer Linde streichelte. „Wir werden schwächer. In unserer Reihe fehlt ein Glied.“ Rina blickte beschämt weg. Sie fühlte sich schuldig, schließlich hatte sie geholfen, Shadow als Kind zu verbergen. „Ich will Euch dienlich sein, meine Herrin und Meisterin. Ein Wort und ich führe ihn zu Euch“, sagte sie in ihrer Scham und Nesace hob die Brauen. Einerseits erstaunte sie die Sprunghaftigkeit der Dämonin, schließlich hatte sie dem König Treue geschworen und war gerade dabei, seinen Sohn ans Messer zu liefern, anderseits überraschte sie ihre Hingabe zum Orakel. Sie vergötterte es anscheinend und würde alles für dieses tun. Dann aber lächelte Nesace über Rinas scheinbar angeborene Unterwürfigkeit. Wie passend für meine Pläne, dachte sie sich. „Wir brauchen den Schattenwächter, um die ganze magische Macht entfalten zu können. Aber nein, halt! Wir warten schon so lange, dass wir es nicht überstürzen wollen“, sagte sie, als Rina schon dabei war zu gehen, um Shadow zu holen, „lass ihn dort verweilen, wo er ist. Er wird sich bald an uns wenden. Geh wieder auf die Erde und lass ihn machen, was er will. Spiele weiterhin König Dämonenbluts Botin. Shadow darf nur nicht hierher gelangen. Nur wenn er Chrashan betreten will, darfst du ihn aufhalten.“ Nesace sah die Herrin der Pflanzen noch kurz an, bevor sie so unvermittelt verschwand, wie sie aufgetaucht war. Doch das Gefühl euphorischer Ekstase in Rina verebbte nur langsam, aber als es verklungen war, legte sich eine widerliche Leere über ihre Eingeweide. Gedankenverloren starrte Iblis auf den wolkenbehangenen Himmel, bis seine Frau ihm eine Hand auf die Schulter legte. Er schlang seine Arme um ihre Taille und sie schmiegte sich zärtlich an ihn. Noch in Gedanke hauchte er ihr beinahe beiläufig einen Kuss auf die Stirn. „Iblis… Welch Gram dehnt dir die Stund’?“, fragte sie, mehr besorgt als verletzt über seine geistige Abwesenheit. „Ich weiß nicht, Allan“, antwortete er und streichelte mit einer Hand ihren Rücken, „die ganze Situation, in die ich uns alle hinein manövriert habe. Ich fange an zu zweifeln, nicht an unserem Sohn, aber an…“ „An dir? Tu das nicht, Iblis. In solch einer schwierigen Zeit braucht das Volk einen starken König.“ Allan sah Iblis an, seine Augen funkelten in einem erregten saphirblau. Ob Rina ihn immer noch so wütend macht? Für ihn hatte sie ihn ganz klar verraten und die Göttin wusste über die Tiefe der Freundschaft, die die beiden verband. Sie selbst war dabei gewesen, als er sie vor den Verdammten gerettet hatte. „Ich wollte aber nie König werden…“, murmelte Iblis und Allan musste lächeln ob seinem kindisch trotzigem Ton. „Ich weiß, aber genau dies macht dich zum wahren König.“ Tatsächlich hatte es Iblis stets widerstrebt, den Thron zu besteigen, obwohl er von Kindesbeinen an auf sein Amt hin erzogen worden war. Auch sich selbst hätte Allan nie auf einem Thron erwartet und an das Dasein als „unsterbliche“ Gottheit musste sie sich erst recht gewöhnen. Sie wusste, dass sie sterben, doch wann, das war ihr unklar. Vielleicht nur noch fünfzig, vielleicht aber auch fünfhundert Jahre. Der Gedanke, sie könnte Iblis und sogar Shadow überleben, schmerzte sie zutiefst. Sie stieß einen Seufzer aus und sah zu Iblis hinauf. „Sei bitte nicht zu streng zu ihr, mein Herz“, sagte sie und hoffte so, die Wogen glätten zu können. Doch die Gesichtszüge ihres Ehegatten wurden härter und sein Körper versteifte sich. „Streng? Allan, sie hat mich verraten. Nicht nur als ihr Lehnsherr sondern auch als ihr Freund. Meiner Meinung nach bin ich viel zu sanft mit ihr umgegangen…“ „Iblis, weißt du, dass ich Rinas Tod gesehen habe und weißt du, wie schockiert ich war, als ich erkannte, dass du derjenige bist, der ihr das Leben nimmt? Bist du dir der Tragweite deines Handelns bewusst, wenn ich nicht eingegriffen hätte?“ „Verdient hätte sie den Tod…“, murmelte und Allan wich einen Schritt zurück. „Wie bitte? Du kannst nicht über ihr Leben Gericht halten!“ „Wieso nicht? Es ist wohl meine Sache, wie ich Hochverrat unter meinen Untertanen ahnde!“ „Weil ich der Tod bin. Und glaub mir, niemand stirbt, wenn ich es nicht will.“ Er sah sie an und Allan wusste nicht, was sie mehr schockierte; die stille Verachtung in seiner Haltung oder die Tatsache, dass sie ihm offen gedroht hatte. „Du würdest mir also ohne zögern einen Dolch in den Rücken stoßen?“, fragte er leise, als er an ihr vorbei ging. „Ib… Iblis! Verdreh mir nicht die Worte im Mund!“ Doch der König war bereits im Zelt verschwunden. „Iblis…“, sagte sie in sanftem Ton, als sie ihm folgte. Ihr Ehegatte saß auf einem der vielen Kissen, die im Zelt verstreut lagen und schenkte sich Wein in einen Kelch. Die Göttin setzte sich neben ihn, doch sie blickte in eine andere Richtung. „Das würde ich nie tun“, wisperte sie nach einer Weile, den Blick immer noch abgewandt. „Ich weiß.“ Iblis leerte den Kelch in einem Zug. „Verzeih mir. Die Ereignisse in letzter Zeit haben meine Nerven überansprucht und dann hat Rina auch noch… Wie konnte sie nur?!“ Er legte ihr beide Hände auf die Schultern und zog sie zu sich. Seufzend und mit der Vorahnung, dass das nur die erste von vielen Streitereien war, ließ sie sich zurückfallen und spürte, wie Iblis Arme sie umfingen. Wir lieben uns... das ist alles, was zählt. Am nächsten Morgen lag ein Bund kobaltblauer Orchideen vor dem Zeltausgang und bei ihnen lag ein Zettel Iblis… Es tut mir Leid. Ich habe Dir unrecht getan, bitte verzeih mir. Ich bin zur Erde zurückgekehrt, um mich wieder meiner Aufgabe zu widmen. Pass auf Dich auf… In Liebe, Rina Kapitel 3: Das Orakel --------------------- Der Wind… Er flüstert mir zu. Furcht prägt seine Stimme. Die Wellen unter ihren Füßen brachen laut, trotzdem vernahm Siria Ventos Stimme laut in ihren Gedanken. Die Wasserwächterin lauschte dem lauten Plätschern des Wassers und spürte deutlich die Angst, mit der es sich gegen die Klippen warf. Das Meer… Es wispert seinen Namen... Bald! Ember streckte ihre Hand ins Feuer und fühlte wie es gierig an ihren Fingern labte. Das Feuer… Es ruft nach ihm, schreit seinen Namen… Cereo nickte bedächtig und sah zur Sonne. Auch das Licht begehrt ihn, meine Freunde… Der Wächter der Lichter fühlte eine Euphorie in sich aufkeimen, die er so noch gar nicht kannte. Verdenken konnte man es ihm nicht, schließlich wartete er schon Neunzehn Jahre lang auf diesen Augenblick. Endlich würde das Orakel vollständig sein. Die Bäume… Sie singen für ihn… Shadow Die Plötzlichkeit, mit der Nesace in die gedankliche Verbindung getreten war, überraschte die fünf Gefährten. Nesace!, rief Ember erheitert und wäre da nicht die räumliche Distanz, hätte die Feuerwächterin ihre Freundin umarmt. Um Nesace erschien ein Feuer und strich ihr sanft um die Beine, ohne sie zu versengen. Unser letztes Treffen liegt zu lang zurück, Ember, antwortete sie uns Cereo räusperte sich vernehmlich. Nesace, liebste Freundin, die Freude ist mit uns allen, doch fehlt uns die Zeit, um uns noch länger mit Floskeln zu beschäftigen. Welche Kunde bringst du? Nesace lachte über die Ungeduld ihres Anführers. Er konnte es von allen am wenigsten erwarten, die Schatten in ihrem Kreis zu begrüßen. Geduld, werter Freund Licht. Sie lachte noch einmal, bevor ihre Stimme ernst wurde, es läuft alles nach Plan. Nicht mehr lang und die Zeit ist reif. Die Stimme der Lieblichen nahm eine ungewohnte Schärfe an, als sie sprach: Sollen wie es testen? Cereo runzelte die Stirn. Er liebte Nesace, ohne Zweifel, doch diese Zerstörungswut und die Verbitterung gegenüber den magischen Völkern konnte er nicht nachvollziehen. Wo befindet ihr euch?, fragte er nach kurzem Zögern. Casaxel Duthanas… Ilmota! Chrashan Der Lichtwächter seufzte. Al Aaraaf… sagte er dann und spürte förmlich Nesace’ triumphierendes Lächeln. Ihm widerstrebte es, die pure Kraft der Gewalten auf die Welt freizulassen, und sei es nur für eine kurze Dauer, doch es schien die einzige Möglichkeit zu sein. Cereo tat das ganze nicht der Zerstörungswillen sondern auf… Notwendigkeit. Er schüttelte den Kopf und befreite sich von allen störenden Gedanken. So sei es. Dann lasst uns beginnen… Die Dunkelelfe Sonerue focht gerade mit ihrem Mann, den sie gestern erst geehelicht hatte, als der immer währende Wind über Casaxel stärker zu wehen begann. Die Assasine war mit zwei leichten Kurzschwertern bewaffnet und ihr Mann schwang ein Breitschwert über dem Kopf. Er ließ es hinabschnellen, doch Sonerue parierte den Schlag, dabei aber vernachlässigte sie ihre Deckung. Ihr Ehegatte grinste und wollte zum entscheidenden Schlag ausholen, als eine kräftige Böe ihn erfasste und gegen die Wand ihres gemeinsamen Hauses schleuderte. Er ächzte auf, als er sich sein Schwert selbst in den Bauch rammte, dann sackte er leblos zusammen. Sonerue weitete ungläubig die Augen, als sie das Blut ihres Mannes erblickte und ihre Schwerter fielen klirrend zu Boden. „Ei.. res… EIRES!“ Tränen verschleierten ihr den Blick, als sie zu ihrem Gatten rannte und sie musste gegen den Wind ankämpfen, um ihn zu erreichen. „Eires… so sag doch was… Liebster?“ Zitternd umklammerte sie den Leichnam des Dunkelelfen. „Vento!“, schrie sie gequält in den Wind. „Warum tut Ihr mir das an?!“ „Lulu!“ Zona winkte ihrer Schwester zu, doch diese ignorierte sie und betrachtete den Himmel Duthanas. Immer war sie es, die auf die kleinen Bälger aufpassen musste, als hätte sie nichts Besseres zu tun. Frustriert seufzte die junge Fischfrau und rieb sich die messerscharfen Kampfflossen, die ihr aus den Unterarmen wuchsen. Sie saß an der Küste des Meeres, wo ihre kleine Schwester und die anderen Kinder ihres Stammes spielten. Obwohl Zona nerven konnte- bei Siria, vom Rest der Kinder gar nicht zu sprechen!-, so lag sie ihr doch am Herzen, schließlich war es ihre Schwester. Das Wasser umspülte nervös ihre Füße und als Zona erneut rief, sah das Mädchen genervt auf. „Lulu!“, schrie sie; panisch, wie die Frau des Volkes der Ayuni erst jetzt bemerkte, doch die Kinder versanken bereits in der tosenden See. Ohne zu zögern stürzte Lulu sich in das Wasser und kämpfte gegen die Wellen an, die sich wütend auf sie warfen, um die Kinder zu erreichen, doch die Flut spülte sie wieder an die Küste. „ZONA!!“ , schrie sie über das zornige Rauschen hinweg, aber sie konnte die Kinder nicht mehr sehen. Beinahe ohnmächtig sank sie auf die Knie, Tränen des Entsetzens und der Reue rannen über ihre Wangen. „Ist das eine grausame Lehre, die Ihr mir beibringen wollt, Siria?“, wisperte Lulu leise und betrachtete die tosende See. Er hätte ihn nicht alleine lassen sollen. Den ganzen Tag hatte Gaberyl sich das schon gedacht und jetzt, da er vor den verkohlten Trümmern seines Hauses stand, wusste er auch warum. „Beim Orakel...“, wisperte der Elf, als ein Engel zu ihm trat und ihn herablassend angrinste. „Ich hatte Euch bereits gewarnt. Ihr ward wieder im Verzug und wenn Ihr nicht bald Eure Steuern zahlt, wird mein Vater vielleicht auf die Idee kommen, Eure gesamte Verwandschaft auszurotten, ganz gleich, wie weit sie in Ilmota verstreut lebt“, sagte Ravel, Sohn des Araxey, dem König der Engel und selbst ernannter Herrscher über die Himmelsgefilde. „Ich habe kein Geld... Mein Bruder war krank und ich musste den Heiler bezahlen. Oh, Mihet, was habt Ihr mit ihm getan, Ihr Monster!!“ Entrüstet sah er den Engel an und spürte gerechte Wut in ihm aufkochen, als Ravel spöttisch lachte. „Do, ut des. Wir gewähren Euch unserer Schutz und Ihr zahlt dafür.“ „Schutz?!“ Gaberyl spie das Wort förmlich aus. „Wen bitte schützt Ihr hier? Ihr tyrannisiert und unterwerft, das ist alles! Wir sind für Euch doch nichts weiter als Sklaven!“, schrie der Elf aufgebracht. Ravel packte ihn an den nussbraunen Harren und bog seinen Kopf nach hinten, bevor er sardonisch grinste.„Ihr habt es erfasst“, sagte der Engel, während er sich umdrehte, „und nun entschuldigt mich bitte, aber Ember ruft!“ Wie in Trance starrte Gaberyl die noch brennenden Trümmer seines Hauses an und schwor Ravel Rache. „Wie konntet ihr ihn das durchgehen lassen, Ember?“ Suteyn seufzte, als der Unteroffizier seinen Bericht beendet hatte. „Ihr könnt nun gehen... Ich brauche eine Pause“, murmelte er und zog sich in sein Zelt zurück. Seit Rina vor fünf Tagen ohne ein Wort des Abschieds Chrashan verlassen hatte, beherrschte sie die Gedanken des Leutnants. Müde ließ er sich auf sein Lager fallen, als eine königliche Dienerin das Zelt betrat. Sie verbeugte sich vor Suteyn und sah ihn dann an. „Seine Majestät schickte mich, Lord Schattenschwert.“ Der erschöpfte Dämon nickte und verließ sich darauf, dass sie wusste, was er wollte. Die Dienerin kniete hinter ihm nieder und begann mit einem ätherischen Öl, seine ledernen Flügel zu massieren. Suteyn entspannte sich und genoss die Behandlung, doch nach einer Weile runzelte er die Stirn. „Kyra? Ist alles in Ordnung? Weshalb habt Ihr aufgehört?“ Er drehte sich um und prallte erschrocken zurück. Die Wurzel eines Baumes war aus der Erde geschossen und hatte sich um Kyras Hals gelegt. Ihre Augen starrten ihn leer an und von draußen drang ein weiterer Entsetzensschrei an sein Ohr. Augenblicklich stürmte Suteyn aus dem Zelt und erstarrte mitten in der Bewegung. Überall sprossen Wurzeln aus der Erde und erwürgten alles, was sie kriegen konnten. Es verstrich nur eine Sekunde, als er beinahe automatisch Befehle brüllte. „Bogenschützen, hierher! Steckt eure Pfeile in Brand! Magier, verbrennt die Wurzeln!“ Augenblicke später hagelte es brennende Pfeile und Wurzeln fingen wie von selbst Feuer. Suteyn zog blank und begann wie ein Beserker auf die Pflanzen einzuschlagen. „Bei Nesace Blut! Was ist los?!“ Sein weißes Gefieder glänzte hell, als sich Ferro mit zwei Flügelschlägen höher in den Himmel Al Aaraafs schwang. Seine silbernen Haare wehten verspielt im Wind und die smaragdgrünen Augen blickten zur Sonne, als diese noch heller zu scheinen begann. Ferro wich ein wenig von dem grellen Licht zurück, als sich plötzlich seine Flügel ineinander verfingen und der Engel stürzte zu Boden. Panisch schlug er mit den Schwingen und versuchte, sie zu lösen, gleichzeitig probierte er sich vom Licht wegzudrehen, um etwas sehen zu können. Doch als es ihm schließlich gelang, war es zu spät. Mit voller Wucht prallte er auf dem Boden auf und ächzte qualvoll. Blut vermischte sich mit Tränen und selbst durch diesen Schleier nahm er die Intensität des Lichtes wahr. Tamara lächelte fröhlich, als sie die Freude ihres jungen Herren sah. Mit einer Hand beschattete sie ihre Augen und für einige Augenblicke konnte sie nichts sehen, dann sah sie nur Ferros Gestalt, die sich schwarz von der Sonne abhob. Und sie stürzte auf sie zu! „Cereo! So tut doch was!“, flehte sie den Schutzpatron Al Aaraafs an. Ein Schatten legte sich über Ferro und er versuchte, etwas zu erkennen. „Tamara...?“, wisperte er und wimmerte unter seinen Schmerzen. Er hob schwach die Hand und wischte ihr eine Träne von der Wange, bevor sie wieder kraftlos zu Boden fiel. Temperamentvoll tanzte das Feuer um sie und obwohl sie das ruhige Wasser kniehoch umgab, wurde sie nicht nass. Der Wind spielte mit ihrem veronesergrünen Haaren und die Blätter ihrer Bäume sonnten sich im Licht. Und die Schatten, die sie warfen, hingen dumpf und schwer auf ihr. Schwer... Auflehnend... Widerstrebend... Gegenspielend... Rebellisch! Cereo flüsterte das Wort nur, doch alle erzitterten, als es fiel. Meine Freunde, dies ist die ihm zugeteilte Aufgabe, die er erfüllen wird. Der Rebell. Nesace nickte befriedigt und spürte Cereos Unbehagen. Nun mach dir keinen Kopf, sagte sie und der Anführer zuckte die Achseln. So sei es..., seufzte er, bald wird er da sein... Ein Schatten legte sich über Takatunô, das Land der Aftiel, als Harut besorgt zum Himmel sah. Seit Tagen war die Luft mit unheilvollem Grollen gefüllt und er verengte seine bernsteinfarbenen Augen zu Schlitzen. Er knurrte leise, legte dabei seine scharfen Eckzähne frei und stieß einen Fluch aus, als er den Schatten bemerkte. Die Wächter waren zurück und sie suchten den Schattenerben! „Die Wächter sind erwacht...“ Kapitel 4: Die Wächter erwachen ------------------------------- Die junge Frau räkelte sich lüstern über ihrem Freund. Die atemberaubende Schönheit mit den kastanienbraunen Haaren beugte sich zu ihm hinab, aber der junge Mann drehte den Kopf weg. „Lass das, Seph.“ Die Frau lachte und es klang wie das Läuten von kleinen Glocken. „Aber, Shadow. Was ist denn los? Denkst du an das Kätzchen?“, fragte sie und richtete den Oberkörper auf, sodass sie zu ihm hinabblickte. „Nein“, nuschelte er als Antwort, bevor er die Bäume ringsum der Lichtung, auf der er lag, betrachtete. Die Schatten schienen heute besonders schwer zu sein, fast schon rebellisch. Der Dämonenbastard verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und Seph richtete sich ganz auf. Sie glättete unnötigerweise ihr Kleid, der mitternachtsblau schimmernde Stoff schmiegte sich an ihren Körper und ließ sie noch verführerischer wirken. „Was denn?“ Shadow zuckte die Achseln. „Der Wind ist ungewöhnlich stark... Und das Licht scheint viel heller als sonst.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Wispern, aber was Seph daraus hörte, genügte, um sie auf das Richtige schließen zu lassen. „Du spürst, wie das Orakel stärker wird, Shadow. Es verlangt nach dir.“ „Jetzt schon? Ist es nicht ein wenig früh, mein Leben wegzuwerfen?“ „Wie? Du hast dein Leben sowieso schon aufgegeben und beim Orakel wärst du wenigstens nützlich. Was hält dich zurück?“ Shadow wich ihrem Blick aus, bevor er sich eine Antwort abrang. „Ich... fürchte mich.“ Seph kniete sich wieder über ihn, drehte sein Gesicht zu sich und beugte sich hinab. „Es geht also doch um das Kätzchen“, sagte sie, nährte sich im, doch Shadow sprang so unvermittelt auf, dass die junge Frau hart auf dem Boden fiel. „Was, bei allen Göttern des Orbits, soll das?!“, fauchte sie, als sie sich aufgerappelt hatte und rieb sich die schmerzende Kehrseite. Shadow jedoch stand mit zu Schlitzen verengten Augen in der Lichtung und blickte umher. „Die Bäume... sie haben sich bewegt, sie sind näher zusammengerückt!“, zischte er und wollte zu seinem Bogen greifen, als er merkte, dass er ihn in seinem Zimmer liegen hatte lassen. Seph stöhnte verzweifelt auf und schüttelte den Kopf. „Shadow. Du sagtest mir, bevor wir hier ankamen, dass du dich damit abgefunden hast. Dein Leben wird doch nicht enden! Und nun lass deine von den Göttern verfluchte Paranoia beiseite! Nesace will dich nur triezen, aber sicher nicht drängen.“ Shadow sah sich noch einmal kurz um, als plötzlich die Erde unter seinen Füssen erzitterte. „Ein Erdbeben?“, fragte Seph verwundert, doch der junge Mann schüttelte den Kopf. „Nein, aber ein Vorbeben.“ Plötzlich dröhnten laute Stimmen in seinem Hirn und er presste beide Hände an den Kopf. Namen wurden gerufen, Schreckensschreie ertönten und eine noch nie dagewesene Angst breitete sich explosionsartig in ihm aus. Er weitete vor Entsetzen die Augen, ob der gnadenlosen Furcht, die ihn durchwallte. Seph wollte näher treten, um nach ihrem Freund zu sehen, doch sie hielt inne, als sie die Bäume kichern hörte. „Nesace!“, rief sie und hob beschwörend die Hände. „Nesace, hört auf!“ Die Wächterin der Wälder lachte schallend und trat näher, verließ jedoch nicht die schützenden Schatten der Bäume. „Er muss sich seinem Schicksal beugen. Er ist der Schattenwächter, Erbe der Schatten, also wird er zum Orakel gehören, ob er nun will oder nicht. Es ist sein Schicksal und es wird es auch bleiben- in Ewigkeit.“ Sie lachte erneut und musterte Shadow herablassend. „Seht ihn Eich an, er durchlebt das Leid und die Schmerzen jener, die ihr Leben verloren, als das Orakel sich vereinigt hat, weil es seine Schuld ist, denn ohne ihn sind die Gewalten nicht im Gleichgewicht.“ Ein drittes Lachen erklang, ein kaltes, das sogar vermocht hätte, den Ozean zuzufrieren und ihre Stimme troff vor Verachtung, als sie sagte: „Ja, Shadow, du könntest ihnen das alles ersparen, wenn du nur zu uns kommen würdest.“ „Nesace!!“ Eine Stimme wie der Donner selbst hallte über die Lichtung und ein Blitz so hell wie zehn Sonnen schlug ein. Cereos Gestalt löste sich aus dem Licht und Shadow sank mit einem qualvollen Schrei auf die Knie. Der Wächter der Lichter erhellte die Umgebung so sehr, dass kein Schatten im Umfeld existieren konnte. Er schritt auf Nesace zu und verpasste ihr eine Ohrfeige. „Bist du von Sinnen?!“, zischte er gefährlich leise und die Waldwächterin zuckte unter seinem Zorn zusammen. „Ich dachte nur...“ „Du hast nicht zu denken!“, unterbrach Cereo sie mit solch scharfer Stimme, dass man die Beleidigung sogar hätte überhören können, so tief schnitt der Ton in die Seele und Nesace bekam es mit der Angst zu tun. Sie wollte etwas erwidern, doch Cereo wandte sich ab und das Licht, das von ihm ausging, erlosch, als er Shadow musterte. Dieser hörte auf zu schreien und blickte auf, seine Augen waren preußischblau und loderten vor Hass. „Gefährte Schatten“, begrüßte Cereo ihn und bot ihm die Hand an, doch Shadow schnaubte verächtlich und rappelte sich auf. „was willst du?“ Der Lichtwächter zögerte kurz, denn er wusste, dass er seine Worte in die goldene Waagschale legen musste. Alles wäre verloren, wenn er an Shadow scheiterte. In Gedanken verfluchte er Nesace, bevor sich räusperte. „Du darfst unsere Macht nicht unterschätzen, Freund Schatten. Du suchst nach Etwasem, das du hier nicht finden wirst. Wir sind die Zukunft, denn wir kennen sie, wie können sie verändern. Du kannst nicht wissen, was passiert, wenn du dich uns nicht anschließt, überleg es dir gut. Wenn du uns ablehnst, dann musst du die Folgen tragen, wir können dich zu nichts zwingen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um, packte Nesace an den Haaren und sagte: „Um dich werde ich mich noch kümmern.“, dann verschwand er. Seph trat näher und legte eine beruhigende Hand auf Shadows Schulter. Der Hass, der in seinen Augen aufglomm, beunruhigte sie. Seph wusste nicht, wieso er sich gegen sein Schicksal auflehnte. Ob er etwas ahnte? „Warum bloß, Shadow?“, seufzte sie und der Schattenwächter blickte sie an. „Weil ich erst in Kauf nehmen will, dass ich die Welt nie wieder betreten darf, wenn ich genug von ihr habe“, antwortete er und lief los. „Hey, wo wisst du hin?“ „Nach Hause... Mir gefällt das ganze hier nicht. Dort fühle ich mich wenigstens sicher.“ Seph stöhnte auf, schüttelte resigniert den Kopf, tat einen Schritt und dann war sie wie Cereo verschwunden. An ihrer Stelle lag dort im Gras eine Schlange. Ein ruhiger Nachmittag, ein gutes Buch, ihre Lieblingschips, keine Dayna oder Reiko in der Nähe, die sie stören könnten und trotzdem war Cat kein bisschen glücklich. Seit fünf Tagen ging sie Shadow bewusst aus dem Weg, doch es kostete sie mehr Selbstbeherrschung als ihr lieb war. Stöhnend stand sie auf und begann, ihr Zimmer aufzuräumen, ließ ihre Gedanken dabei schweifen. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Er war forsch, ja, geradezu aufdringlich gewesen, doch aus irgendeinem unersichtlichen Grund mochte sie ihn. Er erinnerte sie ein bisschen an sich selbst. Ich sollte ihn ignorieren, dachte sie sich. Was glaubt er eigentlich, wer er ist? Es war durch und durch taktlos gewesen, sie so zu überfallen. Cat verzog missbilligend das Gesicht, stellte sich vor ihr Bücherregal und begann, ihre sauber sortierten Bücher neu zuordnen. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und flocht nervös ihre Haare. „Meine Güte, was regt dich so auf?“, schalt sie sich selbst und faltete die Hände, um ihr Zittern zu unterbinden, als ein leichtes Beben das Haus schüttelte. Erschrocken sprang das Mädchen auf und sah aus dem Fenster. Die Gegend bewegte sich und die Spatziergänger waren stehen geblieben, sahen sich verwirrt um. „Ein Erdbeben?“ wisperte sie ungläubig, die Augen vor Angst geweitet. „Ein Erdbeben!“, hörte sie jemanden rufen, doch Cat sank zu Boden, schlang ihre Arme um ihre Beine und wiegte sich hin und her „Mama…“, sagte sie halblaut und ihre Augen schienen eine Szene zu verfolgen, die nur sie und sonst niemand sehen konnte. Sie saß in einem kahlen Raum. Obwohl er keine Fenster besaß, war es hell. Im Nebenraum hörte sie zwei Leute sich streiten. Das kleine Mädchen schlang ihre Arme um ihre Beine und wiegte sich vor und zurück. Bald würde etwas Schlimmes geschehen, dass spürte sie. Sie hörte, wie Glas zerbrach und kurz darauf knallte eine Türe. Ein wütendes Stapfen kam näher und die Türe zu ihrem Zimmer wurde geöffnet. Ein Mann trat ein und schritt auf sie zu. „Va-“, setzte sie an, doch ihr Vater schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. „Das ist alles deine Schuld, du Biest! Wegen dir ist deine Mutter fort, bist du nun glücklich?!“, schrie er sie an, das Gesicht vom Zorn gerötet. „Nein…“, wimmerte sie leise und wurde erneut von der Wut ihres Vaters getroffen. Nein, flehte sie, Du bist nicht mein Vater! Lass mich in Ruhe, du bist nicht mein Vater! Furcht und Wut stiegen in ihr auf. Verschwinde!! Sie rief das Wort mit der ganzen Kraft ihrer Gedanken, als plötzlich die Erde unter ihrer Furcht heftig erzitterte. Das Mädchen stand auf und spreizte ihre Flügel, als die Wände des kahlen weißen Raumes Risse bekamen. „Du bist nicht mein Vater!“, schrie sie den Man vor sich an und wie auf einen stummen Befehl hörend, gab die Decke nach und begrub den Mann unter sich. Erschrocken zuckte das kleine Mädchen zurück, dann wandte sie sich um und suchte nach einem Weg aus der eingestürzten Wohnung. „Vel… Vel?“, rief sie dabei flehend, auf der Suche nach ihrem Bruder. „Ravel?“ Als das erste heftige Beben einsetzte, beschleunigte Shadow seine Schritte. Eine böse Vorahnung schwirrte in seinem Kopf und sie bestätigte sich, als er die halbeingestürzte WG sah. „Ist irgendjemand im Haus?“, fragte er ohne Umschweife, als er zu Jeremy trat und dieser schüttelte den Kopf. „Wie kommt es, dass wir von einem Erdbeben von solcher Intensität überrascht werden? Ich dachte, so etwas sei voraussehbar…“, murmelte er erschüttert und Shadow nickte bedrückt, als er Rina neben sich bemerkte. „Die Wächter sind erwacht…“, wisperte sie und Shadow lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Doch nicht die Wächter? „Rina…“, begann er, doch die junge Frau blickte plötzlich auf und sah sich um. „Wo ist Cat?“, fragte sie dann panisch und alle Blicke wanderten zu Rina. „Cat ist nicht da!“ Shadow brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um die Nachricht aufzunehmen. Ohne zögern schritt er auf den Trümmerhaufen zu, eine Aura der Macht umwand ihn dunkel und der weite Mantel, den er trug, wurde von einer von ihm selbst ausgehenden Brise aufgeweht. Sie wirkte wie zwei schwarze Schwingen. Das Licht nahm ab und die Schatten verdichteten sich, eine künstliche Düsternis erschaffend. Shadow betrat das Gebäude durch die halb eingestürzte Türe und mit einem Wink räumte er die Trümmer, die im Flur lagen, aus dem Weg. „Cat!“, rief er und mit jedem Schritt, den er tat, wob er die Dunkelheit dichter, verstärkte seine Macht somit und verbannte jegliches Licht aus dem Haus. Er kämpfte sich weiter, die Magie in ihm ließ seine Augen mitternachtsblau schimmern. Es war seine Schuld. Es war seine Schuld, dass dieses Erdbeben geschehen war und es wäre seine Schuld, wenn Cat jetzt stürbe. Hatte Cereo das gemeint, als er sagte, er müsse die Folgen tragen? Unschuldige Menschen würden weiterhin sterben? Shadow schüttelte sich, denn ihm wurde zum ersten Mal bewusst, dass es kein Entrinnen gab. Er war Gefangener seiner selbst. Auch der Schattenwächter war in dieser Nacht erwacht… Mit lautem Krachen löste sich ein Stück der Decke, doch Cat nahm das ganze nicht wahr. Sie durchlebte den Alptraum ihrer Kindheit wieder und wieder. Jämmerlich war der passenste Ausdruck, um sie zu beschreiben: Tränen rannen ihr über die Wangen, sie umklammerte nach wie vor ihre Beine und zitterte wie Espenlaub. Die Angst bohrte ihre kalten Klauen tief in die Seele des Mädchens und sie schluchzte kläglich. „Cat!“, hörte sie jemanden ihren Namen rufen und kurz darauf wurden die Steine, die dem Eingang blockierten, weggehoben und nach hinten geschleudert. Shadow stand dort, eine dunkle Aura flirrte um ihn und Cat sah ihn an, ihre smaragdgrünen Augen wirkten leer. Der Wächter eilte zu ihr und kniete sich vor ihr nieder. „Cat… Es geht dir gut, lass uns von hier verschwinden“, sagte er, als sich ein weiteres Stück Beton von der Decke löste. Schnell hob er eine Hand und ein dunkler Schirm erschien um sie, schützte die beiden vor jeglichem Schaden, doch Cat fing an zu wimmern. „Dunkelheit…“, flüsterte sie ängstlich und Shadow fluchte leise. Ihren Arm packend, zog er sie zu sich und drückte sie an sich, fuhr ihr sanft über den Kopf. Er musst sie unbedingt heraus bringen, aber wie? Als ob jemand auf sein stummes Flehen hörte, sprossen mehrere Ranken aus dem kahlen Trümmerfeld, legten sich um die beiden und Augenblicke später befanden sie sich hinter dem zerstörten Haus. „Iblis würde aus der Haut fahren, hätte er das gesehen, solch eine Narretei!“, murmelte sie leise und blickte zum Himmel. „Ich habe das Mädchen gerettet, nicht Euch…“, sagte sie dann, den unter magischen Wesen üblichen höflichen Ton einschlagend, und ihre dunkelgrünen Augen musterten ihn kalt. „Ich hasse Euch, mein Prinz. Ich hasse Euch für das, was ihr getan habt, für das, was ihr tut und sicherlich auch für das, was Ihr noch tun werdet.“ Mit diesen Worten verschwand sie, nichts weiter als ein Efeublatt hinterlassend, das verspielt im Wind tanzte, der unheilvoll über die Trümmer pfiff und so eine beklemmende Symphonie erklingen ließ. Shadow zerfurchte die Stirn und blickte das Blatt irritiert an. Prinz? „Hier sind sie!“ Jeremys Ruf unterbrach den Gedanken des Schattenwächters. „Shadow, Cat, da seid ihr ja, alles in Ordnung?“, fragte Dayna besorgt und wollte ihnen aufhelfen, aber Shadow winkte ab. „Es geht schon, kümmert euch lieber um die wirklich Verletzten.“ Das Mädchen wollte protestieren, doch ihr Freund zog sie von den beiden weg. „Es ist alles okay, lass sie alleine…“, flüsterte er und führte sie wieder vor das Haus. Cat schluchzte hemmungslos und Shadow hielt sie fest in den Armen, mit seinen Fingern fuhr er ihr durch die Haare und wisperte ihr beruhigende Worte zu. Nur langsam löste sich ihr Geist von der Vergangenheit und kehrte in die Gegenwart zurück. „Vel?“, fragte sie, Angst erfüllte noch immer ihre Stimme. „Ich bin es… Shadow“, antwortete der Dämon zögerlich und sie hob eine Hand. Sanft strich sie mit ihr über sein Gesicht, blickte in seine indigoblauen Augen, dann klammerte sie sich an seinen Mantel und drückte sich an ihn. „Shadow…“ Sie wimmerte leise und der junge Mann umfing sie noch fester, wiegte sie hin und her, bis Cat langsam wegdämmerte und schließlich einschlief. Eine Stunde verging und Shadow hatte währenddessen nicht einmal damit, aufgehört, ihr beruhigend über den Kopf zu streicheln. Seine Haut brannte leicht an den Stellen, an denen er ihre Haut berührte, aber Shadow war viel zu sehr in Gedanken, als das er sich davon hätte stören lassen. Dayna war inzwischen schon zu ihm gekommen und hatte ihm gesagt, dass man ihnen eine neue Unterkunft bereitgestellt hatte. „Ich komme nach, sobald Cat wach ist. Ich möchte sie nicht wecken“, hatte er gelogen und Dayna war gegangen. In Wahrheit wollte er einfach nur alleine sein mit seinen Gedanken, Rinas Worte beschäftigten ihn. Er konnte sich nicht daran erinnern, etwas so schlimmes getan zu haben, um ihren Hass zu verdienen. Im Grunde genommen war er genauso unauffällig wie die Schatten selber gewesen. Und dann der Titel… Prinz? Sollten seine Eltern Könige gewesen sein, dann ist dieser Umstand an ihm vorbei gezogen, ohne bemerkt zu werden. Oder sein Verdacht hatte sich bestätigt und das waren gar nicht seine leiblichen Eltern. Einen Hinweis hatte er, aber dies war auch das einzige und er brachte ihn so gut wie gar nicht weiter. Seufzend griff er über die Schulter nach seinem Bogen, dem einzigen Stück aus seiner wahren Vergangenheit, und erstaunt griff er ins Leere. Behutsam legte er Cat auf den Boden und stand auf. Er ließ seinen Blick über den Trümmerhaufen schweifen und dachte angestrengt nach. Wo hatte er den Bogen gelassen? „In meinem Zimmer…“, wisperte er entrüstet, dann fluchte er laut und schritt auf das zusammengestürzte Haus zu. Dieser Bogen war das Einzige, was er hatte. Und er würde ihn zurückholen! Ein lautes Krachen ließ Cat aus ihrem traumlosen Schlaf schrecken. Langsam richtete sie sich auf, ihr Kopf schmerzte, als sie ihn zu schnell bewegte, und sie sah sich um. Sie befand sich hinter der WG, die in Schutt und Asche zerlegt worden war. Es hatte angefangen zu beben, doch an das, was danach geschehen war, konnte sie sich nicht erinnern. Ein Donnern zerriss erneut die Stille und Cat stand auf, als ein leichter Schmerz durch ihren Körper fuhr. Doch sie ignoriere und lief auf die Trümmer zu. War da etwa noch jemand drinnen? „Hallo?“, rief sie und wieder rumpelte es. Das Geräusch kam von dem oberen Stockwerk und Cat suchte einen Weg hinaus. Sie kletterte über einige Steinhaufen und fand die noch halb intakte Treppe. Sie knickste immer wieder ein, aber schließlich gelangte sie nach oben. Shadow kniete vor einem Steinhaufen und räumte mit bloßen Händen die Trümmer weg, eine zwielichtige Aura umwand seine Gestalt. Sein Hände wiesen bereits zahlreiche Schnitte auf, doch er schien keine Notiz von davon zu nehmen. „Shadow!“, rief sie über das Knirschen des Betons hinweg und der jungen Mann drehte sich erschrocken um, zog sich dabei einen tiefen Schnitt im Unterarm zu, als er die scharfe Kante eines großen Steines streifte. „Was soll das?!“, herrschte sie ihn barsch an und ihr wurde bang, als sie sah, wie das Blut aus der frischen Wunde quoll. Doch Shadow schien auch den größeren Schnitt nicht zu bemerken. „Cat? Was zur Hölle tust du hier?!“, fuhr er sie in genauso barschem Ton an, „du bist verletzt?“ „Was du nicht sagst!“, höhnte sie, obwohl ihr schon Tränen in den Augen standen, „an einem verknacksten Knöchel ist noch niemand gestorben und an einer Quetschung auch nicht. An Blutverlust aber schon!“ Shadow grub weiter, während das Blut weiter floss und seinen ganzen Unterarm bedeckte. Plötzlich richtete er sich auf und lachte. In Händen hielt er einen Bogen aus Ebenholz und grasgrüne Adern schienen in ihm zu pochen. Er grinste Cat triumphierend an, doch als er die Tränen sah, die ihr über die Wangen liefen, verblasste sein Lächeln. „Was ist?“, fragte er mit besorgtem Gesichtsausdruck. Ohne groß zu denken, hob er die and an ihre Wange und wischte die Träne davon, doch Cat drehte ihr Gesicht weg. „Und da fragst du noch? Weißt du, wie gefährlich das war? Musste das sein? Du hättest auch warten können!“, sagte sie leise und sah ihn verletzt an, wie Shadow fand. „Ja, es musste“, antwortete er aber unverblümt und als er den Bogen um seine Schulter legte, bemerkte er den tiefen Schnitt in seiner Elle. Erstaunt blickte er das Blut an, dann fluchte er leise. Er ging vor Cat, die sich inzwischen auf den Boden gesetzt hatte, in die Hocke, drehte mit einer sanften Berührung ihr Gesicht wieder zu sich und lächelte zaghaft. „Tut mir leid, ich habe mein Leben alleine verbracht, wie sollte ich wissen, dass sich jemand um mich schert?“ Er sagte es, und das erstaunte Cat, ohne Verbitterung oder Wut- er sagte er schlicht und einfach. „In deinem Zustand wirst du nicht laufen können“, meinte er nach einer Weile und bevor das Mädchen protestieren konnte, wurde sie von ihm aufgehoben. Shadow spürte den Druck auf seinem verletzten Arm und biss sich auf die Unterlippe, ging jedoch stur weiter. „Geht es? Ich kann auch laufen…“ Besorgt musterte Cat Shadow, doch er schüttelte nur den Kopf und lächelte. „Kein Problem, ist nur ein Kratzer“, antwortete er, dann stampfte er kurz auf. Eine Schlange kam aus einem Steinhaufen hervor und kroch an Shadows Bein hinauf bis zu seinem Hals, dann sah sie ihn an und legte dabei den Kopf schräg. „Darf ich vorstellen, das ist Sephalica, meine Schlange.“ Sephalica sah Cat an, dann zischte sie leise und Shadow blickte sie fragend an, stöhnte aber leise, als der Schmerz zunahm. „Komm, lass mich runter, ich kann gehen“, sagte Cat, doch er ließ sie noch immer nicht los. Als sie endlich ins Freie kamen, wankte Shadow bereits. Unsanft ließ er sie fallen und sank dann selbst zu Boden. Er keuchte und biss sich fester auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschreien. „Sephalica…“, sagte er leise, lehnte sich gegen die Trümmer und schloss die Augen. Die Python an seinem Hals regte sich und kroch auf den Boden. „Los, geh…“, wisperte er zögerlich und so leise, als ob es ihn Überwindung kosten würde zu sprechen, „geh zu Nico…“ Kapitel 5: Engel mit Dämonenblut -------------------------------- Nico Cooper war eine seltsame Frau. Mit ihren neunzehn Jahren war sie eine der jüngsten Mediziner ihrer Zeit und dazu war sie noch eine der fleißigsten Ärzte der Klinik. Ihre überdurchschnittliche Intelligenz hatte Nico schon im Kindesalter von den anderen Unterschieden. Sie war viel schneller als die restlichen Kinder gewachsen, sowohl körperlich als auch geistig, und nie hatte jemand mit ihr Schritt halten können. Die Männer liebten sie und die Frauen beneideten sie um ihre Schönheit. Man könnte fast sagen, dass sie die perfekte Person sei. Niemand wusste woher sie kam oder was sie zu dem machte, was sie war. Doch Nico war längst nicht so perfekt, wie sie vorgab, es zu sein, denn auch sie hatte ein Geheimnis, dass sich davor hütete, entdeckt zu werden. Die junge Ärztin saß in ihrem Behandlungsraum und blickte auf das Foto, das auf ihrem Schreibtisch stand. Das Bild zeigte einen Mann mit dunkelblonden Haaren und grasgrünen Augen. Ein zartes Lächeln umspielte seine Lippen. Sanft fuhr Nico über das Bild und seufzte leise. „Bald…“, wisperte sie und schloss für einen kurzen Moment der Ruhe die Augen. „Was ist bald?“ Die junge Ärztin fuhr herum, als sie die ihr bekannte Stimme vernahm. „Würdest du bitte damit aufhören, ohne jegliche Vorwarnung bei mir auszutauchen?!“, fauchte Nico, als sie ihren ungebetenen Gast erblickte. „Und bei Cereos Gnade, verdammt, zieh dir was an!“ Leise vor sich hin fluchend stapfte sie zu ihrem Schrank, zog einen Kittel hervor und warf ihn der jungen Frau zu, die nackt vor ihr stand. „Danke“, flötete diese, als ob die Flüche der Ärztin nicht an sie gerichtet waren und streifte sich den Kittel über. Mit beinahe genüsslicher Gemächlichkeit knüpfte sie ihn zu und schien sich darüber zu freuen, dass Nico vor Wut schäumte. „Was willst du, Seph?“, fragte die schwarzhaarige Ärztin schließlich und Sephalica kicherte leise. „Was für ein warmer Empfang“, meinte sie ironisch lächelnd und Nico musste such beherrschen, um sie nicht zu schlagen. Jedes Mal wenn sie auftauchte, bedeutete das irgendwelche Unannehmlichkeiten und der Ärztin wäre es wesentlich lieber, keinen Kontakt zu ihr zu haben. „Okay, Spaß beiseite. Dein Bruder hat sich bei dem Erdbeben verletzt. Du musst ihm helfen.“ Nico schnaubte verächtlich und grinste Sephalica sarkastisch an, als diese sie ernst ansah. „Ja klar! Weil ich ja nichts anderes zu tun habe“, sagte sie und ihre Stimme troff vor Verachtung. „Ich habe keine Zeit. Das Erdbeben hat genügend Opfer gefordert, um mich die ganze Woche zu beschäftigen.“ Für Nico war das Thema vom Tisch, weshalb sie sich umwandte und den Stapel Patientenakten betrachtete, der unbearbeitet auf ihrem Schreibtisch lag. „Du weißt, was passiert, wenn er stirbt“, sagte Sephalica wissend und die Ärztin erstarrte in der Bewegung. „Was hat er?“ „Eine größere Schnittwunde am Arm, blutet stark.“ Die Ärztin seufzte lautlos, bevor sie sich mit zornverengten Augen wieder umdrehte. „Idiot…“, wisperte sie dabei, breitete ihre Hände aus und leises Flügelrauschen erfüllte den Raum, als Sephalica sie mit einem Kopfschütteln aufhielt. „Ein Mensch ist bei ihm, du musst also den normalen Weg nehmen.“ „Ein Mensch?“ Sephalica zögerte kurz und wog ihre Antwort ab. Sie könnte Nico anlügen und Shadow so einen Gefallen erweisen. Vielleicht würde sie durch Nico die Wahrheit herausfinden. „Seine Freundin ist bei ihm. Sie war in einem eingestürzten Haus gefangen und er hat ihr heraus geholfen. Dabei hat er sich verletzt“, sagte sie schließlich und Nico machte ein Gesicht, als ob die Schlangenfrau sie geschlagen hätte. „Idiot!“, fluchte sie erneut und griff mach ihren Schlüsseln. In der Türe drehte sie sich noch einmal zu Sephalica um. „Ich stehe nicht auf seiner Seite, im Gegenteil, ich bin sein Feind. Das Erdbeben hat viele Opfer gefordert und es war garantiert nicht natürlichen Ursprungs, das habe ich gespürt, also sag mir, was war das?“ Sephalica seufzte leise. „Ich vergaß, du fühlst alles, was er fühlt.“ Sie machte eine Pause und überlegte, wie sie sich am besten ausdrücken sollte. „Es war…“ „… die Zeremonie des Erwachens. Das Orakel ist zu Tage getreten und mit dem Angriff oder besser gesagt der Vereinigung der Elemente versuchen die an den fehlenden Wächter zu kommen. Früher war diese Zeremonie dazu da, die Elemente zu vereinen und sie so aufblühen zu lassen. Es scheint jedoch, dass die Zeremonie pervertiert wird und ins Gegenteil umschlägt, wenn ein Element fehlt“, schloss der Historiker der königlichen Hofes seinen Bericht und Iblis dankte ihm nickend. „Ich danke Euch, Thaleph, Ihr dürft nun gehen.“ Der Hofbeamte verbeugte sich und verschwand durch eine Türe an der Seite aus dem Audienzzimmer. „Suteyn, wie viele Tote hat Chrashan zu beklagen?“ Der Hauptmann trat vor und neigte nur leicht den Kopf in einer angedeuteten Verbeugung. „In unserem Lager wurde dieser… Überfall rechtzeitig bemerkt, weshalb wir nur knapp fünfzig Mann verloren haben. In den Städten dürfte der Verlust erheblich größer sein. Er wird auf mehrere tausend geschätzt.“ Iblis biss nervös auf seine Unterlippe und seine Finger trommelten in einer rastlosen Bewegung auf der Lehne seines Thrones. Was hätte sein Vater jetzt getan? Hätte er genauso gehandelt wie Iblis jetzt? „Iblis, mach dir keine Vorwürfe, das Volk macht dir auch keine“, fügte Suteyn nach kurzem Schweigen hinzu. „Fürwahr, es ist tragisch, was in Rednamor und Aidden geschehen ist, aber du kannst dir sicher sein, Chrashans Volk steht hinter dem König und dem Prinzen.“ „Weise gesprochen, Lord Schattenschwert“, pflichtete Allen dem Hauptmann bei und er verneigte sich in ihre Richtung. „Vielen Dank, Euer Durchlaucht.“ Der König seufzte frustriert. „Ich weiß nicht, wo dieser Krieg uns hinführt! Wenn wir Aidden von der Herrschaft der Engel befreien, was wird das an unserer Situation ändern? Das Orakel wird dann immer noch bestehen und mein Sohn wird immer noch der sein, der er ist. Ich… habe den Sinn meines Handelns verloren.“ Allan blickte besorgt zu ihrem Mann. Sie hatte gewusst, dass seine Entschlossenheit schwankte, doch das so viel Zweifel an ihm nagte, beunruhigte die Göttin zutiefst. „Und wenn wir es vernichten, geht die Magie mit ihnen…“ Wie alle magischen Wesen glaubte auch Iblis, dass sie zum Wirken von Magie von der Kraft des Orakels abhängig waren. Allan aber glaubte, dass da eine andere Form der Magie sei, es musste so sein! Wenn sie Magie wirkte, bediente sie sich einer Macht, die in ihr schlummerte. Die Macht eines Gottes? Allan vermochte nicht genau zu bestimmen, ob auch andere diese Kraft in sich trugen. „Ich halte es für das Beste, den Krieg fort zusetzten. Es ist wichtig, diesen Scheinheiligen die Stirn zu bieten und die anderen aus deren Tyrannei zu befreien“, sagte Suteyn und riss Allan so aus ihren Gedanken. Iblis schwieg eine Weile und nickte schließlich zustimmend. „Hauptmann, schickt einen Boten nach Casaxel zu den Dunkelelfen und einen weiteren nach Takatunô zum Volk der Aftiel. Wir bitten um kriegerischen Beistand.“ Suteyn nahm grinsend Haltung an. „Zu Befehl, Euer Durchlaucht!“, sagte er possenreißerisch und verließ den Raum. Allan legte Iblis behutsam eine Hand auf den Schenkel, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Iblis? Glaubst du nicht, es wird langsam Zeit, sie um Hilfe zu bitten? Sie kann ihn schützen.“ Der König nickte leicht und rieb sich mit den Händen die Schläfen. „Du hast Recht, ihr rede mit…“ „Nico?“ Nachdenklich runzelte Cat die Stirn. Den Namen hatte sie vor kurzem schon einmal gehört, doch sie erinnerte sich nicht mehr daran, wann das gewesen war. Neben ihr stöhnte Shadow leise auf, als er sich ungeschickt das T-Shirt auszog. „Was tust du da?“, fragte das Mädchen, bemüht darum, ihm zu helfen. Shadow aber überging ihre Frage und riss einen Streifen von seinem Shirt ab. Dann schlang er das Stück Stoff um den untersten Teil des Oberarms und mit Hilfe seiner Linken und seinem Mund gelang es ihm, den Streifen zuzuschnüren. Er bindet das Blut ab… Staunend sah Cat ihm zu. So geschickt, wie er das machte, musste er es irgendwo gelernt haben. Ihr Blick wanderte von der Binde seinen Arm hinab und auf der Unterarminnenseite in der Nähe des Handgelenkes entdeckte sie einige Narben. Die Wülste, die die Wunden hinterlassen hatten, ließen darauf schließen, dass sie sich entzündet hatten. Diese Wunden kamen doch nicht etwa von…? „Woher kommen diese Narben?“, fragte Cat misstrauisch und griff nach seinem Arm, doch Shadow zog ihn zurück. Also doch! „Du hast versucht…“ „Bei allem Respekt, Cat, aber das geht dich nichts an“, unterbrach Shadow sie mit eisiger Stimme. Das Mädchen öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn dann aber wieder. Vielleicht war es doch etwas zu privat, als dass sie nachhaken sollte. „Wer ist Nico?“, fragte sie stattdessen und brachte das Gespräch auf ein anderes Thema. Shadow schnaubte verächtlich und zog sich seinen Mantel wieder an. Sein Blick wurde noch düsterer und Cat bereute es gleich wieder, gefragt zu haben. „Nico ist meine Schwester, mein Zwilling um genau zu sein. Sie ist Arzt.“ „Ach, dann hat sie mich damals behandelt.“ Shadow hob den Blick vom Boden und das Eisblau in seinen Augen schien leichte Wellen zu schlagen. Erstaunlichere Augen hatte Cat noch nie gesehen. Sie schienen tatsächlich die Farbe zu wechseln! Fasziniert betrachtete sie das farbige Feuerwerk, als Eisblau auf Indigoblau traf und die beiden sich verbanden. „Als ich wegen meinem Fuß im Krankenhaus war“, ergänzte sie, als Shadows fragender Blick sie traf. „Dann kannst du einem ja leid tun“, brummte er, doch Cat schüttelte den Kopf. „Nein, sie war wirklich sehr nett.“ „Ein Wunder…“ Oder auch nicht, fügte er in Gedanken hinzu, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass es genau so war, wie er es sich dachte. Das würde bedeuten, dass sie mehr wusste als er… oder wollte er einfach nichts wissen? Mit einem Seufzen schüttelte Shadow die wirren Gedanken ab. „Sie ist gleich hier“, sagte er und kurz darauf bog ein Auto in die Strasse ein. Vor der Ruine des Gebäudes machte es halt und Nico stieg aus. Ihr rabenschwarzes Haar reichte ihr bis knapp über das Kinn. Über ihrer einheitlich schwarzen Kleidung trug sie einen weißen Kittel und an dem war ein kleines Schild befestigt, das sie als „Nico Cooper“ auswies. Neben ihrem Namen war ein Bild der Ärztin zu sehen, auf dem sie einem freundlich lächelnd entgegenblickte. Die Frau vor ihnen aber lächelte nicht. Sie blickte Shadow herablassend an. Der Ausdruck der rauchblauen Augen, in denen kein Funken Liebe stand, ließ Cat erzittern. Das war Shadows Zwilling… Unwillkürlich musste Cat an ihren Bruder denken und genau in diesem Augenblick schien das Loch, das er mit seinem Verschwinden in ihrem Herzen hinterlassen hatte, spürbarer denn je. Nico schloss das Auto und schritt dann langsam auf Shadow zu, Cat würdigte sie dabei keines Blickes. „Es ist unglaublich, wie du es immer wieder schaffst, so etwas zu vollbringen!“, sagte die Ärztin in einem mehr als abfälligen Ton und deutete mit einer Handbewegung auf die Trümmer der ehemaligen Wohngemeinschaft, dann ging sie vor Shadow in die Hocke. „Flick mich einfach zusammen und geh wieder. Dann bin ich glücklich, dann bist du glücklich und die Sache ist gegessen“, antwortete Shadow in derselben Schärfe und Cat wich ein wenig vor dem Geschwisterpaar zurück. Der Bogenschütze zischte leise, als Nico ihn grob am Arm packte und den Schnitt betrachtete. „Ist das nicht etwas zu extrem für selbstverletzendes Verhalten?“, sagte sie, während sie in der Tasche nach den Instrumenten suchte. Als sie Nadel, Faden und ein desinfizierendes Tuch gefunden hatte, entfernte sie den Fetzen, mit dem Shadow die Blutung gestoppt hatte. Dann griff sie nach dem Tuch und wusch den Schmutz aus der Wunde, nahm die Nadel mit dem organischen Faden und begann, den Schnitt zuzunähen. Shadow biss sich während der ganzen Prozedur auf die Unterlippe und man sah, dass Nico nicht sonderlich vorsichtig war. Langsam näherte Cat sich dem Verletzten, legte behutsam ihre Hand auf seinem die er zu einer Faust geballt hatte und sah ihn besorgt an. Wie ein Mann wandten Shadow und Nico den Kopf und starrten Cat an, ein und denselben Ausdruck auf dem Gesicht, sodass Cat die Hand gleich wieder zurückzog. „Du!“, sagte Nico erstaunt und erinnerte sich wieder an ihre Patientin. „Du bist also…“ Ihre Mimik wechselte von Verwunderung zu Herablassung und schließlich stand Nico auf. Sie warf Shadow noch einen Verband vor die Füße, bevor sie sich umdrehte und zurück zu ihrem Auto lief. „Dieses Erdbeben hat viele verletzt und Unschuldige getötet. Ich kann dir nur anraten, deine nächsten Schritte sorgfältig zu wählen“, sagte der Zwilling und warf Shadow über die Schulter hinweg einen letzten Blick zu. Dann stieg sie in das dunkelblaue Auto und fuhr davon. Krampfhaft umklammerte sie das Lenkrad, die Maske der Unantastbarkeit fiel von ihrem Gesicht und sie bremste das Auto ab. „Ich tue das für dich, für uns… für unsere gemeinsame Zukunft“, sagte sie leise und blickte gen Himmel, als eine weiße Wolke sich von der Sonne weg schob und die Lichtstrahlen sanft über Nicos Wangen streichelten, so als wollten sie ihr zustimmen und sie auffordern weiterzumachen. Als Nico sich wieder gefasst hatte, drückte sie wieder auf das Gas. Sie hatte eine Aufgabe und sie würde diese Aufgabe erfüllen. Kapitel 6: Der Eisenaxtclan --------------------------- Die sanften Töne der Okarina hallten durch den Wald Takatunôs und wurden von dem leisen Gurgeln des Wasserfalls begleitet, der sich in einen großen See in der Mitte der Lichtung ergoss. Niemand wusste, was genau dieses Wasser war, doch man sagte ihm besondere magische Kräfte nach. Denn kein Fluss oder Bach führte von diesem See weg, trotzdem führte er nie Überwasser. Harut, der Aftiel, blickte auf, als ein etwas lauteres Plätschern die beruhigende Weise, die er auf seiner Okarina spielte, unterbrach und sein Blick wanderte über die glatte Oberfläche des Sees, der im hellen Schein des Mondes silbern glitzerte. Seine bernsteinfarbenen Augen verengten sich, als dich das Wasser in etwa der Mitte kräuselte und etwas Flossenähnliches die Oberfläche durchbrach. „Was…?“ Langsam erhob sich Harut von seinem Sitzplatz und näherte sich dem magischen See bis zu dessen Ufer. Im gehen streifte er den groben, grauen Mantel ab, unter dem er nur eine Hose aus demselben Material trug. Den Oberkörper hielt der Aftiel stets unbekleidet. Es rauschte, als Harut in den See watete, um den Gegenstand zu bergen, mit dem ihn der Wasserfall beschenkt hatte. Er roch nach Salz, soviel wusste der Wolfsmensch, doch er konnte nicht sagen, was es genau war. Er stieß sich vom Boden ab und schwamm die letzten Meter zu seinem Fundstück. Mit beiden Händen umfasste er den Gegenstand, zuckte jedoch gleich zurück. Die eine Seite war scharf und hinterließ einen dünnen Schnitt in seiner rechten Handfläche, der einen roten Faden durch das silberne Wasser zog. Harut spürte ein Gewicht, als er die stumpfe Seite wieder ergriff und das Fundstück ans Ufer zog. Ein übergroßer Fisch? Harut zuckte die Schultern; Ihm war nicht bewusst gewesen, dass es in diesem See Fische gab. Geblendet von der silbernen Oberfläche des Wassers hievte der Aftiel seine „Beute“ an Land, bevor er sich selbst aus dem See zog. Noch während er sich das nasse, stahlgraue Haar aus dem Gesicht strich, drehte er sich um und erstarrte mitten in der Bewegung. Sein Blick haftete auf dem vermeidlichen Fisch und misstrauisch wich Harut einen Schritt zurück. Dort, wo ein Fisch liegen sollte, lag ein Mensch… oder war es doch ein Fisch? Oberhalb der Fuß- und Handgelenke wuchsen der Person Flossen, ebenso aus der Hüfte und statt mit Haaren begann bei der Stirn eine große Flosse, die bis in die Mitte des Rückens reichte. Ansonsten war die Form des Wesens menschlich. „Eine Ayuni…?“ Harut hatte schon viel von den lichten Nachbarn Takatunôs gehört, jedoch noch nie einen mit seinen eigenen Augen gesehen. Neugierig ging der Aftiel auf die Knie und schnüffelte an der regungslosen jungen Frau. Der Geruch von Salz haftete an ihr, „Hallo?“, knurrte der Wolfsmann und berührte die Ohnmächtige sachte an der Schulter. Ihre Haut war mit feinen, kaum sichtbaren Schuppen überzogen, die hellblau schimmerten. Die Kiemenschlitze an ihrem Hals zitterten leicht und ihre Brust hob und senkte sich. Sie war also noch am Leben und irgendwelche Verletzungen konnte der Aftiel auf den ersten Blick nicht ausmachen. Nachdenklich sah Harut sich um, während er beide Hände auf den Boden legte. Ein schwarzer Schleier legte sich um den jungen Mann und als er langsam verblasste, stand Harut in der Gestalt eines Wolfes auf der Lichtung; der wahren Form der Aftiel. Was einen Aftiel von einem normalen Wolf unterschied, war vor allem die Größe. Ersterer könnte einem durchschnittlich großen Menschen als Reittier dienen, Ansonsten glichen die Aftiel ihren kleinen Verwandten. Sie lebten in Rudeln und ernährten sich von der Jagd. Ihr Fell war von dem Grau des Nebels, der oft über Takatunôs Boden schwebte und die bernsteinfarbenen Augen zeigten die Ruhe dieser als wild verrufenen Tiere. Harut stupste die unbekannte Ayuni mit der Schnauze an und as sie sich immer noch nicht bewegte, packte er sie vorsichtig mit den Zähnen und hob sie auf seinen Rücken. Dann setzte er sich langsam in Bewegung und verließ die Lichtung, warf dabei immer wieder einen Blick nach hinten, um sicher zustellen, dass das Mädchen nicht abrutschte Als Harut ins Lager seines Clans, dem Eisenaxtclan, kam, stand die Sonne bereits drei Stunden am östlichen Horizont und das Lager war ungewöhnlich rege. Der Wolfsmensch knurrte leise, als er durch das Lager streifte und noch bevor ihn jemand bemerken konnte, kroch er in sein Zelt, auf dessen Boden Felle und Kissen verstreut lagen. Sanft ließ er die Ayuni von seinem Rücken gleiten, dann umwandte ihn wieder der schwarze Magieschleier und er nahm menschliche Gestalt an. Der gleiche Schleier bildete sich auch um seine Beine und als dieser verblasste, kam die Hose zum Vorschein, die er am See bereits angehabt hatte. In seiner nun wieder menschlichen Form ging Harut in die Hocke und betrachtete die Ohnmächtige. Zögerlich hob er ihren Arm an und musterte ihre Seite, dann legte er beide Hände auf ihren Bauch. Ihre Haut war warm, fast schon fiebrig und die Schuppen hatten an Glanz verloren. Leise knurrend erhob sich der Aftiel und fuhr sich nachdenklich über das Nasenbein. Er musste sie zu einem Heiler bringen, vielleicht hatte sie innere Blutungen. Oder vielleicht gehörte sie einfach ins Wasser? Etwas nervös schritt Harut in seinem Zelt auf und ab. Was war am ehesten zu tun? „Ich muss es Vater sagen…“, murmelte er leise vor sich hin. „Wenn er für sie bürgt…“ Haruts Vater war der Clanführer des Eisenaxtclans und niemand würde die Anwesenheit einer Fremden, die dazu noch von einem anderen Volk stammte, in Frage stellen, wenn der Clanführer sie Willkommen hieß. Nicht, dass die Aftiel besonders rassenfeindlich waren, die sahen gerne einen Dunkelelf oder einen Dämonen unter sich. Nur waren die Ayuni lichte Wesen und Harut war sich nicht sicher, wie die Rudelmitglieder darauf reagieren würden. „Ich komme gleich…“, murmelte er leise als Abschiedsgruß, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht hörte. Harut fand seinen Vater umringt von einigen Aftiel in der Mitte des Lagers. „Was ist los?“, fragte er Tellian, einen Krieger des Eisenaxtclans und dieser drehte sich um. „Wir haben eine Nachricht vom Wildwasserclan erhalten. Er lädt den Clanführer zu einer Versammlung der Oberhäupter ein. Es heißt, eine Nachricht der Dämonen sei eingetroffen.“ Harut nickte dankend und Tellian neigte den Kopf in einer angedeuteten Verbeugung, dann wandte er sich wieder dem Clanführer zu. „Ich werde als Eskorte einige Krieger mitnehmen, der Rest des Clans bleibt vorerst hier. Meine Frau Hanatha wird während meiner Abwesenheit meinen Platz einnehmen.“ Die Menge um den Clanführer murmelte zustimmend, während sie sich langsam auflöste. Harut trat zu seinem Vater und zuckte mit den spitz zulaufenden Ohren. „Vater?“ Vier drehte sich um und lächelte seinen Sohn an. „Harut, da bist du ja. Du hast die Nachricht gehört?“ Harut nickte, als der Clanführer ihm die Schriftrolle zeigte. Mit einem Wink bedeutete Vir seinem Sohn, ihm in das große Zelt zu folgen, dass er während der Zeit, in der das Rudel nicht wanderte, mit seiner Frau bewohnte. „Du warst am Morgen schon vor Sonnenaufgang weg, mein Sohn“, sagte Hanatha, die hinter ihnen lief, und Harut räusperte sich. „Ja, und das ist auch der Grund, weshalb ich zu euch gekommen bin…“, begann er, wurde jedoch von seinem Vater unterbrochen. „Junge, du hast die Nachricht ja gehört. Der König von Chrashan schickte eine Botschaft und es ist stark anzunehmen, dass sie mit dem Orakel und den jüngsten Ereignissen zu tun hat, Deshalb möchte ich, dass du mich begleitest. Schließlich warst du der erste, der die Schatten entdeckt hat.“ Harut nickte, überrascht von dem plötzlichen Befehl- es war in seinen Auen unverkennbar ein Befehl- seines Vaters. „Vater… ich war heute Nacht im Wald und habe jemanden gefunden“, sagte er, Vir übergehend, und blickte seine Mutter an. „Ein Mädchen der Ayuni.“ Hanathas Neugier im Blick wich Erstaunen und Vir, der zuvor die Decke betrachtet hatte, wandte den Kopf ruckartig seinem Sohn zu. „Als ich an Irinas Ufer saß, fiel die Ayuni von dem Wasserfall und landete in der Friedfertigen“, fuhr Harut ungerührt fort. Irina war der Name, der dem See gegeben worden war, wegen des Gefühls der Ruhe, die er ausstrahlte. Irina bedeutete nichts anderes als „Die Friedfertige“. „Du hast den Feind ins Lager gebracht?“, fragte Vir ruhig und leise und Harut wusste, welch Missmut dieser sanfte Ton barg. „Sie ist verletzt, Vater, zudem ist sie noch nicht einmal aus ihrer Ohnmacht erwacht. Wie soll sie also eine Bedrohung darstellen?“ Haruts Stimme klang sachlich und unterstrich nur die innere Ruhe, die in seinen klaren Augen stand. „Du sagst, sie ist verletzt? Wo ist sie?“, fragte Hanatha und ignorierte den skeptischen Blick ihres Mannes. „In meinem Zimmer.“ Der Clanführer schnaubte leise und seine gelben Augen wanderten von seiner Frau zu seinem Sohn und wieder zurück. Hanatha nickte nachdenklich. „Nimm dir Mael, er soll sie sich ansehen. Ich komme im Laufe des Vormittags und sehe es mir selbst an.“ „Hanatha!“ „Vir, lass das meine Sorge sein. Kümmer du dich um deine Reise“, würgte die Clanführerin ihren Mann ungnädig ab und brachte ihn mit einem vielsagenden Blick zum Schweigen. Der Schwall kalten Wassers, der über ihr Gesicht lief, traf sie wie ein harter Schlag auf den Kopf und mit einem heiseren Aufschrei fuhr das Mädchen aus ihrer Ohnmacht, doch als sie sich aufrichten wollte, wurde sie von zwei kräftigen Armen hinunter gedrückt. „Bleib liegen, du bist ausgelaugt“, sagte ein sonorer Tenor und Lulu blinzelte hektisch, als die Farben vor ihren Augen verschwammen. „Wo… Wo bin ich? Vater… Hat man mich zurück geholt?!“ Wieder richtete die panische Ayuni sich auf und wurde abermals nach unten gedrückt. Die dunkelblau ausgefüllten, ängstlich wirkenden Augen füllten sich mit Tränen, die in deinen Rinnsälen über ihre Wange liefen. „ich will nicht zurück, nein!“, schrie sie heiser und begann um sich zu schlagen, doch die warmen Hände zeigten keine Erbarmen und hielten sie fest. „Ruhig, Mädchen, ruhig. Ich bin Harut und nicht dein Vater und du bist hier in Sicherheit.“ Langsam hörte das Mädchen auf, um sich zu schlagen und als ihr Verstand ein wenig zur Ruhe kam, drang ihre Umgebung in sie ein. Er war warm und in unmittelbarer Nähe knisterte ein Feuer in einer beruhigenden Art. Statt den gewohnten Blautönen umgaben sie Grautöne und irritierten ihr Auge für einen Wimpernschlag. „Harut?“ Ihr Blick wanderte an den Armen hinauf, die sie hielten und blieben an dem Gesicht haften, das sich über sie beugte, Lulu erschrak heftig, riss sofort die Arme vor das Gesicht und wimmerte leise. „Bitte, tu mir nichts“, wisperte sie mit flehendem Ton und bekann wieder unruhig zu zittern. Wie war sie hier her gekommen? Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war, dass sie sich dem Meer anvertraut hatte. Und dieses sich sie nach Takatunô, dem Land von Duthanas dunkler Feinde, den Aftiel, gebracht zu haben. „Ruhig“, ermahnte der Aftiel namens Harut die Ayuni erneut, „ich tu dir nichts, du bist hier sicher.“ Um die Ehrlichkeit seiner Worte zu unterstreichen, nahm er die Hände von ihr und wich ein wenig zurück. Während Lulus Atem raste und sie mit der Angst kämpfte, wanderten ihre Augen über das fremde Wesen. Noch nie zuvor hatte sie einen Aftiel gesehen. Sie hatte über ihr Aussehen bescheid gewusst, über die spitz zulaufenden Ohren, die scharfen Eckzähne und die bernsteinfarbenen Augen, doch Lulu wurde ganz anders, als sie diesem Wolfsmenschen aus nächster Nähe betrachtete. Harut bemerkte die Angst, die er in der Ayuni auslöste und rang mit den Hànden, als er einen Weg suche, um sie zu beruhigen. „Du bist hier in meinen Zelt im Lager des Eisenaxtclans“, begann er, obwohl er bezweifelte, dass sie über die Clans der der Aftiel bescheid wusste. „Ich habe dich in einem See in der Nähe des Lagers gefunden. Du warst vom Wasserfall in den See gestürzt und ich fischte dich heraus. Als du dich noch immer nicht bewegtest, entschloss ich, dich mit in meiner Lager zu nehmen.“ Lulus Zittern nahm ab, als die ihn sprechen hörte und langsam senkte sie die Arme. Er hatte sie gerettet? „Wie fühlst du dich? Du warst sehr lange ohne Bewusstsein“, fuhr der Aftiel fort und Lulu stutzte einen Moment. „Ich… fühle mich etwas kraftlos“, antwortete sie ihm nach einer Weile und bemerkte da erst, wie rau sich ihre Stimme anhörte. „Ich bin Lulu… danke, dass du mir geholfen hast“, setzte sie noch rasch hinzu und drehte den Kopf zur Seite, um seinem Blick auszuweichen. Harut richtete sich auf und lief zum Feuer, über dem in einem kleinen Topf eine Suppe kochte. Der Wolfsmensch griff nach einem irdnen Gefäß und schöpfte mit einem hölzernen Löffel ein wenig der dampfenden Flüssigkeit in die Schüssel. Dann trat er wieder zu der Ayuni und ging auf Höher ihres Kopfes in die Hocke. „Iss!“, forderte er sie mit einem freundlichen Lächeln auf und drückte ihr die Schüssel in die Hand, „und erzähl mir währenddessen, wie du hier her gekommen bist. Es fällt nicht jeden Tag ein Mädchen von einem Wasserfall hinein in einen See.“ Lulu lächelte verlegen, als sie die Belustigung in Haruts Stimme bemerkte und richtete sich auf, um die Suppe besser trinken zu können. Erst als ihr der würzige Geruch des Essens in die Nase stieg, bemerkte sie, wie hungrig sie war. „Ich bin weggelaufen“, antwortete sie, als sie einen Schluck der Suppe genommen hatte und starrte auf ihre Hände, als die Erinnerung an den Sturm wieder kam. Und sie war nur dagestanden und hatte zugesehen, wie die Kinder ihres Stammes gestorben waren. Sie war weggelaufen, mehr wollte und konnte sie nicht sagen. Harut deutete ihr Schweigen richtig und fragte nicht weiter. Stattdessen erhob er sich und bewegte sich in Richtung des Ausgangs. „Ich komme gleich wieder“, sagte er und verschwand durch die kleine Öffnung hinaus. Draußen erwartete Hanatha ihren Sohn bereits. Fragend blickte sie ihm entgegen, als er aus dem Zelt trat. „Sie ist aufgewacht und es geht ihr soweit gut. Mael konnte nichts Ungewöhnliches feststellen“, erläuterte er des Stammesführerin die Lage. „Sie sagt, sie sei weggelaufen. Vielleicht wurde sie misshandelt. Als sie aufwachte, hatte sie Angst, ich könnte ihr Vater sein.“ Nachdenklich betrachtete Hanatha das Zelt, in dem die Ayuni lag. „Sollte sie misshandelt worden sein, können wir sie unmöglich nach Hause schicken, sobald sie genesen ist. Was schlägst du vor?“, fragte sie nach einer Weile und richtete ihren Blick wieder auf Harut. Dieser zuckte mit den Achseln. „Ich würde sie gerne mit auf die Versammlung nehmen. Ich möchte sie nicht hier allein lassen.“ Hanatha seufzte leise und hob beide Augenbrauen, bevor sie ihrem Sohn durch die Haare fuhr. „Wieso habe ich genau das erwartet? Nun ja, das musst du mir deinem Vater klären und wie ihn kenne, wird er nicht sehr erfreut sein.“ „Du willst was?!“, fragte Vir erneut und mit deutlicher Missbilligung in der Stimme. Sein Sohn stand ihm gegenüber und erwiderte den scharfen Blick seines Vaters ruhig, dachte sich aber dabei, dass „nicht sehr erfreut sein“ eine schamlose Untertreibung war. Zwar hatte noch nie irgendjemand Vir Eisenaxt einmal wütend gesehen, doch Harut wagte zu behaupten, dass er kurz davor stand, es zu sein. „Was spricht dagegen, Vater? Eine Bedrohung wird sie wohl kaum sein, nicht?“, beantwortete Harut Virs Frage mit einer Gegenfrage. „Ich fühle mich schlecht, wenn ich sie alleine im Lager lasse, wo ich sie doch hergebracht habe.“ Der Clanführer wandte den Blick ab und wollte etwas entgegnen, Harut aber ließ ihn nicht ausreden. „Sie unterliegt meiner Verantwortung.“ Vir sah seinen Sohn wieder in die Augen und erkannte die Entschlossenheit in ihnen. Und sie erinnerten ihn an sich selbst, als er in Haruts Alter war und mit seinem Vater um die Verantwortung zu kämpfen hatte, die ihm zugestand. „Also gut“, meinte der Aftiel seufzend. „Sie kann mit, aber sie unterliegt deiner alleinigen Verantwortung. Du hast dich um sie zu kümmern.“ Er sah seinem Sohn noch einmal ernst in die Augen und Harut nickte mit demselben Ernst, bevor das Zelt verließ. Seufzend setzte Vir sich neben seine Frau und diese legte ihm liebevoll eine Hand auf seinen Schenkel. „Danke“, sagte sie leise und schmiegte ihren Kopf an seine Schulter. Kapitel 7: Alte Bekanntschaft ----------------------------- Die Luft wurde von Flügelrauschen erfüllt, als die beiden Dämonen durch die Luft gen Osten glitten. Die schwarzen, ledernen Schwingen schmiegten sich elegant an die Luftströmung und beschleunigten den Flug der beiden Boten. Der erste senkte sich langsam und drehte sich dann um. Flügelschlagend hielt er sich in der Luft. „Rabenklaue, Ihr fliegt weiter nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen, zum Wildwasserclan der Aftiel in der Mitte Takatunôs. Und denkt daran, der König braucht Euch!“ Der Krieger salutierte in der Luft. „jawohl, General Schattenschwert!“, rief er und rauschte dann an Suteyn vorbei. Seufzend fuhr dieser sich durch die braunen Haare, bevor er auf den Boden hinabblickte. Unter ihm erstreckte sich Nerazal, die Hauptstadt von Casaxel, dem Kaiserreich der Dunkelelfen. Suteyn war von Iblis geschickt worden, um Hilfe zu bitten. Es bereitete ihm Vergnügen, wieder zu den Dunkelelfen zu kommen, In einem früheren Krieg hatte er bereits Seite an Seite mit ihnen gekämpft. Und trotzdem fürchtete er die Rückkehr. Ob er ihr begegnen würde? „Das ist ungeheuerlich!“ Wütend schritt Sonerue in dem für sie bereitgestellten Gemach auf und ab und blieb schließlich vor den Wachen stehen, die an beiden Seiten der Türe standen. „Ich verlange Lincen auf ein Wort, sofort!“ Mit einem Zorn, der ihrer Trauer entsprang, funkelte sie den Wachposten an, der sie kühl musterte. „Seine Majestät lässt sich entschuldigen, Milady, doch ein wichtiger Bote ist heute morgen angekommen und wurde augenblicklich vom Kaiser empfangen“, sagte die Wache gelassen und blickte starr nach vorne. Sonerue ließ ein Schnauben zuhören und ballte die Hände zu Fäusten. „Was, beim Orakel, kann wichtiger sein als der Tod seines Sohnes?!“ „Es herrscht Krieg in Chrashan, Milady, und wenn uns eine wichtige Nachricht des Dämonenkönigs zukommt, hat Seine Majestät unverzüglich darauf zu reagieren. Der Kaiser war sich sicher, dass Ihr Verständnis habt.“ Zu Ende nahm die Stimme der Wache einen scharfen Unterton an und Sonerue verengte die Augen zu wütenden Schlitzen. „Wieso stehe ich überhaupt unter Bewachung? Traut man mir nicht zu, auf mich selbst aufzupassen?“, fragte die Dunkelelfe, den Tonfall der Wache übergehend, und strich sich eine verirrte Locke des blau schimmernden Haares hinter das spitze Ohr. „Kaiser Blutklinge gab uns die Anweisung, über Euch zu wachen, um Euch in Eurer Trauer nicht allein zu lassen. Eires’ Tod trifft uns alle tief, Lady Blutklinge.“ Die Stimme der Wache wurde ein wenig zarter, als er über Eires, dem früheren Kommandanten der königlichen Garde und dritten Sohn des Kaisers, sprach und ein trauriger Ausdruck legte sich über das neutrale Gesicht des Wächters. Auch Sonerues Zorn erebbte zumal und unendliches Leid schimmerte in ihren Augen, als sie den Name ihres Mannes hörte. „Ich weiß…“, sagte sie leise und drehte sich einen Moment weg, bevor sie sich wieder der Wache zuwandte. „Und genau deshalb will ich, dass Eires so schnell wie möglich im Mausoleum beisetzen lassen. Schneller als die Wachen reagieren konnten, riss die Dunkelelfe die Türe auf und warf sie hinter sich wieder zu. Suteyn saß alleine im prunkvollen Audienzsaal, als die großen Türflügel aufschwangen und der Kaiser Casaxels betrat den Raum. Der Dämon verbeugte sich ehrerbietig, als die Hoheit an ihm vorbei schritt und sich seufzend auf seinem Thron niederließ. „General Schattenschwert, welch unerwarteter Besuch“, begrüßte Lincen Blutklinge sein Gegenüber und bedeutete ihm, sich zu setzen. „Schwere Zeiten führen mich in Euer Land, Majestät. In Chrashan bricht bald ein Krieg aus, den es um Rednamors Willen zu gewinnen gilt“, antwortete Suteyn ohne viel Umschweife und leistete der Bitte des Kaisers Folge. Schweigend betrachtete Lincen den General des dämonischen Heeres. Seine militärische Disziplin vermochte, jegliche Sorge aus der Haltung des Dämons zu kaschieren. Lincen aber spürte seine Bedrücktheit fast körperlich. „Es ist in der Tat tragisch, dass man Al Aaraafs Tyrannei nur mit den Waffen beendet werden kann… Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr mich um Hilfe bitten wollt?“ Suteyn nickte knapp und erhob die Stimme, als eine Nebentüre des Audienzsaales unwirsch aufgestoßen wurde. Eine Dunkelelfe stürmte in den Raum. Ihr kinnlanges Haar wiegte sich leicht bei ihrem schnellen Gang und schimmerte im Sonnenlicht bläulich, betonte die dunkelgraue Haut. Die blassgrünen Augen musterten den Kaiser kalt, als vor ihn trat, und Suteyn zog sich das Herz zusammen, als er die Dunkelelfe wiedererkannte. „Es tut mir leid, Euer Hoheit, diese zweifellos wichtige Audienz zu unterbrechen, aber ich habe genug gewartet“, sagte sie mit ausgewählter Höflichkeit und blickte den Kaiser unentwegt an. „Sonerue, meine Schwiegertochter, ich weiß, dass die Trauer dich quält, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, ja?“ Lincens Stimme war sanft, doch sein Blick versteinerte sich, als Sonerue ihn wütend anblickte. „Ich werde dich morgen besuchen. Bis dahin schweige in stiller Trauer.“ Empört holte Sonerue Luft, doch Lincen schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab. „Ich bin ebenso betrübt wie du, aber ich bin der Kaiser und ich habe meinem Volk mehr Aufmerksamkeit zu schenken als meinen privaten Sorgen.“ „Euer Volk?“ Sonerue wirbelte herum und deutete mit einer abfälligen Handbewegung auf den dämonischen General. „Seit wann gehören Dä…“ Erschrocken hielt die Dunkelelfe inne und ihre blassgrünen Augen weiteten sich, als ihr Blick über Suteyn wanderte, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte. „Sonerue, darf ich dir den General der dämonischen Armee vorstellen? Lord Schattenschwert aus Chrashan. Er wurde als Bote des Königs geschickt.“ Suteyn war während der Vorstellung aufgestanden und führte die Hand der erstarrten Dunkelelfe an die Lippen. „Ich und die Lady kennen uns flüchtig aus den Grenzkriegen Chrashans“, sagte der General an Lincen gewandt und richtete den Blick wieder auf Sonerue. „Der Tod Eures Gemahls erfüllt mich mit tiefer Trauer, Milady. Im Schlachtfeld habe ich ihn sehr zu schätzen gelernt.“ Langsam ließ er die Dunkelelfe los und verbeugte sich vor dem Kaiser. „Eure Hoheit, hätte ich das mit Eurem Sohn gewusst, hätte ich mich nicht so frech zwischen Euch und Eure Trauer gedrängt. Kümmert Euch um Eure Familie, die Verhandlungen können einige Tage warten. Noch ist der Krieg nicht ausgebrochen.“ Suteyn lächelte verständnisvoll und neigte den Kopf leicht, als er Sonerues Blick auf sich spürte. Dann drehte er sich um und verließ den Audienzsaal über die kleine Nebentür. Eine sanfte Brise wehte am späten Abend über Casaxel und zerzauste das braune Haar des Dämons, der auf dem Balkon seines Gemaches stand und auf den Himmel blickte, an dem langsam die Sterne erstrahlten, als die Türe leise geöffnet wurde. Suteyn wand sich um, um zu sehen, wessen Schritte auf dem elfenbeinfarbenen Marmor zu hören waren, und er lächelte traurig, als er Sonerue auf sich zukommen sah. „Liebste Freundin“, begrüßte er sie Dunkelelfe und schloss sie in die Arme. „Suteyn, es freut mich, dich wiederzusehen.“ Die Assassine erwiderte seine Umarmung, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und spürte Tränen in ihren Augen brennen, als Trauer sie überwältigte. Es erleichterte sie ungemein, einen Freund bei sich zu wissen. „Du darfst traurig sein“, flüsterte Suteyn leise und fasste ihre Gedanken dabei in Worte. Seine Finger fuhren sanft durch das lockige, schwarze Haar und seine Flügel legten sich um die Dunkelelfe. „Danke…“, sagte sie leise und klammerte sich an Suteyns dunkelgraues Uniformhemd. Ja, sie durfte traurig sein… In seiner Nähe durfte sie traurig sein, ihm musste sie keine Stärke vorspielen. Er wusste, wie sehr es schmerzte. „Eires war ein guter Mann und ein tapferer Krieger. Morgenstern wird wohl über seine Seele wachen.“ Auf der Suche nach den richtigen Worten, trat er einen Schritt zurück und umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. Die blassgrünen Augen waren stark gerötet und wiesen dunkle Augenringe auf, ihr Haar war strähnig und durch ihre Körper fuhr in unregelmäßigen Abständen ein Zittern. „Du darfst traurig sein, aber Eires hätte es sicher nicht gern gesehen, wie du dich von Trauer zerstören lässt.“ Der Dämon lächelte zaghaft und die spitzen Ohren der Dunkelelfe zuckten, als Suteyn die Tränen von ihrer Wagte wischte. „Morgenstern… wacht über ihn.“ Sonerue blinzelte, als ihr der Gedanken kam und trat vom dämonischen General zurück. Suteyn, der ahnte, was seine Freundin sagen wollte, legte ihr beide Hände auf die Schultern und sah sie ernst an. „Diesen Wunsch wird sie dir nicht gewähren, Sonerue. Sie hat noch nie jemanden gewährt, eine tote Seele wiederzusehen. Noch nicht einmal Iblis.“ Die Dunkelelfe wich seinem Blick aus und ihre Hand fuhr zum Griff ihres Schwertes. „Wenn ich mit ihr rede…“ „Du vergreifst dich nicht an der Königin.“ Ruckartig drehte die Assassine wieder den Blick zu Suteyn und ihre Hand erschlaffte langsam. „Ich… will nur meinen Mann wieder…“; wisperte die, während ein Schluchzen ihren Körper schüttelte. „Ich weiß, doch Morgenstern kann und wird ihn dir nicht wiedergeben. Du musst erst einmal wieder Fuß fassen.“ Langsam führte der Dämon Sonerue zu einem grünen Divan, bedeutete ihr dann mit einem sanften Druck auf ihre Schultern, sich zu setzen und befahl einem Diener vor der Türe, einen Wein zu bringen. „Und richtet dem Kaiser aus, dass ich morgen zu ihm komme“, fügte er noch hinzu, bevor er die Türe hinter sich schloss. Dann setzte er sich ebenfalls auf den Divan und legte einen Arm um Sonerues Schulter. „Morgen finden die Verhandlungen statt und dann bin ich weg. Iblis wartet auf Verstärkung.“ Sachte legte die Dunkelelfe ihren Kopf auf Suteyns Schulter und seufzte leise, als wieder Tränen in ihren Augen brannten. „Musst du mich so früh verlassen? Ich weiß alleine nichts mit mir anzufangen…“ Unbewusst umfasst Sonerue das Handgelenk wurde stärker und er entzog sich ihrem Griff. „Ich werde sehen, was sich tun lässt, doch ich kann dir nichts versprechen.“ Der Dämon erhob sich vom Divan und schritt auf die Türe zu. „Doch jetzt ruh dich aus, ja? Ich habe noch etwas zu erledigen und werde später nach dir sehen.“ Mit diesen Worten drückte Suteyn die Klinke hinunter und fragte sich, warum er sein eigenes Gemach verließ, um Sonerue Ruhe zu gönnen. „Ich gestatte Chrashan einen militärischen Entsatz, schließlich schulde ich dem alten Iblis noch einen Gefallen.“ Ein kaiserlicher Diener reichte Suteyn eine Schriftrolle und der General entrollte sie, um die Nachricht zu lesen. „Das… ist sehr großzügig, Hoheit“, sagte er nach einer Sekunde des Schweigens, als er die Zahl der Soldaten las, die auf dem Papier stand. Iblis hatte mit höchstens der Hälfte gerechnet! „Es wäre falsch zu behaupten, uns betreffe dieser Krieg nicht, Viel zu lange haben uns diese himmlischen Bastarde das Licht gestohlen. Zeit, endlich zurückzuschlagen“, sagte Lincen mit einem Lächeln, das Suteyn fast schon boshaft fand, Auf ein Zeichen des Kaisers hin trat ein stämmiger Dunkelelf hinter dem Thron hervor und nickte dem Dämon kurz zu. „General Schattenschwert, das ist Dux Zwielicht, der oberste Befehlshaber des Entsatzes, Er ist Euch samt der Armee unterstellt.“ Dux stellte sich neben Suteyn und dieser verbeugte sich vor dem Kaiser. „Euer Großmut ist überwältigend, Iblis wird Euch das sehr hoch anrechnen.“ „Tretet Axarey in seinen himmlischen Hintern“, sagte Lincen, stand auf, nickte Suteyn noch ein letztes Mal zu und verließ dann den Audienzsaal. Kapitel 8: Der Schatten Geheimnis --------------------------------- Dunkelheit umgab ihn. Mit den zarten Fingern einer Geliebten umfing sie ihn sanft und genießend schloss Shadow die Augen. Er ließ sich treiben und die Schatten woben sich dichter um ihren Herrn. Sie liebkosten ihn, strichen über seine Kleidung, seine Lippen, bis Shadow seinen Geist öffnete und sie Schatten durch Mund und Nase in ihn eindrangen, ihn mit Macht erfüllten. Neben ihm wisperte eine Frauenstimme leise einen Gruß und weitere Stimmen grüßten ihren Meister. „Lucille…“, sagte Shadow leise und spürte die Hände der Schattenfrau auf seinen Schultern. „Gebieter, große Unruhe erfüllt uns, wir empfangen eine Nachricht“, sagte Lucille leise und fuhr Shadow über die Augen, damit er die Nachricht empfangen konnte. Shadow wurde in eine Art Traum gehüllt. Er stand im Schattenraum, doch am Horizont war ein reines, weißes Licht zu sehen und von der Neugier gefasst, schritt der Wächter auf das Licht zu. Je näher er kam desto mehr hob sich die leuchtende Gestalt von den Schatten ab und Shadow erkannte, dass es ein menschliches Wesen war. Wie eine Corona umkränzte ein rotes Feuer ihren Kopf und schien die Reinheit dieses lichten Wesens zu betonen. Leuchtende Schwingen ragten aus ihrem Rücken und zehn Schritte vor ihr hielt er inne. „Hallo“, grüßte er den Engel, der ihm den Rücken gekehrt hatte. „Was suchst du in meinem Reich?“ Das Lichtwesen antwortete nicht, doch seine Flügel zuckten. Shadow trat näher heran und wollte der Gestalt eine Hand auf die Schulter legen, als diese sich erschrocken umdrehte. Vel?, klang es durch Shadows Gedanken und dann verblasste die Gestalt. In völligem Verständnis öffnete Shadow die mitternachtsblau schimmernden Augen und befand sich wieder im schwarzen Nichts, wo die Schatten ihn umwunden. Die Erkenntnis, die ihm dieses Wesen gebracht hatte, erklärte alles. Der Dämon schloss wieder die Augen, als Klarheit ihn erfüllte und lächelte sanft. Kapitel 9: Willkommen, Flaren ----------------------------- Cat schreckte aus ihrem Alptraum, doch noch ehe sie nach jenem greifen konnte, was sie so in Angst versetzt hatte, entschwand es ihrem Gedächtnis und sie schlug die grünen Augen auf. Das Zimmer war dunkel, nur ein blasser, grauer Strahl der Sonne sickerte durch die Fensterläden in ihr Auge. Der Tag war noch nicht angebrochen. Langsam drehte Cat den Kopf nach rechts und erkannte Shadow im Dunkeln. Er saß auf seinem Bett und starrte lächelnd auf seine Hände. Um seinen Hals lag seine Schlange und bewegte sich schläfrig. Shadow hingegen schien überhaupt nicht geschlafen zu haben. Er trug die schwarze Hose und das schwarze Hemd des Vorabends und seine Augen waren blutunterlaufen. Die Haare waren unordentlich und glanzlos und hingen größtenteils in seinem Gesicht. Er sah nicht so aus, als hätte er bemerkt, dass sie wach war. Cat seufzte lautlos. Die acht, die in dem zerstörten Haus gemeinsam gewohnt hatten, wohnten momentan in einer kleinen Vier-Zimmer-Wohnung, die der Katastrophenschutz ihnen bereitgestellt hatte. So kam es, dass jedes Zimmer doppelt besetzt war- und Dayna, so klug wie sie war, hatte es für eine ausgezeichnete Idee gehalten, Cat mit Shadow in ein Zimmer zu stecken. Es war abgeklungen, das Gefühl beißender Nervosität, das in ihr aufkam, jedes Mal, wenn Shadow sich ihr näherte. Doch Cat spürte immer noch eine Art… Widerwillen, selbst wenn er sie nur flüchtig berührte. Und sie fühlte sich schlecht deswegen. Es gab keinen Grund, sich so zu fühlen! Immerhin war er stets freundlich zu ihr gewesen, viel mehr noch: Er hatte ihr geholfen, als sie selbst nicht mehr dazu in der Lage gewesen war. Es lag nicht einmal daran, dass sie ihn nicht mochte, ganz im Gegenteil… „So früh schon wach?“ Shadows leise Stimme ließ Cat aus ihren Gedanken fahren und sie richtete sich auf. „Guten Morgen“, sagte Cat und strich sich die zerzausten Haare zurecht. „Hattest du einen Alptraum?“, fragte Shadow und hob den Blick von seinen Händen auf sie, die ihn verwirrt betrachtete. „Ich habe dich Dinge murmeln hören.“ Cat räusperte sich verlegen und flocht ihre Haare wie sie es immer tat, wenn Nervosität sie überkam. „Ich… weiß nicht mehr, was ich träumte. Es geschieht öfters, dass ich im Schreck aufwache und nicht mehr weiß, was geschehen ist.“ Shadow nickte und lächelte geheimnisvoll. Ihr Unterbewusstsein versucht, das alte Erbe in ihr zu wecken, wenn ich nachhelfe, dann… Etwas Raues streifte seine Wange und Sephalica zischte leise. Oh nein, das wirst du nicht tun!, wisperte die Schlangenfrau in Shadows Gedanken und sah ihn an, dann senkte sie unauffällig den Kopf. Bist du des Wahnsinns? Shadow wandte den Blick und starrte wieder auf seine Hände. Sie hat es verdient, die Wahrheit zu erfahren. Irgendjemand hat sie hier ohne das Wissen ihres Erbes hinterlassen… wie man mich einst zurückließ. Der Schattenwächter nahm die Schlange von seinen Schultern und legte sie unter seine Decke, dann erhob er sich. „Das Erdbeben war nicht natürlichen Ursprungs“, sagte er an Cat gewandt und setzte sich neben sie. „Es war magisch.“ „Shadow, ich…“, begann das Mädchen, wurde jedoch von Shadow unterbrochen. „Es ist das Resultat verschiedener magischer Kräfte, die um die Vorherrschaft in einer Welt kämpfen, die parallel zu unserer existiert.“ Cat öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber wieder, als die bemerkte, dass ihr nichts einfiel. Was redete er da? Magie… Paralleluniversen? „Also, dass… hört sich ja sehr interessant an… Weißt du eigentlich, ob es den anderen gut geht?“ Unangenehm berührt wechselte Cat das Thema. Sonderlich war Shadow schon seit seiner Ankunft gewesen, aber was er jetzt erzählte… machte ihr Angst. Ein unbehagliches Kribbeln durchlief den Körper des Mädchens und kurz darauf spürte sie Shadows Hände auf ihren Schultern. „Und auch du bist ein Teil dieser Welt, Cat“, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. Mit einem bestimmenden Griff drückte er sie an sich, sodass seine Brust ihren Rücken berührte. „Würdest du das bitte la…“, begann sie stammelnd, doch sie verstummte, als ein merkwürdiger Puls ihren Körper erfasste. Erst hielt sie es für ihren Herzschlag, doch er wurde intensiver und sie spürte ihn bis in die Zehen, „Du spürst den Fluss der Magie, der sich in dir bewegt. Schließe die Augen.“ Von dem Puls in sich gebannt, gehorchte sie Shadow und Farben schillerten hinter ihren Augenlidern, malten bunte Runen, die sich dann wieder in Rauch auflösten. Es sah prächtig aus! Farben und Formen, die Cat so nicht kannte, schienen sie zu umgeben, mit ihr zu tanzen. „Was fühlst du, Cat?“ Nur leise drang Shadows Stimme durch die Farbenpracht hindurch und fast schon erzürnt über die Störung schenkte sie ihm nur widerwillig Gehör. Sie wollte zurück in die magische Umarmung. „Vollkommenheit“, wisperte sie, doch bevor ihr Geist sich wieder in das Farbenspiel fallen lassen konnte, erklang erneut Shadow Stimme und lockte sie zurück. „Lass dich nicht von dieser Vollkommenheit verschlingen. Widerstehe ihr und beherrsche sie, sonst wird sie dich beherrschen.“ Die Stimme des Wächters war nicht mehr als ein störendes Wispern am Rande von Cats Bewusstsein, dem sie sich nur widerstrebend zuwandte. Widerstehen? Wem sollte sie widerstehen? Langsam öffnete Cat die blinden Augen und Shadow sah, wie die verschiedenen Farben in ihnen schillerten. „Widerstehen…“, wisperte leise und Shadow lächelte, als er spürte, wie der Puls in ihrem Körper regelmäßiger wurde. „Beherrschen…“ Mit Händen, die nicht ihre waren, griff Cat nach der magischen Macht und formte sie, passte sie ihr an, bis sie schließlich gleichmäßig in ihr floss. Dann ließ sie sich wieder in der Magie treiben. Sie hörte Shadow etwas in einer fremden Sprache sagen und erst als der Wächter bereits verstummt war, verstand sie seine Worte. „Willkommen, Flaren, im Reich der Magie“, hatte er in der dämonischen Zunge gesagt und Cat erkannte seinen Ursprung. „Du bist ein Engel.“ „Und du ein Dämon…“ Kapitel 10: Flucht ins Elfenland -------------------------------- Ihr Atem verließ rasselnd ihren Mund und ihre Lungen schienen in Flammen zu stehen. Die Kraft ihrer Schwingen hatte sie vor Stunden verlassen und seitdem kämpfte sie sich auf den Beinen weiter. Tamara Silberfeder war am Ende. Keuchend kam sie auf dem Boden auf und spürte ihr Herz laut gegen ihre Brust hämmern. Sie brauchte eine Pause! Langsam drehte sie sich auf den Rücken und setzte sich auf. Sie fand Halt an einer steinernen Hauswand und lehnte dagegen, während sie nach Luft rang. Ihre Augen versuchten, die Dunkelheit zu durchschneiden, doch ihr Orientierungssinn ließ sie im Stich. Ob sie schon in Sicherheit war? Es kam ihr so vor, als sei sie die ganze Nacht weggeflogen. Weg... Weg von Ferro, weg von dem Zorn seines Vaters, weg von der Schuld, die ihr Herz belastete. Noch immer rang Tamara mit ihrer Fassung. Er war tot. Nie wieder würde sie ihn sehen können... und all das sollte ihre Schuld sein? Sie begriff noch nicht einmal, was geschehen war! Laut schluchzend versuchte Tamara, die wieder aufkommenden Tränen zu unterdrücken. „Ach, Ferro, bitte, vergebt mir...“, klagte sie leise und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen, als ein Pfeil an ihr vorbei zischte und in der Wand hinter ihr einschlug. Erschrocken hob sie den Kopf und starrte in die Dunkelheit. „Wer seid Ihr?“, bellte eine raue Männerstimme und Tamara wimmerte, als sie hörte, wie der Bogen erneut gespannt wurde. Geängstigt wollte der Engel seinen Namen stammeln, doch nur unverständliche Laute entrangen sich ihrer Kehle. „Tut mir nichts...“, wimmerte sie und ein Zittern erfasste ihren Körper. Tamara schloss ihre Augen, gefasst auf den nächsten Pfeil, der ihr das Leben nehmen würde. Doch der Pfeil blieb aus und nach einigen Atemzügen hörte der Engel Schritte. „Tamara...? Bist du es?“ Zaghaft öffnete der Engel die Augen und als sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erstarrte Tamara. „Gaberyl...“, hauchte sie tonlos und sah den bekannten Elfen an, bevor sie ihm um den Hals fiel. Etwas heftiger als gewollt stellte Gaberyl das dampfende Gebräu vor Tamara auf den Tisch. „Trink“, forderte er sie dann mit entschuldigendem Schulterzucken auf und der Engel betrachtete skeptisch die dunkelgrüne Flüssigkeit. „Es ist ein Tee aus der Region. Bringt Ruhe ins Gemüt“, erklärte der Elf, als er ihren Blick bemerkte. Verlegen lächelnd ergriff Tamara den Becher und starrte eine Sekunde wieder in das Gebräu, dann ließ sie den Blick durch das Zimmer schweifen. Die Wände waren allesamt kahl und der Tisch mit den vier Stühlen ließ den sonst leeren Raum größer wirken, als er war. Es wirkte alles sehr künstlich und... unpersönlich. „Und... wie lange wohnst du schon hier?“, fragte sie zögerlich und zuckte leicht, als sie im Fenster ihr Spiegelbild wahrnahm. Ihre blonden Haare waren zerzaust, ihr Kleid zerfetzt und ihre rechte Wange war geschwollen und hatte einen hässlichen Blauton angenommen. Erst jetzt, da er die Wunde erblickte, merkte der Engel, wie sehr ihm die Wange schmerzte. Gaberyls Knurren ließ Tamara aus ihrer Betrachtung schrecken und sie wandte den Kopf in seine Richtung. Der Elf stand steif am Tisch und schien ruhig, doch seine Augen hatte er zu Schlitzen verengt und mit jedem Atemzug trat die Vene an seinem Hals stärker hervor. „Gaberyl... ist alles in Ordnung?“, fragte der Engel sanft und nur langsam löste sich Gaberyls Starre. „Mein Haus wurde niedergebrannt, weil ich die Steuern nicht zahlen konnte“, sagte der Elf gepresst, doch er winkte ab, als er Tamaras betroffenes Gesicht sah. „Schon gut, verschieben wir das auf einen passenderen Zeitpunkt. Sag mir lieber, was mit dir geschehen ist. Du wurdest geschlagen?“ Tamara zuckte erneut und spürte wieder den brennenden Schmerz an ihrer Wange. „Mein Herr war das...“, begann der Engel leise und drehte die Teetasse nervös in seinen Händen. „Es... es war ein Unfall! Bei Cereos Gnade, ich schwöre, es war an Unfall!“ Ein plötzlicher Gefühlsausbruch schüttelte Tamara, der Tee schwappte über und lief ihr den Handrücken hinab, sie schien es jedoch nicht zu bemerken. „Plötzlich schien die Sonne so hell, ich konnte nichts mehr sehen... Und dann stürzte er auf einmal vom Himmel und ich... ich konnte nichts tun, ich konnte einfach nichts tun!“ Tamara hörte erst auf zu zittern, als Gaberyl ihr beruhigend eine Hand auf den Unterarm legte, und auch da bemerkte sie erst die Verbrennung auf ihrem Handrücken. „Und jetzt ist er tot...“, schluchzte die Blonde leise und schluckte schwer. Gaberyl schwieg eine Weile und brachte Ordnung in das eben gehörte, dann zog er seinen Stuhl heran und setzte sich neben den Engel. „Wer hatte einen Unfall?“, fragte er und löste mit sanfter Gewalt Tamaras Finger, die sich um die Tasse verkrampft hatten. „Ferro... der Sohn meines Herren. Ich musste an diesem Nachmittag auf ihn Achtgeben und das habe ich auch getan, wirklich!“ „Schon gut, du musst dich vor mir nicht rechtfertigen“, unterbrach Gaberyl Tamara, als diese wieder zu zittern begann. „Und was geschah dann?“ „Ich bin natürlich sofort zu meinem Herren und habe ihm gesagt, was passiert ist. Daraufhin hat er mich geschlagen und verjagt... Es war so furchtbar! Er hat seine Lindwürmer auf mich gehetzt und ich musste fliegend über die Grenze fliehen... Ravels Wachen waren unaufmerksam, zu meinem Glück, sonst wäre ich sicher...“ Tamara verstummte, als sich der Gesichtsausdruck des Elfen plötzlich veränderte. „Gaberyl...?“ „Ravel...“, murmelte der Elf leise und sein Griff wurde so fest, dass der Engel leise aufkeuchte, doch der klägliche Laut genügte. Gaberyl löste sich aus seiner Starre, nahm die Hand vom Unterarm seiner Gegenüber und zuckte leicht zusammen. „Es... Es tut mir leid. Ravel war es... Er hat mein Haus in Brand gesetzt... und meinen Bruder getötet.“ Um die Beherrschung nicht zu verlieren, presste Gaberyl die Zähne fest aufeinander und senkte den Blick auf seine Hände. „Er war krank und befand sich noch im Haus, als dieser miese Hund Ravel es anzündete.“ Tamaras blaue Augen weiteten sich vor Erstaunen und Schrecken. Prinz Ravel hatte einen Elfen umgebracht, weil er die Steuern nicht bezahlen konnte? „Das ist unglaublich...“, murmelte sie leise und ihr wurde zum ersten Mal bewusst, wie weit ihr Volk die Grenze diesmal überschritten hatte. „Das ist es... und ich werde nicht mehr länger zusehen, wie Axarey mein Volk knechtet.“ Gaberyl hob den Blick, um Tamaras fragenden rachsüchtig zu erwidern. „Was hast du vor?“, fragte der Engel zögerlich, als er den wilden Ausdruck im Gesicht des Elfen sah, und dieser knurrte leise. „Ich werde morgen nach Chrashan aufbrechen, um mit den Dämonen zu verhandeln“, sagte Gaberyl und Tamara wich zurück, soweit es der Stuhl zuließ. „Wenn ich es schaffe, mit dem Dämonenkönig zu sprechen, kann ich ein sinnloses Blutbad vermeiden.“ „Sobald du die Grenze überquert hast, werden die Dämonen dich töten“, sagte Tamara, kaum dass der Elf seinen Satz beendet hatte. Gaberyl sah den Engel einen Moment stumm an, dann lachte er freudlos. „Zweifelsohne, die Vorurteile sprechen aus dir. Aber sag mir, hast du jemals einen Dämonen gesehen?“ Peinlich berührt schüttelte Tamara den Kopf und senkte dabei ihren Blick. Es stimmte, sie hatte noch nie einen Dämonen gesehen, wie auch? Jeder, der sich den Dämonen näherte, beging Majestätsverrat. „Es... tut mir leid“, sagte sie nach einem weiteren Moment des Schweigens. „Das ist es, was mir beigebracht wurde.“ Der Elf nickte brummend, bevor er sich erhob und eine Zimmertür öffnete. „Am besten ist es, wenn du dich ausruhst“, sagte er an Tamara gewandt und diese nickte. „Es steht dir nun frei, zu tun wie es dir beliebt. Du kannst mich also begleiten, oder hier bleiben. Ich für meinen Teil werde morgen nach Chrashan reisen.“ Tamara zischte leise, als sie die Wundsalbe auf ihre geschwollene Wange auftrug, und kniff dabei die Augen zusammen. Doch der Schmerz reichte nicht aus, um sie von ihren Gedanken abzulenken. Morgen... morgen würde Gaberyl zu den Dämonen reisen und Tamara fühlte sich als Gast schon fast dazu gezwungen, ihn zu begleiten, auch wenn er sie vor die Wahl gestellt hatte. Was hatte sie hier verloren? Ihr Herr würde zweifellos nach ihr suchen lassen, also konnte sie nicht zurück nach Al Aaraaf. Hier hingegen waren Ravels Lakaien. Denen würde sie früher oder später auffallen und was ihr dann bevorstand, daran wollte der Engel gar nicht denken. Hierbleiben konnte sie auf jeden Fall auch nicht. Schwer seufzend erhob sich Tamara von ihrem Stuhl und setzte sich auf das Bett, welches Gaberyl ihr bereitgestellt hatte. Ich werde ihn wohl oder übel begleiten müssen, dachte die Verstoßene resigniert und stützte dabei das Gesicht in die Hände. Alles in ihr gebar sich gegen den Gedanken auf, das Land der Dämonen zu betreten oder ihre verdorbene Luft atmen zu müssen. Langsam richtete der Engel sich auf, um sich dann erschüttert an den Kopf zu greifen. Gaberyl hat recht, ich lasse mich zu sehr von meinen Vorurteilen leiten, meinte sie in Gedanken verdrossen und legte sich auf das Bett. Ich werde ihn begleiten... und sehen, was auf mich zukommt. Ohne den geringsten Laut zu verursachen, schlich Gaberyl sich aus seinem Zimmer. Er legte den Rucksack mit dem Proviant auf den Tisch und setzte sich kurz hin. Der Elf hatte nicht viel Essbares mitgenommen: Er hoffte darauf, von den Dämonen gefangen genommen zu werden, sobald er die Grenze übertritt. Ein ironisches Lächeln stahl sich auf Gaberyls Lippen, als er seinen Gedanken zu Ende dachte. Als Gefangener war er wesentlich sicherer als er es hier- als freier Elf- je sein würde. Doch nicht mehr lange, das hatte Gaberyl sich versprochen. Sobald der Krieg ausbräche, würde sein Volk der richtigen Seite angehören, der Siegerseite. Ein leises Knarren ließ den Elfen aufblicken. Tamara stand in der Türe, die Flügel auf dem Rücken gefaltet und den Kopf leicht geneigt. „Ich würde dich gerne begleiten“, sagte sie, während sie nach vorne schritt und sich neben den Elfen stellte. Überrascht von der Entscheidung des Engels, sah Gaberyl ihn eine Sekunde an und schüttelte leicht den Kopf. „Du weißt hoffentlich, dass es weder lustig noch angenehm wird. Ich an deiner Stelle würde mir das ersparen.“ „Wenn ich hier bleibe, werden Ravels Soldaten mich früher oder später finden und dann...“ Sie sah Gaberyl vielsagend an und dieser nickte stumm. „Gut, der Plan sieht wie folgt aus“, begann der Elf und legte eine Hand auf die Türklinke. „Draußen ist er noch dunkel. Sobald wir uns auf den Weg machen, lege ich einen Tarnzauber über uns. Wir sind dann zwar unsichtbar, jedoch kann man uns immernoch hören. Deshalb müssen wir sehr leise vorgehen. Wenn wir dann die Grenze überschritten haben, nehme ich den Zauber von uns und wir ergeben uns den Däonen.“ Ekel durchwallte Tamara, als Gaberyl seinen Satz beendet hatte, und sie schluckte, um sich zu beherrschen. „Du weißt, was das bedeutet?“, fragte der Elf, als er Tamaras Unbehagen spürte, und sie nickte. „Dann bin ich verdammt“, murmelte sie leise, hob dann aber den Kopf und lächelte. „Aber das macht nichts... Inzwischen nicht mehr.“ Victor Feuerpfeil schritt gerade seine vorgeschriebene Runde ab, als Fussgetrampel seine müßigen Gedanken unterbrach. Die Hand des Dämonen schnellte zu seinem Schwert und kampfbereit breitete er die ledernen Flügel aus. „Zeigt Euch, wer auch immer Ihr seid!“, sagte Victor und sah sich um. Als er nichts entdeckte, lockerte er die Waffe in der Scheide und drehte sich um. Hinter ihm lag ein Engel und über ihn gebeugt ein Elf. Victor ließ das Schwert sinken, als er keine Waffen an den Körpern der Fremden entdecken konnte, und seine Haltung entspannte sich ein wenig. „Es ist ein wenig früh, um in das Land des Feindes einzudringen, meint Ihr nicht, Milord?“, sagte der Soldat ironisch grinsend und Gaberyl rappelte sich auf. „Ich weiß, ich habe eine etwas unsittliche Tageszeit ausgesucht und erbitte Eure Gnade“, erwiderte der Elf scherzhaft und Victor lachte laut. „Nun, ich bin weitaus gnädiger als der Kommandant, fürchte ich. Dann kommt mal mit, meine lieben, lichten Gefangenen.“ Kapitel 11: Nur noch das... --------------------------- Erschöpft streckte Ravel die Flügel und nur langsam verschwand das befriedigende Lächeln von seinen Lippen, während Al Aaraafs Prinz auf den Balkon seines riesigen Gemaches trat. Der Tag neigte sich langsam seinem Ende zu und das rege Schaffen auf dem Hofe der Seraphimburg, der Residenz der Seraphimflügel, der Herrscherfamilie Al Aaraafs, erstarb langsam. Ravel streckte sich genießerisch und auf ein Zeichen erschien ein Haremsmädchen neben dem Prinzen und strich ihm sanft über den Rücken. „Fühlt Ihr Euch wohl, Majestät?“, fragte das zarte Elfenmädchen leise und massierte Ravels Rücken. „So wohl wie schon lange nicht mehr“, antwortete der Prinz ebenfalls gedämpft und schloss die Augen, als er die Hände der Elfe auf seinem Körper spürte. Es schien, als würden sie ihn mit neuer Kraft erfüllen. Denn ein wohltuendes Kribbeln erfüllte ihn; Erst sanft dann immer stärker, bis er es in den Flügelspitzen spürte. Erschrocken riss Ravel die Augen auf und stieß die inzwischen vor ihm kniende Elfe von sich. „Verschwinde!“, bellte er sie an und sie erstarrte eine Sekunde ängstlich, bevor sie sich aufrappelte und floh. Ravel nahm ihre Flucht nicht mehr wahr. Wie gebannt starrte er geradeaus und schien gedankenverloren. Was war geschehen? Seine Sinne durchströmten erst verschiedene Bewusstseinsebenen, dann andere Dimensionen, bis er auf den Quell der Macht stieß, die ihn so plötzlich erfasst hatte. „Nein...“, wisperte er leise und wandte sich um. „Wie kannst du Abschaum es wagen, dich meinen Plänen in den Weg zu stellen?“ „Was...!“ Erschrocken fuhr Cereo aus dem Schlaf, als eine Vibration den Lichttempel schüttelte. Langsam erhob sich der Lichtwächter und band sich die Tunika, bevor er in das Sonnenrad, einem mit Edelsteinen verziertes Ornament, trat. „Wer?“, wisperte Cereo und legte den Kopf in den Nacken, um aus dem Okulus in der Decke zu blicken. Sonnenlicht fiel in einem gebündelten Strahl durch das runde Fenster und Cereo konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sein Element ihn umschloss. „Wer?“, fragte der Engel erneut und seine grünen Augen blickten der Sonne entgegen, ohne von ihr geblendet zu werden. „Wer hat ihr geholfen?“ Ohne dass sich eine Wolke am blauen Himmel zeigte, verdunkelte sich die Sonne und mit ihr alle Lichtquellen in Cereos Raum. Einen Augenblick lang stand der Lichtträger im völligen Dunkel, das einzige Licht, das leuchtete, war jenes, das von ihm selbst ausging. „Wie... Wie habe ich das zu verstehen? Er...“ Cereo verstummte, als Licht wieder den Raum durchflutete. „Aber... was will er damit erreichen?“ Stirnrunzelnd trat der Lichtwächter aus dem Sonnenrad und begab sich zu einem Portal, das aus grünem Licht zu bestehen schien. „Elemente, ich brauche euren Rat.“ Verkorkster kann der Tag kaum werden, dachte Cat seufzend und fuhr sich mit zitternden Händen über das Gesicht. Es war... unfassbar! In ihrem Kopf gingen so viele Gedanken umher, dass Cat glaubte, er müsste demnächst platzen. Du bist ein Engel... Wie aus weiter Ferne klang Shadows Stimme durch den Wirrwarr von Gedanken und Cat suchte Verständnis für diese Worte... Oder Unverständnis? „Ich glaube doch gar nicht an Engel... Oder Dämonen... Oder Magie!“ Frustriert schnaufte das Mädchen und setzte sich auf die Couch im Wohnzimmer. Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern, in der Hoffnung, irgendeine Beschäftigung zu finden, die sie davon abhielt, an vorgestern zu denken. Obwohl sie es liebte, an diesen Augenblick zu denken, fürchtete sie es zugleich. Jedes Mal, wenn sie ihre Gedanken treiben ließ, erfüllte sie wieder dieses wunderbare, farbige Gefühl... Magie... Cat schüttelte sich und ballte die Hände zu Fäusten. Ich bin kein Engel, sagte sie sich immer wieder, doch je mehr sie sich das sagte, desto unglaubwürdiger hörte es sich an. Etwas in ihr verbat Cat, Shadow nicht zu glauben. „Ich... Ich lebe mein Leben einfach so weiter wie bisher“, wisperte sie und war für einen Moment wirklich davon überzeugt, dass das möglich war. „Es bleibt alles beim Alten.“ „Deine Ignoranz wird dir noch teuer zu stehen kommen, Engel-“ Beim klang dieser familiären Stimme drehte Cat sich um und das erste, was sie sah, waren zwei imposante ledernen Schwingen, erst auf den zweiten Blick erkannte sie Shadow als den Träger der Schwingen. Doch nach einem Blinzeln waren die Flügel verschwunden und Shadow stand im gewohnten Schwarz vor ihr. „Nun... das glaube ich weniger“, antwortete Cat pikiert, stand auf und betrachtete den Dämon einen Augenblick, bevor sie an ihm vorbei lief. Ein kalter Schauer rieselte durch ihren Körper und sie fühlte eine unnatürliche Feindseligkeit gegenüber Shadow, bis sie den Raum verließ. Der Dämon sah Cat verdutzt hinterher, als die Schlange an seinem Hals sich regte. Ich habe dich gewarnt... Vielleicht bringt dir diese Sache endlich bei, meinen Worten zu vertrauen, wisperte Sephalica in den Gedanken des Wächters und dieser zuckte die Achseln. Du kennst mich, ich höre nie auf jemanden, antwortete Shadow und lächelte entschuldigend. Ich werde mit ihr reden, auch wenn ich sie dazu zwingen muss. Nur noch das habe ich zu erledigen, Seph. Die Schlange hob den Kopf, sah den Dämon an und machte dann eine Bewegung, als würde sie nicken. Danke, Shadow..., hallte es in Shadows Gedanken, dann spürte er, wie die gedankliche Verbindung abbrach. Rina stand in der Küche der Wohnung und spülte das Geschirr, das sich bereits stapelte, ab, als ein seltsames Gefühl sie erfasste. Stirnrunzelnd hielt sie inne und suchte nach den Wurzeln dieses Gefühls der Unsicherheit. Und als sie sie fand, rutschte ihr der Teller aus den Händen und zerschellte auf dem Boden. „Bei Mutter Erde... Wie ist das möglich? Sie...“ „Dämonin!“ Rina verstummte, als sie die Stimme hinter ihr vernahm, und alarmiert drehte sie sich um. Cat stand in der Türe und hatte Rina mit den Scherben helfen wollen, doch als sie Rina sah, läuteten laute Alarmglocken in ihrem Kopf, und die gleiche Feindseligkeit, die sie gegenüber Shadow empfunden hatte, erfüllte sie. „Ihr dürft mir nichts tun“, wisperte Rina leise und hob angriffsbereit eine Hand. „Wir sind auf neutralem Boden.“ Cat blieb wie erstarrt in der Türe stehen und hörte in ihrem Geist sich selbst immer wieder „Dämonin“ wispern. „Um Himmels Willen, du bist ein Dämon!“, flüsterte das Mädchen schockiert und als sie sich immer noch nicht rührte, entspannte sich Rinas Haltung. Sie begann sich zu fragen, was genau los war. Die Herrin der Pflanzen wollte gerade den Mund öffnen, als auf den Schatten hinter Cat eine Gestalt trat. Es war eine Frau mit langen kastanienbraunen Haaren und gelben Augen, die denen eines Reptils glichen. Ihren Körper bedeckte nur ein weißer Stoff, der auf eine Art um sie gewickelt war, wie es Rina nur aus Chrashan kannte. „Flaren, mein Meister möchte mit dir reden“, sagte die Frau und ergriff Cats Handgelenk. Diese blickte die Fremde verwirrt an, ließ sich aber widerstandslos mitziehen, „Hey!“, rief Rina, als die Frau mit Cat verschwinden wollte, und trat einen Schritt nach vorne. „Lady Blättertanz, der Prinz nimmt die Sache in seine Hände. Er möchte die Geschichte erledigt haben, bevor er geht.“ Die Frau warf Rina einen vielsagenden Blick zu, bevor sie sich umwandte. „Warum geht Ihr nicht zu der großen Herrin und unterrichtet sie über die neusten Begebenheiten?“ Die Herrin der Pflanzen nickte stumm und sah den beiden Frauen hinterher, als diese ein Zimmer betraten. Geistesabwesend deutete Rina auf die Scherben, die daraufhin sofort verschwanden. Was war gerade geschehen? Ein Engel... Seit wann war Cat ein Engel? Und woher wusste diese Frau...? Rina zuckte, als sie sich wieder ihrer Pflichten bewusst wurde, und raffte sich zusammen, doch eine weitere Frage ließ sie zögern. Wen sollte sie zuerst aufsuchen? Iblis oder Nesace? „Geh da rein und höre meinem Meister aufmerksam zu. Momentan bist du ein Leuchtfeuer des Lichtes, eine Gefahr für jedes dunkle Wesen“, sagte Sephalica und schob Cat durch die Kellertüre. Dann schloss die Schlangenfrau die Türe, drehte den Schlüssel herum und begann mit der Aufrufung eines Schutzzaubers, der den ganzen Keller umschloss. Im Keller war es bis auf das Licht, das durch ein kleines Fenster an der Wand hineinsickerte, war es dunkel. Cat atmete die feuchte Luft ein und schüttelte sich kurz, bevor sie langsam zu Shadow hinüber ging. Der Dämon saß auf einem hölzernen Stuhl, die ledernen Flügel halb angelegt und die indigoblauen Augen auf Cat gerichtet. „Lass mich hier raus oder ich schreie“, sagte das Mädchen nervös. Als sie eine innere Ablehnung gegenüber dem Bild empfand, das sich ihr bot. „Niemand wird dich hören“, antwortete Shadow und lächelte einen Moment überlegen. „Doch wenn du mir zuhörst, dann bist du schneller wieder draußen als wenn du dich weigerst-“ Der Dämon schritt auf Cat zu, doch sie wich ihm aus. „Lass mich hin Frieden, Shadow“, sagte das Mädchen abweisend, doch der Dämon hielt nicht inne. Er schritt weiter auf sie zu und umfasste ihr Handgelenk, als sie sich ruckartig umdrehte. „Fass mich nicht an, du Dämonenabschaum!“, zischte sie und Shadow ließ sie sofort los. Seine Mimik versteinerte sich und Cat weitete die Augen, als sie realisierte, was sie gesagt hatte. „Nein, das... ist nicht wahr“, murmelte sie und ein Zittern durchlief ihren Körper. „Hör auf, dich gegen dein Erbe zu wehren, sonst wird es nur noch schlimmer. Schreite durch die Türe, die ich dir geöffnet habe.“ „Und wenn ich nicht durch diese Türe gehen will?“ Cat atmete hörbar aus und sah Shadow nun an. „Ich bin nicht soweit, Shadow. Du kannst von mir nicht erwarten, dass ich eine neue Situation, ein komplett neues Leben innerhalb von wenigen Tagen erfasse oder mich sogar damit anfreunde.“ Der Blick des Dämons wurde weicher, er schritt langsam auf Cat zu und legte ihr zögerlich die Hände auf die Schultern. Ich kann dir helfen, du bist nicht allein. Ich habe nicht vor, dich in ein neues Leben zu stoßen und dann einfach abzuhauen.“ Er machte eine Pause und drückte ihre Schultern sanft. Cat holte zitternd Luft und biss sich auf die Unterlippe, als in ihren Augen Tränen brannten. „Danke“, wisperte sie und lehnte sich an ihn, .ließ sich von seinen Schwingen umfangen, ohne Angst zu verspüren. So standen die beiden schweigend da, bis Cat ruhiger wurde und ihre Gedanken geklärt hatte. „Wer bin ich?“, fragte sie nach einer Weile des Schweigens und erwiderte den warmen Blick der indigoblauen Augen. „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, was du bist, doch ich kann dir nicht sagen, wer du bist“, antwortete der Dämon und schwieg dann wieder. „Und wer bist du?“ Cat hob die Augenbrauen, als Shadow ihren Blick auswich, und die Augen sich eisblau färbten. Ob Magie dafür verantwortlich war, dass sich seine Augenfarbe wechselte? „Genauso wenig wie ich weiß, wer du bist, weiß ich, wer ich bin. Ich bin ein Dämon, der schon lange auf der Erde lebt.“ Das Mädchen furchte verwirrt die Stirn und trat einen Schritt zurück. „Und was ist mit Sephalica? Wieso nennt sie dich Prinz?“ „Sephalica begleitet mich... Prinz?“ Langsam ließ Shadow Cats Schultern los und starrte an ihr vorbei auf die Kellertüre. „Prinz...“ Wortlos schritt der Dämon an der jungen Frau vorbei und diese wich erschrocken zurück, als seine Augen sich plötzlich preußischblau färbten. „Shadow... Shadow, wo willst du hin?“, fragte sie verunsichert, doch der Dämon hörte sie nicht. Verräter!, zischte er in Gedanken, obwohl er wusste, dass Sephalica ihn nicht hören konnte. Dunkle Schatten woben sich um ihn und die Türe- und mit ihr der magische Schild- zerbarst in tausend Stücke, als er die Türe berührte. Die Schlangenfrau zuckte zusammen, als der Schild zerbrach, und sie wandte sich um, um Shadows hasserfüllten Blick zu begegnen. Ängstlich trat Sephalica zurück und hob beschwörend die Hände. „Shadow, was ist los?“, fragte sie verunsichert und trat noch einige Schritte zurück. Was auch immer im Keller geschehen war, es verlief nicht nach Plan. „Wer bin ich?“, fragte der Dämon und packte Sephalica am Arm. „Du Verräter weißt, wer ich bin und hast er mir verheimlicht.“ „Ich... Wovon redest du? Wieso sollte ich dir etwas verheimlichen?“ „Das habe ich mich auch gefragt. Wer schickt dich?“ Shadow zig die Schlangenfrau näher an sich heran und hatte die Augen zu zornigen Schlitzen verengt. Sephalica schwieg und versuchte, sich Shadows Griff zu entwinden, doch der Schattenwächter hielt sie mit eiserner Faust fest. „Prinz, also? Ich bin ein Prinz? Meine Familie, nach der ich schon so lange suche, ist also eine Herrscherfamilie und befindet sich nicht auf der Erde?“ Shadow schnaubte, sein Griff wurde stärker und Sephalica wimmerte leise. Cat, die die ganze Szene erschrocken mitverfolgt hatte, löste sich aus ihrer Starre und trat zu Shadow. „Shadow, hör auf, du tust ihr weh“, sagte sie leise und legte ihm eine Hand auf die Schulter, doch der Dämon blieb unbeeindruckt. „Wer auch immer dich schickt, will das Orakel wieder vereint sehen, doch weißt du was? Nicht mit mir!“ Der Schattenwächter ließ Sephalica los, sie stolperte und fiel zu Boden. Shadow hob eine Hand und legte sie flach auf die Wand. Ein schwarzes Loch entstand unter seinen Fingern und breitete sich so weit auf, bis es die Größe eines Tors erreicht hatte. Dann drehte sich der Dämon um, fasste Cat am Handgelenk und stieß sie noch ehe sie protestieren konnte, durch das schwarze Tor. Kurz drehte er sich noch einmal zu Sephalica um, die ihn schockiert anstarrte, bevor er ebenfalls durch das Tor trat. „Du hast versagt“, klang die geisterhafte Stimme des Dämons durch den Keller, bevor das Tor verschwand und Sephalica allein zurückblieb. Kapitel 12: Erinnere dich ------------------------- Sie fiel in unendliche Dunkelheit. Schatten flirrten um sie herum, drangen in sie ein, raubten ihr den Atem. Shadow glitt neben Cat hinab, die Augen geschlossen und ein genießerisches Lächeln auf den Lippen. Mit einem sanften Ruck kam das Mädchen auf dem nicht sichtbaren Boden auf und suchte nach einem Punkt, an dem sie sich orientieren konnte. Doch alles, was sie sah, war ein ewiges Schwarz. „Shadow?“, wisperte Cat und blickte weiter um sich, ohne den Dämon zu entdecken. „Wo bist du?“ Wackelig erhob sich das Mädchen und tat einen Schritt nach vorn. Hatte sie da das Rauschen eines Umhangs gehört? Ihr Atem beschleunigte sich mit ihrem Herzschlag, als sie blind durch die Dunkelheit irrte. Ein Flüstern begleitete sie mit jedem Schritt, den sie tat; Eine fremde Sprache, wie es ihr schien. Erst als Cat den Stimmen eine Weile lauschte, ergab der Klang einen Sinn: Die Stimmen huldigten ihrem Herren, Shadow. Dem Wächter der Dunkelheit, die sie gefangen hielt. Sanftes Licht kitzelte ihre Wangen, als Cat langsam ihre Augen öffnete. Ein kurzer Blick nach links und rechts verriet ihr, dass sie sich in einem Bett befand. Stirnrunzelnd fuhr sie sich durch das rote Haar, während sie sich fragte, wie sie hierher gekommen war. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, wie sie fiel. Cat schüttelte den Gedanken ab, richtete sich auf und betrachtete das Zimmer. Es war nur sehr spärlich beleuchtet und auch die Einrichtung war bescheiden: Außer dem Bett, in dem sie lag, befanden sich hier nur noch ein kleiner Tisch und drei Sessel. Die Wände waren allesamt schwarz und hatten keine Fenster. Selbst der Boden und die Decke waren schwarz und verliehen dem Raum so eine unnatürliche Unendlichkeit, die Cat rasch wegblicken ließ. Wo bin ich...?, fragte sie sich und zuckte zusammen, als sie tatsächlich eine Antwort bekam. „In einer Zwischenwelt, die der Wächter der Schatten erschaffen hat, um sich vor der Außenwelt zu schützen.“ Ein kleiner Junge, nicht älter als acht, stand am Fuß des Bettes und lächelte ihr zu. Seine schwarzen Haare und kobaltblauen Augen erinnerten sie stark an... „Shadow?“, fragte sie verunsichert und der Junge lachte leise. „Ich bin ein Teil von ihm, der nicht in seinem Körper wohnt“, erklärte der Junge und setzte sich auf die Bettkante. „Wie geht es dir?“ Überrascht von der eigentlich normalen Frage, musste Cat erst einen Moment nachdenken. „Ja... ganz gut. Ich fühle mich nur ein wenig... matt“, antwortete sie und der kleine Shadow nickte. „Verständlich, wenn man bedenkt, wer du bist“, meinte er leise. „Diese Welt besteht fast nur aus Schatten, es gibt hier kein natürliches Licht. Kein Wunder, dass ein lichtes Wesen wie du sich kraftlos fühlt.“ Cat seufzte leise, als ihr wieder bewusst wurde, was geschehen war. Engel und Dämonen, Schatten und Licht... Es hörte sich für sie immer noch absurd an. Die Wut, die sie verspürte, wenn sie an ihn dachte, wich immer beißenden Schuldgefühlen. Sie hatte keinen Grund, ihn zu verachten, doch seit jener Nacht konnte sie es kaum unterdrücken. „Mit der Zeit wird sich das ändern, sobald du Kontrolle über die magische Kraft in dir erlangst“, beantwortete der junge Shadow ihre Gedanken und Cat fuhr wieder zusammen. „Und ich werde jetzt gehen, um ihn zu suchen. Ruhe dich aus...“ Der Junge stand auf und mit jedem Schritt, mit dem er sich vom Bett entfernte, verblasste er mehr, bis ihn die Schatten verschluckten. Nur langsam legte Cat sich wieder hin und starrte hinauf auf die endlos schwarze Decke. Kontrolle… Wie sollte sie Kontrolle über etwas erlangen, von dem sie nicht mal wusste, wie es funktionierte? „Was mache ich eigentlich?“, wisperte sie und seufzte. Es machte alles keinen Sinn, dennoch konnte sie nichts anderes tun, als abzuwarten. Abzuwarten, dass irgendetwas passierte, was sie beeinflussen konnte. Schon eine Weile stand der junge Shadow vor seinem größeren Ich und beobachtete ihn. Er stand vor einer unsichtbaren Wand und seine Hand zuckte im regelmäßigen Takt. „Du wirst nicht finden, was du suchst, Shadow“, sagte der Junge und der Schattenwächter drehte seinen Kopf, um sein kleineres Ich aus dem Augenwinkel betrachten zu können. „Verschwinde“, sagte er, doch der Junge regte sich nicht. „Falls du es schon vergessen hast: Du hast einen Gast.“ Etwas in Shadows Miene regte sich und im Inneren grinste der Kleine. „Und ich glaube, dass sie auf dich wartet. Immerhin warst du es, die sie hierher verschleppt hat.“ „Ich habe sie nicht verschleppt“, antwortete Shadow sofort und drehte sich um. „Natürlich nicht, verzeih!“ Der Kleine lachte leise, als Shadow an ihm vorbeilief. „Verschwinde, du hast hier nichts verloren“, rief er über die Schulter, bevor er in den Schatten verschwand und sein kleines Ich zurückließ. Dieses grinste triumphierend, dann verschwand es ebenfalls. Als Cat erwachte, lag sie noch immer in dem dunklen Raum und das löste eine gewisse Resignation in ihr aus. Irgendwie hatte sie gehofft, sie würde aufwachen und einfach an irgendeinem anderen Ort sein. „Ich sehe, du bist wach“, sagte eine bekannte Stimme und das Mädchen richtete sich auf. „Hallo, Shadow“, sagte sie leise und sah ihn an. Er saß auf einem Sessel in der Nähe des Bettes und starrte auf den Boden. Seine Augen waren eisblau und dunkle Ringe lagen unter ihnen. Ob er überhaupt geschlafen hatte? „Es tut mir leid, dass ich dich hier hereingezogen habe“, sagte der Dämon irgendwann leise und betrachtete seine Finger. „Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle.“ Das Mädchen nickte langsam, obwohl sie nicht verstand, was er ihr sagen wollte. „Was war oben geschehen?“, fragte sie sanft und blickte Shadow unverwandt an. „Es ist alles sehr verwirrend... Seit ich denken kann, lebe ich auf der Erde, bei Menschen, die nicht meine Eltern sind“, antwortete Shadow nach langem Schweigen. „Irgendwann tauchte Seph bei mir auf. Sie sagte mir, dass ich nicht Teil dieser Welt sei, sondern in die magischen Welt, der auch du entstammst. Ich sei auf die Erde geschickt worden, um mein Schicksal zu erfüllen.“ Der Sarkasmus, der sich mit jedem Wort in seine Stimme schlich, ließ Cat fast bereuen, die Frage gestellt zu haben. Doch es war ihr nun einerlei. Sie wollte wissen, was hier passierte, was mit ihr passierte. „Und was ist dein Schicksal?“ Wieder schwieg der Dämon, während sein rastloser Blick über den Boden glitt. „Ich soll der Magie dienen, als Hüter...“, meinte er dann leise. „Das werde ich aber nicht tun. Ich lasse mir nicht verschreiben, was ich zu tun habe. Nicht bevor ich nicht weiß, wer ich war, bevor ich zum Wächter wurde.“ Cat zerfurchte die Stirn und hob leicht sie Schultern. Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Sie war gefangen in einer magischen Welt, in der magische Wesen lebten und magische Wesen lebten und magische Kräfte wirken waren. Kurzum: Sie war umringt von Dingen, an die sie nicht glaubte und erst sein einigen Tagen für sie existierte. „Ich werde hierbleiben, bis ich weiß, was oben passiert. Das hier soll dein Gemach sein und ich stelle dir auch einen Diener zur Verfügung“, unter brach Shadow ihre Gedanken und aus den Wänden löste sich eine Frau, die- wie alles hier. Aus Schatten bestand. „Wenn du etwas brauchst, dann wende dich an Lucille. Sie wird bei dir sein, solange ich es nicht bin.“ Cat richtete sich ein wenig mehr auf, streckte sie Hand nach Shadow aus, doch im nächsten Moment war der Dämon verschwunden. Resigniert seufzend ließ sich das Mädchen zurückfallen. „Und ich soll also auch hier bleiben, solange du mit deinen Problemen fertig wirst?“; rief sie wütend ins Leere und warf frustriert die Decke auf den Boden, um aus dem Bett steigen zu können. Es war nicht zu fassen, was hier geschah! Vor ein paar Tagen hatte sie noch ein normales Leben mit normalen Problemen gehabt und jetzt das! Sie entpuppte sich als Engel, wurde von einem Dämon- ihrem natürlichen Erzfeind- in seine verdrehte Welt verschleppt und soll jetzt auch noch die Geduld aufbringen zu warten? „Wer hat dir denn verraten, dass Dämonen deine Erzfeinde sind?“, fragte eine Stimme aus dem Hintergrund leise. „Na, ist doch ganz klar. Warum sonst sollten die Grenzen bewacht sein und die Maid immer sagen, dass ich sie meiden solle. Vel meinte immer, diesem Abschaum würde er es noch zeigen, sobald...“ Cat verstumme augenblicklich, als sie ihre Worte hörte und drehte sich langsam um. Shadows kleineres Ich stand einige Schritte von dem Mädchen entfernt und blickte sie freundlich an. „Weißt du, wer dir deine Erinnerungen genommen hat?“, fragte der Junge sanft und legte den Kopf leicht schief. Erinnerungen...? Cat spürte, wie ihre Knie nachgaben und auf einen Wink des Jungen hin, stellte Lucille ihr einen Stuhl hinter das Mädchen. Dankbar setzte es sich und suchte nach dem Ort, von dem die Worte gekommen waren, doch sie konnte ihn nicht mehr finden. So schnell wie die Erinnerungen gekommen waren, waren sie wieder verschwunden. Langsam kam der Junge auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Bevor sie auf die Erde gekommen war, hatte sie also in der magischen Welt gelebt. „Ich... weiß nicht. Ich hatte eine Vision, während dem Erdbeben...“, wisperte sie schwach und schloss die Augen, durchforstete ihre Gedanken nach noch mehr Erinnerungen. Das kleinere Ich des Dämons nickte verstehend. Stress löste die versteckten Erinnerungen aus ihrem Bann. „Ruhig, ruhig“, besänftigte er Cat und legte ihr seine kleine Hand auf das Knie. „Du musst aufhören, dir zu sagen, dass du an das hier nicht glaubst.“ Der Junge umfasste mit einer Bewegung der freien Hand den Raum und hob vielsagend die Brauen. „Und wenn du dich wieder an etwas erinnerst oder eine Vision hast, dann wehre dich nicht dagegen.“ Cat nickte, ohne wirklich mitzukriegen, was der junge Dämon vor ihr Sagte. Die Geschichte nahm Dimensionen an, die ihr zu groß waren, viel zu groß. Uns alles nur wegen einem verstauchten Knöchel... „Danke, Rina, für deinen raschen Bericht“, sagte Iblis leise und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Rina verneigte sich vor dem Königspaar und zog sich dann aus deren privaten Gemächern zurück. Als sie die Tür hinter sich schloss, waren ihre Knie bereits so weich, dass sie sich an der Wand aufstützen musste. Ihr Herz klopfte wild an ihre Brust, doch sie wusste, dass sie das Richtige getan hatte. Geh zurück und erzähle dem König, was du mir eben erzählt hast... hörte sie die Stimme der Herrin in ihrem Kopf. Und achte darauf, dass er nichts bemerkt. Die Naturdämonin holte tief Luft und machte sich dann auf den Weg in ihr Gemach. Shadow war ihrer Kontrolle entkommen und sie wusste nicht, wie sich das auf den Krieg auswirken würde. Nesace hatte nicht wütend gewirkt, doch die Pflanzen hatten ihr von einer Wut erzählt, die vom Licht ausgegangen war. Alles was ich tue, tue ich für Chrashan, sagte Rina sich selbst und seufzte leise. Sie musste aufpassen. Iblis' Wut würde fürchterlich sein, wenn er von ihrem Verrat erfuhr. Doch sie hatte sich entschieden, ihn zu betrügen, wie er sie betrogen hatte. Nur entscheid sie sich für die Welt und nicht für eine andere Liebe. „Ich kann euch nicht helfen, obwohl er mein Zwilling ist, gaben die Schatten mir keine Macht.“ Nico spreizte ihre Schwingen, froh, sie endlich wieder offen tragen zu können. Und sah ihre Mutter ausdruckslos an. „Wir haben dich damit beauftragt, auf ihn aufzupassen. Wie konnte das passieren?“, fragte Morgenstern und erwiderte Nicos Blick nüchtern. „Ich habe auf ihn aufgepasst soweit es mir möglich war“, antwortete die Dämonin und strich sich eine Strähne aus der Stirn. „Und das hast du sehr gut gemacht, Nico, wirklich. Jetzt hat mein Sohn Axareys Tochter entführt und an einen Ort gebracht, an dem er unantastbar ist. Weißt du, was das für den Krieg bedeutet, den wir für dich und deinen Bruder überhaupt erst angefangen haben? Dass er sinnlos ist!“ „Für mich und ihn?! Ich war nicht diejenige, die ihre Kinder ausgesetzt hat, nur um dem Schicksal die Stirn zu bieten! Haltest du dich wirklich für so mächtig, Morgenstern, dass du tun und lassen kannst, was du willst? Wenn das Orakel Shadow verlangt hat, dann gehört dein Sohn nun mal dem Orakel!“ „Nico, das reicht.“ Iblis hob die Hand und sah erst seine Tochter und dann seine Frau an. Beide wechselten tödliche Blicke und selbst Edgar, Allans Rabe, sah finster drein. „Du bist eine bittere Enttäuschung, Nico, für die ganze Familie“, zischte Allan und Nico fuhr auf, wurde aber von ihrem Vater aufgehalten. „Und von deiner Seite aus reichte es auch, Allan“, sagte der König bestimmt und wandte sich wieder an seine Tochter. „Ich bitte dich zu gehen, Nico, mit deinem Neid bist du uns keine Hilfe, also stehe uns auch bitte nicht im Weg. Gehe wieder nach oben oder sonst wohin, aber im Palast und im Lager möchte ich dich nicht mehr sehen.“ Nico sah ihre Mutter noch einmal finster an, dann erhob sie sich und verschwand mit einem Flügelrauschen. Iblis betrachtete den Fleck, an dem noch vor einer Sekunde seine Tochter gestanden war, dann setzte er sich neben Allan in einen Sessel. Er merkte, wie sehr sie sich beherrschen musste, auch wenn sie gelassen wirkte. „Allan...“, begann Iblis sanft und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Ich habe meine Kinder verloren“, murmelte die Göttin leise und schüttelte den Kopf, bevor sie aufstand. „Meine Tochter an ihren Neid und meinen Sohn an die Schatten, vor denen ich ihn schützen wollte.“ Allan seufzte resignierend und legte ihren Kopf auf die Schulter ihres Mannes, als er sich hinter sie stellte und seine Arme um ihren Bauch schlang. „Ich trauere beiden genug Vernunft zu, dass sie das Richtige machen. Doch wir müssen versuchen, unseren Sohn zu erreichen“, antwortete Iblis in sanften Ton und drückte Allan an sich. Kapitel 13: Verrat ------------------ Ehrfürchtig senkte Rina den Blick, als das Orakel die grosse Halle des Tempels betrat. Jeder stellte sich auf dem Kreis, der mit Mosaiksteinen in iher Farbe auf den Boden geprägt war. Nur der schwarze Kreis gegenüber dem des Lichts war leer. Nur langsam hob die Dämonin den Blick und wagte es, das Orakel zu betrachten. Alle Völker Rednamors waren vertreten. Cereo, der Engel, im gelben Kreis. Nesace, die Dunkelelfe, im braunen Kreis. Siria, die Ayuni, im blauen Kreis. Ember, die Aftiel, im roten Kreis. Und Vento, der Elf, im grünen Kreis. Hinter den einzelnen Wächtern entdeckte Rina Türen, die in die einzelnen Tempel der Elemente führte. Die Pflanzen hinter Nesace' Türe sprachen mit ihr über eine Wut, die sie im Licht spürten. Rina runzelte die Stirn, als sie Cereos neutrales Gesicht erblickte. Er sah nicht wütend aus... „Du hast deine Aufgabe erfüllt, Rina. Shadow daran zu hindern, in seine eigene Welt zu fliehen, war jemand anderem aufgetragen.“ Rina legte den Kopf schräg und verneigte sich leicht. Das Orakel hatte noch mehr Diener unter den Dämonen? Auf ein Zeichen von Nesace verbeugte Rina sich wieder und trat dann hinter ihre Herrin, während die Türe sich lffnete und eine bekannte Gestalt in die Mitte trat, um sich mit ausgebreiteten Flügeln zu verbeugen. „Du kommst spät, Nico“, sagte Cereo mit einem sanften Lächeln, doch der Blick der grünen Augen war hart und kalt. „Tut mir Leid, ich war noch bei meinen Eltern“, antwortete Chrashans Prinzessin und erhob sich wieder. „Sie waren sehr aufgebracht.“ Die Dämonin lachte leise, verstummte aber, als sie das ernste Gesicht des Lichtwächters sah. „Der König war ebenfalls aufgebracht wegen deines Versagens?“, fragte Vereo noch immer bedrohlich leise und Nico trat verunsichert einen Schritt zurück. „Ich hätte es nicht verhindern können und das weisst du, Cereo!“, verteifigte sie sich und hinter Nesace zuckte Rina zusammen. „Der Ausbruch von Emotionen kam so plötzlich, niemand hätte das voraussehen können.“ „Wieso warst du nicht in seiner Nähe, als er geflohen ist? Du hättest es verhindern können.“ Cereis zunehmend eisiger Ton steigerte Nicos Sorge zu Wut und entschlossen trat sie wieder einen Schritt vor. „Und was ist mit der Schlange? Sie war ständig bei ihm!“ Nico stand inzwischen vor dem Wächter und starrte ihn böse an, während er ebenso kalt zurückstarrte, „Sie hat ihre Strafe schon erhalten“, mischte sich Nesace sanft lächelnd ein und streichelte dabei einer Schlange um ihren Hals zärtlich über den Kopf. „In ihrem tierischen Körper gefangen wird sie nicht mehr so viel Schaden anrichten können.“ Erstaunt wandte sich der Engel Cereo zu und erst jetzt fiel ihm auf, dass kein Funken Liebe in den grünen Augen des Wächters lag. Hatte sie ihn verloden, wegen eines kleinen Fehlers? „Nein“, wisperte Nico und kniete vor Cereo nieder. „Es tut mir Leid, okay? Ich... habe versagt. Diesmal werde ich ihn dir bringen.“ Verlass mich nicht, flüsterte sie in Gedanken, als der Blick des Wächters keine Spur sanfter wurde, „Dieses Mal brauchen wir dich nicht. Ich verbanne dich, Nico Dämonenblut. Du bist hier im Tempel nicht länder erwünscht.“ Nico brach das Herz, als die Cereos Waorte hörte, und stand dann langsam auf, um einige Schritte zurückzutreten. Im Palast und im Lager will ich dich nicht wieder sehen..., hallten die Worte ihres Vaters in ihrem Kopf, bevor sie sich gerade hinstellte, ihre weissen Schwingen streckte und dann in einem Federgestäube verschwand. Cereo schnaubte leise, als die Federn sich auflösten und Nico verschwunden war. „Wir hatten ihn“, zischte er leise und schüttelte den Kopf. „Kurz bevor er verschwand, habe ich einen unglaublichen Ausbruch von Lichtmagie gespürt. Diese Person ist die Tochter der Seraphimflügel, Flaren. Shadow hat ihre Kräfte geweckt und ist dann mit ihr in die Bewusstseinsebene der Schatten geflohen.“Der Wächter blickte die restlichen Mitglieder der Orakels an. „Haltet alle Sinne offen und durchforstet alle Dimensionen, bis ihr ihn findet und dann holt ihn euch, Wille hin oder her. Wir haben lange genug auf unsre Wiedervereinigung gewartet. Und passt auf Flaren auf, sie hat nicht nicht gelernt, mit der Fülle von Macht umzugehen, die in ihr schlummert.“ Die Wächter nickten wieder und auf einem Wink von Cereo hin zerstreuten sie sich. Rina zögerte einen Moment, als sie aus ihrem Gedanken gerissen wurde, und folgte dann Nesace, die sie in ihre Kammer bat. Nico arbeitete ebenfalls für das Orakel? Wenn sie schon das Königshaus in ihrer Hand hatten, wie weit waren sie schon in Rednamors Innerem? „Rina, was ist los?“, fragte Nesace sanft und die Dämonin blickte auf, um denn Blick gleich wieder abzuwenden. Die eckige Pupille von Nesace' rechtem Auge atte sich erweitert und schien zu pulsieren. Rina wusste inzwischen, dass es einen Grund gab, warum ihre Pupillen unterschiedliche Formen hatten, sie wusste nur nicht, was sie anrichten konnten. „Du musst mir nicht misstrauen, ich dringe nicht in deinen Geist ein“, sagte Nesace mit unverändert sanfter Stimme und Rina kam die Lieblichkeit in ihrem Wesen plötzlich künstlich und zweckgebunden vor. „Tut mir Leid, ich war nur etwas irritiert“, sagte sie dennoch und verbeugte sich, dann sprossen Ranken auf dem Boden, die sich im ihre Hüfte und Beine legte und sie in den Boden hinabzog. Nesace starrte eine Sekunde den Boden an, in dem ihre Dienerin verschwunden war, dann nahm sie die Schlange von ihrem Hals und starrte sie an. „Jetzt hast du keine Chance, dich zu wehren. Zeig mir, was geschehen ist.“ Der kleine Shadow betrachtete Catm die mit verlorenem Blick ins Nichts starrte, und hoffte, dass dieses gedankliche Rfeise Früchte tagen würde. Schon seit einer Stunde sass er da und beobachtete, wie der Engel immer weiter in sein Unterbewusstsein eindrang, um Erinnerungen der Kindheit zu finden; Erinnerungen, die sie zu ihrem Vater führen sollten. Gedundig faltete der Kleine die Hönde und schlug die Augen leicht nieder, ohne Cat aus dem Auge zu lassen. Bis jetzt war sie noch nie so lange weg gewesen.DIe Hoffnung, diesmal etwas Handfestes zu bekommen, wuchs mit jedem Augenblick. Vielleicht fand sie dann auch einen Weg in diese Welt. Irgendwo dort musste auch seine sein. Cat atmete flatternd aus und öffnete die Augen. Sie schwieg für einige Momente, um die Bilder in ihrem Kopf zu ordnen, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich kann meinen Vater nie sehen“, sagte sie leise. „Jedes Mal, wenn er auftauchen sollte, schweifen meine Gedanken ab oder es wird einfach schwarz.“ „Vielleicht hast du deinen Vater nie getroffen“, meinte der Junge, doch Cat schüttelte wieder den Kopf. „Nein, Ravel und ich... wir waren bei ihm. Ich kann ihn nur nicht sehen.“ Der kleine Shadow runzelte die Stirn. Ravel... Wenn ihm der Name doch nur etwas sagen würde! Er war auf jeden Fall ein Engel, doch welchen Status besass er? Cat sekbst konnte sic hnciht an die Hirachie im Himmel erinnend und Shadow wusste selber nichts. „Naja“, sagte der Junde schliesslich und erhob sich vom Bett. „Lass mich rufen, wenn dir etwas eunfällt.“ Dann winkte er mit der Hand und Lucille erschien hinter ihm. „Die Reise hat dich sicher erschöpft.“ Cat nickte, hob aber die Hand, um den Kleinen aufzuhalten. Shadow... was bist du eigentlich?“ Langsam drehte er sich wieder um und lächelte leicht. Die begann, sich mit Magie auseinanderzusetzen. Sehr gut. „Ich bin eine Hülle, aus Schatten erschaffen, die die aus Shadows Gedächtnis verbannten Erinnerungen aufbewahrt.“ „Und wie kannst du dann denken? Du bist doch nur eine Erinnerung.“ Shadow hob erstaunt die Augenbrauen. Sie verstand magische Zusammenhänge, ohne selbst etwas von Magie zu wissen. Es wurde immer ersichtlicher, dass sie in ihrer Kindheit ausgebildet worden war. „Ich verfüge über das Wissen von Shadow, ich bin noch immer ein Teil von ihm, auch wenn ich einen eigenen Körper habe.“ Cat nickte verstehend und betrachtete summ ihre Hände. Das Kind nutzte die Gelegenheit, um sich zurückzuziehen. Es würde nicht lange dauern, bis Shadow erfuhr, was sein kleineres Ich mit seinem „Gast“ anstellte. Dann würden er nicht mehr lange existieren, doch das war sein Plan. Er musste die Erfahrung seiner Kindheit wieder in sich aufnehmen, sonst würde er niemals hier herausfinden. Der Junge lächelte, als er immer mehr mit den Schatten verschmolz. Bald würde er wieder dasein, wo er hingehörte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)