Wie Schwarz und Weiß von schmoergelmotte ================================================================================ Kapitel 1: Neue Sitzordnung (oder auch: Schlimmer geht's nicht) --------------------------------------------------------------- Moin moin allerseits ^^ So, hier ist mal wieder eine Story von mir ^^ Keine Ahnung, wie ich auf die Idee hierzu gekommen bin. Ich glaub, es war durch einen Film, von dem eine Freundin mir erzählte, wo sich ein Neonazi in einen Punk verliebt und umgekehrt. Von einer anderen Freundin wurde ich dann zu der Fanfic überredet, wobei mir zu guter Letzt, meine Sims den Rest gegeben haben *lol* Nun, lange Rede, kurzer Sinn: Auch wenn das Thema vielleicht ein wenig schräg ist, hoffe ich, dass ihr diese Fiktion lest und Spaß dabei habt. Kapitel 1 : Neue Sitzordnung (oder auch: Schlimmer geht's nicht) Ungeniert kitzelte die strahlend helle Sonne in Michaels Augen, als er kurz nach oben in den wolkenlosen, blauen Himmel sah. Unter seinen schwarz-roten Doccers knirschten die Kieselsteine auf dem Schotterweg, den er wie jeden Morgen als Abkürzung zur Schule ging. Normalerweise fuhr er mit dem Bus, aber wenn er wie heute erst zur dritten Stunde hatte, ging er einfach früher los und lief das doch beträchtliche Stück bis zur Schule. Wenn er schon ansonsten recht faul war, so konnte man zumindest nicht behaupten, er würde sich nicht genug bewegen. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch gut zehn Minuten Zeit hatte, bis die dritte Unterrichtsstunde um 10.00 Uhr beginnen würde. Die grelle Sonne spiegelte sich auf dem zerkratzten Gehäuse seiner Armbanduhr und brachte sein linkes, geschwollenes Auge zum Tränen. Verdammt, Rosner, das wirst du mir noch büßen… elender Glatzen-Wichser… Gut, eigentlich hatte er sich das Veilchen selber eingebrockt, als er sich mal wieder mit einem dieser beschissenen Neonazis angelegt hatte. Dass die auch immer so schnell zuschlagen mussten. Na ja, er selber und seine Punk-Freunde waren im Gegenzug nicht unbedingt immer besser, aber das ließ Michael nur allzu gerne außer Acht. Wie auch immer; sein Auge war jedenfalls hübsch blau-violett ummalt und tat tierisch weh. Er war sich, davon abgesehen, unheimlich sicher, dass sich diese hässliche Bluterguss-Farbe ziemlich mit seinem momentan grün-dunkellilafarbigen Iro schnitt. Seufzend fummelte er eine Zigarette aus der Brusttasche seines karierten, leicht verschlissenen Hemdes und kramte nach seinem Feuerzeug, während er leise einige Zeilen von „Problems“ der Sex Pistols mitsang. Immerhin dröhnte das Lied ihm schon die ganze Zeit in den Ohren. Einen tiefen Zug nehmend zappte er an seinem MP3-Player weiter, bis er bei „Deutschland im Herbst“ von den Onkelz ankam. Sein Blick glitt wieder geradeaus und er konnte schon den Schulhof in weiter Ferne sehen. Die Schüler bewegten sich langsam zum Gebäude hin und Michael stutzte kurz. Ah, die Penner bescheißen uns schon wieder um Minuten unserer Pause und ich komm zu spät, scheiße. Er beeilte sich und ging einen Schritt schneller. Gelangweiltes Schweigen herrschte in der Klasse. Nur hier und da unterhielten sich ein paar Mädchen über das lange Wochenende, was sie gehabt hatten. Heute war Dienstag; der Montag war frei gewesen. Ein wenig genervt sah die junge, brünette Lehrerin zu den jungen Mädchen rechts mittig und bat sie um Ruhe, doch diese winkten nur ab. Ein leises Seufzen entfloh dem dezent rot gefärbten Mund der Lehrerin, als sie fortfuhr, die Klassenliste nach Anwesenheit zu kontrollieren. „Pleske, Michael?“ Suchend sah sie sich um und blickte dann fragend in die Ecke hinten rechts, wo zwei Punks mit recht gelangweiltem und leicht verschlafenem Blick saßen. „Patrick, Jan, wisst ihr, wo Michael ist?“ Der Linke und Größere der beiden zuckte mit den nietenbesetzten Schultern. „Keine Ahnung. Der wollte laufen; hat bestimmt getrödelt…“, antwortete er ruhig und sah seine Lehrerin gleichgültig an. „Gut, dann lassen wir das noch mal offen, bis er-“, begann sie, als sich gerade in diesem Moment die Tür öffnete und Michael den Raum betrat. „Sorry, ich bin zu spät losgelaufen!“, entschuldigte er sich und ging nach hinten, um sich zwischen Patrick und Jan zu setzen. „Und ich dachte schon, du ersparst uns deinen Anblick!“, kam es von der linken, hintersten Ecke der Klasse. Genervt beugte Michael sich vor und betrachtete den kahlrasierten Jungen am anderen Ende der Klasse skeptisch. „Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, Glatzkopf!“ Der andere Junge grinste hämisch. „Na ja, so kann ich wenigstens mein Werk bewundern. Das Veilchen steht dir ausgezeichnet, Pleske…“, gab er spottend zurück und sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter. „Thomas Rosner!“, unterbrach die Lehrerin das alltägliche Geplänkel der beiden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Michael und seine Freunde waren Punks. Politisch gesehen linksextrem. Thomas und sein Kumpel Nils gehörten einer Gruppe von Neonazis hier in der Stadt an und waren dementsprechend rechtsextrem. Der Konflikt und die Rivalität waren schon vorherzusehen. „Es ist ja wunderbar, dass du zu dem Zuspätkommen von Michael auch noch dein Kommentar geben musst, aber solltest du noch mal so ein großes Mitteilungsbedürfnis haben, dann lebe es doch lieber im Unterricht aus, als gegenüber deinen Klassenkameraden“, richtete sich die Lehrerin weiter an Thomas. „Würde deinen Noten ganz gut tun…“ Sie betrachtete ihn ein wenig überlegen und guckte wieder auf ihre Liste. „Na, wenigstens muss ich nicht mehr fragen, ob du da bist…“, murmelte sie leise vor sich hin und machte auch hinter den Namen „Rosner, Thomas“ einen Punkt. „Und Michael, solltest du wieder mal Lust haben, dich sportlich zu betätigen, dann steh gefälligst früher auf, damit du auch rechtzeitig herfindest“, richtete sie auch noch einen Kommentar an besagten Punk, welcher daraufhin allerdings nur ein „Okay“ erwiderte. Er war noch zu sehr damit beschäftigt, über die Standpauke an Thomas Rosner zu grinsen. „Hach, manchmal kann Frau Lechner richtig klasse sein“, murmelte er leise vor sich hin, was ihm einen fragenden Blick von Patrick einbrachte. Patrick war ein recht hoch gewachsener Junge, dessen zu Spikes gedrehtes Haar in vielen Blaunuancen erstrahlte. Sein wettergegerbtes Gesicht war von einigen Sommersprossen um die Nase gezeichnet, ebenso wie bei Michael selbst. Die dunkelblauen Augen lagen nun immer noch fragend blickend auf Michael, welcher nun ein wenig grinste. „Na, ihre Predigt gegen Rosner!“, meinte er und nickte kräftig. „Ach so“, antwortete Patrick und blickte kurz an Michael vorbei zu Jan, welcher allerdings mit dem Kopf auf den verschränkten Armen lag und zu dösen schien. „Na ja, Unrecht hat sie ja nicht. Allerdings steht er genauso auf dem Abstieg wie wir. Wir sollten also nicht so tönen.“ Einen leichten Schmollmund ziehend, stupste Michael Patrick in die Seite. „Ach, Pat, es ist Rosner, der so was gesagt bekommt“, meinte er dann breit grinsend. „Da muss man sich freuen!“ Das Grinsen des Grünhaarigen schien ansteckend und auch Patrick konnte es sich nicht mehr verkneifen. „Ja, hast ja Recht, Michi“, gab er zu und klopfte dem anderen auf die Schulter. „Jungs, könntet ihr bitte mal dem Unterricht folgen und Seite 135 im Buch aufschlagen?“, holte Frau Lechner sie aus ihren Verspottungen und Michi beschloss, nun doch mal sein Buch aus der seinem tarngrünen, mit Aufnähern und Buttons versehenen Army-Rucksack zu ziehen. Der Englischunterricht zog sich wie so oft schon wie Kaugummi. Mal wieder hatten sie einen Text aus dem Buch bearbeitet und mussten nun Fragen dazu beantworten. Michi fragte sich ernsthaft, wozu das nützlich sein sollte und was ihn die globale Erwärmung interessieren musste. „Bis sich das zur Erdzerstörung ausgewirkt hat, bin ich schon längst tot“, meinte Jan seufzend, der vor knapp fünfzehn Minuten doch aus seinem Schlummerchen aufgewacht war und sich ans Arbeiten begeben hatte. Michael konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Na, das kannst du ja bei Frage 3 schreiben“, sagte er zwinkernd und tippte mit dem Zeigefinger auf seinen Block, wo er die Fragen notiert hatte. „Huh? Ja?“, fragte Jan nach und sah auf seinen eigenen Block, um nachzuschauen, was denn überhaupt bei Frage 3 verlangt wurde. „Was ist ihr persönliches Gefühl gegenüber dem Treibhauseffekt? Hm, ja, da könnt ich wirklich schreiben: Is mir doch scheißegal, bin dann eh tot.“ „Ja, verbuddelt bei Patrick im Hintergarten!“, sagte Michael lachend. Patrick, der sich als anscheinend wirklich ernsthaft mit dem Text beschäftigt hatte, schrak bei der Nennung seines Namens auf. „Was ist mit meinem Hintergarten?“, fragte er und runzelte die Stirn. „Ich hab doch gar keinen…“ „Nicht so wichtig, ging um Frage 3“, antwortete Jan abwehrend und schrieb nun wirklich: It doesn’t matter to me because I will be dead. Dabei strich er sich immer wieder eine seiner langen, orangefarbenen Ponysträhnen aus dem Gesicht und versuchte sie vergebens hinter sein linkes Ohr zu klemmen. Jan war ein wenig kleiner als Michael, was allerdings vor allem daran lag, dass der Grünhaarige durch seinen Iro um einiges größer wirkte. Bei Jan selber könnte man behaupten, er würde einen Rechtsscheitel tragen, nur dass rechts neben dem Scheitel gut ein Drittel seiner Haarpracht fehlte. Der Großteil der momentan orange glühenden Haare war jedoch noch vorhanden und ging dem 18-Jährigen bis zu den Schultern. „Ach so, Frage 3“, wiederholte Patrick Jans Worte und lehnte sich zurück. „Das einzige, was mir zum Treibhauseffekt aus persönlicher Sicht einfällt ist, dass es in einem Treibhaus stickig ist und man dort besser keinen Sex haben sollte.“ Er schien ein wenig in Erinnerung zu schwelgen, während Michael und Jan ihn leicht schief grinsend ansahen. Wie genau die Story mit dem Sex im Treibhaus abgelaufen war, wollten sie lieber gar nicht erst wissen. „Nun, wer liest freiwillig vor?“, holte Frau Lechner sie wieder in die Wirklichkeit. „Freiwillig? Nie im Leben…“, murmelte Michael als Antwort und sah ein wenig zweifelnd auf sein Blatt, wo gerade mal zu 4 der 6 Fragen je ein Satz geschrieben war. Da sich abgesehen von zwei-drei Strebern der Klasse niemand meldete, ließ die brünette Englischlehrerin ihren Blick bedrohlich über die hinteren Reihen der Klasse schweifen. Für einen kurzen Moment blieb sie an dem Punk-Trio hängen, sah dann aber zur entgegen gesetzten Seite. „Thomas, willst du uns nicht die Ehre erweisen? Oder Nils vielleicht?“, forderte Frau Lechner einen von beiden zum Vortragen seiner Antworten auf und schmunzelte verhalten. Es war nicht zu übersehen, dass ihr das in gewisser Weise Freude bereitete. Nils war ein großer, muskulös gebauter Junge mit recht erwachsenen Gesichtszügen und – wie könnte es auch anders sein – einer Glatze. Wie viele Neonazis trug er eine enge hellblaue Jeans und saß ziemlich breitbeinig da. Sein Blick schweifte auffordernd zu Thomas und signalisierte diesem damit, dass er ganz sicher nicht bereit war, seine Antworten vorzulesen und dass Thomas dies gefälligst tun sollte. Man könnte diesem das Seufzen schon beinahe ansehen, als seine Augenbrauen ein wenig genervt in die Höhe schossen. Er nahm seinen Block in die Hand und setzte an, etwas zu sagen, sah dann aber zu Frau Lechner und biss sich auf die blassen Lippen. „Muss ich alle Fragen vorlesen?“, fragte er beinah schon ein wenig flehend und wirkte dabei ziemlich hilflos. Die Lehrerin schüttelte den Kopf. „Nur die Erste, Thomas.“ Diesem war die Erleichterung buchstäblich anzusehen. „Also, Frage 1, ne. Why is global warming also called ’The Greenhouse Effect’?“, las er die Frage noch mal vor und räusperte sich dann. „It’s called Greenhouse Effect because the temperatures rise and it gets hotter. So the climate becomes like the climate in a greenhouse.“ „Gut, Thomas“, lobte Frau Lechner den kahlköpfigen Jungen, welcher daraufhin einfach nur nickte. „Nun, die Antwort war vollkommen richtig. Haben das alle so?“ Der Großteil der Klasse nickte und Thomas schien froh zu sein, dass er seine Antwort nicht noch einmal wiederholen musste. „Wer das nicht so hat, notiert sich das bitte“, merkte Frau Lechner an und sah dabei besonders zu Michael. Thomas, der ihrem Blick anscheinend gefolgt war, lachte laut auf. „Oh, Pleske, hast du das etwa nicht?“, fragte er spöttisch nach. „Soll ich es dir noch mal diktieren? Würd ich doch so gern für dich tun.“ Seine Stimme war übertrieben zuckersüß. Man merkte nur allzu deutlich, wie sehr Thomas es genoss, dass er etwas wusste, was Michael entweder nicht aufgeschrieben hatte oder eben nicht erklären konnte. „Nein, danke. Bevor ich mir von dir helfen lasse, sterb ich lieber dumm!“, gab Michi gereizt zurück und sah seinen Rivalen aus dunklen, grüngrauen Augen beinah schon mordend an. „Das tust du auch so, Pleske, das tust du auch so!“, konterte Thomas spottend und kräuselte seine Lippen. „Wahrscheinlich bist du zu dumm zu lernen, da könnte selbst ich dir nichts beibringen.“ Michael spürte wie ihm heißer wurde. Seine Hände formten sich zu Fäusten und er zog scharf Luft ein, um nicht vollkommen losbrüllen zu müssen. „Ich wüsste nicht, was ich von einem Penner wie dir lernen sollte, abgesehen von hirnlosen Parolen, an die nur Idioten wie ihr glauben könnt!“, keifte Michael zurück. Seine Augen funkelten fast vor Wut, als er in die dunklen Augen seines Gegenübers blickte. Er konnte förmlich spüren, wie auch dieser immer gereizter wurde. Die Augenbrauen des glatzköpfigen Jungen zuckten gefährlich. Wären sie nicht in der Klasse, wäre er wahrscheinlich schon längst auf Michael losgegangen. „Ich würde sagen, das fällt wohl unter politische Meinungsfreiheit“, mischte sich nun auch Nils ein und seine dunkle Stimme hallte durch den Raum. Spöttisch lachte Michael auf. „Ja, schon klar“, meinte Jan grinsend. „Nur weil sich eure NPD kuschtig verhält, als wären sie der Wiener Gesangsverein, heißt das ja nicht, dass jeder Scheiß von euch erlaubt ist. Euch hält doch eh jeder für die letzten Penner!“ „Hey!“, brüllte Thomas auf einmal dazwischen, jedoch ohne dabei hysterisch zu klingen. „Halt dein Scheißmaul, oder ich verpass dir auch so nen schönes Veilchen. Dann kannst du mit Pleske im Partnerlook gehen!“ „Rosner!“, griff Frau Lechner nun endlich ein. „Keine Drohungen in meinem Unterricht oder ich schleppe Sie zum Schulleiter!“ Geringschätzig lachte Michael auf. „Da war der doch eh schon oft genug!“, gab er seine Meinung kund und kassierte von Frau Lechner daraufhin gleich eine Konter: „Ja, genau wie du, Pleske.“ Auf einmal herrschte Stille in der Klasse. Mit enttäuschtem Blick sah die junge Englischlehrerin sich um und schüttelte ungläubig den Kopf. Erst der Schulgong, der signalisierte, dass nun schon zwei Stunden Englisch vergangen waren und damit die zweite Pause anstand, löste die bedrückende Stimmung. Die vorderen Reihen erhoben sich schnell und verließen eiligst die Klasse. Immer mehr leerte sich der mittelgroße Raum, bis nur noch Michael, Patrick und Jan sowie Thomas und Nils übrig waren. „So langsam reicht es mir mit euch allen“, meinte Frau Lechner ruhig, klang aber bekümmert. „Was ihr in eurer Freizeit macht, kann mir ja egal sein, aber hört wenigstens in meinem Unterricht auf, euch gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Und nun raus mit euch.“ Langsam ausatmend ging Michael neben Jan und Patrick her, als die fünf Jungen die Klasse verließen. „Scheiße, war die sauer“, meinte Jan und spielte mit einer seiner Strähnen, während sie gemächlich den Weg nach draußen gingen. Wohin die beiden Neonazis verschwunden waren, hatten sie nicht mehr bemerkt. „Wohl eher enttäuscht“, korrigierte Michael ihn und lehnte sich an eine Mauer. „Scheiße, es ging heute aber auch wieder zur Sache… diese verdammten Nazi-Schweine…“ Die Pause verging im Flug und schon bald hatten sich alle wieder in der Klasse eingefunden. Dort erwartete sie schon ihre Klassenlehrerin, Frau Vogt. Eine Dame mittleren Alters mit blonden, kurzen Haaren, die im Moment sehr gereizt wirkte. „Wie mir zu Ohren gekommen ist, haben unsere beiden politischen Minderheiten mal wieder Frau Lechners Unterricht terrorisiert“, begann sie langsam, als alle ihre Plätze eingenommen hatten und blickte in die hintere Reihe. „Florian und Marco sowie Alexandra und Jessica tun mir wirklich Leid, dass sie zwischen solchen Leuten wie euch sitzen müssen. Ich bin zutiefst enttäuscht von fünf gewissen Schülern und ich denke, jeder hier in der Klasse weiß nur allzu gut, welche fünf ich meine.“ Die Stimmung in der Klasse wurde wieder bedrückt. Auch Michael fühlte sich ein wenig schuldig. Normalerweise war Frau Vogt unheimlich locker drauf und nahm nur wenig ernst. Predigten waren bei ihr wirklich selten, aber wenn sie dann doch mal vorkamen, verfehlten sie ihre Wirkung meistens nicht. Nicht mal Thomas oder Nils sahen auf, als Frau Vogt weiter sprach. „Es kann nicht so weitergehen, dass wegen politischen Meinungsverschiedenheiten eine ganze Klasse vom Unterricht abgehalten wird“, merkte sie weiter an und blickte durch den Raum. „Allerdings muss ich fair bleiben. Ihr seid vielleicht der Hauptstörfaktor, aber noch lange nicht der Einzige. Es gibt so einige Mädchen“ – sie warf einen bedeutsamen Blick ins Mittelfeld zu zwei besonders chic aufgemachten Mädchen – „die meinen, sie könnten hier besser ein Plauschchen halten, als dem Unterricht zu folgen.“ Sie entfernte sich von ihrem Pult und ging kurz durch die Klasse; ließ ihren Blick über die einzelnen Schüler schweifen. „Ihr wisst, dass wir eigentlich vorhatten eine Klassenfahrt zu veranstalten“, fuhr sie fort. „Doch wenn das Klassenklima weiterhin so miserabel ist, denke ich nicht, dass ich bereit bin für euch meine Nachmittage zu opfern. Deshalb ist die Klassenfahrt vorerst gestrichen.“ Ein allgemein gemurmeltes „Nein“ ging durch die Klasse, welche daraufhin hektisch zu diskutieren begann. Michael war das so ziemlich gleichgültig, auch wenn eine Klassenfahrt sicher amüsant hätte werden können. „Ruhe!“, unterbrach Frau Vogt die aufkommende Diskussion und den Protest gegen ihre Entscheidung. „Dann gibt es noch einen Tagesausflug in ein Museum mit anschließendem Besuch in einem Kino. Dieser ist noch nicht gestrichen. Sollte sich euer Benehmen allerdings nicht ändern, werde ich auch diese Unternehmung abblasen. Um euch aber ein wenig unter die Arme zu greifen, ändere ich einiges an der Sitzordnung.“ Die Augen der Schüler weiteten sich, als sie die Nachricht vernahmen. Sie sollten auseinander gesetzt werden? Ein kleiner Tumult entfachte; hier und da jammerten welche, dass sie auf keinen Fall auseinander wollten, während andere diskutierten, mit wem sie schon mal gar nicht zusammensitzen wollten. „Isabelle“, rief Frau Vogt nach einem der beiden chicen Mädchen, die daraufhin geschockt ihre überaus prall geschminkten Augen aufriss. „Du setzt dich hier vorne zu Carsten.“ Sie zeigte auf einen blonden, schmächtigen Jungen, der weiter vorne saß. Die Tische waren in U-Form ausgerichtet und hatten einige Tische, die parallel zu der hinteren Tischreihe in der Mitte des U standen. „Jan, du setzt sich zwischen Jessica und Marco. Rückt bitte alle einen auf“, forderte sie nun auch die hintere Reihe zu einem Wechsel auf. „Thomas, du tauscht bitte den Platz mit Niclas. Jonas, du gehst bitte nach hinten auf Michaels Platz, der dann für dich nach vorne geht.“ Leise zischte Michael, als er seinen Namen vernahm. War ja klar, dass er nicht bei Patrick bleiben durfte. Gerade als er dabei war, sein verblichenes, zerfleddertes Mäppchen in seinen Army-Rucksack zu stopfen, stockte er und sah geschockt auf, um sicher zu gehen, ob sich sein Verdacht auch bestätigte. Neben Niclas hatte immer Jonas gesessen, an zwei zusammengestellten Einzeltischen in der U-Mitte. Wenn Thomas Rosner also mit Niclas tauschen musste und er selber mit Jonas… dann… „Oh nein, ich sitz neben Rosner…“, entfuhr es ihm keuchend und seine Augen weiteten sich gleich noch ein wenig mehr, sodass sich die verwundete Haut an seinem linken Augen schmerzhaft spannte. „Klug erkannt, Schätzchen“, murmelte Patrick, der anscheinend genauso geschockt war, dass sein Kumpel sich nun neben einen der verhassten Neonazis setzten musste. „Aber Frau Vogt…“, merkte nun auch Thomas an, der ebenso wenig wie Michael davon begeistert zu sein schien, neben besagtem Punk sitzen zu müssen. „Nichts da“, verbot die Lehrerin ihm das Wort. „Ich habe genug von diesem Unfug. Das seh ich mir nicht länger an. Und wer weiß, vielleicht verstehen Sie beide sich am Ende ja prächtig.“ Sie wirkte sehr gereizt und wandte sich schnell von Thomas und Michael hab. „Tze, klar, wir werden richtige Freunde…“, murmelte Michael verdrossen, als er die letzten Sachen gepackt hatte und zu Thomas schaute, welcher Frau Vogt gleichzeitig flehend als auch feindselig anguckte. „Den Blick muss ihm erst mal jemand nachmachen.“ „Stimmt, das ist eben der einmalige Rosner-Blick, wenn er zu seinem Glück gezwungen werden muss“, meinte Alexandra, die weiterhin neben Patrick saß. „Pah, Glück… das alles ist die größte Schande meines Lebens“, meinte Michael laut genug, damit Thomas Rosner es auch bloß hörte. Und wie erwartet, reagierte dieser auch darauf, indem er sich umdrehte. Der flehende Bestandteil seines Blickes schien nun vollkommen verschwunden und übrig blieb nur der Hass. „Pleske, bild dir bloß nicht ein, ich würde mich freuen, so ne Flohschleuder wie dich neben mir sitzen haben zu müssen!“ Grummelnd schnappte Michael sich seinen Army-Rucksack und stapfte zu dem haarlosen Jungen rüber. Widerstrebend ließ er sich neben ihm nieder. „Flohschleuder?“, wiederholte er das Wort des Neonazis missgelaunt. „Ich bin doch kein Hund!“ „Du siehst aber aus wie ein dreckiger Straßenköter!“, konterte Thomas nicht weniger schlecht gelaunt und drehte sich zu Michael. „Na, besser ein Straßenköter als eine hässliche weiße Made!“, zischte Michael ihm zu und knallte wütend seine Mathesachen auf den Tisch. Frau Vogt trat grinsend an ihren Tisch. „Na, wie ich sehe, versteht ihr euch bereits prächtig“, meinte sie gespielt zuversichtlich und kehrte zurück zu ihrem Pult. „Nun, wir vergleichen dann die Hausaufgaben vom letzten Freitag.“ Der Rest des Schultages verging komplett anders, als Michael es beim Aufstehen am Morgen jemals gedacht hätte. In den beiden Stunden, die sie noch gehabt hatten, hatte sich dieser Rosner wie das letzte Arschloch verhalten. Gesprochen hatten sie wirklich nicht viel miteinander; eigentlich gar nicht. Aber als Michael heute Morgen in „weiser Voraussicht“, dass Patrick ihm so oder so seinen Taschenrechner leihen würde, seinen eigenen nicht eingepackt hatte; hätte er ja nie damit gerechnet, dass ihm das im Matheunterricht Kopf und Kragen kosten könnte. Immerhin hatte Rosner ihm seinen Taschenrechner natürlich nicht mal eine Sekunde lang ausgeliehen. So hatte Michael entweder alles im Kopf rechnen können (und darin war er nicht sonderlich gut) oder eben gar nicht. Denn wer wusste schon die dritte Wurzel aus 89? Mies gelaunt hatte Michael sich auf dem Heimweg gemacht und fragte sich, ob es eigentlich noch schlimmer kommen konnte. Auf den morgigen Schultag war er jedenfalls gespannt… TBC So, das war's erst mal. Ich hoffe, es hat gefallen xD Nun ja, bevor mir hier irgendwer, der mich nicht kennt, mit Fragen zu meiner politischen Orientierung kommt, kann ich sagen, dass ich keine hab. Ich bin alternativ und kein Punk und schon mal gar kein Nazi, wenn aber, würde ich wohl eher links werden. Ein paar Punks gehören zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis, während ich mit dem Nazis hier vor Ort zu meinem Glück nichts weiter zu tun hab. Die Infos über die rechte Szene hab ich entweder aus dem Internet oder aus Fernsehreportagen und Büchern oder von diesem einen Glatzenidioten, mit dem ich mich doch mal über seine Verfassung unterhalten hab. Sei es wie es ist, wenn hier jemals in dieser Fanfic nähere Infos der Neonazi-Szene auftauchen sollten (! --> ich bezweifle es), dann hab ich die ganz sicher nicht aus persönlichem Erfahrungsschatz. Denn sich einem solchen Gedankengut anzuschließen (wobei die meisten von denen nicht mal wissen, worum es geht) ist mich für einfach... hm... nicht nachvollziehbar. Zweites Kapitel ist schon in Arbeit, um mal zur Fanfic zurückzukehren. Greets, Schmörgelmotte Kapitel 2: Schlimmer geht's immer --------------------------------- Hallo ^^ Danke für die Kommentare zum ersten Kapitel *verbeug* Und natürlich für das Interesse an dieser Story aus meiner Feder ^___~ Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Thema doch mehr Leute interessiert, als diejenigen, mit denen ich eh schon über Neo-Nationalsozialismus und politischen Auseinandersetzungen geredet habe *zu Nathera wink* Ich betone noch einmal, dass ich selber keine politische Orientierung besitze und darüber auch sehr froh bin. Ich habe das Gefühl, man hat das alles dann besser im Blick ^^" Na ja, viel Spaß beim Lesen ^___~ Kapitel 2: Schlimmer geht's immer „Sag mal, habt ihr heute Zeit?“, fragte Jan und blickte erwartungsvoll zu Michael und Patrick, die ihm gegenüber in einem der hinteren Vierer des Linienbusses saßen. Der Platz neben ihm war frei bzw. hatte dort seine Tasche Platz gefunden. „Sorry, geht nicht. Lara kommt heute“, meinte Patrick entschuldigend. „Würd’ ja sagen, wir kommen zu zweit, aber die war ja jetzt zwei Wochen auf so ’nem Austausch. Da will ich die erst mal wieder allein sehen.“ Lara war Patricks Freundin und das schon über ein Jahr. Sie war ebenfalls Punk, laut, extrovertiert und im Gegensatz zu den Jungs recht fleißig in der Schule. Erst gestern war sie von einem Englandaustausch wiedergekommen. „Ja, schon klar, kann ich verstehen“, meinte Jan verständnisvoll, klang allerdings ein wenig beleidigt. „Und was ist mit dir, Michi?“ Der Blick seiner trübgrünen Augen glitt zu dem anderen Punk, der ihm genau gegenüber saß und verträumt aus dem Fenster sah. Draußen war es schon ziemlich hell, auch wenn es immer noch ein wenig dämmerte. Schon jetzt war keine einzige Wolke mehr am Himmel zu sehen. Das würde heute sicher ein schöner, sonniger Tag werden. „Hm? Was?“, schrak Michael auf und sah den Kleineren fragend an. Dieser grinste schief. „Na, wo warst du denn mit deinen Gedanken?“ Wenn man Jans größtes Laster neben Nikotin, Alkohol und Musik aufschreiben müsste, wäre es sicher die Neugier gewesen. „Ach, so hier und da“, antwortete Michael und streckte sich leicht. „Eigentlich musste ich an den schönen Unterricht denken, den ich wieder mit Glatze-Fratze verbringen darf.“ Missmutig kaute er auf seinem Unterlippenpiercing rum. Er hatte nun wirklich keine Lust, noch länger neben diesem Typen zu sitzen und dabei waren es erst zwei Schulstunden gewesen. Und heute würden es sogar sechs sein. Oh mein Gott, gib mir die Kugel… „Ich bemitleide dich ja wirklich sehr“, gab Jan daraufhin zu und stupste Michaels Knie mit seinem Fuß an. „Zwischen Jessica und Marco hab ich es eigentlich noch ganz gut getroffen.“ „Das denke ich allerdings auch“, erwiderte Michael daraufhin missmutig. „Niemand hatte bei der Verteilung so viel Pech wie ich, abgesehen von Niclas vielleicht, der sich neben dieses andere Nazi-Schwein setzten musste…“ „Okay, neben Nils Lehmann zu sitzen, ist auch nen hartes Stück“, meinte Patrick und fummelte an seinem leicht zerkratzten Handy rum, um Lara zurück zu schreiben. „Die sind alle beide scheiße“, grummelte Michael und seufzte. „Was wolltest du eigentlich, Jan?“ Dieser sah Michael einen Moment lang perplex an. Anscheinend hatte er selber schon vergessen, dass er seinen Kumpel gerade angesprochen hatte. Doch dann schien der Groschen zu fallen. „Aaach so, ja“, meinte Jan als wäre ihm gerade ein Lichtlein aufgegangen und beugte sich ein wenig vor. „Ich wollt wissen, ob du heute Zeit hast. Wird sicher geiles Wetter, da könnten wir an den Baggersee oder einfach nur so rumhängen!“ Die trübgrünen Augen funkelten schon fast vor Euphorie. In solchen Momenten wirkte der sonst so ruhige Junge wie ein kleines Kind. „Ja, klar, warum nicht“, stimmte Michael dem Vorschlag zu. Ein wenig Ablenkung würde ihm ganz gut tun. Laut dröhnte die harte Rockmusik aus dem schwarzen, alten VW Golf, als dieser über die Kreuzung Richtung Schule schoss. „Oh man, Thomas, du fährst wie ne besenkte Sau!“, beschwerte sich Nils Lehmann und die beiden anderen Neonazis, die auf den Rücksitzen saßen, nickten hastig zustimmend. „Du kannst auch gerne laufen, wenn dir mein Fahrstil nicht passt“, murrte Thomas, als er scharf um eine Kurve bog. „Eigentlich hab ich nichts gegen deinen Fahrstil“, meinte Nils abwehrend und lehnte sich seufzend mehr in den Beifahrersitz. „Aber so wie du gerade fährst, seh ich uns bei der nächsten Kreuzung am Pfeiler kleben.“ „Ach, laber keinen Scheiß“, murmelte Thomas gereizt. „Ich hab alles unter Kontrolle. Ich bin nur gereizt wegen dieser kleinen Mistmade von einem Punk, neben dem ich gleich sechs Stunden verbringen darf!“ Erneut stellte er die Musik ein Stück lauter. Nils schüttelte den Kopf. Es war sinnlos, jetzt noch etwas zu sagen, denn Thomas würde es entweder eh nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Aber schon gerade fiel es einem schwer, gegen die Musik anzuschreien. Da kannst du dir jetzt die Stimme sparen. Er konnte durchaus verstehen, warum sein Kamerad so missmutig war. Wer wollte schon gerne neben jemanden sitzen, der politisch die genau entgegen gestellte Richtung hatte und mit dem man sich schon häufiger geprügelt hatte? Er selber hätte da auch absolut keinen Bock drauf gehabt, aber zum Glück saß nur dieses Weichei Niclas neben ihm, der die Klappe eh kaum aufbekam. Hey, den könnt ich rekrutieren! Ein heftiger Ruck riss ihn jäh aus dem Pläneschmieden für die Gewinnung neuer Kameraden. Der Sicherheitsgurt zog sich schmerzhaft an seine Brust und ließ ihn leise aufkeuchen. Erschrocken blickte er auf und stellte fest, dass sie sicher und wohlbehalten in einer Parklücke standen und Thomas sich neben ihm anscheinend nicht besser gelaunt, dafür aber umso hektischer von seinem Sicherheitsgurt befreien wollte. Grundgütiger, ich dachte schon, wir kleben echt am Pfeiler! Erleichtert aufatmend schnallte er sich los und stieg aus. Während er sich seine Tasche schnappte, klappte er seinen Sitz nach vorne, damit die beiden Jungs hinter ihnen auch aussteigen konnten. Thomas hatte es indes geschafft, sich von seinem Gurt zu befreien und stieg mit missmutiger Miene aus. Sein Blick schweifte zur Bushaltestelle, wo gerade sein „heißgeliebter“ Sitznachbar aus einem grauen Bus stieg. „Kann der nicht einfach den ganzen Tag fehlen“, grummelte er in seinen nicht vorhandenen Bart und schloss seinen Wagen ab. Während Nils sich noch von den beiden anderen Kameraden verabschiedete, schlenderte Thomas bereits lustlos den Gehweg entlang. Bei dem Tempo, das der Kleinere hinlegte, fiel es Nils nun wirklich nicht schwer, ihn wieder einzuholen. Seufzend schlenderte er neben diesem her. „Ist schon scheiße, oder?“, fragte er, jedoch eher um überhaupt was zu sagen, als dass er wirklich eine Antwort verlangte. Doch er bekam sie mit einem schlichten Wort. „Ja.“ Nils rollte die Augen. Es war nervig, wenn Thomas so drauf war. Er war für ihn mehr als nur ein einfacher Kamerad. Er war ein Freund. Sie waren schon Freunde gewesen, bevor sie sich der Neonazigemeinschaft hier angeschlossen hatten. Wenn Thomas so drauf war, dass er nur wenig sprach und sich nicht mal mehr richtig aufregte, war es schon weit. Doch plötzlich beschleunigten sich die Schritte des anderen wieder energisch und Nils musste sich wirklich beeilen, mitzukommen. „Thomas…?“, nannte er den anderen fragend beim Namen, doch dieser reagierte nicht, sondern stieß beim Laufen eindeutig absichtlich gegen einen gewissen, grünhaarigen Punk, sodass dieser ein Stück zur Seite schwankte. „Rosner, du Penner!“, rief der Punk dem Neonazi hinterher. Doch Nils, der mittlerweile wieder mit Thomas gleichauf war, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein lauter Tumult herrschte in der Klasse, als Michael und seine Freunde den Raum betraten. Isabelle hatte sich bereits auf den Tisch ihrer besten Freundin Tatjana gesetzt. Anscheinend war sie immer noch nicht gewillt, sich damit abzufinden, dass sie samt Tisch und Stuhl zu Carsten nach vorne gezogen war. Michael schüttelte den Kopf. Als ob er froh war, Isabelles blondierte Mähne vor sich und einen Glatzkopf mit minderwertiger Ideologie neben sich zu haben. Aber hatte er sich beschwert? Nein! Für einen Moment blieb Michael mitten im Raum stehen. Warum hatte er sich eigentlich nicht beschwert? Weil es eh nichts genützt hätte? Oder weil du ein Idiot bist? Wahrscheinlich war beides der Fall, auch wenn das Erste sich wesentlich besser anhörte. Sein Blick glitt zu seinem neuen Sitzplatz und wie er sah, war sein Sitznachbar „erfreulicherweise“ auch schon eingetroffen. Langsam ging er auf ihre Plätze zu und ließ seinen Rucksack neben seinem Tisch zu Boden knallen. „Tag, Rosner“, begrüßte er den kahlköpfigen Jungen vor ihm mit geringschätzigem Ton in der Stimme, erlangte aber so dessen Aufmerksamkeit. Der junge national denkende Mann hob gemächlich seinen Blick, als wäre Michael nichts besonders Spannendes und schenkte dem Punk dann ein gehässiges Grinsen. „Pleske, du auch hier?“, meinte er auffällig freundlich und rückte gleich ein Stück zur Seite, als wollte er Michael den Platz neben sich anbieten. „Ja, das ist dir gar nicht aufgefallen, nicht wahr“, erwiderte Michael zynisch und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. „Wo du mich doch gerade erst umgerannt hast!“ Unverholen blickte er dem anderen ins Gesicht, doch dieses nahm nur überraschte Züge an. „Ach, Pleske, das warst du?“, fragte Thomas mit aller Unschuld, die er aufbringen konnte und machte gespielt große Augen. „Ich hab dich gar nicht erkannt!“ „Ja, ne, is schon klar“, zischte Michael genervt von Thomas’ Schauspiel. „Du kennst mich ja nur seit über einem Jahr und irgendwie bin ich nicht gerade unauffällig! Außerdem weiß doch jeder, dass du mich hasst und ich dich. Und jetzt erzähl mir nicht, du siehst morgens schlecht!“ Ohne auf die ersten Worte des Punks einzugehen, antwortete Thomas mit aller Gelassenheit: „Oh, nicht? Genau das wollte ich dir gerade sagen!“ Genervt atmete Michael schnaufend aus und wandte sich seinem Rucksack zu, hielt jedoch dann inne. „Seit wann bist du eigentlich so nervtötend sarkastisch, Rosner?“ Dieser hatte sich anscheinend schon wieder Jens zugewendet und zuckte daher leicht zusammen, als Michael ihn ansprach. Jens war ein relativ hübscher, gut gebauter Junge mit braun gebrannter Haut und hellen, blauen Augen. Seine natürlichen dunkelblonden Haare waren aufgehellt und seine Lippen formten wie so oft ein unwiderstehliches Lächeln, während der kleine Brillanten-Ohrring an seinem linken Ohr in der Sonne funkelte. Jens war definitiv der Typ Junge, auf den die meisten Mädchen standen. Besonders bei Isabelle und Tatjana war er natürlich sehr angesagt. Normalerweise verstanden er und Thomas sich überhaupt nicht, was aber eher von Thomas’ Seite ausging, denn Jens war wider Erwartungen trotz diesen 08/15-Aussehens recht umgänglich, wenn auch eingebildet. Allerdings schien Thomas sich entschieden zu haben, dass Jens immer noch ein besserer Gesprächspartner war als Michael. Dementsprechend verärgert drehte Thomas sich dem grünhaarigen Punk zu. „Sag mal, Pleske, kannst du nicht einmal deine beschissene Fresse halten?“, wies er Michael nicht gerade freundlich zurecht. „Muss man dir erst ein paar draufschlagen, damit du endlich das Maul hältst? Wenn ich was von dir hören will, melde ich mich schon!“ Wütend zog Michael die Augenbrauen zusammen, sodass seine Augen fast wie Schlitze wirkten. „Sag mal, tickt’s? Wie redest du eigentlich mit mir, du Penner!“ „Michael Pleske, wie reden Sie denn?“, ereilte ihn wenige Sekunden später die Stimme seiner Politiklehrerin, Frau Meyer. Überrascht und vor allem erschrocken drehte Michael sich um und musste feststellen, dass Frau Meyer keine zehn Zentimeter ihm entfernt stand und wütend auf ihn runterblickte. „Also wirklich, so müssen Sie doch nicht miteinander umgehen, oder?“, redete sie ihm weiter ins Gewissen und schüttelte empört den Kopf. Frau Meyer war meistens alles andere als begeistert von der, wie sie es nannte, „Jugendsprache“ und zudem immer sehr bemüht, Streit zu schlichten. Doch die Riesenkluft zwischen Michael Pleske und Thomas Rosner zu überbrücken, würde sie zu Lebzeiten nicht mehr schaffen und dabei war sie doch gerade mal 50 Jahre alt. „Ihre Klassenlehrerin hat mir bereits heute morgen gesagt, dass sie die Sitzordnung geändert hat“, begann die Dame mittleren Alters dann zu erzählen. „Als sie mir sagte, dass sie Sie beide nebeneinander gesetzt hat, habe ich mich ja gleich gefragt, welcher Teufel sie dort geritten haben muss. Nichts desto trotz, werden Sie beide sich in meinem Unterricht gefälligst nicht anzicken oder prügeln!“ Ihre kurzen Locken wippten leicht, als sie sich wieder aufrichtete und zum Pult zurückkehrte. Auf Thomas Rosners Gesicht lag ein breites Grinsen, als Michael einen kurzen Blick aus den Augenwinkeln zu ihm warf. Anscheinend dachte er, die Ermahnung wäre mehr an seinen Sitznachbar als an ihn selber gerichtet. Ein leises Kichern von vorne ließ Michael aufschauen. Isabelle hatte sich zu ihm umgedreht, während Frau Meyers die Anwesenheit kontrollierte. „Ist was?“, fragte Michael gelangweilt. Er hatte Isabelle noch nie leiden können. Sie war blondiert, dumm und intrigant. Sie lästerte gerne über anderer Leute Aussehen und hielt sich selbst für die Schönheit schlechthin. Dabei war sie doch nur durch die fünf Tonnen Make-up einigermaßen hübsch geworden. „Ich find das einfach nur so lustig, wie ihr da sitzt“, meinte sie mit ungewöhnlich hoher Stimme und grinste mädchenhaft, bevor ihr ein weiteres Kichern entwich. Erstaunt blickte Michael sich um. Er selber hatte die Ellebogen auf die Tischkante gestützt gehabt und sich die Wange am linken Arm abgestützt. Thomas dagegen war leger an die Rücklehne seines Stuhls gelehnt und saß leicht breitbeinig dort, im Gegensatz zu Michael, der die Knie ziemlich parallel nebeneinander hielt, da er so besser mit den Beinen wibbeln konnte. Die Sitzweisen der beiden waren ein Unterschied wie Tag und Nacht, ebenso wie die beiden selber. Doch was daran jetzt so überaus lustig sein sollte, verstand er nicht wirklich. Erneut kicherte Isabelle und blickte nun unter Thomas’ Tisch. „Wow, die Jeans sitzt ganz schön eng, oder?“, fragte sie gespielt naiv und drückte die Lippen aufeinander, als wollte sie ein Grinsen unterdrücken. Michael rollte die Augen. Wie die meisten Neonazis trug Thomas schwarze Springerstiefel und eine ziemlich knappe Blue Jeans. Nur die Oberteile variierten, auch wenn man an Thomas nie irgendwelche topmodischen Shirts finden würde. So hatte er sich heute mit einem schlichten, schwarzen Muskelshirt begnügt, auf dem mit weißen, gotischen Buchstaben „Odin statt Jesus“ stand. Na, das wird die Heinrichs freuen…, dachte Michael sich. Frau Heinrichs war ihre Religionslehrerin und diskutierte häufiger sowohl mit Thomas als auch Nils über diesen Spruch und dieses neuheidnische Gedankengut, das hier meist in Verbindung mit Rechtsradikalismus stand. Frau Meyer schien das allerdings nicht im Geringsten zu stören. Sie bat Isabelle lediglich, sich wieder nach vorne zu drehen. Diese konnte es allerdings nicht lassen, sich noch einmal zu Thomas zu drehen und unter den Tisch zu gucken. „Na ja…“, begann sie und setzte eine stilvolle Pause. „Ein Mann muss ja zeigen, was er hat…“ Damit drehte sie sich eine blonde Haarsträhne um den Zeigefinger und drehte sich unter einer zweiten Ermahnung durch Frau Meyer endgültig nach vorne. Thomas schienen diese Anmachversuche und das alberne Gerede jedoch nicht zu interessieren. Er quittierte Isabelles letzte Worte nur mit einem „Aha“ und blickte dann zu Frau Meyer, die eine Folie auf den Overheadprojektor legte und begann, erneut über die deutsche Verfassung zu reden. Der Politikunterricht verging wie gewohnt schleppend. 20 Minuten kamen einem plötzlich wie 2 Stunden vor, vor allem, wenn das Thema kein Interesse weckte. Und das tat es bei Michael nicht. Als Anarchist interessierte es ihn nicht sonderlich, wie Deutschlands Verfassung im Detail aussah. Doch es wunderte ihn nicht im Geringsten, dass sein neuer Sitznachbar eine unheimliche Menge darüber wusste. Selbst Nils Lehmann hatte nicht so viel gewusst, obwohl Michael eigentlich gedacht hatte, dass zumindest Thomas und Nils im Wissen über die deutsche Regierung und Verfassung gleichstehen müssten. Jedenfalls war Thomas bei weitem der Einzige gewesen, der viel zum Unterricht beigesteuert hatte, sodass er bei Frau Meyer sicher Pluspunkte bekam. Der Politikstunde war Mathe gefolgt und Michael hatte aus dem letzten Tag dazugelernt und seinen eigenen Taschenrechner mitgenommen. Die Ergebnisse waren trotzdem allesamt falsch. Sonst hatte er immer bei Patrick abgeschrieben, der dank Lara recht gut in Mathe geworden war. Doch bei Thomas Rosner abzuschreiben… dafür war Michael sich nun wirklich zu schade. Besonders war er sich sicher, hätte Thomas ihn dabei erwischt, hätte er das passende Veilchen auch am anderen Auge gehabt. Die Doppelstunde Sport war für Michael wie eine Erleichterung. Endlich weg von Rosner… Die Mädchen spielten Badminton, während die Jungen sich mehr als offenherzig dazu bereit erklärt hatten, den Fußballplatz außerhalb der Halle einzunehmen. So spielten Carsten, David, Mark, Jonas, Patrick, Jan und Michael in der einen Mannschaft und Sergej, Jens, Hendrik, Thomas, Nils, Florian und Marco in dem anderen. Groß und muskulös war Nils perfekt für das Tor, sodass es kaum einer aus Michaels Mannschaft schaffte, den Ball mal an ihm vorbeizukriegen. Florian und Marco hatten sich freiwillig in die Abwehr gestellt, wo sie dank den Leuten im Sturm und Nils im Tor nicht viel zu tun hatten. In Michaels Mannschaft stand dagegen Carsten im Tor. Er hatte darauf bestanden, da er auf dem Feld seiner Meinung nach eh nicht zu gebrauchen war. Wie die Jungs seiner Mannschaft allerdings feststellen mussten, eignete er sich für das Tor auch nicht gut. Nicht umsonst stand es 7:3 für die Mannschaft um Thomas. Niclas hatte es sich als Schiedsrichter bequem gemacht, schaute aber nicht wirklich zu, wenn Thomas jemanden rammte. Vielleicht hatte er zu viel Angst, dass Nils ihm nachher ein paar Takte erzählen könnte, wo er doch jetzt das zweifelhafte Vergnügen hatte neben Lehmann zu sitzen. Umso mehr freute sich Michael, als er endlich mal im Ballbesitz war. Geschickt umging er die gegnerischen Spieler und sah schon das nächste Tor vor Augen, als er plötzlich einen Stoß von hinten spürte und nach vorne kippte. Da er gerannt war, rollte er kurz über Boden ehe er wieder mit dem Bauch auf dem Rasen zum Stillstand kam. Sein Brustkorb stach ein wenig, da er schwer atmend auf ihn gefallen war und sein Knie brannte höllisch. Langsam erhob er sich ein wenig und blickte auf das Spielfeld. Sein Blick begegnete dem von Niclas, der ihn mitleidig und entschuldigend ansah. Doch Michael schüttelte nur den Kopf. Es war doch nur allzu deutlich, dass er gefoult worden war. Und als er den Ball in Thomas’ Besitz sah, wusste er auch nur allzu deutlich, von wem. Endlich rappelte er sich auf und wollte gerade wieder versuchen, loszurennen, als er einen Pfiff vernahm. „So, Jungs! Macht, dass ihr reinkommt, ihr habt genug gespielt!“, rief ihnen Herr Kneipp, der Sportlehrer, zu. Langsam blickte Michael auf sein Knie herunter; bekam nur noch am Rande mit, wie Thomas noch einmal die Chance nutze, und das Ergebnis 8:3 schoss. Seufzend sah Michael weiterhin auf sein Knie, das grün-rötlich gefärbt und von Schrammen übersäht war. „Ah, das geht noch, Kumpel“, meinte Marco zu ihm, als er an ihm vorbeiging und ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Michael nickte nur und folgte den anderen langsam in die Sporthalle zurück. Oh man, eine kalte Dusche könnt ich jetzt wirklich gebrauchen! Schweißnass und voll mit grünen Flecken übersäht wollte er nun nicht in den Deutschunterricht gehen. Als in der Umkleide ankam, wäre er beinah gegen einen mit Boxershorts bekleideten David gelaufen, der breit grinsend aus der Dusche kam. „Warum so fröhlich?“, fragte Michael ihn, während er sich von seinem klammen T-Shirt befreite. Davids Grinsen wurde ein wenig breiter. „Oh, eigentlich nichts“, meinte David nur und zuckte mit den Schultern. „Isabelle ist nur wieder auf Männerjagd und lernt es wohl doch nie, dass sie bei keinem von uns außer Jens und Hendrik, vielleicht auch noch Sergej, eine Chance hat.“ Die graugrünen Augen des Punks rollten einmal im Kreis. „Oh man“, stöhnte er genervt angesichts Isabelles und Tatjanas Versuchen, Jungs aufzureißen. „Wer ist diesmal das Opfer?“ Die Frage brachte David noch breiter zum grinsen, während er sich durch das schwarze, mit roten Strähnen versehene Haar strich. „Ach, nur deine beiden besten Freunde Rosner und Lehmann“, erzählte David in einem schadenfrohen Ton und seine dunkelbraunen Augen leuchteten ein wenig auf. Ein lautes Lachen rann aus Michaels Kehle, als er aus seinen Schuhen schlüpfte und sich von seiner Hose befreite. Just in diesem Moment öffnete sich die Tür und Tatjanas Rücken und ihre langen schwarzen Haare kamen zum Vorschein, sowie Carsten, der sich an ihr vorbeiquetschte. Vor Tatjana stand Thomas und sah ein wenig ungeduldig auf sie hinab. In der Zwischenzeit hatte er sich wohl von seinem T-Shirt befreit, was Tatjana anscheinend nur allzu sehr genoss. Zögerlich streckte sie ihre Hände aus und strich mit ihren überaus langen Fingernägeln über den Bauch des jungen Nazis. Thomas war nicht übermäßig trainiert und hatte keinen Sixpack vorzuweisen, so wie Nils, bei dem es fast schon wieder ein wenig zu viel war. Doch nur allzu deutlich zeichneten sich die leicht trainierten Muskeln unter der blassen Haut ab. „Oh großer, starker Mann“, hauchte Tatjana angesichts des durchaus schönen Körpers und wollte wohl gerade über die feste Brust streichen, als Thomas ihre Hand festhielt. Sie lächelte, da sie es anscheinend nicht als Ablehnung verstand, doch Michael war sich sicher, dass Thomas kein Interesse an Tatjana und ihren Befummelungen hatte, während Nils die Umschwärmung von den beiden Mädchen durchaus genoss. Ist er wohl nicht so gewöhnt… Michael wurde das Beobachten langsam zu dumm und so begab er sich trottend in die Dusche, als er bemerkte, dass sich manche um ihn herum schon am Ankleiden waren. „Guten Morgen, meine Guten“, begrüßte ihre Deutschlehrerin gewohnt fröhlich und herzlich die Klasse, als sie den Raum betrat. „Mahlzeit“, meinte Michael nur als Antwort und schloss leicht die Augen. Zu seinem Glück hatte sein Iro das Duschen überstanden und so musste er sich keine Gedanken um sein Aussehen machen. Ein wenig müde war er schon. Kurz war sein Kopf nach links gezogen, da dort sonst immer Patrick gesessen und seine Schulter zur Verfügung gestellt hatte. Doch zum Glück war ihm rechtzeitig klar geworden, wer nun links neben ihm saß. Gott sei dank, dass er davon nichts mitbekommen hat! Doch Thomas schien viel mehr damit beschäftigt, Hendrik, der an Jens’ rechter Seite saß, zu ignorieren. Hendrik war ähnlich wie Jens ein Frauentyp mit einem lächerlich blond gefärbten Mode-Iro und sonst pechschwarzen Haaren. Anscheinend war der Fußballfanatiker immer noch begeistert von ihrem phänomenalen Sieg bei dem Fußballmatch, denn er redete ununterbrochen davon. „Mann, halt doch endlich die Fresse“, meinte Thomas und seufzte. „Du nervst. Mich interessiert Fußball nicht.“ Überrascht zog Michael eine Augenbraue hoch. Ihn interessierte Fußball nicht? Warum war er dann gerade mit dem Gesicht auf dem Rasen gelandet? Ach ja, klar… weil ich es bin und du Penner mir ja immer einen reinwürgen musst! Während er weiter seiner Frustration über sein geschundenes Knie gedanklich freien Lauf ließ, erklärte die Deutschlehrerin die heutige Aufgabe. „- also dachte ich, wir wiederholen das noch mal“, meinte die gutherzige Frau Herzog und Michael klimperte kurz mit den Augen, als wollte er sich selber wieder aufwecken. Kurz ließ Frau Herzog ihren Blick über die Klasse schweifen und nickte dann. „Gut, wir machen Zweiergruppen bzw. eine Dreiergruppe, da ihr ja 23 Schüler seid.“ Sie blickte nach links von ihr aus gesehen. „Gut, David und Katja, ihr macht zusammen!“, teilte sie diese beiden, die zusammen ganz vorne saßen, ein und reichte ihnen zwei Blätter. „Ihr bearbeitet bitte die Parabel Die Schlacht von Isonzo.“ „Woho, die Schwuchtel kann schon man nicht mehr zu mir!“, jubelte Nils von ganz hinten und streckte die Hand in die Luft. Michael sah kurz aus den Augenwinkeln nach Thomas’ Reaktion, doch dieser sagte nichts, schmunzelte nur leicht. „Nils“, bat Frau Herzog den bulligen Neonazi zur Ruhe. „Am liebsten würde ich Sie aufgrund dieser Beschimpfung schon David zuordnen, doch das möchte ich diesem armen Jungen nicht antun!“ Für einen Moment dachte Michael, dass Frau Herzog es nur noch peinlicher für David machte, doch dieser schien gar nicht mehr zuzuhören und unterhielt sich mit Katja über die bevorstehende Parabelanalyse. Frau Herzog ließ sich auch nicht weiter beirren und verteilte weiter die Blätter. An Katjas Tisch stand der von Anna, die zusammen mit Annelie die Fabel „Der Fuchs und der Rabe“ analysieren sollte. So ging es eine ganze Weile weiter bis Frau Herzog Isabelle, Lena und Carsten in ein Team ordnete und Michael bei Lenas entsetztem Gesicht gen Isabelle auflachen musste. „Ach, Michael, da sind Sie ja“, meinte Frau Herzog, als sie direkt vor ihm stand. „Oh, und nun sitzen Sie neben Thomas? Haben Sie beide sich vertragen?“ Ein verneinendes Murren von beiden war die Antwort, doch Frau Herzog ging darauf nicht weiter ein. „Nun, sie beide bearbeiten bitte diese Fabel zusammen“, erklärte sie und reichte den beiden jeweils ein Blatt. Darauf stand, dass sie die Fabel „Wolf und Lamm“ von Äsop bearbeiten sollten. Langsam richtete Michael sich wieder auf und bemerkte, wie Thomas’ Blick auf ihm ruhte. „Hm?“, murmelte er und blickte fragend zu seinem Sitznachbar. „Bin ich so interessant, dass du mich anstarren musst?“ „Nein“, antwortete Thomas schlicht und blickte von der Fabel auf dem Blatt zu Michael zurück. „Ich schätze gerade nur ab, wie ich es überlebe, mit dir zusammenzuarbeiten. Da brauchst du einen ja nicht gleich so schwul von der Seite anmachen!“ Skeptisch zogen sich Michaels Augenbrauen zusammen. Seine Oberlippe zuckte leicht im rechten Mundwinkel. Wie bitte? „Schwul?“, wiederholte Michael ungläubig Thomas’ Worte. „Ich bin doch nicht schwul!“ Doch Thomas reagierte darauf nicht und tat so, als würde er konzentriert die Fabel lesen. Michael kräuselte die geschwungenen, rötlichen Lippen. So würde er das jetzt nicht stehen lassen. „Ah, ich verstehe, Rosner“, begann er, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen. Doch dieser Ton verschlug seine Wirkung nicht und prompt erlangte der Punk wieder die Aufmerksamkeit des anderen Jungen. „Du…. hast dir Hoffnungen gemacht…“, meinte Michael gespielt verlegen und beobachtete gespannt die Reaktion des anderen. Es war wie Weihnachten, Ostern und sein Geburtstag an einem Tag; wie ein LKW voller Zigaretten und Geld… Es war ein solcher Genuss, zu sehen, wie sich Rosners Augen ein wenig weiteten und er für zwei-drei Sekunden erstarrte, bevor seine Augen sich verdunkelten und seine Augenbrauen sich wütend zusammenzogen. „Sag mal, bei dir tickt’s wohl nicht mehr richtig“, blaffte er Michael an und schubste diesen an der Schulter, sodass der Grünhaarige beinah vom Stuhl gefallen wäre. „Als ob ich schwul wäre und dann ausgerechnet auf so ne Zecke wie dich stehe!“ „Ach, nicht?“, fragte Michael gespielt unschuldig. „Oops, da hab ich mich wohl vertan.“ In der Klasse war es mittlerweile mucksmäuschenstill geworden. Sogar die Deutschlehrerin sah gespannt zu den beiden, wenn auch ein wenig angstvoll. Vielleicht fürchtete sie eine Schlägerei, wo sie dann dazwischen gehen müsste. „Das glaub ich allerdings auch“, zischte Thomas seinem Sitznachbar zu und schüttelte wütend den Kopf. Seine Hand, zu einer Faust geballt, zuckte leicht. Am liebsten würde er diesem dämlichen Punk ein zweites Veilchen schlagen oder ihn an dem Ring durch seine Lippe aufhängen. Doch so kurz hintereinander wollte er nicht noch einmal beim Schulleiter landen. Also begnügte er sich damit, Michael einmal mit voller Wucht auf den Fuß zu treten. Dass der Punk daraufhin vor Schmerz zischend Luft einzog, war für ihn ein wahrer Genuss. Das Schweigen in der Klasse legte sich langsam wieder. Hier und da begannen welche zu tuscheln oder über ihre jeweiligen Texte zu sprechen. Zögernd trat Frau Herzog an sie heran. „Rosner, Pleske“, sprach sie die beiden an. Wenn Lehrer einen schon mit Nachnamen anredeten und sie es sonst nicht taten, war das meistens ein Zeichen für eine berühmtberüchtigte Moralpredigt. „Ich hoffe, Ihnen beiden ist klar, dass Sie zusammenarbeiten müssen“, begann sie ruhig und lehnte sich ein wenig auf die Tische der beiden unterschiedlichen Jungen. „Es ist bereits über die Hälfte der Zeit um. Die nächste Deutschstunde vor nächster Woche Montag ist am Freitag, doch übermorgen bin ich nicht da. Mit anderen Worten werden Sie sich wohl oder übel zu Hause treffen müssen, um ihre Analyse fertig zu stellen.“ Die Augen der beiden Jungen weiteten sich gleichzeitig und rasant. „Nun gucken Sie mich nicht so an“, meinte die Lehrerin abwehrend. „Sie sind beide 18 Jahre alt. So langsam sollten Sie lernen, auch mit Menschen umzugehen, die man nicht so gut leiden kann.“ Mit diesen Worten bewegte sie sich langsam von Michael und Thomas weg und hinterließ tiefes Entsetzen und endlose Stille. TBC So, das war das zweite Kapitel. Ich hoffe, es hat euch wieder gefallen. Ich denke, man merkt hier deutlich, dass Neonazis nicht unbedingt zu den Menschen zählen, von denen man Toleranz für Homosexualität erwarten kann. Sowohl Nils Reaktion bei Davids und Katjas Einteilung als auch Thomas verhalten, als Michael in ein wenig foppen will, zeigen nur allzu deutlich, dass Neonazis Homosexuelle verachten. Thomas sollte den meisten nun auch nicht mehr als liebenswürdig, nett oder lustig vorkommen. Auch wenn er das wahrscheinlich ist, so tut so ein Tritt mit Springerstiefeln auf einen Fuß verdammt weh! So eine Reaktion nur weil man aus Spaß "homosexuell" genannt wird, würde sich kaum ein normal denkender Mensch leisten. Motte Kapitel 3: Ein Nachmittag am See -------------------------------- Hoi hoi, hier kommt das Motti wieder und bringt euch gleich ein drittes Kapitel mit xD Ich möchte noch etwas WICHTIGES vorab sagen und bitte euch, es zu lesen: Die ersten beiden Kapitel mögen noch amsüsant gewesen sein und im Allgemeinen ist das auch mein Stil. In gewisser Weise wird die Story immer einen frechen Charakter behalten, aber es werden Szenen drin vorkommen, die vielleicht nicht ganz solustig werden. Es werden viele schöne Szenen vorkommen, aber auch viele bedrückende oder heftige. Neonazis sind nun mal keine Menschen mit großer Toleranz und ich habe auch nicht vor, hier für die Story ein paar Wunder-Glatzen zu züchten. Es kann sein, dass einige lieber eine Friede-Freude-Eierkuchen-Story haben möchten, wo Thomas und Michael auf einfachem Wege zusammenfinden, beide keine Probleme damit haben und all ihre Freunde das bedingungslos oder langsam akzeptieren. Aber ich denke, das wird es nicht geben; zumindest nicht so. Wer das nicht so gern mag, sollte besser aufhören zu lesen. Ich freu mich wirklich über jeden Leser, aber das hier soll etwas Ernstes und realitätsnah werden. Natürlich kann man keine Geschichte 100%ig realitisch erzählen, wenn der Inhalt frei erfunden ist, aber Tatsachen aus beider Szenen (Neonazi wie Punk) muss man nicht unbeachtet lassen und sollte man auch nicht auslassen, nur um etwas schöner zu machen. Ich danke euch für das Lesen dieser kleinen Warnung und euch viel Spaß beim Lesen. Kapitel 3: Ein Nachmittag am See Frustriert bahnte Michael sich zusammen mit Patrick und Jan, die über ihre Deutschaufgaben stänkerten, aus dem Schulgebäude und seufzte. Die beiden beschwerten sich aufgrund ihrer Texte und was war mit ihm? Die Fabel hatte er sich noch gar nicht angesehen, doch allein dass er mit Rosner zusammenarbeiten und sich mit diesem Neonazi auch noch zu Hause treffen musste, widerte ihn dermaßen an, dass er die ganze Welt hätte niederschreien können. Doch er sagte nichts, während seine Freunde neben ihm weiter diskutierten, wie sinnlos das doch war und dass die Parabeln, die sie analysieren mussten, viel zu schwer waren. „Boar, und dann muss ich das auch noch mit dieser Pfeife Mark machen!“, beschwerte Jan sich und rollte theatralisch die trübgrünen Augen. „Zum Glück sind wir heute schon weit gekommen!“ Gut, zugegebener Maßen war Mark nicht gerade eine Leuchte, was man von Jan in manchen Fällen aber auch nicht gerade behaupten konnte. Zumindest in Mathe sollten sie beide gleich schlecht sein. Aber im Gegensatz zu Jan war Mark einfach nur eingebildet und charakterlos. Er war nicht der Hübscheste, hielt sich aber trotzdem für den Einzigartigen, auf den die Frauen warteten, damit er ihnen den hemmungslosesten, besten Sex der Welt geben könnte. Zumindest prahlte er immer damit und schien auch deshalb gerne in Tatjanas Nähe zu sitzen. Obwohl Jan mittlerweile nicht mehr neben Mark saß, sondern zwischen Marco und Jessica, hatte er wieder das Vergnügen, mit diesem zusammenarbeiten zu müssen. Doch war so etwas dann vergleichbar mit Rosner? So langsam platzte Michael der Kragen! Seine Freunde beschwerten sich die ganze Zeit und hatten kein einziges Mal gefragt, wie er sich eigentlich fühlte, mit einem Neonazi zusammen eine Fabel analysieren zu müssen. „Könnt ihr vielleicht mal die Fresse halten?“, fuhr Michael sie vollkommen in Rage an. „Ich habt es beide doch nicht mal halb so schlimm getroffen wie ich! Ihr habt vielleicht beschissenere Texte, aber keiner von euch hat so einen beschissenen Penner als Partner wie ich!“ Wutentbrannt starrte er sie an, als die beiden still vor ihm standen und ihn aus großen Augen ansahen. „Sag mal, Michi“, begann Patrick langsam, doch man merkte ihm an, dass nun auch er wirklich gereizt war und nicht mehr so tat, als würde er sich großartig beschweren wollen. „Färbt Rosner langsam auf dich ab? Du redest ja schon fast genauso wie er. Brüllst hier rum und scheißt uns an!“ Seine dunkelblauen Augen sahen Michael verständnislos an, bevor er sich ohne ein weiteres Wort abwendete und betont gemächlich, wahrscheinlich damit sie ihm folgen konnten, zur Treppe ging. „Ähm, er hat schon irgendwie Recht“, murmelte Jan leise und kratzte sich verlegen an seiner kahlrasierten Stelle. „Weißt du, das meinen wir ja nicht böse. Du bist ja auch sonst nicht so, nur gerade haste es echt übertrieben, Michi. Hättest ja was sagen können, nur nicht gleich so rumbrüllen, ne?“ Freundschaftlich klopfte er Michael auf die Schulter und grinste leicht. Michael verzog aufgrund Jans halb abgewürgten, unvollständigen Sätzen ein wenig das Gesicht, nickte dann aber. Er wusste ja, dass die beiden anderen im Recht waren. Er hatte wirklich übertrieben. „Sorry“, meinte er seufzend, doch Jan nickte ihm nur grinsend zu. Der Kleinere war noch nie nachtragend gewesen, was Michael sehr an ihm schätzte. „Hey, schlagt ihr dahinten Wurzeln?“, holte Patricks raue Jungenstimme Michael aus seinen Gedanken. Verwundert blickte er in Richtung Treppe. Patrick stand dort mit schief gelegtem Kopf und sah sie wartend an. Michael grinste nur. „Wir sind schon unterwegs, Chef!“, meinte er in einem schon viel fröhlicheren Ton als zuvor und zwinkerte Patrick zu, ehe er sich Jan am Handgelenk schnappte und hinter sich herzog. „Na, dann wollen wir mal fix, sonst verpassen wir noch den Bus!“, mahnte Patrick zur Eile und nahm gleich noch Jans anderes Handgelenk, um ihn ebenfalls zu ziehen. „Hey Leute“, murrte Jan auf. Seine Handgelenke zwirbelten schon kribbelig, aufgrund des starken Ziehens. „Lasst mich los!“ „Kommt gar nicht in die Tüte“, wehrte Patrick ab und zog Jan gleich noch etwas schneller und heftiger, sodass auch Michael einen Schritt schneller gehen musste, um nicht zurückzufallen. „Du trödelst eh nur rum.“ „Ich tu was?“, empörte sich Jan entsetzt, während er weiter zur Bushaltestelle geschleift wurde und versuchte die beiden anderen mit seinen Hacken zu bremsen. Oh nein, das macht mir sicher die ganzen Stiefel kaputt, dachte er sich und verzog das Gesicht leidend. Erst als sie an der Bushaltestelle ankamen – wo zu ihrem Glück noch alle standen –, ließen seine beiden Freunde ihn wieder los. „Ha, haben wir es doch noch geschafft!“, meinte Michael und grinste breit. Seine Laune hatte sich auf einmal schlagartig verbessert. Doch ein lautes Geschrei und Gezeter vom Parkplatz ließ ihn aufschrecken und sich umdrehen. Ein blondes, jüngeres Mädchen schrie laut und schmerzvoll auf, als sie von keinem anderen als Thomas Rosner zur Seite geschubst wurde und unsanft gegen eine ihrer Freundinnen prallte. Michael kannte das Mädchen nicht, dennoch schüttelte er ungläubig den Kopf. Sie hatte ihm doch gar nichts getan. Hinter Thomas lief Nils, der anscheinend seine liebe Mühe hatte, hinter diesem herzukommen. „Hey Thomas, nun warte doch mal“, rief er seinem kleineren Kameraden hinterher und ließ das blonde Mädchen, was nun auch ihn giftig ansah, ebenfalls völlig außer Acht. Wie immer wenn Thomas in Rage war, wurden seine Schritte schneller. Nun kochte er wirklich vor Wut und so hatte er ein erstaunliches Tempo drauf, dafür dass er nicht rannte. Hektisch kramte er nach seinem Autoschlüssel und trat wütend mit seinen Springerstiefeln gegen den linken Vorderreifen seines schwarzen VW Golfs. „Hey, was ist denn los mit dir?“, maulte Nils ihn verärgert an. Mittlerweile hatte er wirklich genug von Thomas’ schlechter Laune und den daraus resultierenden Aggressionen. „Halt’s Maul“, war die schlichte, aber deutliche Antwort, die er daraufhin bekam, was Nils jedoch noch wütender machte. Hart griff er seinem Kumpel an die rechte Schulter und drehte ihn ein wenig zu sich. „Sag mal, bist du nur so angepisst, weil du mit diesem Pleske zusammen Deutsch machen musst?“, fragte er gereizt und sah Thomas herausfordernd aus seinen hellbraunen Augen an. Dieser schnaubte nur verächtlich, während er den Schlüssel aus seinem Rucksack, den er immer nur über eine Schulter gehängt trug, zog. „Wenn du meinst, ich stell mich an, dann mach du das doch zusammen mit dieser Zecke!“, fuhr Thomas ihn wütend an und steckte den Schlüssel in das Schloss der Fahrertür. „Nö, da hab ich auch keinen Bock drauf“, sagte Nils abwehrend und zuckte mit den Schultern. „Nur bekommst du irgendwann noch mal nen Herzinfarkt, wenn du dich weiter so aufregst.“ Zaghaft drückte er die Schulter des Kleineren ein wenig, ehe er Thomas losließ. Dieser drehte sich wutentbrannt zu ihm um. „Erzähl du mir nix über Aggressionen, Nils!“, fauchte er, sodass er schon beinah vor Wut spuckte. „Wer hat denn sogar mal Matthias eins auf’s Maul gegeben?“ Matthias – um genauer zu sein: Matthias Scherer - war ein stadtbekannter Neonazi und in der Szene ziemlich beliebt. Er hatte wirklich Köpfchen und wirkte daher nicht so brutal, wie die meisten seiner Nazi-Kumpanen, doch auch er hatte es faustdick hinter den Ohren. (Er ließ allerdings häufiger einige Schlägertypen für sich arbeiten, als dass er sich selber die Hände schmutzig machte.) Nils hatte damals einfach nur Glück gehabt, dass Matthias viel zu betrunken gewesen war, um sich später noch daran zu erinnern. „Ach, das ist doch Schnee von gestern“, meinte Nils abwinkend, wodurch er jedoch nur ein weiteres Schnauben von Thomas erntete. „Nee, schon klar“, sagte dieser ungläubig und zog die Augenbrauen hoch. „Könnte Matthias Scherer sich daran noch erinnern, Nils, dann schwör ich dir, hättest du keine Eier mehr in der Hose! Das wusstest du damals auch schon und hast ihm trotzdem im Affekt eine runter gehauen. Also sag du mir nicht, wie man sich beherrschen soll!“ Wider Erwartungen erwiderte Nils nichts darauf, sondern sah Thomas nur erstaunt und zugleich schockiert an. „Was ist?“, fragte dieser skeptisch nach. „Du…“, begann Nils stockend und brach kurz ab. „Du glaubst wirklich, er hätte mich kastriert?“ Genervt rollte Thomas seine grauen Augen und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Nils, wo hast du dein Hirn gelassen? Im Klassenzimmer oder liegt es immer noch in deinem Bett?“, zischte er genervt und zog die Fahrertür auf. „Das sagt man doch nur so. Tu nicht blöder, als du bist.“ „Ja, ja, weiß ich doch“, verteidigte Nils sich und ging einmal um den Wagen zur Beifahrertür. Schockiert hatte ihn diese Aussage dennoch ein wenig. „Is’ ja gut“, meinte Thomas versöhnlich, klang aber immer noch aufgebracht. „Und jetzt steig ein, oder du kannst laufen!“ Das ließ Nils sich nicht zwei Mal sagen, immerhin wohnte er nicht gerade um die Ecke und mit den Zecken wollte er nicht in einem Bus fahren. „Oh, du scheinst nicht der einzige Unglückliche über die Partnerwahl zu sein“, zwitscherte Jan Michael fröhlich ins Ohr. Sie hatten zwar nur wenige Fetzen von dem Anfang des Gesprächs zwischen Rosner und Lehmann mitbekommen, doch das reichte vollkommen aus, um zu bemerken, dass Michi der Grund war, warum Thomas Rosner just in diesem Moment die Musik laut aufdrehte und mit einem ziemlich schrägen und Angst einflößenden Fahrstil aus der Parklücke setzte. „Ach, ich hab mir schon gedacht, dass er nicht gerade vor Freude Purzelbäume schlagen wird“, erwiderte Michael schief grinsend. Wenn der Alte schon so fährt, muss er echt sauer sein. Huch, er hasst mich mehr, als ich dachte, hähä. Laut dröhnte „Benzin“ von Rammstein aus den schweren Boxen des kleinen VW Golfs, als Thomas kraftvoll zurücksetzte und dabei beinah einen Schüler umgefahren hätte. „Uh, das war knapp“, meinte Thomas erleichtert. „Dass die auch alle keine Augen im Kopf haben!“ Am liebsten hätte Nils darauf eine spottende Antwort gegeben, wie z.B., dass es doch wohl eher an Thomas’ riskantem Fahrstil lag, den er an den Tag legte, wenn er sich übermäßig aufregte. Doch da er schließlich immer noch nicht laufen wollte, begnügte er sich damit, einige Zeilen von „Benzin“ mitzusingen. „Willst du dich von etwas trennen, dann musst du es verbrennen. Willst du es nie wieder sehen, lass es schwimmen in Benzin“, grölte er passend zu Till Lindermanns Gesang, was ihm ein leichtes Grinsen von Thomas einbrachte, welcher nun ein wenig beruhigter fuhr. Ein wenig zerknirscht blickte Michael aus dem Küchenfenster, während er weiter die Nudelsuppe, die er sich eben schnell warm gemacht hatte, in seinen Mund löffelte. Wie häufiger war sein Vater auf Geschäftsreise und seine Mutter arbeitete ebenfalls bis abends in einem Lebensmittelladen an der Kasse. Wo seine ältere Schwester war, wusste er nicht genau, doch er war sich sicher, sie war bei ihrem Freund. Das störte Michael auch nicht unbedingt weiter. Er war es gewohnt, allein zu essen. Immerhin war er vor wenigen Jahren, ungefähr mit 14, meistens mit seinem Essen in sein Zimmer verschwunden, weil er damals keine Lust auf seine Familie gehabt hatte. Damals hatte er angefangen, sich für die Punk-Kultur zu interessieren, was besonders seine Eltern anfangs mit großer Abneigung betrachtet hatten. Doch nach drei Jahren schienen sie sich daran gewöhnt zu haben, dass ihr Sohn eben nicht zu den „normalen“ Heranwachsenden gehörte, sondern sich eben auf seine Art und Weise abgrenzte. Mit so einigen Frisuren, die Michael in den Jahren getragen hatte, waren sie nicht einverstanden gewesen und hatten ihm das auch gesagt. Doch das hatte nichts an seiner Meinung und Einstellung geändert und so sah seine Mutter ihn mittlerweile allerhöchstens noch ein wenig schief und fragend an, wenn er mal wieder mit einer neuen Haarfarbe oder einer neuen Frisur auftauchte. Ein leises Klicken ließ ihn in seiner Bewegung innehalten und den Löffel wieder zurück an den Tellerrand legen. Langsam beugte er sich ein wenig nach hinten, als er hörte, wie die Haustür geöffnet wurde und jemand den Flur betrat. „Carolina?“, rief er fragend den Namen, in der Vermutung, dass seine Schwester nach Hause gekommen war. „Ah, Michi, du bist schon da?“, antwortete ihm eine junge, weibliche Stimme, die eindeutig zu seiner Schwester gehörte, welche wenige Sekunden später auch in der Küchentür stand. Ihr dichtes, brünettes Haar war mit sanften, blonden Strähnchen aufgehellt und fiel geschmeidig über ihre Schulter. Ihre Augen waren ein wenig grüner als Michaels und funkelten im Sonnenlicht, welches durch das Küchenfenster fiel, hell auf. Langsam stieß sie sich von dem Holzrahmen des Türbogens ab und ging zu ihrem Bruder rüber. Als sie bei ihm ankam, legte sie ihre Arme von hinten um seine Schultern und stützte ihr Kinn auf einer der kahlen Stellen seines Kopfes ab. „Ah, Lina, bist du kuschelbedürftig?“, fragte Michael mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht und legte seine Hände an die Unterarme seiner Schwester. „Hm, jaaaa…“, zog sie ihre Antwort lang und lachte kurz auf, ehe sie wieder von ihm abließ und sich wieder aufrichtete. „Ah, ist Martin schon nicht mehr zärtlich genug?“, hakte er gespielt spöttisch nach und löffelte seine Suppe weiter, verschluckte sich aber, als seine Schwester ihm einen sanften Klaps auf den Hinterkopf gab. „Sei nicht so frech zu meinem Freund“, ermahnte sie ihren hustenden Bruder spielerisch und ging zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Mineralwasser aus einem der Türfächer zu ziehen. „Ah, Michi, in wenigen Wochen werd ich schon 20“, sagte sie theatralisch und setzte sich mit der Flasche Wasser in der Hand auf einen Stuhl ihm gegenüber. Langsam drehte sie den blauen Verschluss auf und nahm genießerisch einen großen Schluck des kühlen, sprudelnden Getränkes. „Oh ja, dann wirst du richtig alt“, stimmte Michael ihr in einem stichelnden Ton zu. „Soll ich dir Anti-Aging-Creme schenken?“ „Ha ha ha“, machte Carolina daraufhin in einem ziemlich drögen Ton und drehte die Flasche wieder zu. „Nein, jetzt mal ernsthaft. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie ich 15 war und meinen ersten richtigen Freund hatte. Es kommt mir einfach noch nicht vor, als wären schon beinahe fünf Jahre vorbeigezogen. Ich fühl mich noch nicht wie 20.“ „Bist du ja auch noch nicht“, korrigierte Michael sie scharf und grinste breit. Das machte Carolina deutlich, dass Michael ihre Konversation nicht sonderlich ernst nahm. Aber warum sollte sie das auch wundern? Ihr kleiner Bruder nahm selten etwas wirklich ernst. Also gab sie es auf und schenkte ihm ein Lächeln. „Und, Michi, was machst du heute noch?“, fragte sie interessiert und stützte sich auf ihre Ellebogen, um sich auf dem Tisch ein wenig vorzubeugen. „Hm, Jan und ich wollten an den See, ne… und dann… keine Ahnung“, antwortete er ihr in einem schlichten, gleichgültigen Ton, während er mit den übrig gebliebenen Nudeln im Teller spielte und sie mit dem Löffel hin und her zog. „Hast du keine Hausaufgaben auf?“ Michael seufzte. Manchmal kam Carolina ihm wirklich wie ihre Mutter vor und nicht wie seine Schwester. Seit sie die Schule letztes Schuljahr, beendet hatte und ein Freiwilliges Soziales Jahr machte, fragte sie ihn ständig nach schulischen Dingen. Das hatte sie sonst nie getan. Sehnsucht nach der Schule? Na, dann könnte sie ja für mich hingehen… „Nur Deutsch“, antwortete er ihr und griff nach der Wasserflasche, die Carolina auf den Tisch gestellt hatte. Lustlos drehte er sie auf und nahm einen kräftigen Schluck. „Und warum macht ihr das nicht heute am See?“, fragte Carolina und schlug ihre Beine übereinander. Anscheinend nahm sie an, dass Michael mit Jan zusammenarbeiten würde. „Weil“, begann ihr kleiner Bruder und setzte die Flasche ab, „ich nicht mit Jan zusammen Deutsch mache, sondern das leider mit diesem Rosner bearbeiten muss!“ Bei dem Gedanken daran wurde ihm erneut ziemlich übel. „Rosner?“, wiederholte Carolina den Namen, den Michael genannt hatte und schien kurz nachzudenken. „Ist das nicht der Neonazi, der dir das blaue Auge verpasst hat?“ Michael nickte leicht, bevor ihm ein weiterer schwerer Seufzer entwich. „Oh, na dann viel Spaß“, sagte Carolina mitleidig, eh sie auf die Uhr am Herd blickte, welche 15:23 Uhr anzeigte. „Du, wir sind heute auch am See. Also Martin, ich und noch ein paar Freunde von uns. Vielleicht sehen wir uns ja.“ Sie stand auf und drückte ihn noch einmal an sich. „Ich muss aber jetzt los, wollte nur ein paar Sachen hier holen.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus der Küche. Man konnte hören, wie sie die Holztreppe hinaufeilte und schließlich ihre Zimmertür öffnete. Michael zuckte mit den Schultern und räumte den Teller in die Spülmaschine, als er plötzlich ein Klingeln von der Haustür vernahm. Jedoch beeilte er sich nicht sonderlich, zur Tür zu kommen, sondern ging gemächlich vor sich hin, ehe er die Klinke betätigte und sie aufzog. Strahlend glühte ihm ein feuriges Orange entgegen, welches er gleich als die Haarmatte seines Kumpels Jan erkannte. „Ah man, deine Haare stechen in der Sonne“, fluchte er und ging zur Seite, um Jan einzulassen. Dieser grinste jedoch wie gewohnt. „Begrüßt man so seine Freunde?“, fragte er skeptisch nach und piekte Michael in die Brust. „Das müssen wir aber noch mal üben, Herr Pleske!“ „Jawohl, Herr Meyers“, erwiderte Michael grinsend und guckte gespannt auf die ehemals blaue, aber nun eher graue Umhängetasche auf Jans Schulter. „Was schleppst du denn alles mit?“ „Na, Kekse, Cola, nen Handtuch… Nein, keine Panik. Schwimmen wollt ich in dem Drecksloch nicht, aber ich find, Gras piekt immer so im Rücken“, erklärte Jan, nachdem er bemerkt hatte, wie bei dem Wort „Handtuch“ Michaels Augen größer geworden waren. Der Baggersee war zwar ein beliebter Ort, wo man gut abhängen konnte, aber freiwillig wollte keiner von ihnen darin schwimmen. Nur wenige Jugendliche taten das. Meistens waren es eher Kinder und ihre Eltern. „Gut, dann hol ich mir auch noch schnell eins von oben“, meinte Michael. „Und dann kann’s losgehen!“ „Boar, ich verglühe“, murmelte Michael laut und setzte sich auf. Sie waren bereits seit ungefähr zwei Stunden am See, also war es etwas vor halb sechs. Die Sonne schien immer noch grell und verbreitete ihre Wärme, doch zu Michaels Genugtuung schien es langsam ein wenig kühler zu werden. Mittlerweile hatten sowohl er als auch Jan sich ihrer Oberteile entledigt und entspannt auf ihren Handtüchern gelegen. Sie hatten sich über einige Leute lustig gemacht, ein paar Kippen geraucht (überall im Gras waren braun-weiße Filterstummel zu sehen) und Jans Kekse gegessen. Wobei eben diese Kekse nachher eher als Wurfgeschosse gedient hatten, um sich gegenseitig zu ärgern. Noch immer fand Michael ein paar winzige Krümel auf dem Handtuch, welche die nackte Haut seines Rückens piekten. „Gib mir mal die Cola“, bat er Jan, der mit geschlossenen Augen auf seinem Handtuch lag und sich sonnte, wobei der Ring, der durch seine Brustwarze ging, in der Sonne glänzte. Michael hatte sich auch eine Zeit lang überlegt, sich dort ein Piercing stechen zu lassen, hatte sein Nasenpiercing dann aber vorgezogen. Mittlerweile trug er jedoch nur noch die Ringe an seinem Ohr sowie sein Unterlippenpiercing. „Ah, die Zecken liegen in der Sonne und bräunen sich“, hörten sie hinter sich eine höhnende Stimme, als Jan Michael die Cola reichte. Vor ihnen stand ein mittelgroßer Mann mit sehr kurzem, dunkelblondem Haar und sah breit grinsend auf die beiden Punks hinunter. Sowohl Michael als auch Jan brauchten nicht lange überlegen, wer das war. Vor ihnen stand Matthias Scherer, ein 22-jähriger Neonazi. „Wir liegen nicht, wir sitzen“, korrigierte Jan ihn nicht gerade zimperlich und sah ihm fest in die Augen. „Na, na, nicht gleich so unverschämt“, bemängelte Scherer das Verhalten des Punks und sein Grinsen wurde noch breiter, auch wenn Michael kaum für möglich gehalten hatte, dass dies noch ging. Hinter Matthias Scherer konnten sie erkennen, wie noch mehr Neonazis hinterherkamen und mehrere anscheinend etwas schleppten. Einige von ihnen hatten kahl rasierte Köpfe, anderen wuchsen noch Haare auf dem Kopf. Doch letzteres war die eindeutige Minderheit. Von den 15 Neonazis hatten vielleicht fünf noch sichtbar Haare und von denen hatten auch nur zwei eine Länge, in die man noch greifen konnte. „Was willst du, Scherer?“ Doch Matthias schüttelte nur den Kopf. „Mal ganz ruhig“, meinte er leise, aber bestimmt und sah sich um. „Du bist in der Klasse von Thomas Rosner und Nils Lehmann, oder?“ „Ja, wir beide“, antwortete Michael mit einem feindseligen Ton in der Stimme. Er verstand nicht, was der Neonazi mit diesem Gespräch bezweckte. „Hm, ja, jetzt fällt mir der Name wieder ein“, sagte Matthias plötzlich und grinste noch breiter. „Michael Pleske. Und du –“ Sein Blick schweifte zu Jan. „- heißt Jan Meyers, oder?“ Die beiden antworteten nicht, doch Matthias schien auch nicht nach einer Antwort zu verlangen. „Thomas!“, rief er einem der Neonazis zu, die einige Sachen an eine etwas näher am Ufer gelegene Stelle schleppten. Erst jetzt bemerkte Michael, dass auch sein Klassenkamerad und Sitznachbar unter den Neonazis war und sich nun mit einer glühenden Zigarette im rechten Mundwinkel und einem Kasten Bier in den Händen zu ihnen umdrehte. „Komm mal her“, forderte Matthias den kahl rasierten Jungen auf und dieser ging mit großen Schritten auf sie zu. Die Springerstiefel zermalmten das Gras unter seinen Füßen, ehe er vor Matthias Scherer und den beiden Anarchisten zu stehen kam. Zwielichtig lächelnd nahm Matthias zwei Flaschen Bier aus dem Kasten, den Thomas trug und schickte diesen dann wieder weg. Mit gerunzelter Stirn ließ Thomas sie allein, ehe Matthias sich wieder an Michael und Jan wandte. Er reichte ihnen die beiden Flaschen Bier und grinste breit. „Wir wollen ja gastfreundlich sein“, meinte er in einem fragwürdigen Ton und steckte die Hände in die Taschen seiner Trainingshose. Dann beugte er sich zu ihnen runter; so nah, dass er beinah mit seiner Nasenspitze Michaels Stirn berührt hätte. „Und bratet nicht mehr zu lange in der Sonne, ihr kleinen Pisser“, zischte er ihnen entgegen. „Mein Kumpel steht nämlich auf kross gebratene Zecken.“ Er zeigte auf einen besonders brutal und bullig aussehenden Glatzkopf, in den Matthias und Thomas sicherlich beide reingepasst hätten. „Schönen Abend noch“, verabschiedete Matthias sich in einem belustigten Ton und begab sich abwärts zu seinen Kameraden, die mittlerweile einen Grill aufgebaut und es sich auf dem Rasen bequem gemacht hatten. Michael atmete langsam und laut aus. Er hatte Matthias’ Worte durchaus verstanden. Das Bier war vielleicht in Augen von neutralen Leuten eine nette Geste gewesen, doch eigentlich hatte Matthias damit keine Freundlichkeit bewiesen. Er hatte sie allerhöchstens vom Pöbeln abhalten wollen, aber nicht einmal daran glaubte Michael wirklich. Matthias’ Worte waren eindeutig gewesen. Sollten sie ihm und seiner Neonazitruppe zu nahe kommen und noch übermäßig lange hier bleiben, würde sein großer, brutal wirkender Kumpel zu ihnen rüberkommen und ihnen zeigen, wo es lang ging. Und Michael war sich sicher, dass er dabei nicht nur mit einem Veilchen wegkommen würde. „Dieser Scherer ist gar nicht mal so dumm, wie seine ganzen anderen Freunde“, warf Jan ein und öffnete seine Bierflasche, während der Blick seiner grünen Augen auf der Gruppe Glatzköpfe am Seeufer weilte. „Ja, er hat Köpfchen. Vielleicht sogar mehr als einer von uns beiden“, gab Michael zu und reichte Jan seine Flasche, damit er auch diese öffnete. „Der hat’s drauf…“ Matthias Scherer war klug. Neo-Nationalsozialismus war definitiv seine wirkliche Einstellung, denn er schien zu intelligent zu sein, um wie viele seiner Freunde auf dumme Parolen und leere Versprechungen reinzufallen. Das machte ihn umso gefährlicher. Das hatte zumindest Carolina mal gesagt. Doch Michael gab nicht viel darum, wer von denen gefährlich und wer nicht war. Vielleicht war das typischer Punker-Leichtsinn. Er zündete sich noch eine Zigarette an und nahm Jan die nun geöffnete Flasche wieder aus der Hand. „Lass ma das Bier zu Ende trinken und dann abhauen“, meinte Jan und nahm seinen Blick endlich von den Rechtsextremen. Michael nickte nur. Sie waren nur zu zweit und die Neonazis um die 15 Mann. Außerdem waren sie beide nicht gerade Muskelprotze, während drei-vier von den Nationalen schon aussahen, als könnten sie durchaus sehr fest zuschlagen. „Seh ich auch so“, stimmte Michael Jan daher zu und trank einen großen Schluck. Langsam rappelte Michael sich hoch und gab sein Handtuch Jan, damit dieser es in seine Tasche tun konnte. Gerade als sich alles gepackt hatten und sich umdrehten, sah er vom Parkplatz seine Schwester und ihre Clique näher kommen. Lächelnd ging er ihnen entgegen. „Hey, wieso kommt ihr erst so spät?“, fragte er und nickte Martin, dem Freund seiner Schwester, zu. „Wir mussten teilweise noch so lange arbeiten, Michael“, antwortete dieser ihm und grinste ein wenig. „Irgendwann wirst du auch das Problem haben. Aber hey, dafür haben wir morgen fast alle frei und können deswegen richtig einen drauf machen!“ „Alles klar, dann wünsch ich viel Spaß“, erwiderte Michael lachend und schlug Martin freundschaftlich auf die Schulter. „Bis später, Lina.“ Seine Schwester winkte ihm und Jan noch nach, als sie über den Parkplatz zurückgingen, bis sie aus der Sichtweite der Clique verschwanden. Michael wusste nicht wie spät es genau war, doch es musste mitten in der Nacht gewesen sein, als ein leises, wehleidig klingendes Geräusch ihn aus seinem leichten Halbschlaf riss. Schlaftrunken fasste er sich an die Stirn und rieb sich die Augen, ehe er dem Geräusch lauschte. Es hörte sich an wie ein leises Schluchzen, das aus dem Nebenzimmer, wo seine Schwester schlief, drang. Etwas unbeholfen stand er auf und ging hinaus aus den Flur. Zögernd klopfte er an die hölzerne Tür, als er sich sicher war, dass dieses jammernde Geräusch aus dem Zimmer seiner Schwester kam. „Lina?“, flüsterte er leise ihren Namen, als er den abgedunkelten Raum betrat. Seine Füße trugen ihn wie von selbst zu ihrem Bett, wo sie sich ein wenig regte. Es schien, als würde sie sich zu ihm umdrehen. „Michi?“, fragte sie, als hätte sie seine Stimme nicht erkannt. Behutsam ließ er sich auf ihrer Bettkante nieder. „Ja, klar. Wer sonst?“, gab er zurück, als wäre ihre Frage unberechtigt gewesen. „Was ist los?“ Zögerlich setzte sie sich auf und Michi konnte durch das fahle Licht, das durch eine Ritze der Jalousien fiel, erkennen, dass sie ihre Lippen aufeinander presste. „Als wir am See waren…“, begann sie mit stockend. Ihre Stimme war rau vom vielen Schluchzen und brüchig. „Was war da?“, hakte er sanft nach und sah sie fragend an, was sie in der Dunkelheit aber natürlich nicht bemerkte. „Wir haben gefeiert, es war richtig schön“, fuhr sie mit bebender Stimme fort. „Doch dann… es waren ja diese Nazi-Schweine da und…“ Sie brach erneut ab, doch Michael hatte sie mittlerweile fest an ihrem Oberarm gepackt. „Was war mit denen? Lina, jetzt sag schon!“, versuchte er sie zum Reden zu bringen. Diese schluchzte erneut. „Sie haben uns angepöbelt… total besoffen, einige von denen konnten nicht mal mehr stehen“, erzählte sie weiter. „Und du weißt ja, wie Martin und seine Freunde sind. Ok, Martin hat nicht wirklich viel gesagt. Er weiß ja wie die sein können, aber seine Freunde von der Uni haben richtig zurückgepöbelt und dann… ging es auch schon los. Einer von diesen Glatzen… ging auf Karsten oder so los… und… dann hat Martin sich auch nicht mehr zurückgehalten, weil er seinen Freunden helfen wollte.“ Stumm folgte Michael den Ausführungen seiner Schwester. Er konnte sich schon denken, wie das ausgegangen war. Nazis anzupöbeln, wenn sie betrunken und streitlustig waren, war nicht gerade klug, auch wenn er gestehen musste, dass er sich selber auch nicht immer zurückgehalten hatte. „Sie waren so brutal… ich hatte solche Angst“, berichtete sie zitternd und wischte sich über die Wangen. Beruhigend strich Michael ihr über das lange Haar. „Ist Martin was passiert?“, fragte Michael sorgvoll nach und sah nur durch genaue Aufmerksamkeit, dass Carolina leicht nickte. „Seine Rippen sind geprellt und sein Gesicht war ziemlich geschwollen. Ich hatte erst Angst, sie hätten ihm den Kiefer gebrochen oder sonst was, aber die Ärzte im Krankenhaus meinten, es seien nur Blutergüsse an den Kieferknochen. Diese elenden Schweine…“ Tröstend zog Michael Carolina näher an sich. „Wer von den Nazis war es?“, fragte er plötzlich. „Waren es Rosner oder Lehmann? Dann können die morgen von mir was zu hören bekommen, das schwöre ich dir! Die bring ich um!“ „Michael, lass das!“, wehrte sie sein Vorhaben ab und schüttelte den Kopf. „Außerdem weiß ich doch gar nicht, ob die noch dabei waren. Ich kenn doch nicht mal das Aussehen.“ Schnell sprang Michael auf, ging zurück in sein Zimmer und holte ein Klassenfoto aus einem seiner Schränke. „War es der hier?“, fragte er aufgebracht und zeigte auf Thomas Rosner. Doch Carolina schüttelte nur den Kopf. „Den habe ich gesehen. Der war viel zu betrunken, um zuschlagen zu können“, erklärte sie und schüttelte erneut den Kopf. „Nein, der hat nur alle damit genervt, dass er volltrunken noch Auto fahren wollte. Ich glaub, das war auch der Ursprung des Ganzen. Weil Karsten das lustig fand.“ „Und der hier?“ Michael zeigte auf Nils Lehmann. „Kann sein, es war dunkel. Da sehen die alle so gleich aus“, murmelte sie und schniefte noch einmal, ehe sie sich gegen Michael lehnte. „Danke, dass du mir so geholfen hast.“ „Ist doch selbstverständlich“, antwortete Michael lächelnd. Carolina nickte nur dankbar, stupste ihn dann aber an. „Geh lieber ins Bett“, meinte sie dann. „Du hast morgen Schule und Grübeln bringt uns heute Nacht auch nicht weiter. Ich denke, wenn es einer aus deiner Klasse war, dann allerhöchstens dieser Nils Lehmann…“ „Okay, ich geh dann mal wieder. Gute Nacht“, verabschiedete Michael sich wieder von seiner Schwester und legte sich zurück in sein eigenes Bett. Doch er lag noch die halbe Nacht wach und dachte über das Geschehen am See nach. TBC So, das war Kapitel Nummer 3. Wie ihr sicherlich bemerkt habt, war das noch nicht ganz so schlimm. Eigentlich überhaupt nicht, zumindest war es nicht gewaltvoll. Allerdings: Wenn man wirklich jemanden kennt, der von Nazis verprügelt worden ist, dann weiß man, wie schlimm die letzte Szene mit Carolina und Michael wirken kann, auch wenn sie nicht beschrieben wurde. Matthias Scherer ist ein recht sonderbarer Charakter, der bestimmt noch mal auftauchen wird. Ein Neonazi mit Köpfchen eben. Ist zwar beim "normalen Fußvolk" nicht gerade eine Häufigkeit, aber gerade diese listigen Kerlchen sind dann häufig gefährlicher als so ein Schlägertyp *nickt* So, schönen Tag noch *zwinkert* Motte Kapitel 4: Deutsch-Hausaufgaben ------------------------------- Tagchen ^^ So, hier kommt auch schon das 4. Kapitel ^^ Hm, momentan bin ich recht zügig dabei, aber ich weiß noch nicht, ob ich das Tempo die ganze Story über halten kann ^^" Bin demnächst nämlich erst mal vier Tage weg und mein Abschluss steht vor der Tür. Also wenn das nächste Kapitel nicht in genau einer Woche hochgeladen wird, wie es sonst hier der Fall war, dann bitte ich um Nachsicht xD Kapitel 4: Deutsch-Hausaufgaben Tief einatmend ging Michael an den Häuserblocks vorbei und zupfte dabei nervös an den Trägern seines Army-Rucksacks. Er wusste immer noch nicht, welcher Teufel ihn da geritten hatte, aber er war wirklich auf dem Weg zum „Feind“. Ja, zum „Feind“ – mit dem Namen Thomas Rosner. Erstaunlicherweise hatte seine Schwester trotz des Zwischenfalls am See gepredigt, er solle sich zusammenreißen und tun, was er zur Rettung seiner Deutschnote tun musste. „Sei ein Mann“, hatte sie zu ihm gesagt und er hatte nur genervt die Augen verdreht. Er war ein Mann, oh ja, aber was hatte das denn bitteschön damit zu tun, dass er nicht zu jemandem gehen wollte, den er über alles hasste. Aber anscheinend hatte sie den Vorfall von Mittwoch schon wieder überwunden, als sich herausgestellt hatte, dass auch Martin dem keine Bedeutung mehr zufügte, auch wenn er bei jedem Lachen an seine Rippen griff und „Aua“ schrie. Am Donnerstag war Rosner nicht in der Schule gewesen. Wahrscheinlich hatte er seinen Rausch auskuriert, denn Carolina hatte ja erzählt, dass er ziemlich betrunken gewesen war. Freitag waren dann einige Stunden ausgefallen, sodass sie nur die 5. und 6. Stunde Unterricht gehabt hätten und so hatte Michael spontan entschlossen, gar nicht erst hinzugehen. Und nun war es Freitagnachmittag und er hätte eigentlich viel bessere Dinge zu tun, als zu Thomas Rosner zu laufen und diesen und sich selbst dazu zu nötigen, Deutsch miteinander zu bearbeiten. Zum Glück gab es so was wie Klassenlisten, sodass er wenigstens nicht im Telefonbuch nach Rosners Adresse hatte suchen müssen. Und nun stand er vor einem leicht schäbig wirkenden Zweifamilienhaus und versuchte sich zu entsinnen, ob Rosner nun in Hausnummer 5 oder 5a wohnte. Er entschloss sich, zuerst die linke Seite mit der 5 zu nehmen und lief über den gepflasterten Weg bis zur Haustür. Ein Namensschild war nirgendwo zu finden. Is’ ja super! Ein wenig verärgert entschloss er sich, auf den bronzenen Klingelknopf zu drücken und nur wenig später stand ihm eine untersetzte Frau mittleren Alters gegenüber. Ihr dünnes, rot gefärbtes Haar hing ungekämmt auf ihren Schultern und ihre Klamotten sahen schrecklich aus. Auch wenn Michael aufgrund seiner Punk-Einstellung selber nicht unbedingt in makelloser Kleidung umher lief, so konnte er doch wirklich sagen, dass seine absichtlich verschlissene Kleidung um vieles besser aussah, als ihr verfärbter, ausgeleierter Jogginganzug. „Ähm… ich wollte eigentlich zu Thomas Rosner“, begann Michael dann zu sprechen. Die rothaarige Frau sah ihn für einen Moment verwirrt an und seufzte dann. „Junger Mann, da müssen Sie schon die andere Haushälfte nehmen“, erklärte sie ihm in einem nicht gerade besonders freundlichen Ton. „Ah ja, danke“, antwortete Michael peinlich berührt. „Ich war mir nicht mehr sicher.“ Er wollte sich gerade schon von der Haustür abwenden, als die Frau ihn nochmals ansprach. „Sagen Sie, wie einer seiner Nazi-Freunde sehen Sie aber nicht gerade aus“, stellte sie anscheinend verwundert fest. „Ich bin Punk, sieht man das nicht?“, fragte er ebenso verwundert und schüttelte den Kopf. „Wir sind nur in einer Klasse.“ Die Frau schien kein Interesse mehr an ihm zu haben und nickte ihm nur zu, ehe sie ohne ein weiteres Wort die Tür schloss. Mit den Schultern zuckend lief Michael den Pflasterweg zurück und entschied sich nun, die rechte Haushälfte zu wählen. Schon als er den Weg zur Haustür ging, erkannte er den schwarzen Golf in einer Ecke und schlug sich gegen die Stirn. Das hätte dir auch vorher auffallen können. Du kennst seinen Wagen doch! Erneut atmete er tief durch, ehe er auf den Klingelknopf drückte. Wie ihm jetzt auffiel, hing über der Klingel ein bronzenes Schild mit schwarzer Schrift, auf dem der Name Rosner stand. Hier war er auf jeden Fall schon mal richtig. Er merkte, dass sich die Tür langsam öffnete und konnte nicht leugnen, dass sich eine gewisse Anspannung in ihm breit machte, denn immerhin war die Situation nicht ganz einfach. Er fragte sich, wie er es überhaupt schaffen sollte, Rosner dazu zu bringen, jetzt mit ihm Deutsch zu machen. Und überhaupt… was sollte er eigentlich machen, wenn Rosners Nazi-Freunde auch hier waren? Oh man, Michi, was hast du dir nur eingebrockt! Doch all seine Gedanken verstreuten sich ins Nichts, als er merkte, dass die Tür nun zwar gänzlich geöffnet war, doch er auf seiner Augenhöhe keinen sah. Langsam senkte er den Blick und bemerkte ein ca. ein Meter großes, kleines Mädchen mit zwei dunkelblonden Zöpfen und einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht. „Hallo“, sagte das Mädchen in fröhlicher Kindermanier. „Äh, hi“, erwiderte Michael erstaunt und grinste schief. Das Mädchen wackelte fröhlich mit ihrem Kopf, als sie noch ein wenig breiter grinste. „Was willst denn du?“, fragte sie verspielt und sah ihn aus großen blauen Augen an. Michael beschloss in die Hocke zu gehen, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein und legte ebenso wie sie den Kopf schief. „Ähm, eigentlich wollte ich zu Rosner“, erklärte er ihr und hätte sich im selben Moment schlagen können, als ihm einfiel, dass das Mädchen mit größter Wahrscheinlichkeit auch so mit Nachnamen hieß. Doch die Kleine schien sich daran gar nicht zu stören. „Dann bist du hier genau richtig!“, sagte sie fröhlich und kicherte leise. Eigentlich wollte Michael noch etwas erwidern, hielt jedoch inne, als er dumpfe Schritte hörte, die klangen, als käme jemand eine Treppe runter. „Jana, was machst du denn da?“, hörte Michael wenig später eine ermahnende, markante Jungenstimme, die ihm ziemlich bekannt vorkam. Ohne Zweifel gehörte diese Stimme zu Thomas Rosner, welcher auch eine Sekunde später in seinem Blickfeld erschien. Der junge Neonazi stutzte kurz, als er Michael vor seiner Haustür sah, schüttelte dann jedoch seinen Kopf und schien Michael zunächst einfach zu ignorieren. Er kniete sich zu dem kleinen Mädchen runter und tippte ihr an die Stirn. „Was hat Mama dir gesagt?“, fragte er sie durchdringend. Die Kleine wand sich verlegen hin und her. „Tür nicht aufmachen“, murmelte sie so leise, dass Michael es kaum verstanden hätte, wäre es ansonsten nicht totenstill gewesen. Thomas stupste Jana mit dem Zeigefinger gegen die Nase. „Richtig“, meinte er. „Also halte dich dran, Jana. Das nächste Mal steht vielleicht nicht Pleske vor der Tür, der da auch stehen bleibt, sondern irgendjemand anders, der dann einfach reinkommt. Und der klaut dann alle deine Barbie-Puppen! Das willst du doch nicht, oder?“ Die Kleine schüttelte schnell den Kopf und Michael konnte sich ein Grinsen aufgrund des Vergleichs mit den Barbie-Puppen nicht verkneifen. Er war sich sicher, dass dies nicht Thomas’ wirkliche Sorge war. Jana rieb sich kurz unter der Nase, ehe sie durch eine Tür am Ende des Flurs lief und außer Sichtweite war. „Deine kleine Schwester?“, fragte Michael neugierig nach und richtete sich wieder auf. Thomas tat es ihm gleich und lehnte sich mit einem ziemlich unbegeisterten Blick an den Rahmen der Haustür. „Ja, sie ist vier“, antwortete er schlicht und sah den Punk vor sich abschätzend an. „Was willst du hier, Pleske?“ Auf die Frage hatte Michael irgendwie schon gewartet. Tief holte er Luft. „Wir haben was zu erledigen“, erklärte er dann ruhig, nachdem er sich ziemlich sicher war, dass Thomas keinen seiner Freunde bei sich hatte. „Deutsch. Wenn du dich erinnerst.“ Für einen kurzen Moment schwieg Thomas, brach den Sichtkontakt allerdings nicht ab. Seine kühlen, grauen Augen weilten immer noch durchdringend auf Michaels Gesicht. „Durchaus“, meinte er dann nach einem kurzen Moment ruhig und stieß sich vom Türrahmen ab, um wieder gerade zu stehen und machte damit den Größenunterschied von ungefähr zehn Zentimetern umso deutlicher. „Ich hätte nur nicht gedacht, dass du wirklich so dumm bist, und herkommst, Pleske.“ Angesichts dieses Spotts spürte Michael, wie die Wut in ihm aufkochte und an seiner Geduld zerrte. Doch er rief sich innerlich zur Besinnung. Wenn er sich schon lächerlich machte, indem er bei Rosner zu Hause aufkreuzte, dann würde er wenigstens nicht so schnell aufgeben. „Hör mal zu, Rosner“, begann er forsch und erntete damit einen interessierten Blick seines Gegenübers. „Lass uns Klartext reden. Ich hab keinen Bock auf dich und du auch nicht auf mich. Trotzdem müssen wir uns wohl oder übel zusammen durchschlagen, es sei denn, du möchtest das gerne alleine machen und mich abschreiben lassen. Denn die Herzog reißt uns den Arsch auf, wenn wir nicht dasselbe da stehen haben! Also sei ein Mann und spring über deinen Schatten und lass uns den Scheiß heute gemeinsam machen!“ Oh man, jetzt hatte er schon die Worte seiner Schwester genutzt. Doch anscheinend hatte es seine Wirkung nicht verfehlt. „Labert ihr Zecken einen immer so gegen die Wand?“, fragte Thomas in einem unbeteiligten Ton, ging aber einen Schritt zur Seite, was Michael als Geste verstand, ins Haus zu gehen. Hinter ihm schloss Thomas die Tür und seufzte leise. „Dann lass uns das mal schnell hinter uns bringen“, meinte er und ging zu der Treppe, die er vor wenigen Minuten anscheinend auch runter gekommen war. Schweigend folgte Michael ihm. Je weiter er nach oben kam, desto lauter bemerkte er die harte Rockmusik, die wahrscheinlich aus Thomas’ Zimmer drang. Er musste nicht lange überlegen, um zu dem Schluss zu kommen, dass es sich aufgrund der Texte über Kameradschaft und Treue um eine Rechtsrockband handeln musste. Doch bis zu Thomas’ Zimmer schafften sie es gar nicht, denn der Größere hielt mitten im Flur an und sah einem jüngeren Jungen, der ungefähr 10-12 Jahre alt sein musste, hinterher. „Benni“, rief er den Namen des Jungen, welcher daraufhin in seiner Bewegung innehielt und sich zu ihnen umdrehte. „Ah, ähm, hi…“ Er klang ein wenig ertappt, wie Michael fand, doch der braunhaarige Junge guckte nur interessiert auf Michaels Irokesen-Schnitt. „Krass, Alter“, meinte er anscheinend beeindruckt, doch Michael fragte sich, ob dieser Benni nicht nur ablenken und Thomas’ Blick ausweichen wollte. Doch sein älterer Bruder streckte lediglich die flache Hand aus und forderte Benni damit stumm auf, ihm etwas zu geben. Dieser versuchte für einen kurzen Moment, die Hand zu ignorieren, seufzte dann aber. „Gib es her, Benni“, forderte Thomas nun ein wenig härter und Benni scharte kurz mit dem Fuß auf dem Boden, ehe auf Thomas zu ging und eine CD aus der Bauchtasche seines Kapuzenpullovers zog. „Woher wusstest du, dass ich das hab?“, fragte Benni erstaunt. Thomas nahm ihm die CD aus der Hand und schlug ihm damit sanft gegen die Stirn. „Zu aller erst, Benjamin, ist es sehr auffällig im Sommer mit einem dicken Pullover durchs Haus zu laufen, findest du nicht?“ Der Jüngere nickte und Michael grinste leicht. „Und zweitens“, fuhr Thomas vor und grinste nun breit und überlegen, „weiß jeder, wie scharf du auf das Spiel bist!“ „Wenn du das weißt, Tommi, warum kannst du’s mir dann nicht leihen?“ Seine kindliche Jungenstimme klang flehend. „Weil – ich – es – selber – spiele!“, antwortete Thomas ihm wortweise und wuschelte dem Kleineren durch das brünette Haar. „Aber wenn du jetzt diese schreckliche Chartmusik in deinem Zimmer ausmachst oder zumindest den Fernseher leiser schaltest, überleg ich es mir, ob ich dir das Spiel nicht mitgeb’, wenn du nachher zu Vater gehst.“ Die hellen Augen des Brünetten strahlten auf. „Cool, danke!“, meinte er und verschwand in sein Zimmer, um sofort den Fernseher, auf dem anscheinend Viva lief, leiser zu schalten. „Ich hab doch noch gar nicht ‚Ja’ gesagt“, wunderte Thomas sich murmelnd und wandte sich zu der leicht geöffneten Tür, die in sein Zimmer führte. Ohne ein Wort folgte Michael ihm. „Dein kleiner Bruder?“ Thomas nickte nur und schaltete die Musik leiser. Michaels grüngraue Augen wanderten interessiert durch Thomas’ Zimmer, das eigentlich für einen Jungen ziemlich ordentlich war. Nur über den Schreibtischstuhl hing ein zerknülltes T-Shirt und die schwarze Bettdecke war ein wenig zerknittert und hing halb vom Bett. Doch auf dem Boden lag nichts rum. Besser als bei mir, stellte Michael ein wenig frustriert fest und blickte auf die große alte Reichskriegsflagge mit dem Adler in der Mitte und links oben auf schwarz-weiß-rotem Grund das Eiserne Kreuz. Thomas bemerkte Michaels Blick zu der Flagge an der Schräge über seinem Bett. „Ich find die Rote mit dem Hakenkreuz in der Mitte und dem Eisernen Kreuz klein in der linken Ecke eigentlich cooler“, erzählte er in einem belustigten Ton und sah provozierend zu Michael. „Kann ich mir denken“, erwiderte dieser unbegeistert und wandte seinen Blick von der Flagge ab. Thomas zuckte mit den Schultern. „Irgendwann kauf ich mir die Reichskriegsflagge aus der Zeit von Hitlers Regierung, aber die bekommt man ja auch nicht in aller Öffentlichkeit“, erklärte er, warum die Flagge von 1903-1921 über seinem Bett hing und nicht die Flagge, die eigentlich seine Einstellung widerspiegelte. „Hier in diesem Scheißkaff kommt man da sauschlecht dran und wenn dann nur zu Hammerpreisen. Geld scheißen kann ich auch nicht. Aber wenn ich sie irgendwann mal habe, häng ich sie in meiner eigenen Wohnung ins Schlafzimmer oder Arbeitszimmer. Mal sehen.“ Seine Mundwinkel zuckten leicht, während er die Zukunftspläne von sich und der Nazi-Flagge erzählte. Michael schüttelte sich angewidert. „Na, dann komm ich dich aber garantiert nie wieder besuchen“, meinte er schlicht und blickte zu Thomas, doch dieser grinste nur gehässig. „Du wärst eh nie eingeladen gewesen, Pleske“, entgegnete er kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sollen wir jetzt endlich mal anfangen? Je früher du Zecke aus meinem Zimmer verschwindest, desto wohler fühl ich mich wieder hier.“ „Schon klar, Rosner“, murmelte Michael angesäuert und ließ sich auf dem Boden nieder; seinen Rucksack stellte er neben sich. „Scheiß mich hier mal nicht so an, wir haben noch was zu erledigen. Und dann lass ich dich wieder mit den Gedanken an deine heiß geliebte Nazi-Flagge allein…“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Thomas ihn an, ehe er sich zu ihm runterbeugte und ihm schmerzhaft in den Nacken griff. Seine Finger bohrten sich in Michaels Haut und drückten gegen seine Wirbel. „Hör mal zu, Pleske“, begann er in einem ruhigen, aber harten Ton. „Das hier ist meine Sache und es geht dich einen Scheiß an, was für Flaggen ich in meiner Bude aufhänge. Ich hätte sie auch gerne jetzt schon, auch wenn es vielleicht ein wenig riskant wäre, wenn einem die Bullen im Nacken sitzen und das Haus durchsuchen.“ Michael schnaubte verächtlich und stieß Thomas’ Arm weg, sodass auch die Hand sich aus seinem Nacken löste. „Du brauchst dir gar keine Mühe zu geben, Rosner“, erklärte er hasserfüllt. „Dich erkennt doch eh jeder als Neonazi. Springerstiefel, enge Jeans mit Hochwasser, Glatze und solche schwarzen Tops, wie du sie gerade trägst, mit solchen Knallersprüchen in altdeutscher Schrift!“ Er zeigte auf das schwarze Top, was Thomas nun trug, wo in weißen altgermanischen Buchstaben „Deutsches Blut“ drauf stand. „Weißt du, Leute wie dich widern mich an“, zischte Michael haltlos. „Fremdenhass und verkorkste Ideologien, das ist doch-“ Er brach plötzlich ab, als eine circa 40-jährige, blonde Frau mit dezent geschminktem, hübschem Gesicht die Tür öffnete. Ihr kurzes Haar war mit Haarnadeln hinter das Ohr gelegt und ein wenig verwuschelt. Freundlich ging sie auf die beiden Jungen zu und reichte Thomas eine Medikamentenpackung. „Wolltest du doch haben, oder?“, fragte sie nach und strich dem Jungen über die Glatze. Dieser schmiss das Päckchen auf den Schreibtisch. „Klar, danke, Ma“, bedankte er sich bei der Frau, die anscheinend seine Mutter war. Diese lächelte ihn an und wandte sich dann an Michael. „Oh hallo, wer bist du denn?“, fragte sie ihn freundlich und hielt ihm ihre Hand hin, welche Michael höflich annahm und schüttelte, nachdem er ihr seinen Namen genannt hatte. „Bist du ein Freund von Thomas?“ „Ähm nein, nicht so wirklich“, wehrte Michael ab und fragte sich in diesem Moment, ob Frau Rosner überhaupt den Unterschied zwischen ihm und ihrem Sohn erkannte. „Wir gehen in eine Klasse und wollten Deutsch zusammen machen.“ „Dann will ich euch nicht weiter stören“, entgegnete Frau Rosner und schenkte den beiden Jungen ein Lächeln. „Wollt ihr einen Eistee?“ „Nein, danke, lass ma, Mutter“, wehrte Thomas ab, bevor Michael etwas dazu sagen konnte und Frau Rosner verließ lächelnd den Raum. „Deine Mutter ist ja richtig nett“, entfuhr es Michael erstaunt. „Vielleicht solltest du dir mal eine Scheibe von ihr abschneiden. Die Menschen würden dich kaum wieder erkennen und dich mit Liebe überschütten, ehrlich.“ „Wer will schon Liebe, wenn er Hass kriegen kann“, erwiderte Thomas gleichgültig und sah Michael offen in die Augen. Der Punk überlegte für einen Augenblick, ob Thomas diese Aussage ernst meinte oder ob er das nur so daher gesagt hatte. Wollte man nicht immer eher Liebe haben? Wer wollte denn unbedingt gehasst werden? Doch Thomas hatte mittlerweile seine Deutschmappe raus genommen und zeigte auf den Kopf der Fabel. „Also die Fabel stammt auf jeden Fall aus der Zeit des alten Roms und wurde ja von diesem Sklaven geschrieben, oder?“, fragte Thomas und kratzte sich am Kopf. „Also könnten wir ja das schon mal beim ersten Punkt schreiben.“ „Wird gemacht, Chef“, stimmte Michael zu und nahm sich einen Kugelschreiber aus dem Etui. Thomas grinste breit. „So, ich bin dein Chef?“ „Redensart“, verneinte Michael Thomas’ Frage knapp und sah dann auf. „Aber hey, sollen wir so fair sein und deine Nazi-Mucke ausmachen?“ Thomas grinste schief und schien für einen Moment zu überlegen. Doch dann stand er auf. „Wollen wir heute mal großzügig sein“, meinte er und begab sich zu der Anlage, um diese auszustellen, was Michael nur mit einem triumphierenden Grinsen quittierte. Ein leichter Aufruhr auf dem Flur ließ Michael nach einiger Zeit aufgucken. Mit der Fabelanalyse waren sie fast fertig. Sie mussten nur noch die Stellungnahme zum Thema der Fabel schreiben. „Was ist denn da draußen so laut?“, fragte er Thomas neugierig. Thomas, welcher bisher konzentriert auf sein Blatt gesehen hatte, blickte zu ihm auf. „Mein… Vater holt meine Geschwister ab“, antwortete er leise und Michael fiel auf, wie Thomas bei dem Wort „Vater“ leicht stockte. „Sie bleiben dort übers Wochenende.“ „Ach so“, meinte Michael und sah auf Thomas’ Blatt. Die mit Kugelschreiber-Blau geschriebenen Worte waren sauber auf den dezenten Linien angesetzt. Michael musste zugeben, dass Thomas für einen Jungen eine wirklich schöne Schrift hatte. „Gehst du denn nicht mit?“, fragte Michael dann, um das Gespräch weiterzuführen. Wann hatte man schon mal die Gelegenheit sich mit Rosner zu unterhalten? „Nein“, sagte Thomas mit leicht rauer Stimme und nun merkte auch Michael deutlich, dass dem glatzköpfigen Jungen das Thema unangenehm zu sein schien. Er wollte gerade ansetzen, etwas anderes zu erzählen, um die bedrückende Stimmung nicht im Raum weilen zu lassen, als sich die Tür öffnete und Thomas’ kleiner Bruder ins Zimmer stürmte. „Tommi, kann ich jetzt das Spiel haben?“, bat er seinen Bruder und guckte diesen mit großen, strahlenden Augen an. Für einen Moment sah Thomas ihn erstaunt an, doch dann erschien ein kaum sichtbares Lächeln auf seinen Lippen. Er beugte sich zu seinem Schreibtisch und zog die mittlere der drei Schubladen auf und nahm die CD-Hülle, welche er Benni vorher abgenommen hatte, raus. Während er aufstand, um sie seinem Bruder zu geben, konnte Michael in die offene Schublade gucken und entdeckte dort diverse andere Videospielhüllen sowie einige Fotos, auf denen teilweise eine Familie drauf war, aber auch Rosner selbst mit seinen Kameraden. „Wow, du hast dieses neue Adventure-Spiel“, meinte Michael beeindruckt, als er ein Computerspiel erkannte, welches er letztens in der Werbung gesehen und durchaus interessant gefunden hatte. Begeistert blickte er zu Rosner, welcher jedoch neben seinem Bruder stand und ein wenig apathisch aus seiner Zimmertür in den Flur starrte. Dann trat ein dunkelbraunhaariger Mann durch den Türrahmen und blieb dort stehen. Er war ungefähr so groß wie Thomas, vielleicht ein-zwei Zentimeter kleiner und schien in dem Alter von Thomas’ Mutter zu sein. „Hallo Thomas“, begrüßte er mit markant-dunkler Stimme den Jungen vor ihm, welcher daraufhin den Blick senkte. „Hallo“, presste Thomas mühsam heraus und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Willst du deinen eigenen Vater nicht mal ansehen?“, fragte der Mann, der offenbar Herr Rosner zu sein schien. Doch Thomas sah weiter weg. „Nein“, murmelte er leise und sah nach links zu der Reichsflagge, doch Michael war sich sicher, dass er sie gar nicht wirklich anblickte. „Benjamin, hast du auch alles eingepackt?“, fragte der Vater derweil in einem betont führsorglichen Ton und wuschelte dem Jungen durch das brünette Haar. „Geh lieber noch mal nachsehen!“ Der Junge nickte und verließ den Raum und man hörte, wie am Ende des Flurs die Tür geschlossen wurde. „Sag mal, Thomas, was ist eigentlich dein Problem?“, fragte sein Vater, jedoch dieses Mal ein wenig lauter. „Ich bin doch dein Vater.“ Für einen Moment herrschte in dem Raum eine drückende Stille, ehe Thomas seinen Blick nun endlich von der Flagge über seinem Bett nahm und mit verhärteten Gesichtszügen zu seinem Vater sah. „Biologisch gesehen vielleicht“, zischte er abwertend. „Doch für mich bist du nicht mehr, als mein Erzeuger und das war’s!“ Ungläubig schüttelte Herr Rosner den Kopf. „Bei dir tickt es wohl nicht mehr sauber, Junge! Was hab ich dir denn so großartig getan?“ Herr Rosners Frage klang so, als hätten die beiden diese Auseinadersetzung zum ersten Mal, doch bei Thomas sah es eher so aus, als hätten sie das Thema schon zig Mal durchgekaut. Michael schloss daraus, dass die Realität irgendwo dazwischen lag. „Ach, das weißt du nicht?“, erwiderte der junge Neonazi nun spöttisch. „Na, wer hat sich denn verpisst und uns alle allein gelassen?“ Michael zuckte leicht zusammen, als er merkte, dass Thomas’ Worte um vieles hasserfüllter klangen, als wenn der Neonazi mit ihm redete. Er war hier anscheinend in einen richtigen Familienstreit rein geraten. „Du warst nie da, wenn es mir schlecht ging“, fuhr Thomas fort und seine Stimme wurde immer lauter, sodass er beinah schon schrie. „Und gekümmert hat es dich doch auch nicht, als Jana geboren war. Du bist so ein drecksbeschissener Vater, dass du es nicht verdienst, dass ich dich etwas Besseres nenne, als meinen Erzeuger!“ Herr Rosner wirkte ein wenig genervt und Michael könnte schwören, dass er mit den Augen gerollt hatte. „Natürlich habe ich Fehler gemacht“, räumte er ein und schüttelte erneut den Kopf. „Aber Thomas, denkst du nicht, dass du da langsam drüber hinweg sehen solltest? Benni versteht sich doch auch wieder super mit mir und Jana auch. Selbst deine Mutter spricht wieder mit mir, also was soll das Ganze?“ Doch Thomas schnaubte nur verächtlich, was Michael ein wenig skeptisch die Augenbrauen heben ließ. „Die anderen lassen sich vielleicht von deinem Scheißgelaber einlullen, aber ich nicht“, entgegnete Thomas wütend und sah seinen Vater feindselig an. „Oh, natürlich. Du hast alles durchschaut, Thomas“, sagte sein Vater sarkastisch und lachte kurz auf, wobei sich Michael nicht sicher war, ob das in Thomas’ momentanen Gemütszustand eine sinnvolle Aktion war. „Wahrscheinlich willst du mir jetzt auch nur vorhalten, dass ich deine Mutter um Geld betrügen möchte, weil ich für meine neue Hochzeit nicht genug Geld hab oder so. Aber da kann ich dich beruhigen, mein Sohn. Ich werde deine Mutter nie wieder bescheißen.“ Thomas schüttelte jedoch nur angewidert den Kopf. „Tze, na, wer weiß“, zischte er abwehrend. „Hast du jetzt also doch vor, deine Ost-Schlampe zu heiraten?“ Thomas’ Gesicht zuckte vor Wut und Zurückhaltung sämtlicher Gefühle und Michael fragte sich so langsam, ob es eigentlich klug war, hier immer noch zu sitzen. „So, jetzt reicht’s aber, Thomas“, ermahnte Herr Rosner ihn erzürnt. „Was fällt dir eigentlich ein?! Daniela hat in Russland mal als Sozialarbeiterin gearbeitet, mehr nicht. Sie ist Deutsche, Thomas, auch wenn es mir ehrlich gesagt egal wäre, wenn es anders wäre! Du spinnst doch mit deinem rechtsradikalen Scheiß!“ Wütend stieß er seinen Sohn gegen die Schulter, als wollte er ihn aufwecken und zur Vernunft bringen. Doch Thomas war vollkommen in Rage und schien nur Rot zu sehen. Vor Wut ein wenig schwerer atmend, griff er seinen Vater an den Hemdkragen und zog dessen Gesicht näher zu seinem. „Ich will nicht, dass diese Schlampe meinen Namen trägt“, zischte er, während sein Vater sich von ihm losriss. Michael erwartete einen erneuten Wutausbruch seitens Herr Rosners, doch dieser schaute seinen Sohn nur zornig an, ehe er seine Hand hob, ausholte und seinem Sohn eine kräftige Ohrfeige gab. Schallend zog sich das Geräusch, als die flache Hand auf die helle Haut traf, durch den Raum und ließ Michaels Augen größer werden. „Manchmal frage ich mich wirklich, was Annette und ich da groß gezogen haben“, sagte Herr Rosner enttäuscht und fuhr sich durch das dunkle Haar. „Gregor!“, rief Frau Rosner entsetzt und kam durch die Tür geeilt. Anscheinend hatte sie draußen auf dem Flur gestanden und den Streit mitbekommen. „Raus…“, murmelte Thomas nur, nachdem er anscheinend die Sprache wieder gefunden hatte. Sein Blick hatte sich wieder gesenkt; sein Brustkorb hob und senkte sich rasch. „Raus hier!“, wiederholte er seine Worte gegenüber seinem Vater nochmals, diesmal jedoch kräftiger. „Verdammt, verpiss dich!“ „Thomas“, nannte seine Mutter nun seinen Namen und legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Unterarm, doch er riss sich schnell wieder los. Annette Rosner blickte ihren Sohn ein wenig verzweifelt an, wandte sich dann aber an ihren Ex-Mann. „Gregor, ich glaube, es wäre jetzt besser, wenn du mit Benni und Jana gehst“, meinte sie leise und blickte wieder zu ihrem ältesten Sohn. Thomas’ Vater nickte nur und ging dann in den Flur, um eine Reisetasche und einen Rucksack hoch zu heben. „Wir sehen uns Sonntag“, verabschiedete er sich und man konnte seine Schritte auf der Treppe hören. Frau Rosner verließ ebenfalls das Zimmer und schien ihrem Ex-Mann zu folgen. Thomas blieb allerdings apathisch dort stehen, wo man ihn zurückgelassen hatte und blickte starr zu seiner Zimmertür hinaus in den Flur. Michael wusste nicht, wie er wirklich reagieren sollte. Das alles war ziemlich heftig gewesen und so packte er langsam und geräuschlos seine Schulsachen ein, ehe er aufstand und auf den jungen Neonazi zuging. „Äh, Thomas“, sprach er den anderen zaghaft an. Es war sicherlich das erste Mal in den zwei Jahren, die er den Neonazi schon kannte, dass er diesem mit seinem Vornamen ansprach. „Alles okay?“, fragte er leise und legte dem Größeren zögerlich die Hand auf die Schulter. Ein fataler Fehler, wie Michael nur Sekunden später bemerkte. „Lass das!“, brüllte Thomas verärgert und schubste Michael wutentbrannt von sich weg. Dieser taumelte einen Moment, ehe er aufgrund des kräftigen Stoßes umknickte und gegen die Regalwand knallte. Ein stechender Schmerz zog sich durch seine rechte Gesichtshälfte und seine Nase tat unheimlich weh, sodass es ihm fast die Tränen in die Augen trieb. Langsam richtete er sich wieder auf und fasste sich an die Nase. Er spürte, wie eine kribbelnde Flüssigkeit durch seine Nasengänge floss, ehe er sein eigenes, rotes Blut auf seine Finger tröpfeln sah. Langsam richtete er sich wieder auf und blickte entsetzt zu Thomas, welcher erstarrt vor ihm stand und ihn erschrocken ansah. „Pleske…“, murmelte er leise und klang ein wenig fassungslos. Doch Michael ignorierte ihn und schnappte sich seinen Army-Rucksack. Wütend starrte er Thomas an, ehe er an ihm vorbei in Richtung Tür ging. Schnell griff Thomas nach seinem Arm, aber Michael riss sich los. „Pleske, jetzt warte doch mal“, versuchte der Neonazi ihn aufzuhalten, doch Michael lief einfach weiter. Das Blut lief aus seiner Nase über seine Lippen und färbte sie in ein dunkles Rot, während er die Treppe runterstürmte und an Thomas’ Mutter vorbei rannte. Er bemerkte, wie Thomas ihm bis zum Treppenabsatz gefolgt war und dann innehielt, als Michael die Tür aufriss. Ohne sich noch einmal umzusehen stürmte er aus dem Haus und schlug die Tür hinter sich wieder zu. Draußen war es bereits dunkel. Die frische Abendluft kühlte seine glühende Wange, schmerzte aber beim Einatmen. Der Blick seiner graugrünen Augen fiel auf den schwarzen Wagen, der in der Ecke stand. Auf dem Kennzeichen stand „RT 188“ und Michael schüttelte nur den Kopf. Sich mit dem Ärmel unter die Nase und über die Lippen streichend, ging er näher zu dem Wagen und starrte weiter auf die 188. „18 oder 88, oder beides?“, fragte er sich leise selbst, ehe er gegen das Nummernschild trat. Seine schwarz-roten Doccers hinterließen einen schmutzigen Solenabdruck auf dem weißen Untergrund des Schildes. „Sogar schon Nazi-Codes auf dem Nummernschild“, zischte er giftig, als würde der Besitzer des Wagens persönlich vor ihm stehen. „Wie armselig du schon bist, Rosner!“ Entschlossen schritt er von dem Wagen weg; störte sich nicht mehr daran, dass das Blut haltlos über sein Gesicht lief und von seinem Kinn tropfte. Er wollte einfach nur noch weg von hier und nach Hause. Rosner hatte mit einem Recht gehabt: Es war wirklich sehr dämlich von ihm gewesen, zu diesem Nazi-Schwein zu gehen. Er hasste sich selber dafür und Rosner noch viel mehr. Das bisschen Mitleid, was er vorhin für den Neonazi bei dem Streit mit dessen Vater verspürt hatte, war mittlerweile angesichts seiner blutenden Nase und höllisch schmerzenden Wange endgültig versiegt. Schnell ging er durch die Straßen und hoffte, dass er heute keinem mehr begegnete, denn er wollte gar nicht wissen, wie er aussah. Im Haus stand immer noch Thomas am Ende der Treppe und murmelte ein verärgertes „Scheiße“. Dass Michael gegen das Regal stürzte, hatte er so nicht gewollt. TBC Okay, wieder ein Kapitel um. Ich weiß, dieses Mal war es vielleicht ein wenig heftiger als sonst, aber ich wollte Thomas' familiäre Situation nicht außenvor lassen, denn ich denke, dass das einen erheblichen Anteil daran hat, dass er Neonazi wurde. Die meisten von denen rutschen ja eher in die Szene, weil sie diese Zugehörigkeit, den Halt und diese Kameradschaft suchen. Übrigens gibt es diese Nazi-Codes "18" und "88" wirklich. Also denn, bis Kapitel 5. Motte Kapitel 5: Entschuldigung ------------------------- Hallo ^^ Hui, ich habe eine Tradition gebrochen und nicht jeden Freitag etwas hochgeladen, sondern einen Freitag ausgelassen *lol* Aber ich denke, ihr werdet mir alle vergeben ^^ Immerhin war ich letzten Freitag auch in Dresden und erst heute hab ich meinen PC wieder neu eingerichtet ^_~ Aber das interessiert euch ja doch nicht, also laber ich hier nicht weiter rum sondern lass ich fein das Kapitel lesen *lach* Kapitel 5: Entschuldigung Mit leerem Blick saß Michael vor dem Spiegel, der eine seiner Kleiderschranktüren verdeckte, und betrachtete sein Ebenbild. Das Veilchen, welches sein linkes Auge geziert hatte, war mittlerweile nur noch blass-gelblich und ließ die Haut um sein Auge ein wenig matschig wirken. Seiner Meinung nach sah das ein wenig wie das Auge eines 90-Jährigen aus. Doch dafür erstrahlte seine rechte Wange, beginnend bei seinen Wangenknochen unter den Augen bis zu seinen äußersten Kieferknochen, in einem farbigen Blau-violett. Eindeutig waren seine Wangenknochen geprellt, denn dort war es am dunkelsten. Jede Bewegung seines Gesichtes zog schmerzhaft. Von seinen Versuchen, etwas zu essen, wollte er gar nicht erst reden. Die Bewegung seines Mundes, sich gänzlich zu öffnen, um einen Löffel mit Spaghetti hineinzulassen, stellte sich für ihn als eine Qual heraus. An dem Rand seiner Nasenlöcher klebte noch etwas geronnenes Blut, doch zu seinem Glück wirkte seine Nase sich nicht weiter schmerzhaft aus. Schwerfällig schloss er die Augen und lehnte seine pochende Wange vorsichtig gegen die kühlende Glasscheibe des Spiegels. Rasant fuhr ein schwarzer Wagen um die Ecke in eine von blühenden Blumen umgebene Einfahrt und kam dort abrupt zum Stillstand. Im Gegensatz zu dem schnellen Fahrstil öffnete sich die Fahrertür nur langsam, ehe ein schwarzer Springerstiefel auf den matten Asphalt trat. Ihm folgte ein Zweiter, bevor die Autotür hektisch zugeschlagen wurde. Seufzend lehnte Thomas Rosner sich gegen sein Auto und nahm einen kräftigen Zug der Zigarette, die in seinem Mundwinkel verweilte, ehe er langsam wieder ausatmete. Es war ja schon eine Überwindung gewesen, überhaupt hierher zu kommen, aber nun stand er hier und konnte nicht leugnen, dass er wirklich nervös war. Ich glaub, so nervös war ich nicht mehr, seit ich allein vor diesem Türken-Clan stand, den ich zwei Tage vorher mit ein paar Kameraden aufgemischt hatte… ah, das war’n Scheiß… Damals hatte er sogar ins Krankenhaus gemusst und dort einen Tag zur Beobachtung gelegen, ehe die Ärzte ihn ein wenig lädiert wieder aus ihren Fängen gelassen hatten. Doch es half alles nichts. Er war immerhin schon mal bis hier gekommen, als würde er das auch durchziehen. Vorher noch einen kräftigen Zug nehmend, ließ er die beinah bis zum Filter abgebrannte Zigarette zu Boden fallen, ehe er sie mit seinen Stiefeln austrat. Langsam ging er auf die Haustür zu, neben der auf einem hübschen Schild der Name „Pleske“ stand. Allein, wenn er diesen Namen schon las, wurde ihm wieder ein wenig schwindelig. Thomas, jetzt stell dich nicht so an, ermahnte er sich selbst und drückte zögerlich auf den Klingelknopf. Es dauerte nicht lange, bis sich ihm die Tür öffnete und eine junge Frau mit brünetten Haaren ihm gegenüber stand. Dem Gesicht und dem Alter nach zu urteilen, war das sicher Michaels Schwester. Diese sah ihn geringschätzig an und wartete anscheinend darauf, dass er etwas sagte. Leise räusperte Thomas sich, bevor er anfing zu sprechen: „Ähm, hallo. Ich wollte zu… Michael.“ Es fiel ihm unheimlich schwer, den Punk beim Vornamen zu nennen. Immerhin hatte er sich diesen Namen „Michael“ nie in Verbindung mit dem Grünhaarigen eingeprägt. Sie hatten sich immer beim Nachnamen genannt, deswegen war er gestern im Nachhinein, als er sich beruhigt hatte, erstaunt gewesen, dass Pleske ihn tatsächlich „Thomas“ genannt hatte. „Und was willst du von ihm?“, stellte seine Schwester ihm nun eine skeptische Frage und bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. Anscheinend war sie nicht gerade begeistert von seinem Besuch, aber mit übergroßer Euphorie hatte Thomas auch nicht gerechnet. „Mit ihm reden“, antwortete er daher wahrheitsgemäß. Einen Moment lang schien sie zu überlegen, was nun das Richtige war, doch dann machte sie seufzend Platz und ließ ihn durch. Zögernd betrat Thomas die aufgeräumte Wohnung und musste zugeben, sich nun noch unbehaglicher zu fühlen. „Die Treppe hoch und dann direkt die erste Tür, die du siehst“, erklärte Michaels Schwester ihm, wo das Zimmer ihres Bruders lag und deutete mit dem Zeigefinger auf die Treppe. „Alles klar“, murmelte Thomas leise und begab sich zu der Treppe. Hinter sich hörte er eine Tür zuknallen. Anscheinend war die junge Frau in einen der Räume im Erdgeschoss verschwunden. Langsam ging er Stufe für Stufe hoch; wurde mit jedem Schritt ein wenig nervöser. Doch schließlich schaffte er es dennoch nach oben, blieb allerdings am Treppenansatz stehen. Seine grauen Augen hefteten sich auf die helle Tür, die schräg gegenüber von der letzten Treppenstufe lag und damit wahrscheinlich in Michaels Zimmer führte. Okay, Augen zu und durch, machte Thomas sich selber Mut, ehe er tief durchatmete und vorwärts ging. Mit einem Ruck drückte er die Klinke runter und öffnete Tür zu Michaels Zimmer. Sein Blick haftete für einen kurzen Moment auf der zerknüllten, grün-orangefarbenen Bettwäsche, die auf der dunklen Matratze lag, ehe er sich suchend nach dem Punk umsah. Nur wenige Sekunden später bemerkte er, wie dieser vor einem Spiegel kauerte und ging einen Schritt in den abstrakten Raum hinein. Die helle Tapete war von Postern überpflastert, sodass sie kaum noch zum Vorschein kam. Diverse Bands waren darauf zu sehen, aber auch viele Fotografien und Verarsche-Bilder, wie es sie in manchen Postershops gab. Ansonsten war das Zimmer eher unaufgeräumt. Hier und da lagen einige Klamotten herum. Bücher lagen neben dem Bett wahllos auf dem Boden, auch wenn Thomas bisher immer bezweifelt hatte, dass Michael überhaupt lesen konnte. Auf einem kleinen Schränkchen hockte in einem großen Käfig eine kleine, schwarze Ratte, die neugierig durch die Gitter schnupperte. „Was willst du?“ Michaels Stimme klang eisern und Thomas fragte sich für einen Moment, woher der Punk wusste, dass er im Raum war. Doch dann fiel ihm ein, dass Michael ihn wahrscheinlich durch den Spiegel sehen konnte. „Mit dir reden“, antwortete Thomas leise, doch Michael schien es verstanden zu haben. Allerdings wollte er ihn immer noch nicht anschauen; schien die rechte Ecke neben seinem Spiegel interessanter zu finden als Thomas. „Ach, echt?“, fragte der Kleinere mit spöttischer Stimme und ließ ein leises „Tze“ erklingen. „Du willst mir nicht die Fresse einschlagen? Das ist ja bombastisch!“ Allein für diesen Kommentar hätte Thomas ihm am liebsten doch die Faust ins Gesicht geschlagen. Er war hier her gekommen, um mit ihm zu reden und nicht, um sich beleidigen zu lassen. „Hey, ich kann auch wieder gehen!“, zischte er eingeschnappt und Michael lachte nur leise auf. „Wär’ auch nicht schlecht!“, erwiderte der Punk unnachgiebig. Nervös ließ Thomas seine Hand über seine Glatze gleiten, ehe er beide Hände in seine Hosentaschen versenkte. Langsam ging er auf den Punk zu. Wenn dieser ihn jetzt angreifen würde, wäre er vollkommen wehrlos. Er könnte seine Hände niemals so schnell wieder aus den Taschen der engen Jeans ziehen. Das schien auch Michael klar zu werden, denn er hob langsam den Kopf und sah Thomas nun das erste Mal am heutigen Tage richtig in die Augen. Der Neonazi erschrak leicht, als er Michaels lädiertes Gesicht sah. Er hatte zwar schon häufig Menschen mit Prellungen gesehen und selber nach Raufereien nicht gerade wenige gehabt, aber dies hier war nicht in einem Streit zwischen ihm und Michael passiert, sondern nur allein durch ihn. „Scheiße…“, murmelte er leise und beobachtete, wie Michael aufstand und sich auf sein Bett setzte. „Tut das sehr weh?“ Überrascht zog Michael die Augenbrauen hoch. „Kaum zu glauben, dass dich das wirklich interessiert“, begann er Thomas erneut eins reinzuwürgen und lächelte emotionslos. „Aber ja, es tut weh. Verdammt weh. Ich kann nicht essen oder trinken, geschweige denn lachen. Selbst, dass ich dich jetzt hier zur Sau mache, tut meiner befickten Wange scheiße weh! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Penner!“ Beschämt senkte Thomas seinen Kopf ein wenig und sah auf den dunklen Teppichboden unter seinen Füßen. „Es tut mir Leid“, entschuldigte er sich und erschrak ein wenig, als er bemerkte, wie unsicher und rau seine Stimme klang. Es war schon lange her, dass er sich für irgendetwas aufrichtig entschuldigt hatte. „Wie war das? Es tut dir Leid?“, wiederholte Michael seine Worte ungläubig und blickte ihn fragend aus grüngrauen Augen an. Langsam sah Thomas wieder auf und Michael konnte die Unsicherheit in den sonst so kalten, grauen Augen sehen. „Ja“, antwortete Thomas und schluckte trocken. „Wirklich.“ Als wollte er seinen Worten Nachdruck verleihen, ging er einen Schritt näher auf das Bett und damit auch auf Michael zu. Dieser sah immer noch ein wenig ungläubig aus, nickte dann aber. Dann wandte Michael seinen Blick zu dem dunkelgrauen Teppichboden und ließ seine Finger nervös mit den Falten, die seine Hose in den Kniekehlen warf, spielen. Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen. Tief atmete Thomas ein und aus. Aufgrund seiner Nervosität fragte er sich, ob er nicht schon so laut atmete, dass Michael es hören müsste. Aber selbst wenn… was war schon interessant daran, wie jemand atmete? Während Thomas weiter seinen verworrenen Gedankengängen nachging, sah Michael wieder auf und betrachtete ihn einen Moment lang mit emotionslosem Blick. Er hätte wirklich nicht gedacht, dass gerade Thomas Rosner, dieser Neonazi, sich bei ihm entschuldigen würde. So oft hatten sie sich schon geprügelt und Gemeinheiten sowie hasserfüllte Sprüche an den Kopf geworfen und nie hatte sich einer von beiden entschuldigt. Michael verzog seine Lippen zu einem schiefen Grinsen, ließ seine Mundwinkel aber wieder sinken, als er den Schmerz in seiner rechten Wange spürte. Jetzt, wo er das Stechen seiner Prellung wieder fühlte, kam in ihm wieder die Frage hoch, warum die Situation gestern so eskaliert war. „Okay, Entschuldigung angenommen“, meinte Michael dann plötzlich und bemerkte, wie Thomas wieder zu ihm sah. Die Erleichterung war dem Neonazi deutlich anzumerken. „Aber nur unter einer Bedingung“, fuhr Michael fort und sah mit Vergnügen, wie Thomas gespannt aufhorchte. „Sag mir, warum du deinen Vater so hasst und warum du gestern so… aggressiv und danach so weggetreten warst.“ Mit jedem Wort verspannte Thomas sich mehr. Seine Zähne bohrten sich unnachgiebig in die helle Haut seiner Lippen, hinterließen weiße Striemen. „Das geht dich nichts an, Pleske“, presste er mühevoll heraus und wich Michaels Blick aus. „Falsche Antwort“, meinte Michael und rückte ein Stück. Auffordernd schlug er mit der flachen Hand auf den Platz neben sich; verlangte von dem Neonazi, dass er sich neben ihn setzte und ihm die Geschichte erzählte. „Ich denke, wenn ich schon meine Wange herhalten muss, dann darf ich auch den Grund dafür erfahren“, fügte er noch hinzu und blickte Thomas wartend an. Dieser seufzte lautlos, gab sich aber geschlagen und ging zögernd auf das Bett zu. Mit einem leichten Abstand zu Michael ließ er sich auf der schwarz bezogenen Matratze nieder und strich mit seinen Händen fahrig über seine Knie. „Also… hm, wo fang ich an…“, murmelte Thomas leise und blickte fragend und ein wenig hilflos zu Michael, welcher ihm jedoch nur ein Schulterzucken schenkte. „Na ja… also mein Vater… meine Eltern haben sich früher recht lange gestritten. Meistens waren es Kleinigkeiten, aber das Geschrei war trotzdem groß. Besonders meine Mutter war früher nicht so ruhig, wie sie heute ist, sondern hysterisch, wenn es ums Streiten ging. Kurz vor meinem 14. Geburtstag ist mein Vater dann abgehauen. Ich war mit Benni auf dem Spielplatz, er war damals sieben oder acht. Jedenfalls meinte meine Mutter, dass er weggegangen wäre. Sie war damals im vierten Monat schwanger. Und er wusste es. Aber dieses Drecksschwein hat sich trotzdem verpisst…“ Seine Finger krallten sich in seine Jeans, als er abbrach. Seine Stimme war von Wort zu Wort rauer und leiser geworden. Michael bemerkte, wie sehr Thomas die Situation zu belasten schien. Verdenken konnte er es ihm nicht. So langsam verstand er, warum Thomas seinen Vater hasste. Aufmunternd legte er ihm ohne Nachzudenken eine Hand auf die Schulter und atmete erleichtert auf, als er bemerkte, dass Thomas dies nicht zu stören schien. „Jedenfalls… hat er sich verhalten wie ein Arschloch“, fuhr der junge Neonazi weiter fort. „Zu meinem 14. Geburtstag bekam ich noch einen Anruf. Ich hab ihn gefragt, ob ich ihn besuchen kommen kann, aber er meinte, er hätte keine Zeit für mich. Zu Bennis Geburtstag hat er auch noch angerufen. An Jana hat er nicht gedacht. Er wusste wahrscheinlich nicht mal genau, wann sie damals geboren war. Zum 15. gab’s dann aber nur noch eine Karte. Bei Benni war es nicht anders. Zum 16. hat er sich gar nicht mehr gemeldet…“ Verwirrt riss Michael die Augen auf. So wie Thomas’ Vater gestern gewirkt hatte, hätte er ihm nie zugetraut, dass er sich so gegenüber seiner Familie verhalten hatte. Sein Blick suchte den von Thomas, doch der Neonazi sah nur stur geradeaus auf Michaels Schrank, auch wenn Michi sich sicher war, dass Thomas gar nicht wirklich dort hin blickte. Aber dennoch konnte er erkennen, dass die Augen des Größeren ein wenig glänzten. Betroffen wandte er seinen Blick wieder ab, ließ seine Finger jedoch ein wenig über Thomas’ Schulter streichen. „Aber jetzt ist er doch wieder da, oder?“, fragte er behutsam und Thomas nickte langsam. „Ja, kurz vor meinem 17. Geburtstag ist er dann wieder aufgekreuzt. Er wolle sich entschuldigen und seine Tochter endlich mal sehen, hat er zu meiner Mutter gesagt. Sie war so glücklich, ihn wieder zu sehen. Benni auch“, begann er, die Geschichte weiter zu erzählen. „Er war entsetzt mich zu sehen und zu erkennen, dass sein Sohn nationalsozialistisch ist…“ Auch wenn Thomas Michael im Moment ein wenig Leid tat, konnte er dessen Vater nicht verübeln, bestürzt zu sein, wenn der eigene Sohn Neonazi geworden war. Für Michael selber würde eine Welt zusammenbrechen. Und für viele andere Menschen sicher auch. „Jedenfalls hat er meine Mutter angeschrieen, sie hätte auf ganzer Linie versagt“, erzählte Thomas dann. „Sie hätte nicht aufgepasst, was aus ihrem ältesten Sohn wird. Er hat sich Sorgen gemacht, dass ich Benni und Jana nachher auch auf die rechte Seite ziehe. Dann ist er abgehauen und hat später angerufen, dass es ihm Leid täte. Eine Woche später wollte er sich mit meiner Mutter aussprechen und brachte dann auch gleich schon seine neue Schnalle mit. Daniela.“ Die Art, wie Thomas den Namen der neuen Lebensgefährtin seines Vaters aussprach, war an Spott und Abneigung nicht mehr zu übertreffen. Michael fragte sich, warum Thomas diese Daniela so sehr verabscheute. Lag es daran, dass sie die neue Freundin seines Vaters war? Oder wirklich, weil sie in Russland soziale Arbeit geleistet hatte und Thomas als Neonazi ein solches Verhalten verabscheute? Doch die Antwort folgte schneller, als Michael gedacht hatte. „Sie hätte Sozialpädagogik studiert und solle als unparteiische Zuhörerin fungieren, meinte er“, fuhr Thomas fort und Michael war sich sicher, seine Zähne knirschen zu hören. „Dann saßen wir da. Mum, er, seine Daniela und ich. Sie hat mich ausgefragt und mein Verhalten dann analysiert wie so eine billige Psycho-Tante aus dem Fernsehen. Nach ungefähr zehn Minuten hatte ich keine Lust mehr und bin einfach gegangen.“ Irgendwie kam Michael das sehr bekannt vor. Er hatte zwar nie jemanden dabei gehabt, der sein Verhalten professionell analysieren wollte, doch seine Eltern hatten sich selber oft genug darin versucht. Sie wollten wissen, warum er so rebellisch war; warum er Punk war; warum er so viel trank und warum er plötzlich rauchte; wieso Punk-Musik so schrecklich sein musste und vor allem, warum er provozieren wollte und gegen die Regierung war. Seine Noten waren allerdings auch ein beliebtes Thema gewesen, aber die hatten ja auch schon nachgelassen, bevor er sich optisch als Punk bekannte. „Kenn ich. Das nervt“, meinte er leise und klopfte Thomas auf die Schulter. „Weißte, meine Ellis wollten auch unbedingt kapieren, was in ihrem Sohn vorgeht. Anstatt einfach ma’ zu akzeptieren, ne. Ich mein, wir fragen ja auch net nach, warum sie ihren Kram machen.“ Thomas grinste schief und blickte das erste Mal, seit er angefangen hatte zu erzählen, zu ihm. „Hätte ich vielleicht damals mal als Argument bringen sollen“, meinte er auf düstere Art und Weise belustigt. „Haste nicht? Echt, das ist schlecht!“, erwiderte Michael grinsend und stupste ihn an. „Aber wegen der Geschichte kannste deinen Vater wohl nicht ab? Kann ich irgendwie verstehen.“ Locker wie Michael eben war, blubberten diese Worte aus seinem Mund. Doch schon Sekunden später bereute er, dass er sich nicht zurückhalten konnte. Sofort sah Thomas wieder ein wenig depressiv aus und der Glanz in seinen Augen kehrte zurück, insofern er jemals wirklich weg gewesen war. „Ich denke, er kann mich mittlerweile auch nicht mehr leiden. Immerhin versucht er mich zu meiden und will mich ja auch nicht bei sich haben“, sagte er stockend und Michael konnte ihn hart schlucken hören. „Seit ich gegenüber Daniela mal so ausgerastet bin, guckt er mich mit dem Arsch nicht mehr richtig an. Dass er gestern in mein Zimmer kam, ist ja schon fast ein Weltwunder gewesen… Aber wie du bemerkt hast, enden Gespräche von uns eh nur im Streit.“ Michael nickte. Oh ja, das hatte er bemerkt. „Die Kenntnis pocht schmerzhaft an meiner Wange“, meinte er draufgängerisch und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Kriegsverletzung. Doch Thomas schien das nicht zum Lachen zu bringen. Leise brachte er ein „Sorry“ über seine Lippen, auf welche er sogleich wieder seine Zähne versenkte. „Meine Mutter war gestern ganz schön fertig“, erzählte er dann stockend und klang betrübt. Sofort erlosch Michaels Grinsen. Kaum merklich rückte er ein wenig näher zu den kahlköpfigen Jungen. „Was hat sie gesagt?“ Thomas lachte kurz spöttisch auf. „Nicht wirklich viel. Eigentlich hat sie nur geweint“, meinte er und sagte für einen Moment nichts mehr. Die Tränen, die sich in seinen Augen angesammelt hatten, sammelten sich an der Kante der unteren Wimpern. „Es ist meine Schuld… und dabei sollte sie wegen mir nicht weinen…“ Eigentlich hätte Michael am liebsten gesagt, dass ein Nazi als Sohn schon Grund genug wäre zu weinen, doch in der Situation schien es ihm mehr als unpassend. Er sah, wie eine einzelne Träne langsam über Thomas’ Wange rollte und schluckte hart. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass Thomas Rosner fähig war, wegen etwas zu weinen. Der einen Tränen folgten langsam einige andere, doch über Thomas’ Lippen kam nicht ein Schluchzen. Michael schloss daraus, dass er versuchte, sich zusammenzureißen und sah Thomas daraufhin mitleidig an. Einen Augenblick lang beobachtete er wie die salzigen Perlen über die blasse Haut liefen, ehe sich sein Kopf zu verabschieden schien. Ohne weiter nachzudenken, rückte er ein wenig näher zu Thomas und legte sanft einen Arm um dessen Schulter. Zögernd zog er ihn näher zu sich, bis er Thomas gänzlich in seinen Armen vorfand. Zu seiner eigenen Verwunderung reagierte der Neonazi darauf in keiner Weise, weder positiv noch negativ. Er schien ein wenig perplex, aber verkrampfte sich nicht. „Ich denke nicht, dass es deine Schuld war“, sagte Michael leise und ernst. Dennoch konnte er sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, als er spürte, wie die Tränen von Thomas’ Kinn in seine Halsbeuge tröpfelten und dort kitzelten. Langsam löste sich der Neonazi von dem Punk und setzte sich wieder aufrecht hin. Seine Hände wanderten zu seinem Gesicht und wischten das feuchte Nass weg. „Scheiße, ich hab nicht mehr geheult, seit ich 14 war“, meinte er ein wenig atemlos und seine Stimme klang heiser. Michael grinste leicht. „Na, dann wurde es wohl mal wieder Zeit“, erklärte er belustigt und klopfte Thomas kräftig auf die Schulter. „In so ’ner Zeitschrift meiner Mutter stand mal, heulen täte gut.“ Ein schiefes Grinsen seitens Thomas folgte. „Ah, und deswegen heulst du jetzt zwei Mal pro Tag?“, neckte er den Kleineren und schüttelte leicht den Kopf. Gespielt empört plusterten Michaels Wangen sich auf. „Natürlich nicht“, wehrte er sich, was Thomas aber nur zum Lachen brachte. Fasziniert betrachtete Michael ihn. Er hatte Thomas noch nie offen lachen sehen. Na ja, zumindest nicht in seiner direkten Gegenwart. Oh doch, hast du… auf Klassenfeier. Er war so betrunken, dass man ihm erzählen konnte, was man wollte. Alles brachte ihn zum Lachen. Na ja, und eingekriegt hat er sich nicht mehr, als ich dann besoffen in den See gekippt bin… ah, war das peinlich… Er wurde ein wenig rot, was ihm einen erstaunten Blick von Thomas einbrachte. „Äh…, nichts“, wehrte er ab und kratze sich verlegen an einer seiner kahlen Stellen. Sein Haar hatte er heute nicht gestylt und so hing sein Iro einfach über seine rechte Kopfhälfte. „Ich denke, ich geh dann mal“, meinte Thomas plötzlich und stand auf. Michael nickte und erhob sich ebenfalls. Gemeinsam gingen sie runter zur Haustür und sagten kein Wort, ehe Thomas sich noch einmal umdrehte. „Danke“, meinte er einfach nur, klang aber ernst. „Wofür?“ „Dafür, dass du meine Entschuldigung angenommen hast“, erklärte Thomas und seine Mundwinkel zuckten leicht. „…und mir zugehört hast.“ Michael lächelte. „Ach so, kein Ding“, erwiderte er und nickte. „Ach ja“, meinte Thomas, als hätte er was vergessen und ging zu seinem Wagen. Verwirrt sah Michael ihm nach und blickte wohl noch konfuser drein, als Thomas noch mal zurückkam und ihm eine CD in die Hand drückte. Nazi-Propaganda?, fragte er sich sofort skeptisch, sah dann aber auf die CD-Hülle in seiner Hand. Seine Augenbrauen zogen sich hoch und seine Augen weiteten sich, als er erkannte, dass es das Computerspiel war, das er gestern in Thomas’ Schublade gesehen und interessant gefunden hatte. „Nur geliehen“, meinte Thomas überflüssiger Weise. „Und ich sag dir eins, Pleske: Wenn da auch nur ein Kratzer drauf ist, brech ich dir alle Knochen.“ „Schon klar“, erwiderte Michael und blickte von der Hülle zu Thomas auf. „Aber wie kommst du da drauf, dass die bei mir kaputt gehen könnte?“ „Ich hab dein Zimmer gesehen“, begründete Thomas seine Behauptung schlicht und begab sich zu seinem Wagen, wo er die Fahrertür öffnete und sich dann noch mal umdrehte. „Das solltest du mal aufräumen…“ Mit diesem Worten stieg er in seinen Wangen und startete diesen. Mit einem leichten Schmollmund sah Michael Thomas hinterher, als dieser aus der Ausfahrt fuhr und schloss dann die Haustür von innen. „Unverschämtheit“, murmelte er leise, als er die Treppen wieder hinauf ging. „Nur wegen den Shirts auf den Boden und den CDs, die so neben der Anlage rumfliegen.“ Verdrießlich setzte er sich an seinen Schreibtisch und startete seinen PC. Er wusste ja, dass Thomas bezüglich seines Zimmers Recht hatte, aber das musste man ja nicht so zeigen. Sein Blick glitt auf die CD in seinen Händen und er musste leicht grinsen. Der kann ja richtig menschlich sein, stellte er glorreich fest und lehnte sich gedankenverloren zurück. TBC So, das war's; das fünfte Kapitel ^^ Ich denke, man hat mal eine andere Seite von Thomas gesehen. Die verletztliche Seite von jemanden, der nach außen hin sonst immer kühl wirkt. Die Erfahrungen von seinem Vater haben sicher dazu beigetragen, dass er sich zu der Neonazi-Szene hingezogen gefühlt hat. Nichts desto trotz wächst die Sympathie und das Vertrauen zwischen den beiden in diesem Kapitel um einiges und der Hass ist schon mal aus dem Weg geräumt. Ich hoffe, es hat euch wieder gefallen. Bis zum nächsten Kapitel, Grüßchens, Motte Kapitel 6: Ein Montag mit Folgen -------------------------------- Hallöchen ^^ Ich meld mich mal wieder mit einem neuen Kapitel zurück. Gleich vorne weg möchte ich noch sagen, dass es sein könnte, dass es demnächst nicht mehr ganz so "flüssig" mit SW läuft. Denn in zwei Wochen beginne ich zu arbeiten und deswegen werd ich theoretisch nur noch am WE Zeit haben zu schreiben und auch da möchte ich nicht den ganzen Tag am PC verplanen, wenn ich meine Freunde eh nicht mehr nach belieben besuchen kann xD Ich denke, dafür habt ihr Verständnis. Schon mal 'Danke' im Vorraus ^_^ Dennoch bemüh ich mich natürlich weiter, so schnell wie möglich neue Kapitel zu schreiben. Aber jetzt könnt ihr erst mal das hier genießen: Kapitel 6: Ein Montag mit Folgen Gelangweilt sah Michael aus dem Fenster im Klassenraum. Die erste Pause war längst vergangen und nun warteten sie alle auf ihre Religionslehrerin Frau Heinrichs. Nun ja… was man so „warten“ nennen konnte. Hier und da unterhielten sich die Jugendlichen angeregt über das Wochenende – oder fragten sich wie Isabelle und Tatjana, woher der Bluterguss an seiner Wange kam. Nur im Gegensatz zu den beiden schienen alle anderen dies lautlos zu tun, doch Michael war sich sicher, dass alle mindestens einmal drüber nachgedacht hatten. Es hatte schon heute Morgen auf dem Weg zum Bus begonnen, wo alle Passanten und anderen Wartenden an der Bushaltestelle ihn sowohl schockiert, abstoßend als auch neugierig angesehen hatten. Doch im Gegensatz zu Patrick und Jan hatte es kein anderer gewagt, zu fragen, wie die Prellung entstanden sei. Er hatte ihnen jedoch nur lediglich gesagt, dass er bei Rosner gewesen war und dort nach einem leichten Schubs ungünstig gegen das Regal gefallen sei. Er hatte ihnen die Wahrheit von Thomas’ Streit mit seinem Vater nicht auftischen wollen. Dazu haftete die Erinnerung an den aufgelösten Neonazi von Samstagnachmittag immer noch zu sehr an ihm. Sie hatten es ihm natürlich nicht geglaubt, aber sie hatten auch nicht weiter nachgehakt. Und dafür war Michael ihnen sehr dankbar. In der Klasse hatten ihn dann alle ziemlich merkwürdig angesehen, doch im Gegensatz zu den beiden Vorzeige-Püppchen hatte niemand gefragt, was passiert sei. Entspannt lehnte er sich zurück. Die beiden vorangegangenen Deutschstunden waren schneller vergangen, als er gedacht hatte. Frau Herzog hatte sich beinah überschlagen vor Freude, dass er und Thomas wirklich zusammengearbeitet hatten. Ebenfalls hatte sie sich über die Analyse von Nils und Niclas gefreut, doch Michael war überzeugt, dass Nils keinen Finger gerührt und nur von Niclas abgeschrieben hatte. Obwohl, es geht um den Deutsch-Unterricht, ha, da wird er sich sicher anstrengen… oho… Zum Glück hatten sie die Analysen wenigstens nicht vor der Klasse vorstellen, sondern einfach nur abgeben müssen. Langsam drehte er sich nach hinten und blickte zu Nils, der sich angeregt mit Thomas unterhielt, welcher sich auf Nils’ Tisch gesetzt hatte. Eigentlich hätte Michael selber auch zu Patrick oder Jan gehen können, aber irgendwie hatte er daran gar nicht gedacht. Gerade als er weiter darüber rätselte, warum er noch auf seinem Platz saß, öffnete sich die Klassentür und Frau Heinrichs betrat den Raum. „Guten Morgen“, sagte sie atemlos und klang ein wenig abgehetzt. „Entschuldigen Sie meine Verspätung, aber ich hatte noch ein Gespräch mit einem Schüler wegen einer mündlichen Prüfung.“ „Man kann in Reli eine Mündliche ablegen?“, fragte Hendrik erstaunt und klang dabei ziemlich spöttisch. Für Hendrik war Religion anscheinend kein ernstzunehmendes Fach. „Natürlich kann man das, Hendrik“, erwiderte Frau Heinrichs in einem harten Ton und stellte ihre Tasche neben dem Pult ab. „Aber ich unterrichte zufälligerweise auch Geschichte, wenn auch nicht bei Ihnen.“ Michael konnte Hendrik, der ja nahezu in einer Nähe saß, leise murmeln hören: „Na, was ein Glück…“ Ein wenig genervt hob Michael die Augenbrauen und drehte sich wieder nach vorne. Irgendwie interessierte ihn das ständige Beschweren über Lehrer reichlich wenig. „Wenn ich jetzt Herrn Rosner und Frau Blümer wieder auf ihre Plätze bitten dürfte“, meinte sie streng und blickte zu Thomas und Isabelle. Während Thomas ziemlich wenig Reaktion zeigte und sich einfach zurück auf seinen Platz neben Michael begab, riss Isabelle pikiert die Augen auf und ließ ein leises „Tze“ ertönen, ehe sie zurück zu ihrem Stuhl neben Carsten ging. Das Klacken ihrer Schuhe erfüllte die ansonsten so stille Klasse. Da ihr Platz vor Michael lag, blickte sie noch einmal auf ihn und Thomas, ehe sie dem jungen Neonazi zuzwinkerte. Anscheinend war sie immer noch wie gefangen von seinen engen Hosen und seinem tollen Körper, ebenso wie ihre Freundin Tatjana. Bei Thomas konnte Michael das ja auch gerade so eben noch verstehen, auch wenn er nicht wusste, was man an einem Neonazi finden konnte. Jedoch fragte er sich ernsthaft, was Tatjana und Isabelle dazu animierte, auch Nils toll zu finden. Anscheinend waren sie noch oberflächlicher als Michael gedacht hatte, wenn es bei ihnen nur um den Körper des Jungen gehen. Wahrscheinlich bin ich da schon ausrangiert, dachte Michael amüsiert und blickte an sich runter. Er war wirklich nicht sonderlich muskulös, eigentlich gar nicht. Wenn er sich streckte, zeichneten sich die Bauchmuskeln unter seiner Haut ab, aber eher, weil er so schlank war und nicht weil er übermäßig trainiert war. Da er aber früher mal angefangen hatte, Schlagzeug zu spielen, waren seine Arme noch relativ trainiert. Alles in allem war sein Körper durchschnittlich, nicht zu muskulös und nicht zu dürr, sondern eben einfach nur schlank. Aber er war zufrieden damit und seine Exfreundinnen waren es auch gewesen. „Es hat sich jedenfalls noch keiner beschwert…“ Langsam nickte er tief in Gedanken sich selbst zu, als er merkte, wie Thomas ihn verwirrt ansah. „Wobei hat sich keiner beschwert?“, fragte dieser erstaunt und Michael wurde schlagartig klar, dass er die Worte ausgesprochen haben musste, anstatt sie zu denken. Er war froh, dass seine Wange schon so blau-violett war, dass ein zarter Rotschimmer dabei sicher nicht auffallen würde. „Ähm, über meinen Körper“, meinte Michael dann wahrheitsgemäß, als ihm spontan keine andere Antwort einfiel. Fragend zog Thomas die Augenbrauen hoch und betrachtete den Punk vor sich skeptisch. Sein Blick glitt kurz über Michaels Körper, ehe er mit den Schultern zuckte. „Aha“, sagte er dann desinteressiert und wandte sich wieder nach vorne. Ein wenig irritiert blickte Michael weiter zu Thomas; ließ seine Augen über die gradlinigen Gesichtszüge seines Sitznachbarn wandern. Die hohen Wangenknochen ließen das Gesicht schmal wirken, während die rundliche und ebene Kopfform eine Glatze durchaus tragbar machte. Michael hatte schon viele Neonazis mit so genannten „Huckeln“ – also unebenen Kopfstellen – gesehen, die dadurch richtig entstellt aussahen. Kurz schnellte die Zunge über die vollen, leicht rötlichen Lippen, um diese in einem eher instinktiven Akt zu befeuchten. Michael fühlte, wie ein kaum spürbares Kribbeln seinen Magen einnahm, je länger er Thomas betrachtete. Ein wenig aufgeschrocken drehte er sich tief einamtend wieder nach vorne. Ach, mach dich nicht verrückt, Michi… so was ist doch normal, wenn man einen Menschen das erste Mal richtig betrachtet… Sich selbst wieder aufbauend, versuchte er sich auf Frau Heinrichs und ihre Worte zu konzentrieren, um wieder in den Unterrichtsstoff zu finden. Anscheinend ging es um das Leben nach dem Tod. „Viele Menschen glauben daran, dass gute Seelen zu Engeln werden, wenn sie im irdischen Leben gute Taten vollbracht haben“, erklärte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. „Also ich persönlich finde das eine sehr schöne Vorstellung. Was genau mit der Seele eines Menschen passiert, wenn er stirbt, wird man wahrscheinlich niemals herausfinden können. Immerhin kann es uns keiner mehr sagen. Und ich denke, das ist auch besser so. Denn so bleibt jedem selbst die Vorstellung überlassen, was nach dem Tod passiert…“ Sie sah ein wenig verträumt aus und Michael fragte sich, ob vor Frau Heinrichs’ innerem Auge gerade ein paar Engel tanzten. „Also wenn wir einmal Engel sind“, begann sie und ihr Lächeln wurde ein wenig breiter. „…dann ficken wir in Frieden“, führte Thomas den Satz weiter, ehe Frau Heinrichs etwas sagen konnte. Sein Ton war so dröge gewesen, dass Michael sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. Er sah nach links und merkte, wie Thomas’ Mundwinkel ein wenig zuckten, ehe ein verärgerter Laut alle wieder nach vorne blicken ließ. „Thomas Rosner“, zischte Frau Heinrichs wütend und stemmte die Hände in die Hüften. „Wagen Sie es nicht noch mal, meinen Unterricht mit derart minderwertigen Kommentaren zu stören. Sie sind wirklich unverschämt.“ Thomas’ Mundwinkel hoben sich noch ein wenig mehr in die Höhe und zuckten weiter, sodass Michael darauf schloss, dass Thomas gerade ein wirklich breites Grinsen unterdrückte. „Schon klar, Frau Heinrichs“, meinte er mit leicht heiserer Stimme, während die Klasse anfing zu kichern. „Nur ich mein, als Engel hat man ja auch einen Körper, oder nicht?“ „Das weiß man nicht, Thomas, aber nach den meisten Vorstellungen schon“, erklärte Frau Heinrichs und Thomas biss sich auf die Lippen. „Ja, und wenn man einen Körper hat, dann kann man doch auch Sex haben“, erwiderte Thomas daraufhin und lehnte sich in seinem Stuhl noch ein wenig weiter zurück. Das Grinsen konnte er sich mittlerweile nicht mehr verkneifen. „Also man merkt wirklich, dass Sie ein Mann sind“, sagte Frau Heinrichs plötzlich resignierend, was Thomas noch breiter grinsen ließ. „Danke sehr“, meinte er ein bisschen verspielt und griff sich mit einem bedeutsamen Blick in den Schritt, ehe er leise anfing zu lachen. Grinsend schüttelte Michael den Kopf, ehe er Thomas kumpelhaft anstupste und sich zu ihm rüberbeugte. „Du machst die Arme ja ganz fertig“, flüsterte er amüsiert in Thomas’ Ohr. Dieser drehte sich zu ihm und sah ihn überrascht an. „Das ist mein Job“, sagte er dann überzeugt und begann gleich darauf, wieder zu lachen. Ein Blick aus den Augenwinkeln nach hinten, ließ Michael bemerken, dass Nils sie aufmerksam beobachtete. In dem Blick des älteren Neonazis lag Skepsis, ein wenig Sorge und komischerweise auch leichte Wut. Anscheinend passte es ihm nicht, dass sein Kamerad sich mit einem Punk amüsierte und unterhielt. Mit einem leicht mulmigen Gefühl wandte Michael sich wieder nach vorne und vergaß für einen Moment die grinsende und teilweise lachende Klasse um sich herum. Nils’ Blick gefiel ihm nicht wirklich, doch ein Blick auf seine eigenen Freunde zeigte ihm, dass auch diese ihn zumindest skeptisch ansahen. Vielleicht war das ja auch natürlich. Immerhin waren er und Thomas unterschiedlicher als es kaum sein könnte. Ein Kontrast wie Schwarz und Weiß. Der Rest der Religionsstunde ging schneller um, als Michael gedacht hatte. Richtiger Unterricht war nicht mehr möglich gewesen und nachher hatte auch Frau Heinrichs sich wieder besänftigen lassen und sich mit Lena und Carsten unterhalten. Und nun warteten sie alle auf Herr Jansen, ihren Kunstlehrer. Normalerweise hätten sie dazu in den Kunstraum gemusst, doch da sie momentan nur die Geschichte der Kunst bearbeiteten, konnten sie in ihrem Klassenraum bleiben. Ein wenig gelangweilt sah Michael einer erneuten Stunde mit Leonardo da Vinci und seinen Flugmaschinen-Entwürfen entgegen, als plötzlich Frau Vogt, ihre Klassen- und Mathelehrerin die Tür öffnete und den Raum betrat. „Guten Morgen“, begrüßte sie die Schüler, was Michael sehr sinnlos fand, da ihr erstens anscheinend eh kaum einer zuhörte und es zweitens in der vierten Stunde schon längst kein Morgen mehr war. Ein wenig genervt sah Frau Vogt durch die Klasse und wartete, bis sich alle beruhigt hatten, was bei ihr allerdings meistens nicht lange dauerte. „Nun, Herr Jansen musste kurzzeitig weg, also werde ich ihn vertreten“, erklärte sie kurz ihre Anwesenheit und lehnte sich gegen den Rand des Pults. „Da ich mich nie sonderlich mit Kunst befasst habe, dachte ich, wir nutzen die Stunde, um mal etwas über die Klassengemeinschaft zu reden. Dann geht wenigstens mein Matheunterricht nicht dabei drauf.“ Der ein oder andere musste leicht schmunzeln, als Frau Vogt über ihren ausgetüftelten Plan breit grinste. „Nun, wie ich gehört habe, benehmt ihr euch jetzt besser“, begann sie mit zufriedenem Blick. „Anscheinend hat es doch etwas gebracht, dass ich diverse Leute auseinander gesetzt habe.“ Sie wirkte ein wenig stolz, dass ihr Plan aufgegangen war. Aber Michael musste ihr zustimmen. Seit der neuen Sitzordnung war es wirklich ein wenig ruhiger geworden und es gab nicht mehr so viele Sticheleien und Pöbeleien in der Klasse. Und außerdem hatte er Thomas seitdem besser kennen gelernt und musste zugeben, dass dieser ihm gar nicht mal mehr so unsympathisch war. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen, sodass der Ring, der durch seine Unterlippe gestochen war, sich ein wenig bewegte. Sein Hals fühlte sich plötzlich merkwürdig kratzig an. Leise räusperte er sich und spürte, wie seine Wangen ein wenig wärmer wurden. Scheiße, jetzt wirst du auch noch rot… In seinem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus, als er peinlich berührt zu Boden sah. Nur mit Mühe konzentrierte er sich wieder auf die Worte von Frau Vogt, die über irgendwas zur Stärkung der Gemeinschaft redete und versuchte dem Verlangen zu widerstehen, kurz zu Thomas zu sehen. „Also ich fände es toll, wenn die Leute hier mehr zusammenhalten würden und die Klasse in weniger Gruppen eingeteilt wäre. Natürlich bin ich mir sicher, dass einige Gruppen nie in ihrer Freizeit befreundet sein könnten und das verlange ich ja auch gar nicht“, erzählte Frau Vogt mit ihrer eindringlichen, starken Stimme. „Aber ich fände es schon schön, wenn zumindest in der Klasse selber die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Hilfe gesteigert würde und das Klima einfach besser werden würde… Hat jemand einen Vorschlag?“ Für einen kurzen Moment herrschte Stille in der Klasse und Michael hoffte, dass jemand bald etwas sagte, bevor er sich wieder ablenken ließ und doch noch zu seinem Sitznachbarn blicken musste. So langsam fragte er sich wirklich, was mit ihm los war. Doch die Erlösung kam in Form von Marco, welcher sich meldete und sogleich von einer erfreuten Frau Vogt drangenommen wurde. „Wie wäre es mit einer Klassenfeier?“, schlug er vor und sofort erfolgten leise Zustimmungen. „Ich meine, wir könnten ja zwei-drei Lehrer mitnehmen, damit wirklich keiner ausgeschlossen wird und auch alle kommen.“ „Eine gute Idee“, lobte Frau Vogt Marcos Vorschlag und schien wirklich sehr angetan davon zu sein. Auch Michael hielt es für eine gute Idee, denn immerhin hatten sie so etwas schon länger nicht mehr mit der Klasse gemacht. „Müssen wir die Nazis auch einladen?“, fragte Lena, auf dem vordersten Platz der linken Längsreihe saß, mit einem eindeutig ablehnenden Ton in der Stimme. Sie war bekannt dafür, dass sie mit einer Gruppe von Antifaschisten rumhing und hatte schon immer Probleme mit Thomas und Nils gehabt. Jedoch hatte sie sich im Gegensatz zu Michael und seinen Freunden nie so offen mit den beiden Neonazis angelegt. „Sag mal, hast du ’nen Problem?“, blaffe Thomas Lena an, bevor Frau Vogt etwas dazu sagen konnte und Michael blickte nun doch zu seinem Sitznachbar. Dieser fixierte Lena feindselig und Michael konnte hören, wie er mit den Zähnen knirschte. Hinter ihnen war Nils’ Gesicht wutverzerrt und seine Hände zu Fäusten geballt. „Ruhe, alle beide!“, forderte Frau Vogt Lena und Thomas sofort zur Raison auf und schüttelte den Kopf. „Lena, Sie werden wohl damit leben müssen, dass die beiden ein Teil dieser Klasse sind und auf einer Feier ebenso anwesend sein sollten, wie Sie auch.“ „Schon klar“, meinte Lena leise, doch man konnte ihr den unterdrückten Ärger eindeutig ansehen. Michael konnte sie durchaus verstehen. Rein von der Einstellung her, war er auch dagegen, dass Thomas und Nils auf die Party kommen würden, doch solange es keine Raufereien geben würde, war ihm das andererseits auch wieder egal. Mit zuckenden Schultern beugte er sich nach unten, um die Cola-Flasche aus seinem Army-Rucksack zu ziehen, welcher unter seinem Tisch stand. „Aber Michael, Patrick und Jan hatten sonst auch immer etwas dagegen“, versuchte Lena erneut die Aufmerksamkeit der Klassenlehrerin zu bekommen. „Und nur weil Michael jetzt neben Rosner sitzt und total verweichlicht-“ Weiter hörte Michael ihr nicht zu; er hatte bereits genug gehört. Tief sog er Luft ein, um Lena ein gebührendes Kontra zu geben und richtete sich wieder auf. Ein stechender Schmerz an seinem Hinterkopf machte ihm jedoch nur eine Sekunde später klar, dass er vergessen hatte, dass sich über ihm die Tischplatte befand. Leise aufkeuchend und einen gedämpften Schmerzeslaut von sich gebend, hielt er sich den Kopf. „Michael, ist mit Ihnen alles okay?“, hörte er Frau Vogts Stimme an sein Ohr dringen, doch es klang als wäre sie weit entfernt. Er hörte ihre Schritte näher kommen; wie sie in seinem Kopf widerhallten und ein leichtes Puckern auslösten; er spürte, wie die Blicke der anderen auf ihm weilten. „Thomas, jetzt sehen Sie doch wenigstens mal nach ihm“, ermahnte Frau Vogt seinen Sitznachbarn und nur wenige Sekunden später, spürte er wie sich eine Hand sachte auf seinen Rücken legte. „Hey, Pleske“, sagte Thomas leise und behutsam, jedoch eindeutig unbehaglich. „Alles okay?“ Doch zu mehr als einem geflüstertem „Aua“ und einem Kopfschütteln war Michael nicht fähig. Sein Hinterkopf tat wirklich höllisch weh. „Jetzt dreh dich doch mal zu mir, wenn ich schon mit dir rede“, forderte Thomas ihn in einem leicht harschen Ton auf. Doch als Michael sich nicht drehte, ergriff er anscheinend selber die Initiative und schob Michaels Tisch ein wenig nach vorn, ehe Michaels Kopf bestimmt nach oben zog. Die Berührung ließ ein leichtes Zucken durch Michaels Körper gleiten, während das Blut wieder in die Wangen des Punks schoss. Aber Thomas schien es entweder nicht zu stören oder nicht mal zu bemerken. „Blutest ja nicht mal“, meinte der junge Neonazi nur und lachte leise. „Also stell dich nicht so an.“ Langsam hob Michael den Kopf und sah Thomas in die Augen. „Geht es Ihnen gut, Michael? Hören und sehen Sie noch alles?“, fragte Frau Vogt erneut besorgt nach, als fürchtete sie, dass Michael eine Gehirnerschütterung erlitten hätte. Allerdings schien Michael ihr nicht wirklich zuzuhören, sondern blickte stattdessen ein wenig fasziniert in Thomas’ Augen. Noch nie hatte er sich er sich dieses Sinnesorgan von Thomas so genau angesehen, doch nun entdeckte er dass die Iris nicht nur grau war, wie angenommen, sondern sich kleine blaue Pigmente wie kleine Pünktchen auf dem grauen Untergrund verteilt hatten. Thomas’ Augen erinnerten Michael ein wenig an einen grauen Himmel, der sich langsam aufklärte, um in einem strahlenden Blau zu erscheinen. Ein leichtes Kribbeln zog durch seinen Magen, als würden ein paar Armeisen dort Polka tanzen. „Wow, du hast ja sogar blaue Augen“, hauchte er leise und seine Stimme klang hingerissen. Für einen Moment konnte er einen fragend Blick in diesen Augen sehen, was ihn aufschrecken ließ, aber das Kribbeln in seinem Bauch nicht verminderte. Thomas lächelte leicht. „Also, wenn du das bemerkt hast, Pleske“, meinte er belustigt. „Dann ist zumindest mit deinen Augen alles in bester Ordnung.“ Die Klasse lachte leise, was Michael dazu brachte, sich von Thomas abzuwenden. Beschämt blickte er auf den grauen Boden im Klassenzimmer und kaute er auf dem Nagel seines rechten Daumens. „Nun gut, da es Michael ja wieder gut zu gehen scheint, schlage ich vor, dass wir uns wieder der Klassenfeier zuwenden. Wir müssen immerhin noch einiges planen“, sagte Frau Vogt plötzlich und Michael kam es vor, als wolle sie die Klasse von ihm ablenken. Wahrscheinlich hatte sie bemerkt, wie peinlich ihm das gewesen war. Noch immer schlug sein Herz schnell gegen seine Brust und noch immer fühlte er sich beschämt. Was ist bloß in dich gefahren, Michael? Ein plötzliches Stupsen in die Rippen ließ ihn aufschrecken und zur Seite blicken. „Hey, sorry. Ich wollte dich gerade nicht so vorführen“, entschuldigte Thomas sich dafür, dass er den Punk gerade vor der Klasse bloß gestellt hatte. „Schon okay“, antwortete Michi und seufzte. „Stand gerade etwas neben mir. Bin ich selber dran Schuld.“ Überrascht sah Thomas ihn an. „Wirklich alles okay?“, fragte er ein wenig besorgt nach, doch Michael hatte mittlerweile wieder seinen Blick von ihm abgewandt und blickte stur geradeaus. Nur ein leichtes Nicken war die Reaktion des Punks. Für einen Augenblick beobachtete der Neonazi ihn noch skeptisch und sorgvoll, doch dann zuckte der mit den Schultern und wandte sich ebenfalls ab. „Also ich denke, es gibt noch einiges zu planen“, meinte Frau Vogt und blickte durch die Klasse. „Zu allererst sollten wir gucken, wann das Fest stattfinden soll.“ „Ich würde direkt das Wochenende jetzt vorschlagen“, sagte Alexandra und spielte mit einer Strähne ihrer dunkelrot getönten Haare. „Warum sollten wir das aufschieben?“ Erneut schien die Klasse sich einig zu sein. „Wie wäre es, wenn wir grillen?“, schlug Jens vor. „Das Wetter ist ideal. Wir könnten das am Baggersee machen, das ist doch ein klasse Ort!“ Auch dieser Vorschlag erhielt schnell Zustimmung und so befand die Klasse sich schon bald in reger Planungsstimmung. TBC So, das war's ^_^ Hoffe, es hat wieder gefallen ^^ Kommis, Lollies und Menthol-Bonbons sind immer wieder gerne erwünscht ^_~ Motte Kapitel 7: Die Klassenfeier --------------------------- Tag allerseits ^^ Sorry, dass es länger gedauert hat. Arbeiten kann echt anstrengend sein, dazu noch Hausaufgaben von der Berufsschule (=_=) und Berichte schreiben und dann will man auch irgendwie noch was anderes machen, davon abgesehen, dass ich bei dem 8. Kapitel einfach nicht weiterkomme T_T Aber egal, genießt erst einmal: Kapitel 7: Die Klassenfeier Ein lautes Stimmengewirr erfüllte den Rasenplatz am Ufer des Baggersees. Die Sonne schien noch am Himmel, senkte sich aber langsam und kündigte die Dämmerung an. Im Gras saßen zu Gruppen zusammengeschlossene Schüler im Kreis und aßen gegrilltes Fleisch auf Papptellern mit Plastikgeschirr. Die Stimmung war ausgelassen und freundlich, sodass sich selbst Leute wie Carsten oder Niclas und Jonas nicht ausgeschlossen vorkommen konnten. „Die Idee von Jens mit dem Grillen war echt gut“, meinte Marco, während er sich ein Stück von seinem Kotelett in den Mund schob. „Es schmeckt unheimlich lecker. Wer steht am Grill? Ich werde diese Person lieben!“ Michael lachte leise auf, sodass er sich fast an einem Stück Pute verschluckt hätte. Schnell nahm er seine Bierflasche in die Hand und nahm einen kräftigen Schluck. „Ich glaub, vorhin hat Mark gegrillt“, antwortete Patrick und sah ein wenig verwundert zu Michael, der immer noch hustete. Marco verzog das Gesicht. „Oh nee, dann lieb ich diese Person doch nicht“, meinte er schnell abwehrend und schüttelte sich, ehe er weiter an seinem Kotelett aß. Jan grinste schief. „Natürlich, das solltest du auch nicht“, sagte er in einem weisen Tonfall. „Sonst nimmt er dich noch für voll und bespringt dich, um dir zu zeigen, was für ein Hengst er ist!“ „Oh ja, so oft wie Jan schon mit Mark zusammengearbeitet hat, hat er da seine besten Erfahrungen“, witzelte Patrick und stupste Jan neckend in die Seite. Für einen kurzen Augenblick sah Jan Patrick ein wenig schmollend an, stieg dann aber auf den Witz ein. Mit den Augenbrauen wackelnd leckte er sich über die Lippen. „Klar doch, der hat’s mir besorgt, das glaubt ihr gar nicht“, hauchte er erotisch und guckte gespielt verträumt. „Stimmt, das glauben wir bei Oberweichpflaume Mark wirklich nicht“, erwiderte Alexandra lachend und lehnte sich ein wenig an Michael, der nun endlich aufgehört hatte, zu husten. „Aber er ist doch sicher der Oberhammer im Bett“, gab dann auch ihre beste Freundin Jessica hinzu und band ihre schwarzen Haare zu einem Zopf. „Predigt er zumindest immer.“ Jan blickte sie zugleich interessiert, aber auch enttäuscht an. „Ach, und ich dachte, du sprichst aus Erfahrung, Jessi-Baby.“ Sie lachte leise auf, beugte sich dann aber zu ihm rüber und hielt ihm ihre Gabel, auf der ein wenig Salat aufgepiekst war, hin. Grinsend ließ er sich von ihr füttern. „Ach, Jan-Schätzchen“, begann sie und kniff ihm beherzt in die Wange, was Jan ein wenig leidvoll gucken, Michael und Patrick aber auflachen ließ. „Ich gehör doch nur dir.“ „Gut zu wissen“, meinte Jan, während er sich seine Wange rieb. „Dass du mir bloß nicht fremdflirtest.“ Michael und Patrick grinsten ein wenig schief. Zwischen Jan und Jessica ging das schon so, seit sie dieses Schuljahr in eine Klasse gekommen waren. Wenn man also bedachte, dass es bereits Ende Mai war und im August die Sommerferien beginnen würden, lief dieses Spaß-Flirten schon fast ein Jahr so. Jeder, der die beiden gut kannte, wusste, dass es nichts Ernstes war und die beiden sich einfach nur gut verstanden. Sie nutzten es eben aus, beide Singles zu sein und mochten sich eben gern. Manche Menschen in der Klasse schienen das aber noch nicht verstanden zu haben, wie z.B. Mark und Tatjana, die zwischendurch mal über die nicht vorhandene, angebliche Beziehung gelästert hatten. Doch selbst die beiden Neonazis in der Klasse hatten schon nach wenigen Wochen gemerkt, dass es zwischen den beiden nicht mehr als Freundschaft gab. Immerhin hatten sie ja auch mit ihnen in der letzten Reihe gesessen. „Ah, ich muss Frau Vogt noch danken, dass mein Jan-Schätzchen jetzt endlich neben mir sitzt“, meinte Jessica überschwänglich und lachte, was Jan erneut mit den Augenbrauen wackeln ließ. Michael grinste ein wenig. Er konnte sich immer noch nicht recht daran gewöhnen, dass Jan nun zwischen Jessica und Marco saß, obwohl er sich dafür umso bewusster war, dass er selber nicht mehr in der letzten Reihe sondern im Mittelblock neben Thomas Rosner saß und außer diesem keine wirklichen Gesprächsalternativen hatte. Oh, ich könnte ja mal ein tolles Gespräch mit Isabelle vor mir über… über Brustvergrößerungen führen. Oh ja, das ist sicher ein Thema, das sie sehr beschäftigt. Noch während er diesen negativen Gedankengängen nachging, hatte er sich unbewusst zu Thomas gedreht. Dieser saß mit Nils Rücken an Rücken zu Anna und Annelie und unterhielt sich mit Jens, während Nils sich anscheinend wieder Tatjanas und Isabelles Umgarnungen hingab. Genervt verdrehte Michael die Augen. Meinte er das nur, oder schmachteten die beiden die zwei Nazis gleichzeitig an? Konnten die sich das nicht gerecht aufteilen und jede einen nehmen? Oder am besten beide nur Nils, so wie jetzt? Michael konnte sich nicht helfen, aber irgendwie bescherte ihm der Gedanke, dass Isabelle und Tatjana Thomas in Ruhe lassen würden, eine innerliche Befriedigung. Kann mir das nicht eigentlich egal sein? Eigentlich, ja, eigentlich, konnte es ihm wirklich egal sein, doch das war es nicht. Er musste zugeben, dass es ihn schon ein wenig wütend machte, wenn eine der beiden arroganten Mädchen mit Thomas flirtete. Das liegt sicher nur daran, dass du die beiden nervtötend findest und sie nicht leiden kannst, redete er sich beruhigend ein und versuchte seine vorherigen Gedanken zu verdrängen. Mit einem leichten Schreck bemerkte er, wie er immer noch zu Thomas schaute und dieser sich gerade umdrehte und seinen Blick traf. Für einen kurzen Moment kam sich Michael vor, als wäre er zur Salzsäule erstarrt, doch dann fanden seine Mundwinkel wie von allein den Weg nach oben. Er wusste nicht warum, aber irgendwas an dem jungen Neonazi brachte ihn zum Lächeln. Dieser sah ihn für einen Moment erstaunt an, lächelte dann jedoch zaghaft zurück. Ein leichtes Kribbeln machte sich in Michis Bauch breit, auch wenn Thomas sich schon längst wieder abgewendet hatte. Immer noch lächelnd, war sein Blick starr auf den Rücken des Neonazis gerichtet, ehe er kräftig seinen Kopf schüttelte um sich wieder zu besinnen. „Sag mal, Patty“, richtete er sich an einen seiner besten Freunde, um sich abzulenken. „Wie geht’s eigentlich Lara so?“ Es war immer gut, Patrick auf Lara anzusprechen, denn insofern sie gerade keinen Stress miteinander hatten, konnte man damit bei Patrick immer ein gutes Gesprächsthema erzielen. Mit leicht gerunzelter Stirn und verwirrtem Blick sah Thomas auf die Bierflasche in seiner Hand. Unbewusst biss er sich auf die Unterlippe. Ein wenig verwundert hatte es ihn schon, dass Michael ihn gerade so angestarrt und ihm zugelächelt hatte. Sicherlich wollte er nur nett sein, nachdem er ihm die Geschichte mit seinem Vater erzählt hatte, aber dennoch wunderte Thomas die Tatsache, dass Michael plötzlich so freundlich zu ihm war. Immerhin war er nie sonderlich nett zu ihm gewesen und Michael hatte durch ihn schon einige Veilchen und andere Blutergüsse kassieren müssen. Es war eben diese grundsätzliche Verabscheuung zwischen Neonazis und Punks, die eher prinzipiell als persönlich war. Doch Thomas konnte nicht leugnen, dass es ihm mittlerweile irgendwie Leid tat, Michael so lädiert zu haben. Früher hätte es ihn wahrscheinlich nicht gestört, da er selber auch genug Prügel von Punks und Antifa eingesteckt hatte, doch seit er Michael besser kannte und bemerkt hatte, dass dieser eigentlich… ja, eigentlich… was? Nett sein konnte?, fragte Thomas sich in Gedanken und vertiefte seine Zähne noch mehr in die rosige Haut seiner Lippen; hinterließ dort weißliche Striemen. Eigentlich war ihm doch schon vorher klar gewesen, dass Michael nicht gerade ein schlechter Mensch war. Immerhin hatte er schon gesehen, wie der gleichaltrige Punk anderen Leuten geholfen hatte, auch wenn es nicht seine Freunde gewesen waren. Vielleicht verwunderte Thomas es ja auch nur, dass Michael plötzlich so nett zu ihm war. Normalerweise hatten sie sich gehasst und verachtet, auch wenn sie einander nicht sonderlich gut gekannt hatten. Doch durch die neue Sitzordnung und das Treffen wegen den Deutschhausaufgaben kannte er Michael nun besser und musste zugeben, dass der Punk schon einen ganz guten Kumpel abgeben konnte. Was denk ich eigentlich da?, fragte er sich selber verdutzt und schüttelte den Kopf. Er war Neonazi und Michael war Punk. Sie waren einfach zu unterschiedlich in ihrer Einstellung, als dass sie jemals irgendeine zwischenmenschliche Beziehung haben könnten. Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und zuckte mit den Schultern. Er sollte aufhören sich darüber Gedanken zu machen. Das Meiste klärte sich ja doch von selbst und Michael war nun mal nur sein Sitznachbar, wenn auch ein durchaus netter. Er blickte zu Jens, welcher sich schon länger von ihm abgewandt hatte und sich nun mit Hendrik über Tennis unterhielt. Ebenso wie die beiden schenkte auch Nils ihm nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit und schien weiter die Anzüglichkeiten von Tatjana und Isabelle zu genießen. Was Nils daran so toll fand, war Thomas ein wirkliches Rätsel. Er mochte weder Isabelle noch Tatjana sonderlich gern. Sie waren wie kleine Modelle in einem Schaufenster und wirkten dabei noch ziemlich billig. Kopfschüttelnd stand er auf und stieß dabei an Annelie, welche dadurch ein wenig nach vorne schwankte. „’Tschuldigung“, sagte er daraufhin instinktiv und leise und ging einen Schritt vorwärts, um beim Strecken nicht auch noch jemand anders zu treffen. Langsam lief er über das Gras, bis hin zu den Bierkästen, die in der Nähe von Marco und Florian standen. Ein leichtes Lächeln zog sich auf seine Lippen, als er an Michael vorbeikam, welcher sich mit Patrick unterhielt. Langsam ging er an Florian, der direkt an dem Bierkasten lehnte und genüsslich an einer Flasche nuckelte, vorbei und zog selber eine der braunen Pullen aus dem Kasten. „Na ja, jedenfalls hat England ihr gut gefallen und sie würde gerne in den Ferien noch mal hin“, erzählte Patrick mit einem leichten Seufzen. „Einerseits hoffe ich ja, dass sie mich mitnimmt, aber andererseits würde ich mich sicher mit meinen Englischqualitäten blamieren.“ Michael lachte leise und winkte ab. „Ach, das ist Lara doch gewöhnt“, stichelte er und stupste Patrick freundschaftlich an, ehe er sich wieder aufrichtete und ein wenig erstarrte. Sein Blick fiel auf Thomas, der sich gerade zu einem der Bierkästen runterbeugte und eine Flasche raus zog. „Is doch sexy“, sagte Michael abwesen, ohne wirklich mitbekommen zu haben, was Patrick gesagt hatte. Dieser blickte ihn skeptisch an. „Was findest du daran sexy, wenn Lara die Wohnung ihrer Oma putzt?“, fragte er verwundert und zog die Augenbrauen hoch. Michael schrak aus seinen Tagträumen auf und blickte Patrick ein wenig verdattert an. Oh je… da ab ich wohl mal wieder nicht richtig zugehört! Er räusperte sich leise und grinste Patrick schief an. „Ähm, Pat, das war doch nur ein Scherz“, meinte er schnell abwehrend. „Aber mal ganz ehrlich. Ein wenig sexy fändest du es doch auch, wenn du auf dem Sofa sitzen würdest und sie putzt vor deiner Nase und bückt sich dabei.“ Fast schon hätte er sich selber auf die Schulter klopfen können, als seine Ausrede Wirkung zeigte und Patrick zum Schmunzeln brachte. „Was glaubst du, warum ich sie immer mein Zimmer putzen lassen will“, sagte Patrick lachend und stützte sich auf seine beiden Arme. „Schade nur, dass sie nicht will.“ „Sie hat dich sicher durchschaut“, beteiligte sich nun auch Jan an dem Gespräch. Mittlerweile lag er mit dem Kopf auf Jessicas Schoß, welche sich mit Marco unterhielt und versuchte, ihre Haare zu retten, da Jan zwischenzeitlich immer mal wieder mit seinem Feuerzeug spielte. „Ich glaub auch“, stimmte Patrick Jans Einwurf zu und zog eine Schnute. „Und dabei würd’ das so ’nen Pepp in unser Sexleben bringen!“ Michael und Jan lachten auf. „Ich wusste gar nicht, dass ihr euch nach einem Jahr schon anödet“, meinte Jan lachend und setzte sich auf, was Jessica mit einem Blick auf ihre Haare dankbar quittierte. Während Patrick auf Jans frechen Kommentar antwortete, hatte Michael sich schon längst wieder abgewendet und blickte zu Thomas, welcher sich anscheinend gerade mit Florian unterhielt. Obwohl Florian ein Skater war und auf Musik wie Green Day stand, war es ein nicht ganz so ungewöhnliches Bild die beiden reden zu sehen. Immerhin hatten sie beinah ein Jahr nebeneinander gesessen, wenn meist auch schweigend. Michael lächelte ein wenig, als Thomas wegen irgendetwas, das Florian gesagt hatte, lachen musste. Die beiden blickten kurz in Richtung Nils, Isabelle und Tatjana und Michael war sich sicher, dass die beiden über die Mädchen geredet hatten. Tatjana und Isabelle waren auch bei Florian und Marco nicht sonderlich beliebt. Ein gewisses Gefühl der Erleichterung und Befriedigung beschlich Michael, als er die Tatsache erkannte, dass auch Thomas sich nicht sonderlich für die beiden Mädchen erwärmen konnte. Zögerlich rappelte er sich auf. Jan und Patrick waren mittlerweile viel zu vertieft in ihr kleines Spaß-Gezanke, dass sie gar nicht bemerkten, wie Michael sich von ihnen entfernte und in die Richtung von Thomas und Florian ging. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich Thomas, als er Michael näher kommen sah. Zum einen freute es ihn irgendwie, dass der Punk sich zu ihm gesellte und zum anderen machte dessen Nähe ihn irgendwie nervös. Thomas wusste nicht, welches der beiden Gefühle ihn mehr verwunderte. Als Michael schließlich neben ihm stand und sich ein Bier aus dem Kasten nahm, spürte Thomas wie sich ein kleiner Kloß in seinem Hals bildete. „Na, erwisch ich euch hier bei Lästereien über Tatjana und Isabelle?“, fragte Michael frei heraus und Thomas musste zugeben, dass er es ein wenig bewunderte, wie der Punk sich einfach so in Gespräche einmischte. „Ja, wir redeten gerade darüber, wie unausstehlich sie sind und dass Thomas meint, Isabelle hätte sicher was an ihrer Nase machen lassen“, erklärte Florian lachend und reichte Michael einen Bieröffner. „Ach, ist doch wahr“, murmelte Thomas ein wenig verlegen und nahm einen Schluck aus seinem Bier. „Guckt euch ihre Nase doch mal auf alten Klassenfotos an. Das sieht doch jeder Mensch, dass da was anders ist.“ Florian schüttelte den Kopf, während Michael weiter schwieg. „Hey, ich glaub, das sieht man nur, wenn man Isabelle ganz genau betrachtet!“, warf Florian ein und lachte erneut auf. „Vielleicht stehst du ja doch auf sie, Thomas!“ Der Angesprochene verzog leicht das Gesicht, sah aber aus den Augenwinkeln, wie Michael sich auf sein Unterlippenpiercing biss und ein wenig getroffen drein sah. Thomas wusste nicht warum, aber irgendwie bescherte ihm der Anblick ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. „Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, Florian“, entgegnete er dann kühl und drehte sich um, ehe er gemächlich zurück zu Nils lief. Es war bereits ca. 23.20 Uhr und dunkel geworden. Dennoch war bis jetzt jeder geblieben, auch wenn einige Gesichter zogen, als überlegten sie, ob es nicht doch Zeit war, nach Hause zu gehen. Die meisten hatten sich dicht um das Lagerfeuer versammelt und tranken etwas oder aßen Brot. Trotz der späten Stunde war es noch relativ warm, sodass es die meisten Jungen auch noch in ihren T-Shirts und Tops aushielten. Einige Mädchen hatten sich Zipper oder leichte Pullover übergezogen, aber die Stimmung war immer noch ausgelassen. Jan saß mit Marco und Alexandra am Lagerfeuer und erzählte irgendetwas über die Stiefmütterchen im Garten seiner Großmutter, was Marco und Alexandra stetig zum Lachen brachte. Das lag sowohl an dem Lallen in Jans Stimme, als auch an dem Unsinn, den der junge Punk über die Blumen redete. Im betrunkenen Zustand war Jan immer schon noch lustiger gewesen, als im nüchternen. Patrick hatte sich derweil gegen einen Baumstamm gelehnt; die Bierflasche in der einen und die Zigarette in der anderen Hand. Michael lehnte an seiner Schulter und nahm abwechselnd einen Zug seiner eigenen Kippe und einen Schluck von Patricks Bier, während dieser mit dem noch nüchternen David über den Sinn des Lebens philosophierte. David schien es anscheinend amüsant zu finden, was Patrick im angetrunkenen Zustand vor sich hinbrabbelte. Zumindest konnte er im Gegensatz zu Jan sogar noch Kopfrechnen, wie David kurze Zeit später rausfand. Patrick war unter den Punks eh noch der Nüchternste. Lediglich angetrunken und etwas stark beschwipst war er, während Jan und Michael schon nicht mehr wirklich zurechnungsfähig waren. Zumindest Jan auf keinen Fall mehr. Michael war wohl durch seine leichte Betrunkenheit und durch seine wachsende geistliche Abwesenheit, ebenfalls in den Verdacht gerutscht, vollkommen dicht zu sein. Nun, ein wenig hacke war er wirklich schon, aber noch lange nicht betrunken genug, um nicht mehr zu Thomas blicken und über diesen nachdenken zu können. Der junge Neonazi lag auf dem Rasen, seinen Kopf an einen Bierkasten gelehnt und blickte in das knackende Lagerfeuer. Ein leichtes Grinsen schlich sich auf Michaels runde Lippen, ehe er wankend aufstand und sich auf dem Weg zu dem Lagerfeuer machte. Das Laufen stellte sich als schwerer raus, als gedacht. Doch mit Mühe und Not schaffte Michael es schließlich doch ein wenig schaukelnd bis zu Thomas und ließ sich neben diesem ins Gras plumpsen. „Hey du“, sagte er mit einem leichten Hicksen in der Stimme und grinste schief auf Thomas runter, welcher ihn daraufhin einige Sekunden später verwirrt ansah. Anscheinend brauchte er einen Moment zu verstehen, dass ihn jemand angesprochen hatte. Auch er hatte sich einige Bierchen zu viel an diesem Abend gegönnt und lag seitdem leicht benommen im Gras, während Nils irgendwie samt Tatjana verschwunden war. „Oh… Mischael…“, lallte er leise und schenkte dem Punk ein kurzes, schwaches Grinsen, ehe er wieder zu seiner Bierflasche griff und einen weiteren Schluck nahm. „Thomas, wo bist du denn?“, ertönte plötzlich hinter ihnen eine Stimme und Isabelle tauchte in ihrem Blickfeld auf. Als sie Thomas im Gras liegen sah, erhellte sich ihr Gesicht und sie ließ sich ebenso wie Michael auf Thomas’ anderer Seite nieder. Michael einen vernichtenden Blick schenkend beugte sie sich runter und versuchte sich an Thomas zu schmiegen, doch dieser schob sie ein wenig kraftlos weg. „Lassss daaas“, murmelte er wie ein kleines, unwilliges Kind. Michael sah Isabelle feindselig an, doch diese schien ihn gänzlich zu ignorieren. „Komm mit mir, Thomas“, sagte sie dann in einem anzüglichen Ton und strich mit den Fingerspitzen über die Brust des jungen Neonazis. Ein bisschen wütend schob Michael ihre Hand wie aus Reflex weg, doch sie ließ sich durch ihn nicht beirren. „Ich will dir was zeigen“, hauchte sie leise, sodass Michael sich nicht einmal sicher war, ob Thomas sie überhaupt verstanden hatte. „Lass die Mühe, Isabelle“, meinte Jessica, die gerade mit Sergej ihren Weg kreuzte. „Der ist zu betrunken, um einen hochzukriegen. Vielleicht solltest du es bei Mark versuchen.“ Ein leises, schadenfrohes Lachen entwich aus Michaels Mund, als er Jessicas Worte vernahm und Isabelles entrüstetes Gesicht sah. Manchmal war Jessica einfach zu göttlich. Ein wenig zerknirscht guckend stand Isabelle auf. Noch einmal blickte sie auf Thomas runter, welcher den Blick jedoch nicht erwiderte, sondern auf seine Bierflasche starrte. Empört ließ sie die beiden allein. Wäre Michael nicht so betrunken gewesen, hätte er sie sicher noch über sich fluchen hören. „Da…nke…“, meinte Thomas plötzlich und kicherte leise. „Weischt du… ich mag die… Isabelle nischt so…“ Michael lachte leise und nickte. „Ich… auch nicht“, murmelte er und blickte zu Thomas runter, welcher zu ihm hinaufschielte. „Pleske… ich muss sagen, du maschst disch…“, sagte er plötzlich und richtete sich schwermütig auf. Nachdem er zwei Mal beinah wieder umgekippt wäre, lehnte er sich gegen den Bierkasten und blickte zu wieder zu Michael. Sein Blick war ein wenig abwesend, was auf seine starke Betrunkenheit zurückzuführen war. „Du bischt nämlich eigentlisch voll nett…“, erklärte Thomas dann und grinste breit. Erst jetzt fiel Michael auf, dass Thomas am rechten Ohr oben am Knorpel zwei Piercinglöcher hatte, die durch einen silbernen Stab verbunden waren. Peinlicherweise war ihm das vorher nie aufgefallen. Durch Thomas’ Kommentar ein wenig beflügelt, griff Michael nach der letzten Bierflasche in dem Kasten, an dem Thomas lehnte und kratze sich an der Nase. In seinem Rausch vergaß er jedoch völlig, dass er sich heute zur Feier des Tages wieder einen Ring durch sein rechtes Nasenloch gezogen hatte, an welchem er nun hängen blieb. Jaulend hörte auf er zu kratzen und packte sich an seine puckernde Nase. „Wasch is nu los?“, fragte Thomas und klang trotz Lallens ein wenig besorgt. „Nur das Piercing“, murmelte Michael zurück. „Kennste diesen Schmerz, wenn du dran ziehst?“ Auf eine Antwort wartend blickte er auf Thomas runter, doch dieser hatte die Augen nun geschlossen und schien eher gleichmäßig zu atmen. Kurz stupste Michael ihn an, schüttelte dann jedoch den Kopf. Thomas’ Delirium hatte anscheinend sein Tribut gefordert und den jungen Neonazi einschlafen lassen. Abwesend grinsend ließ Michael sich auch zu Boden sinken. Die Stimmen seiner Klassenkameraden drangen an sein Ohr, ehe auch er die Augen schloss und versuchte, sich ebenfalls ein wenig Schlaf zu gönnen. TBC Na, ich hoffe doch mal, dass es euch gefallen hat. Über Kommis, Menthol- und Minzbonbons, so wie alles mit grünem Apfel und vielleicht ein paar West-Silver-Zigaretten freu ich mich sicher ^^ Motte Kapitel 8: Verwirrung --------------------- Moin moin ^^ Hier meldet sich Motte mal wieder mit einem neuen Kapitel xD Das Neunte ist in Arbeit, aber ich kann euch nicht versprechen, wann es fertig wird ^^" Ich wünsch euch jedenfalls erst einmal Spaß mit diesem hier: Kapitel 8: Verwirrung Als Michael am nächsten Morgen von den ersten kitzelnden Sonnenstrahlen aufwachte, war Thomas neben ihm bereits verschwunden. Mit schwerem Kopf richtete er sich auf und kniff ein wenig die Augen zusammen. Das helle Licht ließ seine Stirn merkwürdig puckern und so vermied er es, die Augen weiter zu öffnen als nötig. Anscheinend war es diese Nacht wohl doch das ein oder andere Bier zu viel gewesen. Leicht benommen richtete er sich mit einer schwankenden Bewegung auf und schaute über den Platz, an dem sie gestern fröhlich gefeiert hatten. Die meisten seiner Mitschüler, besonders die Mädchen, waren wohl irgendwann später nachts gegangen. Doch hier und da waren noch ein paar Leute zu finden, wie sie entweder schlaftrunken im Gras saßen oder liegend ihren Rausch ausschliefen. Mit einem leichten Grinsen stellte er fest, dass Jan sich irgendwann während des Schlafens an die Kühltasche ihrer Klassenlehrerin gekuschelt hatte. Mit unsicheren Schritten ging Michael auf ihn zu und stupste Jan leicht an die Nase, welche gegen die Kühltasche gelehnt war und sich eiskalt anfühlte. Zwar spendete die Kühltasche sicherlich schon länger keine Kälte mehr, wie Jans Arme bewiesen. Doch nur die Nase war anscheinend noch nicht wieder wärmer geworden. Ein weiteres Mal stupste Michael seinen Kumpel an; diesmal in die Rippen. Doch von dem Kleineren war nur ein leises Murren zu hören. „Mama, lass mich weiterschla…fen..“, murmelte er im Halbschlaf und ließ die Kühltasche los, um sich umzudrehen. Gerade rechtzeitig zog Michael seinen Fuß weg, bevor Jan auch diesen zu fassen bekam. Innerlich schlug er sich selber auf die Schulter für diese schnelle Reaktion. Für einen kurzen Moment betrachtete er noch einmal Jans müde Gesichtszüge; grinste leicht, als dieser mit der Nase wackelte. Dann wandte er sich von dem anderen Punk ab, um sich nach Patrick umzusehen. Auch diesen musste er nicht lange suchen. Denn er lehnte immer noch an dem Baum, wo er gestern mit David gesessen und geredet hatte, nur dass Letzterer ihn anscheinend irgendwann allein gelassen hatte. Der schwarz-rothaarige Junge war einer der Personen, die bereits wach waren und ihm Gras saßen. Jedoch wirkte er als einer der wenigen (eigentlich fast als Einziger) so ziemlich topfit. Sein Haar war zwar etwas zerknautscht und seine Haltung ein wenig verkrampft (der Rasen ersetzte nun mal kein Bett), aber sein Blick war wach und aufmerksam. Aber wen wunderte es? David war immerhin noch ziemlich nüchtern gewesen, zumindest bis dahin, wo Michael die Augen zugemacht hatte und eingeschlafen war. Thomas hatte sich immerhin ziemlich schnell ins Land der Träume verzogen und so hatte Michael auch nicht mehr die Augen aufhalten können. Es war schon komisch, wie schnell man richtig müde werden konnte, wenn keine Abwechslung mehr vorhanden war. Bei dem Gedanken daran, kehrten einige Szenen der vergangen Nacht blitzartig vor sein inneres Auge zurück. Er erinnerte sich noch gut daran, wie Thomas zum wiederholten Mal von Isabelle angegraben worden und erst wieder durch Jessicas Bemerkung erlöst worden war. Doch noch genauer erinnerte er sich daran, was danach passiert war. Oder eher gesagt, er erinnerte sich an Thomas’ darauf folgende Worte. Er hatte gesagt, dass er ihn mochte. Ja, er mochte Michael. Ein beflügelndes Gefühl schlich sich in die Glieder des jungen Punks und ließ ihn ein wenig schneller auf Patrick zutrotten. Mit einem breiten Grinsen und einem kribbelnden Gefühl im Magen blieb er vor dem schlummernden Jungen stehen. Wieder tapste das Bild des ziemlich betrunkenen Thomas in sein Gedächtnis, ehe ihn eine leise Stimme nach unten schielen ließ. „Willst du mir nicht wenigstens ‚Guten Morgen’ sagen?“ Verwirrt blickte Michael zu Patrick, welcher ihn aus müden Augen ansah und zaghaft gähnte. Er hätte schwören können, dass der Größere schlief, doch anscheinend hatte dieser nur mit geschlossenen Augen ein wenig vor sich hingedöst. „Guten Morgen“, meinte Michael nun beiläufig und ließ sich neben Patrick ins Gras sinken. „Jan pennt noch. Ließ sich auch nicht aufwecken.“ Ein leises Schnauben, das sich verdächtig nach einem amüsierten, schwerfälligen Lachversuch anhörte, entwich aus Patricks Mund. „Wundert dich das?“, fragte seine leicht raue Stimme und er schloss die Augen wieder auf die Hälfte. „Jan ist doch eh schon schwer aufzuwecken. Da wird es nicht besser, wenn er sich beinah in die Ohnmacht gesoffen hat.“ Michael zuckte mit den Schultern. „Nun übertreib mal nicht. So besoffen war er auch nicht“, verteidigte er ihren Freund und stützte sich auf seine Hände, um sich ein wenig nach hinten zu lehnen. „Stimmt. Dieses Mal ist er nicht mitten auf einer Kreuzung umgekippt und hat den Asphalt mit seiner Kotze überschüttet, so wie an Karneval dieses Jahr.“ Patrick klang beinahe schon ein wenig beeindruckt. Michael schüttelte den Kopf. „Dass du noch so geschwollen reden kannst…“, murmelte er leise und rieb sich die Schläfe. Der Druck in seinem Kopf war kaum auszuhalten. Wenn er zu Hause ankäme, würde er erst einmal eine Aspirin-Tablette schlucken. „Da staunst du, hm?“, erwiderte Patrick mit einem leicht schiefen Grinsen auf dem Gesicht und kratzte sich am Knie. „Aber du vergisst, wie Lara reden kann, wenn sie mal richtig in Fahrt ist…“ Ein verschmitztes Lächeln schlich sich auf Michaels volle Lippen. „Bist du dir wirklich sicher, dass sie nicht Shakespeares Tochter ist?“, fragte er witzelnd und knuffte Patrick freundschaftlich in die Seite. Dieser bewegte für einen Moment gespielt abschätzend die Hand, nickte dann aber. „Uh, für so alt würde ich ihren Vater dann doch nicht schätzen“, meinte er lachend und setzte sich ein wenig auf. Ein paar Stückchen der Baumrinde prasselten von seinem Rücken auf den Boden. „Aber wer weiß. Vielleicht war es der Vater ihres Urururur… na ja, jedenfalls der Vater eines ihrer entfernten Ahnen.“ „Ahnen… wie originell!“ „Da kannst du mal sehen, was ich gebildet bin“, lobte Patrick sich selbst und grinste leicht. „Hast du eigentlich schon mal was von Shakespeare gelesen?“ Michael lachte laut auf. „Ich? Ich hab noch nie etwas Ernsteres gelesen als die Schulliteratur, Comics und die Biografien der Sex Pistols“, erwiderte er amüsiert. Patrick nickte zustimmend. „Ich auch nicht“, gab er Ältere zu. „Lara hatte sich mal ‚Macbeth’ und ‚Hamlet’ von ihrer Schulfreundin, du weißt, diesem Grufti, ausgeliehen. Grundgütiger, ich hab mir die ersten zwei Sätze durchgelesen und dann war ich auch schon bedient. Ich versteh nicht, wie sie so etwas lesen kann.“ Er seufzte. „Das Einzige, was ich von Shakespeare wirklich kenne ist natürlich ‚Romeo & Julia’.“ Erstaunt sah Michael ihn an. „Hast du das etwa gelesen?“, fragte er ungläubig, doch er wusste, dass diese Frage anscheinend überflüssig gewesen war, als Patrick skeptisch die Augenbrauen zusammen zog. „Seh’ ich etwa so aus?“, fragte er verwirrt. „Natürlich hab ich das nicht gelesen. Aber ich musste mir mit Lara diese Verfilmung mit Leonardo DiCaprio anschauen. Der beste Moment war, als Romeo dann endlich tot war. Aber ich sage dir, Mercutio ist ne richtig coole Sau!“ Ein wenig freudestrahlend blickte Patrick zu Michael, welcher aber nur verdutzt mit den Schultern zuckte. „Ich hab keine Ahnung mehr, wer das war. Julias Cousin?“, fragte der Kleinere zaghaft und erntete dafür einen bitterbösen Blick von dem anderen. „Das ist Tybalt. Der hat den umgebracht! Mercutio war Romeos bester Freund“, klärte Patrick ihn ein wenig entrüstet auf. Anscheinend hatte er das schon zum Teil von Lara übernommen. „Tybalt ist in dem Film ’ne kleine schwule Tucke!“ Er lachte laut. „Wen nennst du hier Tucke?“, erklang hinter Michael eine amüsierte Stimme und der Punk drehte sich um. Vor ihm stand David mit verschränkten Armen und grinste breit. „Dich natürlich“, erwiderte Patrick schmunzelnd und blickte zu David, als dieser sich zu ihnen setzte. „So sollte es auch sein“, sagte David und zwinkerte. Michael konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und lehnte sich zurück ins Gras. Er wusste nicht, wie lange sie dort noch gesessen hatten, aber es war jedenfalls weit nach Mittag gewesen, als Michael Zuhause ankam. Sein erster Weg führte ihn in die Küche, wo er von einem schnell hingekritzelten Zettel auf dem Küchentisch empfangen wurde. Darauf stand nur, dass seine Eltern seine Großmutter besuchen wollten und dass Carolina bei Martin war, um diesen zu pflegen. Michael seufzte leise. Als ob es Martin nicht schon längst wieder gut gehen würde. Schön, natürlich waren die Prellungen aus seiner Prügelei mit den Neonazis keine Kleinigkeit gewesen, aber deswegen musste seine Schwester ihn doch nicht wie einen Schwerstbehinderten bemuttern. Kopfschüttelnd ging er zu dem Schränkchen, das über die Spüle hing und nahm dort die kleine Schachtel mit den Medikamenten raus. Mit einem gezielten Griff schnappte er sich die Aspirinpackung und stellte die Schachtel wieder an ihren Platz, ehe er die Schranktür schloss. Schnell, bzw. so schnell wie es in seinem Zustand eben ging, schüttete er sich ein Glas Wasser ein und ließ die Brausetablette in das kühle Nass plumpsen. Kurz beobachtete er noch, wie das Wasser begann sich milchig-weiß zu färben, ehe er das Glas in die Hand nahm und nach oben in sein Zimmer schlurfte. Dort entledigte er sich seiner Klamotten, nahm sich eine frische Boxershorts aus dem Kleiderschrank und legte sich nur mit dieser bekleidet auf sein Bett. Müde war sein Blick auf die Holzdiele über seinem Bett gerichtet, während ein leises Gähnen den Weg über seine Lippen fand. Seine Gedanken schweiften wieder zurück zu dem Abend, wo er sich mit dem ziemlich betrunkenen Thomas unterhalten hatte. Na ja, was man daran so ‚Unterhaltung’ nennen kann… Dennoch konnte Michael nicht verhindern, wie sich ein leichtes Kribbeln durch seinen Körper zog. Er wusste nicht warum, aber wenn er so darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass es nicht das erste Mal war, das ihm das passierte, wenn er an den jungen Neonazi dachte. Was ist bloß los mit mir? Erschöpft strich er sich über die Stirn. Er konnte sich einfach keinen Reim daraus machen, warum er plötzlich dieses Gefühl bekam, wenn er an Thomas dachte und warum es ihn so… ja, irgendwie glücklich machte, sobald die Tatsache, dass der andere ihn anscheinend mochte, zurück in seine Gedanken drang. Bestimmt ist es nur, weil ich ihn gerade erst richtig kennen lerne… Das ist wie damals, als Jan und ich das erste Mal auf einem Punkkonzert waren… das war auch alles aufregend und neu. Wie alles, was man nicht kennt. Leicht nickte er sich selber zu, als wollte er sich bestätigen, dass es einfach nur eine vorübergehende Empfindung war. Vielleicht war auch einfach zu müde. Sein Blick schwankte nach rechts. Er bemerkte, dass die Aspirintablette sich längst vollständig aufgelöst hatte und so griff er nach dem Glas und trank es in wenigen Zügen leer. Ich sollte ein wenig schlafen, dachte er sich, ehe er sich zur Seite drehte und die Augen schloss. Der nächste Schultag begann recht fröhlich. Fast alle redeten über die Feier und einige witzige Dinge, die an diesem Abend passiert waren. Abgesehen von Lena, die betrübt in der Ecke saß, und Isabelle, die Jessica immer wieder mordslüsterne Blicke zuwarf. Michael schmunzelte leicht. Soweit er das mitbekommen hatte, hatte sich Lenas Freund gestern von ihr getrennt, doch das war nicht die Tatsache, die ihn so sehr erfreute. Nein, viel mehr erheiterte es ihn, dass Isabelle anscheinend immer noch nicht darüber hinweggekommen war, an dem Abend keine wilde Sexorgie mit Thomas hatte feiern zu können. Jedoch lag das wohl viel weniger an Jessica und ihrem Kommentar, sondern eher an Thomas selber. Dieser war immerhin einfach zu betrunken gewesen. Michaels graugrüne Augen schweiften zu dem leeren Platz neben sich. Der kahl rasierte Junge war heute noch nicht in der Schule erschienen. Ebenso wenig Nils. Doch das hatte weder Frau Herzog, bei der sie in den ersten beiden Stunden Deutsch gehabt hatten, noch Frau Lechner gestört. Ganz im Gegenteil. Frau Lechner schien es beinahe erfreuend zu finden, dass Thomas nicht anwesend war, wo er ihre letzte Religionsstunde durch diese Engelsdiskussion doch sehr „durcheinander“ gebracht hatte. Ein kleines Grinsen schlich sich auf Michaels Lippen, als er sich an den kecken Wortwechsel erinnerte. „Als Hausaufgabe zu nächster Woche suchen Sie sich bitte einige Informationen über den Hinduismus heraus, sodass Sie dann in Gruppenarbeit Referate darüber erarbeiten können“, holte Frau Lechners Stimme den jungen Punk aus seinen Gedanken zurück. „Und ich möchte, dass sich alle bemühen und nicht glauben, dass Sie keine Informationen mitbringen müssten, nur weil sie dann mit anderen zusammenarbeiten, die das vielleicht erledigt haben. Von mir aus teilen Sie bestimmte Informationsgebiete auf, aber ich möchte, dass jeder etwas dazu beisteuert.“ Sie blickte sich in der Klasse um und fixierte gewisse Schüler wie Hendrik und Jens, aber auch Michael und Jan. Der Punk drehte sich nach hinten und erhaschte den Blick seines Kumpels, der ihrer Lehrerin sein liebenswürdigstes Lächeln schenkte, ehe diese den Klassenraum verließ. Grinsend stand Michael auf und ging auf seine beiden Freunde zu. „Ich versteh nicht, warum sie mich so angesehen hat“, meinte Jan seufzend, was Patrick auflachen ließ. „Ich versteh nicht, warum sie Michael so angesehen hat. Bei dir allerdings versteh ich das alle Mal“, neckte er den Jüngeren und zog ihm leicht am Ohr. „Ha ha“, erwiderte Jan trocken. „Michi ist genauso faul wie ich.“ Der Angesprochene grinste schief. „Hey, das ist ja fast ’ne Beleidigung.“ Patrick nickte leicht. „Faul seid ihr alle beide“, zwitscherte er fröhlich und packte seine Religionsmappe in seinen verschlissenen Rucksack. „Das warst du auch, bevor Lara dir so richtig den Hintern versohlt hat, weil du so schlechte Noten bekommen hast. Hey, man könnte meinen, du hättest einen Mutterkomplex“, sagte Michael und lachte leise. Jan grinste breit. „Na, also, wenn meine Freundin mir auf den Arsch schlagen würd, weil ich schlechte Noten schreibe, dann würd ich mich in der Schule doch erst recht nicht mehr anstrengen“, warf er ein und sein Grinsen wurde dreckiger. Patrick zog die Augenbrauen hoch, ehe er den Jüngsten in den Oberarm kniff. „Klar, du kleiner Masochist!“ Gerade wollte Michael noch etwas erwidern, als er bemerkte, wie die Tür geöffnet wurde und ihr Kunstlehrer in dem Raum trat. „Mahlzeit“, begrüßte Herr Jansen sie in einem leicht drögen Ton, welcher einem zeigte, dass er selber auch nicht sonderlich viel Lust auf Unterricht hatte. Da die Kunsträume an dieser Schule knapp waren, konnten sie nur donnerstags einen davon belegen und hatten am Montag eben mehr Theorie als Praxis. „Ich muss dann mal wieder“, murmelte Michael und begab sich wieder auf seinen Platz, als die Tür erneut geöffnet wurde und ein ziemlich müde aussehender Glatzkopf in den Raum lugte. „Morgen, Herr Jansen. Hab verpennt“, entschuldigte Thomas sich grummelnd und lief ohne einen Blick zu dem Lehrer oder der Klasse zu verschwenden an Michael vorbei zu seinem Platz. „Thomas, es ist bereits 10 Uhr 47 und damit drei Schulstunden über der Zeit.“ Der Kunstlehrer schmunzelte. „Sie waren letzte Nacht wohl sehr beschäftigt?“ Die Klasse lachte laut auf. Der Kommentar war immerhin eindeutig zweideutig gestellt. Und das mit Absicht. Sich die Augen reibend ließ Thomas sich neben Michael nieder und nickte mit einem Schmunzeln. Das schien Herrn Jansen als Antwort zu genügen, denn er wandte sich von dem 18-Jährigen ab. „Hast du wirklich verschlafen oder warst du einfach nur zu faul, um aufzustehen?“, fragte Michael neugierig und schenkte seinem Sitznachbarn ein Lächeln. Dieser grinste ein wenig schief. „Ich denke, beides“, antwortete er und gähnte leise. „Erst hab ich verschlafen und dann hab ich gedacht: ‚Hey, pünktlich kommst du eh nicht mehr, also dreh dich noch mal um und schlaf noch nen Stündchen’. Gut, daraus sind jetzt zwei Stunden geworden, aber was soll’s.“ Michael lachte leise auf. „Und ich dachte schon, du und Nils hättet das Wochenende nicht überstanden“, scherzte er und lobte sich, dass er Thomas’ besten Freund mit in die Frage eingebunden hatte. So wirkte es wenigstens nicht so auffällig, auch wenn an dieser Frage nichts Besonderes war. „Na, ich schon. Aber Nils nicht. Oder fällt dir nicht auf, dass Tatjana auch nicht da ist?“, meinte Thomas in einem zweideutigen Ton und lehnte sich lachend zurück. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Michael über seine eigene Schulter und bemerkte erst jetzt, dass das schwarzhaarige Mädchen ebenfalls abwesend war. „Sie hat ihn also geknackt?“ Seine Stimme klang ein wenig beeindruckt, doch letztendlich wunderte es ihn eigentlich nicht. Nils hatte die Aufmerksamkeiten der beiden Mädchen ja nur allzu deutlich genossen. Thomas zuckte mit den Schultern. „Das war eigentlich nur ein Scherz. Es interessiert mich nicht sonderlich, mit wem er rumfickt“, sagte er in einem ziemlich gleichgültigen Ton und blickte kurz nach vorne, wo Herr Jansen etwas über Da Vincis Flugmaschinenentwürfe an die Tafel schrieb. Michael kam sich angesichts Thomas’ Gleichgültigkeit ein wenig dumm vor. „Hätt ja sein können, dass du etwas mitbekommen hast. Immerhin hat Isabelle dich auch mächtig angegraben. Und nur weil du so stockbesoffen warst und Jessica sie verarscht hat, ist sie nicht über dich hergefallen wie ein Tier“, erwiderte Michael und versuchte dabei ähnlich desinteressiert zu klingen wie Thomas, was ihm jedoch anscheinend misslang. Der junge Neonazi reagierte gar nicht darauf und holte stattdessen eine Flasche Wasser aus seiner Tasche und nahm einen kräftigen Schluck. „Ehrlich gesagt“, begann er dann langsam und setzte die Falsche ab. „Ich kann mich an Samstagabend kaum noch erinnern. Wie du schon sagtest, war ich hackedicht.“ Es dauerte ein wenig, bis der Kleinere Thomas’ Worte realisierte. Wenn Thomas sich nicht an Isabelles Flirtversuche erinnern konnte, dann doch auch sicher nicht an die Worte, welche er zu Michael gesagt hatte. Unbewusst sprach der Punk diesen Gedanken aus. „Hm?“, gab Thomas einen verwirrten Laut von sich. „Was hab ich denn zu dir gesagt?“ Ein wenig verlegen war Michael schon, dass ihm die Worte einfach so aus dem Mund gesprudelt waren, doch er beschloss dem anderen nicht ein weiteres Mal zu zeigen, wie peinlich ihm komischerweise gewisse Dinge im Bezug auf den Neonazi waren. „Ach nichts Besonderes“, sagte er daher so entspannt wie nur eben möglich. „Du meintest nur, dass du mich eigentlich ganz nett findest.“ Sein Hals wurde merkwürdig trocken, als Thomas ihn auf einmal verwirrt ansah. „Das hab ich gesagt?“, fragte er ungläubig. Michael räusperte sich ein paar Mal, als sein Hals immer kratziger wurde und sich ein dicker, fetter Kloß an seinem Kehlkopf bildete. Wieso verwunderte es Thomas so sehr, dass er Michael Sympathie ausgesprochen hatte? Weil er es gar nicht so meinte und nur im Suff gesagt hatte? Der Grünäugige schluckte trocken. „Ja, hast du“, meinte er ein wenig leiser und merkte, dass sein rauer Hals sich auf seine Stimme auswirkte und diese leicht heiser klingen ließ. Thomas nickte langsam und behielt weiter sein gleichgültiges Gesicht bei. „Aha“, machte er einen schlichten Laut. „Na, dann wird es wohl so sein.“ „Hä?“, gab Michael ein wenig dümmlich von sich. Thomas warf einen kurzen Seitenblick aus den Augenwinkeln zu seinem Sitznachbarn, blickte dann aber wieder weiter nach vorne. „Na, im Suff labert man doch meistens Wahres.“ Sein Ton war so schlicht und er sah Michael nicht mal dabei an, und trotzdem breitete sich ein Grinsen auf dem Gesicht des Grün-lila-haarigen aus. Er konnte es sich nicht erklären, doch irgendwie spürte er, wie die Endorphine in seinem Körper einen Glückstanz aufführten und die Grübchen an seinen Mundwinkeln weiter bestehen ließen. TBC So, das war es wieder mal von meiner Seite xD Nun seid ihr dran mit Kommischreiben, insofern ihr wollt. Ich nötige keinen dazu; freuen tu ich mich allerdings trotzdem. Bin ja schwer enttäuscht, dass kaum einer mir letztes Mal WestSilver-Kippen, Menthol- oder Apfelbonbons geschenkt hat :( *lol* (Bitte nicht allzu ernst nehmen xD) Grüßchens, Motte Kapitel 9: Gefühle ------------------ So, da melde ich mich wieder mit einem weiteren Kapitel ^^ Tut mir Leid, dass es etwas länger gedauert hat, aber ich denke, mehr als ein Kapitel pro Monat ist nicht mehr drin. Ich kann nur noch am Wochenende schreiben, da ich werktags meistens zu müde und kreativlos bin (und wenn dann lieber lese), und daher zieht sich das alles etwas in die Länge. Also bitte keine Fragen mehr, wann das nächste Kapitel rauskommt. Es kommt ganz bestimmt und ich bemühe mich, es schnell fertig zu bekommen. Viel Spaß beim Lesen! Kapitel 9: Gefühle Lautes Getrampel erfüllte die breite Straße, die durch die Fußgängerzone führte, als die schweren Stiefel oder auch leichten Chucks auf den grauen Asphalt trafen. Immer wieder grölten einige aus der großen Menschengruppe Parolen, hielten beschriftete Banner in allen möglichen Farben hoch. Rechts und links von der sich bewegenden Masse standen bewaffnete Polizisten mit durchsichtigen Schutzschildern und dicken Anzügen. Durch ihre Helme wirkten sie beinahe schon vermummt. Hier und da liefen auch einige normal uniformierte Ordnungshüter umher. So war es eben auf Demonstrationen. Alles musste abgesichert sein. Immerhin könnten plötzlich Leute auftauchen, die mit der Überzeugung der demonstrierenden Gruppe nicht übereinstimmten und eventuell auch gewalttätig wurden. Oder eben, wenn es eine Gegendemonstration gab. Zwar sollte so etwas eigentlich friedlich ablaufen, aber wenn schon zwei große Parteien unterschiedlicher Meinung waren und diese auch standfest vertraten, dann blieb es selten bei einem schlichten Wortwechsel. Aus einem hitzigen, verbalen Gefecht wurde eine Provokation und daraus das bekannte Umherschubsen, was wiederum zu richtigen körperlichen Auseinandersetzungen führen konnte. Michael kannte das nur zu genüge. Selten waren ihre Demonstrationen friedlich geblieben, auch wenn es nicht immer blutig oder ähnliches geendet hatte. Er blickte zu einem der Banner, dass vor ihm in die Höhe gehalten wurde. Er selber hatte keins dabei. Ihm lag es nicht sonderlich im Geschick, sich so auszudrücken, dass er nicht verfassungswidrig handelte. Wobei er nicht verstehen konnte, was an durchgestrichenen Hakenkreuzen denn so schlimm sein sollte. Aber nun gut. Wenn die Verfassung eben meinte, man dürfte dieses Symbol weder durchgestrichen noch in originaler Form öffentlich zeigen, dann überließ Michael die Arbeit doch lieber den Antifa, Linksextremen und ähnlich Gesinnten unter ihnen, die sich anscheinend gewählter und weniger radikal ausdrücken konnten. Ein „Nazis raus“ hätte hier nämlich wohl auch nicht gezogen. Doch wie sagte man so schön? „Dabei sein ist alles.“ Und das fand Michael auch. Immerhin war es nicht die erste Demonstration, in der offen seine Meinung zu dem „braunen Pack“ zeigte. Vor ihm lief Jan, der noch ein wenig dösig zu sein schien. Für den Orangehaarigen wäre es sicher eine Wohltat gewesen, wenn die Demonstration erst am späten Nachmittag stattgefunden hätte. Doch es war nun mal gerade erst 11 Uhr vormittags. Eine Zeit, die sonst für Jan (und teilweise auch Michi) am Wochenende noch Tiefschlaf bedeutete. Patrick dagegen schien einigermaßen wach zu sein. Zwar hatte auch er sich vor einer Stunde noch den Schlaf aus den Augen gerieben, doch seit Lara ihm per SMS ihre Teilnahme an der Demonstration abgesagt hatte, da sie auf ihre kranke Oma aufpassen müsste, schien Pat wie durch einen Schlag hellwach zu sein. Hellwach und grummelig. Michael meinte, er hätte ihn etwas wie „Ah, kann die Alte net ma Hops geh’n“ murmeln hören. Das hatte Michael ganz schön zum Schmunzeln gebracht, denn er wusste, dass Patty Laras Oma eigentlich mochte. Der Ältere wirkte allerdings auch jetzt noch ein wenig beleidigt und hielt daher das Ende eines rot-schwarzen Banners extrem fest gezogen, sodass es dem Jungen mit den Dreadlocks am anderen Ende fast aus der Hand glitt. Michael grinste ein wenig schief. Er wusste, dass Patrick einfach nur enttäuscht war, weil Lara mittlerweile nur noch so wenig Zeit für ihn hatte und nun auch das abgesagt hatte. Ein lautes „Ey, Zecken!“ ließ ihn aus seinen Gedanken um das Punk-Pärchen hochschrecken. Er brauchte gar nicht den Hals zu strecken, um zu wissen, dass dies nur ein Anhänger der Gegendemo gewesen sein konnte. Sie waren nun also da, die Neonazis. „Ey, du Faschistenschwein!“, rief ein Punk neben Michael zurück und dieser musste leise auflachen. Die Polizisten um sie herum rückten ein wenig näher und blickten sich einsatzbereit um. Obwohl die Situation bedrohlich und gefährlich wirkte, konnte Michi nicht aufhören zu grinsen. Ein berauschendes Gefühl zog sich durch seinen Körper und brachte sein Blut ein wenig in Wallung. Ein typisches Gefühl für Demonstrationen. Doch als sein Blick auf die Neonazis glitt, sah er etwas, das ihn stocken ließ. Auf der anderen Straßenseite, ihm genau gegenüber, inmitten der Neonazis, stand Thomas. Natürlich war es nicht sonderbar, dass Thomas von Nazis umringt war; und auch nicht mehrwürdig, ihn auf einer Nazidemo zu sehen. Trotzdem schockierte Michael dieser Anblick. Irgendwie war es plötzlich seltsam. Ein dicker, fetter Kloß bildete sich um seinen Kehlkopf; ließ ihn hart schlucken. Jemand prallte von hinten gegen seinen Rücken und schubste ihn damit leicht nach vorne. „Man, lauf doch weiter!“, murrten ein paar Stimmen um ihn herum und erst jetzt wurde Michael klar, dass er stehen geblieben war. Ungewollt und ohne es zu merken. Sein Herz begann schnell gegen seine Brust zu pochen. Sein Blick glitt automatisch wieder nach vorne zu Thomas; wirkte leicht panisch und verwirrt. Doch dann ließ ihn eine weitere Entdeckung stutzen. Seit wann hatte Thomas auf der linken Kopfhälfte ein Tattoo? Und warum so eine Hakennase? Michis grüngraue Augen weiteten sich, als er realisierte, dass er ihn verwechselt hatte. Mit jemanden, der ihm eigentlich nur vom Weiten relativ ähnlich sah. Aber die Tatsache, ihn verwechselt zu haben, war nicht das, was Michael so schockierte. Eher die Tatsache, warum er ihn überhaupt verwechselt hatte. Weil er ihn sehen wollte. Sein Herz schien für einen Moment auszusetzen, ehe es genauso schnell weiter klopfte wie zuvor. Er hatte das Gefühl, ihm würde schwindelig und schlecht werden, als er von der Menge weiter nach vorne geschoben wurde, ohne selbstständig auf den Weg zu achten. Erst als der Ellebogen seines Vordermannes unsanft gegen sein Schlüsselbein stieß, erwachte Michi aus seiner Trance. Er bemerkte, dass die Neofaschisten nun näher waren und die Polizei wachsam zu ihnen blickte. Zwischen den beiden verfeindeten Gruppen hatte sich die Schutzpolizei gestellt. Michael klimperte einmal kurz mit den Augen, als wollte er sich noch mehr auf die Realität konzentrieren. Und komischerweise gelang es ihm auch, als er die lauten, pöbelnden Rufe der beiden Parteien an seinem Ohr vernahm, seine Gedanken an Thomas zu verdrängen. Auf der gegenüber liegenden Seite der Straße waren die rechtspolitisch eingestellten jungen Männer und Frauen, von denen die meisten eine Glatze oder zumindest kurz geschorene Haare trugen, nicht weniger aufgehetzt und angestachelt. Während hier fast schon ein Einheitslook aus Blue Jeans, weiß-blau-karierten Lonsdale-Hemden und schwarzen Springerstiefeln mit weißen Schnüren herrschte, waren die Menschen auf der Gegenseite ein bunter Haufen. Jeder schien individuell zu sein und sich nach seiner Laune zu kleiden. Angeblich war das einer der Gründe, warum die Neonazis diesen „Haufen Zecken“, wie sie ihn nannten, verabscheuten. „Boar, wenn ich die schon seh, könnt’ ich denen eins auf die Fresse schlagen“, schnauzte eine etwas beleibtere und sehr burschikos wirkende, junge Frau, die neben Nils Lehmann lief. Ihr braunes, glanzloses Haar war an der Kopfhaut bis auf wenige Millimeter gestutzt. Nur am Rand befanden sich noch längere Strähnen. „Kannste ja machen, hält dich keiner von ab“, antwortete Nils ihr und zuckte mit den Schultern, ehe er sich einem – im Vergleich zu ihm und der jungen Frau – recht dünnem Faschisten zuwandte. „Also, was hast du gerade gesagt?“ Der junge Mann neben ihm rollte die Augen. „Ich habe dich gefragt, wo dein Kumpel Thomas abgeblieben ist.“ Erneut zuckte Nils mit den Schultern. „Keine Ahnung. Meinte irgendwie, er könnte Zuhause nicht weg“, entschuldigte er seinen Freund mit leiser Stimme. „Ah ja, was hat er denn? Hängt er über dem Klo und kotzt, oder was?!“, fuhr der andere Nils ein wenig barsch an. „Nee, ich denke mal, der muss auf seine Geschwister aufpassen oder so was in der Richtung.“ Er räusperte sich und der andere Neonazi blickte Nils mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wenn er meint, das sei wichtiger, als eine Demo gegen diese Scheiß-Zecken… obwohl, ich wäre jetzt auch lieber Zuhause und würde meine Freundin ficken“, stellte er neutral fest und schien gar nicht mehr weiter über Thomas nachzudenken. Doch Nils hatte nicht gelogen. Thomas saß wirklich bei sich daheim und passte auf seine jüngeren Geschwister, Benjamin und Jana auf. Das kleine, blonde Mädchen saß auf dem Boden und spielte mit ihrem Barbies ein lächerliches, aber dennoch niedliches Mutter-Vater-Kind-Spiel. Benjamin, kurz Benni, hatte es sich auf der dunkelblauen, schon etwas lädierten Wohnzimmercouch gemütlich gemacht und guckte sich heimlich einen gruseligen Horrorfilm seines Bruders an. Immer wieder zuckte er schaudernd zusammen und als schließlich am Ende eine besonders stark aufgeschnittene Leiche zusehen war, schrie er laut auf. Das wiederum brachte Jana zum Weinen. Wie in der Folge einer Kettenreaktion kam Thomas in das Wohnzimmer und ging auf Jana zu. „Hey, was hast du denn?“, fragte er sie leise und sanft, hörte dann aber den grollenden, wahnsinnigen Schrei des Mörders und guckte zum Fernseher. Benni hatte wohl in all seinem Schock vergessen, wegzuschalten, wie er es vorher immer getan hatte, wenn Thomas in das Wohnzimmer gekommen war. „Benni, was… was machst du da? Der Film ist ab 16. Mach das sofort aus!“, sagte er mit erhobener Stimme; klang jedoch vielmehr geschockt, dass sein Bruder diesen Film überhaupt geguckt und er davon nichts mitbekommen hatte. Mit großen, starrenden Augen drückte der elfjährige Junge apathisch auf den Knopf, der den DVD-Player ausschaltete. Nun erklangen nur noch die leisen Schluchzer des kleinen Mädchens in dem Raum. Thomas hob sie hoch und Benni konnte hören, wie er ihr immer wieder einredete, dass ihr nichts passieren würde, während er mit ihr die Treppe hochging. Als sein älterer Bruder ohne Jana, die er in ihr Zimmer gebracht hatte, wieder runterkam, saß Benni immer noch wie versteinert auf dem Sofa und blickte langsam zu ihm hoch. „Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte Thomas streng und verschränkte seine Arme vor der Brust. Er schnappte sich die DVD-Hülle und tippte auf das blaue Kästchen mit der Altersfreigabe. „Was glaubst du, warum der Film erst ab 16 ist, he? Weil kleine Jungen wie du sich tierisch erschrecken und mit ihrem Schrei ihre vierjährige Schwester beinah per Herzinfarkt in den Tod befördern.“ Benni schluckte schuldbewusst. „Findest du nicht, dass du wegen Jana ein wenig übertreibst?“, fragte er leise, um von sich selbst abzulenken. Thomas’ rechter Mundwinkel hob sich ein wenig und erlaubte ihm damit ein schiefes Grinsen. „Vielleicht… ein wenig.“ Er räusperte sich. „Nichtsdestotrotz: Du kleiner Bastard. Das lässt du in Zukunft. Wieso denkst du überhaupt, du wärst mit 11 Jahren reif genug für Filme ab 16?“ Freudestrahlend, dass Thomas ihn nicht mit den Ohren an die Decke tackerte, stellte Benni sich auf das Sofa, damit er genauso groß war, wie sein Bruder. Sogar ein wenig größer. „Papa meint, man sei immer so alt, wie man sich fühlt.“ Thomas’ Augenbrauen zuckten leicht bei der Nennung seines Vaters. „Das sagt er nur, weil er sich selber noch für unwiderstehliche 25 hält“, meinte er zu Benni und trat näher an diesen heran. Sein kleiner Bruder blickte auf ihn herunter und zuckte unschuldig mit den Schultern. „Wie alt ist Papa denn noch mal?“ Thomas zögerte mit der Antwort. Man sah ihm an, dass er keine sonderliche Lust hatte, über ihren Vater zu sprechen. „Keine Ahnung, hab ich vergessen“, log er daher. „Er sieht jedenfalls aus wie 60.“ Benni lachte leise auf und ließ sich nach vorne in die Arme seines Bruders kippen. Dieser fing ihn wie erwartet auf und ließ ihn dann auf den Boden gleiten. „Warum magst du Papa eigentlich nicht, Tommi?“ Sofort versteifte Thomas sich ein wenig. „Nicht so wichtig. Hey, ich hab Hunger. Sollen wir uns Pizza bestellen?“, wechselte er abrupt das Thema, doch er wusste, dass sein kleiner Bruder darauf anspringen würde. Und so war es auch. „Oh ja! Ich will eine mit Salami. Und eine mit Schinken. Thunfisch wäre auch nicht schlecht oder diese eine, die Mama sich letztens bestellt hatte!“, zählte er seine Wünsche auf, was den hoch gewachsenen, kahl rasierten Jungen neben ihm zum Augenrollen brachte. „Benni, so viel schaffst du doch nie im Leben!“, stöhnte er leise. Benni verschränkte die Arme vor seiner Brust und stellte sich ebenso vor Thomas, wie dieser sich vor wenigen Minuten vor ihn gestellt hatte. „Gut, dann nehm ich eben nur die Thunfisch.“ Keine anderthalb Stunden später saß Michael am Straßenrand und drückte seinen Zeige- und Mittelfinger auf die stetig weiter blutende Wunde an seiner Lippe. Trotz Polizei war eine kleine Schlägerei nicht zu verhindern gewesen. Auch wenn Michael selbst nur deshalb mit einer blutenden Lippe hier saß, weil er mit seinem Piercing in dem Gerangel irgendwo hängen geblieben war. Seine leicht angeschwollene Unterlippe puckerte und brannte, doch es schien nicht allzu schlimm zu sein. Morgen würde er vielleicht kaum noch etwas davon merken. Ein lautloses Seufzen entfloh seinem Mund. Irgendwie kam ihm das alles hier – die Demonstration, die Prügelei und überhaupt die aufgebrachte Stimmung beider Seiten – sehr sinnlos vor. „Hey Michi, was machste denn so ein Gesicht?“, fragte ein dunkelgrünhaariger Punk und trat näher zu Michael. Dieser blickte zu dem anderen Jungen hoch und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Bin gerade einfach ein bisschen angeätzt“, versuchte er das Gespräch schnell wieder zu beenden. Er hatte keine Lust, seinem Bekannten nun zu erzählen, dass ihn der Gedanke an einen gewissen Neonazi aus seiner Klasse nicht mehr losließ. Doch der Punk schien sich nicht so einfach abwimmeln zu lassen. „Komm schon, erzähl dem guten alten Dennis deine Sorgen!“, versuchte er es auf die kumpelhafte, lockere Art und setzte sich neben Michael auf die Bordsteinkante. Michael konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen; senkte seinen Mundwinkel jedoch wieder, als die geschundene, dünne Haut seiner Lippen schmerzhaft anfing zu ziehen. „Es ist nix, echt. Hab einfach nur keine Lust auf diese blutende Lippe. Ey, ich hatte innerhalb von zwei Wochen ein blaues Auge, ’nen geprellten Kiefer, Nasenbluten und nun auch noch ’nen Lippenschaden“, murmelte er ein wenig verdrießlich und erst jetzt fiel ihm auf, wie lädiert er doch wirklich innerhalb dieser Tage gewesen war. Die meisten Wunden waren durch Thomas entstanden. Teils durch Absicht; teils auch aus Versehen. Er schluckte trocken. Dennis grinste. „Och Michi, du bist ja so ein armes Kerlchen! Hey, ich sag dir, es gibt Leute, die sind heute viel schlimmer dran gewesen, als du in den zwei Wochen! Ganz ehrlich“, meinte er in einem aufmunternden Ton und stupste Michael mit dem Ellebogen freundschaftlich in die Seite. „Du bist ja nicht mal zu den Faschos gekommen.“ Stimmt, dachte Michael sich. Er war zwar wie alle Anderen nach vorne geprescht; geradewegs auf die Neonazis zu. Doch dann war er von einem Polizisten aufgehalten worden. Oder eher von dessen transparentem Schutzschild. „Biste so grummelig, weil du keinem von diesen Glatzen einen verpassen konntest?“ Michael lachte leise auf. „Nein, das nun wirklich nicht. Ich hab eh das Gefühl, die sind alle stärker als ich.“ Dennis zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Also entweder befindest du dich gerade in einer großen… wie nennt man das… Selbst anzweifelnden Depri-Phase oder du wirst verrückt!“, erwiderte er grinsend und stand auf. Die grüngrauen Augen Michaels folgten ihm. „Wahrscheinlich beides“, schloss er neutral und stand ebenfalls auf. „Ich werd mal Patty und Jan suchen gehen. Wir sehen uns!“ Flüchtig drückte er den jüngeren Punk noch einmal an sich, ehe er die Straße hinunter schlenderte. Hier und da standen noch einige Polizisten und ein paar Antifa, Punks und andere Demonstrationsteilnehmer saßen auf den Bordsteinrändern, doch die Neonazis schienen den Platz gänzlich verlassen zu haben. Einige von ihnen waren auch abgeführt worden. Doch das war Michael im Moment egal. Auch wollte er nicht unbedingt Jan oder Patrick wieder finden. Das war eigentlich nur ein Vorwand gewesen, damit Dennis ihn allein ließ. Ein schuldiges Gefühl beschlich ihn und sein schlechtes Gewissen fing an ihn zu plagen. Eigentlich mochte er Dennis sehr gerne und hatte ihn einfach so blöd abgewiesen. Und dass er seine Freunde gar nicht wirklich suchte, machte seine Notlüge auch nicht besser. Doch er konnte im Augenblick einfach nicht anders. Er wollte nachdenken. Alleine. Denn was heute passiert war; dass er so erstarrt gewesen war, als er den vermeintlichen Thomas in der glatzköpfigen Menge gesehen hatte – das machte ihm wirklich zu schaffen. Fuck, was ist bloß los mit mir?! Aber eigentlich dämmerte es ihm schon, was ihn zu diesen Gedanken bewegte. Und Michaels Verdacht sollte sich bestätigen. Seit der Demonstration am Samstag, den 27. Mai, hatte er verstärkt auf seine Reaktionen in der Gegenwart des Neonazis geachtet. Auch wenn er sich mittlerweile sicher war, dass es ihm auch aufgefallen wäre, wenn er sich nicht darauf konzentriert hätte. Denn inzwischen war es so offensichtlich, dass er sich wunderte, dass Jan, Patrick und Thomas selber noch nichts gemerkt hatten. Aber immerhin gab er sich auch größte Mühe, es zu unterdrücken und zu vertuschen. Unbewusst presste er die Lippen aufeinander. In den knapp drei Wochen, die seit der Demonstration vergangen waren, hatte sich viel ereignet, dass seinen Verdacht bestätigt hatte. Zum Beispiel im Matheunterricht vor gut zwei Wochen, als Thomas sich Michaels Radiergummi hatte leihen wollen. Michi wollte es ihm geben, doch als sich ihre Hände berührt hatten und er die schmalen Finger des anderen an seiner Haut gespürt hatte, war das Radiergummi aus seiner Hand geglitten. Sein Körper hatte gekribbelt, insbesondere sein Bauch, und ihm war merkwürdig warm geworden. Im Sportunterricht hatte Michael mehrmals nicht den Blick von Thomas wenden können, wenn dieser sich nass geschwitzt das T-Shirt über den Kopf gezogen hatte und sobald der Punk seine Blicke selber bemerkt hatte, war er errötet. Ebenso im Deutschunterricht, wo Michael erst letzten Freitag etwas hatte vortragen müssen. Eigentlich hatte er nur von seinem Blatt aufgeblickt, um einen Blick zu Frau Herzog zu werfen, doch da waren seine Augen den Graublauen von Thomas begegnet und dieser hatte ihm leicht, kaum merklich, zugelächelt. Obwohl die Geste nur so klein war, hatte sie bei Michael einiges durcheinander geworfen und ihn für einige Sekunden in eine schweigende Starre verfallen lassen. Zum Glück hatte er sich relativ schnell wieder gefangen, denn diese paar Sekunden waren schon peinlich genug gewesen. Aber es waren nicht nur die Situationen im Unterricht, die Michael einiges hatten klar werden lassen. Selbst wenn Thomas nicht anwesend war, fiel es ihm auf. Denn wenn Patrick und Jan sich mal wieder über die Neonazis beschwerten und Nils und Thomas als Beispiele nannten, entstand in Michael der Drang, seinen Sitzpartner zu verteidigen. Zwar hatte er sich bisher jedes Mal zurückhalten können und einfach nur schlecht über Nils geredet und Thomas eher beiläufig erwähnt. Doch wie lange würde er das noch schaffen? Michael erhob sich etwas aus der Hängematte, die zwischen zwei Bäumen in ihrem Garten hing und in der er es sich seit knapp einer Stunde gemütlich gemacht hatte. Der Schatten der Bäume war angenehm, gegen die erhitzende Sonne, die mittlerweile, wo es bereits Mitte Juni war, mit ihren Strahlen so einige Schweißperlen bei Michaels Mitmenschen rollen ließ. Unruhig begann er an dem etwas schief geschnittenen Nagel seines Daumes zu knibbeln; seufzte leise. Seine Gedanken kehrten zurück zu dem Thema, das ihm mittlerweile am meisten beschäftigte. Thomas Rosner – und viel mehr, wie er selber zu dem kahl rasierten Jungen stand. Er schätzte dessen Gesellschaft und Anwesenheit, selbst wenn sie nicht sprachen. Er konnte es vor sich selber nicht verleugnen, denn dafür wurde es ihm jedes Mal wieder auffallend bewusst. Egal, welche Ausreden er sich in seinem Kopf zurecht legte, es war eindeutig: Er hatte sich in Thomas Rosner, den Neonazi, den er ehemals verachtet hatte, verliebt. TBC Aaaaah, es ist geschafft *lol* Ich denke, hier ist ein klarer Fortschritt der Story entstanden ^^ Der Zeitsprung von drei Wochen war nötig, um die Entwicklung und Einsicht Michaels zu seinen Gefühlen authentisch wirken zu lassen. Kommis sind wie immer erwünscht. Bis zum nächsten Mal, Motte Kapitel 10: Ein Besuch am Nachmittag ------------------------------------ Huhu ^^ So, endlich hab ich es geschafft, Kapitel 10 fertig zu stellen xD Ich hoffe, es wird euch gefallen xD Danke für die Kommis bei Kapitel 9 ^^ Und nun viel Spaß beim Lesen. Kapitel 10: Ein Besuch am Nachmittag Die Tatsache, dass er sich ausgerechnet in Thomas Rosner verliebt hatte, gestaltete sich für Michael jedoch schwieriger als er zunächst gedacht hatte. Zwar war es ihm unbewusst schon länger klar gewesen, doch seit er seine Gefühle das erste Mal sich selbst gedanklich gestanden hatte, war es ein wenig anders. Als Michael am nächsten Montag den Klassenraum betrat, fiel sein Blick sofort auf Thomas. Das Gespräch zwischen ihm und Jan über ein Konzert in einem alternativen Club wurde in den Hintergrund gedrängt und die Worte des anderen Jungen schienen an Michaels Ohren abzuprallen. Doch Jan schien das nicht weiter zu stören. „Überleg es dir, okay?“, bat er seinen älteren Kumpel noch, ehe er sich zu Jessica begab. Als er an Patrick vorbei kam, fing er dessen verwirrten Blick auf. „Findest du nicht, dass Michi sich… nun ja… ein wenig komisch benimmt?“, fragte Pat und drehte eine seiner glatten, kurz getragenen, blauen Strähnen zwischen Daumen und Zeigefinger. Sein Blick schweifte zu dem Mittleren ihre Trios, welcher nun mit einem leicht abwesenden Blick auf seinen Platz zuging. Jan zuckte mit den Schultern. „Tja, vielleicht hat er sich bei seinem Sturz aus der Hängematte gestern doch mehr getan, als wir vermutet hatten!“ Er lachte leise auf, was Patrick mit einem stumpfen Blick kommentierte. „Aha, und deswegen schleicht er mit diesem Geisterblick auf diese Glatze Rosner zu? Ganz ehrlich, wenn Rosner sich demnächst ’nen Exorzisten zulegt, wundert mich das nicht!“, murmelte er in einem ironischen Ton. Jan grinste breit. „Na, solang dann keiner grünen Schleim kotzt, höhö, das wär’ ’ne mächtige Sauerei!“ Patrick rollte die Augen. „Alles klar, du Scherzkeks!“ Mit einem schelmischen Gesichtsausdruck schlenderte Jan an dem Ältesten vorbei und ließ sich neben Jessica nieder. „Na, Baby, wie war deine Nacht ohne mich?“ Einen solch lockeren Spruch hätte Michael auch gerne gebracht, doch ihm blieb jegliches Wort der Begrüßung im Halse stecken, als Thomas flüchtig zu ihm aufsah und ihm ein leise gegrummeltes „Morgen“ zuwarf. Verbissen versuchte Michael das aufgeregte Klopfen seines Herzens zu unterdrücken, während seine grüngrauen Augen auf das blasse Profil des kahl rasierten Jungen blickten, welcher sich bereits wieder abgewandt hatte. Die Muskeln in den glatten Wangen zuckten kaum merklich, als sich die grauen Augen müde schlossen. Fasziniert beobachtete Michael das Schauspiel als wäre es eins der größten Wunder der Natur. Die dunklen Wimpern hoben sich wie ein Vorhang, als die Lider wieder nach oben gezogen wurden. „Willst du dich nicht setzten?“, drang die rau-markante Stimme des Größeren an sein Ohr. Michael zuckte zusammen. Er spürte wie das Blut in seine Wangen schoss und die bereits gebräunte Haut rötlich färbte. Zum Glück schien es nicht allzu sehr aufzufallen, denn zu Michaels Erleichterung sagte keiner etwas. „Ähm, doch, klar“, antwortete Michael hastig. Mit zusammengepressten Lippen setzte er sich auf seinen Platz. Sein Herz beruhigte sich langsam wieder, obgleich es immer noch heftiger gegen seine Brust schlug als gewöhnlich. Langsam schloss er seine Augen und atmete tief ein, als wollte er versuchen, den pochenden Muskel in seiner Brust zu beruhigen, auch wenn er wusste, dass dies vorerst nichts bringen würde. Mit leicht zitternden Fingern strich er sich über seine geschlossenen Lider, ehe er die Augen blinzelnd wieder aufschlug. Aus den Augenwinkeln sah er nach links, wo Thomas gelangweilt mit dem Kugelschreiber blaue, unkoordinierte Linien und Kreise auf seinem Block zog. Den Kopf leicht wendend, fiel sein Blick auf die schlanke und dennoch recht kräftige wirkende Hand, welche mal langsam und mal schneller über das Papier huschte. Jetzt, wo er genau hinsah, fiel ihm auf, dass unterhalb des Zeigefingerknöchels eine dünne, unter der Haut kaum bläuliche Ader hervorstand. Seine Lippen kräuselten sich ein wenig, als er sich selber dabei ertappte, wie offensichtlich er mittlerweile jede noch so kleine Kleinigkeit an Thomas beobachtete. „Sag mal, welcher ist heute noch mal?“, drang eine noch recht helle Jungenstimme an sein Ohr und Michael schreckte aus seinen Gedanken hoch. Flüchtig sah er an Thomas’ Rücken vorbei zu Hendrik, welcher die Frage gestellt hatte. „19.06.“, antwortete der junge Neonazi nun und seine leicht raue, dunkel-markante Stimme ließ einen Schauer durch Michaels Körper laufen. Die kleinen Härchen auf seiner leicht gebräunten Haut stellten sich auf und ließen Michael selbst bei den sommerlichen Temperaturen für einen kurzen Moment leicht frösteln. Für gewöhnlich wäre er sicher froh gewesen, einmal nicht das Gefühl in Schweiß auszubrechen zu haben, doch angesichts des Grunds für diese Gänsehaut konnte Michael sich nur selbst an die Stirn fassen. Scheiße, du benimmst dich wie ein kleines verliebtes Schulmädchen, dass einen von den Backstreet Boys anhimmelt, zischte er sich gedanklich selber zu und hätte im selben Augenblick laut loslachen können. Thomas mit einem Boyband-Sänger zu vergleichen, war doch nun wirklich sehr widersprüchlich. „Ach ja, Pleske“, holte ihn die markante Stimme seines Sitznachbarn erneut aus seinen Gedanken. Wie vom Schlag getroffen sah Michael ihn an. „Äh, ja?“ „Mein Videospiel“, sagte Thomas nur schlicht und stützte sich mit dem Ellebogen auf den Tisch, um seinen Kopf in seine Hand zu legen. Michael versuchte all seine Konzentration auf ihr Gespräch zu wenden und nicht auf die sinnlichen Lippen zu starren, als die Zunge des Älteren darüber schnellte, um sie zu befeuchten. Arschloch, dachte Michael sich angesichts dieser „Folterung“ und der Bewährungsprobe seiner Standhaftigkeit. Oh ja, wenn er das noch mal macht, wird noch was ganz anderes standhaft. – Ah, verdammt! Was denk ich hier eigentlich? Sich selber und die Zweideutigkeit des Wortes „Standhaftigkeit“ verfluchend, wandte er seine Konzentration nun wirklich vollends ihrem Gespräch zu. Feststellend, dass Thomas ihn schon reichlich fragend anguckte und sich anscheinend nicht mehr sicher war, ob Michael überhaupt zugehört hatte, räusperte sich der junge Punk. „Was ist mit dem Spiel?“, fragte er und stellte fest, dass seine Stimme ein wenig krächzte. „Ich will es wieder.“ Mehr hatte Thomas anscheinend nicht zu sagen. Kommt mir vor wie ‚Ich Tarzan – du Jane’. Aber toll, er kann ganze Sätze reden. „Höflicher geht es nicht?“, erwiderte Michael ein wenig schnippisch, was Thomas nur ein Schulterzucken entlockte. „Wozu? Erstens gehört das Spiel ja doch mir und ich muss dich um nichts bitten. Und Zweitens sind wir ja auch nicht auf einem Staatsbankettball und schieben uns gegenseitig intelligente Komplimente zu, um uns daran zu erfreuen, dass wir uns beide für ganz besonders wichtig halten und uns Honig ums Maul schmieren, obwohl wir uns eigentlich scheiße finden. Aber da du ja eh Anarchist bist, interessiert dich Politik nicht. Also lassen wir das. Ach, und Drittens bist du ja selber auch kein Beispiel für Höflichkeit“, sagte Thomas so schnell, sodass Michael bezweifelte, dass er dazwischen mehr als einmal Luft geholt hatte. Okay, vergessen wir das mit Tarzan und Jane. „Gott, erst redest du so knapp es geht und nun blubberst du mich voll. Gibt es bei dir kein Mittelmaß?“ Für ein paar Sekunden erwiderte Thomas darauf nichts, doch schließlich fand ein schlichtes „Heute nicht“ den Weg aus seinem Mund. „Zurück zum Spiel. Ich will es im Laufe der Woche, also spätestens Freitag, wieder!“, kam Thomas auf ihr eigentliches Thema zurück. Während er das sagte, öffnete sich die Tür zum Klassenzimmer und Frau Herzog betrat den Raum. Das Getuschel in der Klasse erstarb langsam, sodass auch Michael nur noch ein „Okay“ erwiderte. Den ganzen Schultag jedoch über sprachen sie kein weiteres Wort mehr. Nach der ersten Pause hatte Thomas dermaßen schlechte Laune, weil ein Schüler aus Versehen mit einem Eisbecher in der Hand gegen ihn gestolpert und sein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Stolz und Ehre“ nun mit rosa und braunen Flecken versehen war. Keiner wagte es ihn anzusprechen und sogar Herr Jansen bemängelte im Kunstunterricht nur ein einziges Mal, dass Thomas nicht weiter an ihrem Projekt arbeitete sondern lieber wieder Kreise auf seinen Block malte. Herr Jansen tat das nach einer kurzen, aber hitzigen Diskussion widerwillig als „abstrakte Kunst“ ab und ließ Thomas wie alle anderen Lehrer und Mitschüler in Ruhe. Da Michael alles andere als in Thomas’ Missgunst stehen wollte, hatte auch er kein einziges Mal versucht, den jungen Neonazi anzusprechen. Dennoch konnte er seine Augen aber nicht von ihm abwenden und besonders nach der ersten Pause hatte er sich zum Starren hinreißen lassen, als Thomas immer wieder sein Shirt hochgezogen hatte, um sich weiter und besser über die Flecken aufregen zu können. Anscheinend war es aber keinem aufgefallen und so ging Michael am Ende des Schultages schließlich erleichtert nach Hause. Doch Michael hatte bis zum Wochenende natürlich vergessen, das Spiel wieder mitzubringen. Ein wenig chaotisch war er eben immer schon gewesen. Aber das schien Thomas nur milde überrascht zu haben, denn er hatte am Freitag nicht einmal danach gefragt. Dafür stand er heute, nur einen Tag später, vor Michaels Haustür. „Sag mal, Pleske“, begann er betont schleppend. „Hast du nicht irgendetwas vergessen?“ Für einen Moment blickte Michael ertappt in die grauen, stechend blickenden Augen seines Gegenübers; versuchte dann aber etwas verspätet eine Unschuldsmiene aufzusetzen. Thomas bemerkte dies und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Etwas zu spät, Pleske, um den Ahnungslosen zu spielen!“, meinte er ein wenig höhnisch. „Und jetzt lass mich rein; ich wollte hier keine Wurzeln schlagen.“ Seine grauen Augen blickten den Kleineren auffordernd an. Michael grinste schief. „Ach, nicht? Du würdest sicher eine wunderschöne Topfpflanze abgeben. Meine Mutter wäre entzückt!“, erwiderte er mit leichtem Sarkasmus in der Stimme. Allmählich hatte er seine Sprache wieder gefunden. Dennoch trat er einen Schritt zur Seite, um Thomas ins Haus zu lassen. Da der junge Mann erreicht hatte, was er wollte, antwortete er nicht mehr auf Michaels Kommentar. Ebenfalls wortlos begab Michael sich zu seiner Treppe, blieb aber nach fünf Stufen stehen, als er merkte, dass der andere ihm nicht folgte. „Du willst wohl doch unbedingt als Mums Pflanze enden?“ Thomas sah für einen Moment verwirrt auf. Er hatte eigentlich vorgehabt, hier unten zu warten. Nun folgte er dem Punk allerdings schweigend die Treppe hoch und schließlich in dessen Zimmer. Seit er das letzte Mal hier gewesen war, hatte sich nicht viel geändert. Im Moment lagen zwar keine Kleidungsstücke auf dem Boden, aber dennoch sah es weiterhin chaotisch aus. Ein mulmiges, unbehagliches Gefühl schlich sich in Thomas’ Körper. Das letzte Mal als er hier gewesen war, hatte er mehr von sich Preis gegeben, als er im Nachhinein gewollt hatte. Zwar konnte er nicht leugnen, dass es gut getan hatte, mal mit einem Außenstehenden über das Problem mit seinem Vater zu sprechen, doch irgendwie bereute er es dennoch. Immerhin war Michael Pleske nicht gerade sein bester Freund gewesen und war es auch jetzt noch nicht. Um sich abzulenken blickte Thomas zu den verstreuten CDs auf dem unaufgeräumten Schreibtisch und hoffte inständig, dass sein Spiel nicht unter dem umgekippten Stapel lag. Er malte sich schon zerbrochenes Plastik und Schrammen auf dem silbernen Glanz der Compact Disc aus, als Michael ihm plötzlich eine noch sehr heil aussehende Hülle reichte. Das Spiel sah noch genauso aus wie Thomas es ihm überlassen hatte. „Wow, erstaunlich, da ist ja noch alles dran!“, sagte Thomas und grinste breit. Michael zuckte mit den Schultern. „Mit Sachen anderer Leute geh’ ich sorgfältiger um, als mit meinen.“ Thomas lachte laut auf und ungewollt klang es spöttisch. „Kaum zu glauben.“ Michael merkte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Das Lachen hatte ihn viel mehr verletzt als die Worte. Ein Kloß bildete sich an seinem Kehlkopf und er schluckte hart, doch der Kloß wollte nicht aus seinem Hals weichen. „So denkst du also über mich?“ Diese Worte hatten seinen Mund gegen seinen Willen verlassen. Eigentlich hatte er sie nur gedacht und gar nicht gemerkt, wie seine Stimmbänder und sein Mund dazu agiert hatten. Selber hätte er sich schlagen können, dass er dabei so leidend geklungen hatte. Ja, man hatte eindeutig rausgehört, dass die Worte ihn getroffen hatten. Das schien auch Thomas nicht entgangen zu sein, denn seine Augenbrauen waren in die Höhe gezogen. Ein fragender Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Bitte wie?“ Sein Ton klang hart und ungläubig, so als könnte er nicht fassen, dass Michael so mit ihm sprach. Gleichzeitig hörte Michael Verwunderung in seiner Stimme. Er schien nicht ganz zu verstehen, was Michael wollte oder eher warum er überhaupt so reagierte. Michael wandte seinen Blick ab und atmete tief, leicht rasselnd, ein. Was hatte er gerade nur angerichtet? Adrenalin schoss durch sein Blut, ließ sein Herz schneller gegen seine Brust schlagen und nervös werden. Er musste die Situation irgendwie retten. Abermals atmete er tief ein. „Jetzt guck nicht so!“, wandte er sich wieder an Thomas und versuchte einen schelmischen Blick aufzusetzen. Seine Stimme krächzte ein wenig. „Das war nur’n Scherz. Wollt dich nur foppen!“ Er legte ein breites Grinsen auf seine Lippen, auch wenn ihm gar nicht danach zumute war. Michael war klar, dass er nicht sonderlich überzeugend war und es war offensichtlich, dass Thomas immer noch skeptisch war, doch er schien dem nicht weiter auf den Grund gehen zu wollen. Ein leises „Aha, okay“ drang über Thomas’ Lippen, ehe sie wieder ins Schweigen verfielen. Michael fühlte sich angespannt. Thomas in seinem Zimmer zu haben, war schön und beängstigend zu gleich. Die Gesellschaft des jungen Neonazis, der ihm so gegensätzlich war, war ihm teuer, doch gleichzeitig sagte eine innere Stimme ihm, er solle ihn schnell wieder loswerden, bevor er sich noch verplappere. Unbewusst versenkte er seine obere Zahnreihe in seine Unterlippe, sodass sich auf der blassroten Haut kleine weiße Striemen bildeten. Seine Beine wibbelten ein wenig unruhig, als er sich auf seinem Bett niederließ. Das Sonnenlicht fiel durch die halb hinuntergezogene Jalousie und ließ seine graugrünen Augen matt wirken. Die durch Thomas verursachten Prellungen in seinem Gesicht waren mittlerweile nur noch als gelbliche Flecken zu sehen und kaum noch spürbar. Die Stille machte die Situation für Michael noch unerträglicher. Er spürte, dass Thomas gleich gehen würde. Warum sollte er auch bleiben? Immerhin hatte er sein Spiel wieder und nur deswegen war er zu ihm nach Hause gekommen. Doch Michael wollte nicht, dass er schon ging. Wann hatte er schon mal die Gelegenheit, mit dem anderen allein zu sein oder überhaupt Zeit mit ihm zu verbringen? Auch wenn sich außer einem Smalltalk wahrscheinlich nichts ergeben würde, so wollte er den anderen Jungen nicht einfach wieder von dannen ziehen lassen. Verlegen räusperte er sich. „Ähm… aber weißt du, was ich nicht verstanden habe? Bei diesem Endgegner… wieso kann man den nicht mit diesen Geisterpfeilen erledigen? Der ist doch so ’ne Art Geist, oder?“, begann Michael ein Gespräch zu starten. Er hielt es für klug, sich über das Spiel zu unterhalten, da das Thema nicht sonderlich abwegig oder auffällig war. Thomas, der seinen Blick über die Poster in Michaels Zimmer hatte schweifen lassen, zuckte kaum merklich zusammen, als der Punk ihn aus seinen Gedanken riss. Er drehte sich zu dem Bett, auf dem Michael saß und strich sich mit den Fingern über seine kahle Kopfhaut. „Er ist kein wirklicher Geist und man kann ihn im Allgemeinen nicht mit Pfeilen vernichten. Du brauchst dazu diese… ach, wie hieß das Scheißding noch mal?“, dachte er laut nach und zuckte dann schließlich mit den Schultern. „Na ja, is’ ja jetzt auch egal.“ Wieder trat ein kurzes Schweigen ein, dass Michael jedoch wieder unterbrach, um das Gespräch weiterzuführen. Es machte ihn zufrieden, sich einfach nur mit Thomas zu unterhalten. Und auch wenn dies nur der Ansatz einer recht mühsamen Konversation war, so fühlte Michael sich dennoch glücklich. „Aber du kennst doch sicher noch diese Tussi mit dem Iro und diesen roten Streifen im Gesicht? Die war echt schwer zu besiegen!“, sagte Michael und drehte zwischen Daumen und Zeigefinger eine der Falten, die seine Hose am Knie warf. Thomas nickte bestimmt. „Klar, erinner’ ich mich noch an die!“, meinte er und grinste breit. „Die hatte es echt drauf. Ich fand sie neben dem Endgegner fast am Härtesten. Aber mal ehrlich… die Klamotten, die sie anhatte, waren echt heiß. Ich glaube, Nils hat das Spiel nur deswegen gespielt.“ Er lachte laut auf und klang dabei so mitreißend, dass Michael nicht anders konnte, als es ihm gleich zu tun. Unbemerkt war Thomas dem Bett näher gekommen und stand nun kaum noch einen Meter von Michael entfernt. „Aber weißt du, was ich auch geil fand?“, meinte Thomas nun ein wenig offener und Michael verspürte ein leichtes Kribbeln in seinem Bauch, als Thomas das Gespräch von sich aus weiterführte. „Dieses kleine, haarige Vieh mit den riesigen Augen, das immer die Wangen so aufgeblasen hat!“ Thomas machte große Augen, um das virtuelle Wesen zu imitieren und Michael musste erneut auflachen. Das prickelnde Kribbeln in seinem Magen wurde noch stärker, als ihm klar wurde, wie unbefangen ihr Gespräch nun war. Ihm kam es vor, als würden tausende von Ameisen bei einer großen Silvesterfeier Raketen in seinem Magen hochlassen und dazu Polka tanzen. „Und dann kam das Vieh immer so auf den Bildschirm zugeschossen“ – Thomas ging einen weiteren Schritt auf Michael zu, dessen Herz nun, wo Thomas direkt vor ihm stand, anfing krampfhaft schnell gegen seinen Brustkorb zu pochen – „sodass man dachte, es würde einem direkt ins Gesicht fliegen. Und dann hat es die Wangen und Augen so breit gemacht und dann ein lautes „Huuiii“ losgelassen!“ Mit großen Augen und aufgeblasenen Wangen beugte er sich zu Michael runter und ließ ein leises, für seine Stimme hohes „Huuiii“ los, ehe er leise lachen musste. Michael jedoch schien auf einen Schlag wie paralysiert. Dass Thomas ihm plötzlich so nah war, dass er dessen Atem ganz leicht gegen seine Schläfen prallen spürte, ließ den jungen Punk erstarren. Natürlich waren ihm auch Jan und Patrick schon mal so nah gewesen und auch der Freund seiner Schwester, wenn sie sich mal aus Spaß geprügelt hatten. Doch bei Thomas war das anders. Die feinen Härchen auf Michaels Körper stellten sich auf und ließen eine Gänsehaut, begleitet von einem sanften Schauer, über seinen Körper gleiten. Binnen Sekunden war sein Blick auf die leicht geschwungenen, blassrosa Lippen vor ihm geheftet. Sein Herzschlag erhöhte sich ein weiteres Mal, sodass Michael schon fast der Gedanke kam, es könnte zerplatzen. Knirschend zogen seine Zähne an seiner leicht trockenen Unterlippe; seine Finger zitterten. Seine Gedanken drehten sich nur um die sinnlichen Lippen vor ihm, als wäre er unfähig etwas anderes zu denken. Gerade als er sich fragte, ob sie wirklich so weich waren, wie sie aussahen, bemerkte er – wie in Zeitlupe – dass Thomas’ Gesicht sich langsam von seinem entfernte. Ohne nachzudenken handelte er. Eine seiner Hände löste sich von seinem Oberschenkel und legte sich in den Nacken des Größeren; zog ihn ohne Vorwarnung wieder zu sich runter. Erwartungsvoll hob er seinen Kopf und legte, bevor Thomas reagieren konnte, seine Lippen auf die des anderen. Sie fühlten sich wirklich so weich an, wie sie ausgesehen hatten. Eigentlich sogar noch weicher, als er es sich vorgestellt hatte. Doch er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Eine Hand hatte sich an den Ansatz seines Halses und seine Schlüsselbeine gelegt und drückte ihn kraftvoll zurück, ehe eine zweite Hand ihn mit Schwung zurückschubste. Hart traf sein Rücken auf die durchgelegene Matratze, doch das störte Michael wenig, als ihm bewusst wurde, was er soeben getan hatte. Seine Hand an die Stelle seines Halses, wo Thomas fest gedrückt hatte, legend, sah er auf und blickte ihn das erstarrte Gesicht seines Gegenübers. Die grauen Augen waren immer noch aufgerissen, doch nun nicht mehr, um etwas zu imitieren, sondern aus Schock. Ungläubig und eindeutig erschrocken musterte Thomas ihn. „Was… was… sollte das?“, brachte er stockend heraus und wich zwei Schritte von dem Bett weg. Diese Geste schmerzte Michael. Tief atmete er ein und setzte sich auf; legte seinen Kopf in seine Hände. Er war unfähig dem anderen zu antworten. Lautlos presste er die Lippen aufeinander und starrte zu Boden. „Bist du schwul, oder was?“, drang erneut Thomas’ Stimme an sein Ohr, doch diesmal klang sie um vieles härter als zuvor. Michael war zum Lachen und Heulen gleichzeitig zumute. „Nein, ich bin bi“ zu sagen, wäre in diesem Moment sehr lächerlich und kindisch. Unter seinen Fingerkuppen spürte er die millimeter-kurzen Haarstoppel, als er seine Finger in seine Kopfhaut krallte. Noch immer schwieg er, denn er konnte nichts sagen und er wusste auch nicht, was er hätte sagen können. Das machte Thomas allmählich wütend. „Verdammt, du Wichser, rede mit mir! Knutsch mich nicht erst ab und tu jetzt so, als wäre nichts gewesen!“ Michael zuckte zusammen. Die Härte in Thomas’ Ton und auch die Wortwahl taten weh. Seine Augen brannten; sein Kinn zitterte. Angespannt ließ er seine Hände wieder sinken und stand mit weiterhin gesenktem Haupt auf. Nur langsam hob er den Kopf, als er einen Schritt auf Thomas zuging. Gerade wollte er sich durchringen, doch etwas zu sagen. Vielleicht ein Wort der Entschuldigung oder ein Wort der Erklärung. Doch Thomas wich weiter zurück. „Oh nein, komm mir nicht zunahe, du perverses Arschloch.“ Ein weiteres Mal zuckte Michael zusammen; diesmal heftiger als zuvor. Natürlich war er schon viele Male von Thomas und anderen Leuten auf diese Art und Weise beschimpft worden, doch nie war etwas Persönliches dabei im Spiel gewesen. Nie hatte er eine dieser Personen geliebt und vor einigen Wochen war Thomas ihm auch mehr als egal gewesen. Er merkte, wie dieser weiter zur Zimmertür ging und diese öffnete. „Es tut mir Leid“, murmelte er leise, doch er war sich nicht sicher, ob Thomas es noch gehört hatte, als er sein Zimmer verlassen hatte und die Treppe runtergestürmt war. Er hörte die Haustür laut zuknallen und schließlich drangen durch sein geöffnetes Fenster die Geräusche eines Wagens, der hastig aus der Einfahrt gesetzt wurde und etwas dabei zu Bruch ging. Starr verharrte Michael in seinem Zimmer. Thomas nachzulaufen wäre sinnlos gewesen. Sein Körper zitterte, während seine Augen immer noch starr auf die geöffnete Zimmertür blickten, durch die der Ältere soeben verschwunden war. Was hab ich nur getan? Wieso hatte er sich nicht beherrschen können? Die ganze Woche über hatte es doch so gut geklappt. Die ganzen letzten vier Wochen war es ihm kein einziges Mal passiert. Er hatte Thomas nicht einmal kurz mit den Händen berührt oder etwas in der Richtung gesagt. Er hatte sich doch nur unterhalten wollen; kurz die Nähe des anderen genießen wollen. Und nun hatte er ihn geküsst. Flüchtig, aber dennoch hatten ihre Lippen aufeinander gelegen. Michael konnte nicht bestreiten, dass dieses Gefühl Wohlgefallen in ihm ausgelöst hatte, doch das war nichts wert, wenn er sich bedachte, was nun passiert war. Thomas’ Reaktion war eine Katastrophe gewesen. Aber eigentlich hatte Michael auch nie mit etwas anderem gerechnet. Gerade deswegen hatte er sich ja immer beherrscht. Warum war er ihm auch so nahe gekommen? Doch die Schuld auf Thomas zu weisen, war unfair. Er war es, der sich nicht hatte beherrschen können. Er war schuld. Tränen bildeten sich in seinen Augen, doch keine einzige floss über seine Wange. Starr sah er an die Decke. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was ihn am nächsten Montag in der Schule erwarten würde. TBC Hm, so... Michaels Verlangen hat ihm tatsächlich den Kopf verdreht und ihn seine Beherrschung verlieren lassen. Das könnte jedem Menschen irgendwann so gehen. Thomas' Reaktion war in gewisser Weise absehbar. Fast jeder Mensch, insbesondere aber die männliche Fraktion, wäre mit dem Kuss überfordert gewesen. Ich hoffe jedenfalls, dass es euch gefallen hat und ihr euch nun neugierig auf Kapitel 11 freut *lol* Im Laufe des nächsten Monats wird es wohl fertig sein. Tschö, Motte Kapitel 11: Verstört/Zerstört ----------------------------- Moin! ^_^ Es ist Mitte Dezember und von der Motte gibt es ein kleines, vorweihnachtliches Geschenk: Kapitel 11 *lol* Ob ihr das jetzt als "Geschenk" anseht... das ist eure Sache xD Ich wünsch euch allerdings trotzdem viel Spaß und bedanke mich im gleichen Zuge auch noch mal für die ganzen Kommis ^^ Kapitel 11: Verstört/Zerstört Ein lautes Hupen erfüllte die Kreuzung, als der rasant fahrende, schwarze VW Golf dem grünen Kombi die Vorfahrt nahm. Thomas war durchaus bewusst, dass er mindestens 25 Stundenkilometer zu schnell fuhr, aber das war ihm im Moment egal. Zu aufgewühlt, verwirrt und wütend war er. Warum hatte Michael ihn geküsst? Zornig schlug er gegen das Lenkrad, als er eine Vollbremsung durchführen musste, um den Fahrradfahrer vorbeizulassen, ehe er in das Wohngebiet, in dem er wohnte, abbiegen konnte. Natürlich fuhr er hier wesentlich langsamer, aber für die Verhältnisse immer noch zu schnell. Mit einem Ruck und leichtem Quietschen kam er auf der Einfahrt bei seinem Zuhause zum Stehen. Es dämmerte bereits ein wenig. Ein Blick auf seine Uhr sagte Thomas, dass es schon beinah 22 Uhr war. Gereizt stieg er aus dem Wagen und erzeugte einen lauten Knall, als er die Fahrertür seines Wagens in seiner Wut heftiger zuschlug als nötig gewesen wäre. Die ältere Dame auf dem Gehweg zuckte angesichts dessen zusammen und brummte etwas von „Rüpel“ und der „Jugend heutzutage“. Doch Thomas hörte sie schon nicht mehr. Ebenso wie die Autotür flog auch die Haustür kraftvoll zu. Mit großen Schritten erklomm Thomas hastig die Spitze der Treppe und schritt durch die offene Tür seines Zimmers. Gerade fragte er sich, ob er sie nicht eigentlich geschlossen hatte, als er einen schmalen Braunschopf vor seinem Schreibtisch knien sah. Wut kochte in ihm hoch. Er hasste es, wenn andere Leute – und sei es seine eigene Familie – in seinen Möbeln nach seinen Sachen kramten. Besonders jetzt, wo er eh schon so gereizt war. „Benni!“, dröhnte seine dunkle Stimme zornig durch seine eigenen vier Wände, sodass sich der Kleinere erschrocken zusammenzuckte und sich umdrehte. „Was machst du da?!“ Verstört sah Benjamin seinen großen Bruder an. Es war kaum zu übersehen, dass dieser schlechte Laune hatte. Und das war bei Thomas nie ein gutes Zeichen. Die grauen Augen funkelten bedrohlich und zwei tiefe Falten lagen, über den gesenkten Augenbrauen, auf der Stirn. „Ähm, ich… ich wollte gucken, ob du dieses… Adventure-Spiel schon zurück hast“, stammelte Benni kleinlaut. Er war immer noch etwas geschockt, dass er erwischt worden war. Mit großen Augen blickte er gebannt auf seinen Bruder; bemerkte erstaunt wie dieser erstarrte. Dass er Thomas mit dem Wort „Adventure-Spiel“ an ein gerade erst zurückliegendes Geschehen erinnerte, ahnte Benni nicht. Dafür zuckte er umso mehr zusammen, als Thomas seinen Mund wieder öffnete. „Raus!“, schrie er. „Raus aus meinem Zimmer!“ Benni rappelte sich verwirrt, aber eilig hoch. „Verdammt, Benni, verpiss dich und schließ die Tür von außen!“ Grob packte Thomas den Kleineren am Oberarm und zerrte ihn vor die Tür, da er nicht geduldig genug war, zu warten bis Benni sich in Bewegung gesetzt hatte. „Und wag es ja nicht, noch einmal hier rein zu kommen und in meinen Schränken zu wühlen!“ Erzürnt schlug er die helle Holztür zu, nachdem er seinen Bruder auf den Flur geschubst hatte. Der Jüngere zuckte unter dem lauten Knall zusammen und strauchelte ein wenig nach vorne. Kaum hatte er wieder Halt gefunden, blieb er wie angewurzelt stehen. Seine Augen waren vor Schreck geweitet und er zitterte ein wenig. Natürlich war das nicht der erste Wutausbruch, den er von Thomas mitbekommen hatte. Schon allein, wenn ihr Vater ihm begegnete, wurde sein großer Bruder unzurechnungsfähig. Aber eigentlich war Benni selten bis gar nicht derjenige gewesen, der diese nicht zu zügelnde Wut hatte ausbaden müssen. Er wusste nicht, wie lange er so da gestanden hatte, doch irgendwann stand seine Mutter mit besorgtem Gesichtsausdruck neben ihm und laute Musik dröhnte durch die Wände aus Thomas’ Zimmer. Nur vereinzelte Wörter der Hassparolen waren zu verstehen, aber das war es nicht, was Frau Rosner so wunderte. „Was ist los mit ihm?“, fragte sie ihren jüngeren Sohn, welcher immer noch ein wenig erschrocken dreinblickte. „Weiß nicht. Ich hab… nach einem Spiel in seinem Schreibtisch gesucht“, erzählte er seiner Mutter leise, sodass sie genau hinhören musste, um durch die laute Musik noch etwas verstehen zu können. „Jedenfalls… er war so sauer. Er hat mich rausgeschmissen und angeschrieen.“ Seine blaugrauen Augen wirkten um vieles weicher, als die seines großen Bruders, als er zu seiner Mutter hochblickte und nervös auf den Lippen kaute. „Ach, wahrscheinlich hat ihn irgendetwas vorher aufgeregt“, versuchte Frau Rosner ihren Sohn zu beruhigen und starrte mit einem missbilligenden Blick auf die verschlossene Zimmertür. „Du darfst das nicht so ernst nehmen, Benni. Er regt sich schon wieder ab. Das hat er bis jetzt jedes Mal getan.“ Ein leises Seufzen rann über ihre dezent rosé getünchten Lippen. Es war unverkennbar, dass ihr die Aggressionen ihres Erstgeborenen viel mehr ausmachten, als aus ihrem Tonfall zu entnehmen war. „Ich denke, mit ihm zu reden, hat wohl im Moment wenig Sinn“, stellte sie mehr für sich fest, als dass sie es zu Benjamin sagte. Fahrig strich sie sich durch das blonde Haar und wandte sich schließlich wieder dem Jungen neben ihr zu. „Geh einfach in dein Zimmer und spiel etwas. Das klärt sich schon alles. Ich bin mir sicher, dass ihm irgendeine andere Laus über die Leber gelaufen ist. Das ist nicht deine Schuld.“ Von unten konnte man ein lautes Quengeln hören. „Jana verlangt nach ihrer Mama“, meinte Frau Rosner ein wenig lachend, als versuchte sie, die Stimmung ein wenig aufzuheitern. Mit diesen Worten begab sie sich wieder auf die Treppe und ging mit schnellen Schritten ins Erdgeschoss zurück. Für einen Moment verharrte Benni noch in seiner Position. Sein Blick schweifte ein letztes Mal zu der Zimmertür seines Bruders, ehe er dem Rat seiner Mutter folgte und sich in sein eigenes Zimmer begab. Krachend ertönte das Geräusch von Holz, das auf Teppichboden fiel. Glas klirrte und Scherben verstreuten sich; glitzerten im Licht auf den dunklen Fasern. Wenn Benjamin noch vor Thomas’ Tür gestanden hätte, wäre er sicher erneut zusammengezuckt. Vor überschäumender Wut hatte Thomas gegen seinen Tisch getreten, welcher mit Schwung umgekippt war und die Gläser, die sich auf ihm befunden hatten, durch das Zimmer geschleudert hatte. Worte des Hasses drangen an sein Ohr, als Thomas ein weiteres Mal gegen seinen Holztisch trat und diesen somit ein Stück weiter durch das Zimmer schob. Er hörte erst auf damit, als sein Tisch gegen seinen Schrank geschoben wurde und er so keinen Gefallen mehr daran fand, als dem Tisch noch einen finalen Tritt zu geben und sich dann gegen seinen Schrank zu lehnen. Seine grauen Augen funkelten ihn selbst kalt aus der Ecke seines Spiegels an, als er den Worten des Sängers lauschte, der über „unwürdige Menschen“ im deutschen Staat sang und Thomas genoss es, all diese verschiedenen Personen mit Michael in Verbindung zu bringen und sich vorzustellen, dass mit dem jungen Punk genau das geschah, was der Sänger in dem Lied vorschlug. Folterung, Demütigung, Gewalt, Tod. Mit einem lauten Aufschrei schlug er hart gegen seine Schranktür, sodass die Knöchel seines Handgelenkes schmerzten. Von seiner eigenen Aggression erschöpft, ließ er mit dem Rücken an dem Holz zu Boden sinken und winkelte seine Beine an. Seine Ellebogen auf seine Knie stützend vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und biss sich fest auf die Lippen. Wie hatte diese… diese ekelerregende, minderwertige, verachtungsvolle, beschissene, nichtsnutzige, perverse, schwule, kleine Zecke… es nur wagen können ihn zu… einem Kuss zu vergewaltigen? Erneut kochte Wut in ihm hoch, der verspürte das Verlangen, diese an Michael selbst auszulassen anstatt an seinen Möbeln. Die Vorstellung diese Missgeburt von einem Punk zu würgen, bis das Gesicht ganz blau und grau war und er unter ihm anfangen würde zu röcheln, erschien geradezu befriedigend in seinen Augen. Die Musik war inzwischen verstummt, da auf der Single-CD nur drei Lieder enthalten waren. Mit den aggressiven Tönen verschwand auch Thomas’ letzter Antrieb, erneut auf seine Möbel einzuschlagen. Er spürte, wie das Adrenalin aus seinem Körper wich und ihn langsam zur Ruhe kommen ließ. Seine Wut verrauchte nicht, doch sie wurde wieder beherrschbar. Erschöpft und von der „Tat“ des anderen Jungen immer noch angeekelt, lehnte er seinen Kopf gegen den Schrank und schloss sachte die Augen; nicht ahnend, wie sehr seine Mutter ein Stockwerk unter ihm erleichtert aufatmete. Die Stimmung bei Michael sah dagegen ganz anders aus. Wenn ihn überhaupt Wut plagte, dann Wut auf sich selbst. Doch viel mehr hatte die Verzweiflung die Überhand seiner Gefühle gewonnen und ließ ihn seit Thomas’ Verschwinden in seinem abgedunkelten Zimmer in der Ecke sitzen. Krampfhaft hatte er versucht, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten, doch seit einigen Minuten bahnten sie sich lautlos einen Weg über seine Wangen. Er wusste nicht einmal genau, warum er weinte. Weil er einen so törichten Fehler begangen hatte? Weil Thomas so entsetzlich und dennoch eindeutig reagiert hatte? Oder weil er sich nun sicher sein konnte, dass der junge Mann ihn nun garantiert noch viel schlimmer behandeln würde, als vor der Zeit, wo sie zusammen gesessen hatten? Wenn Michael an den nächsten Montag dachte, drehte sich sein Magen um. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was Thomas mit ihm anstellen würde, wenn er ihn wieder sah. Verdenken konnte er es Thomas nicht. Aber was wäre, wenn Thomas es Nils oder sogar der ganzen Klasse erzählen würde? Michael war sich sicher, dass er keinem einzigen, nicht einmal mehr Jan oder Patrick, in die Augen gucken könnte. Vielleicht sollte er den beiden das selber erzählen, bevor sie es über Dritte erfahren würden, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass er auch nur ein Wort herausbekommen würde. Was sollte er denn auch sagen? „Hey Jan, hey Patrick, ich wollt euch nur mal sagen, dass ich mich irgendwie in Thomas Rosner verliebt hab. Aber ihr braucht euch nicht zu fürchten, dass das was wird. Ich hab ihn mal so mir nichts dir nichts geküsst und er wollte wohl nicht.“ – Das hörte sich in Michaels Ohren schauderhaft an. Natürlich war der Gedanke übertrieben gewesen. So locker würde er das nicht einmal rüberbringen, wenn ihm Thomas’ Reaktion nichts ausgemacht hätte. Doch sie machte ihm was aus. Verdammt viel sogar. Ihm war klar gewesen, dass Thomas ihm nicht glücklich um den Hals fallen würde. Eigentlich hatte er sich Thomas’ Reaktion auch so ähnlich ausgemalt, wenn er sich vorgestellt hatte, er würde es dem anderen Jungen irgendwann mal sagen. Doch vorstellen und erleben waren zwei sehr unterschiedliche Dinge, wie Michael feststellen musste. Diese Abweisung, die Wut und die Beschimpfungen hatten wehgetan und erfüllten Michael auch jetzt noch mit einer Mischung aus Trauer und Verzweiflung. Von unten hörte er lautes Stimmengewirr. Anscheinend war sein Vater gerade nach Hause gekommen und unterhielt sich mit seiner Mutter. Dass diese schon etwas länger wieder zurück war, hatte er schon bemerkt, als sie sich lautstark über den zerstörten Blumentopf an der Einfahrt aufgeregt hatte. Anscheinend hatte Thomas ihn auf seiner hastigen – ja, man konnte es so nennen – Flucht umgefahren. Ein Klopfen drang von seiner Tür aus, ehe diese geöffnet wurde und der Schein des Lichtes, welches von dem Flur in sein Zimmer fiel, den Boden neben ihm beleuchtete. „Michi, sitzt du da in der Ecke?“, erklang die helle Stimme seiner Mutter und nur wenige Sekunden später erstrahlte sein Zimmer im für ihn grellen Schein seiner Deckenstrahler. Seine Augen waren so an die Dunkelheit gewöhnt gewesen, dass er ein paar Mal blinzeln musste. Und als er endlich wieder klar sehen konnte, stand seine Mutter bereits direkt vor ihm und sah mit besorgtem Blick auf ihn hinab. „Sag mal, Kind, weinst du?“, fragte sie leise und beugte sich zu ihm runter. Instinktiv schüttelte Michael seinen Kopf. Er fand, er war schon lange aus dem Alter heraus, in dem man vor seiner Mutter noch zugab, zu weinen. Vielleicht hätte er es sogar zugegeben, wenn er nicht wissen würde, dass sie dann auch den Grund erfahren wollte. Und den wollte er ihr ganz gewiss nicht nennen. Eigentlich sollte es keiner erfahren und schon gar nicht seine Mutter. Sie würde an einem Herzinfarkt krepieren, wenn er ihr sagen würde, dass er sich als Punk – was ihr ja vor nicht einigen Jahren noch genug Probleme bereitet hatte – sich nun in einen Neonazi – die sie bei weitem noch viel schlimmer fand – verliebt hatte und dass dieser sich wahrscheinlich gerade mordlüsterne Gedanken machte. Doch seine Mutter kannte ihn anscheinend zu lange und zu gut, als dass sie ihm das glaubte. „Lüg doch nicht“, sagte sie und ging vor ihm in die Hocke. Michael verzog das Gesicht; spürte wie seine Wangen sich durch die getrockneten Tränen leicht spannten. Schnell wischte er sich über die gerötete Haut. „Okay, ich hab geheult“, gab er resigniert zu und war erstaunt darüber, wie heiser und verweint seine Stimme klang. Sein Blick senkte sich und starrte auf das schwarz-grün karierte Muster seiner Hose. „Was ist denn passiert?“ Michael schüttelte nur erneut den Kopf. „Ist egal.“ Seine Mutter lachte ein wenig gequält auf. „Als ob gerade du wegen irgendetwas weinen würdest, wenn es egal ist“, meinte sie leise und versuchte eine Hand auf seine Schulter zu legen, doch Michael hielt sie davon ab. „Ich möchte nicht drüber reden.“ Doch seine Mutter schien nicht locker lassen zu wollen. „Hey, du weißt, dass wir mittlerweile wirklich fast alles akzeptieren würden. Hast du irgendwas angestellt? Oder geht es um-“, begann sie weiterzufragen, doch Michael unterbrach sie: „Es geht dich nichts an.“ Er hatte dabei unabsichtlich ein wenig genervt geklungen, doch das schien ihre Fragestellerei zu stoppen. „Gut, vielleicht redest du ja mit Lina drüber“, antwortete seine Mutter seufzend und gab auf. Michael antwortete ihr nicht mehr. Langsam erhob sie sich wieder und ging aus seinem Zimmer. An der Tür angekommen, drehte sie sich noch einmal um. „Essen ist in 15 Minuten fertig.“ Obwohl Michael immer noch auf seine Hose starrte, spürte er noch kurz ihren Blick auf sich, ehe er ihre Schritte auf den Stufen Richtung Küche vernahm. Ein extrem mulmiges Gefühl hatte Michael beschlichen, als er am Montagmorgen aufstanden war. Am liebsten wäre er im Bett geblieben und hätte sich vor der Situation in der Schule gedrückt, doch schließlich hatte er sich doch aus seinem Bett geschält. Nachdem er sich angezogen hatte, war er mehr oder weniger im Schneckentempo und mit gesenktem Haupt zur Bushaltestelle geschlichen. Um seine Frisur hatte er sich heute überhaupt nicht gekümmert. Ebenso wenig um die vielen Ketten und Armbänder, die er sonst trug. Kein Wunder also, dass Patrick ihn fragte, ob er verschlafen habe, kaum war er in den Bus gestiegen. Michael hatte nur halbherzig genickt und da Patrick daraus schloss, dass sein Kumpel sich immer noch im Halbschlaf-Tiefkoma befand, hatte er ihn den weitere Fahrt über in Ruhe gelassen. Michael war dies sehr entgegengekommen. So hatte er sich immerhin ausgiebig weiter ausmalen können, was ihn wohl gleich in der Klasse erwarten würde. Ein Gedankenspiel, das ihn schon das ganze Wochenende über beschäftigt hatte. Jedes Mal waren die Bilder vor seinem inneren Auge wie ein Film abgelaufen und jedes Mal war die Vorstellung obskurer, schlimmer und unrealistischer geworden. Und dennoch konnte Michael sich nicht helfen, auch in diesem Moment an nichts anderes zu denken. Erst als der Bus an der Haltestelle der Schule hielt, erwachte er aus seiner nachdenklichen Trance und setzte sich in Bewegung. Langsam und vorsichtig, wie schon auf dem Weg zur Bushaltestelle in seiner Wohngegend. Patrick und Jan schienen das nicht zu bemerken. Sie liefen vor ihm und plauderten munter vor sich hin, rissen ihre Scherze und lachten laut. Doch Michael hingegen wurde mit jedem Schritt, der ihn näher zu dem dunkel gemauerten Gebäude brachte, nervöser. Als sie schließlich die Treppe zu ihrem Klassenraum hochgingen, schien sein Magen sich so zu verkrampfen und gleichzeitig vor Aufregung zu kribbeln, dass er das Gefühl hatte, er müsste sich auf der Stelle übergeben. Mit dem Gefühl, dass ihm die Luft wegblieb, trat er schließlich durch die geöffnete Tür und steckte seine zitternden Hände in seine Hosentaschen. Kaum war er durch die blaue Türzarge getreten, hatte er das Gefühl, alle Augen seien auf ihn gerichtet. Ein unheilvolles Gefühl nahm Besitz von seinem Körper und ließ erneut ein Übelkeitsgefühl aufkommen. Hatte Thomas es wirklich bereits allen erzählt? Hitze und Kälte zugleich strömten durch seine Glieder. Mit leicht panischem Blick sah er sich um und fasste sich an die Stirn, als er bemerkte, dass keiner ihn ansah. Die meisten seiner Klassenkameraden unterhielten sich laut über ihre Wochenenden. Lena stritt sich mit Sergej über dessen politisch sehr desinteressierte Haltung, woraufhin sie sich mit wüsten Beschimpfungen auf Russisch auseinandersetzen musste, die außer Sergej selber wahrscheinlich keiner verstand. Mark schwatzte den armen Jonas mit irgendwelchen haarsträubenden Frauengeschichten zu; von seinen angeblichen Eroberungen bis hin zu den „dummen Weibern“, die meinten, er sei einfach ein Idiot. Annelie neben ihm rollte die Augen. Jessica und Alexandra unterhielten sich über das Thema Jungs, während sie geringschätzig von Tatjana und Isabelle gemustert wurden, die daraufhin sogleich begannen, über Alex’ neue, dunkelrote Cordhose zu lästern. Alles war wie immer. Einzig und allein Florian sah ihm im Vorbeigehen an und fragte verwirrt, ob alles in Ordnung sei. Michael nickte nur und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Litt er nun schon unter Halluzinationen? Hatte er sich schon so in die Reaktionen seiner Mitschüler hineingesteigert, dass er ihre Blicke bemerkte, obwohl sie gar nicht vorhanden waren? Seufzend begab er sich zu seinem Platz und es verwunderte ihn selber ein wenig, dass ihm erst jetzt auffiel, dass Thomas nicht an seinem Platz sah. Suchend blickte er sich im Klassenraum um, begegnete kurz Nils’ grimmigen Blick und senkte dann schnell sein Augenmerk zu dem grauen PVC-Boden. Anscheinend war Thomas noch nicht da, was Michael wunderte, denn immerhin war sein Sitznachbar meistens vor ihm hier. Unruhig setzte er sich auf seinen Platz und fragte sich, ob Thomas nur wegen ihm nicht zur Schule gekommen war. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Tief atmete er durch und holte sein lädiertes Etui aus seinem Rucksack. Seine Hände zitterten immer noch, sodass er sie schnell wieder auf seinen Oberschenkeln zu Ruhe kommen ließ. Ein leises, stetiges Klacken sagte ihm, ohne dass er aufsehen musste, dass Isabelle auf dem Weg zu ihrem Platz vor ihm war. Der süßliche Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase und auch wenn er sonst zugeben musste, dass dieser Duft durchaus nett war, störte er ihn heute auf unerträgliche Weise. „Oh, Thomas ist ja heute gar nicht da“, bemerkte sie mit einer heiteren, erhöhten Stimme. „Wie schade, so kann ich ja gar nicht auf seinen tollen, knackigen Arsch gucken!“ Sie lachte laut und schrill auf und Michael bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sie Tatjana ein Grinsen zuwarf. „Nun, dann bist du wohl heute mein Ersatz, hihi“, sagte sie kichernd und Michael brauchte eine Weile bis er merkte, dass er gemeint war und nicht der schüchterne Carsten. Ohne den Kopf zu heben, sah er auf und bemerkte, wie die hellen blauen Augen des Mädchens ihn von Kopf bis Fuß musterten. „Schade, dass deine Hosen so… schlabberig sind. Da sieht man ja gar nicht deine Qualitäten!“ Erneut lachte sie mädchenhaft. Michael rollte die Augen und vergrub sein Gesicht wieder in seine auf dem Tisch verschränkten Arme. Erst als ihm unerwartet eine männliche Stimme ein „Guten Morgen“ zuwarf, sah er wieder auf. Vor dem Lehrerpult stand Herr Reckner, ihr Musiklehrer, welcher der Klasse nun mitteilte, dass Frau Herzog verhindert war und sie ihm Aufgaben gegeben hatte. „Herr Reckner?“, hörte Michael hinter sich Nils’ Stimme fragen. „Ich soll Thomas entschuldigen. Er muss zum Arzt.“ Der schlanke Lehrer fuhr sich durch das schwarze, leicht gräulich werdende Haar. „Ich denke, er wird dann in den nächsten Stunden wieder auftauchen?“ Michael drehte sich nicht um, aber er wusste, dass Nils nun mit den Schultern zuckte. „Denke ich mal.“ „Gut“, schloss Herr Reckner damit das Gespräch und wandte sich wieder der gesamten Klasse zu. „Jeder von euch müsste ja jetzt gleich den Aufgabenzettel haben. Ich möchte, dass ihr die Arbeiten ALLEINE – also ohne kleine Nebengespräche – löst.“ Doch wie sich Herr Reckner eigentlich hätte denken können, war es in einer Klasse selten ganz still. Hier und da redeten immer noch einige im Flüsterton miteinander, aber das schien den Musik- und Geschichtslehrer nicht weiter zu stören. Die zweite Stunde vertrat ihr Sportlehrer Herr Kneipp den Unterricht, doch er schien nicht gänzlich befriedigt von diesem „Schreibtischjob“ zu sein. Immerhin war es sonst sein größtes Vergnügen, die Schüler um den Sportplatz rennen zu lassen, bis sie mit hochroten Köpfen um eine Pause bettelten. Seine sadistische Ader nicht gänzlich ausgelebt, entließ er die Klasse schließlich in die erste Pause, wo Michael eher teilnahmslos neben Patrick und Jan stand und kaum etwas von deren Gespräch über ein neues Videospiel mitbekam. Die ganzen Vertretungsstunden waren an ihm vorbeigezogen wie ein Spielfilm im Vorspul-Modus. Seine Gedanken hatten immerzu um Thomas gekreist und warum dieser wohl fehlte. Die Pause verging dieses Mal viel schneller als sonst. Michael kam es vor, als wäre er nur 3 statt 15 Minuten auf dem Hof gewesen. Langsam schlenderte er zurück zum Klassenzimmer, um auch die nächste Stunde – Religion bei Frau Heinrichs – damit zu verbringen, über Thomas zu grübeln. Während des Kunstunterrichts, der zum Leidwesen von Herrn Jansen wieder im Klassenraum stattfand, öffnete sich auf einmal die Tür. Die meisten aus der Klasse sahen neugierig hoch, Michael jedoch nicht. Er war zu beschäftigt, gedankenverloren auf den Text über Michelangelos Gemälde in der Sixtinischen Kapelle, dem „Jüngsten Gericht“, starren. Erst als er Schritte, die auf ihn zukamen, hörte und jemanden mit einer blauen Jeans schnell an sich vorbei gehen sah, blickte er hoch – und erstarrte im selben Moment. Die Person war mittlerweile an dem Platz links von ihm angekommen, während sein Blick immer noch an dem hellblauen, harten Stoff verweilte. Langsam ließ er seine Augen nach oben wandern; über das schwarze, unbedruckte T-Shirt bis zu dem bleichen, harten Gesicht. Die grauen Augen seines Gegenübers erwiderten seinen Blick jedoch keineswegs, sondern sahen weiterhin zu Herrn Jansen. „Ah gut, ich habe gehört, Sie waren beim Arzt, Thomas?“, fragte Herr Jansen gut gelaunt, was sehr selten war, wenn er eher Kunsttheorie als –praxis lehren konnte. „Ja“, antwortete die dunkle Stimme des Kahlköpfigen schlicht, was Michael dazu brachte, leicht zusammenzuzucken. In ihm war, seit Thomas den Klassenraum betreten hatte, erneut eine panikartige Nervosität ausgebrochen, die ihm den Atem zu stehlen schien. Zwar hatte er die ganze Zeit über eben diese Person nachgedacht, doch nun, wo er hier war, wünschte Michael sich nichts sehnlicher, als dass Thomas wieder gehen würde. Sein Blick senkte sich auf seine bebenden Hände in seinem Schoß. Er bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Thomas sich setzte, aber den Stuhl so weit wie möglich an Hendriks Tisch drängte, um möglichst weit von Michael entfernt sitzen zu können. Der junge Punk biss sich auf die Lippen. Er hatte nichts anderes erwartet, doch diese Ablehnung erneut zu spüren, tat ein weiteres Mal weh. Er stutzte leicht, als Thomas einige von seinen Stiften, die über seinen Tisch auf Thomas’ ragten, mit einer Armbewegung wegfegte, sodass die Stifte samt Block und Lineal auf dem Boden landeten. „Thomas, das wäre jetzt aber nicht nötig gewesen“, ermahnte Herr Jansen den jungen Neonazi, ehe er sich Niclas, der sich gemeldet hatte, zuwandte und zu diesem in die hinteren Reihen ging. Thomas sagte darauf nichts. Im Allgemeinen schien er lieber zu schweigen, denn er antwortete auch nicht auf Jens’ Frage, was er denn beim Arzt gewollt hatte. „Oh Thomas, schön, dass du wieder da bist“, zwitscherte Isabelle ihm entgegen und lehnte sich auf die Platte seines Tisches. Thomas schnaubte nur verächtlich. „Da du jetzt ja gesagt hast, was du sagen wolltest, kannst du dich ja wieder umdrehen, oder?“, überging er ihren billigen Flirtversuch und warf ihr einen feindseligen Blick zu. Mit pikiertem Blick und hochgezogenen Augenbrauen wandte Isabelle sich erstaunt ab. Michael konnte sich trotz seiner Situation ein Grinsen nicht verkneifen. Diese Mimik verfloss jedoch schnell ins Gegenteil, als er Thomas’ kalten Blick auf sich spürte. Natürlich war ihm klar gewesen, dass sein Gegenüber immer noch sauer sein würde. Und in gewisser Weise war er Thomas wirklich dankbar, dass er es anscheinend keinem erzählt hatte. Doch, obwohl er nichts anderes erwartet hatte, hatte ein kleiner Teil in ihm wohl doch immer noch gehofft, dass Thomas über diese Aktion einfach hinweg sehen und sich wieder normal benehmen würde. Erneut zuckte er leicht zusammen, ehe sein Körper sich zu versteifen schien. Er fühlte sich unfähig, irgendetwas Sinnvolles zu denken, sich zu bewegen oder überhaupt seine Konzentration auf etwas anderes zu lenken, als auf das beunruhigende, unbehagliche Gefühl, dass ihm Thomas’ Nähe nun gab. Warum kann der Tag nicht schon vorbei sein? Erleichtert atmete Michael auf, als die Schulschelle die zweite Pause ankündigte und er Thomas’ Nähe entkommen konnte. Es war nahezu lächerlich. Am Freitag hatte er noch mit allen Kräften versucht, Thomas bei sich zu behalten, um weiter dessen Anwesenheit genießen zu können und nun wollte er nichts anderes, als weg von dem jungen Neonazi. Es war schon merkwürdig, wie sehr sich das Empfinden über die Gesellschaft einer Person ändern konnte, auch wenn die Gefühle für diese Person gleich blieben. Hastig steckte Michael sich eine Zigarette an, sobald er das Schulgebäude verlassen hatte. Er nahm einen tiefen Zug, bevor er sich umdrehte und Patrick neben sich entdeckte. „Sag mal, ist zwischen dir und Rosner irgendwas vorgefallen?“, fragte Patrick und kniff die Augen ein wenig zusammen, als die Sonne ihn zu blenden begann. Michaels Augen weiteten sich ein wenig. „Wie kommst du darauf?“, fragte er und unterdrückte die aufkommende Panik in seiner Stimme. Im Hintergrund sah er Jan auf sie zukommen, der ebenso besorgt dreinblickte wie Patrick. Dieser steckte sich ebenfalls eine Zigarette an und musterte Michael prüfend. „Sieh mich nicht so an“, murrte Michael leise und nahm einen weiteren Zug. Patrick nickte. „Sorry. Aber hör mal, Michi, ich will dir nix unterstellen oder so… es ist nur einfach…“ Er brach ab und sah ein wenig Hilfe suchend zu Jan, welcher sich nun neben ihn gestellt hatte. Der Jüngste schien für einen Moment nachdenklich (was bei Jan selten war), blickte dann aber entschlossen und dennoch vorsichtig zu Michael. „Nun ja, is’ eben so, dasse… hm… du benimmst dich komisch, heute. Also den ganzen Tag schon, aber seit er da ist… biste noch komischer“, sagte Jan in seinen abgehackten Wörtern und räusperte sich dann verlegen. „Das bildet ihr euch ein“, wehrte Michael ab und drehte die Zigarette in seinen Fingern. Patricks dunkelblaue Augen betrachteten ihn skeptisch. „Sicher?“ Panik stieg in Michael hoch, aber gleichzeitig auch Wut. „Ja, verdammt noch mal. Ich weiß ja wohl selber am besten, was los ist, oder nicht?“, sagte er patzig und wurde dabei mit jedem Wort etwas lauter. Jan senkte den Blick, doch Patrick sah Michael weiterhin in die Augen. „Eben deswegen ja. Und wir denken, …, ich denke, dass du uns was verheimlichst. Du bist schon seit Tagen nicht mehr der Alte, aber am Wochenende warst du so was von… scheiße drauf, total depressiv. Das kenn ich nicht von dir. Du wolltest mit keinem von uns beiden was unternehmen und heute bist du so was von schreckhaft, dass man denken könnte, du wärst schüchterner als Carsten!“, meinte Patrick und merkte nicht, wie er im Gegenzug bei jedem Wort etwas härter und aggressiver wurde. Die Wut in Patricks Unterton ließ Michael den Kopf schütteln. „Es geht dich nichts an!“, erwiderte er trotzig. „Ich dachte, wir wären Freunde.“ – Patrick sah ihn herausfordernd an. „Dann kannst du mir ja vertrauen“, antwortete Michael schlicht auf die Worte seines älteren Kumpels und kehrte seinen beiden besten Freunden den Rücken zu. „Wohin gehst du?“, rief Jan ihm hinterher. Anscheinend hatte er seine Sprache plötzlich doch wieder gefunden. „Pissen, verdammt noch mal“, erwiderte Michael angesäuert und ließ genervt zurück zum Schulgebäude. Auf der Hälfte des Weges entledigte er sich seiner Kippe, trat sie aus und zog schließlich die Eingangstür auf. Mit schnellen Schritten ging er den Flur entlang und verschwand schließlich in der Tür zum Jungenklo. Kaum hatte er seine Hose wieder verschlossen, hörte er Schritte in dem Raum, wo die Waschbecken angebracht waren. Michael verdrehte die Augen und seufzte leise. Dabei hatte er gehofft, nur für ein paar Minuten alleine sein zu können. Genervt wandte er sich zu dem Durchgang zu den Pissoirs und Kabinen und fragte sich wirklich, ob das Schicksal ihn strafen wollte, als David gefolgt von Thomas den gekachelten Raum betraten. Zufall oder Schicksal? Setzen Sie auf ihr Glück, haha. Das kann doch nicht wahr sein! Doch es war real. David lächelte Michael unterdessen zu. „Hatten wir eigentlich etwas in Englisch auf?“, fragte er, während er in das Becken urinierte. Michael senkte den Blick und strich sich eine der herunter hängenden Strähnen aus dem Gesicht. „Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber mit so was fragst du eh den Falschen.“ David lachte und verschloss seine Hose wieder. Thomas stand immer noch an der Wand gelehnt; anscheinend entschlossen, weder vor Michael, noch vor David, der bekanntlich homosexuell war, pinkeln zu wollen. „Na, dann hoffe ich einfach mal, dass wir wirklich nichts aufhaben“, meinte David unbekümmert. „Und wenn nicht, dann bin ich wohl eh nicht der Einzige.“ Er grinste Michael noch zu und verschwand wieder in den Waschbeckenraum. Michael starrte ihm perplex nach und wollte sich gerade ebenfalls zögerlich in Bewegung setzen, als er plötzlich Thomas sprechen hörte. Selbst wenn er nicht der Einzige in diesem Raum gewesen wäre, den Thomas ansprechen könnte, hätte er gewusst, dass diese Worte an ihn gerichtet waren. „Ah, also ein neuer Flirt?“ Thomas’ Stimme klang so hämisch, dass Michael das Gefühl hatte, eine Gewehrkugel würde weniger quälend sein. „Ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte er leise, während seine Atmung hörbar flacher wurde. Langsam sah er auf und blickte in die kalten grauen Augen seines Gegenübers. Thomas grinste schief. „Wirklich? Nun, dann möchte ich dir auf die Sprünge helfen, falls du den Freitagabend schon vergessen-“, begann er in einem betont lockeren Ton, doch Michael unterbrach ihn. „Ich erinnere mich noch sehr gut an Freitag. Leider“, sagte Michael in einem leisen, aber klaren Ton. Thomas lachte verächtlich auf. „Leider? Wenn das jemand sagen kann, dann ja wohl ich. Wer hat denn wen geküsst? Nur zur Erinnerung: Ich wollte das ganz bestimmt nicht!“, sagte er laut und wütend. Michaels Blick senkte sich ein weiteres Mal. Nervös knibbelte er an seinen Fingernägeln. „Das ist mir schon klar gewesen. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat! Es tut mir Leid, okay? Ich wollte es nicht. Jedenfalls nicht so!“, erwiderte Michael energisch und ebenso laut wie Thomas, jedoch schwang auch Verzweiflung in seinem Unterton mit. Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Die Stille schien beinah erdrückend. Die Fingernägel wurden nun von Michaels Zähnen bekaut, was ihn selber nur noch nervöser machte. Sekunden strichen dahin, doch Michael kamen sie vor wie Ewigkeiten. Gerade wollte er sich langsam in Bewegung setzen, als er erneut Thomas’ nun skeptische Stimme vernahm. „Was meinst du mit ’nicht so’?“, fragte er ihn nun ein wenig ruhiger, aber noch mit ebenso hartem Ton. „Willst du sagen, du stehst auf mich, oder was?“ Michael hielt inne, antwortete jedoch nicht. Es zu leugnen, wäre eine glatte Lüge, doch er konnte diese Frage auch nicht mit einem einfachen „Ja“ oder einem bloßen Nicken beantworten. Er wusste einfach nicht, ob Thomas ihn dann nicht noch schlechter behandeln würde, als er es eh schon tat. Und vielleicht würde Thomas es dann doch noch seinen Freunden erzählen, wenn er den handfesten Beweis aus Michaels eigenem Mund gehört hatte. Also beließ er es beim Schweigen, doch Thomas schien ihn unbedingt aus der Reserve locken zu wollen. „Echt, Pleske, ich hätte nie gedacht, dass du schwul bist“, sagte Thomas frei in den Raum und sein belustigter Unterton – gespielt oder nicht – schmerzte Michael. Erneut überkam ihm das Verlangen, Thomas zu sagen, er sei bisexuell und kein Homo. Wurde er doch schon eh in genug Schubladen gesteckt, so wollte er sich eigentlich nicht auch noch in diese schieben lassen. Doch er wusste, dass Thomas das nicht interessieren würde und außerdem wäre es kindisch, eine solche Antwort zu geben. „David würde sich sicher freuen. So wie er dir gerade zugezwinkert hat. Die Schwuchtel ist sicher gerne bereit, deine… Bedürfnisse zu befriedigen.“ Schmerz. Das hatte gesessen. Michaels Unterkiefer und sein Kinn begannen zu zittern; ebenso wie der Rest seines Körpers. Er hätte schreien und weinen zugleich können. Doch er brachte es nur zu einem heiseren Flüstern. „Arschloch.“ Ein Wort, doch es beschrieb alles, was er in diesem Moment für Thomas empfand. Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, wie Thomas ihn erstaunt musterte. Der Gesichtsausdruck schien ein wenig erschrocken zu sein. Michaels Sicht begann ein wenig glasig zu werden. „Lass David da raus. Er hat mit der Sache nichts zu tun“, sagte er nun ein wenig kräftiger und lief dann eilends aus der Toilette. Thomas starrte ihm nach und strich sich mit den Händen übers Gesicht. Sein Atem ging ein wenig rasselnd. Vor lauter Wut hatte er mal wieder mehr gesagt, als er hatte sagen wollen. „Scheiße“, fluchte er laut und schlug gegen die kühle, weiße Kachel an der Wand neben ihm. Doch als Thomas in den bereits gefüllten Klassenraum zurückkehrte, ließ er sich gegenüber Michael keineswegs anmerken, dass die Worte unüberlegt aus seinem Mund gesprudelt waren. Wortlos setzte er sich neben ihn; merkte wie Michael nun seinerseits auch weiter von ihm wegrückte und kräuselte leicht die Lippen. Bedacht darauf nicht einmal ansatzweise in Thomas’ Richtung gucken zu müssen, starrte Michael an die weiße Wand zu seiner rechten Seite, während Frau Lechner irgendetwas auf Englisch vor sich hinredete. Er konnte nicht fassen, was Thomas in der Toilette zu ihm gesagt hatte. Ihm war klar gewesen, dass der junge Neonazi ihn für seinen Kuss verachten würde. Er hatte damit gerechnet, dass er ihm Fragen stellen würde. Doch er hätte nie gedacht, dass Thomas jemals so zynisch auch andere Personen, wie David, in diese Angelegenheit einbeziehen würde und solche verletzende, verachtende Sprüche bringen würde. Dieser Tag war definitiv einer der Schlimmsten seines Lebens und als Michael nach der Schule nach Hause ging, fragte er sich wirklich, warum er sich in jemanden wie Thomas Rosner verliebt hatte und warum er sich trotz allem immer noch zu ihm hingezogen fühlte. TBC Ich denke, in dem Kapitel wird ein weiteres Mal klar, wie schlecht Thomas auf Michaels Kuss und Michael selber nun zu sprechen ist. Trotzdem hoffe ich, dass ihr nicht anfangt, ihn komplett zu hassen. Jeder Mensch wird mal einsichtig, obwohl ich sagen muss, dass Thomas wirklich gemein sein kann *lol* Da ich vor Weihnachten wohl kein neues Kapitel veröffentlichen werde, wünsche ich euch schon mal schöne Feiertage und dass eure Geschenkwünsche in Erfüllung gehen ^^ Tschööö, Motte Kapitel 12: Gebrochene Wut -------------------------- Moin moin ^_^ So, da ich über die Feiertage ein wenig mehr Zeit hatte, kann ich euch nun Kapitel 12 präsentieren *lol* Viel Spaß beim Lesen ^^ Kapitel 12: Gebrochene Wut Die folgenden Tage in der Schule wurden für Michael nicht besser. Weiterhin ignorierte Thomas ihn und versuchte so zu tun, als würde Michael gar nicht existieren. Am Mittwoch überging er Frau Meyers Aufforderung, die Aufgaben in Partnerarbeit zu lösen und ließ Michael eiskalt neben sich sitzen, während er den Text über Kindermisshandlung und der Stellung des Jugendamtes alleine bearbeitete und erstaunlich viel dazu schrieb. Normalerweise war Michael jemand, der in solchen Situationen gerne bei anderen abschrieb – oder wie er es nannte: sich von anderen inspirieren lassen. Doch er wagte es kein einiges Mal, länger als einen flüchtigen Augenblick auf Thomas’ Blatt zu starren und kaute stattdessen unruhig an seinem Kugelschreiber herum, bis er merkte, dass sich der grüne Kunststoff der Hülle an seinen Zähnen absetzte und einen unangenehmen Geschmack in seinem Mund hinterließ. Doch auch der Mittwochmorgen und -vormittag gingen zu Michaels Erleichterung vorüber. Er sah, wie Thomas schnell seine Sachen zusammenpackte und eilig den Klassenraum verließ. Ein leises Seufzen rang über seine Lippen. So eilig hatte der andere es also schon, von ihm wegzukommen. Mit hängendem Kopf stopfte er schließlich seine Colaflasche in seinen Rucksack und band diesen lustlos zu, ehe er die Schnallen verschloss. Aus den Augenwinkeln sah er Nils der linken Tischreihe vorbeigehen und fragte sich, warum dieser nicht wie sonst mit Thomas fuhr. Für einen kurzen Moment schien sein Herz einen kleinen Sprung zu machen, als sich der Gedanke in seinen Kopf schlich, dass Thomas vielleicht einen anderen Grund zur Eile hatte. Doch dann schüttelte er, sich selbst entmutigend, den Kopf. Egal, aus welchem Grund Thomas so schnell die Klasse verlassen hatte, es würde nichts an der Einstellung des Neonazis zu ihm und seinen Gefühlen ändern. Doch Thomas hatte tatsächlich einen anderen Grund, schnell das Gebäude zu verlassen und nach Hause zu kommen. Auf dem Weg hatte er noch seine kleine Schwester Jana vom Kindergarten abgeholt, (ab da war er dann gesitteter gefahren) und diese schließlich auf ihren eigenen Wunsch und den seiner Mutter bei einer Freundin von Jana abgeliefert. „Ah, wir haben gerade das Essen fertig. Ich hoffe, du magst Nudeln, Jana“, hatte die Mutter von Janas Freundin fröhlich gesagt und Thomas ein Lächeln zugeworfen. „Ich hol sie heute Abend gegen 18 Uhr wieder ab“, hatte Thomas daraufhin nur erwidert und war schließlich dann nach Hause gefahren. Kaum hatte er die Haustür geöffnet, war er auch schon die Treppen nach oben gelaufen und in das Zimmer seines kleinen Bruders gegangen. Seine Augen brauchten etwas, bis sie sich an das gedämmte Licht in dem Raum gewöhnt hatten, doch schließlich ging Thomas auf das Bett seines Bruders zu und zog die Decke, die Benjamin fast bis über den Kopf gezogen hatte, ein Stück runter. „Hey, du Schlafmütze“, flüsterte er leise und piekte seinen Bruder grinsend in die Seite. Ein lautes Husten war zu vernehmen, während Benni sich zu ihm umdrehte. Seine Augen waren von dunklen Schatten umrandet und doch fand Thomas, dass er schon besser aussah als Montag, wo er mit ihm zum Arzt gefahren war. „Sei nicht so gemein, Tommi. Mama hat gesagt, Schlafen sei die beste Medizin“, erwiderte der Kleinere mit rauer Stimme und richtete sich ein wenig auf, nur um gleich wieder geschwächt auf die Matratze zurückzusinken. Thomas lachte leise auf. „Seit wann hörst du denn wieder auf das, was unsere Mutter dir sagt?“ Benni versuchte es ebenfalls mit einem Grinsen. „Seitdem ich nicht mehr auf das höre, was du mir sagst“, sagte er und schloss für einen Moment müde die Augen. Thomas’ Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln. „Kluges Kind“, meinte er leise und fühlte nach der Stirn seines Bruders. „Na, Fieber hast du anscheinend nicht mehr. Allerhöchstens noch etwas Temperatur. Hast du noch mal gemessen?“ Benni schüttelte mit weiterhin geschlossenen Augen den Kopf. „Dann mach mal den Mund auf“, sagte Thomas bestimmt und griff nach dem Fieberthermometer, das auf Benjamins Nachtschränkchen lag. Vorsichtig führte er es in den Mund von seinem Bruder, welcher ihn nun aus leicht verklärten Augen ansah. „Wie war’s denn in der Schule?“, fragte Benni und Thomas hatte wirklich Mühe, ihn zu verstehen, da er durch das Fieberthermometer unverständlich nuschelte. „Du sollst nicht reden, wenn du das Ding da im Mund hast“, ermahnte Thomas ihn, hörte sich dabei aber nicht halb so hart an, wie er manchmal gegenüber anderen Personen sprach. „Und Schule war im Übrigen wie immer.“ Für kurze Zeit schwiegen sie, bis schließlich Thomas das Messgerät aus Bennis Mund nahm und der Jüngere wieder anfing zu reden. „Hast du Nils jetzt mal gefragt, ob ich mein Autorennspiel zurück haben kann?“ Thomas hörte ihm nur halbherzig zu, da er versuchte in der Dämmerung die schwarzen Zahlen auf der Anzeige erkennen zu können. „Hm, 37,5… das sieht doch schon mal nicht schlecht aus“, murmelte er leise und machte das Gerät aus. Dann blickte er wieder zu seinem kleinen Bruder und rief sich noch mal dessen Worte ins Gedächtnis. „Ja, ja, hab ich. Er meint, er versucht dran zu denken, was bei ihm dann so viel heißt, dass es in zwei Wochen klappen könnte.“ „Ich will es aber jetzt wieder haben. Hol es doch bei ihm ab!“, entrüstete Benni sich und seine Stimme klang nicht mehr ganz so heiser. Thomas schüttelte den Kopf. „Ich fahr doch deswegen nicht extra zu Nils. Ich bring es mit, wenn ich das nächste Mal bei ihm bin.“ Benni zog eine Schnute und war anscheinend nicht ganz zufrieden mit der Antwort seines Bruders. „Zu dem Punk aus deiner Klasse bist du aber letztens auch gefahren, um dein Spiel wiederzuholen“, sagte er nun herausfordernd und verschränkte im Liegen die Arme vor seiner Brust. Thomas’ Gesicht verzog sich ein wenig. „Ja, und ich habe es auch bereits bereut“, antwortete er betont ruhig und zog die Arme seines Bruders auseinander. „Warum? Magst du ihn nicht?“, fragte sein kleiner Bruder in kindlich-jugendlicher Manier und grinste breit. Der kahl rasierte Junge rollte die Augen. „Willst du nicht wieder weiter schlafen, Benni?“, fragte er ein wenig genervt und stupste dem Kleineren spielerisch gegen die Nase. Benni schüttelte den Kopf und wischte sich kurz über die leicht feuchte Stirn. „Du hast mir noch keine Gute-Nacht-Geschichte erzählt“, sagte er provozierend. Thomas lachte leise und schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich denke, aus dem Alter solltest du raus sein.“ „Nein, erzähl mir was. Über die Schule. Über alles“, verlangte der Kleinere, doch Thomas schüttelte ein weiteres Mal den Kopf. „Nichts da“, blieb er bei seiner Einstellung und hob den Zeigefinger, als sein Bruder erneut den Mund aufmachte. „Und jetzt sei still, oder ich erzähl all deinen coolen, kleinen Freunden, dass der ach-so-coole Benni abends von Mama noch Geschichten vorgelesen bekommt!“ Triumphierend grinsend erhob Thomas sich vom Bett. Benni plusterte die Wangen auf. „Das stimmt doch gar nicht!“ „Na und?“ – Thomas’ Grinsen wurde breiter – „Das wissen sie ja nicht.“ Eine Schnute ziehend zog Benni die Bettdecke wieder hoch, bis sein Kopf verdeckt war. Thomas sah ihm dabei zu und zog belustigt die Augenbrauen hoch. Er griff nach der Fernbedienung des Fernsehers, die neben ihm auf dem Regal an der Tür lag und schmiss sie zu Benni auf das Bett. „Kannst ja ein wenig durch das Kinderprogramm zappen. Vielleicht findest du ja eine Sendung, die auch für Vierjährige ist.“ Zu schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann!, feixte Thomas innerlich. „Tommi, du bist scheiße!“, hörte er es gedämpft unter der Bettdecke brummeln. Ohne ein weiteres Wort, aber mit einem noch breiteren Grinsen verließ er das Zimmer seines Bruders und begab sich in sein Eigenes. Seit er eine Stunde später noch einmal nach seinem schlafenden Bruder gesehen hatte, lag Thomas nun auf seinem eigenen Bett und starrte an die Decke. Unruhig kauten seine geraden, weißen Zähne auf den blassrosa Lippen, während seine grauen Augen über die mit Holz verkleidete Zimmerdecke huschten, als würden sie dort etwas suchen. Vielleicht eine Antwort, auf die Fragen, die sich in Thomas’ Kopf festsetzten, sobald er sich durch nichts mehr ablenken konnte. Kurz hörte er auf, seine Lippen zu schädigen, um ein leises Seufzen aus seinem Mund entfliehen zu lassen. Auch wenn er es nicht gerne zugab: Seit Samstag musste er unwillkürlich an Michael denken. Es waren gemischte Gefühle, die dabei in ihm entstanden. Zum einen war er immer noch wütend aufgrund des Kusses. Wütend, verwirrt und irgendwie fühlte er sich ein wenig missbraucht, auch wenn ihm durchaus bewusst war, dass es Michael mittlerweile sehr Leid tat. Zum anderen hatte er inzwischen selber Mitleid mit dem jüngeren Punk. Auch wenn er es sich nicht hatte anmerken lassen, war ihm durchaus bewusst geworden, dass dieser Kuss kein „Versuch“ oder keine fixe Idee Michaels gewesen war, sondern ihm persönlich gegolten hatte. Ihm war schleierhaft, ob und warum sein Klassenkamerad sich zu ihm hingezogen fühlte. Sie hatten nie sonderlich viel miteinander zu tun gehabt. Bevor sie von Frau Vogt zusammengesetzt wurden, hatten sie einander sogar verabscheut. Auch wenn Thomas zugeben musste, dass diese Abscheu eher förmlich als persönlich war. Er war Neonazi; Michael war Punk. Deswegen hatten sie sich nicht leiden können. Oberflächlicher Hass, ohne die andere Person wirklich zu kennen; das hatte sie in der Vergangenheit verbunden. Doch nun schienen Michaels Gefühle ihm gegenüber ins komplette Gegenteil geschwankt zu sein. Ob diese Zuneigung ebenso oberflächlich war, wie der einstige Hass, wusste Thomas nicht, doch er bezweifelte es. Sein Magen verkrampfte sich etwas und gab ein jähes Zucken von sich. Er wusste nicht recht, wie er über diese Zuneigung denken sollte; wusste nicht, wie er darüber urteilen sollte und was er selber dabei empfand. Er konnte nicht leugnen, dass er Michael in der Zeit, wo sie jetzt zusammen saßen, besser kennen gelernt hatte und den Punk gar nicht mal so übel fand. Tatsächlich hatte er sogar eine Art Vertrauen zu ihm aufgebaut, nachdem er ihm die Geschichte mit seinem Vater erzählt hatte. Zwar bereute er immer noch zutiefst, dass er Michael sozusagen sein Inneres, seine verletzliche Seite, gezeigt hatte, doch er hatte sich selbst eingestehen müssen, dass dieses Gespräch eine befreiende Wirkung auf ihn gehabt hatte. Sonst hatte er nur mit Nils darüber geredet und nur vor diesem zugegeben, dass das Verlassen seines Vaters ihn damals sehr getroffen hatte. Doch Nils war nicht sehr begabt im Trösten. Auch damals nicht, wo sie schon Freunde gewesen waren und Thomas noch nicht verstehen wollte, dass sein Vater einfach weg gegangen war. Mit zittrigen Fingern fuhr er sich über die blasse Haut seines Gesichtes, weiter über die rauen Stoppel auf seinem Kopf. Noch immer wühlte das Thema ihn auf, verschaffte ihm ein Gefühl der Wut und der Hilflosigkeit zugleich. Er schloss die Augen und atmete tief ein; versuchte die Gedanken an seinen Vater wieder in die hinterste Kammer seines Gedächtnisses zu verbannen. Nach wenigen Minuten war es ihm auch gelungen und der schwarze Wimpernvorhang hob sich wieder. Erneut starrte das kalte Grau auf den warmen Holzton, während Thomas’ Gedanken wieder zu Michael schweiften. Erneut traf ihn ein Gefühl von Mitleid, aber auch Reue. Ihm war durchaus bewusst, dass er sich am Montag mehr als falsch verhalten hatte. Aber wie schon so häufig war einfach eine Sicherung bei ihm durchgebrannt, hatte seinen Aggressionen Freiraum gegeben und ihn Dinge sagen lassen, die er eigentlich gar nicht so gemeint hatte. Dass er David indirekt einbezogen hatte, nur um Michael weiter zu verletzen, war nicht richtig von ihm gewesen. Das wusste er selber. Auch wenn er oder viel mehr Nils schon häufiger dumme Witze über David gerissen hatte, sei es, weil er homosexuell war oder weil seine Schwester recht asozial rum lief und aus eigenem Wunsch arbeitslos war, so fand Thomas sein Kommentar letztendlich doch sehr billig und schmutzig. Er fuhr sich mit den Fingernägeln über die bloße Kopfhaut. Leicht rosa Striemen zeichneten sich auf der blassen Haut ab; brannten ein wenig, doch Thomas ignorierte es. Er dachte darüber nach, was er Michael alles an den Kopf geworfen hatte und fühlte sich mit jeder Sekunde schuldiger. Ah, Thomas. Was schert es dich überhaupt? Das ist nur Michael Pleske!, versuchte er sich selbst zu beruhigen und ein reines Gewissen einzureden. Doch es nützte nichts. Es gab nichts, was er sich schön reden konnte. Sollte er etwa sagen, dass Michael selber Schuld war, nur weil er doch anscheinend schwul war? Thomas wusste genau, dass diese Menschen selber nichts dafür konnten und im Gegensatz zu einigen seiner Kameraden redete er sich auch nicht ein, dass es anders wäre. Er war gebildet genug, zu wissen, dass es genetisch veranlagt war, auch wenn er sich da eigentlich nie wirklich Gedanken drüber gemacht hatte. Langsam setzte er sich auf und strich sich nachdenklich über die Stirn. Er sollte aufhören, darüber nachzudenken, doch irgendwie fanden die Gedanken immer wieder einen Weg in seinen Kopf. Vielleicht wäre es richtig, sich bei Michael zu entschuldigen, doch diese Idee war so unangenehm, dass er beschloss, sie schnell zu verwerfen. Das letzte Mal, als er sich bei dem anderen Jungen hatte entschuldigen wollen, hatte er ihm mehr erzählt, als er wollte und auch das wollte Thomas in näherer Zukunft vermeiden. Und außerdem – redete er sich zu seiner Beruhigung ein – erwartete Michael von jemandem wie ihm wahrscheinlich eh keine Entschuldigung. Unruhig ließ er sich wieder mit dem Rücken auf die Matratze gleiten und griff nach der Fernbedienung seines Fernsehers. Sich ablenkend zappte er durch das Programm; vorbei an Soaps wie „Unter Uns“, Zeichentricksendungen für Kinder, Musikvideos von irgendwelchen bedeutungslosen HipHop-Acts bis er schließlich bei einer Quizsendung landete und den Fernseher wieder ausschaltete. Plötzlich merkwürdig müde drehte er sich auf die andere Seite, starrte noch an die helle Wandtapete, bevor er schläfrig die Augen schloss. Ebenso schläfrig rieb er sich die Augen, als er die Beifahrertür seines Autos aufgehen hörte und merkte, wie sich jemand neben ihn setzte. Auch ohne einen rein instinktiven Seitenblick hätte er gewusst, dass es Nils war, der zu ihm in den Wagen gestiegen war. Immerhin nahm er den großen, muskulösen, jungen Mann jeden Morgen mit zur Schule, seit er den Führerschein und ein eigenes Auto hatte. „Morgen“, begrüßte Nils ihn und stellte seinen Rucksack zwischen seine Füße. „Du siehst müde aus.“ „Bin ich auch. Hab die Nacht nicht viel geschlafen“, antwortete Thomas und startete den Wagen, bevor er schnell aus der Einfahrt setzte und die Straße entlang fuhr. Seine Lippen kräuselten sich ein wenig. Er hatte wirklich fast die ganze Nacht wach gelegen und über dasselbe Thema gegrübelt, das ihn schon den Nachmittag über beschäftigt hatte. Doch Michael Pleske hatte es immer wieder geschafft, sich in seine Gedanken zu schleichen und weiter Schuldgefühle in ihm aufkommen zu lassen. Als dann schließlich der Wecker ihn um 6.50 Uhr aus dem leichten Dämmerschlaf, den er dennoch gefunden hatte, gerissen hatte, waren seine Schuldgefühle hinter einer kalten Fassade verschwunden, welche er beim Rasieren entwickelt hatte. Wortlos saß er nun neben Nils, welcher ihm erzählte, dass er gestern noch mit den Jungs aus ihrer Clique unterwegs gewesen war und eine Gruppe von Türken aufgemischt hatte. „Echt, dieses Schmarotzer-Pack!“, polterte er aufgereizt und haute mit der Faust auf das Armaturenbrett. Thomas, der ihm nicht wirklich zugehört hatte, gab nur ein „Hm-hm“ von sich. „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Hey, die haben Markus mit einem Messer bedroht, als er letztens alleine unterwegs war.“ Nils sah ihn ungläubig an. Aber Thomas zuckte nur mit den Schultern. „Klar, das ist scheiße. Aber was soll ich denn da jetzt großartig zu sagen, Mann? Soll ich zu dem Türkenpack gehen und ’ne Bombe rein werfen, oder was?“, murrte Thomas verdrossen und bremste stark vor der roten Ampel, die er zu spät gesehen hatte. Nils lachte dröhnend auf und schlug Thomas kumpelhaft auf die Schulter. „Du bist doch kein Rucksackterrorist!“, sagte er und grinste breit. Die Ampel schaltete wieder auf Grün und Thomas schaltete in den ersten Gang und fuhr weiter. „Seien du sicher?“, fragte er mit einem absichtlich akzentbelastetem Deutsch. „Ische mache disch platt, du Zau, ey, und dann isch hole meine Brüder, die auch Bombe lege tun. Pass auf, Alder! Wir mache disch Erdboden gleisch!“ Nils kam aus dem Lachen gar nicht mehr raus und auch Thomas’ Mundwinkel hoben sich, bis sich tiefe Grübchen bildeten. Doch Lachen tat er nicht. Ihm war einfach nicht danach zumute. „Du bist göttlich, Thomas“, lobte Nils ihn mit leicht erstickter Stimme, während er sich die Lachtränen aus den Augen strich. „Matthias hätte das sicher auch amüsiert. Der hat sich gestern sehr aufgeregt über diese Attentäter. Ein bisschen Spaß hätte ihn sicher wieder aufgelockert.“ „Aha“, sagte Thomas nur trocken und schwieg für einen Moment, ehe er kühl fortfuhr. „Ich hatte nicht vor, seiner Belustigung zu dienen.“ „Du magst ihn nicht, oder?“, stellte Nils fest, auch wenn ihm das schon häufiger aufgefallen war. Thomas reagierte selten positiv auf Matthias. Sein Blick schwenkte kurz aus dem Fenster, als er einem Mädchen mit recht kurzem Rock hinterher starrte, bis sie außer Sichtweite war. „Nein, ich mag ihn nicht“, beantwortete Thomas die Frage seines Kumpels, während er sich auf der Linksabbiegerspur einordnete. Nils nickte wissend. „Na, das ist keine Überraschung. Du hasst es, rumkommandiert zu werden. Das ist doch der Grund, oder?“ „Wahrscheinlich“, sagte Thomas knapp, auch wenn er wusste, dass dies nicht der einzige Grund war, warum Matthias Scherer sicherlich nie sein bester Freund werden würde. Matthias war ihm in vielen Dingen zuwider, auch wenn der blonde Anführer nach Außen hin ganz ordentlich wirkte. Er war Thomas einfach zu extrem. In seiner Einstellung, in seiner Art und in seinen Vorstellungen für die Zukunft. Matthias wollte nicht nur diese Gruppe in ihrer Stadt haben. Nein, er wollte etwas ganz Großes. Er hatte Verbindungen zu den Leuten der NPD und war ebenfalls politisch sehr engagiert. Matthias wollte die Dinge nach seinen Vorstellungen verändern; das Land so gestalten, wie er und seine Gesinnungsgenossen es gerne hätten. Mattias hatte Ziele. Thomas dagegen reichte es, solange er seine Einstellung hatte. Allein das war ihm wichtig. Er lebte seine Meinung und seinen Stil und das war gut so. Doch er fand die Politiker der NPD nicht weniger korrupt als alle anderen auch. Er fand viele Leute aus ihren Reihen nicht weniger hinterhältig und schleimerisch, als Leute aus anderen Gruppen mit solchen Charakterzügen. Wenn es nach ihm ginge, würden sie bei ihren wochenendlichen Treffen in einer Kneipe der Stadt weniger über Politik reden und einfach nur Spaß haben. Je länger er drüber nachdachte, desto mehr fiel ihm auf, wie lange er schon nicht mehr bei diesen Treffen gewesen war. Ob sie überhaupt noch stattfanden? Diese Frage stellte er laut an Nils und dieser sah ihn für einen Moment erstaunt an. „Nein, schon seit drei oder vier Wochen nicht mehr. Matthias meinte, es hätte keinen Sinn mehr, denn wir würden ja eh nicht weiterkommen und er hätte das Gefühl, die meisten aus unserer Runde würden das nicht ernst genug nehmen. Irgendwann saß er dann bei ein paar gammeligen Kerlen von der NPD rum und nach und nach hatten sich die Treffen dann erledigt“, berichtete Nils und zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Seit du nicht mehr gekommen bist, war es eh zunehmend langweiliger für mich, Markus und Christoph geworden.“ Thomas nickte nur und bog schließlich auf den Parkplatz ihrer Schule. „Haben denn noch andere außer mir gefehlt?“ „Klar, da kamen und gingen die Leute. Du kennst das ja. Am Ende war ich auch nicht jedes Mal dabei“, gab der hoch gewachsene Neonazi und öffnete die Tür, nachdem das Auto in einer Parklücke zum Stehen gekommen war. Der Religionsunterricht war am Donnerstag die vierte und damit letzte Stunde für diesen Tag und zog sie wie jede Woche auch diesmal lang wie ein Kaugummi. Genervt trippelte Thomas mit seinen Fingern auf der abgenutzten Plastikholzplatte. Als wäre ihr über Nacht eine Einleuchtung gekommen, hatte Frau Heinrichs heute die seltsame Idee gehabt, nicht weiter über das Dies- und Jenseits zu reden, sondern das Thema „Familie“ anzuschneiden. Ein Thema, wo Thomas fand, dass er dort schlecht mitreden konnte. Natürlich, er hatte seine Mutter, seinen Bruder und seine Schwester, aber er fand, seine Familie war seit dem Verschwinden seines Vaters keine gewöhnliche Familie mehr und Thomas hatte nicht die geringste Lust, die seiner Meinung nach kriselnde Situation der Klasse mitzuteilen. Es ging die Leute in dieser Klasse, mit denen er nichts zu tun hatte und größtenteils auch nichts zu tun haben wollte, einfach nichts an. Punkt. Aus. Basta. „Nils, möchten Sie uns nichts über Ihre Familie mitteilen?“, richtete sich Frau Heinrichs nun an seinen Kumpel und das erste Mal seit Beginn der Stunde folgte Thomas dem Unterricht mit voller Aufmerksamkeit. „Haben Sie auch ein so gutes Verhältnis zu Ihrer Mutter wie Lena? Oder vielleicht eher zu Ihrem Vater?“ Nils ließ ein kleines Schnauben verlauten. „Ehrlich gesagt hab ich nicht wirklich zugehört, wie Lena zu ihrer Mutter steht“, versuchte Nils seine Aussage zu dem Thema zu verweigern. Lena grinste ein wenig heimtückisch. „Soll ich es dir noch mal erzählen?“, fragte sie gespielt freundlich und hoffte anscheinend damit, Pluspunkte bei Frau Heinrichs einzuheimsen. „Nee, lass mal stecken. So sehr interessiert es mich nicht, was du und deine Mami so alles belabert, während sie dir die Haare flechtet“, gab Nils spitz zurück und starrte dabei ebenso hämisch grinsend auf Lenas leicht schief geflochtenen Haare. Thomas hatte unwillkürlich das Bild einer Barbie-Puppe vor sich, musste aber zugeben, dass dies wesentlich besser zu Isabelle passte als zu Lena. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Klasse, wo hier und da sich einige Lacher für Nils’ Kommentar eröffneten, ehe Frau Heinrichs sich ihre Brille zurechtrückte und räuspernd fortfuhr. „Nun, wenn Sie uns anscheinend nichts zu Ihrer Mutter sagen wollen, Nils, so beschreiben Sie uns doch mal Ihren Vater.“ Anscheinend hatte sie beschlossen, nicht locker zu lassen und forderte den sehr maskulinen Jungen erneut auf, etwas über seine Familienverhältnisse preiszugeben. „Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Mein Vater arbeitet in der Produktion einer Firma, säuft sich immer, wenn er Zeit hat, den Schädel voll und hängt ansonsten faul vor der Kiste.“ Nils’ Antwort war so klar und distanziert gewesen, dass die meisten aus der Klasse einfach nur mit stummem Gesicht auf ihren Plätzen saßen. Frau Heinrichs schien ein wenig über die Aussage geschockt zu sein und überhaupt nicht gelockt, weiter nachzuhaken. Thomas jedoch ließ ein breites Schmunzeln auf seinen Lippen erkennen. Er kannte Nils’ Vater schon lange und wusste, dass die Beschreibung sehr genau passte. Ebenso wusste er, dass dem etwas älteren Herren vor einigen Jahren noch so manches Mal im Suff die Hand ausgerutscht war. Warum er nun nicht mehr so aggressiv war, wusste Thomas auch nicht. Vielleicht hatte er sich geändert oder er hatte einfach bemerkt, dass sein eigener Sohn mittlerweile viel stärker war als er selbst. Warum Nils’ Mutter immer noch bei diesem Idioten von Mann geblieben war, war ihm immer schon schleierhaft geblieben. Ob es Liebe war, wegen der Kinder oder einfach nur die Angst vor dem Alleinsein, die Frau Lehmann an ihren Mann gebunden hatte – Thomas wusste es nicht. Er hatte sich immer nur gewünscht, dass er nicht nur äußerlich sondern auch innerlich genauso stark und distanziert wie Nils mit dem umgehen konnte, was sein Vater angerichtet hatte. Der Gedanke ließ ihn einen kurzen Seitenblick nach rechts werfen, wo er feststellte, dass Michael gelangweilt seinen Kopf in seine Hand gestützt hatte und einen sehnsüchtigen Blick auf die Uhr warf, die neben der Tafel an der weißen Wand hing. „Nun ja… gut, Nils, dann vertiefen wir das nicht weiter“, schloss Frau Heinrichs das Thema ab und holte einen Stapel Blätter hinaus. „Auf diesen Kopien sind zitierte Aussagen von Menschen aufgelistet, die ihre Vorstellungen und Meinungen zum Thema Familie beschrieben haben. Ich möchte, dass Sie sich das als Hausaufgabe durchlesen und Stellung zu einer Aussage Ihrer Wahl nehmen.“ Damit reichte sie die Kopien zu David, welcher sich ein Blatt nahm und es ohne aufzusehen an Isabelle weitergab. Diese steuerte schon direkt auf Thomas zu, doch dieser sah, dass Michael es ihr einfach aus der Hand nahm. Er war weiter vorgebeugt gewesen und hatte es anscheinend als schwachsinnig empfunden, dass Isabelle Thomas die Blätter reichen wollte und nicht ihm. Mit einem schnellen Griff nahm er sich das oberste Papier und reichte den Stapel an Thomas weiter. „Danke“, murmelte dieser leise, eher aus Instinkt als aus purer Höflichkeit. Doch es war das erste, normale und neutrale Wort, das er seit ihrem Streit am Montag und ihrer Sendepause von Dienstag bis heute gesagt hatte. Michael schien darüber ebenso erstaunt zu sein, denn er blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Als Thomas seinen Kopf leicht drehte und zurückblickte, senkte der junge Punk sein Augenmerk wieder auf die schwarzen Zeilen auf dem weißen Blatt vor ihm. Ein leicht amüsiertes Schmunzeln schlich sich auf Thomas’ Lippen, da er vermutete, Michael dachte, er würde ihm sonst unterstellen zu starren. Entspannt lehnte er sich zurück und blickte nun ebenfalls zu der Uhr, deren Ziffernblatt nur noch fünf Minuten bis zum Unterrichtsende anzeigte. Zischend wurden einige Bierflaschen geöffnet, welche darauf klirrend aneinander gestoßen wurden. Die Männer und wenigen Frauen in dem Raum prosteten sich amüsiert zu, ehe sie wieder in ihre Gespräche verfielen. Es war Freitagabend und Tobias, ein recht dünner und kahl rasierter, junger Mann, hatte beschlossen, einen gemütlichen Abend mit Alkohol (vornehmlich Bier), Chips und anderen Knabbereien zu veranstalten. Zehn Männer und Jungen und drei weibliche Personen hatten in dem traditionell eingerichteten Wohnzimmer Platz gefunden. „Echt geil, dass deine Eltern verreist sind“, meinte Markus, ein Neonazi mit ähnlicher Statur wie Thomas, zu Tobias und schlug dem Angesprochenen kumpelhaft auf die Schulter, während er mit der anderen Hand über den Oberschenkel seiner Freundin strich. Diese spielte mit ihrem kurzen Pony, der ebenso wie die Haare auf dem oberen Teil ihres Schädels nur circa fünf Zentimeter lang war. Die restlichen Haare waren nicht schwarz, sondern blond und fielen ausgefranst auf ihre Schultern. Ihre dunklen, grünen Augen schauten kurz zu ihrem Freund und ein kleines Strahlen schien ihre Iris zu erleuchten. Dann wandte sie sich wieder Jasmin, der neuen Freundin von Matthias Scherer zu, und redete mit ihr wie die meisten anderen Frauen auch über das Thema Männer und deren unausstehliche Verhaltensweisen. „Ah, Matthias’ Schnecke is’ schon geil, was, Tommi?“, sagte Nils plötzlich gedämpft zu Thomas, der am Ende des Tisches an seinem Bier nippte, und versetzte dem Kleineren einen leichten Seitenhieb. Thomas verschluckte sich und hustete kurz. Sein Blick hob sich von der Tischplatte und haftete sich an das Mädchen ihm gegenüber. Sie war allerhöchstens 20 Jahre alt, dementsprechend etwas jünger als Matthias, und wirkte noch sehr jugendlich. Ihre blassroten Lippen formten ein offenes, liebliches Lachen, als Markus’ Freundin ihr etwas Lustiges erzählte. Die hellblauen Augen glänzten im Licht und ihr langes, blondes Jahr fiel wellig über ihren Rücken. Thomas musste zugeben, dass Matthias anscheinend einen richtigen „Goldgriff“ gelandet hatte. Jasmin war hübsch, hatte einen wohlgeformten Hintern und weder zu großen noch zu kleinen Busen. Sie schien schlichtweg perfekt zu sein. Doch irgendwie auch ein wenig… dümmlich. Er wusste, dass das für Nils und anscheinend auch für Matthias keine wirkliche Rolle spielte. Wahrscheinlich war sie für Matthias eh nur ein Betthäschen und eine Vorzeigefreundin. Doch das schien sie nicht zu stören. „Geil, oder?“, begann Nils erneut, als Thomas Jasmin gemustert hatte. Thomas zuckte mit den Schultern. „Stimmt schon. Sieht ganz geil aus, aber für mehr als die Kiste taugt die doch auch nicht, oder?“ Nils lachte laut auf. „Klar, dafür will man sie doch! Oder denkste, mit Isabelle oder Tatjana könnte man mehr anfangen?“, brachte er nun die Sprache auf die beiden „Sexbomben“ ihrer Klasse. Kritisch zog der Jüngere die Augenbrauen zusammen. „Natürlich nicht, aber die beiden sind doch eh flach in der Birne!“ Ein schmutziges Grinsen machte sich auf Nils’ schmalen Lippen breit. „Andere Dinge sind bei den beiden überhaupt nicht flach! Ey, die Titten von den beiden sind doch echt geil, oder?“ – Erneut stupste er Thomas in die Seite. Dieser nahm einen weiteren Schluck der goldgelben, gebrauten Flüssigkeit und nickte. „Klar, da geht schon einiges!“, meinte er nun ebenfalls machohaft, ehe er sich die Schüssel Paprikachips angelte und sich eine Hand voll nahm. Im Hintergrund dudelte auf einmal der Fernseher, wie ihm auffiel und merkwürdige Musik drang an seine Ohren. „Ey, wer hat denn diese Buschmusik angemacht?“, dröhnte einer der Neonazis, als auf einem TV-Sender ein afrikanisch klingendes Lied angespielt wurde. „Hab keinen Bock, so ein Schokobübchen da durch die Scheibe hüpfen zu sehen!“ Er sprach damit auf den dunkelhäutigen Sänger an, welcher nun in seiner Muttersprache etwas zu singen begann. Was für eine Sprache das war, konnte Thomas nicht sagen, doch es hörte sich sehr fremd an. „Was labert der denn da? Eh, ist der behindert oder was?!“, motzte der andere weiter und lachte laut auf, als der Mann neben ihm die Sprache verarschend nachäffte. Hastig suchte Tobias, der anscheinend peinlich berührt war, nach der Fernbedienung. „Hey, Tobias, stehst du auf so Bongotrommeln?“, fragte der Neonazi weiter, um Tobias ein wenig vorzuführen, da er dachte, dieser hätte das Musikprogramm angeschaltet. „Lass den Scheiß“, fuhr Thomas nun dazwischen und spürte eindeutig die Blicke einiger anderer Nazis, auch die von Nils, Tobias und Matthias auf sich. „Du willst doch keinem Kameraden unterstellen, so was toll zu finden, oder? Sonst könnten wir uns ja auch mal auf die Suche nach deinen kleinen, schmutzigen Geheimnissen begeben.“ Er sah den anderen herausfordernd an, doch dieser wandte sich nur abweisend von ihm. Nanu? Hast du Penner wirklich was zu verstecken? – Neugierig funkelten Thomas’ Augen auf. Doch dann wandte er sich wieder an Tobias. „Mach den Fernseher einfach aus“, sagte er und Tobias nickte ihm dankbar zu. Der Abend ging fortan schneller vorbei als gedacht und ehe Thomas sich versah, war es bereits nach 3 Uhr. Einige hatten sich schon vorher verabschiedet, aber gut 6 Leute waren noch da. Doch auch sie wandten sich nun zum Gehen. „Und warum kannst du mich nicht mitnehmen?“, fragte Jasmin wiederholt ihren Freund, doch Matthias wurde sichtlich genervter. „Bist du taub oder was? Ich hab keine Zeit erst an das andere Ende der Stadt zu fahren, um dich da abzusetzen. Ich muss noch was ausarbeiten!“ Jasmin schien nicht überzeugt. „Ah, mitten in der Nacht, oder was?“ Ihre Stimme klang gereizt, was sie ein wenig zickig wirken ließ. „Ja, mitten in der Nacht. Manche Leute arbeiten eben mehr, wenn sie was erreichen wollen“, sagte Matthias schlicht und knöpfte seine leichte Jacke zu. „Aus der Diskussion. Jungs, ich bin dann weg. Dass mir keiner von euch irgendeine Scheiße anstellt.“ Ja, Papa, dachte Thomas genervt und rollte mit den Augen, quetschte aber ein „Tschö“ hervor und sah zu, wie die Haustür hinter Matthias zufiel. „Toll, und wie komm ich jetzt nach Hause?“, fragte Jasmin pikiert und bevor Thomas eingreifen konnte, hatte Nils sich schon an Jasmin gewandt und ihr ihren Sommermantel gereicht. „Du wohnt doch in meiner Nähe“, stellte er mit merkwürdig freundlicher Stimme fest. „Thomas und ich nehmen dich mit.“ Thomas hätte am liebsten laut „Was?“ geschrieen, doch Jasmin hatte sich Nils schon an den Hals geworfen. „Wow, echt? Danke“, sagte sie und ihre Stimme klang auf einmal hell und aufgedreht. „Also los, Jungs. Tschüssi, Tobias!“ Nils und Thomas konnten sich gerade noch verabschieden, da hatte Jasmin auch schon ihre Handgelenke gegriffen und in mädchenhafter Manier hinter sich hergezogen. Natürlich hätte sie nicht die geringste Chance gehabt, wenn Thomas sich gewehrt hätte, doch er war zu überrumpelt gewesen, als dass er hatte reagieren können. Nils dagegen ließ sich anscheinend freiwillig mitschleifen. Und so kurvte er mitten in der Nacht noch zu Jasmins Zuhause. „Ah, das war so lieb von dir, Tommi. Ich darf dich doch Tommi nennen, oder?“ Sie kicherte mädchenhaft. „Äh… ja…“, antwortete Thomas vollkommen perplex, ehe sie sich vorbeugte und ihm einen fetten Schmatzer auf die Wange drückte. „Du bist ein echt süßer Kerl. Nicht so süß wie Matthias, aber fast“, sagte sie und winkte Nils nur zu. „Bis demnächst, Jungs. Schlaft schön und träumt was Schönes.“ Mit einem breiten Lächeln schlug sie die Beifahrertür zu und lief zu ihrem Haus. „Ah, ich hätte auch gerne so einen Kuss gehabt“, sagte Nils neidvoll, als Thomas weiterfuhr. Dieser zuckte mit den Schultern. „Hättest du gerne haben können.“ Der Lippenstift klebte leicht an seiner Haut. Mit einer schnellen Handbewegung strich er den Großteil des Lippenabdrucks weg. Den Rest der Fahrt sprachen sie kein Wort mehr und Thomas war heilfroh, als er endlich in sein Bett fallen und schlafen konnte. TBC So, hier gibt es dann mal ein Kapitel, dass durchgehend um Thomas handelt. Ich fand, es war mal an der Zeit, ihn näher zu beleuchten, wo Michi für die meisten schon ein offenes Buch sein sollte *lol* Bevor hier irgendwelche Kritiken kommen: Wir haben selber Neonazis hier und auch wenn das bei uns alles Waschlappen sind (sorry, Jungs, aber ihr SEID erbärmlich), so weiß ich, dass selbst die viel beschissenere, dümmere Sprüche ablassen können, als es "meine" Glatzen hier getan haben. Aber mir fiel es schon schwer, so was "Leichtes" niederzutippen und so wollte ich richtig rechtsextreme Sprüche gar nicht erst zu Papier bringen. Aber ich denke, anhand einer Worte wie "Buschmusik" ist durchaus klar geworden, auf was ich hinaus wollte. Ich hoffe, das Kapitel hat gefallen. Das 13. wird dann im neuen Jahr kommen ^_~ Euch allen wünsche ich einen guten Rutsch, aber da ich denke, das Kapitel wird erst nach Silvester online gehen, wünsche ich euch eher ein "Frohes Neues". Kapitel 13: Der verlorene Sohn ------------------------------ Moin moin! Enlich habe ich Kapitel 13 fertig gestellt. Es hat lange gedauert. Ein großer Teil davon war schon länger fertig, aber der Schluss gefiel mir nie richtig. Na ja, jetzt ist es ja da ^^" Ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen ^___^ Kapitel 13: Der verlorene Sohn Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel und erhellte die gemütlich eingerichtete Küche mit ihren warmen Strahlen. „Hast du eigentlich nächstes Wochenende schon was vor?“, fragte Annette Rosner ihren ältesten Sohn, der etwas entfernt von ihr an der Küchentheke gelehnt war und ihr beim Kaffeekochen zusah. Thomas sah von der weißen Kaffeemaschine auf und blickte in ihr Gesicht. „Warum fragst du das?“, wollte er wissen und spielte mit dem Ohrring in seinem linken Ohrläppchen. Er konnte sehen, wie sie tief einatmete, was ihn skeptisch machte und ein unbehagliches Gefühl in ihm auslöste. „Ich möchte, dass du Samstag Abend Zuhause bist“, antwortete sie ihm strikt und klang dabei ein wenig gehetzt. Schnell strich sie sich ihre kurzen, blonden Haare hinter die Ohren. „Warum?“ – Mehr wollte Thomas nicht wissen. Seine Stimme klang nun noch misstrauischer; eine Augenbraue hob sich leicht, während sein Gesicht einen fragenden Ausdruck hatte. Erneut dauerte es etwas, bis seine Mutter antwortete. Ihre Lippen pressten sich aufeinander und sie wich seinem Blick aus; starrte an die blanke Kachelwand. Warum zögerte sie so? Kurz nachdem Thomas sich das gefragt hatte, sollte er auch die Antwort erhalten. „Ich… wollte ein Familienessen machen“, erklärte Frau Rosner und ihre Stimme klang nun merkwürdig rau. „Ich habe auch… deinen Vater und Daniela eingeladen.“ Thomas’ Augen weiteten sich; ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Hätte er nicht an der Küchentheke gelehnt gestanden, wäre er sicher einen Meter zurückgetaumelt. „Was?“, sagte er ebenso heiser und blickte seine Mutter erstarrt an, welche ihn nun mit einer Mischung aus Mitleid und Verlegenheit ansah. „Ich – ich soll mich mit diesen LEUTEN an einen Tisch setzen?“ Langsam ging sie auf ihn zu. Doch kaum hatte sie ihre Hand ausgestreckt, um über seine Wange streichen zu können, wich er auch schon zurück. „Thomas, ich bitte dich. Es ist nur ein Abend.“ Sie sah ihn flehend an, doch er schüttelte nur apathisch den Kopf. „Wieso? Wieso tust du mir das an?“ Seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser. Sein Blick senkte sich. Ihre Hand legte sich auf seine Schulter und er war versucht, sie weg zu schlagen, doch er tat es nicht. „Ich mache das doch nicht um dich zu ärgern. Was denkst du von mir? Ich möchte nur… dass wir alle einfach mal wieder beisammen sitzen. Du, Benni, Jana, Gregor und ich. Und da Daniela nun zu Gregors Leben gehört, kann ich sie nicht einfach außen vor lassen. Vielleicht wird es ja auch ganz amüsant“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Ihre blauen Augen blickten gebannt auf die angespannten Gesichtszüge ihres Sohnes. „Das wird es ganz sicher nicht. Nicht, wenn er und sie da sind“, erwiderte Thomas abweisend und seine Stimme erklang mit Trotz, aber auch Verzweiflung. Er nannte bewusst nicht das Wort „Vater“ oder den Namen „Daniela“. Sein Kopf dröhnte. Er konnte nicht fassen, dass seine eigene Mutter so etwas vorschlug. Nach all den einsamen Jahren, wo sie anfangs noch gehofft hatte, dass ihr Ehemann wieder zurückkehren würde, aber dann versucht hatte, das Leben alleine zu managen und alles unter einen Hut zu kriegen. „Er hat dich genauso verlassen wie mich“, sagte sie ruhig und versuchte zu lächeln. „Und es hat mir genauso weh getan wie dir. Aber nun ist er wieder da und auch, wenn es nie wieder so sein wird wie früher, möchte ich einen guten Kontakt zu ihm halten. Allein schon für Benni und Jana.“ Thomas zuckte ein wenig zusammen, als ihre Hand nun sanft über seine Wange strich und ihn langsam zu Ruhe kommen ließ. „Allein für Benni und Jana habe ich ihm noch nicht die Fresse poliert, so wie er es eigentlich verdient hätte“, presste er mühsam hinaus; versuchte seine aufkeimende Wut zurück zu halten und dieses ruhige Gefühl, das von den Fingern seiner Mutter ausging, zu bewahren. „Ich weiß“, flüsterte sie leise und zog ihn einfach an sich, legte ihre Arme um ihn. „Aber ich bitte dich: Sei an diesem Abend einfach dabei. Ohne dich wäre es kein richtiges Familientreffen. Tu es für mich. Bitte.“ Er schluckte, doch der Kloß in seinem Hals wollte sich nicht lockern. Er hasste es, wenn sie so an seine sanfte Seite appellierte; an die Seite des guten Sohnes, der er eigentlich war, die er aber meistens unterdrückte. Für einen kurzen Moment rang er mit sich selbst. Die Versuchung „Nein“ zu sagen, schien so einfach und nahe liegend. Aber ihm war bewusst, dass er damit viel mehr Leuten – seiner Mutter, Benni, Jana und vielleicht auch sich selbst – vor den Kopf stoßen würde. Sein Vater hätte damit indirekt wieder gewonnen. Doch er war nicht zu feige, sich seinem Erzeuger zu stellen. „Okay, dann lass ich das eben über mich ergehen“, willigte er dann betont distanziert ein und löste sich von ihr. „Erwarte aber keine Wunder von mir.“ Das Lächeln auf ihrem Gesicht war eindeutig sichtbar und zeigte ihm, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, auch wenn sie ihm nicht gefiel. Und so kam es, dass am Samstag, den 08. Juli, alle Rosners und Daniela an einem Tisch saßen und gemeinsam zu Abend aßen. Vor Kopf saß Annette. Rechts von ihr saßen Gregor und Daniela, während auf der linken Seite Benni und Thomas Platz gefunden hatten. Da es schon 22 Uhr war, hatte Annette Jana bereits ins Bett gebracht. Thomas hatte sich absichtlich möglichst weit von Gregor und Daniela gesetzt. Am liebsten hätte er sich gleich an das andere Ende des Tisches gesetzt, doch das wäre dann vielleicht etwas zu auffällig gewesen. „Ah, Gregor und ich waren letztens noch einmal in Russland, in dem kleinen Dorf, wo ich damals Sozialarbeit geleistet habe. Es hat sich dort wirklich viel verändert. Es war schön, noch mal dahin zurück zu kehren“, erklärte Daniela begeistert und nahm einen Schluck aus ihrem Wasserglas. Ihr dunkelrot gefärbtes, welliges Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und fiel bis zu der Hälfte ihrer Schulterblätter. Sie lächelte Annette warmherzig an, welche ihr interessiert zuhörte und immer wieder nickte. Thomas war schleierhaft, wie seine Mutter dieser Frau die ganze Zeit folgen konnte, denn er hatte das Interesse schon nach wenigen Minuten verloren. Das Essen war bereits vorbei und am liebsten wäre Thomas nun abgehauen, aber er wusste, dass seine Mutter sehr enttäuscht wäre, wenn er nun gehen würde. „Das waren wirklich ein paar schöne Tage“, stimmte Gregor seiner Freundin zu und griff nach ihrer Hand, welche auf dem Tisch lag. Thomas’ Augenbraue zuckte. Benni schien das jedoch überhaupt nicht zu stören. „Natürlich ist das Wochenende schon etwas länger her. Aber wir müssen so etwas unbedingt mal wiederholen“, meinte Daniela und lächelte Gregor zu. In ihren Augen zeigte sich ein verliebter Glanz. „Vielleicht können wir irgendwann mal Benni und Jana mitnehmen und zu einem Freizeitpark fahren oder so.“ Benni jubelte begeistert. „Oh, cool! Mami, darf ich dann mitfahren?“, wandte er sich sofort an Annette und Thomas spürte ein nagendes, in gewisser Weise eifersüchtiges Gefühl, dass Benni so gerne etwas mit ihrem Vater und seiner neuen Freundin unternehmen wollte. Annette dagegen zeigte sich gütig. „Natürlich. Ich halte das sogar für eine wunderbare Idee. Ich habe leider selten Zeit für so was und Thomas ist ja auch häufig mit seinen Freunden unterwegs.“ Thomas fühlte sich, als hätte ihm seine letzte Verbündete den Rücken zugekehrt und ihm vorher eiskalt ins Gesicht geschlagen. Er fand, es hörte sich beinah so an, als hätte er keine Zeit für seine Geschwister und würde sich nicht um sie kümmern. Er schnaubte leicht und senkte seinen Blick auf die cremefarbige Tischdecke. „Na, dann machen wir das demnächst mal“, schlug Gregor vor und haute unternehmungslustig mit der flachen Hand auf den Tisch, konnte einen steifen Seitenblick auf Thomas aber nicht unterlassen. Daniela dagegen lächelte unentwegt und drückte sanft die Hand ihres Freundes. „Wunderbare Idee. Weißt du, Gregor und ich sind wirklich glücklich. Ich freue mich so darauf, ihn zu heiraten“, sagte sie schwärmerisch, stockte dann aber, als ihr klar wurde, wie taktlos sie wirken musste. Schuldbewusst hielt sie ihre freie Hand vor ihren Mund und sah Annette entschuldigend an, obwohl Thomas fand, dass ihre Aussage gegenüber ihm und seinen Geschwistern gegenüber genauso unhöflich war. „Das macht nichts“, beschwichtigte Annette sie und schüttete Daniela, Gregor und sich selbst Rotwein ein. „Bald sind die Scheidungspapiere eh durch. Ich möchte niemandem im Wege stehen und das Thema zwischen Gregor und mir hat sich eh schon vor einigen Jahren erledigt.“ Bennis Mundwinkel sanken ein wenig; ließen das euphorische Lächeln verblassen. Thomas fühlte sich, als hätte man ihm mit einem Schwert den Magen durchstoßen. „Nicht traurig sein, Benni“, sagte Gregor liebevoll und wuschelte durch das braune Haar des Jungen, als er dessen Reaktion bemerkte. „Mama und Papa mögen sich trotzdem noch, nur dass Papa Daniela mittlerweile lieber hat.“ Benni lächelte verlegen. „Weiß ich doch. Das ist schon okay“, sagte er in dieser gutmütigen Kindermanier und lächelte wieder. Doch die Lippen seines älteren Bruders kräuselten sich ein wenig, während seine Augen verletzt wieder auf die Tischplatte starrten. Er war ebenso wie Benni dabei gewesen, als ihr Vater von heute auf morgen seine Sachen gepackt hatte. Er war auch mit ihm aufgewachsen. Doch ihm, seinem ältesten Sohn, schenkte er nicht mal einen entschuldigenden Blick. Erneut fühlte er sich so verlassen, wie an dem Moment, wo seine Mutter ihm sagte, dass sein Vater weg gegangen war und es ungewiss war, wann er wiederkommen würde. „Ihr seid natürlich alle herzlich zu unserer Hochzeit eingelassen, wenn ihr kommen wollt“, hörte er die dunkle Stimme seines Vaters wie aus weiter Ferne an seine Ohren dringen. Und zu seinem Erzürnen hörte er die seiner Mutter einwilligen. Es schien wie ein wahr gewordener Albtraum, als ihn plötzlich eine andere weibliche Stimme ansprach. Langsam sah er auf und merkte, wie Danielas grüne Augen ihn besorgt ansahen. „Thomas, geht es dir gut?“, fragte sie besorgt. Auch die anderen blickten nun zu ihm. „Ja“, log er rasch und zog sein Glas an sich, um es in zwei Zügen zu leeren. Daniela nickte langsam. „Du sagst die ganze Zeit nur nichts und starrst auf den Tisch“, erzählte sie. Anscheinend hatte sie ihn beobachtet, ohne dass er es bemerkt hatte. „Ach, Dani, lass ihn doch. Er langweilt sich sicher nur“, warf nun auch Gregor ein und Thomas wusste nicht, ob er ihn vor der Fragerei schützen oder einfach nur Danielas Aufmerksamkeit für sich haben wollte. Aber wahrscheinlich könnten es alle Gründe sein, nur nicht Sorge um ihn. „Vielleicht geht es ihm auch einfach nicht gut. Hast du etwas gegen unsere Hochzeit, Thomas?“, fragte Daniela ihn nun und Thomas musste zugeben, dass er sie für nicht so direkt eingeschätzt hätte. Seine Augenbrauen zogen sich wütend zusammen und seine Zähne knirschten leise, als er sie aufeinander drückte, damit ihm kein lautes „Ja“ entwisch. „Ich weiß, dass er etwas dagegen hat, Dani. Aber das ist unser Leben“, erklärte Gregor ihr ruhig und blickte dann mit einem musternden Blick zu seinem Sohn. Daniela sah kurz zu ihm und schien ein wenig verlegen. „Gregor, bitte“, versuchte nun Annette ihren baldigen Ex-Mann dazu zu bringen, so etwas Schneidendes nicht noch mal zu sagen. Doch Danielas Beobachtungsgabe hatte sofort die Schwankungen auf Thomas’ Gesicht bemerkt und ihre soziale Art zwang sie dazu, näher auf ihn einzugehen. „Hör zu, ich kann dich durchaus verstehen. Du bist verletzt, weil Gregor abgehauen ist, als du gerade in der Pubertät warst. Das ist ein Alter, wo man sich selbst findet und auch wenn man da an seinen Eltern seine Grenzen ausprobiert, braucht man sie da. Du hast-“ Weiter kam sie nicht, denn Thomas war schon bei dem ersten Wort aus ihrem Mund beinah rasend geworden. Je länger sie gesprochen hatte, desto mehr hatten sich seine Aggressionen angestaut, waren hoch gekocht und hatten ihn schließlich unbeherrscht aufstehen lassen. „Halt den Mund. Du kennst mich nicht“, schrie er sie an und Gregor sprang ebenfalls auf, um seine Freundin zu verteidigen. Thomas achtete nicht auf ihn. „Du wagst es, Prognosen über mich zu machen, ohne zu wissen, wer ich bin und was mich mit diesem Kerl verbindest, der mal mein Vater war und den du bald heiraten willst. Du kommst hier rein und-“, platzte es aus ihm raus und seine Mutter schlug sich vor Schock die Hände vor den Mund. Daniela unterbrach ihn. „Thomas, so meinte ich das doch gar nicht“, versuchte sie ihm zu erklären. Aber Thomas ließ sich nicht überzeugen. „Unterbrich mich nicht. Ich bin kein kleines Kind mehr, das du hier begeistern kannst, weil du in den Freizeitpark fahren willst. Du kommst hier rein, in meine Familie, und tust so, als würdest du schon immer dazugehören! Und-“ Wieder fiel sie ihm ins Wort; schien ihm alles erklären zu wollen. Seine Mutter hatte mittlerweile Augen und Mund fest verschlossen und lauschte mit stummer Hilflosigkeit. „Es tut mir Leid. Ich dachte nur, ich könnte dir und deinem Vater vielleicht helfen, einander besser zu verstehen“, versuchte Daniela ihm ihre vorangegangen Worte zu erklären. „Ich sagte: Unterbrich mich nicht!“, sagte Thomas nun noch aggressiver und stützte sich mit den Händen auf den Tisch. Bedrohlich beugte er sich über die Platte und blitzte Daniela wütend an. „Spiel dich nicht als Pseudo-Psychologin auf, nur weil du mit ein paar Russenkindern rumhantiert hast! Ich habe diesem Typen da nichts mehr zu sagen und mir ist es scheißegal, ob du ihn heiratest. Aber erwarte nicht, dass ich einem Kerl meinen Segen gebe, der meiner Mutter und meinen Geschwistern das Herz gebrochen hat!“ Stille herrschte in der gemütlichen Küche, wo vor wenigen Minuten noch eine recht harmonische Atmosphäre geherrscht hatte. Doch nun war die Stimmung drückend. Thomas hörte seinen eigenen, rasselnden Atem in seinen Ohren rauschen. Benni schien dem Weinen nahe zu sein und Annette stand nun mit hilflosem, betretenem Blick im Türrahmen. Sie war anscheinend kurz aus dem Raum gegangen, ohne dass Thomas es bemerkt hatte. Er biss sich selbst auf die Lippen und drehte sich um. Kurz schloss er die Arme um seinen Bruder. „Keine Angst, Kleiner“, flüsterte er dem erstarrten Jungen ins Ohr. Behutsam strich er ihm durch das braune Haar; wusste, was für einen Schaden er angerichtet hatte. Das schuldbewusste Gefühl schien ihm den Atem zu rauben; drückte auf seinen Brustkorb und ließ die Hilflosigkeit mit der Wut um den obersten Rang kämpfen. Als er dann aufstand und zur Tür ging, begegnete sein Blick dem seiner Mutter und er hatte endgültig das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen. „Es tut mir Leid“, sagte er mit heiserer Stimme. „Für alles.“ Mit gesenktem Haupt drückte er sich an ihr vorbei und griff seinen Autoschlüssel von dem kleinen Schränkchen und eilte ohne einen Blick zurück zu werfen aus der Haustür. Zielgenau steuerte er seinen Wagen an, setzte sich hinein und fühlte, wie der Druck auf seiner Brust kaum, aber ein wenig schwand. Er versuchte so tief durchzuatmen wie es nur eben ging und zündete den Motor. Schon während er noch aus der Einfahrt setzte, merkte er, wie Tränen in seinen Augen aufstiegen und seine Sicht verschwimmen ließen. Er musste jetzt einfach mit jemanden darüber reden und wusste auch, wohin ihn sein Weg führen würde. „War ein echt cooler Tag, Leute“, sagte Patrick und schlug bei Jan ein. Der Jüngste des Trios hatte ein paar Leute zu sich eingeladen und so hatten sie den Tag zu acht verbracht. Sie waren durch die Stadt gezogen, hatten sich auf den Marktplatz hingesetzt und eine Pizza gegessen und waren schließlich bei Jan angekommen, wo sie noch ein wenig rum gehangen und Spaß gehabt hatten. „Ja, danke für die Einladung, Jan“, meinte nun auch Patricks Freundin Lara und umarmte Jan zum Abschied. Das war das erste Mal seit ihrem England-Aufenthalt, dass sie Zeit für die Clique gefunden hatte. Das strubbelige, ausgefranste Haar war nur allerhöchstens 10 Zentimeter lang und stand unregelmäßig von ihrem Kopf ab. Seit sie ihren Iro abrasiert hatte, waren ihre Haare erstaunlich schnell nachgewachsen und erstrahlten nun in einem kräftigen Pink, welches mit dünnen, blauen Strähnen verziert war. Nähe suchend griff Patrick nach ihrer Hand und zog sie an sich. Michael schlurfte hinter Jan hervor und wandte sich dann an den Jüngeren. „Ich geh dann auch mal, ja?“ Auch er schlug bei Jan und zog ihn freundschaftlich an sich. Patrick und Lara warteten lächelnd auf ihn, damit sie ein Teil des Weges zusammen gehen können. „Jo, schade, dass ihr schon gehen müsst“, meinte Jan und lehnte sich gegen den Türrahmen. Sein Mund zog einen gespielten Schmollmund, der Lara zum Lachen brachte. „Du hast doch noch vier andere Leute, die dir Gesellschaft leisten können“, sagte sie ebenso gespielt aufmunternd und zwinkerte. „Wie Recht du doch hast, Laralein“, flötete Jan ihr entgegen und winkte den Dreien noch mal, ehe er Rufe von oben vernahm, er solle noch Chips mitbringen, wenn er wieder käme. „Aaah, meine Wenigkeit wird verlangt!“ Mit einem Grinsen drehte er sich um und schloss die Tür hinter sich. „Oder eher die von frittierten Kartoffelscheiben“, meinte Lara amüsiert, während sie den gepflasterten Weg von der Haustür zur Straße entlang gingen. Plaudernd setzten sie ihren Weg fort, bis zu der Straßengabelung, an der das Paar nach links und Michael nach rechts gehen musste. „Bis spätestens Montag, ja?“, rief Patrick Michael noch nach und Lara winkte breit grinsend. Michael sah ihnen nach, bis sie einige Meter entfernt waren und machte sich dann auch weiter auf den Heimweg. Mit zittrigen Fingern drückte der kahl rasierte Junge auf den Klingelknopf und wartete mit auf und ab wippenden Beinen, bis jemand die Tür öffnete. Eine etwas in die Jahre gekommene Frau mit rundem Gesicht blickte ihn nun an, und ein kleines Lächeln erschien auf ihren schmalen, spröden Lippen. „Ah, Thomas“, begrüßte sie ihn überrascht. Eine leichte Windböe zersauste ihr eh schon ungekämmtes, dunkelblondes Haar. „Ist Nils da?“, fragte Thomas nun und erschrak, wie rau seine Stimme plötzlich klang. Seine Augen blickten die Mutter seines Kumpels beinahe bittend an. Doch als sie ihren Kopf schüttelte, hatte er ein weiteres Mal an diesem Abend das Gefühl, seine Lunge würde nicht mehr funktionieren. „Wann… wann kommt er denn wieder? Wo ist er denn überhaupt?“ Seine Stimme klang hilflos, beinahe schon ein wenig panisch. Wenn Nils nicht da war, wo sollte er dann denn jetzt hin? „Ich weiß es nicht. Er wollte noch zu Freunden“, erklärte Frau Lehmann und beäugte ihn sorgvoll. „Thomas, geht’s dir gut?“ Erschrocken blinzelte der Junge kurz mit den Augen und schluckte hart. „Ähm… ja, ja… alles klar“, antwortete er nicht gerade überzeugend und biss sich auf die Lippen. „Ich muss dann mal wieder.“ „Soll ich Nils was von dir ausrichten?“, fragte Frau Lehmann höflich. „Äh, ja…“ – Thomas stockte. „Nein, nein. Nein, richte ihm nichts aus.“ Frau Lehmanns Blick wurde noch besorgter. Fragend sah sie ihn an, doch er schüttelte nur leicht den Kopf und verabschiedete sich dann eilends. Schnell setzte er sich in seinen Wagen und rauschte aus der Einfahrt, bis er außer Sichtweite war. Kräftig trat er auf das Bremspedal; brachte den Wagen damit abrupt zum Stehen. Wütend und auch verzweifelt schlug er gegen das Lenkrad, sodass er aus Versehen den Hupknopf traf und das laute, erschreckende Geräusch ertönen ließ. Durch seine Anspannung zuckte er ungewöhnlicher Weise zusammen. Was sollte er denn jetzt tun, wenn Nils nicht da war? Nach Hause konnte er nicht mehr. Dazu hatte er dort zu viel Schaden angerichtet. Seine Sicht wurde wieder leicht verschwommen. Manchmal gingen ihm sein eigener Hass und seine Aggressionen selber zu weit. Warum hatte er nicht einfach die Ruhe bewahrt und diese Daniela blöd reden lassen, so wie er es auch bei anderen immer getan hatte? Aber irgendwie schien er diesen Charakterzug, diese Gleichgültigkeit, in der Gegenwart seines Vaters verloren zu haben. Tief atmete er ein und löste das Kupplungspedal, um weiterfahren zu können. Ziellos fuhr er aus dem Wohngebiet seines längsten Freundes. Hauptsache, nicht nach Hause. Verzweiflung wich dem Unbehagen, als Thomas erstaunt feststellte, wohin ihn sein Weg geführt hatte. Diese Wohngegend, diese Straße,… Er schluckte trocken, als sein Herz ein paar Takte aussetzte. Das konnte doch nicht wahr sein. Was wollte er denn ausgerechnet hier? Sein Blick hob sich etwas; blickte über den Bordstein und die Einfahrt bis zum Haus. Was machst du hier nur, Thomas?, fragte er sich selber voller Zweifel und ließ sich resignierend weiter in den Sitz sinken. War es Schicksal? Doch Thomas glaubte nicht sonderlich an so etwas. Ein leises Klopfen an der Scheibe neben ihm, ließ seinen Blick wieder in die andere Richtung schwenken. Da war diese Person, mit der er diese Wohngegend, diese Straße und dieses Haus verband. Warum war er gerade hier gelandet, wo er doch eigentlich wütend auf diese Person gewesen war? Langsam öffnete er seine Tür, um mit der anderen Person sprechen zu können. „Was machst du hier?“, fragte die leicht raue Jungenstimme direkt. „Soweit ich weiß, wohnt keiner deiner Nazifreunde hier. Das wäre mir sicher aufgefallen.“ Thomas verzog seine Lippen zu einem schiefen Grinsen. „Oder viel mehr wärst du denen dann sicher aufgefallen, Pleske“, erwiderte er mit Sarkasmus in der Stimme und blickte dann wieder gerade aus der Windschutzscheibe. „Ich bin rein zufällig hier vorbeigekommen.“ Michael nickte gespielt gutgläubig. Anscheinend war er nicht mehr ganz so verlegen ihm gegenüber. „Klar, und da parkst du rein zufällig kurz vor dem Haus, wo ich wohne?“, fragte Michael und zu seiner Verwunderung schüttelte Thomas minimal seinen Kopf. „Ehrlich gesagt, weiß ich es auch nicht. Plötzlich war ich hier.“ Der junge Neonazi starrte betroffen auf seine Finger und so vergaß Michael auch jedes spöttische Wort, was ihm auf den Lippen gelegen hatte. „Ist was passiert?“, fragte er stattdessen leise und blickte auf Thomas’ Profil, als wollte er die Antwort in dem leichten Zucken des Gesichtes suchen. Doch sein Gegenüber schwieg beharrlich. Michael drängte sich ein Gedanke auf, dass es vielleicht einen familiären Grund haben könnte, doch er zögerte zu fragen. Thomas war nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen. Es wunderte ihn überhaupt, dass der andere wieder in ganzen Sätzen sprach ohne ihn persönlich zu beleidigen. In gebannter Stille verharrte Michael so einige Momente lang. Dann wandte er sich zum Gehen, ging an der Seite des Autos entlang, bis er schließlich vor dem Motor noch einmal stehen blieb. Seine bebenden Finger krallten sich in seine blau-grün karierte Hose, als er sich schließlich doch einen Ruck gab. „Dein Vater?“, fragte er nervös und leise, aber laut genug, damit Thomas es verstehen konnte. Dieser blickte ihn durch die Scheibe erstaunt an. „Woher weißt du das?“ Michael rang sich ein kleines Lächeln ab. „Ich… Das einzige Mal, dass ich dich so erlebt hab, war damals bei dir Zuhause, wo dein Vater kam… und…. Du weißt ja, wie es weiterging.“ Verlegen senkte er den Blick und bekam so nicht mit, wie Thomas nickte. „Gut geraten, Pleske“, sagte er dann leise und ließ ein lautes Seufzen aus seinem Mund entweichen. „Ich wollte eigentlich zu Nils, aber der war irgendwie nicht da und dann bin ich einfach umhergefahren und plötzlich war ich hier.“ Er wusste nicht, warum er das erzählte und kam sich im selben Moment auch sehr dumm vor, dass er es überhaupt getan hatte. Sein Blick haftete auf dem Punk, der ein paar Schritte weitergegangen war und nun zu der Beifahrertür lief und diese öffnete. „Okay, ich hab nur die Hälfte verstanden, aber genug um durchzublicken“, meinte er betont lässig. Seine Mundwinkel zuckten leicht, als er sie zu einem Grinsen erhob. Er war merkwürdig nervös, da dies die erste Annäherung zu Thomas seit seinem Kuss war. Doch der Ältere schien keine Anstalten zu machen, ihn anschnauzen zu wollen. Er sah, wie Thomas die Fahrertür schloss und die eh nur noch leise dudelnde Musik gänzlich ausschaltete. „Willst du da jetzt so hängen bleiben?“, fragte Thomas recht tonlos und sah Michael aus den Augenwinkeln an. Dieser zuckte vollkommen überrascht zusammen und stieß sich prompt den Kopf an dem Rahmen der Tür. Leise fluchte er und rieb sich die wunde Stelle, während Thomas sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. Allerdings versiegte diese Schadenfreude wieder schnell, denn er war heute einfach nicht in der Stimmung, sich zu amüsieren. „Wenigstens belustige ich dich“, merkte Michael schmollend an. „Sei also froh, dass du hier bist. Aber sag mal,… ah nein…“ Er brach ab und senkte den Blick. Er durfte nicht zu aufdringlich sein, wo Thomas doch gerade anfing, wieder normal mit ihm umzugehen. „Was denn?“, fragte dieser unterdessen, wie es zu erwarten gewesen war. Doch Michael schüttelte nur den Kopf. „Es geht mich nichts an.“ Schweigen trat erneut ein. Thomas ahnte, dass Michael ihn fragen wollte, was passiert war. „Stimmt“, sagte Thomas schlicht und blickte nun ganz zu Michael. „Ich bereue es eigentlich immer noch, dass ich dir überhaupt davon erzählt habe.“ Bevor er kontrollieren konnte, was er sagte, waren die Worte schon aus seinem Mund entwichen und auch wenn Michael sich äußerlich nichts anmerken ließ, konnte er in den graugrünen Augen sehen, dass der Punk verletzt war. „Das war nicht so gemeint, sorry“, murmelte er und holte tief Luft, als müsste er sich auf eine lange Rede vorbereiten. „Ich hatte es nur vorher kaum einem erzählt und ehrlich gesagt wollte ich auch nie, dass es allzu viele wissen.“ „Schon klar“, meinte Michael in einem betont gleichgültigen Ton, doch die Betroffenheit war dennoch leicht rauszuhören. „Du musst auch nicht mit mir drüber reden. Ich zwinge keinen dazu, mir seine Sorgen mitzuteilen.“ Er ließ seinen Rucksack auf den Boden fallen und lehnte sich etwas weiter vor, bis er schließlich den Halt verlor und seitlich auf den Beifahrersitz plumpste. „Ich würde mich eh nicht zwingen lassen“, sagte Thomas und beobachtete, wie der Punk sich ein wenig koordinierte. „Also ich hab mich eh schon die ganze Zeit gefragt, warum du da noch so verrenkt stehst.“ Michael plusterte die Wangen auf. „Was? Du hättest ja mal was sagen können!“ Ein wenig beleidigt setzte er sich nun richtig auf den Sitz und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wieso? Du hättest dich ja auch einfach setzten können.“ Michael verdrehte die Augen und schielte aus den Augenwinkeln mit einem leicht drögen Blick zu Thomas. „Man steigt nicht einfach so in fremde Autos.“ „Sehr manierlich, Pleske“, erwiderte Thomas daraufhin und vergaß bei dem kleinen Geplänkel sogar für einen kurzen Moment seinen Vater. „Da kannst du mal sehen. Du schätzt mich vollkommen falsch ein“, erwiderte Michael und plusterte die Wangen erneut auf, bis er aussah wie ein menschlicher Karpfen. Thomas konnte sich angesichts dieser Grimasse das Lachen wirklich nicht mehr verkneifen und war froh, dass es draußen mittlerweile dunkel war und ihn keiner mehr sehen konnte, wie er hier im Auto saß und mit einem Punk rumscherzte. Er wusste nicht warum, aber plötzlich durchströmte ihn ein Gefühl von großem Vertrauen und Geborgenheit, als würden sie schon ewig so miteinander umgehen. Lachend bewegte er sich ein wenig näher zu Michael hin, welcher nun wieder ganz normal aussah, aber ebenfalls angefangen hatte, zu lachen. Ohne es wirklich selbst zu steuern, ohne es bewusst geplant zu haben, näherte sich sein Gesicht dem des anderen. Zu seinem eigenen Erstaunen landeten seine Lippen unvorhergesehen auf denen des Punks, welcher spürbar erstarrte. Thomas musste zugeben, dass sich die vollen Lippen verführerisch weich anfühlten, doch ehe er weiter davon kosten konnte, spürte er zwei Hände an seinen Schultern, die ihn wegdrückten. Schlagartig erwachte er aus seiner prickelnden Trance und hatte das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben, nur dass er und Michael die Rollen vertauscht hatten. „Was?“, fragte er leise und sah in die graugrünen Augen, die seinen Grauen so nahe waren. „Ich dachte, das war es, was du wolltest.“ Er konnte hören, wie Michael tief einatmete und merkte, wie das Grüngrau sich senkte. „Aber nicht so“, antwortete der Punk zögerlich und lehnte sich weiter nach hinten, um aus der Nähe des Neonazis zu kommen. Auch wenn es verführerisch war und Thomas nun ihn geküsst hatte, wollte er nicht einfach nur mal ebenso aus einer Laune raus sich küssen lassen. „Wie dann?“ – Thomas’ dunkle Stimme hallte in seinen Ohren wider. Michaels Lippen bildeten ein bitteres Lächeln. „Du weißt doch mittlerweile ganz genau, warum ich dich geküsst hatte. Aber ich denke nicht, dass du dasselbe fühlst, also lassen wir hier das besser, denn einfach nur so… will ich mich nicht küssen lassen“, erklärte er mit heiserer Stimme und war dabei so leise, dass Thomas wirklich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Langsam löste er sich ebenfalls ein wenig von dem Punk. Eine bedrückende Stille herrschte in dem Wagen; beide blickten starr auf den Boden. Minuten schienen Ewigkeiten zu werden, bis Thomas sich leise räusperte. „Ich weiß nicht, warum ich das gemacht hab“, sagte er leise und strich sich mit einer Hand über den kahl rasierten Kopf. „Aber es war garantiert nicht einfach nur eine Laune, okay?“ Er hob seinen Blick langsam und sah, wie Michael sich auf die Lippen biss. Langsam hoben sich auch die Augen des Punks. „Und was war es dann?“, fragte er und die Unsicherheit war nur allzu deutlich aus seiner Stimme zu hören. Am liebsten hätte er sich einfach weiterküssen lassen, die Zärtlichkeiten genossen, doch er wollte kein weiteres Mal verletzt werden. Nervös kaute er weiter auf der hellen, feinen Haut und ließ seinen Blick durch das dunkle Auto wandern. Nur das Licht der leicht entfernten Laterne erhellte das Wageninnere ein wenig. „Das werde ich noch raus finden“, antwortete Thomas und fühlte sich ebenso fahrig wie Michael. Er konnte die Gefühle, die ihn in diesem Moment beherrschten, nicht wirklich einordnen. Doch dieses kribbelnde, warme Gefühl, dass er für den kurzen Moment, in dem ihre Lippen aufeinander getroffen waren, gehabt hatte, konnte nur positiv sein. Zögerlich hob er seine leicht zitternde Hand und strich sanft mit dem Fingerrücken über Michaels Wange. Der Punk zuckte unter der Berührung überrascht zusammen, ließ ihn aber gewähren. „Ich sollte jetzt besser fahren“, flüsterte er, als könnte sie jemand hören und sah in dem schwachen Licht, wie Michael leicht nickte. Ein weiteres Mal beugte er sich diesmal umso bewusster vor und küsste erneut die warmen, nun leicht unebenen Lippen. Michael ließ ihn gewähren, küsste kurz zurück, ehe sie sich voneinander lösten. Mit einem verlegenen Lächeln und einem überwältigenden Kribbeln im Bauch, öffnete er die Beifahrertür. Bedacht, nicht über seinen Rucksack zu stolpern, stieg er aus und nahm seine Tasche vom Boden auf. „Okay, wir… wir sehen uns dann wohl Montag in der Schule?“, fragte er unnötigerweise, doch Thomas nickte lächelnd. „Gut, dann… tschüss, ne?“ „Jo, tschö. Ich wollt jetzt gerade sagen, komm gut nach Hause, aber so viel wird dir auf den paar Metern wohl nicht passieren können, oder?“, meinte Thomas und grinste ein wenig verlegen. Michael erwiderte diese Geste und schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich.“ Sie nickten sich noch zu, ehe Michael die Tür zuschlug und langsam auf die Haustür zuschlurfte. Ein paar Mal drehte er sich um, beobachtete wie Thomas drehte und schließlich davon fuhr. Ein breites Schmunzeln legte sich dann auf seine Lippen, als ihm klar wurde, was gerade wirklich passiert war. Gleich noch viel besser gelaunt zückte er seinen Schlüssel und fand, dass der Samstag nun ein wirklich guter Tag war. TBC Hoffe, dass Kapitel hat euch gefallen. Sieht natürlich etwas komisch aus, dass Thomas ausgerechnet bei Michael landet, aber häufig, wenn man wütend ziellos umher düst, landet man bei Leuten, mit denen man schon mal darüber geredet hat - auch wenn man es nicht will ^^" Kapitel 14 lässt wahrscheinlich noch etwas auf sich warten. Im Moment bin ich schon seit längerer Zeit krank und habe Schwierigkeiten, mich richtig zu konzentrieren. Na ja... abgesehen davon, schreibe ich noch eine HarryPotter-Fanfic, natürlich ebenfalls Slash. Keine Ahnung, ob sich einer von euch dafür interessiert, aber wenn dann kann er gerne Bescheid sagen, denn ich werde demnächst das erste Kapitel on stellen *zu Nathera wink* Über Kommis freue ich mich natürlich immer, egal ob Lob oder Kritik (auch davon lebt ein Autor *lol*) Tschö und macht's gut! Motte Kapitel 14: Zweifel ------------------- Moin moin! Da bin ich wieder. Nach einer Ewigkeit *hüstel* Na ja, gut, ich hab viel zu tun gehabt und noch dazu hab ich mich anderen Projekten gewidmet. "Beloved Rival" (HP) ist mittlerweile on. Wer will kann es sich durchlesen. Ansonsten wisst ihr jedenfalls, was mich aufhält XD Ebenfalls ein HP-Projekt "Desire" teilt sich jetzt den Bearbeitungsplatz mit "Wie Schwarz und Weiß". Also auch wenn HP euch nicht interessiert, seid nicht enttäuscht, wenn ich mich nicht nur SW widme. Ich wünsch euch jetzt allerdings viel Spaß beim Lesen. Kapitel 14: Zweifel Das stetige, breite Grinsen, welches ihn die ganze Fahrt über begleitet und seine Mundwinkel zucken lassen hatte, verlor sich, als Thomas über die Haustürschwelle trat. Die Stimmung in seinem Zuhause war nahezu erdrückend und sofort verdrängte die Erinnerung an das Abendessen von vor wenigen Stunden jeden glücklichen Gedanken, der sich auf der Rückfahrt in ihm breit gemacht hatte. Sein Blick fiel auf einen milden Lichtstrahl, der von der angelehnten Tür der Küche ausging. Für einen kurzen Moment dachte er, er könnte sich am besten einfach vorbei schleichen, in seinem Zimmer verschanzen und somit jeder Diskussion aus dem Weg gehen. Doch ihm war klar, dass er davor nicht weglaufen konnte. Wenn er es bis morgen aufschob, würde er die ganze Nacht keine Ruhe finden. Das war immer so. Tief einatmend ging er mit langsamen Schritten näher zu der Tür und biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor er sie öffnete. Seine Mutter saß alleine an dem hölzernen Tisch, die Hände um Mund und Nase gelegt und doch konnte Thomas erkennen, dass Tränen über ihre Wangen gelaufen waren. Er schluckte trocken. Ein mulmiges Gefühl nahm Besitz von ihm. Sie hatte ihn längst bemerkt, auch wenn sie ihn nicht ansah. „Sie sind also schon weg?“, fragte er und sprach damit unverkennbar auf seinen Vater und Daniela an. Eigentlich war seine Frage unnötig, denn jetzt, wo er drüber nachdachte, erinnerte er sich daran, dass er auch den Wagen seines Vaters nicht mehr am Straßenrand hatte stehen sehen. „Ja, sie waren nicht mehr lange hier“, erklärte sie und ihre Stimme klang verheult, was Thomas einen weiteren Stich versetzte. „Die Stimmung war ja auch nicht mehr besonders.“ Noch immer sah sie ihn nicht an, sondern blickte starr auf eine Schublade in der Küchentheke, als würde dort gleich ein Messer raus springen. „Es tut mir Leid“, sagte Thomas nur schlicht und setzte sich auf die andere Seite der dunkelroten Eckbank. „Ich weiß, dass es meine Schuld ist und ich wollte dir das Fest nicht vermiesen.“ Er sah wie sich ihre Lippen aufeinander pressten, als versuchte sie, weitere Tränen zu unterdrücken. Beharrlich schwieg sie und das ließ ihn noch nervöser werden. „Hör zu, ich weiß, es war scheiße, aber…“, begann er, doch dann brach er ab. Er wusste einfach nicht, was genau er sagen sollte. Bedrückende Stille herrschte zwischen ihnen und schien den ganzen Raum zu erfüllen. Thomas wusste nicht, wie lange sie so beieinander gesessen hatten, doch er zuckte zusammen, als seine Mutter plötzlich anfing zu sprechen. „Es war nicht nur deine Schuld“, erklärte sie mit rauer Stimme und räusperte sich. Sie sah ihn immer noch nicht an, doch Thomas war schon froh, dass sie wieder sprach. „Daniela hätte vielleicht nicht so forsch sein sollen. Das habe ich ihr auch gesagt. Ich meine, ich finde es nett, dass sie sich Sorgen um dich macht, auch wenn sie das eigentlich nicht müsste, aber ich habe ihr gesagt, dass, egal wie viele Kinder sie schon betreut hat, es nie eine gute Idee ist, seine Hilfe aufzuzwingen und versuchen die Gefühle zu analysieren, obwohl man nur eine Seite, und zwar die von Gregor, kennt.“ Thomas hörte ihr aufmerksam zu und erwischte sich dabei, wie kurz ein wenig Schuldgefühl in ihm aufflackerte, dass er Daniela so angeschrieen hatte, obwohl sie nur helfen wollte. Doch da er sie nicht leiden konnte, verebbte dieses Gefühl schnell wieder. „Sie war eigentlich nur der Tropfen der das Wasser zum Überlaufen gebracht hat“, meinte er schließlich und spielte mit dem Stab an dem oberen Ende seines Ohrs. „Das ganze Gelaber hatte mich schon angekotzt. Wie mein toller Vater sich mal wieder versucht hat, bei allen einzuschleimen. Oh, Benni, lass uns in den Freizeitpark fahren und schenken wir der Annette mal ein bisschen teuren Wein, dann ist sie sicher den ganzen Abend überglücklich. Und dann noch ein kleines Geschenk für Jana. Hui, wir haben uns ja alle so lieb.“ Seine Worte waren zynisch, sein Ton von grausamer Aufgedrehtheit erfasst. Seine Mutter atmete hörbar ein und ließ dann ein leises Seufzen aus ihrem Mund dringen. „Du hast dich vergessen gefühlt“, stellte sie fest, als wäre ihr gerade erst aufgefallen, dass er sich selber nicht mit aufgezählt hatte. Thomas senkte nun auch seinen Blick und strich sich kurz über die geschlossenen Lider, ehe er die Augen wieder öffnete und auf das Muster der Eckbank starrte. „Ich fühle mich nicht nur so, es ist doch auch wirklich so“, zischte er leise, als wäre er auf seine Mutter sauer, obwohl seine Wut seinem Vater galt. „Mich erwähnt er nie und wenn dann nur in abfälligen Bemerkungen, dass ich was gegen die Hochzeit habe oder dass ich mich trotzig wie ein kleines Kind aus Langeweile nicht an Gesprächen beteilige. Das bilde ich mir nicht ein, Mutter. Das ist verdammt noch mal so!“ Ohne es selber zu wollen, war sein Ton lauter und härter geworden, sodass sie leicht zusammen zuckte. „Ich weiß“, sagte sie schließlich mit erstickter Stimme. Thomas spürte, wie die Wut in ihm verschwand und ein schwaches Gefühl von Trauer zurückließ. „Warum tust du dann so, als wäre es egal?“, fragte er und seine Stimme klang nun verletzlich. „Warum tust du dann so, als wäre alles in Ordnung? Findest du es okay, wie er mich behandelt? Denkst du, ich habe es nicht anders verdient?“ „Sei nicht albern“, antwortete seine Mutter schließlich leise und atmete ein weiteres Mal tief ein. „Natürlich finde ich es nicht in Ordnung. Um genau zu sein, finde ich es scheiße. Aber was soll ich dagegen tun, Thomas? Ich möchte nicht immer mit ihm streiten. Benni und Jana hängen an ihm. Ich will einfach nicht, dass er noch einmal weg geht.“ Thomas hatte das üble Gefühl, er wäre ein notwendiges Opfer für den Familienfrieden, den es seiner Meinung gar nicht mehr gab. „Wenn er noch mal gehen würde, wäre er ein noch größeres Arschloch, als er es eh schon ist“, sagte er leise und blickte wieder auf. Zu seiner Verwunderung blickte seine Mutter zurück. In ihren Augen spiegelten sich Trauer und Verzweiflung, aber auch eine gewisse Wut wider. Thomas schloss, dass sie seinem Vater galt und empfand dabei eine leichte Befriedigung. „Du weißt, warum er sich so gegenüber dir verhält“, sagte sie dann schließlich und die Wut in ihrem Blick verschwand. „Wegen der Neonazi-Sache. Du weißt, dass ich da auch alles andere als begeistert von bin. Ich kann ihn in gewisser Weise verstehen, auch wenn ich es nicht gut finde, dass er deswegen so mit dir umgeht.“ Thomas schnaubte leicht. Er hatte keine Lust, über seine Einstellung zu reden und sich zu verteidigen, warum er so geworden war. „Das ist mein Leben“, entgegnete er und stand auf. „Und keiner von euch kann mir sagen, was ich denken soll. In diesem Land herrscht Meinungsfreiheit. Vielleicht sollte Gregor darüber mal nachdenken.“ Sie nickte nur langsam. „Wie geht es Benni?“, fragte er schließlich und bewegte sich zur Tür. „Er ist ein wenig durcheinander, aber als er ins Bett gegangen war, ging es ihm ganz gut. Er hat wieder die üblichen Fragen gestellt. Warum du Gregor so hasst und so, aber ich habe ihm gesagt, er solle nicht darüber nachdenken.“ Thomas fragte sich, warum sie ihm das erzählte. Er hatte nur nach Bennis Befinden gefragt. Wollte sie ihm ein schlechtes Gewissen machen? Das bräuchte sie nicht; das hatte er auch so schon. „Ich geh jetzt schlafen. Gute Nacht“, sagte er schließlich und öffnete die Tür, hörte noch wie sie ihm ebenfalls halbherzig eine gute Nacht wünschte und begab sich schließlich nach oben. Als Thomas am nächsten Tag aufwachte, zeigte der Digitalwecker neben seinem Bett bereits 12 Uhr und selbst durch die geschlossenen Jalousien drang ein leichtes Glimmen des Sonnenlichts. Sein Kopf dröhnte schmerzhaft. Die Nacht war relativ kurz gewesen. Oft war er aufgewacht und hatte erneut über seinen Vater und ihren Streit nachgedacht. Doch es war ein nie enden wollender Kreis und irgendwann hatte er bis jetzt durchgeschlafen. Stöhnend setzte er sich auf und rieb sich mit den Zeigefingern über die Augen. Auf dem Flur hörte er Schritte und schließlich die Stimme seines Bruders, die sich dann jedoch wieder in der Stille verlor. Ein schlechtes Gewissen überkam ihn, wenn er an den Kleinen dachte und er fragte sich, ob Benni ihm noch immer böse sein würde. Ich sollte mich wirklich mehr beherrschen, tadelte er sich selbst, ich kann ja nicht immer abhauen und rasend durch die Gegend fahren. Doch der Anflug von Vernunftsgedanken endete jäh, als er sich das erste Mal an ein weiteres Ereignis erinnerte, dass gestern Nacht passiert war. Er hatte Michael Pleske geküsst. Ein plötzliches Gefühl von Übelkeit zog sich durch seinen Körper und seine Gedanken. Wie hatte er sich nur zu so etwas hinreißen lassen können? Obwohl, eigentlich war es falsch. Er selber hatte Michael geküsst. Nicht andersherum. Was war nur in ihn gefahren? Zugegeben, es hatte sich gut angefühlt und in diesem Moment auch so richtig. Er war emotional aufgewühlt gewesen und verletzt durch die Ignoranz und die Ablehnung seines Vaters, auch wenn er es nicht gern zugab. Wahrscheinlich hatte er sich unterbewusst nach Zuneigung gesehnt und so waren seine Lippen eben plötzlich auf den Lippen Michaels gelandet, während sie sich unbemerkt näher gekommen waren. Aber war das wirklich alles gewesen? Verdammt, das wäre alles so viel einfacher, wenn Michael eine Michaela wäre! Allerdings wäre er bzw. sie dann wohl immer noch ein Punk und wenn es nach seiner Überzeugung ging, hätte er gestern nicht einmal mit Michael rumalbern dürfen. In was reitest du dich da nur rein, Thomas? Mit einem merkwürdigen Ziehen im Magen atmete er rasselnd aus und senkte sein Gesicht in seine Handflächen. Einige Momente verharrte er in dieser Position, als er plötzlich die Türklingel vernahm und nur wenig später dumpfe Schritte auf der Treppe hörte. Seine Augenbrauen zogen sich skeptisch und zugleich erwartungsvoll zusammen. Als die Türklinke schließlich hinunter gedrückt wurde, hielt er kurz die Luft an und hoffte, dass es nicht sein Vater und auf keinen Fall Michael war. Erleichtert stellte er dann aber fest, dass es sein bester Freund war. „Hey, ist dir warm oder hast du bis gerade gepennt, du Schlafmütze?“, begrüßte Nils ihn grinsend und musterte Thomas, der außer einer dunkelblauen Boxershorts nur ein weißes ärmelloses Shirt trug. „War ’ne harte Nacht“, erklärte Thomas und schlug die Decke von seinen Beinen. Nils kam näher und lehnte sich schließlich an die Wand gegenüber dem Bett. „Meine Mutter hat mir gesagt, dass du gestern bei uns warst. Musst wohl sehr verstört gewirkt haben“, erzählte Nils und Thomas fühlte sich peinlich berührt. „Wieder mal Stress mit deinem Alten gehabt?“ Thomas nickte langsam. „Kann man so sagen. Hat gestern von seiner Hochzeit mit seiner ach-so-tollen Daniela geschwärmt. Und dann kam die plötzlich auf die Idee, eine auf Kallwass bei den Rosners zu machen“, sagte Thomas mürrisch und sein Blick verdüsterte sich. „Und dann bist du ausgetickt? Kann ich verstehen.“ „Ich hätte ihm die Fresse polieren können!“, zischte der Jüngere. Nils grinste. „Warum hast du es nicht getan?“, fragte er. Thomas atmete hörbar aus. „Wegen meinen Geschwistern.“ „Du solltest endlich aufhören, dich immer nur für sie verantwortlich zu fühlen“, sagte Nils ruhig aber bestimmt und Thomas kräuselte die Lippen. „Ich dachte, das machen ältere Brüder so“, erwiderte er gelassen. „Ich erinner’ dich nur allzu gern daran, dass wir mal diesen einen Typen vermöbelt haben, weil er deiner kleinen Schwester das Herz gebrochen hatte.“ Nils lachte laut auf und blickte erinnerungsselig an die Decke. „Ja, du hast ihn fest gehalten und ich hab drauf geschlagen“, sagte er vergnügt und blickte wieder zu Thomas. Thomas’ Mundwinkel hoben sich ebenfalls. „Stimmt. Du warst gerade 15 und ich noch 14. Deine Schwester war damals 13 und so gekränkt. Er hatte sie verlassen, weil er dieses Mädchen in dem pinken Badeanzug toller fand, weil sie genau wie er auf dieses BumBum-Kaugummi-Eis von Schöller stand. Und wir haben uns dann wie kleine Helden gefühlt, als wir ihn fertig gemacht haben.“ Sie sahen sich an und lachten beide. Es tat gut, bei Nils zu sein, denn sie verbanden so viele Jahre an gemeinsamen Erinnerungen, dass es ihn immer ablenkte, wenn er sich eigentlich schlecht fühlte. „Er hatte schon die bessere Wahl in dem anderen Mädchen“, meinte Nils dann schließlich. Thomas sah ihn verwundert an. „Wieso? Deine Schwester ist doch nett. Sie hat eine tolle Figur und ein hübsches Gesicht.“ „Na ja, sie ist meine Schwester“, sagte Nils abweisend. Thomas’ Grinsen wurde ein wenig schräg. „Du kannst doch trotzdem sagen, dass sie hübsch ist“, erwiderte Thomas belustigt. „Deswegen verdächtigt dich schon keiner der Inzest, Mann!“ Er zwinkerte und winkelte seine Beine ein wenig an. „Was hast du gestern Abend eigentlich so gemacht?“, fragte Thomas schließlich, um das Thema zu wechseln, als Nils nicht mehr darauf antwortete. „Ich war mit ein paar Jungs unterwegs“, erzählte Nils lässig. „Waren an der Tanke was trinken und sind dann nachher so ’n bisschen durch den Ort gezogen. Schließlich haben wir dann noch ein paar Punks aufgegabelt. Ist allerdings nix passiert. Nach ein bisschen Pöbel sind die abgehauen.“ Es traf Thomas wie einen Schlag in den Nacken, als Nils ihm von den Punks berichtete und unwillkürlich breitete sich wieder ein Gefühl von Übelkeit in ihm aus. Was sollte er denn jetzt darauf sagen? Hey, ich hab gestern auch einen Punk getroffen. Aber ich hab ihn nicht angepöbelt. Nein, ich hab ihn geküsst. – Toll, Nils würde sich überschlagen vor Freude, dachte Thomas sarkastisch. Thomas wurde noch bewusster, dass er mit niemanden über gestern reden konnte. Mit niemanden außer Michael. Ein Anflug von schlechtem Gewissen drang durch seine Gedanken. Er wusste, dass Michael mehr für ihn empfand. Bei dem Gedanken fing sein Magen an zu kribbeln, und doch verkrampfte er sich zugleich. Nur nebenbei bekam er mit, wie Nils sein Zimmer verließ, um zur Toilette zu gehen. Thomas biss sich auf die Unterlippe. Er wusste immer noch nicht genau, warum er Michael geküsst hatte. Es hatte sich schön angefühlt. Doch es war falsch. Morgen war Montag. Er würde dringend mit Michael reden müssen. Thomas’ schlechtes Gewissen verdüsterte sich noch mehr, als er Michael am nächsten Morgen auf dem Gang im Erdgeschoss der Schule sah und bemerkte, wie der Punk ihm strahlend zugrinste. Sein Magen verkrampfte sich. Wie sollte er dem Punk nur beibringen, dass seine Überzeugung nicht zu dem passte, was Samstagnacht zwischen ihnen passiert war? Er beobachtete wie Michael und seine beiden Freunde an dem hohen Fenster standen und ihm fiel auf, dass Michael seine Haare in einem glänzenden dunkelblau gefärbt hatte. Der Punk lachte herzhaft über etwas, das ein Kumpel ihm erzählt hatte und Thomas fühlte, wie es in ihm kribbelte. Er schloss die Augen, um das Gefühl zu unterdrücken, doch es wurde dadurch noch stärker. Als er die Augen wieder öffnete, fing er den Blick von Michael ein, welcher ihm daraufhin zulächelte. Thomas zog die Augenbrauen hoch und formte mit seinen Lippen die Worte „Wir müssen reden“. Er hoffte, Michael verstand es. „Ich geh mal pissen“, meinte er zu Nils und Tobias, mit denen er zusammen stand. Eigentlich musste er gar nicht, doch 10 Minuten vor Unterrichtsbeginn waren die Jungentoiletten so gut wie ausgestorben (die Mädchentoiletten dagegen nicht). Zu seiner Erleichterung hatte Michael wohl verstanden, was er gemeint hatte und war ihm nachgegangen. Ohne ihn anzusehen, ging Thomas weiter in eine verdeckte Ecke und Michael folgte ihm. Er drehte sich langsam um. „Michael, wir –“, begann er, doch dann spürte er schon die Lippen des anderen auf seinen. Sie waren noch genauso sanft und berauschend wie Samstag. Kurz bewegte er seine Lippen ebenfalls, doch dann schob er den Jüngeren sanft aber bestimmt von sich. „Wir müssen reden“, sagte er leise und schluckte trocken, als Michael ihn lächelnd ansah. „Ja, das sollten wir“, stimmte er Thomas zu, doch er hörte sich dabei so glücklich an, dass Thomas bezweifelte, dass Michael dasselbe meinte, wie er. Sanft löste er sich weiter von dem Kleineren und bemerkte, wie dessen Lächeln nun ein wenig unsicher wurde. „Hör zu“, begann Thomas ein wenig stockend. In so einer beklemmenden Situation war er noch nie gewesen. „Wegen Samstag… es tut mir Leid. Ich weiß, du hast mich nicht gezwungen, das zu tun, aber…“ Er brach ab, doch Michael schien zu wissen, was er sagen wollte. Thomas hörte ihn tief einatmen. „Du meintest, du wüsstest nicht, warum du mich geküsst hast, nicht, dass du dich dabei geekelt hast.“ „Das habe ich auch nicht“, erklärte Thomas beschwichtigend und fühlte sich mit jeder Sekunde ein wenig mieser. Er hatte sich nicht vorgestellt, dass diese Situation so schwierig sein könnte. „Ah, du hast jetzt also gemerkt, dass du nichts für mich empfindest?“, fragte Michael leise, aber klar hörbar und klang dabei verletzt, auch wenn er es unterdrückte. Thomas senkte den Blick und starrte auf die über Jahre verfärbten Fließen. Was sollte er jetzt darauf sagen? Er wusste es ja selber nicht. Nervös befeuchtete er die Spitze seiner Oberlippe mit seiner Zunge, bevor er die beiden Lippen aufeinander presste. Er konnte einfach nichts dazu sagen, außer das die ganze „Sache“ seiner Meinung nach nicht richtig war. Er sollte es Michael besser jetzt sagen, bevor die Situation ihn noch so erdrückte, dass er sentimental werden würde. „Hör zu, es… es ist einfach falsch“, sagte er stockend und steckte seine Hände angespannt in die Taschen seiner Jeans. „Es tut mir Leid, aber diese… diese Sache ist einfach nicht mein Ding. – Scheiße, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ich –“ „Vergiss es, ich versteh schon, was du meinst“, unterbrach Michael ihn und klang dabei nun ungewohnt kühl. „Du kannst nicht von jedem verlangen, dass er eine Homo-Beziehung führen will. Auch wenn ich dich geküsst habe, ich bin nicht schwul. Okay? Und außerdem passt es einfach nicht zu meinem Lebensstil. Es geht also einfach nicht“, erklärte Thomas schnell. Er fühlte sich verzweifelt, denn das Gespräch verlief nicht so kurz und schmerzlos, wie er es sich vorgestellt hatte. Michaels Gesicht nahm nun wieder einen verletzten Ausdruck an und erneut hatte Thomas das Gefühl, davon erdrückt zu werden. Vielleicht bildete er sich es nur ein, doch die grüngrauen Augen seines Gegenübers wirkten wässerig. „Weißt du, ich hätte nicht gedacht, dass der coole, unnahbare, starke Thomas Rosner so feige ist“, sagte Michael zischend, doch seine Stimme bebte hörbar. Mit diesen Worten ging er schnellen Schrittes aus dem Toilettenraum und ließ Thomas geschockt und getroffen zurück. TBC Hm... na ja, so kann's gehen. Ich kann Thomas in gewisser Weise verstehen. Vielleicht einige von euch auch. Aber als kleinen Trost kann ich sagen: Das ist ja noch nicht das Ende und Thomas wird sich nach einem kleinen Zeitsprung noch ändern. Ich würd mich über Kommis (egal ob Lob oder Kritik) natürlich wie immer freuen xD Über Lollies und WEST-Silver-Kippen auch *lol* Motte Kapitel 15: Jahrmarktrendezvous ------------------------------- Hallöchen allerseits, tut mir Leid, dass es mit Kapitel 15 so lange gedauert hat. Aber einige private Angelegenheiten in den letzten Wochen haben mir die Zeit geraubt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich kann daher auch nicht versprechen, dass Kapitel 16 und die folgenden schneller fertig sein werden, aber ich versuche es zumindest. Na ja, erfreut euch jetzt erst mal an Kapitel 15: Jahrmarktrendezvous Den restlichen Schultag hatten sich Michael und Thomas gänzlich ignoriert. Zwar hatte Michael eindeutig die Blicke des Größeren auf sich gespürt, doch er hatte sich gezwungen, nicht zurückzublicken. Auch jetzt, eine Woche später, war er nach wie vor vom Schlag getroffen. Er hatte versucht, sich das vor allem vor Thomas nicht anmerken zu lassen, doch dessen Worte hatten ihn sehr verletzt. Thomas hatte praktisch mit ihm „Schluss“ gemacht, noch bevor sie überhaupt etwas gehabt hatten, was man hätte „Beziehung“ nennen können. Allerdings war Michael mit der Zeit ein wenig einsichtiger geworden. Zunächst hatte er Thomas einfach nur für feige gehalten. Immerhin hatte er ihn damals geküsst und dann hatte er sich plötzlich so einfach der Verantwortung entzogen. Doch schließlich hatte Michael sich von zwei ihm bekannten Neonazis, Christoph und Markus, anpöbeln lassen müssen (wobei er nicht ganz unschuldig gewesen war) und er wusste, dass Thomas sie zu seinen engsten Freunden in dieser Nazi-Clique zählte. Erst da war ihm der Gedanke gekommen, wie seine Freunde reagieren würden. Patrick und Jan wären sicher nicht sehr begeistert, wenn er einen Rechtsradikalen anschleppen würde – egal ob Junge oder Mädchen. Und da hatte er Thomas besser verstehen können. Bei Thomas war es nicht nur die Politik, sondern auch ihr Geschlecht, das zwischen ihnen und seinen Freunden stehen würde. Eine Liebe, die gegen alle Menschen – Freunde, Verwandte, Bekannte – ankämpft; das war doch eher Stoff für Filme und Romane. Das war selten die Realität – und das wusste Michael. Also hatte er ebenfalls resignierend aufgegeben. Niemand konnte von Thomas verlangen, dass er sein ganzes Umfeld für einen Jungen aufgab, mit dem er gerade mal einen Kuss geteilt hatte. Michael wusste, dass Neonazi-Cliquen häufig die Familien der Mitglieder ersetzten und dementsprechend waren sie mit „Blut“ gleichzusetzen, während er nur jemand gewesen war, der so nebenbei hineingeplätschert war. Wie „Wasser“ eben. Ein weises Sprichwort hatte einmal gesagt, Blut sei dicker als Wasser. Und es stimmte. Zumindest in den meisten Fällen. In ihrem Fall. Er selber würde auch nicht Patricks und Jans Freundschaft aufgeben, für einen kleinen Kuss, bei dem noch nicht einmal sicher war, dass mehr daraus werden würde. Die Art rosarote Brille hatte ihn überhaupt nicht mehr an die Konsequenzen denken lassen. Ja, er konnte Thomas verstehen. Und doch tat es weh. Michael konnte sich nicht helfen, aber er hätte es wenigstens gerne versucht. Auch wenn es nicht so wirkte, für Thomas war die Situation ebenfalls nicht leicht. Zwar hatte er bereitwillig dem ersten Gedanken, der ihm gekommen war, Folge geleistet und Michael klar gemacht, dass aus ihnen nichts werden konnte, doch mittlerweile litt er unter seiner eigenen Entscheidung. Es war merkwürdig, wie konfus er manchmal war, wenn er neben dem jungen Punk in der Schule saß und sich seine Gedanken um ihn drehten und nicht um den Unterrichtsstoff, wo sie eigentlich hingehörten. Ebenfalls war es nicht selten, dass er sich bei dem Verlangen ertappte, Michael zu berühren; zufällig, kurz, eher flüchtig – aber dennoch wollte er es tun. Nur mit großer Selbstbeherrschung gelang es ihm manchmal, sich zurückzuhalten und seine Finger bei sich zu lassen und nicht allzu sehr auf die weichen Lippen zu starren und sich dabei erneut das Gefühl vorzustellen, wie diese Lippen seine Eigenen küssten. Es war fast schon peinlich, wie er sich danach sehnte, wo sie doch nur einen kleinen Kuss miteinander geteilt hatten. Ihm war klar, was das zu bedeuten hatte. Er erwiderte die Gefühle, die Michael für ihn hegte. Es kam ihm suspekt vor, dass ausgerechnet er sich in einen Jungen verlieben musste und dann auch noch in einen, dessen Einstellung seiner eigenen komplett widersprach. Aber es war so. Und er wusste nicht einmal warum. Vielleicht war es, weil Michael ihm praktisch seine Nähe aufgezwungen hatte, als sie zusammen Deutschhausaufgaben erledigen mussten. Wenn die Situation mit seinem Vater nicht so eskaliert wäre, wäre es sicher nicht soweit gekommen. Möglicherweise hätte Michael sich dann auch nie in ihn verliebt. Auch jetzt noch bereute er es, dem Punk so viel von sich gezeigt zu haben, selbst jetzt, wo er ähnlich empfand wie dieser. Er war eben nicht der Typ, der gerne seine Schwächen preisgab. Aber Michael schien in diesen Momenten wohl irgendetwas an ihm entdeckt zu haben, was ihn dazu gebracht hatte, ihn zu lieben. Thomas fragte sich, ob diese Gefühle für ihn immer noch dieselben waren, nachdem er Michael von sich gewiesen hatte. Er wusste immer noch nicht, ob er wirklich eine Beziehung wollte. Eine heimliche Beziehung. Er wusste auch nicht, ob Michael ihm überhaupt noch eine Chance geben würde. Aber er würde es wenigstens gerne versuchen. Groß und bunt prangten die Schilder hoch an jeder Ortseinfahrt und auch im Kern der Kleinstadt und zeigten an, dass vom vierten bis zum siebten August eine Kirmes in der Stadt sein würde. Wie jedes Jahr fand sie am ersten Augustwochenende statt und die meisten Jugendlichen verbrachten ihre Nachmittage, Abende und Nächte auf dem Jahrmarkt. So waren auch heute, am Freitag und ersten Tag der Kirmes, Michael und seine Freunde im Stadtinneren. Die Kirmes war nicht sonderlich groß, eher mittelmäßig, aber dennoch war es meistens lustig. Man trank, unterhielt sich mit Leuten, feierte, ging ab und zu auf Karussells und verbrachte so einfach den Abend. „Zuckerwatte!“, rief Lara begeistert und guckte mit gierigen Augen auf den Süßwarenstand und die silberne Maschine, die gerade für ein kleines Mädchen weiße Zuckerfäden um einen hölzernen Stil wickelte. Mit einem leisen Seufzen, aber ohne nachzudenken, zückte Patrick sein Portemonnaie und reichte es seiner Freundin. „Du musst mir das nicht bezahlen, Pat“, erwiderte sie, als sie die Geldbörse annahm. „Ich hab auch selber Geld bei.“ „Nein, nein“, wehrte dieser ab. „Ich bin dein Freund. Ich werde dir gerade so eben noch Zuckerwatte für zwei Euro kaufen können.“ Lara grinste, als hätte sie einen fiesen Spruch auf der Zunge liegen, doch anscheinend schluckte sie ihn runter und wandte sich zu der Verkäuferin, um ihren Wunsch zu äußern. Jan, der sich bis jetzt an Michaels mittlerweile feuerroten Haaren vergnügt hatte, wandte sich nun an Patrick. „Patty? Willst du mir nicht auch eine Zuckerwatte kaufen?“ Mit einem unüberhörbaren Grummeln und einem gespielt genervten Blick drehte Patrick sich zu ihm. „Jan-Baby, es tut mir Leid, aber ich bin noch nicht zum Multimillionär ernannt worden. Geld scheißen kann ich auch nicht“, verneinte er Jans Frage spaßend. Der Jüngere grinste. „Nein? Oh schade. Na, dann frag ich mal Bill Gates!“ Michael lachte. „Oh klar, du rufst eben in Amerika an und fragst ihn, ob er dir eine Zuckerwatte kauft?“ „Japp“, sagte Jan nickend. Patrick schmunzelte und zog dann schließlich die Augenbrauen hoch. „Du weißt doch nicht mal, was Zuckerwatte auf Englisch heißt!“ Jan zuckte mit den Schultern. „Du doch auch nicht.“ „Candy Floss. Na ja, aber wenn du in Amerika anrufen willst, sagst du lieber Cotton Candy“, warf Lara aus dem Hintergrund ein und nahm ihre eigene Zuckerwatte entgegen. „Sei nicht so besserwisserisch, Schatz“, spottete Patrick neckend über sie und griff schließlich nach ihrer Hand, als plötzlich eine Gruppe von fünf Neonazis auf den Süßwarenstand zukam. „Ey, nee, da kauf ich nix. Da waren ja schon die Zecken dran!“, rief ein Stämmiger, Großer von ihnen und blieb sofort stehen, sobald er die Gruppe von Punks erkannte. „Also das könnt’er vergessen. Da geh’ ich net hin.“ Mit ihm zusammen streikten zwei andere Neonazis, die beide ungefähr Mitte zwanzig waren. Einer wirkte recht unsicher und der andere etwas missmutig. Die Drei machten kehrt und verschwanden in der Menge weiter zum Part der Kirmes, wo sich eher die Karussells für Jugendliche befanden. „Man, gehen die mir auf den Sack!“, sagte schließlich einer der beiden Zurückgebliebenen und als sie näher an den Stand traten, erkannte Michael, dass es dieser Christoph war, mit dem Thomas immer zusammenhing. Der andere war Markus, den Michael schon oft mit Christoph und Thomas gesehen hatte. „Reg dich nicht drüber auf, du weißt ja, wie Tielmann ist“, meinte Markus beschwichtigend und lehnte sich an den Tresen des Wagenstandes, während sein Kumpel sich gebrannte Mandeln kaufte. „Ja ja, leider“, erwiderte Christoph hörbar genervt und gab der Verkäuferin das zu zahlende Geld. „Was soll’s. Kommt Saskia heute noch?“ Michael sah, wie Markus mit den Schultern zuckte. „Keine Ahnung. Sie meinte, sie wolle erst noch zu der neuen Perle von Matthias. Jasmin oder wie die heißt. Aber ich denke, danach wird sie wohl nachkommen.“ Christoph nickte nur als Antwort und drehte sich schließlich mit der Tüte gebrannter Mandeln wieder zu Markus. „Na, Hauptsache Thomas kommt. Nils meinte, es wäre noch nicht sicher“, sagte er und klang dabei, als würde er sich beschweren. „Ey, wenn Tommi nicht kommt, dann sind’s nur wir zwei und Nils gegen mindestens sechs Idioten, die sich um Tielmann scheren, bis Matthias da ist. Und Tobias wird sich wieder aus allem raushalten, der Kerl hat eh keine eigene Meinung.“ Die beiden entfernten sich wieder von dem Stand. Markus grinste schräg. „Deine Laune in allen Ehren, Chris, aber-“ Weiter konnte Michael ihnen nicht zuhören, da die Geräuschkulisse aus Musik und Gerede zu laut war und von den beiden nur noch ihre kahlen Köpfe in der Masse zu sehen waren. Ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn. Er hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass Thomas eventuell auch hier sein würde. Und er wusste nicht, ob er den jungen Neonazi überhaupt sehen wollte oder nicht. Es war bereits dämmerig. Doch die Kirmes war durch die Lichter der Fahrgeschäfte noch hell erleuchtet. Obwohl es erst gegen halb Elf war, waren schon viele Jungendliche, aber auch Erwachsene angetrunken, wenn nicht sogar kurz vorm Umkippen. Um 22 Uhr hatte es sogar vor einem Überschlagskarussell eine Schlägerei zwischen einem betrunkenen Mann mittleren Alters und seinem jüngeren Bruder gegeben. Die beiden hatten erst aufgehört, als die Polizei sie gewaltsam auseinander gezerrt hatte. Wahrscheinlich verbrachten die beiden die restliche Nacht nun in getrennten Ausnüchterungszellen. Ansonsten waren keine bemerkenswerten Zwischenfälle gewesen. Die Neonazis verhielten sich, wie die letzten Jahre, relativ ruhig. Sie wussten, dass die Polizei ihre Gruppe im Auge hatte und eine Einbuchtung wollte kaum einer von ihnen kassieren. Wenn die meisten von ihnen ehrlich waren, würden sie nicht einmal was tun, wenn keine Polizisten auf sie aufpassen würden. Mittlerweile war Thomas auch eingetroffen und stand in einer kleinen Gruppe zusammen mit Markus, Tobias, Christoph und Nils. Tobias hatte wie sonst auch die meiste Zeit eher weniger gesprochen und Nils war irgendwann mit Tatjana aus ihrer Klasse verschwunden und seit fünfzehn Minuten nicht wiedergekommen. Christoph und Markus dagegen hatten schon einiges an Alkohol intus und waren alles andere als nüchtern. Thomas überlegte, ob sie vielleicht schon vor der Kirmes etwas getrunken hatten oder ob es einfach nur sehr hochprozentige Getränke waren, die sie zu sich genommen hatten, denn ansonsten waren die beiden nicht so schnell betrunken. Lallend stützen sie sich aufeinander, während sie Thomas etwas von Markus’ Großtante Friedchen erzählten, wobei Thomas sich sicher war, dass diese nicht einmal existierte. Schließlich sanken sie zu Boden und setzten sich zunächst auf die Bordsteinkante, ehe sie sich zur Seite auf eine Pappabdeckung für die Kabel sinken ließen. Markus’ Kopf kam auf Christophs Brust zu liegen und irgendwie hatte Thomas das dumpfe Gefühl, dass die beiden in den nächsten Minuten nicht aufwachen würden. Er bemerkte, wie jemand auf ihn zukam und drehte sich zur Seite. Saskia stand neben ihm und stupste ihm kumpelhaft in die Seite. „Scheint mir, als wäre mein Freund eingeschlafen?“, fragte sie ihn, obwohl sie die Antwort schon längst kannte. Thomas nickte. „Sie haben zu viel getrunken.“ „Ja, stimmt“, antwortete sie und blickte auf ihren schlafenden Freund. Dann zögerte sie kurz. „Er hängt fast immer nur mit Christoph ab. Manchmal denke ich, er ist ihm wichtiger als ich.“ Thomas fragte sich, was er nun dazu sagen sollte. Ausgerechnet er. Saskia war seine Exfreundin. Sie waren bis vor einem Jahr noch zusammen gewesen und er fand, er war wirklich der schlechteste Ansprechpartner, was ihre Liebesprobleme anging. „Du warst nie so“, sagte sie schließlich, als er nicht antwortete und lächelte ihn an. „Als wir noch zusammen waren, hattest du wenigstens Zeit für mich, aber bei ihm heißt es immer nur Christoph, Christoph, Christoph.“ Thomas zuckte mit den Schultern. „Was soll ich dazu sagen, Saskia?“, fragte er sie ehrlich, denn er wusste nicht, was sie von ihm erwartete. „Chris ist sein bester Freund. Er hat immer schon an ihm gehangen. Rede mit ihm, wenn es dich so stört.“ Saskia blickte ihn etwas enttäuscht an. „Ich dachte, du könntest vielleicht-“ „Saskia!“, meinte Thomas seufzend und rollte mit den Augen. „Ich bin dein Ex. Red mit Markus! Das wird schon klappen.“ Sie nickte stumm. „Ich – ähm – ich werd’ mal auf Klo gehen.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus seinem Blick und Thomas blickte frustriert auf Markus, der mittlerweile von Chris’ Brust runtergerutscht war. Schließlich drehte er die Flasche Bier in seiner Hand und blickte sich auf der Kirmes um. Wie jedes Jahr standen sie in der Nähe des Autoscooters, neben dem sich ein Getränkewagen befand. Gelangweilt setzte er die Bierflasche an seine Lippen und hätte sich beinahe verschluckt, als er plötzlich etwas Rothaariges hinter dem Autoscooter verschwinden sah. Michael. Sein Herz begann zu rasen. Was sollte er jetzt tun? Sein Ziel war es eigentlich gewesen, sich möglichst bald mit dem Punk zu unterhalten und jetzt schien die Gelegenheit günstig zu sein. Immerhin waren seine Freunde nicht bei ihm und seine eigenen Kameraden waren abgelenkt. Er musste es jetzt tun. Sich umguckend, ob auch wirklich niemand ihn beobachtete, verließ er langsam das Grüppchen seiner Freunde und Bekannten. Auf dem Weg bis hinter dem Autoscooter gingen ihm tausend Gedanken durch den Kopf, sodass es ihm wie eine Ewigkeit vorkam, bis er endlich hinter dem Gerüst ankam. Seine grauen Augen starrten auf den in einer Lederjacke verpackten Rücken des Punks. Was sollte er jetzt sagen? Eigentlich wusste er immer noch nicht so genau, was er hundertprozentig wollte. „Hallo“, sagte er schließlich mit leicht brüchiger Stimme. Das war doch schon mal ein Anfang. Michael zuckte zusammen. Seine Hand war immer noch an dem Reißverschluss seiner Hose, den er gerade wieder zu gezogen hatte. Er brauchte sich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, wer hinter ihm stand. Seine Glieder verspannten sich, seine Hände bebten und sein Hals fühlte sich rau an. „Was… willst du?“, fragte er ohne den anderen anzublicken. Es vergingen einige Momente des Schweigens und Michael wollte sich schon gerade umdrehen, um den anderen fragend anzublicken, als Thomas doch anfing zu sprechen. „Reden“, sagte er knapp und Michael wunderte sich, dass er für dieses eine Wort so lange gebraucht hatte. „Worüber?“, fragte er mit gefasster Stimme, auch wenn in seinem Inneren ein Kampf tobte. „Ich dachte wir hätten alles geklärt. Du wolltest nicht - und damit hatte sich das doch erledigt, oder nicht?“ Er spürte Thomas’ Blick in seinem Nacken und hörte den Schotter unter dessen Springerstiefeln knirschen, so als würde Thomas unruhig seine Füße über den Boden schieben. „Das stimmt, aber ich – ich wollte noch einmal darüber reden, denn ich… vielleicht hab ich auch einen Fehler gemacht?“ Thomas’ Stimme klang angespannt. Michael schloss die Augen. Er hatte sich alles gewünscht, nur nicht das. Denn das ließ wieder Hoffnung in ihm aufkeimen, obwohl er es nicht wollte. „Aha, einen Fehler also…“, wiederholte er Thomas’ Worte langsam und starrte auf einen unbestimmten Punkt in den dunklen Silhouetten vor ihm. Er hörte den anderen näher kommen und fühlte, wie sein Magen sich noch mehr verkrampfte. „Bleib da stehen“, zischte er leise, aber Thomas schien es gehört zu haben. Die Schritte verstummten. „Dann dreh dich verdammt noch mal wenigstens zu mir um!“, sagte der Größere und klang dabei harscher, als er gewollt hatte. Michael schluckte trocken, wandte sich aber zu ihm. „Und jetzt?“ Er sah in Thomas’ Gesicht und bemerkte, dass dieser mindestens genauso nervös wirkte, wie er selbst sich fühlte. „Scheiße, jetzt, wo du mich anguckst, ist es noch schwieriger“, gab Thomas zu und fuhr sich hastig über die nackte Haut an seinem Schädel. Michael konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. „Soll ich mich wieder umdrehen?“, fragte er ironisch, aber nicht minder aufgeregt und versenkte seine bebenden Hände in seine Hosentaschen. „Ähm – nein“, erwiderte Thomas und spielte mit dem Reißverschluss seiner Jacke. „Hör zu, ich denke, ich war nicht ganz ehrlich. Nicht zu dir und auch nicht… zu mir.“ Er brach ab und atmete tief ein. „Es ist wirklich schwer. Ich bin nicht gut in so was, Michael“, versuchte er vergeblich nach Worten zu ringen. „Als ich letztens gesagt hab, dass zwischen uns wird nichts, da hab ich einzig und allein nach meinem Kopf entschieden, aber es… war ein Fehler. Denn ich will es selber auch.“ Der Klos in Michaels Hals schien größer zu werden, während sein Herz seinen Brustkorb fast zu sprengen drohte. „Du willst was?“, fragte er ihn direkt und biss sich auf die Lippe. Das kann doch jetzt nicht wahr sein, dachte er, als er wie gelähmt vor dem Größeren stand. Thomas schien es ähnlich zu gehen. Starr blickte er auf Michael hinunter, bis er schließlich wieder zu sprechen begann. „Dich“, erwiderte er einfach nur schlicht. Sowohl er als auch Michael schienen perplex von dieser einfachen, aber direkten Aussage. Michael hätte nicht erwartet, so etwas zu hören und Thomas hätte nie erwartet, dass er jemals so etwas aussprechen würde. „Oh“, begann der junge Punk als Erster wieder zu sprechen. „Das ist – wow. Ähm, was… machen wir jetzt?“ Thomas lachte leise und brüchig, was von seiner angestauten Anspannung kam. „Diese Situation ist echt krank“, erwiderte er und Michael konnte sich ein breites Grinsen ebenfalls nicht verkneifen. Schließlich streckte Thomas eine Hand aus und strich langsam über die weiche, aber leicht klebrige Haut an Michaels Wange. „Hast du dich mit diesem ekeligen Zeugs von der Krake voll sprühen lassen?“, meinte Thomas schmunzelnd. „Du durchschaust aber auch alles.“ Michael grinste immer noch. Auf einmal hatte er das Gefühl, sie würden gar keine weiteren Worte brauchen, um diese Situation wirklich zu klären. Er ging den letzten Schritt, der sie trennte, auf Thomas zu und streckte sich ein wenig, um die Lippen des Größeren mit seinen eigenen zu berühren. Es fühlte sich noch besser an, als er es in Erinnerung gehabt hatte. Seine Augen schlossen sich langsam, als er seine Lippen ein wenig öffnete und Thomas’ Zunge Einlass in seine Mundhöhle gewährte. Als sie sich wieder voneinander lösten, bemerkte Michael, dass Thomas’ Hand unter seine Jacke und sein T-Shirt gewandert war und über seinem Steißbein Halt gemacht hatte. „Aha, jetzt kannst du es also nicht mehr lassen?“, neckte er ihn liebevoll, was den Größeren zum Lachen brachte. „Durchschaut“, erwiderte er, zog seine Hand aber gemächlich zurück. „Aber hey, eine Sache ist dir doch klar. Wir… müssen das hier schon geheim halten.“ Thomas fand es wichtig, dass besser jetzt anzusprechen, bevor Michael sich Hoffnungen auf eine offene Beziehung machte. Doch Michael reagierte anders, als er gedacht hatte. „Schon klar, oder denkst du, meine Freunde würden sich überschlagen, wenn sie uns sehen?“ „Allerhöchstens vor Schock“, erwiderte Thomas sarkastisch, lächelte dann aber. Wenn Michael es sich genau überlegte, hatte er noch nie ein so ehrliches Lächeln von dem jungen Neonazi gesehen und es ehrte ihn irgendwie. „Ich hab’ selber auch darüber nachgedacht und du hattest Recht, was das angeht. Wir sollten es wirklich nicht an die große Glocke hängen“, stimmte Michael ihm zu. Als er einen scharfen Blick aus grauen Augen bemerkte, fügte er hinzu: „Es bleibt unser Geheimnis. Keiner wird es erfahren. Das meinte ich damit, echt.“ Thomas schenkte ihm ein gutgläubiges Nicken. „Denkst du nicht, deine Freunde fragen sich, warum du solange pissen bist?“, wechselte er nun abrupt das Thema und Michael sah ihn für einen Augenblick erstaunt an. „Oh ja, stimmt. Ähm, und deine Nazi-Freunde fragen sich sicher auch schon, wo du bleibst.“ Thomas beugte sich noch einmal zu ihm runter und küsste kurz seine Lippen. „Ich ruf dich an, okay? Ähm… morgen Nachmittag?“ Michael nickte und lächelte, während er sich erneut auf die Lippen biss. „Tu das“, sagte er und küsste Thomas’ rechten Mundwinkel, ehe er ihn losließ und hinterher sah, wie er in der Menge auf dem Weg zu seinen Kameraden verschwand. Tief atmete er durch und lehnte sich an die Stahlwand des Autoscooters. Ihm war gerade danach ganz laut zu schreien, doch er unterdrückte es mühevoll. „Oh – mein – Gott – Michael, merk dir den vierten August als den turbulentesten, geilten Tag deines Lebens“, sagte er zu sich selbst, ehe er sich von der Wand abstieß und zu seinen Freunden zurückkehrte. TBC Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen. Ich habe beschlossen jetzt mal kurzen Prozess zu machen und Thomas dazu zu bringen, es nicht mehr auszuhalten xD Er ist ein Mann - die sind eh ungehaltener *lach* Bis Kapitel 16 dann, was hoffentlich etwas schneller fertig sein wird ^_^ Motte Add.: Ich hoffe, die Leute, die mich persönlich kennen, verstehen die Anspielung, die ich mit Markus und Christoph machen wollte :) Kapitel 16: Angekotzt --------------------- Hallöchen! Danke für die ganzen Kommis, die ihr bisher geschrieben habt ^^ Das freut mich wirklich. Dieses Mal war ich zum Glück etwas schneller mit dem Kapitel. Ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen xD Kapitel 16: Angekotzt Mit einem breiten Grinsen begab Michael sich an der Rückseite des Autoscooters entlang zurück zu seinen Freunden. Kurz schwankte sein Blick dabei zu der gegenüberliegenden Seite des Fahrgeschäfts und erhaschte den Rücken von Thomas, welcher sich wieder zu seinen Kameraden gesellt hatte. Ein spürbares Ziehen, gefolgt von einem flatterigen Kribbeln machte sich in seinem Magen breit. Sie waren ein Paar. Er konnte es gar nicht glauben. Vielleicht sollte er gleich jemanden bitten, ihn mal kräftig zu zwicken, damit er glauben konnte, nicht zu träumen. Zugegeben, die Beziehung war heimlich und er würde nicht einmal Jan und Patrick, geschweige denn seiner Familie etwas davon erzählen können. Aber dennoch fühlte er sich im Moment so vollkommen und glückselig. Sich besinnend wandte er schließlich seinen Blick von Thomas und setzte seinen Weg ein wenig schneller zu der rechten Längsseite des Autoscooters fort. Laute Musikfetzen dröhnten ihm entgegen und schließlich fand er Jan mit einer Bierflasche in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand vor, laut mitsingend und anscheinend genau so gut gelaunt wie Michael sich gerade fühlte. „Aaaahaaa, die Gedanken sind frei! Aaahaa, die Gedanken sind frei. Ihr könnt mich foltern, könnt mich quälen, könnt mir meine Sinne rauben, aber aaahaa die Gedanken sind frei!“, grölte Jan den Text der Wohlstandskinder mit und spielte danach Luftgitarre. Michael lachte und pogte Jan spaßend an. „Oh hey, Michi-Baby hat wieder gute Laune!“, erwiderte dieser grinsend und pogte zurück. „Endlich wieder aus dem großen, schwarzen Loch heraus, hm? Komm, lass uns Pogo tanzen!“ Grinsend ließ Michael sich auf den unkoordinierten Tanzstil ein, welcher für Außenstehende oftmals wie wildes Stoßen und Schubsen aussah. Es war verwunderlich wie schnell Jan den Text des Liedes mitsingen konnte, wo viele die Strophen noch nicht mal beim Hören richtig verstehen konnten. Spaßend sprang Michael auf Jans Rücken und der Jüngere, der damit nicht gerechnet hatte, stürzte mitsamt dem anderen zu Boden. Da er jedoch kurz danach auflachte, zeigte Michael, dass er sich nichts getan hatte. „Suchst du Nähe, Michi?“, witzelte Jan und stupste seinen Kumpel freundschaftlich in die Seite, nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatten. Dieser schmunzelte. „Ja, aber nicht deine“, erwiderte er und dachte kurz an Thomas, schluckte den Namen jedoch runter und verkündete, dass eher Patrick sein Typ sei. „Aber leider ist der ja von Lara in Beschlag genommen!“ Lara, die neben Patrick auf ein paar Steinstufen saß und dessen mittlerweile ausgeblichenes, blau-blondes Haar mit ihren Fingern durchstrich, zeigte ein hinterhältiges Schmunzeln. „Hättest du das mal früher gesagt, Michi! Gegen ein kleines Entgelt leih ich dir Pat gerne mal aus!“ Ein helles Lachen kam aus ihrem Mund, als Patrick sie etwas verdattert ansah. „Und ich hab nichts dazu zu sagen?“, fragte er argwöhnisch; anscheinend hatte er gerade keine Lust auf solche Scherze. Doch seine Freunde ließen sich davon nicht beirren. „Nein, du bist mein Eigentum, von daher“, erklärte Lara ihm. „Du bist also still und ich bestimmte. Und wenn Michi das entsprechende Geld zahlt…“ Sie grinste breit. Michael zückte derweil sein Portemonnaie und kramte eine Ein-Centmünze heraus und warf es schließlich vor Patricks Füße. Dieser sah ihn finster an. „Ein Cent?“ „Ach komm, Michi, etwas mehr ist er schon wert“, sagte Lara belustigt. Daraufhin kramte Michael ein weiteres Centstück heraus und warf es zu dem anderen. Lara nickte gespielt zufrieden. „Das ist okay!“ Michael lachte und ging auf Patrick zu, welcher ihn genervt anstarrte. Langsam beugte er sich zu dem Älteren und konnte ein Grinsen kaum verbergen. „Sei mein Sexsklave“, hauchte er ihm entgegen und daraufhin konnten weder er noch die anderen, außer Patrick, ein Lachen vermeiden. Doch sogar Patrick ließ ein kleines Schmunzeln auf seine Lippen schleichen. „Oooh, die kleine Miesmuschel zeigt ein Lächeln“, sagte Jan daraufhin in einem Ton, als wäre Patrick ein Baby und gerade das erste Mal aufs Töpfchen gegangen. Patrick stand auf. „Ja ja, die kleine Miesmuschel will jetzt mal Autoscooter fahren. Wer kommt mit?“ Die Frage hätte er gar nicht erst stellen brauchen, denn sofort griff Lara nach seinem Arm und ließ sich von ihrem zum Fahrkartenschalter geleiten. Michael erwischte sich dabei, wie er daran dachte, mit Thomas Autoscooter zu fahren. Doch ihre Beziehung war heimlich, da sollte man sich besser nicht zusammen in einem Autoscooter sehen lassen. Es war schade, doch der trübe Gedanke konnte seine Glücksgefühle über Thomas’ plötzliche Entscheidung nicht vertreiben. „Markus, ich muss mit dir reden!“, sagte Saskia bestimmt, kaum waren ihr Freund und dessen bester Kumpel wieder aufgewacht, und zog Markus energisch am Ärmel von den anderen Neonazis weg. „Was hat sie denn?“, fragte Christoph verwundert und blickte beiden irritiert nach, als sie um die Ecke bogen. „Keine Ahnung“, log Thomas. Er hatte keine Lust, Christoph zu erklären, dass er der Grund für Saskias Verstimmung war. „Wieder fit?“ Christoph strich sich über den kahl rasierten Kopf und gähnte. „Eine halbe Stunde Schlaf kann Wunder wirken“, erklärte er Thomas in einem extra weisen Ton. Thomas grinste schief. „Ihr habt mehr als eine halbe Stunde geschlafen…“ „Nimm doch nicht alles so genau, Tommi“, erwiderte Christoph und blickte zu Tielmann, dem großen Koloss von Glatze, mit dem er gekommen war. „Ich hätte in der unpolitischen Skin-Szene bleiben sollen. Dann wär’ ich mit so etwas nie in Kontakt gekommen.“ Thomas lachte auf. „Welche Szene? Ihr, du und Markus, wart zu zweit!“ „Vergiss nicht, dass du auch mal dabei warst.“ „Wow, zwei Monate lang“ – „Vier!“, unterbrach Christoph ihn – „Gut, vier Monate lang waren wir Drei. Da waren wir fünfzehn! Echt geil. Und dann fing Nils auch an, aber so richtig aufgeblüht ist er erst, als wir rechts geworden sind.“ „War eigentlich ’ne gute Sache, wenn uns so Flaschen wie Tielmann erspart geblieben wären. Oder“ – er senkte seine Stimme ein bisschen – „so was wie Scherer. Hey, der Kerl kriecht der NPD so was von in den Arsch.“ Christoph atmete hörbar tief ein. Thomas zuckte mit den Schultern. „Klar, ich weiß. Mein Ding ist das auch nicht. Mir reicht meine Einstellung.“ „Japp, Deutschland den Unseren und alles andere raus. Das reicht wirklich schon“, bestätigte Christoph seine Meinung. „Genau so“, bestätigte Thomas Christophs Worte und kramte in seiner Hosentasche nach einer leicht zerknickten Zigarettenschachtel. Mit schnellem Griff zog er eine der weißen Tabakstangen mit braunem Filter heraus und zündete diese an. Der nebelartige Rauch nahm ihm kurz die Sicht auf sein Gegenüber, welches sich gerade die Bierflasche an den Mund setzte und einen kräftigen Schluck nahm. „Meinste Markus kommt irgendwann noch mal wieder?“, fragte Christoph schließlich und blickte zu der Ecke, um die sein bester Freund und seine Freundin verschwunden waren. Thomas zuckte mit den Schultern. „Wenn Saskia ihn nicht zerfleischt…“, erwiderte er recht gleichgültig und nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette. „Also ist es was Ernstes?“ Christoph blickte ihn fragend an. „Glaube schon.“ Doch weiter mussten sie nicht mutmaßen und spekulieren, denn das Paar kam in diesem Moment zurück und beide wirkten nicht gerade glücklich. Markus wirkte sehr verärgert und Saskia zusätzlich noch etwas verbittert. Markus sagte nichts, sondern blickte Christoph nur genervt an und zog dabei die Augenbrauen hoch. Christoph schien jedoch zu verstehen und beide verschwanden von dem Rest der Gruppe. Wahrscheinlich brauchte Markus erst einmal Ruhe, um sich abzureagieren. „Hattest du nicht gesagt, es klärt sich schon, wenn ich mit ihm darüber rede?!“, fauchte Saskia derweil Thomas an. „Kommt drauf an, wie du ihn angesprochen hast“, sagte Thomas ruhig und trat seine mittlerweile abgebrannte Zigarette auf dem Asphalt aus. „Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Bei einigen Männern, aber vor allem bei Neonazis, standen die Kameraden eben über jeder Frau, selbst wenn diese ebenfalls rechts gesinnt war. Wahre Freundschaft gab es eben doch nur unter Männern. Saskia warf Thomas einen wutentbrannten Blick zu und schnalzte mit der Zunge. „Ich geh’ jetzt mal. Ich hab wirklich keinen Bock mehr.“ „Okay, tschüss“, sagte Thomas daraufhin nur abweisend, denn mittlerweile war er wirklich genervt von ihr. Was konnte er denn bitteschön für ihre Beziehungsprobleme? Wenn er so an Beziehung dachte, schlich Michael sich wieder in seine Gedanken und damit ein Lächeln auf sein Gesicht. Ich hab schon die richtige Entscheidung getroffen, dachte er sich. Natürlich waren seine Zweifel nicht gänzlich weggefegt, aber die Gefühle, die sich in seinem Körper breit machten, wenn er nur an den jungen Punk dachte, hatten ihm selbst klar gemacht, dass er bereit war, es zu versuchen. Ein lauter Rülpser neben ihm ließ ihn aus seinen Gedanken auftauchen und etwas angewidert zu Tobias neben sich gucken. Der Kleinere klammerte sich mit bleichem, leicht gräulich-grünlichem Gesicht an den Lampenfahl und blickte mit den Augen unkoordiniert über den Kirmesplatz. „Geht es dir gut?“, fragte Thomas skeptisch, denn Tobias’ Anblick gefiel ihm nicht sonderlich. Doch dieser reagierte gar nicht erst auf seine Worte und so bezweifelte Thomas, dass Tobias sich überhaupt angesprochen gefühlt hatte. „Tobias!“, sprach er ihn nun etwas kraftvoller an und diesmal zuckte er wenigstens zusammen. Der Jüngere öffnete den Mund, zweifellos um etwas zu sagen, doch heraus kamen nur wirre Laute. Verwundert zog Thomas die Augenbrauen zusammen. Tobias vertrug nicht viel Alkohol und war immer leicht abzufüllen gewesen, aber es war noch vergleichsweise eine junge Nacht. Konnte man von Bier allein überhaupt so weggetreten sein? Wahrscheinlich schon, wenn man genug konsumiert hatte, doch irgendwas in Thomas sagte ihm, dass dies nicht alles gewesen war. „Tobias!“, sagte er erneut etwas lauter und fuchtelte mit der Hand vor dem Gesicht des Jüngeren, um dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Mit verklärtem Blick starrte Tobias nun mehr oder weniger in Thomas’ Gesicht. „Was hast du geschluckt?“, fragte er deutlich und langsam, als würde er mit einem Schwerhörigen reden. Doch auf Tobias’ Gesicht schlich sich nur ein schiefes Lächeln, was bei seinem Zustand eher aussah wie eine misslungene Grimasse. Als er dazu noch anfing zu kichern, beschloss Thomas es aufzugeben und die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Mit einer schnellen Handbewegung griff er in beide Taschen von Tobias’ Jacke und durchwühlte sie, in der Hoffnung dort irgendetwas zu finden. Dass Tobias dabei noch lauter kicherte, überging Thomas würdevoll. Nachdem sich schließlich schon genug entlaufener Tabak aus Tobias’ Tabaktütchen unter Thomas’ Fingernägeln angestaut hatte (schon allein deswegen würde er nie selber Zigaretten drehen), fand er schließlich etwas, was sich wie ein Tablettenfilm anfühlte. Schnell zog er ihn heraus und erkannte den Namen auf der silbernen Folie. Er wusste, dass dieses Mittel gegen leichte Grippen war und wenn er es sich recht überlegte, hatte Tobias sich in den letzten Tagen wirklich verschnupft angehört. Erleichtert steckte er die Tabletten wieder in Tobias’ Tasche; dieser lehnte mittlerweile mit dem Kopf auf seiner Schulter. Ihm würde nichts passieren. Häufig wurde einem extrem schlecht oder man trat weg, doch von etwas Ernsterem hatte Thomas noch nie gehört. Als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, gab es aus Tobias’ Kehle ein widerlichen Würgegeräusch und ehe Thomas reagieren konnte, roch er den unappetitlichen Geruch von Magensäure und Erbrochenem, noch bevor er das plätschernde Geräusch auf seiner Jacke hörte. Mühevoll unterdrückte er einen eigenen Würgedrang und löste sich sanft, aber bestimmt von Tobias, welcher nun noch bleicher aussah als zuvor. Angewidert zog er sich seine Jacke aus und vernahm, wie einige Brocken auf den Boden fielen, ehe sich Tobias noch ein weiteres Mal zu seinen Füßen übergab. Mit einem schnellen Blick nach unten, stellte er erleichtert fest, dass Tobias seine Stiefel um ein paar Zentimeter verfehlt hatte. „’Tschulligung“, lallte Tobias benommen und Thomas freute sich, dass er wenigstens wieder redete. Freundschaftlich strich er ihm über den kahl rasierten Schädel. „Kein Problem. Lass es alles raus, nur nicht wieder auf meine Jacke.“ „Igitt! Rosner wurde angekotzt!“, sagte Lara plötzlich mit angewidertem Gesichtsausdruck und Michael drehte sich schlagartig um. „Was?!“ Früher hätte er gelacht, wenn er den hellbraunen, triefenden Fleck auf Thomas’ dunkelblauer Jacke gesehen hätte, doch nun überkam ihn Mitleid. Weiter entwickelte er das Verlangen, zu Thomas zu gehen und ihm seine Jacke anzubieten, wie man es in einer Beziehung nun einmal tat; obgleich seine Nietenlederjacke wohl recht merkwürdig an dem jungen Neonazi ausgesehen hätte, nicht nur vom Stil, sondern auch, weil Thomas größer war als Michael und breitere Schultern hatte. „Nun, das passiert schon mal“, sagte Patrick derweil recht gleichgültig. „Jan hat auch schon in mein Bett gekotzt und Michi auf meine Schuhe…“ Michael zuckte mit den Schultern. „Sagt ja auch keiner was.“ „Aber so an der Schulter… das ist irgendwie widerlicher“, meinte Lara und nippte an ihrer Cola Cherry. „Es ist so nah beim Gesicht daher hat man den Geruch dann die ganze Zeit in der Nase.“ „Hallo? Jan hatte mir damals beinah ins Gesicht gekotzt!“, empörte sich Patrick und sah seine Freundin mit einem leichten Schmollmund an. Jan grinste. „Ja, schade, dass ich nicht getroffen hab!“ Nur knapp entging er dem Kronkorken einer Bierflasche, den Patrick daraufhin auf ihn geworfen hatte. „Hey, können wir mal aufhören, übers Kotzen zu reden? Kann uns doch egal sein, ob Th-… Rosner angekotzt wurde!“, beschloss Michael das Thema zu beenden und konnte nicht verhindern, zu erröten, als er Thomas beinahe bei seinem Vornamen genannt hatte. „Genau, sonst muss der Michi gleich selber kotzen!“, warf Dennis, ein Bekannter, lachend ein und schlug Michael auf die Schulter, die nicht mit Nieten bekleidet war. „Ihr seid scheiße, Leute“, meinte Michael, lachte aber ebenfalls. Dennis grinste. „Gut, wer fährt mit mir Autoscooter und macht mit mir die Nazis platt? Ihr dürft mich auch ankotzen!“ Michael trat die Zigarette auf dem schon verschmutzten Boden aus und stellte seine Bierflasche zu Patrick und Lara auf die Steinstufen. „Na, so ein Angebot kann ich doch nicht ausschlagen!“ Gemeinsam gingen sie zum Schalter, um ein paar Fahrchips zu kaufen. „Aha, mit mir zu fahren oder mich anzukotzen?“, fragte Dennis und gab der Frau an dem Schalter das Geld und nahm die Chips. „Such es dir aus, Baby!“ Dennis grinste, sagte nichts und zerrte Michael zum Autoscooter. Sowohl Michael als auch Thomas waren spät – oder eher früh am Morgen des Samstags – nach Hause gekommen, auch wenn sie nicht zusammen gefeiert hatten. Dementsprechend war es schon nach 13 Uhr, als Michael aufwachte und sich murmelnd streckte, während er seine Bettdecke von sich schob. Sein erster Gedanke galt Thomas, was ein immenses Kribbeln in seiner Magengegend auslöste. Sie waren wirklich ein Paar. Ein breites Lächeln schlich sich auf die vollen Lippen des jungen Punks und verschob so das Piercing leicht. Mit einem Schrecken fiel ihm dann jedoch ein, dass Thomas heute eigentlich anrufen wollte. Was, wenn er schon angerufen hatte und seine Familie ihn nicht deswegen hatte wecken wollen? Es konnte ja immerhin nicht jeder so lange schlafen. Obwohl er eigentlich vorgehabt hatte, noch etwas im Bett liegen zu bleiben, stand er fast schon sprunghaft auf. Sich noch gähnend die Augen reibend wackelte er etwas benommen aus seinem Zimmer, einen abgestanden Geruch aus Bier, Fritten und Zigarettenrauch mit sich tragend. In der Küche fand er schließlich seine ganze Familie, inklusive Carolinas Freund Martin, am Küchentisch sitzen. „Mein Gott, Michael, du stinkst!“, beschwerte sich seine Mutter, als er hereinkam und verzog das Gesicht. Sein Vater, den er in letzter Zeit wegen seinen vielen Geschäftsreisen seltener gesehen hatte, lächelte ihm entgegen. „Ach, als ich in seinem Alter war, roch ich manchmal auch nicht besser!“ Carolina lachte. Wahrscheinlich, weil es schwer vorstellbar war, dass ihr Vater, der im Moment mit einem schlichten Hemd und einer Stoffhose am Tisch saß, mal Nächte durchgefeiert hatte. „Sagt mal, hat jemand für mich angerufen?“, fragte Michael direkt heraus. Seine Mutter blickte ihn verwundert an. „Nein, erwartest du einen Anruf?“ „Ähm ja, von meinem – “ Michael stockte einen Moment, denn er hätte beinahe das Wort ‚Freund’ gesagt – „Klassenkameraden“, verbesserte er sich schnell. „Sorry, aber mein Hirn ist wohl noch etwas schwammig!“ Entschuldigend lächelte er sie an und sie nickte gutgläubig. „Also wenn jemand für dich anruft, dann schreien wir sofort nach dir“, sagte sein Vater mit einem Schmunzeln und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Du mutierst zum Sekretär von deinem Sohn“, meinte seine Ehefrau lachend und blickte dann wieder auf ihr Gartenmagazin. Michael grinste seinem Vater zu. „Ich glaube, ich bin dann mal duschen!“ „Das hast du auch bitter nötig“, warf seine Mutter noch ein. Sie konnte es anscheinend nicht lassen. Doch Michael erwiderte nichts darauf und ging einfach nach oben zum Badezimmer. Als hätte man den Zeitpunkt genau bestimmen können, klingelte genau in dem Moment, wo Michael sich ein frisches T-Shirt überzog, das Telefon. Hastig lief er die Treppe runter, sodass er beinahe schon die letzten Stufen fiel, und erreichte noch vor Carolina, die nun aus dem Wohnzimmer langsam angelaufen kam, die Ladestation, in der das kabellose Gerät steckte. „Ist eh für mich“, erklärte er ihr atemlos auf ihren verwunderten Blick hin. „Okay“, sagte sie, jedoch immer noch etwas verwirrt und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Freund, der wahrscheinlich auf der Terrasse im Garten saß. Mit klopfendem Herzen und leicht zittrigen Fingern zog Michael das Telefongerät aus der Station und drückte die Taste mit dem grünen, abhebenden Telefonhörer. „Michael Pleske“, meldete er sich ungewohnter Weise mit seinem Vornamen und konnte nicht verhindern, dabei etwas atemlos zu klingeln. Für einen kurzen Moment dachte Michael, auf der anderen Seite würde sich keiner mehr melden, doch dann hörte er eine vertraute, jedoch heute etwas heisere Stimme. „Hi, hier ist Thomas. Ähm… irgendwie hab ich nicht gedacht, dass du so schnell dran gehst. Bist du etwa zum Telefon gerannt?“ Irgendwie hatte Michael schon wieder das dumpfe Gefühl, durchschaut zu sein. „Ähm, nein, ich lief nur zufällig gerade an dem Telefon vorbei, das ist alles“, log er, um sich wenigstens etwas eigene Ehre aufrecht zu erhalten und ging mit dem Telefon wieder nach oben; ignorierte dabei das prickelnde Gefühl, dass Thomas’ Stimme in ihm auslöste. Er hörte ein leichtes Hüsteln, was sich, wie er fand, nach einem unterdrückten Lachen anhörte, doch Thomas sagte nichts mehr zu dem Thema. „Ich wollte eigentlich schon früher anrufen, nicht erst um zwei Uhr, aber ich… hab ewig lange gepennt“, entschuldigte Thomas sich und Michael vernahm ein Gähnen an seinem Ohr. „’Tschuldigung.“ Der junge Punk grinste etwas und verschloss die Zimmertür hinter sich. „Macht nichts, ich bin, ehrlich gesagt, auch noch nicht lange wach und du hast Timing, Thomas. Ich bin gerade mit duschen und anziehen fertig“, plauderte er fröhlich aus und legte sich auf sein Bett. „Na, soweit bin ich auch schon. Außerdem habe ich schon heldenhaft eine Barbie-Puppe aus dem Baum gefischt“, erwiderte Thomas und Michael musste über die Redseligkeit des anderen lächeln. Es gab Momente, da bekam man aus Thomas nur ein oder zwei Wörter heraus. Meistens, wenn der Ältere gereizt war. „Wie kam sie denn dahin?“, fragte er, um das Gespräch weiterzuführen und spielte mit den kurzen, roten Strähnen, die noch etwas feucht waren. „Benni hatte sie da hoch geworfen, um Jana zu ärgern“, erzählte Thomas gelassen von einem recht üblichen Streich unter Geschwistern. „Wusste gar nicht, dass ich noch so sportlich bin!“ Michael musste leise auflachen. „Ha ha, sehr witzig. Du hast doch einen tollen Körperbau, der war dir sicher nicht angeboren!“, platzte es aus ihm heraus. Als er realisierte, was er gesagt hatte, trat ungewöhnlich viel gesunde Gesichtsfarbe auf seine Wangen, sodass sie schon fast Konkurrenz zu seinen Haaren aufnehmen konnten. Zu seinem Glück schien Thomas das jedoch nicht ernst zu nehmen und lachte ebenfalls leise, was sich in Michaels Ohren einfach nur toll anhörte. „So, so, hab ich das?“, fragte er am anderen Ende der Leitung und anhand von seiner Tonlage konnte Michael darauf schwören, dass er schmunzelte. Nun wich auch die Scheu von dem jungen Punk und er biss sich auf die Lippen, sodass seine Zähne auf dem Stahl seines Piercings klackten. „Oh ja, sehr, sehr schööööööön. Kann man sich klasse angucken“, gestand er lachend. Erneut kam ein Lachen über Thomas’ Lippen, doch es verstummte abrupt und Michael hörte ein lautes Klirren im Hintergrund. „Mensch Benni, pass auf, wo du hinläufst!“, rief er seinem Bruder zu, der anscheinend auf dem Flur etwas umgeworfen hatte. Etwas leiser, eher an sich selbst oder an Michael gewandt, fügte er hinzu: „Was für ein Trottel. Gegen die Vase rennt er jetzt schon zum vierten Mal und jedes Mal bricht ein anderes Stück heraus. Mutter wird sich freuen.“ Michael grinste leicht. „Sicher. Aber es gibt ja Sekundenkleber!“ „Den benutzt sie nicht mehr, seit ich als… man, wie alt war ich da? Acht? Na ja, ich hatte jedenfalls damals die ganzen Weihnachtskugeln an die Tannen geklebt, in der Hoffnung, meine Mutter wurde ihn dann das ganze Jahr über stehen lassen und ich würde mehr Geschenke kassieren, aber im Endeffekt hat sie den Baum dann mit den Kugel weggeschmissen!“, erzählte Thomas und seine Stimme wurde zwischenzeitlich immer rauer. Michael konnte sich ein lautes Auflachen nicht verkneifen, als er sich einen kleinen achtjährigen Jungen mit Glatze (er konnte sich Thomas nicht mit Haaren vorstellen) vorstellte, der um einen Weihnachtsbaum lief und glänzende, rote Kugeln an die Tannenzweige klebte. „Jaaah, ein Schwank aus meiner Kindheit“, sagte Thomas nur, lachte leise, beruhigte sich dann aber wieder. „Hm, sag mal, was ich dich eigentlich fragen wollte…“ „Ja?“ Michael wurde mit einem Mal hellhörig. „Dieses Wochenende bin ich die ganze Zeit verplant. Kirmes, Kameraden. Na ja… aber… nächstes Wochenende, da-“ Sollte das eine Verabredung werden? Michael unterbrach ihn forsch. „Hab ich Zeit!“ Thomas stockte für einen Moment. „Äh – ja, klasse. Also ich hab auch nichts vor. Meine Geschwister sind bei meinem Vater, dementsprechend wird es kaum einer mitkriegen, denn meine Mutter wird sicher den ganzen Tag in der Badewanne sein oder sich mit ihrer besten Freundin treffen. So was halt.“ Michael biss auf den Nagel seines rechten Ringfingers. Er hatte eine Verabredung mit Thomas Rosner. Nicht als Klassenkameraden, nicht als Freunde, sondern als Paar. Oh fuck! „Dann also bei dir. Genial“, sagte Michael und man konnte nur allzu deutlich die Freude in seiner Stimme hören. Das Gespräch zwischen ihnen verlief noch weitere 15 Minuten und als sie aufgelegt hatten, konnte Michael an nichts anderes denken, als an das kommende Wochenende. TBC Sodele, das war's mal wieder ^^ Wie sich sicher alle denken können, ergibt sich der Kapiteltitel "Angekotzt" aus Tobias' kleinem Missgeschick bezüglich Thomas XD Mir ist leider kein besser Titel für das Kapitel eingefallen. Ich scheine im Moment etwas unkreativ zu sein, was das angeht ^^" Kommis sind wie immer gerne gesehen ^^ Bis zu Kapitel 17 dann, Motte Kapitel 17: Die Verabredung --------------------------- N'Abend! *reinpurzel* Sodele, Kapitel 17 ist fertig. Ich hoffe, es wird euch gefallen und noch mal danke für die ganzen Kommis, die ihr bisher fleißig geschrieben habt ^_^ Kapitel 17: Die Verabredung Erst Dienstag sahen sich Michael und Thomas in der Schule wieder, denn der Montag war frei gewesen. Es war eine der merkwürdigsten Situationen, die Michael jemals durchlebt hatte. Neben jemanden zu sitzen, mit dem man zusammen war, diesen aber nicht berühren zu können, machte Michael doch nervöser, als er es je vermutet hatte. Fahrig wippte er mit den Beinen auf und ab, schlug die Fingerspitzen seiner beiden Hände aneinander und kaute auf seinem metallenen Lippenpiercing herum. Ein flüchtiger Blick zu Thomas deutete ihm an, dass es diesem anscheinend ähnlich ging. Das dünne Englischbuch drehte sich in den Fingern des Größeren; fiel nach ein paar Umdrehungen auf die Tischplatte, nur um erneut zwischen die schlanken Fingerspitzen gehoben zu werden und sich weiter zu drehen. „Nervös?“, murmelte Michael gedämpft und senkte seinen Blick auf die Tischplatte. Thomas dagegen blickte stur geradeaus. „Etwas“, antwortete er mit einem schiefen Grinsen und sah zu, wie Tatjana, die auf Isabelles Tisch saß und eine schwarze Strähne um ihren Zeigefinger wickelte, mit der anderen Hand jemandem in der hintersten Reihe zuwinkte. Thomas wusste genau, wem das schwarzhaarige Mädchen winkte und es bescherte ihm ein flaues Gefühl im Magen. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Nils am Kirmesfreitag wirklich mit ihr nach Hause verschwunden war. Zu seinem Leid hatte Nils ihm alles, woran er sich erinnern konnte, brühwarm erzählt. Er verstand nicht, was Nils an ihr fand. Sie war billig und hatte es schon mit jedem gemacht. Na ja, mit fast jedem. Aber Nils störte das nicht. Das wusste Thomas. Wahrscheinlich würde es ihn selber nicht stören, wenn er nicht jedes Mal, wenn er sie sah und sie mit ihm flirtete, daran denken musste, was man sich bei ihr alles einfangen konnte. Tripper, Pilze, Filzläuse, Hepatitis B,… Thomas verzog das Gesicht. Im Angesicht dessen würde er lieber Mönch werden und keusch bleiben, anstatt mit einer möglichen Krankheitsschleuder wie Tatjana zu schlafen. Aber soweit war es bei Nils und ihr ja wohl nicht gekommen. Sicherlich war einer der beiden schon zu betrunken dafür gewesen und so war, abgesehen von einem heftigen Gefummel, nichts passiert. „Das Reden wird jetzt bitte eingestellt!“, unterbrach ihre Englischlehrerin Frau Lechner den Tumult in der Klasse und verwies Tatjana zurück auf ihren Platz. Wie immer dauerte es dennoch etwas länger bis endgültig Ruhe eingekehrt war und alle wenigstens so taten, als würden sie Frau Lechner zuhören. „Ich habe beschlossen, nächste Woche einen kleinen Test zu schreiben und-“ – ein Raunen ging durch die Klasse und einige murmelten „Boar, nee“, darunter auch Michael. Frau Lechner klatschte in die Hände. „Hallo?! Ruhe jetzt! Ich finde es wichtig, noch einmal etwas Schriftliches zu eurer Leistungsbewertung zu haben. Ich werde Fragen zu unserem letzten Thema stellen und es wird einen Grammatikteil zu den Zeiten im Passiv geben! Viele von euch – Jan, würdest du zuhören? Viele von euch sind da noch viel zu unsicher!“ Michael seufzte. Na, das konnte ja heiter werden. Brauchte Sie eine Bestätigung, dass er wirklich so schlecht war? Er sah, wie Frau Lechner einige Zettel an Isabelle austeilte und diese sie dann weiterreichte, wobei ihre glitzernden, langen Fingernägel auf dem rauen Kopierpapier kratzten. Gelangweilt nahm Michael das Blatt, welches Thomas ihm reichte. Übungsaufgaben. Das einzig Tolle daran war, dass Thomas das Blatt vorher in der Hand gehabt hatte. Michael lächelte leicht und begab sich nun mit nicht vorhandenem Schwung und dem Ziel, so langsam wie möglich zu arbeiten, an die Aufgaben. Der weitere Schultag verlief ähnlich. Auch wenn es nur vier Schulstunden waren, fiel Michael es schwer, die Finger von Thomas zu lassen. Vielleicht, weil er wusste, dass er ihn am Nachmittag auch nicht sehen würde. Aber es gab ja auch Mittel und Wege, eine Berührung zufällig passieren zu lassen. In der zweiten Englischstunde griff Michael nach Thomas’ Radiergummi, das praktischerweise direkt neben der Hand des Älteren lag. Beabsichtigt, aber unabsichtlich aussehend, streiften sich ihre Hände und Michael spürte ein leichtes Zucken in seinem Bauch. Er spürte den Blick von grauen Augen auf sich und hob seinen Kopf ein wenig. „Ich konnte nicht widerstehen“, murmelte er leise und konnte ein Lächeln nicht verhindern, als Thomas’ Lippen sich zu einem sanften Schmunzeln verzogen. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen nur sie beide zu existieren, doch dann wandte Thomas sich wieder ab und blickte auf sein Arbeitsblatt, welches wesentlich mehr ausgefüllt war als Michaels. „Bist du sicher, dass ein Radiergummi gegen Kugelschreiber funktioniert, Pleske?“, sagte Thomas plötzlich in einem ironischen Ton (Michael musste anerkennen, dass Thomas dieses Spielchen wirklich gut drauf hatte) und der junge Punk blickte auf sein Blatt. Die wenigen Wörter, die er bereits geschrieben hatte, waren Kugelschreiber-Blau und nicht Bleistift-Grau. „War ein Versuch wert“, antwortete Michael und versuchte gereizt zu klingen, als er das Radiergummi auf Thomas’ Blatt warf. „Jens, gibst du mir mal deinen Tipp-Ex?“ Und noch bevor Jens ihm den Stift mit der weißen Flüssigkeit reichen konnte, hatte Michael sich auch schon über Thomas vorgelehnt, sodass sein Arm Thomas’ Brust streifte, und ließ sich den Stift reichen. „Sehr klug“, flüsterte Thomas belustigt, als Michael sich wieder zurücklehnte. „Nun, es soll doch so rüberkommen, als ob ich mich wirklich irgendwo verschrieben habe“, erwiderte Michael nur gedämpft und räusperte sich, da er wusste, dass dies nicht der eigentliche Grund für diese Annäherung gewesen war. „Thomas und Michael, könnt ihr eure Anfeindungen vielleicht auf die Pause verlegen?“, fragte Frau Lechner gereizt, offenbar in der Annahme, sie würden sich wie üblich rivalisieren. Sie hatte also immer noch ein besonderes Augenmerk auf die zwei unterschiedlichen Gruppierungen in der Klasse. „Aber sicher doch, Frau Lechner!“ Am Samstag konnte Michael es schließlich gar nicht schnell genug schaffen, zu Thomas zu kommen. So verließ er Jan, der sich die schulterlangen Haare auf Kinnlänge gestutzt hatte, recht schnell und achtete nicht einmal mehr darauf, ob er jedes Haar mit der dunkelgrünen Tönung erwischt hatte und ob die nachwachsenden Stoppeln auf dem anderen Schädeldrittel nicht zu viel eingeschmiert wurden. Im Endeffekt war es ja eh nur Jans Frisur, hatte er sich gedacht. Michael war sogar so schnell an der Haltestelle, dass er noch den Bus erwischte, von dem Jan vorausgesagt hatte, dass er ihn verpassen würde. Es waren nur wenige Haltestellen, die zwischen Jan und Thomas lagen (weniger als zwischen Thomas und ihm, wie Michael etwas zerknirscht feststellte) und doch entwickelte er während der kurzen Fahrt einen gewissen Enthusiasmus, fast so wie damals, als er mit Patrick und Jan zum ersten Mal zu einer Demonstration gegen – Michael musste etwas schmunzeln – rechte Gewalt gefahren war. Ein wenig merkwürdig war es schon, dass jemand, der dieser Szene angehörte, nun die gleichen bzw. ähnlichen Gefühle in ihm auslöste. Beinahe hätte er wegen dieser Gedanken vergessen, auf den STOP-Knopf zu drücken, doch zu seinem eigenen Glück bemerkte er es noch rechtzeitig und stieg an der richtigen Haltestelle aus. Mit schnellen Schritten lief er in die angrenzende Straße, welche in das Wohngebiet führte, in dem Thomas lebte. In seinen Gedanken sah er den hoch gewachsenen, jungen Mann vor sich und spürte dessen blasse, weiche Lippen auf seinen. Auch wenn dies nur eine Illusion war, spürte er das wohlbekannte Magenkribbeln, welches eine leichte Gänsehaut mit sich zog. Du bist peinlich, Michi, bekannte er zu sich selbst und errötete bei dieser Feststellung etwas, was sein Peinlichkeitsgefühl noch ein wenig steigerte. Für gewöhnlich war ihm kaum etwas, nahezu nichts peinlich, doch wenn er an Thomas dachte, fühlte er sich wie ein 13-jähriges Teenie-Girl – und das war definitiv peinlich. Schon als er in die Straße schlenderte, in der Thomas’ Haus stand, drangen ihm laute Musikfetzen entgegen und selbst wenn er den Text nicht verstanden hätte, wäre ihm wohl kein anderer als sein Freund für diese Musikrichtung in den Sinn gekommen. Sein Gesicht verzog sich etwas bei den tief gesungenen Zeilen „Die Liebe, die Heimat, ich liebe mein Land“, doch er ermunterte sich mit der Aussage, dass es viel schlimmere Lieder dieser Szene gab und dass es ja einfach nur patriotisch und nicht rechtsradikal war. Unser Motto heute: Rede dir die Welt schön! Seine Schritte beschleunigten sich, je näher er dem Zweifamilienhaus kam und als er schließlich in der Auffahrt an dem schwarzen Golf vorbeilief, wäre er in seiner Gedankenlosigkeit beinahe über zwei Beine gestolpert, die an einen Körper gegliedert waren, der definitiv Thomas’ war. Dieser schraubte, mit der Hälfte des Oberkörpers unter dem Wagen, an seinem Auto herum und bemerkte ihn anscheinend nicht, da die Musik so laut im Autoradio lief. Mit einem leichten Grinsen beugte Michael sich runter und bewegte seine Hand langsam, damit es nicht auffiel, zu dem Saum von Thomas’ Oberteil und schlich schließlich darunter, berührte mit seinen Fingerspitzen die weiche Haut von Thomas’ Bauch. Dieser zuckte unwillkürlich zusammen, ließ den Schraubenschlüssel fallen und kam unter dem Wagen hervor. Für einen kurzen Moment wirkte Thomas ziemlich erschrocken, doch dann erkannte er Michael und ein ehrliches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. „Hi“, begrüßte er den Punk mit sanfter Stimme und strich sich mit einer Hand über seine Glatze. „Du bist schon hier. Ich dachte, du wärst noch bei Meyers.“ „Ach, ich hab mich beeilt!“, antwortete Michael und unterdrückte ein Lachen, sodass es sich wie ein etwas verschnupftes Räuspern anhörte. Thomas’ Hände waren ölverschmiert gewesen und auf seiner bleichen Kopfhaut zeichneten sich jetzt dichte, schwarze Streifen ab. Zunächst sah Thomas etwas verwirrt aus, doch dann schien ihm einzufallen, dass seine Hände dreckig gewesen waren. Mit einem leichten Schmunzeln beugte er sich vor, küsste sanft Michaels Lippen und als er sich wieder löste, strich er dem Punk mit seiner Hand über die Wange. „Gleichberechtigung!“, war das Einzige, was er dazu sagte. Michael lachte. „Schon klar, du Bastard!“ Verliebt blickte er den Größeren an, küsste ihn noch einmal, ehe Thomas sich von ihm löste und wieder unter dem Auto verschwand. „Dauert auch nur einen kurzen Moment!“ „Ja ja, mach dir keinen Stress“, erwiderte Michael nur gelassen, immer noch etwas scheel grinsend von diesem Höhenerlebnis, einen ganz normalen Umgang mit Thomas zu haben. Den anderen beobachtend ließ er sich auf die Steinplatten in der Auffahrt sinken und starrte auf die leichten Zuckungen der Muskeln, die sich unter dem engen Oberteil abhoben und hörte das Klacken des Schraubenschlüssels. Einige Minuten vergingen und Michael versank wieder in seinen Gedanken, wurde aber nach recht kurzer Zeit zurück in die Realität geholt, als Thomas ihn sanft anstupste. Michael sah wie er das Werkzeug zusammenpackte und stand auf. „War was kaputt?“, fragte er rhetorisch und folgte Thomas, der mit dem Werkzeugkasten in der rechten Hand über einen kleinen gepflasterten Weg in den recht beschaulichen Garten ging. „Hm, hat geleckt. Na ja, ich hab es wieder abgedichtet. Das sollte reichen, bis ich mir eine Werkstatt leisten kann“, antwortete Thomas und stellte den Werkzeugkasten in einer Ecke der Terrasse ab, wischte sich mit einem Tuch die Hände etwas sauberer und öffnete dann die Verandatür. Michael folgte ihm schweigend durch das kleine, aber gemütliche Wohnzimmer in die Küche, wo Thomas den Wasserhahn der Spüle aufdrehte und nach der Kernseife am Spülrand griff. „Dann wollen wir doch mal wieder sauber werden“, meinte er und wusch sich die Hände. Michael lehnte sich an die Küchentheke und sah ihm dabei zu, wie er ein Tuch befeuchtete und sich damit über die Glatze strich. Ihm selber hätte es nichts ausgemacht, wenn Thomas den schwarzen Fleck noch eine Weile behalten hätte. Immerhin waren sie beide dreckig und solang man nicht weg gehen musste oder anfing, zu stinken, war es für ihn kein Problem, auch mal ein paar Schmierflecken im Gesicht zu haben. So etwas konnte manchmal auch wirklich lustig sein. Aber er wusste, dass Neonazis da sehr anders waren. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen von diesen Durchschnittsglatzen gesehen zu haben, der nicht saubere Kleidung trug und auch sonst wie frisch geduscht aussah. Ein wenig stutzte er, als Thomas plötzlich mit dem Tuch vor ihm auftauchte und es ihm in die Hand drückte. Ohne ein Wort zu sagen, ging der Größere zum Kühlschrank, nahm eine große Flasche Mineralwasser heraus und schnappte sich dann zwei Gläser aus dem Küchenschrank. Michael rieb die nasse Fläche des Tuchs über seine Wange und fragte sich, ob es etwas bringen würde, sich dabei dumm anzustellen, damit Thomas dies erledigte und er ihm somit näher kommen würde. Er ist nicht blöd, er würde dich sofort durchschauen… Resignierend rubbelte er weiter bis seine Wange sich schon ganz heiß anfühlte. „Gleich bist du aber statt schwarz ganz rot, Michael“, warf Thomas ein und Michael fiel jetzt erst auf, dass der andere ihn beobachtet hatte. „Farblich perfekt zu meinen Haaren“, erwiderte Michael nur lächelnd und legte das Tuch auf die Küchentheke. Thomas lächelte ebenfalls, sagte aber nichts. Wortlos gingen sie gemeinsam die Treppe hinauf in Thomas’ Zimmer, in dem Michael nicht mehr gewesen war, seit sie zusammen Deutschhausaufgaben hatten machen müssen. Es hatte sich eigentlich nichts verändert. Auf dem Boden lagen vor der Anlage einige CD-Hüllen, zu denen Michael lieber nicht genau gucken wollte. Sonst wäre ihm sicher ein zynischer Spruch über die Lippen gegangen, was nicht sonderlich passend in der Gegenwart eines Neonazis war. Thomas stellte derweil die Flasche und die beiden Gläser auf seinem Schreibtisch ab und setzte sich auf sein Bett, während Michael etwas verloren im Raum rum stand. Er wusste nicht, ob er sich jetzt einfach zu dem Älteren setzten sollte und diese Ungewissheit machte ihn etwas nervös. Thomas schien sich zunächst nicht daran zu stören und schnürte seine Stiefel auf, nur um diese dann in die Ecke neben seinem Bett zu stellen. Dann stand er auf und tat etwas, dass Michael nicht erwartet hätte und ihn gegen seinen Willen etwas starren ließ: Er zog sich sein Oberteil aus. Das dünne Top landete auf der Lehne des Schreibtischstuhls, während Thomas an Michael vorbeiging und seinen Kleiderschrank öffnete. Michael konnte sich nicht helfen und drehte sich leicht um, um einen weiteren Blick auf den wohlgeformten Körper werfen zu kommen. Er spürte, wie ihm merkwürdig heiß wurde und er biss sich auf die Lippen. Als schließlich der schwarze Stoff eines T-Shirts über die helle Haut glitt, wusste Michael nicht, ob er enttäuscht oder erleichtert sein sollte. „Sorry, aber den ganzen Tag oben ohne rum zu laufen, wäre mir doch etwas zu frisch. Selbst wenn es angenehme 26°C sind“, sagte Thomas unerwartet in einem eindeutig amüsierten Ton und schlagartig fühlte Michael sich eiskalt erwischt. Seine Wangen färbten sich schneller rot, als er hätte irgendwas verstecken können. Thomas grinste schelmisch. „Wenn ich das nicht merken soll, dann musst du es schon unauffälliger machen.“ „Äh, ich – “, stammelte Michael verlegen. „Tut mir Leid.“ Thomas lachte leise. „Schon okay. Ich denke, ich sollte mich eher geschmeichelt fühlen.“ Michael räusperte sich. „Alles klar, Schatz“, sagte er betont locker und versuchte seine Verlegenheit damit zu überspielen. Der Kosename ließ Thomas etwas stutzen. „Na, das hat mein Vater zu meiner Mutter auch immer gesagt. Und hopp, dann war er weg.“ Michael hüstelte etwas. Was war das denn bitteschön für ein Vergleich? „Keine Panik, ich werde dich nicht mit den Kindern allein lassen, Thomas“, scherzte er und hoffte, dass er damit nicht zu weit gegangen war. Doch Thomas schien ebenfalls gute Laune zu haben und zog nur vergnügt die Augenbrauen hoch. „Welche Kinder denn?“ „Wir haben sicherlich welche adoptiert“, sagte Michael einfach in dem Rausch dieses Scherzes und grinste. „Klar, Mutti. Die Schürze würde dir aber besser stehen, als mir. Ganz klare Rollenverteilung“, erwiderte Thomas und seine Lippen bildeten ebenfalls ein Grinsen. „Bestimmt“, antwortete Michael ironisch. „Meine Kochkünste beschränken sich in der Tat auf Nudeln. Aber im Aufwärmen mit der Mikrowelle bin ich Ass. Trotzdem… wenn es dich beruhigt, dann denke ich mir ein anderen Namen für dich aus. Bärchen, vielleicht?“ Thomas lachte und zog instinktiv sein T-Shirt wieder hoch. „Hab ich etwa Haare auf der Brust?“ Erneut wurde Michael beim Anblick des blassen Körpers wieder rötlich im Gesicht. „Definitiv nicht.“ Schmunzelnd ließ Thomas seine Hand und damit auch das Shirt wieder sinken. „Weißt du, ich habe jetzt eine ganz tolle Idee. Wir beide krümeln uns jetzt auf mein Bett, machen die Glotze an und entspannen einfach“, murmelte Thomas leise, als er Michaels Lippen mit seinen näher kam. Michael kam gerade noch dazu „Tolle Idee“ zu sagen, als ihre Lippen sich auch schon zu einem zärtlichen Kuss trafen und der Größere ihn rückwärts weiter zu seinem Bett drängte. Der Nachmittag schien auf jeden Fall noch interessant zu werden. TBC Na, ich hoffe doch, nach diesem wirklich harmonischen Kapitel wird es haufenweise Kommis regnen XD~ (Kleiner Scherz am Rande ^^") Ich muss gestehen, ich mag das Kapitel ein wenig - na gut, ich mag es richtig *lol* Und das kommt bei mir selten vor, denn alles in allem bin ich nahezu immer kritisch mit meiner Schreibkunst. Apropos Schreiben... Kapitel 18 ist in der Mache und wird sicherlich etwas schneller fertig sein. Es wird kürzer sein, aber dafür auch eher on kommen ^_~ Motte Kapitel 18: Unverhofft ---------------------- Priwjet ^^ So, wie versprochen ist Kapitel 18 nun etwas schneller fertig ^^ Dafür ist es auch vergleichsweise kurz, wenn man andere Kapitel dieser Geschichte betrachtet. Na ja, ich wünsche euch trotzdem viel Spaß beim Lesen. Kapitel 18: Unverhofft Sanft und dennoch verlangend trafen die Lippenpaare immer wieder aufeinander, zogen zärtlich aneinander und öffneten sich schließlich, um den Zungen einen leidenschaftlichen Kampf zu überlassen, während blasse Hände über gebräunte Haut strichen und gebräunte Hände sich in den schwarzen Stoff eines T-Shirts krallten. „Toooommiiiiiiii!“ Ein weinerlicher Aufschrei ging durch das Haus und ließ Thomas leise aufseufzen. Konnte er nicht einmal in Ruhe auf dem Bett liegen bleiben und sich seinen – im übrigen sehr prickelnden – Tagträumen hingeben? Ein leises Grummeln wich über seine Lippen, als er schließlich doch aufstand und seiner Pflicht als großer Bruder nachging. Auf dem Weg in das Zimmer seiner kleinen Schwester redete er sich ein, dass es ja gar nicht so schlimm war, ihn aus dem Traum gerissen zu haben und er ja eh hätte aufstehen müssen. Ich könnt sie köpfen, würgen… ah!, stellte er jedoch verdrießlich fest und blieb kurz vor der hölzernen Tür stehen. Tief atmete er ein, sprach sich selbst zu, ruhig Blut zu bewahren und öffnete schließlich mit einem dennoch leichten Lächeln die Tür. Er sah seine kleine Schwester inmitten von Barbie-Puppen und Plüschtieren sitzen. Als sie ihn erblickte, sah sie ihn mit großen Kulleraugen an und hielt ihm prompt eine violette Stoffkatze entgegen. „Tommi“, nannte sie quengelnd seinen Namen und schließlich nahm er ihr das Stofftier aus der Hand. Zunächst fragte er sich, was er nun damit sollte, doch dann bemerkte er das kleine Loch, aus dem schon das weiße Futter im Inneren des Kätzchens quoll. „Ich wollte es nicht ’putt machen“, sagte Jana schnell und ihre kleinen, blauen Augen füllten sich mit Tränen. Thomas ging vor ihr in die Hocke. „Ach, das ist doch nicht so schlimm“, versuchte er sie zu beruhigen. „Das kann Mama sicher wieder reparieren!“ Das Mädchen griff nach seinem Arm. „Aber sie ist dann sicher böse!“ Thomas schüttelte den Kopf. „Quatsch, Benni macht ständig etwas kaputt und der darf auch noch hier wohnen“, erklärte er ihr mit all der möglichen Ernsthaftigkeit, die er aufbringen konnte, doch es fiel ihm sichtbar schwer, ein Lachen zu unterdrücken. Jana jedoch nickte nur und drückte sich an ihn. „Tommi? Spielst du mit mir?“, fragte sie und hatte plötzlich wieder dieses übliche Kinder-Grinsen auf dem Gesicht. Sein Gesicht versteinerte sich etwas. Jetzt musste er seine heiß geliebten Tagträume gegen die Aussicht auf ein kitschiges Barbie- und Ken-Märchen eintauschen? – Na super. Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln und wie selbstverständlich flutschte ein „Ja, klar“ über seine Lippen. Innerlich verfluchte er kleine Kinder dafür, dass man ihnen selten einen Wunsch abschlagen konnte, und seine Mutter dafür, dass sie nicht da war, um ihm dies abzunehmen. Zu seiner Erleichterung holte seine Schwester jedoch ein Disney-Quartett heraus und so blieb ihm eine Puppenromanze erspart. Es war schon einige Wochen her, dass Thomas sich am Kirmesfreitag für ihn entschieden hatte. Der Sommer neigte sich mal wieder dem Ende entgegen und so auch der August. Die Schule hatte wieder begonnen. Schon jetzt sehnte Michael sich nach den Herbstferien, auch wenn er sie nicht in greifbarer Nähe empfand. Zum einen, weil er aus Faulheit nicht sehr angetan von dem frühen Aufstehen und der Schule allgemein war, und zum anderen, weil Thomas und er einfach mehr Zeit füreinander haben würden. Während der Schulzeit sahen sie sich unter der Woche kaum. Nun ja, sie sahen sich in der Schule, aber wenn man eine heimliche Beziehung führte, konnte man dort seinen Freund schlecht an sich ziehen und ihn in einen innigen Kuss verwickeln. Michael seufzte. Auch wenn er es nicht zugeben würde: die Situation frustrierte ihn manchmal. Er wusste, dass es nicht anders ging. Sie waren zu unterschiedlich und ihre Freunde waren es auch. Ihm wurde regelmäßig schlecht, wenn er sich Patricks und Jans Gesicht ausmalte, sobald sie herausbekämen, mit wem und vor allem ’was’ er ausging (ganz zu schweigen von dem Ohnmachtsanfall seiner Mutter). Noch gestern hatten sie über Thomas und Nils auf dem Pausenhof gespottet. Für Michael war es mittlerweile schon zur Routine geworden, sich etwas Gehässiges über einen der beiden (bevorzugter Weise Nils) auszudenken, auch wenn er manchmal wirklich darauf Acht geben musste, nicht irgendetwas preiszugeben, was man als ’Mitschüler’ eigentlich gar nicht wissen konnte. Wann immer er das Gefühl hatte, sich verplappert zu haben, überspielte er dies meist mit einem lauten Lachen und Sätzen wie „Is’ mal ’ne Vermutung“ oder „Könnt’ ja sein“. Aber wahrscheinlich wäre dies gar nicht nötig, denn Michael war sich sicher, dass weder Jan noch Patrick im Traum nicht daran denken würden, dass er mit einem Neonazi ausging. Seine grüngrauen Augen schauten träge aus dem Fenster, durch welches die Sonne hinter den leicht schwammigen Wolken hervorblitzte. Es war Montagnachmittag und kein Arsch hatte Zeit, wie Michael angeödet hatte feststellen müssen. Wieso hatten eigentlich alle immer etwas vor, nur er nicht? Sogar der Fernseher schien nichts herzugeben. Ernüchtert hatte er bemerkt, dass Super RTL im Moment eine Folge von ’Spongebob Schwammkopf’ sendete, die er schon fünf Mal gesehen hatte. Er hätte sogar die Synchronisation alleine machen können, wäre das nicht albern gewesen. Irgendwie vermisste er gerade die unbeschwerte Kinderzeit, wo er noch mit nackten Füßen und hochgekrempelten Hosenbeinen in der, bis zu den Knöcheln gefüllten, Badewanne gestanden und Pirat gespielt hatte. Oh ja, noch einmal acht statt achtzehn sein. Wenn seine Mutter ihn dabei erwischen würde, könnte er ja sagen, er würde für die Rolle des legendären Captain (!) Jack Sparrow üben. Er hätte gehört, Johnny Depp hatte sich ganz fies beide Beine gebrochen. Das würde sie ihm sicherlich abkaufen, bei dieser unverwechselbaren Ähnlichkeit. Sein Blick glitt zu dem leicht verschmutzten Spiegel, der in seinem Kleiderschrank eingebaut war. „Ah, ma cerise, wir se’en uns ja so ä’nlüsch!“, wisperte er sich selbst in dem Tonfall eines schwulen Franzosen zu und wackelte mit den Augenbrauen. Michi, du bist ja soooo ein Idioooot! Seufzend ließ er sich zurück auf die Matratze fallen und gab sich der Vorstellung hin, wie seine Mutter ihn mit der einem triefenden Wischmopp verfolgte, da er das Badezimmer geflutet hatte. „Michiii?“, drang plötzlich wirklich ihre Stimme in sein Zimmer. Ruckartig setzte er sich auf. „Hä?“ „Geh mal zum Supermarkt und hol Milch“, erklärte sie mit einem durchdringenden Blick, den er nur müde erwiderte. „Und wenn du schon mal da bist, kannst du auch gleich noch Sahne, Hackfleisch und Käse mitbringen…“ Sie drückte ihm etwas Geld in die Hand, als er murrend aufstand und seine Stiefel band. „Na, kusch kusch, du gammelst schon den ganzen Tag im Bett herum“, spottete sie und überging Michaels „Ich war doch schon in der Schule!“. „Wird Zeit, dass du endlich mal was für das viele Taschengeld tust, das wir dir zustecken.“ „Was?“ Michaels Wangen plusterten sich empört auf, doch sie antwortete ihm nicht mehr, sodass er einfach an ihr vorbeitrottete und mit müdem Blick das Haus verließ. Mit einer Plastiktüte in der Hand begab Michael sich schließlich wieder auf den Heimweg; fand, dass seine Mutter ihm ruhig hätte etwas mehr Geld mitgeben können. Für Zigaretten zum Beispiel. Oder Bier. Der Plastikgriff der Tragetasche knisterte, verdrehte sich leicht und schnitt nun nach gut 300 Metern in seine Fingerbeugen. Wie er es doch hasste. Die Tasche in die andere Hand nehmend, kickte er lustlos einen Stein vor sich. Ein älterer Herr sah ihm mit verwundertem Blick nach. Seine Ketten klirrten aneinander und seine zwei Glöckchen an dem Schnürriemen seines rechten Stiefels klingelten leicht bei jedem Schritt, während die Sonne in seinen Nacken brannte und die schwüle Luft seine Kleidung unangenehm an seiner Haut kleben ließ und ihm ein gewisses Treibhaus-Feeling bescherte. Sicher bildete er es sich nur ein, doch er kam sich in solchen Momenten immer sehr unhygienisch vor. Genervt zupfte er an seinem ausgefransten, verwaschenen Streifentop; versuchte sich so an seinem Oberkörper etwas Luft zu machen. Der Tag hatte für ihn nun endgültig seinen Reiz verloren. Träge bog er in eine kleine Nebengasse und schlurfte die leichte Ansteigung hinauf. Gähnend kratzte er sich an den kahlen Stellen auf seinem Kopf. „Typisch Punks. Ihr seht immer so aus, als wärt ihr gerade erst aus dem Bett gekrochen“, hörte er plötzlich jemand hinter sich sagen und zuckte leicht zusammen. Dann jedoch schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht, als er die männliche Stimme erkannte. „Michi, Michi, Michi… etwas mehr Enthusiasmus bitte.“ Er hörte die Schritte der Person auf sich zukommen, drehte sich aber nicht um, auch wenn alles in ihm danach verlangte. „Thomas, Thomas, Thomas“, wiederholte er ebenso belustigt und sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. „Was soll ich machen? Dich anspringen und zu Boden knutschen?“ Der junge Mann neben ihm lachte leise, blieb schließlich hinter ihm stehen. „Nette Vorstellung“, erwiderte er amüsiert. „Aber nein, ich passe. Die Pflastersteine sehen mir nicht allzu bequem aus.“ „Hm, schade.“ Michael schmunzelte, ehe er sich zu dem Größeren umdrehte und seinen Blick an diesem vorbei durch die Gasse schwenken ließ. „Die Luft ist rein, so rein“, murmelte er leise, ehe er sich etwas streckte und ihre Lippen zu einem sanften Kuss vereinte. Er fühlte, wie sich Thomas’ Hände um seine Hüften legten und eine davon schließlich unter sein Top schlüpfte und über die leicht gebräunte Haut darunter strich. Die Härchen auf seinen Unterarmen und in seinem Nacken stellten sich trotz des hitzigen Wetters auf; war er am Steißbein doch recht empfindlich. Er spürte, wie Thomas’ Lippen sich an seinen zu einem Grinsen verzogen; war sich sicher, sich bewusst, dass dieser seine Gänsehaut bemerkt hatte. Ein wenig süffisant sah Thomas in seine Augen, als sie sich voneinander lösten und Michael instinktiv auf eine höhnische Frage wie „Ist dir etwa kalt?“ wartete. Doch diese kam nicht. Wahrscheinlich bist du der Einzige, der von so was Blödem ausgeht, dachte er sich leicht zynisch, war jedoch froh, nicht so einen blöden Spruch um die Ohren geknallt bekommen zu haben. „Was machst du eigentlich hier?“, fragte Michael plötzlich, als seine Finger mit denen von Thomas verhakten. „Du hast mich ziemlich überrascht.“ Thomas drehte sich um, zog ihn dabei leicht mit sich und deutete mit dem Zeigefinger, den er umständlich aus Michaels Hand befreite, auf eine weitere Seitengasse. „Ich kam von da“, erklärte er. „Und dachte, hey, die Rückenfront kennst du doch!“ Michael folgte ihm mit seinem Blick und nickte betont langsam, bevor er wieder in die grauen Augen des Größeren blickte. Nun, wo die Sonne ein wenig in die Sehorgane schien, waren die leicht bläulichen Stellen in der Iris deutlich zu erkennen und so wirkten die Augen eher in einem hellen Blau als Grau. „Nun, ich hoffe doch, dass du mich aus zehn Kilometern Entfernung erkennst.“ Thomas zog belustigt beide Augenbrauen hoch. „Ich bin ein Mensch, kein Raubvogel.“ „Nicht?“ Michael machte ein verwundertes Gesicht. Thomas zuckte mit den Schultern; seine Mundwinkel bewegten sich leicht. „Wenn du unbedingt willst, probier ich es aus und schmeiß mich von der Kirchturmspitze.“ Ein leises Lachen folgte von beiden Seiten aus, ehe Michael sich erneut etwas vor beugte, die Tragetasche auf den Boden stellte und seine Hände an Thomas’ Ellebogen legte. Wieder trafen sich ihre Lippen, zogen sanft aneinander, berührten sich, küssten sich. Ein prickelndes Gefühl breitete sich in Michael aus, als er Thomas’ feuchtwarme Zunge an seinen Lippen spürte. Gerade als er diese öffnen wollte, um ihr Einlass zu gewähren, hörte er eine entsetzte Stimme hinter sich: „Michi! Was… was tust du denn da?!“ TBC Wie schon gesagt: Es ist kurz. Aber es diente als Mittel zum Zweck ^^" Kapitel 19 ist ebenfalls in der Mache und wird vermutlich wieder länger :) Im Übrigen: Danke für die netten Kommis, freu mich ja doch immer wieder drüber *lol* So, jetzt könnt ihr alle Rätselraten spielen, während ich mich gemütlich zurücklehne. Bis zum nächsten Kapitel, Motte Kapitel 19: Aufgeflogen ----------------------- N'Abööööönd *gähn* *reinkuller* Hier Kapitel 19. Natürlich etwas länger als das Vorherige XD Es war interessant zu lesen, wen ihr als den "Ertapper" vermutet habt und wie viele Carolina, also Michis Schwester, im Sinn hatten. Nun, jetzt könnt ihr ja lesen, ob ihr richtig lagt, oder nicht XD Eine kleine Vorwarnung: Da ich im Moment im fliegenden Wechsel meiner Reisen bin, hab ich mir das Kapitel NICHT noch mal durchgelesen und auch kein anderer. Seid also nachsichtig, wenn ihr Fehler finden sollten und tut so, als wäre alles richtig ;) Kapitel 19: Aufgeflogen Erschrocken löste Michael sich von Thomas; schubste ihn im Reflex leicht von sich. Mit bebendem Herzen drehte er sich um. Seine Augen weiteten sich schließlich, als er die Person vor sich erkannte. Strubbelige, bunte Haare; zerschlissene, schwarze Kleidung. Die dunkel umrandeten, blauen Augen sahen ihn ebenso entsetzt an. Lara. Der Schock schien sich durch alle Glieder zu ziehen und Michael hatte das beklemmende Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ein riesiger Kloß schien sich in seinem Hals zu bilden und egal, wie oft er versuchte, diesen runterzuschlucken, schien er sich immer wieder neu zu bilden. Er wusste nicht, was er sagen sollte, geschweige denn erklären sollte, was eigentlich nichts zu erklären übrig ließ. Lara hatte ihn in einem ziemlich eindeutigen Szenario erwischt. Ausreden gab es dafür wohl nicht. Zittrig atmete er ein, bemerkte wie Thomas, der wie Lara neben ihm zur Salzsäule erstarrt war, sich wieder regte. Nur langsam wanderten Michaels Augen von dem entsetzten Anblick seiner Freundin zu dem jungen Mann, welcher das Gesicht leicht gesenkt hielt. Er wirkte teilnahmslos; tief in Gedanken versunken. Schließlich räusperte Thomas sich. „Ich… ich geh… dann wohl mal besser.“ Michael nickte nur. So sehr er Thomas’ Nähe auch genoss, in dieser Situation konnte er sie nun wirklich nicht gebrauchen. Mit seinem Blick folgte er dem Größeren, wie dieser sich an Lara vorbeidrängte, welche ihm unwillkürlich auswich und Platz machte, ohne den nun eher verwunderten als entsetzten Blick von Michael zu nehmen. Er sah, wie Thomas sich fahrig eine Zigarette anzündete und schließlich in eben jener Seitengasse verschwand, aus der er vorher gekommen war. Kaum war er außer Sicht- und anscheinend auch außer Hörweite, öffnete Michael den Mund, um etwas zu sagen, doch Lara kam ihm zuvor. „Ich… ähm… also ihr…“ Sie schien nicht richtig zu wissen, was sie sagen sollte und wäre die Situation nicht so prekär, hätte Michael sich dies sicherlich im Kalender angestrichen. Denn Lara wusste sonst (fast) immer etwas zu sagen und meistens dazu sogar noch mit einem Wortschatz, der sie recht gebildet wirken ließ. „Jaaaah“, begann Michael schließlich und zog das einsilbige Wort endlos lang. Nervös ließ er seine Zähne auf den metallenen Ring in seiner Lippen klacken und versenkte seine leicht schwitzigen Hände in seinen Hosentaschen. „Ich wusste nicht, dass du…“, sagte Lara und drehte ihre Hand im Gelenk, als wollte sie dadurch Zeit schinden, um die richtigen Worte zu finden. „…also… dass du auf Männer stehst…“ Anscheinend hatte sie beschlossen, Thomas zunächst außen vor zu lassen und mit einer neutralen Feststellung zu beginnen. „Nicht, dass es schlimm ist“, erklärte sie dann hektisch und ging einen Schritt auf ihn zu. „Ganz und gar nicht. Also ich… ähm… find es okay. Es ist nur… überraschend.“ Michael starrte sie für einen Moment perplex an, fühlte sich allerdings etwas erleichtert, nachdem er ihre Wörterflut in seinen leeren und gleichzeitig überfüllten Kopf bekommen hatte. „Äh ja… ja, gut. A-aber… ich bin nicht schwul, okay? Wenn überhaupt bi“, erzählte er ihr unnützerweise. Lara nickte langsam. „Schon klar, ich denke, das… ähm… Problem liegt auch eher… nun, die Tatsache, dass du mit einem Mann ausgehst, ist denkbar unkompliziert“, gab sie ihm ihr Verständnis – und da waren sie wieder: Diese Wörter (‚denkbar unkompliziert’), wo Michael erst einmal nachdenken musste, was sie nun genau von ihm wollte. „Patrick hätte da sicherlich kein Problem mit. Nur… ähm… dieser Rosner…“ „…ist nicht ganz das, was man von mir erwarten würde?“, führte Michael ihren Satz zu Ende und versuchte dabei absichtlich ein wenig ihren Stil zu treffen. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde laut und pochend in seinem ganzen Körper schlagen. Das Gefühl legte sich auch nicht, als er sie schmunzeln sah. „Nein, nicht so wirklich. Um ehrlich zu sein, dachte ich gerade, ich würde halluzinieren!“, erklärte sie ihm und biss sich auf die vollen Lippen. Seufzend ließ Michael sich auf den Boden gleiten, lehnte sich an eine Hauswand. „So abwegig?“, fragte er sie aufschauend. Wie komisch ihre Beziehung war, wurde ihm mit einem Mal wieder bewusst. Ihm war regelrecht elendig zumute. „Na, wie würdest du gucken, wenn ich mit einem Naziweib rumknutschen würde.“ Michael verzog schlagartig das Gesicht. „Bah, nee, die sind doch alle hässlich!“ Lara lachte laut auf und setzte sich schließlich neben ihn, ließ ihr linkes Knie gegen sein rechtes stupsen. Langsam wanderten Michaels grüne Augen zu ihr, als er seine Arme auf seine angewinkelten Knie stützte. „Du wirst es keinem erzählen, oder?“ Leise und unsicher drangen diese Worte aus ihm. Lara schüttelte den Kopf, garantierte ihm so ihr Schweigen. Beruhigt lehnte Michael seinen Kopf gegen die Backsteine und schloss die Augen. Einige Momente saßen sie still einfach nur da, ehe Lara die Ruhe unterbrach. „Aber warum Rosner?“ Michaels Lippen verzogen sich zum ersten Mal, seit sie ihn ertappt hatte, zu einem Grinsen. „Das hab ich mich am Anfang auch gefragt!“, gab er zu und warf einen Stein an die gegenüber liegende Hauswand. „Er ist nicht so scheiße, wie du denkst.“ Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern und Michael war sich sicher, dass es etwas über Thomas’ Einstellung sein würde, doch sie schloss ihn wieder ohne ein Wort zu sagen und er war ihr dankbar dafür. Leicht umständlich angelte er nach der Einkaufstüte und versuchte sich dabei so wenig wie möglich zu bewegen. „Andererseits… warum Patrick?“, fragte er sie schließlich und hoffte, sie nun zu erwischen, doch er wurde enttäuscht. Natürlich wusste sie eine Antwort darauf. „Weil er ohne mich vollkommen hilflos wäre.“ Michael lachte und stand auf; klopfte sich instinktiv die Hose ab. „Du gehst also nur aus Mitleid mit ihm?“ Grinsend hielt er ihr seine Hand hin, welche sie auch nahm, sodass er sie hochzog. „Sicher, was dachtest du denn?“, verriet sie ihm schmunzelnd. Ein leises Kichern kam über ihre Lippen, ehe sie schlagartig still wurde und ihn ernst ansah. „Aber Michi…?“, begann sie vorsichtig und erlangte somit seine gänzliche Aufmerksamkeit. „Irgendwann… werden euch wahrscheinlich auch noch andere erwischen. Eine Beziehung kann man auf Dauer schlecht geheim halten.“ Michaels Stimmung verdüsterte sich wieder. Sowohl ihm als auch Thomas war bewusst, dass dies nicht ewig so klappen konnte und auch wenn er es verdrängte, bereitete es ihm manchmal Sorgen. „Ich weiß“, sagte er und seufzte leise. „Aber bis dahin will ich es einfach nur genießen.“ Er bekam ein Lächeln von ihr, das in gewisser Weise tröstend wirkte. Wortlos hakte sie sich bei ihm unter und sie gingen gemeinsam noch ein Stück, redeten schließlich wieder über belanglose Dinge wie Schule oder Musikbands. Als sich ihre Wege trennten, umarmte sie ihn zum Abschied, wie sie es immer tat, doch diesmal etwas länger. Er nahm an, sie hatte Mitleid mit ihm und er wusste nicht, ob er dies nett finden sollte oder nicht. Nachdenklich ging er langsam nach Hause, wo seine Mutter schon zerknirscht auf ihre Milch wartete. Schließlich hatte Michael sich dazu entschieden, noch bei Thomas vorbeizuschauen. Sein Freund würde sich sicherlich ebenfalls Gedanken über das Geschehene machen und Michael fand es nur allzu fair, wenn er ihm persönlich sagte, dass Lara kein Problem darstellen würde. Immerhin war sie eine Freundin von ihm. Den ersten Schock, erwischt zu werden, hatte er mittlerweile überwunden und so klingelte er mit einem positiven Gefühl an der Haustür der Familie Rosner. Es dauerte nicht lange, bis die Tür sich öffnete und Michael in das Gesicht von Thomas’ kleinem Bruder blicken konnte. Dieser ließ wie schon häufiger zunächst den Blick über Michaels Kleidung schweifen, ehe er mit einem breiten Grinsen zur Seite trat und ihm sagte, dass Thomas oben in seinem Zimmer sei. Wortlos, aber lächelnd schritt er schnell die Stufen der Treppe hoch und lief geradewegs auf Thomas’ Zimmer zu. Die Tür war leicht angelehnt, doch auch ohne den kleinen Spalt hätte man nur allzu deutlich die laute Musik verstehen können. „Durch Stahlgewitter schritt er, mit nordisch wilder Wut. Durch Stürme und Gewitter, er stolz das Heldenbanner trug. Unsterblich. Gefallener Kamerad. Unsterblich…“ Michaels Gesicht verzog sich leicht, auch wenn ihm bewusst war, dass es um einiges schlimmere Lieder dieser Richtung gab. Dennoch behielt er sich Lächeln, als er die Holztür schließlich zur Seite drückte und den Raum betrat. Er fand Thomas auf dem Bett liegend vor; das rechte Bein angewinkelt und sich nachdenklich mit Zeige- und Mittelfinger über die Lippen fahrend. Trotz der lauten Musik schien er Michael bemerkt zu haben; wahrscheinlich durch einen Blick aus den Augenwinkeln. Seine grauen Augen sahen Michael mit einem undefinierbaren Blick an und auf seinem Gesicht zeigte sich keine Regung. Wie selbstverständlich, denn er wusste, dass er es durfte, ging Michael zu der Musikanlage und schaltete diese aus, während der Sänger noch ein „Wo wir heut’ Blumen pflücken, geweiht die Erde durch dein Blut“ aus den Boxen schrie. „Hey“, sagte er in einem sanften Ton und schritt langsam auf das Bett zu, hatte schon vor, sich gleich neben den anderen zu legen, als Thomas sich jedoch erhob und an den Bettrand setzte. Sein Blick war durchdringend, als er in einem harten Ton fragte: „Was hat sie gesagt?“ Schlagartig fühlte Michael sich leicht getroffen und ein mulmiges Gefühl machte sich in ihm breit, auch wenn es keinen Grund dafür gab. „Nichts“, antwortete er und setzte sich dicht neben Thomas aufs Bett, erntete einen fragenden Blick von ihm. „Klar, sie war überrascht, aber es scheint okay zu sein.“ Thomas zog beide Augenbrauen hoch, Skepsis schwankte in seiner Stimme als er sprach. „Aha. Ich hoffe für sie, dass sie es nicht ausplaudert. Und für uns auch.“ Michael rollte leicht die Augen. Es war klar, dass Thomas sofort misstrauisch werden musste. Wahrscheinlich regte der Ältere sich innerlich schon wieder auf und bewahrte nur äußerlich eine ruhige Fassade. „Sie ist verlässlich, okay? Sie hat mir versprochen, dass sie es keinem sagen wird und Lara hält ihr Wort“, entgegnete Michael überzeugt mit fester Stimme und ließ ein leises Seufzen über seine Lippen rollen. „Zur Not schwör’ ich das auch auf das Grab meiner Mutter!“ Thomas sah ihn für einen Moment lang ernst an und versuchte anscheinend, diesen Blick beizubehalten, doch Michael bemerkte, wie die Mundwinkel des anderen schon leicht zuckten und die grauen Augen sich beruhigten. „Deine Mutter… ist doch noch gar nicht tot, Michi“, entgegnete er in einem gewohnt nüchternen Ton, doch das Grinsen, was er zu verbergen versuchte, kam immer mehr zum Vorschein. Michael erwiderte diese Geste. „Irgendwann sterben wir alle mal. Vielleicht fällt sie gerade ganz ungünstig beim Hacken und bricht sich das Genick am Gartenzaun.“ „Mit so was scherzt man nicht“, meinte Thomas, lachte aber. Schelmisch grinsend schubste Michael ihn an, sodass er beim Lachen den Halt verlor und auf die Matratze zurücksank. Langsam, wie ein sich anpirschendes Raubtier, krabbelte Michael über ihn und stützte sich mit den Armen rechts und links von Thomas’ Kopf ab. Dieser schien es trotz seiner verdrehten Haltung amüsant zu finden. „Geschmeidig wie eine Katze“, gluckste Thomas und biss sich auf Lippen, um nicht laut loslachen zu müssen. Michael wackelte belustigt mit den Augenbrauen, beugte sich dann aber vor, um sanft den kahl rasierten Kopf des anderen zu küssen. Die sonst so glatte Haut fühlte sich ein wenig rau und kratzig an seinen weichen Lippen an. „Hm, du bekommst Stoppeln“, stellte er nuschelnd fest; seine Lippen immer noch an der blassen Haut liegend. „Ja, ich hab vergessen, mich zu rasieren“, hörte er Thomas sagen und spürte diesen, wie er sich unter ihm regte, um sich in eine gemütlichere Lage zu bringen. Kurz erhob er sich etwas, um Thomas behilflich zu sein, ließ sich dann jedoch wieder soweit sinken, dass er den warmen Atem des Größeren an seinem Hals und seinem Kinn spürte. „Überall?“, fragte er neckend und sah, wie sich wieder ein Grinsen auf den bleichen Lippen ausbreitete. Er merkte, wie eine Hand seine nahm, sie unter Thomas’ T-Shirt zog und seine Hand auf der flachen, muskulösen Brust zu liegen kam. „Nein, da ist immer noch alles glatt und weich“, hauchte Thomas ihm entgegen. Michael erwiderte darauf nichts, senkte seinen Kopf nur ein wenig, um seine Lippen mit denen des anderen zu vereinen. Es war immer wieder atemberaubend, diese weichen, sinnlichen Lippen zu spüren, denen im Moment der süßliche Geschmack von Cola Cherry anhaftete. Er wusste nicht, wie lange ihr Kuss anhielt, doch er kam ihm ewig und zugleich viel zu kurz vor, als Thomas ihn sanft von sich löste. Sein Blick hatte wieder etwas Ernstes an sich, auch wenn es diesmal nicht so starr wirkte, wie bis vor wenigen Minuten. „Noch mal zurück zu Lara“, begann Thomas und Michael rutschte etwas runter, ließ seine Stirn seufzend auf Thomas’ Brust ruhen. „Du bist ein Stimmungskiller“, murmelte er gegen den dunklen Baumwollstoff. Thomas grinste ein wenig schief. „Ich weiß“, sagte er nur und hielt für einen Augenblick inne. „Nun komm schon, Michael, ich mein’s Ernst…“ Er drückte den Punk mit sanfter Gewalt von sich, sodass sie sich in die Augen sehen konnten und zog sich unter ihm hervor. „Wir müssen vorsichtiger sein“, setzte er erneut an, doch Michael unterbrach ihn. „Ah, noch vorsichtiger also?“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. Thomas wirkte davon leicht genervt. „Hör auf. Was hättest du denn gemacht, wenn es nicht dieses Punkmädel gewesen wäre, hm? Es hätte sonst wer uns in der Gasse sehen können!“ Michael verschränkte die Arme vor seine Brust. Es war ihm egal, ob er sich nun wie trotziges, kleines Kind benahm. Er fand, Thomas reagierte entschieden zu extrem und er hatte keine Lust, das jetzt mit diesem auszudiskutieren. Lara verstand und verschwieg es. Wo lag das Problem? Um all „die anderen“ konnte sie sich immer noch kümmern, wenn es soweit sein sollte. „Ja und? Dann hätten wir es denen auch erklären müssen. So einfach ist das“, antwortete er eigensinnig und spielte mit dem Piercing in seiner Lippe, wie häufig, wenn er nervös war. Thomas lachte ungläubig auf. „So einfach ist das?“, wiederholte er Michaels Worte und schüttelte den Kopf. „Was hättest du denn erklärt, wenn das einer meiner Kameraden gewesen wäre? Michael, du bist Punk und ein Kerl noch dazu. Ich habe keine Ahnung, was da schlimmer ist, aber sie würden Hackfleisch aus uns machen!“ Michael schnaubte leicht. Ja, er wusste, dass Nazis gegen Schwule waren. Ja, er wusste, dass sie Punks hassten. Aber was hieß das schon? Seine Freunde hassten Nazis auch. So war das eben. „Was ist mit Lehmann? Und den beiden anderen, mit denen du immer rumhängst?“, fragte er und schaute weiterhin uneinsichtig, aber nun auch etwas unsicher zu dem anderen. Thomas zuckte mit den Schultern. „Nils würde wahrscheinlich an einem Herzinfarkt krepieren, bevor er uns umbringen könnte“, meinte er und wäre die Situation nicht so morbid, hätte er lachen müssen. „Christoph und Markus wäre es wahrscheinlich scheißegal, auch wenn sie es pervers finden würden. Ach, denen ist immer alles scheißegal…“ Er schwieg kurz und schüttelte den Kopf. „Aber darum geht es doch gar nicht, Michael. Es geht doch nicht um die Drei, das würde ich gerade selbst noch hinkriegen. Was, wenn uns eins von Scherers Schoßhündchen erwischt? Schon mal dran gedacht?“ Michael schluckte leicht und zog seine Beine an. Er konnte nicht verhindern, sich unwohl zu fühlen und merkwürdiger Weise auch verstoßen. „Ja, ob du’s glaubst oder nicht, habe ich!“ Als ob ihm das alles hier gleichgültig wäre. Das war es ihm ganz bestimmt nicht, denn sonst hätte er dieser komplizierten Geschichte schon längst ein Ende gesetzt. Es war beleidigend und das machte ihn wütend. Als ob nur Thomas sich Gedanken machen würde; er selbst ließ es sich eben nur nicht anmerken. „Aber es geht dich nicht immer nur um deine Scheiß-Nazis!“, zischte er Thomas zu und versuchte gar nicht erst zu vertuschen, wie sehr ihn das Gespräch aufwühlte. Instinktiv stand er auf, sah auf Thomas herunter. „Soll ich jetzt einen Kreis von zwei Metern Abstand um dich einhalten, oder was? Das sind ja außer den Drei da nicht mal deine Freunde. Kameraden, ja, ich weiß. Ihr habt euch alle ja so lieb, solange ihr nach der Reihe tanzt. Ein echter Scheißladen seid ihr!“, regte er sich mehr auf, als er eigentlich wollte und sagte in diesem Moment all das, was er einem Nazi schon immer an den Kopf werfen wollte. „Wieso hörst du nicht mit der Scheiße auf, Thomas? Du bist viel zu gut für die.“ Seine Augen suchten den Blick des Größeren und erst jetzt bemerkte er, dass das Grau wieder kühler geworden war und Wut sich darin widerspiegelte. „Du hast mir nicht zu sagen, was ich zu tun oder zu lassen hab, Michael“, erwiderte Thomas nur kalt und Michael wusste, dass er sich wegen ihm zurückhielt, nicht gänzlich auszurasten. „Du wusstest von vorneherein, worauf du dich bei mir einlässt, also beschwer dich jetzt nicht!“ Michael schluckte schwer. „Ach, gib doch zu, dass das immer zwischen uns steht!“, fauchte er, innerlich immer noch brodelnd. „Klar wusste ich, dass Nazi und Punk… dass das… argh, … es wäre alles viel einfacher, wenn du kein Nazi wärst.“ Eigentlich hatte er das so nicht sagen wollen, doch es ihm rausgerutscht, bevor er hatte darüber nachdenken können. Thomas’ Gesicht verfinsterte sich. Es war genau erkennbar, wie sehr er sich zurückhielt, nicht zu schreien, denn seine Gesichtsmuskeln spannten unter seiner Haut. Sein Ausdruck wirkte dadurch wutverzerrt, als er sich zu Michael herunterbeugte. „Von rechts nach links oder von links nach rechts, das ist derselbe Weg“, erklärte er erschreckend ruhig und sachlich, doch wenn man genau hinhörte, konnte man den aggressiven Ton unterschwellig bemerken. Und auch wenn Thomas Recht hatte, sah Michael dies im Moment nicht. Seine Gedanken fokussierten sich nur auf dieses „von links nach rechts“ und genau diese Worte steigerten seine Wut ins Unermessliche. Er sollte ein Nazi werden? Intolerant, ausländerfeindlich, beschränkt – kurz um: einfach nur scheiße im Hirn? „Du tickst ja wohl nicht mehr ganz sauber!“, schnauzte er empört und zornig und entfernte sich einige Schritte von Thomas. „Ich habe nur die Wahrheit gesagt“, erwiderte Thomas in dem gleichen hitzigen Ton und schlug mit der Faust gegen seinen Schreibtisch. Das erschien ihm klüger, als sie auf Michaels Gesicht treffen zu lassen. Die grüngrauen Augen des Punks verengten sich zu Schlitzen. „Oh ja, du bist der Super-Nazi, Thomas“, keifte er. „Mit tollen Sprüchen rum werfen und draufhauen, das könnt ihr! 188, Thomas, schönes Nummernschild – Was ist dir denn lieber? 18 oder 88?“ Thomas’ Gesicht wirkte ausdruckslos. „Weder noch. Das steht für den 18.08., mein Geburtstag, du Arsch“, erklärte er und wirkte seltsam beleidigt. Michaels Augen weiteten sich etwas. Die Wut schwand und ließ ein dumpfes Gefühl über, welches er nicht richtig einordnen konnte. Sein Blick senkte sich, als seine Gedanken um das Gesagte rotierten. „Der… 18.? Aber…“, begann Michael und sein Gehirn schien zu rasen, „… das ist doch erst zehn Tage her…“ Enttäuschung machte sich in ihm breit. „Du hast es mir nicht gesagt“, stellt er ernüchtert fest und biss sich auf die Lippen. Unsicher hob sich sein Blick wieder und er sah, wie auch Thomas zur Ruhe kam. Das schlechte Gewissen war nur allzu deutlich in den grauen Augen zu erkennen. „Ich hab nicht dran gedacht. Meinen Geburtstag hab ich schon ewig nicht mehr wirklich gefeiert und es war nur mein 19.“, versuchte Thomas zu erklären. „Ich hätte es sagen sollen, ich weiß, aber ich war nur mit ein paar Kameraden und den Jungs einen trinken… ach scheiße.“ Michael nickte immer wieder, während Thomas sprach und wirkte leicht abwesend. „Ja, scheiße, genau“, murmelte er und sog tief Luft ein. Er wollte einfach nur noch weg hier und allein sein, denn dieser Streit und diese nachfolgende Enttäuschung machten die Anwesenheit des Größeren unerträglich. „Ich werd jetzt wohl besser gehen“, sagte er und schob seine Hände in die Taschen seiner bunten Hose. Thomas strich sich fahrig über seine Glatze. „Komm schon, Michi, wir sollten das klären.“ „Nein, lieber nicht. Also nicht jetzt. Ich will einfach nur nach Hause, okay?“ Thomas sagte kein Wort, nickte nur. Langsam wandte Michael sich von ihm ab und ging zur Tür. Irgendwo hoffte er, Thomas würde ihn aufhalten und an sich ziehen, doch gleichzeitig war ihm jede Berührung zuwider. „Soll ich dich bringen?“, fragte Thomas, wie Michael fand, unnötigerweise. Ein hohles Lachen kaum aus dem Mund des Punks. „Nein, nachher sieht uns noch jemand zusammen. Du weißt ja, das können wir nicht riskieren.“ Der Kommentar war bissig und Michael war sich dessen bewusst, bereute es auch schon gleich wieder, sagte jedoch nichts und öffnete die Zimmertür. „Ich ruf dich an, okay?“, hörte er Thomas noch hinter sich sagen. Ohne sich umzudrehen antwortete Michael ihm. „Okay, tu das.“ Keiner der beiden verlor noch ein Wort, als Michael aus dem Zimmer verschwand. Auf dem Flur traf er noch Benni, sah diesen aber nicht an, da er sich sicher war, dass man ihre Stimmen im ganzen Haus hatte hören können. Ein warmer Sommerregen begleitete ihn nach Hause, wirkte bei der warmen Luft kühlend, auch für seinen überhitzten Kopf. Dieser Nachmittag war schief gelaufen, wenn man es milde ausdrücken wollte. Aber wenigstens würde Thomas ihn anrufen. Also hatten sie es wohl nicht vergeigt. Seine Schwester hatte ihm mal gesagt, dass sie nach ihrem ersten Streit mit Martin die ganze Nacht geheult hatte. Vielleicht war es also normal, dass man sich nach einem ersten heftigen Streit so mies fühlte. Trotzdem wünschte Michael, das Gefühl würde vergehen. TBC An der Stelle möchte ich mich noch mal wieder für all die Kommis bedanken ^_^ Gratulation übrigens an blutkind, die als Einzige auf die Idee gekommen ist, dass Lara die beiden überrascht haben könnte ^^ Das Lied, was Thomas gerade hört, als Michael bei ihm vorbei kommt heißt "Unsterblich" von Einstufung. Das Lied wurde für einen Film über rechte Jugendliche produziert und die Band existiert nicht wirklich. Ich habe also bewusst keine "echtes" Nazi-Lied darein gesetzt, das war mir zu blöd, aber so was hören die ja doch gerne. Vom Stil her hat das Lied etwas von Rammstein, finde ich persönlich ^^" Sodele, Kapitel 20 ist auch in der Mache und ich hoffe, dass ich es noch irgendwann in meiner Urlaubszeit fertigbekomme und hochladen kann XD~ Über Kommis, Apfelbonbons und Ähnliches freu ich mich natürlich - wie immer - sehr! Grüßchens, Motte Kapitel 20: Versöhnung ---------------------- Moin moin (was Besseres fällt mir um 01:31 Uhr nicht ein XD) Kapitel 20 hat definitiv nicht allzu lang auch sich warten lassen. Das muss an meinem Urlaub liegen, der sich nun jedoch leider dem Ende zuneigt T_T Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, viel mehr zu schreiben, aber ich bin zu nichts gekommen ^^" Trotzdem viel Spaß mit diesem Kapitel - und ja, ich weiß, der Titel hat es wieder in sich *lach* So ist das eben, wenn mal in einem KreaTIEF ist und noch dazu nicht bei der Sache ist... dämliche Titel XD" Kapitel 20: Versöhnung Dröhnend drang die Musik aus der schon leicht lädiert aussehenden, aber immer noch kraftvollen Musikanlage. Eigentlich war es nicht so sein Musikstil. Es war eine Mischung aus leichtem Metal, Grunge und Punkrock, aber im Moment beruhigte dies ihn irgendwie. „I hate everything about you. Why do I love you?” Michaels Lippen kräuselten sich leicht. „You hate everything about me. Why do you love me?” Irgendwie sehr passend, wie er fand. Genau genommen verkörperten er und Thomas das, was der jeweils andere hasste. Nun ja, … hassen war vielleicht zu krass gesagt. Starke Abscheu würde es eher treffen. Aber dennoch hatte er gestern wieder gemerkt, wie sehr ihre unterschiedlichen Einstellungen zwischen ihnen standen. Natürlich war er nicht der Linke schlechthin. Er ging nicht wählen; unterstützte die Linksextremen also nicht wirklich. Er war eben vorrangig Anarchist. Dennoch entsprach seine Einstellung auch den Vorstellungen der Linken. Zumindest grob. Ein jämmerlicher Laut entwich aus seinem Mund. Von all dem Nachdenken bekam er schon Kopfschmerzen. Wieso fing er überhaupt jetzt an, über seine Einstellung nachzudenken und diese zu hinterfragen? Jahrelang hatte er das nicht getan, also brauchte er auch jetzt nicht mehr damit anzufangen. Seine Gedanken schweiften zu Thomas. Seiner Meinung nach war dieser auch nicht wirklich extrem in seiner rechten Einstellung. Er war nicht wie Matthias Scherer, der sich politisch engagierte und Ziele durchsetzen wollte. Zumindest glaubte er, ihn so zu kennen. Aber vielleicht redete er sich das alles auch nur schön? Er hörte das melodische Klingeln ihrer Haustür, als das Lied endete und es dadurch im Zimmer leise wurde. Instinktiv schaltete er seine Anlage mit der geflickten Fernbedienung aus und lauschte. Er vernahm die Stimme seiner Schwester und hörte schließlich jemanden die Treppe rauf gehen, der schwerer lief als Carolina. Kaum hatte er sich von seinem Bett aufgerichtet, öffnete sich auch schon die Tür. Ein Lächeln trat auf seine Lippen. Auch wenn er es insgeheim gehofft hatte, überraschte es ihn, dass es Thomas war. Ein warmes Gefühl von Geborgenheit durchströmte ihn, was er nach all den miesen Gefühlen vom Vortag als ziemlich erleichternd empfand. Dennoch gab es da immer noch die stichelnde Unsicherheit, die an ihm nagte, welche er aber zu unterdrücken versuchte. Thomas schien sich nicht anders zu fühlen, denn nur zögerlich bewegte er sich auf Michael zu; blieb schließlich auf der Hälfte des Weges zwischen Tür und Bett stehen. Grüne Augen suchten Graue. „Ich dachte, du wolltest anrufen“, sagte Michael schließlich sanft und stellte mit Zufriedenheit fest, dass das Grau heute viel wärmer schien als gestern Nachmittag. „Hm, das Risiko, dass du auflegst, erschien mir zu hoch“, erklärte Thomas und ging einen Schritt näher auf ihn zu. Michael grinste leicht. Er hatte sich also Sorgen gemacht. Irgendwie fühlte der Gedanke sich schön an. „Hätt’ ich nicht“, antwortete er und verrenkte seine Beine zu einem Schneidersitz, stützte sich nach hinten auf seine Hände. Die Atmosphäre zwischen ihnen entspannte sich spürbar und so schwand auch seine Unsicherheit. Auf Thomas’ Lippen bildete sich ein Schmunzeln. „Nun, ich könnte aus dem Zimmer gehen und dich vom Flur aus auf’s Handy anrufen.“ „Ah nein, wir wollen dein Geld ja nicht aus dem Fenster schmeißen“, erwiderte Michael in einem gekünstelt gutmütigen Ton. Das Schmunzeln auf Thomas’ Gesicht wurde tiefer, sodass sich leichte Grübchen an seinen Mundwinkeln bildeten. „Ich hatte eigentlich vor, euer Telefon unten zu benutzen. Letztes Mal hast du gesagt, ich könnte jederzeit von euch aus telefonieren.“ Michael lachte laut auf. Er liebte diesen nüchternen Ton; nur das Schmunzeln verriet, dass der Ältere scherzte. „Okay, du hast gewonnen. Aber das Telefon ist kaputt, du musst also hier bleiben.“ „Soll ich es mir mal ansehen?“, bot Thomas an, doch Michael ahnte, dass er ihn durchschaut hatte. Immerhin hatte er sich keine Mühe gegeben, etwas zu verstecken. „Dann musst du mir erst fünf Minuten Vorsprung geben, damit ich es mit dem Regenschirm unheilbar zertrümmern kann!“, sagte Michael belustigt und wahrheitsgemäß. Eindeutig vergnügt schüttelte Thomas den Kopf und ließ sich zu Michaels Überraschung nicht neben ihm auf dem Bett, sondern auf dem Fußboden nieder. Es war an sich schon merkwürdig, denn er hatte noch nie einen Neonazi auf dem Boden sitzen sehen (eine Sache, die er und seine Freunde z.B. häufiger in der Stadt gemacht hatten), aber es schien ihm, als würde Thomas Abstand halten wollen. Und genau das machte ihn wieder nervös. Er setzte sich wieder auf, lehnte seine Ellebogen auf seine Knie und blickte den Größeren erwartend an. Nach der ausgelassenen Stimmung von eben wirkte die Stille nun noch drückender. „Wegen gestern…“, sagte Thomas nach einer Weile gedehnt und begann somit das Gespräch, welches Michael lieber umgangen hätte. „Es tut mir Leid!“, platzte es aus dem Punk heraus, was ihm ein leichtes Lächeln seitens Thomas einbrachte. „Ja, mir auch. Ich hätte mich nicht so aufregen sollen“, erklärte dieser und seine Stimme wurde etwas leiser. Er war nicht sonderlich gut in Entschuldigungen. Michael wusste das und dies schürte seine Schuldgefühle nur noch mehr, denn immerhin war es gewesen, der am Vortag wohl am heftigsten reagiert hatte. „Eigentlich lag es eher an mir. Da gab’s einige Sachen, die ich nicht hätte sagen sollen, oder? Ich war wirklich scheiße zu dir und das tut mir Leid.“ Das war das erste Mal, dass Michael sich bei einem Neonazi für etwas entschuldigte. Doch das fiel ihm selbst gar nicht auf. Gestern hatte er in seiner Wut vielleicht Rosner, den Nazi, gesehen, doch heute sah er wieder nur Thomas, seinen Freund, wie er es in letzter Zeit eigentlich immer getan hatte. „Schon okay“, murmelte Thomas und zuckte mit den Schultern. „Ich hab schon Schlimmeres an den Kopf geworfen bekommen.“ „Von deinem Vater?“, fragte Michael ohne nachzudenken und bereute es auch sogleich, als Thomas’ Gesicht sich merklich verdüsterte. „Ja, aber wie schon gesagt: Es geht dich nichts an“, wehrte Thomas gewohnt hart und kühl ab, wenn es um dieses Thema ging. Michael hob verwundert eine Augenbraue. „Du bereust es also immer noch, mir davon erzählt zu haben?“ Thomas verzog leicht das Gesicht. Er wirkte so, als würde er das leidige Thema lieber wieder schnell beenden. „In der Tat. Ich hab mich damals total zum Deppen gemacht. Ich mochte dich da ja noch nicht mal… na ja, nicht so wirklich jedenfalls“, meinte er ehrlich. „Frag mich nicht, was mich da geritten hat.“ Michael merkte, dass er jetzt anscheinend wieder ein Thema angeschnitten hatte, was den anderen abweisend wirken ließ. „Ach komm schon, eigentlich hast du mich schon damals toll gefunden“, startete er einen Auflockerungsversuch und bildete mit seinen Lippen kurz einen Kussmund. Thomas lachte leise, während Michael sich innerlich freute, dass sein Plan aufgegangen zu sein schien. „Oh ja, bestimmt. Irgendwo unter der dicken Hassschicht gegenüber Punks war da sicherlich schon Sympathie, Michael“, flötete er ihm entgegen und ließ eins seiner angewinkelten Beine gestreckt auf den Boden gleiten; stützte sich mit dem Ellebogen auf sein Knie und legte sein Gesicht in seine Hand. „So sollte es auch sein“, erwiderte Michael und stand von seinem Bett auf, ging langsam auf den Sitzenden zu. Ein wenig grinsend ließ er sich vor ihm nieder und lehnte sich zu einem Kuss vor. Kurz vor den Lippen des Älteren stoppte er. „Zwischen uns ist doch wieder alles okay?“, fragte er und klang, ohne es zu wollen, ein wenig unsicher. Thomas blickte in die grüngrauen Augen seines Gegenübers. Er würde es Michael wahrscheinlich nie sagen, aber er liebte diese Farbe, selbst wenn sie eigentlich unspektakulär war. Er spürte den warmen Atem, der aus den vollen Lippen des anderen quoll, an seiner Haut. „Ja, nur sollten wir nicht versuchen, uns gegenseitig zu verändern, oder?“ Michael senkte seinen Blick leicht und starrte auf die freie Lücke am Fußboden zwischen seinen und Thomas’ Beinen. „Nein, wie schon gesagt, es tut mir Leid.“ Er schloss die Augen und seufzte leicht, als er auch schon die Lippen des anderen auf den seinen spürte. Unbewusst drängte er sich den Lippen entgegen, als diese sich ein wenig öffneten und ein leidenschaftlicher Kuss entbrannte. Eine Hand legte sich auf Thomas’ Brust, drängte diesen sanft, aber bestimmt zurück. Wenn Thomas sich hätte wehren wollen, würde er dies mit Leichtigkeit schaffen, doch er ließ es einfach nur geschehen, stützte sich aber dennoch mit beiden Händen auf dem Boden ab, um nicht gänzlich zurückzusinken. Während der Kuss immer inniger wurde, rutschte Michael halb auf Thomas’ Schoß. Dieser verlor durch das plötzliche Mehrgewicht ein wenig den Halt, sank auf den Rücken zurück und ließ seine nun freien Hände über Michaels Körper wandern. Eine legte sich in Michaels Nacken, während die andere mit leichtem Druck unter Michaels T-Shirt entlang strich. Die Stellen an Michaels Rücken, wo die leicht rauen Fingerkuppen entlang strichen, prickelten ein wenig, als er sich noch weiter vorlehnte und sein Gewicht ein wenig mehr auf den Älteren verlagerte. Ein leiser Schmerzenslaut, gefolgt von einem gemurrten „Aua“, entfloh aus Thomas’ Mund und ihre Lippen trennten sich. Verdutzt löste sich Michael ein paar Zentimeter von Thomas und blickte diesen fragend an. „Was ist?“ Der Größere bewegte sich umständlich unter ihm, löste seine Hand von Michaels Nacken und griff damit unter seinen eigenen Rücken. Mit zerknautschter Miene zog er schließlich eine Plastikhülle für CDs hervor und hielt diese zwischen sein und Michaels Gesicht. „Aua“, meinte er nochmals, dieses Mal jedoch kräftiger. Michael kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Mensch, Michi, räum endlich mal dein Zimmer auf“, murrte Thomas und schob die CD-Hülle von ihnen weg, ehe er sich wieder zurücksinken ließ, jedoch vorher noch einmal mit den Augen rollte. „Ja, Mama“, erwiderte Michael gespielt genervt, fand aber, dass einige Worte von Thomas wirklich erschreckende Ähnlichkeit mit Standartsätzen seiner Mutter hatten. Thomas wollte noch protestieren, wahrscheinlich, dass er wenn überhaupt ein Vater wäre und keine Mutter, doch Michael erstickte jedes weitere Wort mit seinen Lippen. Der Kuss begann ebenso frenetisch, wie er aufgehört hatte, sodass sie genau dort ansetzen konnten, wo sie aufgehört hatten. Als es wenig später an der Tür klopfte und sie erschrocken zusammenzuckten, musste Thomas sich erst sein dünnes Shirt wieder gerade rücken und in die enge Jeans stopfen, während Michael sein Oberteil gänzlich verloren hatte und es schnell vom Boden aufhob, ehe er die Tür öffnete. Vor ihm stand Carolina. Ihr Blick war etwas skeptisch, als sie an Michael vorbei zu Thomas guckte. Fast so, als hätte sie einen üblen Gestank wahrgenommen, rümpfte sie leicht die Nase, sagte jedoch nichts. „Ich fahr eben mit Martin einkaufen. Brauchst du irgendwas?“, fragte sie Michael freundlich, sodass ihr die Abneigung gegenüber Thomas kaum noch anzumerken war. „Nein“, murmelte Michael, ohne sich zu bedanken, und verfluchte seine Schwester indes dafür, dass sie ihn gestört hatte. Sie blickte mit misstrauisch-verwundertem Blick auf seinen bloßen Oberkörper und das verfranzte Top, welches er in der Hand hielt. „Es muss in die Wäsche“, log er rasch und drückte es ihr in die Hand, ging dann demonstrativ zum Kleiderschrank und holte sich ein T-Shirt heraus. „Du gehst doch sicher ins Bad, bevor du gehst, oder? Dann kannst du das ja in die Wäschetonne schmeißen!“ Carolina rollte genervt die Augen und ließ das Kleidungsstück einfach fallen. „Ich bin doch nicht dein Bimbo!“ Michael zuckte mit den Schultern und hob das Top wieder auf. „Okay, dann kann ich es ja zurücknehmen“, erwiderte er ihr mit einem Grinsen. Sie schüttelte den Kopf, murmelte ein „Bis nachher“ und verschwand schließlich in Richtung Treppe Michael ließ die Tür zufallen. „Wo waren wir stehen geblieben?“ Schmunzelnd zog Thomas ihn wieder zu sich, ließ seine Hände wieder unter dem T-Shirt über die warme, samtige Haut streichen; genoss die leichten Unebenheiten unter seinen Fingerspitzen. Michael vergrub sein Gesicht in der Halsbeuge des Größeren und senkte seine Lider instinktiv auf die Hälfte. Nur nebenbei hörte er wie Thomas wieder anfing zu sprechen, musste aber gestehen, dass er nicht genau hinhörte, sondern die Zärtlichkeit genoss. Erst als dann der Name eines Films fiel, der diese Woche in die Kinos kommen sollte, löste er sich wieder von der warmen Haut, soweit, dass er in Thomas’ Augen sehen konnte. „Hey, in den Film wollte ich auch unbedingt!“, sagte er sofort begeistert und grinste den anderen überschwänglich an. „Wir könnten zusammen reingehen, uns einen schönen Tag machen. Ich geb’ dir alles aus, nachträglich zum Geburtstag. Was sagst du dazu?“ In der Euphorie, die er wegen seiner spontanen Idee entwickelte, vergaß er gänzlich, dass er eigentlich ein bisschen wütend und vor allem enttäuscht von Thomas gewesen war, nichts von dessen Geburtstag gewusst zu haben. Doch Thomas’ Gesicht zeigte keine Regung, nur seine Augen verrieten, dass er Michaels Vorschlag argwöhnisch gegenüberstand. Michaels Hochgefühl schwand wieder. „Und wie stellst du dir das vor?“, fragte Thomas verdutzt und ließ seine Hände auf Michaels Körper ruhen. „Wir gehen Händchen haltend ins Kino und egal, wer uns sieht?“ Die Lippen des Jüngeren kräuselten sich. „Es muss ja nicht gleich Händchen haltend sein“, murmelte er, fand Thomas’ Reaktion etwas übertrieben. Thomas rollte daraufhin seine Augen. Er hasste es, dass Michael bei solchen Gesprächen immer jedes Wort auf die Goldwaage legen musste und dabei dann Sarkasmus und Ironie fließen ließ. „Du weißt genau, was ich mein“, entgegnete er etwas gereizt und zog seine Hand völlig von Michaels Rücken zurück. „Die Diskussion hatten wir doch erst gestern.“ Michael zog einen leichten Schmollmund. Ja, er wusste, dass Thomas Recht hatte, doch der Gedanke, mit dem anderen etwas ganz Normales, wie ins Kino gehen zu machen, war sehr verlockend gewesen. Aber klar, dies hier war eine Kleinstadt. Die Chance, von niemandem, der sie kannte, gesehen zu werden, war schwindend gering. Wobei… Erneut traf ihn ein Geistesblitz. „Und was wäre, wenn wir woanders hinfahren?“, fragte er und blickte in die grauen Augen, die im Moment jedoch keine klare Antwort enthielten. „Ich meine, wir müssen ja nicht hier ins Kino gehen. Wir haben so viele Städte mit tollen Kinos in der Umgebung, wo wir nicht mal weit hinfahren müssen und erzähl mir jetzt nicht, dass du in jeder Stadt jemanden kennst, der uns erwischen könnte!“ Erneut war Thomas’ Miene so ausdruckslos, dass Michael schon befürchtete, er wäre versteinert. Doch dann bemerkte er das leichte Zucken in den Mundwinkeln, kurz bevor sich die Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen und erneut Grübchen bildeten. „Wäre es sehr eingebildet, wenn ich jetzt sagen würde, dass man mich natürlich in jeder Stadt kennt?“, fragte er in einem viel mehr entspannten Ton als zuvor. Michael nickte mehrmals heftig. „Ja, sehr! Und auch überaus unfair und lügnerisch“, antwortete er und ließ sich ebenfalls zu einem Grinsen hinreißen. „Na gut, dann geb’ ich es auf! Such du dir aus, wohin und wann wir fahren und ich spiel dann den Chauffeur. Ich nehm auch kein Spritgeld“, erklärte er lachend und zog Michael wieder enger an sich. Dieser fühlte sich gerade wie auf Wolke Sieben inklusive einem riesigen Freudenfeuerwerk im Bauch. In diesem Augenblick hatte er nicht das Gefühl, eine heimliche Beziehung zu führen, sondern, dass er und Thomas ein ganz normales Paar waren. Draußen war es bereits dunkel und angenehm abgekühlt, als Thomas nach Hause fuhr. Licht fiel durch den Spalt der Wohnzimmertür in den abgedunkelten Flur, als Michael die Haustür hinter seinem Freund schloss. Gemächlich schlurfte er geradewegs auf die Tür zu und öffnete den Spalt schließlich etwas mehr, um seinen Kopf durchzustecken. Carolina und ihr Freund Martin saßen auf dem Sofa, leicht aneinander gelehnt und sahen fern. Ihre Eltern hatten einen besseren Fernseher als die beiden Geschwister und Carolina nutzte es daher immer wieder aus, wenn die Eltern mal einen Abend nicht da waren oder wie jetzt eine kleine Reise unternahmen. „Hey Michi, na, wie geht’s dir?“, begrüßte Martin ihn freundlich, als er ihn entdeckt hatte und hob zum Gruß die Hand. Michael erwiderte die Geste gewohnt fröhlich. Er hatte Martin schon lange nicht mehr gesehen, seit Anfang Juni ungefähr, denn meist war Carolina bei ihm gewesen. Bei ihrem letzten Treffen hatte Martin noch sehr lädiert von der Naziattacke am See ausgesehen und so war Michael froh, ihn nun wieder heil und gut gelaunt vorzufinden. Er wusste nicht warum, aber er fühlte einen leichten Stich schlechten Gewissens in sich aufkommen, weil Thomas damals ebenfalls am See gewesen war. „Lust, mit uns ein paar Filme zu gucken?“, bot Martin ihm ihre Gesellschaft an und hielt ein paar DVDs hoch, die sie sich anscheinend ausgeliehen hatten. „Klar, warum nicht.“ Michael hatte eh nichts vor. Carolina bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick und stand auf. „Dann kannst du mir ja eben in der Küche helfen, die Getränke und so ranzuschaffen“, meinte sie und hielt Martin zurück, auch zum Helfen aufzustehen. „Michi und ich machen das schon.“ Verwirrt folgte Michael ihr in die Küche, fragte sich, was ihr Verhalten auf sich hatte. „Willst du lieber mit Martin allein sein? Dann lass ich mir was einfallen und verzieh mich“, bot er ihr an, da er das Gefühl hatte, schlechte Laune bei ihr verursacht zu haben. Er hörte sie seufzen, als sie mit dem Rücken zu ihm eine Schüssel aus dem Schrank holte und das Popcorn darin umfüllte. Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihn kurz ein wenig wehleidig an, was ihn stutzen ließ. „Nein, quatsch, du störst doch nicht“, sagte sie und öffnete den Kühlschrank. Anscheinend suchte sie Beschäftigung, um nicht still vor ihm stehen zu müssen. Sie wollte mit ihm reden, das lag sonnenklar auf der Hand. „Sag mal, was hatte dieser Typ eigentlich hier zu suchen? Dieser Rosner. Ich mein, du weißt doch, was das für einer ist. Wieso triffst du dich mit dem, Michi?“ Sie sah ihn besorgt an und gleichzeitig etwas unsicher. Michael verschränkte seine Arme vor der Brust. „Er geht in meine Klasse. Du hast doch gesagt, ich soll mehr für die Schule tun. Du hast es doch damals toll gefunden, dass ich mit ihm zusammen Deutsch gemacht hab, weißt du noch?“, konterte er und sein Ton wurde etwas bissig. Carolina nickte halbherzig. „Ach Michi, so häufig kann das doch gar nicht sein und außerdem war er ja auch in den Ferien hier gewesen!“ Michael antwortete nicht und nahm ihr gereizt die Flaschen aus der Hand. „Ich mach mir nur Sorgen um dich“, versuchte sie zu erklären und wollte noch etwas sagen, doch Michael unterbrach sie. „Ich werd schon kein Scheißnazi, oder denkst du das?“ „Nein, natürlich nicht“, wehrte sie ab und sah ihn entschuldigend an. Michael seufzte leise und beruhigte sich wieder etwas. „Halt dich einfach raus, okay? Und komm jetzt, sonst schläft Martin noch vor dem ersten Film ein.“ Er grinste ihr leicht zu und hielt ihr die Tür auf, ehe er ihr ins Wohnzimmer folgte, jedoch ein mulmiges Gefühl beibehielt. TBC Sodele, mal wieder ein Kapitel vollendet ^^ Bin gespannt, wie ihr es findet. Also schön brav Kommis schreiben *lol* Das Lied, was Michael am Anfang hört, ist "I Hate Everything About You" von Three Days Grace, einer kanadischen Post-Grunge/Alternative Metal - Band, von denen ich einige Lieder wirklich sehr gut finde ^^ Normalerweise ist das nicht so der Musikstil, den Punks vorranging hören, aber Ausnahmen bestätigen die Regel und als ich das Lied letztens noch mal gehört hab, fand ich es doch sehr passend auf meine Story von den Gefühlen der beiden her gesehen XD Nun, schauen wir mal, wann wir uns zu Kapitel 21 wiedersehen. Bis dahin, danke für alle Kommis bisher, Motte Kapitel 21: Konfrontation ------------------------- Hey ho! Danke für all die Kommis bisher ^_______^ Ich weiß diesmal kein wirkliches Vorwort. Ich denke, die Tatsache, dass ich nach Mäusepisse stinke, benebelt meinen Verstand ^^" *gleich zum x-ten Mal Hände waschen geht* Viel Spaß beim Lesen! Kapitel 21: Konfrontation Wie jeden Freitagabend war es in dem Vorraum des Kinos so überfüllt, dass man Panik bekommen konnte, insofern man unter Klaustrophobie litt. Auch so musste man aufpassen, dass man seine Begleitung nicht verlor, doch Thomas war das ganz recht. In einem so überfüllten Raum würden sie nicht mal einzeln auffallen und auch nicht zusammen. Bloß nicht gesehen werden, so lautete die Devise. Es war nicht so, dass Thomas sich für Michael schämen würde, sondern eher, das er nicht die Konsequenzen ausbaden wollte, falls jemand sie zusammen sehen würde. Er konnte sich nicht helfen und ließ seine grauen Augen dennoch regelmäßig skeptisch über die Menge fliegen. „Versuchst du jetzt jemanden zu entdecken, der uns entdecken könnte?“, fragte Michael, als sie sich in die Schlange vor dem Kinokiosk reihten, um sich Knabbereien und Getränke zu kaufen. Thomas wandte seinen Blick von der Menge ab und blickte links zu ihm. „Nenn es Paranoia, aber ja, das tu ich“, murmelte er und ging einen Schritt weiter vorwärts. Michael seufzte. „Und? Schon jemanden gefunden, Agent Rosner?“, sagte er ironisch und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Thomas sah ihn für einen Moment aus zu Schlitzen verengten Augen an, ehe er sich ein leichtes Lachen erlaubte. „Noch niemanden“, sagte er und legte dabei einen so geheimnisvollen Flüsterton auf, dass Michael sich beherrschen musste, nicht laut loszulachen. „Aber die Frau dahinten“ – Thomas zeigte auf eine äußerst korpulente Dame in einem sehr unvorteilhaften, roten Sommerkleid mit gelbem Blumenmuster – „sieht unheimlich verdächtig aus.“ Michael drehte sich zu der Frau mittleren Alters und drückte sein Gesicht gegen Thomas’ Oberarm, um sein aufkommendes Lachen zu ersticken. Es gelang ihm nicht ganz, sodass er noch am glucksen war, als sie vor dem Tresen standen und ihre Bestellung aufgeben sollten. „Was willst du haben?“, fragte Thomas und stupste ihn in die Seite. Michael holte tief Luft und strich sich über die nun geröteten Wangen. „Popcorn und Cola, aber du weißt, ich bezahle“, merkte er an, da Thomas schon beim Kartenkaufen instinktiv nach seinem Portemonnaie gezückt hatte. „Ja, ja“, meinte Thomas nur und bestellte seinerseits ebenfalls eine Cola, aber Nachos mit Salsa-Sauce dazu. „Ich frag mich immer noch, woher du das Geld hast, wo du doch sonst immer so blank bist.“ Michael verzog gespielt beleidigt das Gesicht und nahm seine Sachen von der Theke, als die Bedienung kassiert hatte. „Es ist Monatsanfang, da hab ich immer Geld.“ Thomas grinste ihm süffisant zu. „Gut zu wissen.“ Michael lächelte und blickte zu dem Kinoraum, in dem sie gleich ihren Film sehen würden. „Hey, es ist schon Einlass!“, meinte er und hob seine Hand mit der Cola etwas, um einen Schluck aus dem Strohhalm zu ziehen. „Komm schon, Tommi-Baby!“ Thomas prustete. „Tommi-Baby?“ Lachend lief er Michael hinterher und schüttelte den Kopf. „Das ist echt abtörnend.“ Michael grinste ihn von der Seite an und öffnete die Tür mit dem Ellebogen. „Dir soll ja hier auch keiner abgehen“, erwiderte er frech und kassierte dafür einen Schlag auf den Hinterkopf. „Schon klar, du bist ja so unwiderstehlich, Michael.“ „Ich weiß“, behauptete er im Scherz selbstverliebt und wackelte leicht mit dem Hintern. Thomas gab ein ersticktes Hüsteln von sich. „Schon klar, komm, lauf!“, sagte er und schubste Michael im Spaß leicht nach vorne, ehe sie die Treppen in den Saal hochgingen. Hier saßen schon einige Leute auf ihren Plätzen und noch herrschte allgemeines Gemurmel. „Hm, Reihe F…“, begann Michael und lief zielstrebig noch ein paar Stufen hoch. „Platz 6 und 7“, beendete Thomas seinen Satz, als sie die Reihe entlang liefen und sich schließlich auf den genannten Plätzen niederließen. Thomas tunkte einen seiner Nacho-Chips in die Soße und biss ab. „Lecker“, murmelte er und Michael nahm dies als Anlass, sich einen Chip zu klauen, diesen einzutunken und ebenfalls zu probieren. „Ja, stimmt“, sagte er dreist und mache zur Bestätigung ein lautes Schmatzgeräusch. Thomas starrte Michael kurz perplex an, klaute sich dann aber so schnell das übrig gebliebene Stück zurück, dass der Punk sich nur wundern konnte. Schmollend schob er die Unterlippe vor, als Thomas den Nacho in seinen Mund gleiten ließ. „Kennst du nicht das Sprichwort, dass es in einer Beziehung das schönste Geschenk ist, zu teilen?“, fragte er und schnappte sich seine eigene Cola, als er sich seitlich in den Sitz lehnte, um Thomas besser beobachten zu können. „Das halte ich für eine ziemlich… leere These“, erwiderte Thomas mit einem breiten Schmunzeln. Michael gab ihm einen Schlag auf den Oberschenkel. „Hauptsache, du teilst das Bett mit mir, nicht wahr?“ Thomas prustete in seinen Strohhalm, was laute Gluckergeräusche in seinem Becher verursachte und er sich an die Nase packte; anscheinend war die Kohlensäure etwas gewandert. Michael gluckste amüsiert. Thomas bewegte seine Nase ein wenig, ehe er in Michaels Bauch kniff. „Ja genau, das ist die Hauptsache“, erwiderte er und lehnte sich wieder in seinen Sitz. „Nur Sex, was dachtest du denn? Und jetzt halt’ die Klappe, der Film fängt gleich an!“ „Ja, Papa“, murrte Michael wie ein trotziger, kleiner Junge (wie so häufig) und setzte sich ebenfalls gerade hin. Thomas grinste ihn schief an. „Du willst nicht wirklich, dass ich sein Vater bin!“ Michael verzog das Gesicht. „Nein, definitiv nicht.“ Thomas antwortete nicht mehr, starrte auf die Leinwand, wo gerade die Vorschau für eine Bundeswehr-Verarsche lief und wenig später der eigentliche Film begann. „Und? Wie fandest du den Film?“, stellte Michael die übliche Frage unter Kinogängern, als sie das Gebäude verließen und in Richtung Parkplatz gingen. „Gut“, erwiderte Thomas und ließ seine Hände in seine engen Taschen gleiten. „Aber das Ende war vollkommen übertrieben und unrealistisch.“ Michael setzte eine wissende Miene auf. „Ich wusste, dass du das sagen würdest“, sagte er in diesem entlarvenden Ton und zeigte mit dem Zeigefinger auf Thomas. „Du musst lockerer werden, Thomas. Das ist ein Film, das darf man nicht so eng sehen.“ Für diesen Kommentar erntete er nur einen nüchternen Blick. „Nee, schon klar.“ „Natürlich“, erwiderte Michael, ehe sie für einige Zeit schweigend nebeneinander herliefen und schließlich in Thomas’ Wagen stiegen. Das Geräusch des startenden Motors, als Thomas den Zündschlüssel umdrehte, durchbrach die Stille und schließlich drehte er sich zu Michael, als er das Licht einschaltete. „Und was machen wir jetzt?“ Der Jüngere zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wir sind beide nicht so der Typ, der jetzt in Clubs abfeiern gehen würde, oder?“, stellte er grinsend fest. Thomas schüttelte den Kopf. „Nicht so wirklich“, stimmte er ihm zu und wandte den Blick von ihm ab, um rückwärts aus der Parklücke zu setzen und schließlich vom Platz zu fahren. Die nächste Ampel war rot und so konnte er sein Augenmerk flüchtig wieder zu Michael schwenken. „Kommst du noch mit zu mir?“ Zunächst war Michael etwas perplex. Natürlich war es längst nichts mehr besonderes, bei Thomas Zuhause mit diesem rumzuhocken, doch der junge Neonazi hatte dies noch nie so offen gefragt. „Klar, hast du was Bestimmtes vor?“ Auf Thomas’ Gesicht bildete sich ein dreckiges Grinsen, als er wieder losfuhr und Michael laut auflachen musste. „Eigentlich nicht“, antwortete Thomas schließlich ehrlich und beschleunigte, als er auf eine große Bundesstraße fuhr. Michael lächelte leicht und machte es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich. „Uns fällt schon was ein“, meinte er zuversichtlich und lauschte dem Lied, welches aus dem Radio-CD-Player klang. Wie meistens hatten sie sich auf neutrale, deutsche Bands geeinigt. Alles andere wäre wohl auch sinnlos gewesen, denn die Texte ihrer „eigenen“ Bands würde sie wohl gegenseitig nur aufregen. Während sie die dreißig Minuten in ihre Heimatstadt zurückfuhren, redeten sie wie so häufig über belanglose Dinge. Über was sollten sie auch sonst meist reden? Über ihre Freunde? Besser nicht. Über ihre Hobbys? Hatten sie denn überhaupt richtige? Nein, es musste schon etwas allgemeines oder belangloses Gesprächsthema sein. Sie waren eben zu unterschiedlich. Doch… das störte nicht. Lachend öffnete Thomas die Tür zu seinem Zimmer und ließ Michael den Vortritt. Dieser schmiss seine etwas zerfranste, schwarz-grün streifte Stoffjacke über den Schreibtischstuhl und setzte sich schließlich auf Thomas’ Bett. „Nun, was machen wir jetzt?“ Mit einem unwissenden Gesichtsausdruck ließ Thomas sich neben ihm auf die Matratze fallen. „Na, keine Ahnung, worauf hast du Lust?“, fragte er und blickte Michael von unten an. „Videos gucken oder so?“ Michael nickte. „Klar, warum nicht? Was hast du denn so da?“, fragte er und hoffte innerlich, dass es nicht allzu viele nationalsozialistische Dokumentationen, Filme oder sonstige Dinge in dieser Art waren. Thomas verwies mit dem Zeigefinger auf den kleinen Schrank neben seinem Fernseher und Michael stand schließlich auf und trapste langsam dorthin. „Sonst können wir auch was in der Videothek ausleihen“, schlug Thomas vor, noch ehe sein Freund die Schranktür geöffnet hatte. Doch Michael schien auch Thomas’ Auswahl an Filmen zu gefallen, was er ihm auch sagte. Einige Filme davon kannte er schon, aber es gab welche, die es definitiv wert waren, mehrmals gesehen zu werden. „Was hältst du von den beiden?“, fragte er schließlich und hielt zwei DVDs hoch. Thomas hatte sich derweil auf seine Hand gestützt und sah ihn nickend an. „Finde ich gut“, stimmte er zu und lachte leise. „Sonst hätte ich sie ja nicht gekauft.“ Michael blickte ihn nüchtern an und gab ein tonloses „Haha“ von sich. „Das ist mir schon klar“, meinte er jedoch nicht böse und legte die beiden Filme auf den Fernseher; ging dann zum Bett zurück. Nähe suchend legte er sich direkt neben Thomas; strich mit seinen Fingern über dessen kahl rasierten Kopf. „Du bist ja sogar so brav und hast viele, viele Original-DVDs“, lobte er ihn spielerisch und Thomas schmunzelte leicht. „Natürlich. Ich will ja die deutsche Wirtschaft ankurbeln“, sagte er gelassen. „Was tut man nicht alles für das geliebte Vaterland.“ Michael überging diesen Satz einfach und glaubte Thomas nicht wirklich, dass dieser nicht eine einzige gebrannte CD oder ähnliches hatte. Vor allem, weil doch viele Dinge der Neonazi-Szene überhaupt nicht legal zu beschaffen waren. Doch er wollte sich den Abend nicht verderben. „Habt ihr was zum knabbern da?“, warf er stattdessen ein und blickte Thomas fragend an, während dieser leise auflachte. „Wir waren doch gerade erst im Kino“, meinte er belustigt, denn immerhin hatten sie dort bereits was Leckeres gehabt. Michael schob schmollend die Unterlippe vor. „Na und? Och, mit was zum Knabbern lässt es sich besser Filme schauen!“ Thomas schüttelte den Kopf, gab sich aber geschlagen. „Na schön, aber ich glaube, wir haben nichts mehr hier“, sagte er nachdenklich und setzte sich auf. „Aber ich kann eben zur Tanke fahren und was holen.“ Michael setzte sich ebenfalls auf. „Quatsch, so dringend ist das doch nicht“, wehrte er ab, immerhin sollte Thomas jetzt nicht seinetwegen zur Tankstelle fahren müssen. Thomas lächelte und drückte ihn wieder zurück auf die Matratze. „Kein Problem, ich brauch doch eh nur fünf Minuten dahin. Was willst du denn haben? Chips? Salzstangen? NicNacs? Alles?“, fragte er und erlaubte sich ein Grinsen. Michael nickte nur und sah Thomas dabei zu, wie dieser seinen Autoschlüssel vom Schreibtisch nahm. „Und wehe, du fängst mit den Filmen ohne mich an!“, sagte der Ältere scherzend und gab Michael noch einen kurzen Kuss, ehe er aus dem Zimmer verschwand und man ihn die Treppe runter laufen hörte. Normalerweise war es um die Zeit an der Tankstelle recht still und meist war hier auch nur noch wenig los. Doch heute standen einige Neonazis, darunter auch Nils, auf den wenigen Parkplätzen neben der Tankstelle und tranken sich dort ein Bier. Auch wenn dies eigentlich seine Freunde waren, war Thomas nicht sonderlich erfreut, sie zu sehen, immerhin wollte er eigentlich schnell wieder zurück nach Hause. Doch er konnte ja schlecht an ihnen vorbeifahren und so tun, als hätte er sie nicht gesehen. Also parkte er direkt neben ihnen und wurde auch schon grüßend empfangen. Nils legte einen Arm um seine Schulter, was Thomas die bereits deutliche Bierfahne seines Freundes näher brachte. „Hey Thomas, was machst du denn hier?“, fragte er mit leicht heiserer Stimme und ging mit ihm ein-zwei Schritte von den anderen weg. „Dachte, du wärst weg?“ „Ähm ja, ich bin gerade wiedergekommen“, log Thomas rasch. Er hatte erzählt, dass er mit seinen Geschwistern zu Verwandten fahren würde, als Nils ihn gefragt hatte, ob er an diesem Abend Zeit hatte. Nun ja, dass seine Geschwister übers Wochenende bei ihrem Vater waren und seine Mutter mit Freunden einen netten Abend verbrachte, konnte und musste Nils auch nicht wissen. „Lust auf ein Bierchen?“, fragte Nils einladend und wollte schon nach einer ungeöffneten Flasche greifen, als Thomas verneinte. „Ein anderes Mal vielleicht. Ich bin echt total müde und will eigentlich nur noch ins Bett“, erzählte er ihm gelassen und klopfte sich selbst auf die Schulter, scheinbar ein so guter Lügner zu sein. Nils nickte, machte aber ein enttäuschtes Gesicht. Thomas sah sich unter den Kameraden um. Mit den meisten hatte er eher flüchtig etwas zu tun. „Markus und Christoph gar nicht da?“ Nils gab ein verneinendes Grunzen von sich. „Nee, die hängen ja schon länger nicht mehr wirklich hier ab, hab ich dir doch erzählt!“, erklärte er und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. „Sind bestimmt bei Christoph Zuhause und gammeln da rum.“ „Wahrscheinlich“, sagte Thomas nur und wunderte sich eher weniger, dass seine beiden anderen Freunde nicht hier waren. Christoph und Markus kapselten sich immer mehr von der übrigen Szene ab, ohne dass es anscheinend wirklich jemandem auffiel. Vermutlich waren sie doch eher Skins als Nazis und genau wie Thomas nur in die nationale Szene gerutscht, die dann irgendwann ihre Einstellung geworden war. Thomas hatte eh häufig das Gefühl gehabt, dass sie das Ganze noch weniger ernst nahmen, als er selbst (und meist nahm er es schon ernst, auch wenn er sich politisch nicht engagierte). Vielleicht waren sie nur durch ihn Neonazis geworden, waren ihm irgendwie „gefolgt“; er wusste es nicht und wollte eigentlich auch nicht weiter darüber nachdenken. Irgendwann würden sie vielleicht auffliegen und mit den Konsequenzen rechnen müssen, auch wenn er selbst fand, dass er sich durch seine Beziehung zu Michael auf einem viel dünneren Glatteis bewegte, als sie sich. Doch darüber wollte er jetzt eigentlich nicht nachdenken. Freundschaftlich klopfte er Nils also auf die Schulter und setzte seinen Weg in das Tankstellenhaus fort. Der junge Mann an der Kasse sah schon ein wenig müde aus, obwohl seine Schicht wahrscheinlich gerade erst angefangen hatte. Wortlos bezahlte Thomas die Tüte Chips und die anderen Knabbereien und ging schließlich wieder hinaus, wo ihn schon ein leichter Tumult an die Ohren dröhnte. Als er schließlich um die Ecke zu seinem Wagen und seinen Kameraden lief, sah er, dass diese sich mit irgendwelchen jungen, türkischen Männern angelegt hatten, die wohl zum Tanken auf den Platz gefahren waren. Pöbeleien waren keine Seltenheit, besonders wenn die Neonazis angetrunken waren und die türkischen Männer es für nötig hielten, ihre „Ehre“ zu verteidigen. An sich hatte Thomas vorgehabt, nun einfach wieder zu fahren, doch als er sah, dass Nils und einer der türkischen Männer sich wild anschrieen und schubsten, konnte er nicht anders, als dazwischen zu gehen. Seinen Freund und auch irgendwie ihre Ehre verteidigend, stellte er sich zwischen sie und schubste den Türken weg, bevor dieser sich wieder zu ihnen bewegen konnte. Dabei geriet er selber in Rage und so kümmerte es ihn auch nicht, dass der junge Mann mit dem Rücken gegen einen Betonpfeiler prallte und einen fluchenden Schmerzenslaut von sich gab. Er konnte nicht verhindern, dass ein selbstgefälliges Grinsen dabei über seine Lippen huschte, welches ihm jedoch verging, als er sich umdrehte und schon eine schmerzhaft harte Faust an seiner Wange spürte. Vor Schmerz atmete er zischend ein, hörte noch, wie sein Schläger ihn in seinem akzentbelastetem Deutsch wütend befluchte, seinen Bruder gegen den Pfeiler geschubst zu haben, ehe der junge türkische Mann sich schon in einem Gerangel mit den anderen Neonazis befand. Der junge Mann, der in der Tankstelle bediente, schien sich nicht herauszutrauen, um dies hier zu unterbrechen, doch Thomas war sich sicher, dass bald irgendwelche Ordnungshüter auftauchen würden. Gereizt sammelte er seine gekauften Sachen vom Boden auf und sah aus den Augenwinkeln, wie die türkischen, jungen Männer wieder in den nun wohl voll getankten Wagen stiegen und davon fuhren. Wortlos stieg er ebenfalls in seinen Wagen und startete diesen, rieb sich dabei noch einmal über die schmerzende Wange. Zum Abschied noch grüßend die Hand hebend, fuhr er schließlich von der Tankstelle und sah auf der Uhr, dass er hier fast 25 Minuten verbracht hatte. „Scheiße“, fluchte er leise. Michael würde sich sicherlich schon fragen, wo er blieb. Und genau das tat der junge Punk auch. Mittlerweile hatte er aus Langeweile das TV-Programm eingeschaltet und zappte wartend durch die Kanäle. Gerade wollte er mal versuchen, Thomas anzurufen (wofür er zweifellos das Telefon der Rosners hätte benutzen müssen, denn er selbst hatte ja nie Geld auf dem Handy), als er die Haustür und wenig später jemanden die Treppen hochgehen hörte. Als Thomas schließlich die Tür öffnete und das Zimmer betrat, lag ihm nur eine Frage auf der Zunge: „Hey, wo warst du so lange?“ Wortlos warf Thomas ihm die Chips zu und schmiss den Autoschlüssel achtlos auf den Schreibtisch, ehe er sich neben ihn auf das Bett setzte und sich von seinen Stiefeln befreite. Michael sah ihn weiterhin fragend an. „Hast du unterwegs deine Stimme verloren?“ Thomas seufzte. „Nein“, erwiderte er knapp und ließ weitere Sekunden still verstreichen, ehe er sich dazu aufraffte, Michael zu erzählen, was passiert war. „An der Tanke waren noch Nils und andere. Da konnte ich nicht so weggehen. Wollte eigentlich schon längst wieder hier sein, aber dann kamen da noch so… beschissene, türkische Kanalratten… also echt…“ Genervt rieb er sich über das Gesicht, streifte dabei seine Wange und keuchte wieder schmerzhaft auf. Erst jetzt fiel Michael der leicht bläuliche Schleier auf der blassen Haut auf. „Hast du dich mit denen geprügelt?“, fragte er und blickte Thomas dabei scharf an. Dieser blickte stur geradeaus. „So ungefähr“, murmelte er abweisend und wollte das Thema nun lieber schnell beenden. Das merkte auch Michael und sagte nichts mehr, konnte aber nicht umhin, sich anmerken zu lassen, wie sehr ihn das nun störte. Mit verhärteten Gesichtszügen riss er die Chips-Tüte auf und wies Thomas an, eine der DVDs in den Player zu schieben, was dieser schließlich auch machte. Ein wenig missgelaunt legte Michael sich auf die Seite und griff in die Tüte; starrte auf den Fernseher, wo gerade die Vorschau für andere Filme abgespielt wurde. Er sah Thomas aus dem Zimmer gehen und wenig später mit zwei Gläsern und einer großen Flasche Coca Cola zurückkommen. Beides stellte er vor dem Bett ab und setzte sich schließlich neben Michael, um sich an die Wand zu lehnen und ebenfalls zum Fernseher zu starren. Einige Minuten des Films vergingen, in denen sie so abweisend auf dem Bett verweilten, ehe Thomas sich einen Ruck gab und sich neben Michael sinken ließ; seinen Kopf auf dessen Schulter bettete. „Hör auf, sauer auf mich zu sein, ja?“, sagte er leise und küsste sanft den Teil der Schulter, den das Top freigelegt hatte. Michael erwiderte darauf nichts. Natürlich hatte er sich selber auch schon mal geprügelt. Welcher Junge nicht? Hätte Thomas gesagt, ihm wäre irgendein deutscher Idiot über den Weg gelaufen, hätte er vermutlich eher gleichgültig oder besorgt reagiert. Aber ein Neonazi und ein Ausländer – das war schon wieder zu sehr Klischee und zu sehr das, was er verabscheute. Dennoch musste er gestehen, dass er, jetzt, wo er die weichen Lippen an seiner Haut spürte, merkte, wie die Wut langsam in ihm schwand. Er spürte, wie sich Thomas’ Arm um seine Hüfte legte und hörte, wie dieser leise seinen Namen in sein Ohr hauchte. Schweigend strich er mit seinen Fingern über Thomas’ Unterarm und griff wieder ein paar Chips; guckte weiterhin zum Fernseher. Schmunzelnd bemerkte er, wie Thomas mit seinem freien Arm umständlich versuchte, ebenfalls an die Chips zu kommen und erbarmte sich, seinen Freund einfach einen der gewürzten Kartoffelscheiben in den Mund zu schieben. Seine Wut war endgültig verpufft. Lächelnd kuschelte er sich etwas mehr an seinen Freund, während der Fernseher und die Chips-Tüte wohl seine restliche Aufmerksamkeit verlangten. Irgendwann hatten sie sich schließlich schlafen gelegt. Michael war recht schnell ins Land der Träume gewandert, doch Thomas konnte einfach keine Ruhe finden. Zu viele Gedanken kreisten in seinem Kopf, ließen ihn auf dem Rücken liegend an die Decke starren. Er wusste nicht warum gerade heute, aber ihm war in den letzten Stunden ganz krass der Unterschied zwischen dem, was er als Neonazi sein sollte und dem, was er machte, aufgefallen und dass hier Michael neben ihm im Bett lag, machte es nicht gerade erträglicher. Immer wieder tauchten Bilder in seinem Kopf auf, ließen ihn verwirrte Gedankengänge begehen und hielten ihn wach. Er wusste, dass es falsch war, als Neonazi einen Punk und noch dazu einen Mann zu lieben, und doch konnte er es nicht aufgeben. Er wusste auch, dass man, wenn man mit einem Jungen und noch dazu einem Anarchisten zusammen war, wohl besser kein Neonazi sein sollte und doch konnte er es nicht aufgeben. Von all den rotierenden Gedanken wurde ihm fast schwindelig. Bilder rückten in seinen Kopf. Er mit seinen Kameraden, wie sie genüsslich einen tranken. Michael, der ihn plötzlich küsste, und den er daraufhin wegstieß. Ein Fest bei Matthias Scherer, wo sie alle ausgelassen feierten. Er und Michael in seinem Wagen, wie er sich auf einmal zu dem Punk hinüberlehnte und diesen küsste. Thomas spürte, wie ihm schlecht wurde, sodass er sich aufsetzen musste. Er sah sich mit Nils, Christoph und Markus auf einer Nazi-Demo und den blonden Schopf von Scherer vor ihm. Er sah, wie er auf Kirmes zu Michael ging und diesen um eine zweite Chance bat, wie sie sich küssten. Seine Hände pressten sich an seinen Kopf; wollten die Gedanken vertreiben. Doch er schaffte es nicht. Vorsichtig, um Michael nicht aufzuwecken, stand er auf. Markus und er, wie sie sich mit ein paar Russlanddeutschen anlegten. Michael und er, wie sie in der Schule versuchten, die Finger voneinander zu lassen. Schwankend lief er aus dem Zimmer und hielt sich die Hand vor den Mund. Er wusste nicht, was gerade mit ihm passierte, aber ihm war furchtbar übel und sein Magen krampfte. Ein paar Punks, mit denen sie sich stritten, gegenseitig ankeiften und schließlich eine Schlägerei starteten. Er sah Michael und sich selbst streiten und wie er schließlich mit einem getrübten Gefühl zurückblieb. Michael und er, wie sie sich wieder versöhnten. Er hatte das Gefühl, dass die Chips sich wieder nach oben drückten, als er hektisch die Tür zum Bad öffnete. Die Bilder in seinem Kopf flackerten unkoordiniert. #Christoph und Markus. Michael.# #Nils. Michael.# #Seine Mutter. Neonazis.# #Seine Geschwister. Michael.# Gerade noch rechtzeitig schaffte er es, die Klappe der Toilette zu öffnen, als sich auch schon der Inhalt seines Magens durch die Speiseröhre den Weg zurückbahnte und er sich erbrach. Von dem bitteren Geschmack wurden seine Augen feucht und er hielt sich mit einer Hand den schmerzenden Magen, als er erneut würgen musste. Er hörte jemanden über den Flur tapsen und wusste, dass es Michael sein musste. Wahrscheinlich war er von den Geräuschen im Bad aufgewacht. „Thomas?“, hörte er die müde Stimme, die ihn vorsichtig ansprach und merkte, dass Michael näher kam, als er sich an die kühlende Klobrille lehnte. „Alles okay? Was ist los?“ Besorgt blickten die grüngrauen Augen ihn an, was ihn im Augenblick fast erneut brechen ließ, doch er konnte sich zurückhalten. Er spürte die Hand des Punks auf seinem Rücken und hörte, wie dieser die Spülung betätigte, während er sich von der Toilette entfernte und sich an die gekachelte Wand lehnte. „Wahrscheinlich hat mein Magen die ganzen Knabbereien heute wohl nicht so vertragen“, log er rasch und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. Michael ging vor ihm in die Hocke, sagte nichts und schien ihm zu glauben. Zärtlich und tröstend strich er über Thomas’ unlädierte Wange, die andere war schon recht blau geworden. „Geh ruhig wieder schlafen“, bat Thomas ihn, da er seine Nähe im Moment nicht ertragen konnte. „Ich komm gleich auch wieder.“ Michael nickte und stand auf und als Thomas nach fast zwanzig Minuten auch in sein Zimmer zurückkehrte, war er schon wieder eingeschlafen. TBC So, das war Kapitel 21 xD Diese Szene, wo Thomas' beide Welten aufeinanderprallen, hatte ich schon lange geplant und mich wirklich darauf gefreut, dies jetzt schreiben zu können *lol* Ich bin ja mal gespannt, was ihr jetzt davon haltet *zwinker* Irgendwie war so was ja mal abzusehen ^^" Freu mich wie immer über Kommis. Bis zu Kapitel 22, Motte Kapitel 22: Konsequenzen ------------------------ Sodele, danke für all die Kommis bisher *das mal wieder betonen muss* Diesmal werde ich keine großen Worte schwingen, denn ich bin einfach nur müde, also wünsche ich euch einfach nur viel Spaß beim Lesen. Kapitel 22: Konsequenzen Sein Hals brannte und sein Kopf dröhnte, als Thomas am nächsten Morgen wieder aufwachte und sich müde über die Augen rieb. Der Geschmack von Erbrochenem haftete immer noch in seinem Mund und ließ die Erinnerungen an letzte Nacht jäh wieder aufkeimen. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus, ließ seinen Magen unangenehm kribbeln. Nur langsam setzte er sich auf, zog seine Beine an und lehnte sein Kinn auf die Knie. Er verstand nicht, was letzte Nacht in ihm vorgegangen war. Natürlich wusste er, dass die Zweifel, die sich in dieser Nacht bis aufs Äußerste gezeigt hatten, nicht neu waren, doch nie hatte er seine Freunde und Michael so krass gegenüber gestellt. Erst jetzt fiel ihm auf, wie der warme Atem des Punks stetig seinen Rücken streifte. Seine grauen Augen wanderten zu Michaels Gesicht und ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Wie fast jeder, der verliebt war, konnte auch er seinem Freund ewig beim Schlafen zusehen, doch im Moment waren seine eigenen Gedanken zu verwirrend, als dass er sich lange auf das Antlitz des anderen konzentrieren konnte. Ihm war bewusst, dass er gestern ungewollt die beiden ’Welten’ in seinem Kopf konfrontiert hatte, die er immer versucht hatte, auseinander zu halten. Wenn dies schon in seinem Kopf geschah, wie lange würde es dann dauern, bis auch in der Realität die Konfrontation kam, vor der er sich immer unbewusst gefürchtet hatte, seit er Michael auf der Kirmes um eine zweite Chance gebeten hatte? Oder war das vielleicht schon geschehen? Hatte dieses Aufeinandertreffen mit Lara den Stein ins Rollen gebracht? Er wusste es nicht, doch er merkte, wie sein Kopf immer mehr schmerzte und ihm wieder etwas übel wurde. So empfindlich kannte er sich selber nicht und genau das machte ihm noch mehr Angst. Rasselnd atmete er ein und blickte noch einmal zu Michael herunter; hauchte einen Kuss auf dessen Stirn, bevor er vorsichtig aus dem Bett kroch. Auch wenn es sicherlich schöner gewesen wäre, zu warten, bis Michael auch aufwachte, so konnte er es nicht länger im Bett aushalten. Verwirrt und immer noch gedankenbelastet wankte er aus seinem Zimmer ins Bad und entschied sich zunächst, eine abkühlende Dusche zu genießen. Es dauerte nicht lange, bis schließlich auch Michael aufwachte, kurz nachdem Thomas das Bett verlassen hatte. Mit geschlossenen Augen tastete er nach dem Körper des Größeren, der sich eigentlich neben seinem befinden sollte. Doch auf die Erkenntnis, dass er anscheinend alleine im Bett war, folgte ein Stirnrunzeln, ehe sich die grüngrauen Augen träge öffneten. Ein Seufzen entwich seinem Mund, als er sich resignierend auf den Rücken rollte. Der Kerl ist echt ein Stimmungskiller, dachte er sich, immerhin wäre er gerne neben Thomas aufgewacht und nicht in dessen verlassenem Bett. Sich ein wenig streckend und reckend erhob Michael sich nach einigen Minuten schließlich ebenfalls und gähnte leise. Im Spiegel blickte ihm sein müdes Ebenbild entgegen, während sein mittlerweile heller, grün-blauer Iro über seiner linken Kopfseite hing. Mit einem Grinsen bemerkte er das Prasseln des Wassers im Nebenraum und ihm kam der Gedanke, sich einfach zu Thomas unter die Dusche zu gesellen. Ein Gedanke, der sehr verlockend war und sein Grinsen breiter werden ließ, ohne ihn zu erröten. Mit der festen Überzeugung dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, stolzierte er gen Badezimmer und bemerkte schließlich mit leichter Enttäuschung, dass das Wasser abgestellt wurde, noch bevor er die Tür überhaupt erreicht hatte. Dennoch lächelnd öffnete er die Tür und fand Thomas mit einem Handtuch um die Hüften vor der Dusche wieder. Über den blassen, leicht trainierten Oberköper rollten noch einige Wassertropfen, was den Anblick noch anziehender machte, sodass Michael sich auf die Lippen biss. Thomas merkte den leicht angeregten Blick seines Freundes und blickte diesen ausdruckslos an. Seine Augen waren von dunkleren Ringen umrandet, was seine Blässe im Vergleich zu Michaels leicht gebräuntem Körper noch unterstütze. Der Punk schien dies jedoch nicht so recht zu bemerken und ging auf Thomas zu, legte eine Hand auf dessen Brust, die andere auf das Steißbein. „Sehr verführerisch, Herr Rosner“, hauchte er ihm entgegen und beugte sein Gesicht nah zu dem des Neonazis. Gerade als er ihn küssen wollte, wich Thomas zurück und drehte seinen Kopf etwas. Michael zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Ist was?“ Thomas schüttelte nur den Kopf, antwortete zunächst aber nicht und löste sich von langsam von Michael. „Du kannst duschen, wenn du willst“, wechselte er abrupt das Thema und drückte Michael ein Handtuch in die Hand. Verdutzt blickte dieser ihn an und folgte ihm mit seinem Blick, als er in Richtung Badezimmertür ging. „Ich schau mal, was wir zum Frühstück da haben“, sagte Thomas noch, ehe er den Raum verließ und Michael verwirrt zurückließ. Die grüngrauen Augen starrten weiterhin auf die Holztür, die nun hinter Thomas geschlossen wurde. Was war bloß mit dem anderen los? Nachdenklich spielte er mit seinem Lippenpiercing. Dann fiel ihm ein, dass Thomas sich ja letzte Nacht übergeben hatte. Vielleicht war er auch nur deshalb so muffelig? Michael beschloss, erst einmal duschen zu gehen und nicht weiter darüber nachzudenken. Derweil saß Thomas nun mit Boxershorts und T-Shirt auf seinem Bett und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Irgendwie lief jetzt alles schief. Er wusste nicht, warum oder was es war, doch seit gestern Nacht war es wie eine Blockade in ihm selbst, wenn er normal mit Michael umgehen wollte. So, wie er die letzten Wochen eben mit ihm umgegangen war. Es war, als hätte sich ein dunkler Schatten über ihn gelegt und als würde irgendwas in ihm wüten und ihm von innen den Atem nehmen. Natürlich hatte er immer irgendwie Sorge gehabt, dass ihre Beziehung auffliegen könnte. Doch seit er gestern unabsichtlich Michael direkt neben seine Freunde gestellt hatte, war ihm erst richtig klar geworden, was für einen Spagatsprung er hier veranstaltete. Auf der einen Seite waren seine Kameraden, von denen er einige zwar nicht aufrichtig mochte, aber mit den meisten gut klar kam und Nils, Christoph und Markus zu seinen richtigen Freunden zählte. Und auf der anderen Seite eben Michael, den er schon liebte, mit dem ihm aber keine jahrelange Geschichte verband. Um genau zu sein hatte er sich vor einigen Monaten noch mit ihm geprügelt und ihm ein nettes Veilchen verpasst. Dann hatten sie sich im Unterricht gestritten. Sie waren eigentlich der Tropfen gewesen, der das Fass bei den Lehrern zum Überlaufen gebracht hatte, denn daraufhin wurde die Sitzordnung geändert. Thomas entfuhr ein leises, hohles Auflachen. Wie ein Wink des Schicksals, nicht wahr? Hatte das Schicksal denn jetzt auch eine Lösung für sein Problem, die ihn selbst nicht unglücklich machen würde? Er konnte nicht einfach so seine Freunde und Kameraden verlassen, aber mit Michael Schluss zu machen, erschien ihm auch nicht gerade gut zu sein. Dazu kam noch seine Familie, die irgendwie genau dazwischen stand. All das zerrte seit letzter Nacht verstärkt an seinen Nerven, ließ ihn leicht zittern. Ihm war zum Heulen zumute, vielleicht hätte er dies auch getan, wenn Michael nicht nebenan gewesen wäre und er sich selbst die Schwäche nicht immer verbieten würde. Als Michael wieder aus der Dusche stieg und mit Handtuch bekleidet zurück in Thomas’ Zimmer ging, hörte er schon unten in der Küche das Geschirr klappern. Ein leises Knurren seines Magens bestätigte sein Hungergefühl, sodass er sich beeilte, sich eine Shorts und ein Shirt von Thomas zu leihen und diese anzuziehen. Trotz der komischen Situation im Bad war er noch gut gelaunt und schließlich ging er strahlend die Treppe hinunter und in die Küche. Er sah auf Thomas’ Rücken, wie dieser an der Theke ein paar Brötchen in das Körbchen tat und ging langsam auf diesen zu; umarmte ihn von hinten. Sein Kinn stützte sich zwischen den Schulterblättern des Größeren, als er seine Hände langsam über dessen Bauch fahren ließ. „Ich rieche jetzt nach deinem Duschgel“, sagte Michael feststellend, auch wenn er diesen Geruch an Thomas selber viel berauschender fand. „Das ist klar“, sagte Thomas schlicht und löste sich aus der Umarmung, um den Brötchenkorb auf den Tisch zu stellen. „Besser als wenn du das Duschgel meiner Mutter benutzt hättest.“ Es klang eher wie eine emotionslose Feststellung, als wie die Art von Witz, die Michael von ihm kannte. Auch verzogen sich die Lippen nicht mal annähernd zu einem Grinsen, sondern ließen die Mundwinkel schlaff hängen. Erneut war Michael verwundert über das Verhalten seines Freundes; ließ sich aber schweigend gegenüber diesem an dem gedeckten Frühstückstisch nieder. Sein Blick fiel auf Thomas Hände, die gerade ein einfaches Brötchen durchschnitten, doch diese Tatsache nahm er nicht wirklich wahr. Er war sich ziemlich sicher, dass mehr in dem jungen Neonazi vorging, als nur das Erbrechen von der Nacht. Den anderen weiter ansehend, ohne den Blick mal erwidert zu bekommen, nahm er sich ebenfalls ein Brötchen und schnitt dieses durch. Es vergingen Minuten, in denen sie sich einfach nur schweigend gegenüber saßen und aßen. Die Stille war irgendwie drückend und Michael wusste nicht recht, was er sagen sollte. Nachdenklich nahm er einen Schluck von seinem gekühlten Kakao und spürte schließlich Thomas’ nackte Wade an seinem Fuß. Lächelnd ließ er seinen Fuß an dem Bein seines Freundes höher wandern, sodass sich schon ein Grinsen auf seinen Lippen bildete. Dies verging jedoch schnell wieder, als Thomas in keiner Weise darauf reagierte. „Verdammt, was ist los mit dir?“, fragte er forsch und stellte sein Glas wieder auf den Tisch. Langsam blickte Thomas auf und seine grauen Augen wirkten unentschlossen. „Nichts“, sagte er schließlich und wandte seinen Blick wieder ab. Michael lehnte sich zurück; bemerkte, wie er gereizt wurde und atmete tief ein und aus. „Nichts“, wiederholte er das Wort leise, ehe seine Stimme harscher wurde. „Nichts, nichts, nichts. Schon klar, Thomas. Es ist so eindeutig, dass du was hast! Wieso sagst du es nicht einfach?“ Er sah wie Thomas sich vor ihm ein wenig anspannte und sein Brötchen schließlich aus der Hand legte, als er sein Kinn auf seine Hände stützte. „Nichts, was dich was angehen würde“, log er schließlich und fuhr sich mit dem Zeige- und Mittelfinger unruhig über die Lippen. „Tolle Aussage“, stellte Michael grummelnd fest und schüttelte leicht den Kopf. „Vertraust du mir etwa nicht?“ Er hörte Thomas aufseufzen, was ihn noch wütender machte. Wieso konnte der Größere nicht einmal offen darüber reden, was Sache war? „Doch“, sagte Thomas und senkte seinen Blick wieder. „Aber ich will eben nicht drüber reden.“ Michael nickte langsam und sah den anderen eingehend an. „In einer Beziehung spricht man aber über diverse Dinge und komm schon, danach wird es dir wahrscheinlich besser gehen und-“, versuchte er ihn zu überzeugen, doch Thomas unterbrach ihn schnell. „Ich will nicht drüber reden, okay?“ Michaels Lippen kräuselten sich leicht. „Schön. Toll. Ich sag nichts mehr“, gab er beleidigt zurück, immerhin hatte Thomas nur Helfen wollen. Schließlich griff er wieder nach dem Glas mit dem Kakao und nahm einen kleinen Schluck, sah wie Thomas weiteraß. Erneut saßen sie minutenlang still an dem Tisch und frühstückten, bis Thomas sich wieder zu Wort meldete. „Ähm,… ich muss nachher meine Geschwister bei meinem Vater abholen“, begann er langsam und drehte sein eigenes Glas in seiner Hand. „Du… kannst also nicht allzu lange hier bleiben.“ Michael atmete tief ein. Das stank schon so sehr nach Ausrede, dass er ihm gar nicht glauben konnte. Thomas’ Geschwister waren schon häufiger Zuhause gewesen, wenn er ihn besucht hatte. Sie hielten ihn für einen Freund und vor allem Jana war zu jung, um zu verstehen, dass er eigentlich der Typ Mensch war, mit dem Thomas nicht so gut auskam. Benni wusste das wahrscheinlich, doch er schien Michaels Kleindungsstil und Art einfach zu „cool“ zu finden, als dass er jemals was sagen würde. Wahrscheinlich hatte er mit Thomas’ Freunden eh nicht viel zu tun. Und Thomas’ Mutter war vielleicht einfach nur froh, dass es jemanden gab, der kein Neonazi war und trotzdem was mit ihrem Sohn zu tun hatte. Natürlich hatte Michael nie hier übernachtet, wenn die Geschwister geschweige denn die Mutter daheim gewesen waren, aber woher sollten Benni und Jana das denn wissen? Es war nur allzu deutlich, dass Thomas ihn gerne rauswerfen wollte. Michael fragte sich nur, warum er dies nicht sagte. Sonst war Thomas doch auch nicht so scheu, was Worte und Aggressionen anging. Und am liebsten hätte er ihm genau das jetzt an den Kopf geworfen, doch er ließ es. „Dann ist es wohl besser, wenn ich jetzt gehe“, sagte er schwermütig und stand auf. Thomas nickte langsam, auch wenn ihm anzumerken war, dass er ebenfalls nicht gerade glücklich war. Wortlos tapste Michael aus dem Zimmer, ging zurück nach oben und nahm sich seine Anziehsachen. Schnell schlüpfte er aus Thomas’ T-Shirt und zog sich seine Kleidung an. Die Shorts würde er ihm ein anderes Mal wiedergeben. Als er in die Küche zurückkehrte, saß Thomas immer noch am Frühstückstisch und sah recht deprimiert aus. Michael wusste, dass Thomas wesentlich mehr Gefühl hatte, als er meistens zeigte. Irgendwas schien ihn zu beschäftigen und runter zu ziehen, doch Michael wusste nicht was. Mit einem aufmunternden Lächeln ging er auf diesen zu und legte einen Arm um dessen Schulter; setzte einen kurzen Kuss auf den kahl rasierten Schädel. Er spürte, wie sich ein Arm um seine Hüfte legte. „Wir sehen uns Montag, ne?“, fragte er leise und hielt seine Lippen nah an der Kopfhaut. „Ja“, antwortete Thomas leise und Michael gab ihm noch einen zweiten Kuss, ehe er sich von ihm löste und zur Küchentür ging. Kurz drehte er sich noch einmal um, sah wie Thomas es mit einem Lächeln versuchte, was jedoch wenig klappte. Michael tat es Leid, dass er sich gerade so aufgeregt hatte. Hoffentlich würde es Thomas Montag besser gehen. Auf dem Weg nach Hause kreisten Michaels Gedanken weiter um Thomas und dessen merkwürdiges Verhalten. Es war immerhin mehr als eindeutig, dass ihn etwas beschäftigte und irgendwie ärgerte es Michael weiterhin, dass Thomas ihm partout nicht sagen wollte, was es war. Also redete er sich ein, dass Thomas in solchen Dingen eh nicht gerade redselig war und es nicht an ihm lag. Wahrscheinlich stimmte das in gewissem Maße auch, aber Michael konnte ja nicht ahnen, dass Thomas’ Problem auch ihn betraf. Seine Sorgen ließen ihn den Tag über nicht los und erst als er sich am späten Nachmittag mit seinen Freunden traf, vergaß er durch die Ablenkung seine Gedanken an Thomas. Gemütlich saßen sie in Patricks Zimmer und tranken ein Bierchen während Johnny Rotten ein paar spöttische Bemerkungen über die Queen aus den Boxen schrie. Patrick saß mit Lara an die Wand gelehnt auf seinem Bett und strich durch ihr das mittlerweile violette Haar. Laras Grufti-Freundin aus der Schule saß seitlich neben ihr und fiel unter den sonst eher bunt gekleideten Personen auf. Michael und Jan saßen zusammen mit zwei anderen auf dem Boden und Dennis schien von der Toilette nicht mehr zurückzukehren. Schon ein wenig dösig lehnte Jan sich an Michael und verlagerte sein ganzes Gewicht so, dass dieser unter ihm wegknickte. Grinsend piekte Jan seinen Kumpel in die Seite und stand auf. Er verkündete, er wolle Dennis suchen und ihn heldenhaft retten gehen; aus dem Klo fischen würde er ihn allerdings nicht. Michael lachte leise und richtete sich entspannt wieder auf, nur um plötzlich Lara neben sich vorzufinden. Patrick hatte sich zu den zwei anderen Punks gesetzt und das Mädchen aus Laras Klasse saß nun etwas verloren auf dem Bett und nippte an ihrem Bier. „Wie geht’s dir?“, fragte Lara Michael plötzlich und schaute ihn irgendwie sorgvoll an. Michael zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Gut. Warum schaust du mich so an, als wäre ich todkrank?“ Sie zuckte mit den Schultern und ging nicht weiter auf seinen Kommentar ein. „Und wie geht’s ihm?“ Michael wusste genau, auf wen sie ihn ansprach. „Auch gut“, erklärte er knapp, obwohl er sich nicht sicher war, ob es Thomas wirklich gut ging. Lara presste die Lippen aufeinander. „Nun, die Situation wird sicher nicht-“ Michael unterbrach sie: „Nicht hier, Lara, und nicht jetzt…“ So sehr er vielleicht mal mit jemanden – sprich: mit ihr – darüber reden wollte; er hatte keine Lust, dass gleich von irgendwen anders blöde Fragen gestellt wurden. Ebenso wenig wollte er, dass Jan und Patrick, geschweige denn die anderen, davon erfuhren. Denn auch wenn er sie für tolerant und loyal ihm gegenüber hielt, hatte er Angst vor ihren Reaktionen und sie als Freunde zu verlieren. Sein Blick musste wohl etwas betrübter geworden sein, denn Lara blickte ihn mitleidig an. Zärtlich strich sie über seine unfrisierten, wenigen Haare und lächelte leicht. „Wird schon alles werden“, murmelte sie leise und erhob sich. Wild stürzte sie sich auf Patrick und schmiss diesen damit zu Boden. Grinsend stand Michael auf und begab sich zum Fenster; sah Jan und Dennis draußen auf den Steinstufen vor der Haustür sitzen und reden. Er wusste, dass Dennis erst vor kurzem mit seiner Freundin Schluss hatte und es ihm näher ging, als er je zugeben würde. Sie waren ja auch immerhin zwei Jahre zusammen gewesen und Michael würde es jetzt schon wehtun, wenn es zwischen Thomas und ihm aus wäre. Der Gedanke versetzte ihm einen kleinen Stich, was er selbst schon irgendwie peinlich fand. Er blickte wieder nach unten und sah die beiden weiter reden. Auch wenn Jan ein Spaßvogel war, so war er erstaunlicherweise auch ein guter Zuhörer. Natürlich auf eine eher typisch männliche, abgedroschene Weise, aber welcher Junge wollte sich denn auch schon bei seinem Kumpel ausheulen. Dennoch konnte Michael nicht mit ihm über Thomas reden. Es war anders als bei Dennis. Dieser hatte eine Freundin gehabt; keinen Freund. Und diese war zwar kein Punk, aber alternativ gewesen und kein Nazi. Besagter Neonazi hatte inzwischen seine Geschwister bei seinem Vater abgeholt und dabei erfolgreich vermieden, seinen ’Erzeuger’ zu treffen. Denn Gregor Rosner zu treffen, hätte ihm sicherlich vollends die Laune verdorben. Schlimm genug, dass er denselben Nachnamen wie dieser Kerl trug, da musste er nicht noch dessen Visage sehen. Glücklicherweise sah er mehr der Seite seiner Mutter ähnlich. „Danke, dass du sie abgeholt hast“, sagte seine Mutter und nahm Jana auf dem Arm, welche sich sofort an sie kuschelte. Bei Mama war es für kleine Kinder eben doch am schönsten. „Kein Problem“, murmelte Thomas nur und sah Benni nach, wie dieser nach oben flitzte, um ein neues Computerspiel auszuprobieren. Ihr Vater hatte es ihm gestern gekauft. „Jetzt kauft er also schon ihre Liebe.“ Annette Rosner sah ihren Ältesten ein wenig strafend an. „Er hat ihm nur ein Spiel gekauft, Thomas“, nahm sie ihren Ex-Mann in Schutz. „Und es war nicht teuer, weil es schon älter ist.“ Thomas schnaubte leicht. Gegen das Argument konnte er nichts finden. „Trotzdem“, murmelte er dennoch abweisend und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand; sah seiner Mutter dabei zu, wie sie für Jana einen Apfel stückelte. „Reg dich einfach nicht drüber auf“, sagte sie und lächelte ihm kurz zu. „Tu ich nicht“, log er und klang dabei so brummig, dass man es ihm kaum glauben konnte. „Okay“, tat sie so, als hätte den Unterton in seiner Stimme nicht bemerkt und gab Jana ihr Apfelstückchen. „Ich wollte heute ein paar Videos mit Benni und Jana gucken… du kannst dich dazu setzen, wenn du willst.“ Da war er also wieder: ihr Versuch, ihn dazu zu bringen, an einem Friede-Freude-Eierkuchen-Familienabend teilzuhaben. Zugegeben war das an sich eine nette, aber eben leider auch etwas naive Idee. Denn welcher Junge in Thomas’ Alter verbrachte einen Samstagabend schon gerne auf der Couch mit seiner Mutter und seinen Geschwistern und sah sich Filme ohne Altersbeschränkung an? Wohl sehr wenige. Unter anderen Umständen hätte Thomas das sicherlich sogar getan, doch man(n) gab ja etwas um seinen Ruf. Empört reagierte er dennoch nicht, sondern sagte ganz sachlich: „Nee, lass mal, ich geh’ heute Abend raus.“ Er stand auf und seine Mutter sah ihm seufzend nach. Sie wusste, mit wem er sich treffen würde und es war klar, dass ihr dies nicht gefiel. Es war weit nach 23 Uhr und der Zeiger an der alten Bahnhofsanzeige schritt schon eher in Richtung Mitternacht zu, als eine Gruppe angetrunkener Nazis die Treppen in die Unterführung runter stieg. Unter ihnen war Matthias Scherer und einige seiner brutalen, aber wie Thomas fand, doch recht hirnlosen ’Freunde’. Leider war außer Nils keiner von den Leuten dabei, die ihn interessieren würden. Er hatte gehofft, dass Markus und Christoph auch dabei sein würden, aber die beiden hatten sich ja schon ewig nicht mehr blicken lassen und irgendwie schien es keinem aufzufallen. Lautes Gepöbel seitens seiner Kameraden ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken. In der Unterführung war ihnen ein dunkelhäutiger Mann entgegen gekommen; mit einer Reisetasche über die Schultern gehängt und wahrscheinlich gerade aus einem der letzten Züge gestiegen. Eine deutsche Frau mittleren Alters lief ebenfalls schnell an ihnen vorbei. Auch ihr wurden ein paar hämische oder dumpfe Sprüche hinterher gerufen, aber sie wurde nicht weiter behelligt. Dem Dunkelhäutigen dagegen versperrten sie den Weg, sprachen ihn mit verachtenden Worten an und schubsten ihn von einem zum anderen. Thomas fühlte sich ein wenig unbehaglich. Natürlich konnte er sich nicht davon freisprechen, ebenfalls mal ausländische oder andersfarbige Menschen angepöbelt zu haben. Aber bei ihm war es dabei geblieben, es sei denn, sie hatten ihn zuerst geschlagen. Doch bei Matthias Scherer blieb es selten dabei. Und auch wenn Thomas es wohl nie zugeben würde, hatte er ein Gewissen – auch vor Ausländern. Er sah wie Matthias zwischen seinen beiden Idioten auf den Ausländer zuging und diesen für seinen Aufenthalt in diesem Land beleidigte. Dies verlief einige Augenblicke so, bis er sich abwandte und sich zu Thomas drehte. Dieser war über den eindeutig feindseligen Blick so verdutzt, dass er gar nicht richtig registrierte, wie einer von Matthias’ Jungs dem Dunkelhäutigen mit der Faust gegen die Wange schlug. „Vielleicht solltest du das übernehmen, Thomas“, forderte Matthias hämisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Um deine Ehre in unserer großen Familie wieder reinzuwaschen.“ Nun blickten mehrere Kameraden verwirrt zu Scherer und Nils sah Thomas fragend an. In diesem machte sich Nervosität breit. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, auf was Matthias anspielte, kam auch schon die nächste, spöttische Bemerkung des Blonden. „War’s denn schön im Kino?“ Thomas schluckte hart. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde in seine Hose rutschen. Ihm war nun klar, wobei man ihn gesehen hatte; wer auch immer es gewesen war. Nervosität wich der Angst. Konsequenzen waren vorauszusehen. „Ein bisschen Knutschen vor dem Kino ist doch toll, nicht wahr?“, säuselte Matthias gespielt, ohne den Blick weniger höhnisch und jähzornig werden zu lassen. „Wie ist es denn, ’ne Zecke in den Arsch zu poppen?“ Viele atmeten hörbar ein und Thomas spürte ihre Blick auf sich. „Ich hoffe doch, dass du wenigstens ihn gevögelt hast und nicht er dich!“, redete Matthias weiter und Thomas fühlte sich gedemütigt, immerhin war das Privatsphäre. Doch ehe er überhaupt etwas erwidern konnte oder sich wundern konnte, warum Scherer mit dem Kopf nickte, spürte er schon einen harten Griff im Nacken und wenig später die betonierte Wand an seinem Schädel. Das Einzige, was er wahrnahm, war ein übler Schmerz und wie ihm schwindelig wurde. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass dies von Matthias von Anfang an geplant war. Er fragte sich nur, wer sie gesehen hatte, immerhin hatte er so aufgepasst. Schwer atmend richtete er sich auf, nur um Sekunden später einen Schlag in den Magen zu spüren. Sich instinktiv den Bauch haltend, sank er zusammen; spürte sogleich aber einen Tritt gegen seinen Rücken, ehe ihm vor Schmerz so schwummerig wurde, dass er nicht mehr definieren konnte, wo sie ihn trafen. Nils stand wie gelähmt an der Seite und starrte auf seinen Kumpel und die Kameraden, die ihn prügelten. Er konnte Thomas nicht schlagen, auch wenn er sich von ihm hintergangen fühlte. Aber er konnte auch nicht dazwischen gehen. Seine Loyalität lag bei seinen Kameraden, aber nach so vielen Jahren lagen auch Gefühle bei Thomas. Sein Blick fiel auf ein kleines Gerät wenig entfernt von ihm. Er erkannte sofort, dass es Thomas’ Handy war. Es musste dem anderen aus der Tasche gefallen sein. Wenn er schon nicht dazwischen ging, so wollte er doch wenigstens jemanden benachrichtigen. Schnell schnappte er sich möglichst unauffällig das Mobiltelefon. Eine SMS an Thomas’ Mutter war das Erste, was ihm einfiel. Hastig tippte er mit einigen Fehlern eine dringend erscheinende Nachricht und drückte auf ’Senden’. Im Verzeichnis suchte er die Nummer von Annette Rosner heraus, doch der eingetragene Name vor ’Mutter’ ließ ihn stocken. ’Michael’. Wer zum Teufel war Michael? Kannten sie denn einen? Thomas hatte nie etwas erzählt. Doch dann fiel es ihm siedend heiß ein. Zecke. Junge. Michael. PLESKE? – fast hätte er vor Schock das Handy fallen lassen. Thomas und Pleske? War das möglich? Seit sie zusammen saßen hatten sie sich nicht mehr so schlecht verstanden, wie vorher; das war auch Nils aufgefallen. Mit zweifelhaftem Blick sah er zu Thomas und sendete die SMS an dessen Mutter. Er sah Matthias neben sich auftauchen, welcher ihn scharf anblickte. „An wen schreibst du?“, fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Nils zwang sich zu einem breiten Grinsen. „Ach, ich hab da so ein Feuer im Eisen“, deutete er auf eine angebliche Affäre hin und Matthias schien sich damit zufrieden zu geben. „Du bist mir ja einer. Dachte, dich würd’s mehr interessieren, was mit ihm passiert, wo ihr doch immer zusammenhängt“, sagte er in Richtung Thomas nickend, schien aber nicht abgeneigt von Nils’ vorgetäuschtem Verhalten zu sein. So langsam ließen seine Jungs wieder von Thomas ab und die anderen Nazis lösten sich aus ihrer Starre. Der Dunkelhäutige war noch mal mit einem blauen Augen und einem Schock davongekommen. Und als sie die Unterführung verließen, zwang Nils sich dazu, keinen Blick zurückzuwerfen. Annette Rosner wurde wie von Nils erhofft vom Piepen ihres Handys wach und las die SMS, die vermeintlich von ihrem Sohn kam. Sie klang so dringend, als ginge es um Leben und Tod und sie glaubte nicht, dass Thomas scherzte. Hektisch zog sich etwas über und fuhr zu dem Ort, der in der SMS angegeben war. Und als sie in der Unterführung des Bahnhofs angekommen war, sah sie mit Schock ihren ältesten Sohn regungslos auf dem Boden liegen. „Thomas!“, rief sie seinen Namen aus und rannte auf ihn zu; zog dabei ihr Handy heraus und wählte die Nummer vom Notruf. Zittrig kniete sie sich neben ihn; stellte erleichtert fest, dass er noch regelmäßig atmete. „Gott, worauf hast du dich nur eingelassen…“ TBC Ja, auch die Szene hat sich irgendwie schon, seit ich die Idee für die Geschichte hatte, in meinem Kopf abgespielt. Ich hoffe, ihr seid nicht zu sehr geschockt, aber leider kann man in den Neonazi-Szenen schnell zum "Verräter" betitelt werden, wobei wohl nicht alle, sondern nur krassere Fälle wie Matthias Scherer, so Prügelmaßnahmen zum Ausschluss nehmen. Also ich denke, bei uns hier würden die wohl kommentarlos rausgeworfen und danach verhöhnt werden, aber "mehr" nicht. Ich würde mich trotzdem oder gerade bei dem Kapitel über Kommis freuen ;) Bis Kapitel 23 dann, motte Kapitel 23: Schmerz ------------------- Moin moin! Mal wieder sitzt Motti mitten in der Nacht am Laptop (ja, man hat ja sonst nie Zeit) und lädt fleißig ein neues Kapitel hoch. Im Moment komme ich wieder gut voran und bin auch schon so gut wie fertig, werde mir aber einiges noch mal durchlesen. Aber es wird jetzt auf jeden Fall wieder jedes Wochenende ein neues Kapitel hochgeladen werden, wo es nun zum Endspurt geht xD Nun aber erst mal viel Spaß mit Kapitel 23: Schmerz Sein Kopf dröhnte, als würde man mit einem Presslufthammer darin arbeiten. Seine Sicht war noch leicht verschwommen, als er die Augen öffnete, doch er erkannte sogleich an den schlichten, weißen Wänden und dem sterilen Geruch, dass er im Krankenhaus war. Nun spürte Thomas auch all seine anderen Glieder, die schwer wie Blei zu sein schienen und unangenehm schmerzten. Nur dunkel schlich sich die quälende Erinnerung an die letzte Nacht zurück. Ein Gefühl von gebrochenem Vertrauen, Beschämung und Verletztheit prasselte auf ihn ein und überwog bei weitem den körperlichen Schmerz. Wie hatte es nur soweit kommen können? Trotz aller Zweifel war ihm nicht wirklich klar gewesen, wie sehr er in den letzten Wochen mit dem Feuer gespielt hatte. Auch wenn seine Gefühle sich nicht geändert hatten, wurde ihm nun bei dem Gedanken an Michael schlecht. Seine Kameraden waren manchmal eine Art Familienersatz gewesen. Als sein Vater einfach abgehauen war, war er nach und nach Halt suchend in die Szene gerutscht. Auch fiel es ihm schwer, einzusehen, dass Nils ihm nicht geholfen hatte. Es tat weh. Innerlich. Und dass sogar ziemlich. Er merkte, wie seine Sicht leicht glasig wurde und die Feuchtigkeit sich an die Oberfläche kämpfte, doch er unterdrückte jeglichen Drang zu weinen. So eine Blöße wollte er sich trotz allem nicht geben. Die Tür zu dem Dreibettzimmer, auf dem er im Moment anscheinend allein lag, öffnete sich und ein Arzt mitsamt Schwester, gefolgt von seiner Mutter, betrat den Raum. „Guten Morgen. Soll ich Thomas oder Herr Rosner sagen?“, fragte er mit gut gelauntem Lächeln, welches etwas an eine Zahnpastawerbung erinnerte. Thomas antwortete nicht. „Also, Thomas, letzte Nacht war wohl recht spektakulär“, begann der Arzt und wies die Schwester an, die Infusionsnadel aus Thomas’ Hand zu ziehen. Dann begann er mit allgemeinen Untersuchungen für Thomas’ Kreislauf. „Sie haben eine mittelschwere Gehirnerschütterung und Prellungen am Rückenbereich. Dazu eine Schürfwunde am Kopf und einige Hämatome. Nach einem ganz gewöhnlichen Sturz im betrunkenen Zustand sieht das aber nicht aus.“ Der Arzt sah ihn scharf an, doch Thomas senkte den Blick. „Wissen Sie, wer Sie so zugerichtet hat? Sie können die betreffenden Personen anzeigen.“ Thomas schüttelte den Kopf. Er sah wie seine Mutter tonlos seufzte. „Nun gut“, wollte der Arzt Thomas wohl nicht drängen. „Überlegen Sie es sich.“ Er schrieb noch etwas auf das Patientenformular auf seinem Klemmbrett und blickte dann wieder zu Thomas. „Sie bleiben bitte noch mindestens zwei Tage zur Beobachtung hier“, ordnete er an und wandte sich an die Krankenschwester. Thomas sah seine Mutter auf einem Hocker näher rutschen. „Wie geht es dir?“, fragte sie, als die Schwester und der Arzt den Raum verließen. Thomas verdrehte die Augen; merkte aber, dass dies ebenfalls schmerzte und ließ es. „Blendend“, erwiderte er sarkastisch und schob die weiße Bettdecke ein wenig von seinem Oberkörper. Dank der Prellungen tat selbst das Atmen weh, was seine betrübte Laune nicht gerade steigerte. Er sah sie unruhig mit ihren Händen spielen, so als würde ihr etwas auf den Lippen brennen. Und tatsächlich begann sie wenige Sekunden später zu sprechen. „Ich habe immer schon gewusst, dass diese Leute ein falscher Umgang sind. Das musste ja irgendwann schief gehen.“ Thomas schnaubte verächtlich. „Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt, mir Vorwürfe zu machen“, zischte er und biss sich auf die Lippen. „Mir geht es nämlich auch ohne deine blöden Kommentare schon scheiße genug! Oder glaubst du, es ist toll verprügelt zu werden und im Krankenhaus wieder aufzuwachen? Von den eigenen Leuten?! Super! Echt klasse!“ Er spürte, wie sich das salzige Wasser in seinen Augen wieder nach oben kämpfte, doch diesmal konnte er es nicht aufhalten. Man sah ihm seine Verzweiflung an, auch wenn er aufgebracht klang. „Und Nils hat mir nicht geholfen. Keiner, hörst du? Ich hatte überhaupt keine Chance. Und das alles verdammte Scheiße nur, weil sie gesehen haben, wie ich Michael geküsst habe!“ Frustriert ließ er sich zurückfallen und vergrub zittrig sein Gesicht in seinen Händen, damit sie die Tränen nicht sah, die an seinen Wangen klebten. „Der Punk?“, hörte er sie leise und wohl auch erstaunt fragen. „Ja, verdammt!“, entfuhr es Thomas zwischen den vorgehaltenen Händen und sie nickte langsam, was er jedoch nicht sehen konnte. Natürlich wurde ihr nun einiges klar. Sie hatte sich eh schon gefragt, was ihr Sohn als Neonazi mit einem Punk zu schaffen hatte. Denn auch wenn Thomas nie viel über die Szene erzählt hatte und sie sich auch nicht weiter damit beschäftigt hatte (das war irgendwie Verdrängung gewesen), so wusste doch der Großteil der Menschen, dass es zwischen den beiden Szenen unruhig war – schon allein aus dem Fernsehen. Dennoch fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, dass ihr Sohn mit einem anderen Jungen zusammen war. Auch wenn der Schock nicht so groß war, wie damals, als er immer weiter in die rechte Szene gezogen war, ohne, dass sie etwas hatte dagegen tun können. Gregor hatte ihr das nach seiner ’Rückkehr’ einige Male vorgeworfen, doch sie hatte damals noch viele andere Sorgen gehabt und nicht damit umzugehen gewusst. Sie war unsicher gewesen, ob sie ihn nicht noch weiter in die Arme der Rechten drängen würde, wenn sie mit ihm darüber stritt. Sie hatte ihm deutlich gezeigt, wie sehr sie dies verabscheute und hatte versucht, mit Aufklärungen ihn von der Szene zu lösen, doch irgendwann hatte sie resignierend aufgegeben. Wenn sie sich ihren Sohn jetzt ansah, war das vielleicht falsch gewesen. „Es tut mir Leid, was passiert ist“, sagte sie leise und legte ihre Hand auf seine. Thomas blickte sie ausdruckslos an. Sein linkes Auge wirkte durch die Schwellung und die blaue Umrandung dunkler. „Du kannst doch nichts dafür“, erwiderte er mit verwunderter Stimme und zupfte an der Bettdecke herum. „Ich hätte dich davon abhalten sollen, als du da reingerutscht bist“, erklärte sie seufzend. Er schüttelte den Kopf. „Das hättest du eh nicht geschafft. Ich wollte es damals und hätte mir nichts sagen lassen. Ich musste eben selber auf die Fresse fliegen…“ Der letzte Satz klang bitterlich und er entzog ihr seine Hand. Sie nickte nur und legte ihre Hand zu der anderen in ihren Schoß. „Es ist gut, dass ich gestern noch die SMS gesehen habe. Wer weiß, wie es dir sonst gehen würde…“ Fragend sah Thomas seine Mutter an. „Welche SMS?“ „Na, die du mir geschickt hast“, sagte sie. „Sonst hätte ich doch nie gewusst, dass du am Bahnhof bist.“ „Was?“ Thomas war verwirrt. „Mutter, ich war bewusstlos und vorher wurde auf mich eingetreten. Da hatte ich irgendwie keine Zeit, dir SMS zu schreiben…“ Annette Rosner seufzte leise. Es war wie ein Schlag vor die Stirn. Natürlich war es unlogisch gewesen, jetzt wo er es erwähnte. „Klar“, murmelte sie einsichtig. „Ich habe dein Handy ja auch nicht bei dir gefunden. Doch die SMS kam von deiner Nummer.“ Sie schien zu überlegen, doch in Thomas’ Kopf erschloss sich trotz dröhnendem Schmerz schnell die Lösung. Einer seiner Kameraden musste die SMS gesendet haben. Und eigentlich kam da auch nur einer in Frage. „Nils“, murmelte er leise den Namen. Wer sonst hätte das tun sollen? Den anderen hatte wahrscheinlich nicht viel an ihm gelegen oder sie waren gar nicht erst auf die Idee gekommen. „Das wäre natürlich eine Möglichkeit“, sagte Annette Rosner grübelnd und Thomas blickte wieder zu ihr. „Das wird auch so sein“, meinte er und seine Mundwinkel zuckten leicht. Zwar hatte Nils ihm nicht direkt geholfen, als die anderen ihn verprügelt hatten, doch dass er wenigstens dafür gesorgt hatte, dass ihn jemand fand, fühlte sich besser an, als wenn er gar nichts getan hätte. Und irgendwie bröckelte zumindest ein Stück des zentnerschweren Steins, der ihn zu belasten schien. Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine Mutter langsam aufstand. „Ich werde jetzt Benni und Lara wieder von der Oma abholen. Ich komm heute Nachmittag noch mal mit den beiden, okay?“, sagte sie sanft und lächelte ihm aufmunternd zu. Oder zumindest versuchte sie es. Er nickte langsam. Zwar fand er die Vorstellung, dass seine Geschwister ihn so sahen, nicht sonderlich prickelnd, doch er konnte nichts dagegen sagen. Außerdem freute er sich auch, sie zu sehen. Als seine Mutter die Tür schon erreicht und die Hand auf der Klinke hatte, drehte sie sich noch einmal um. „Soll ich… eigentlich diesem… Michael Bescheid sagen?“ Thomas schien für einen Moment perplex. Mit der Frage hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Er überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, vielleicht kann ich ja morgen schon wieder raus und es ihm selber sagen!“ Frau Rosner sah ihren Sohn strafend an. „Du weißt, der Arzt will dich noch hier behalten!“, sagte sie ein wenig streng. Thomas seufzte. „Okay, ich erzähl es ihm trotzdem selbst.“ Sie nickte noch verstehend; verabschiedete sich noch einmal. „Bis heute Nachmittag!“ „Ja, bis heute Nachmittag“, sagte er und sah schließlich auf die zufallende, weiße Tür, als auch die Verzweiflung wieder ein wenig über ihn hineinbrach. Natürlich war Thomas Montag noch nicht in der Schule, sondern weiterhin im Krankenhaus. Mittlerweile war er sogar froh darum. So ersparte er sich neugierige Blicke und blöde Kommentare und – das war vor allem wichtig – vermied er es so, Nils zu treffen. Michael hatte er gestern nicht mehr erreicht. Das Handy war mal wieder ausgeschaltet gewesen und hatte sicher in irgendeiner Ecke des Zimmers gelegen, wo der Punk es wahrscheinlich nach ein paar Tagen (nicht wirklich zielstrebigem) Suchen erstaunt finden würde. Auf Festnetz wollte er nicht unbedingt anrufen. Michaels Schwester hatte ihn jedes Mal, wenn sie ihn gesehen hatte, einen skeptischen Blick zugeworfen und die Eltern kannte er kaum bis gar nicht. Wenn sie mit seinem Namen überhaupt etwas anfangen konnten… Thomas dachte sich im Moment auch nicht allzu viel dabei. Es hörte sich zwar äußerst unfair an und das wusste er, doch jegliche Gedanken an Michael heiterten ihn nicht wirklich auf, sondern bereiteten ihm ein unwohliges Gefühl. Das fand er selber nicht gerade gut von sich, aber er konnte es nicht ändern. Dagegen war Michael selbst ebenfalls nicht sonderlich begeistert. Der Morgen hatte schon schlecht angefangen, indem er verschlafen und sich von Carolina hatte zur Schule fahren lassen müssen. Dann war ihm aufgefallen, dass er die Hälfte seiner Schulsachen zu Hause gelassen hatte, als Jan ihn nach irgendwelchen Hausaufgaben fragte. Und nun hatte er feststellen müssen, dass Thomas fehlte. Und nicht nur, dass er ihn gerne sehen wollte, nein, er hätte auch eigentlich ganz gerne beim Englischtest bei ihm abgeschrieben. Den Test würde er nun selbstredend vermasseln und als er Frau Herzog in Deutsch gefragt hatte, ob sie den Grund für Thomas’ Fehlen wüsste, hatte sie ihm nur gesagt, dass sie selbst noch nachfragen müsste, aber es ihm eh nicht sagen dürfte. Auch war Michael aufgefallen, dass Nils ebenfalls nicht in der Schule war. Hatten die Neonazis gestern etwa wieder eine Sauforgie gefeiert und beide waren nun zu verkatert, um aufzustehen? Michael würde nach der Schule auf jeden Fall mal bei Thomas anrufen. Thomas’ Plan Nils zu entgehen war zu seinem eigenen Bedauern nicht wirklich aufgegangen, denn dieser hatte sich offenbar dazu entschlossen, ihn zu besuchen. Doch nun saßen sie sich schweigend gegenüber in der fast leeren Cafeteria und hatten bis auf ein „Hallo“ noch kein Wort miteinander gewechselt. Es war purer Zufall gewesen, dass Nils Thomas auf dem Gang kurz vor dem Eingang zur Cafeteria aufgeschnappt hatte. Lustlos rührte Thomas den Strohhalm in seinem Coca Cola ® - Glas. „Wie geht’s dir?“, fragte Nils nach einer Weile. „Scheiße“, antwortete Thomas und ließ aufgrund seiner tonlosen Stimme offen, ob er damit mental oder körperlich meinte. Wieder saßen sie einige Augenblicke still da, bis Thomas sich durchrang und etwas sagte, wenn auch in einem sachlich-kühlen Ton. „Müsstest du nicht in der Schule sein?“ Nils sah auf und Thomas blickte eisern zurück. „Doch, schon. Aber ich wollte dich besuchen und sehen, wie es dir geht“, murmelte er und ließ seine Fingerspitzen auf den Tisch trommeln. Thomas spürte, dass er nervös war. „Super, ganz klasse“, meinte Thomas monoton und lehnte sich zurück und blickte auf seine Hände, wo seine Finger gerade einen abstehenden Hautfetzen von seinem Daumen zogen. „Wenn das jetzt freundschaftliches Engagement sein soll, hättest du das besser Samstag zeigen sollen.“ Nils zuckte zusammen, als die Worte ihn so hart trafen. „Ich weiß, du bist sauer auf mich-“, begann er, doch Thomas unterbrach ihn. „Enttäuscht würde es eher treffen! Was hättest du denn getan, wenn sie mich tot geprügelt hätten?“, fragte er wütend. „Soweit wäre es nie gekommen“, erwiderte Nils. Thomas schüttelte den Kopf. „Scherer trau ich alles zu.“ „So schlimm ist er auch nicht“, verteidigte Nils ihn und Thomas konnte nur hohl auflachen. „Das sagst du noch, nach allem, was passiert ist.“ Wieder schwiegen sie für eine Weile und Thomas konnte sehen, wie Nils’ Gesicht immer schuldbewusster wirkte. „Es tut mir Leid“, sagte der Ältere schließlich. Thomas nickte. „Ich weiß.“ Er zog den Strohhalm aus seiner Cola und beobachtete die bräunlichen Tröpfchen, die wieder ins Glas fielen. „Du hast meiner Mutter die SMS geschickt, oder?“ Nils nickte wortlos. „Danke.“ Es war ein schlichtes Wort und doch lag aufrichtige Dankbarkeit darin. Nils entspannte sich langsam wieder, als er merkte, dass Thomas ihn trotz allem anscheinend nicht zu hassen schien und ihm wohl nicht im übertragenen Sinne den Kopf abreißen würde. Aufsehend zwang er sich zu einem leichten Lächeln. „Ach ja“, meinte er, als ihm gerade etwas einfiel und begann in der Tasche seiner Bomberjacke zu wühlen. Wortlos schob er schließlich ein kleines Mobiltelefon über den Tisch, welches Thomas sofort als seins erkannte. Zittrig nahm er es in die Hand und starrte einige Augenblicke auf das schwarze Plastik. Er hatte keine Ahnung, was er in diesem Moment empfand und konnte es auch nicht deuten. Ebenso wenig verstand er, warum ihm nun fast wieder zum Weinen zumute war. Doch glücklicherweise konnte er das unterdrücken. „Es ist Pleske, oder?“, fragte Nils schließlich leise, doch Thomas erschrak sich dennoch über die plötzliche Frage. „Was?“ Erstaunt sah er sein Gegenüber an. „Der Punk, den du geküsst haben sollst.“ Thomas’ Augen weiteten sich leicht, auch wenn er fast schon damit gerechnet hatte, dass Nils ihn danach fragen würde. Nur eben nicht damit, dass Nils es wohl irgendwie schon wusste. Es war wie ein Stich ins Herz, auch wenn Nils’ Stimme keinen Vorwurf beinhaltete. Nur seine Augen beinhalteten eine leichte Abscheu, die man wohl aber auch nur sah, wenn man danach suchte. Erneut fühlte Thomas sich wieder hin- und her gerissen und bekam – was ihn selber verzweifeln wieder – das Gefühl, Michael nicht um sich haben zu können. Daher war er auch froh, dass der Punk wirklich nicht in seiner Nähe war, denn sonst hätten sie sich sicherlich wieder gestritten. Auf Nils’ Frage hin nickte er nur leicht. Immerhin war es schwachsinnig, das jetzt zu leugnen. „Woher weißt du es?“, fragte er leise. Nils zuckte mit den Schultern. „Ich habe seine Nummer in deinem Handy gesehen.“ Thomas nickte nur und blickte starr auf die Tischplatte. Erneut fiel die Stille über sie hinein und zeichnete sie als zwei Leute, die sich nicht mehr viel zu sagen hatten. Das fiel auch Nils auf, als er schließlich sagte: „Unsere Freundschaft hat hier wohl sein Ende gefunden?“ Thomas musste hart schlucken, als er die Worte vernahm, auch wenn es ihm nach dem Geschehen wirklich unmöglich war, weiter mit Nils befreundet zu sein. Zumal er aus der Szene raus war, unfreiwillig, und Nils noch mittendrin. Dennoch tat es verdammt weh, es wörtlich zu hören, dass eine jahrelange Freundschaft hier ein Ende fand und dass nur, weil er sich in jemanden verliebt hatte, der nicht in die Einstellung seiner Umgebung passte. Seine Sicht wurde ein wenig verschwommen. Schnell schloss er die Augen und starrte daraufhin an die Decke; kämpfte krampfhaft gegen seine Tränen. „Ja“, sagte er nur und seine Stimme klang kratzig und rau. In den Augenwinkeln sah er Nils nicken und schließlich aufstehen. Langsam ging er auf ihn zu und Thomas lenkte seinen Blick so, dass er Nils in die Augen sehen konnte. Er spürte dessen Hand auf seinem kahlen Kopf, was ein wenig zwickte, als sie über die Kruste der brennenden Schürfungen strich. „Es war eine gute Zeit“, sagte Nils leise und ließ seine Hand sanft von Thomas’ Schädel gleiten und murmelte noch einmal, dass es ihm Leid tun würde, ehe er ohne ein weiteres Wort die Cafeteria verließ. Die Tränen in Thomas’ Augen hatten sich mittlerweile an der Kante seines Unterlids gesammelten und perlten nun eine nach der anderen über seine Wangen. Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und ließ seinen gebrochenen Gefühlen stumm freien Lauf. Zur gleichen Zeit hatte es zum Ende der Kunststunde geläutet und damit auch zur zweiten Pause. Nun würde nur noch der Englischtest, (den Michael gern umgehen würde), anstehen und dann hatte er für heute frei, womit er also schnell Thomas anrufen könnte. Langsam schlurfte er mit Jan und Patrick auf den Schulhof und zog seine Zigarettenschachtel aus seiner Brusttasche. Lässig zündete er sich einen dieser Glimmstängel an und begrüßte schließlich Lara, die er plötzlich an ihrem Stammplatz auf dem Schulhof am Geländer gelehnt vorfand. Begrüßend gab Patrick ihr einen Kuss. „Hey Schatz, was machst du denn hier?“, fragte er sichtlich überrascht und zog sie sogleich enger an sich. Lara begrüßte auch noch Michael und Jan und wandte sich dann wieder grinsend an ihren Freund. „Wir haben zwei Freistunden und nichts zu tun, und da dachte ich, ich besuch euch mal in eurer Pause.“ Patrick grinste ebenfalls breit. „Tolle Idee, Schatz.“ Michael dagegen achtete schon nicht mehr auf das Gespräch zwischen den beiden oder Jan, der leise etwas vor sich hinsummte. Ihm war die Ausbeulung in Laras linker Hosentasche aufgefallen, die ziemlich verdächtig nach einem eckigen Gerät aussah. „Hey Lara, kann ich mal mit deinem Handy telefonieren?“, fragte er und zwinkerte ihr dringlich zu, damit sie vielleicht verstand, dass er Thomas anrufen wollte und es dringend war. Zunächst sah sie aber nur erstaunt an, schien dann aber langsam zu verstehen, was er meinte und zog ihr Handy aus ihrer blau-schwarz gestreiften Hose. „Danke“, murmelte er und wurde jetzt, wo er gleich hoffentlich Thomas’ Stimme hören wurde, etwas gehetzt. Schnell tippte er Thomas’ Festnetznummer, die er glücklicherweise noch zusammenkriegte, ein und drückte auf den grünen Knopf; entfernte sich etwas von seinen Freunden. Es dauerte nur zwei Freizeichen lang, bis jemand bei den Rosners abnahm und er die Stimme von Thomas’ jüngerem Bruder Benni an seinem Ohr hörte. „Hi Benni, hier ist Michael. Ist Thomas da?“, fragte er freundlich und wippte auf den Füßen auf und ab, während er mit seiner freien Hand Fäden aus seiner schon leicht lädierten Brusttasche zog. „Nein, der ist doch im Krankenhaus“, sagte Benni und klang dabei so belehrend, als müsste dies schon die ganze Welt wissen. „Was?“ Michaels Gesichtszüge entglitten und er erstarrte abrupt in seinen Bewegungen. „Warum ist er denn im Krankenhaus?“ In seinem Kopf malte sich schon ein Bild von einem Autounfall ab, was bei Thomas’ rasanter Fahrweise und der Tatsache, dass er sich manchmal von anderen zum Fahren im alkoholisierten Zustand verleiten ließ, nicht unvorstellbar war. „Na, der ist doch verprügelt worden“, sagte Benni und klang nun etwas bedrückter. „Von den Nazis!“ Das Handy wäre Michael beinah aus der Hand gefallen, als er plötzlich das Gefühl hatte, sein Herz würde stehen bleiben. „In… in welchem Krankenhaus liegt er denn?“, fragte er verwirrt und konnte sich nicht erklären, warum die Nazis einen von ihnen verprügeln sollten. Benni sagte ihm, dass Thomas im evangelischen Krankenhaus läge und nach einem kurzen, weiteren Wortwechsel legte er schließlich auf. Noch etwas benommen kehrte Michael zu seinen Freunden zurück, wo Jan gerade Lara belustigte, indem er ihr immer wieder Grimassen schnitt. Tief einatmend gab er ihr das Handy zurück und ihr Blick fiel auf ihn. Als sie seine Miene sah, hörte sie schlagartig auf zu lachen und schaute ihn besorgt und fragend zugleich an. „Thomas liegt im Krankenhaus“, sagte er leise und seine Stimme klang leicht gebrochen. Er sah, wie Lara sich auf die Lippen biss, doch bevor sie etwas dazu sagen konnte, hatte Patrick schon das Wort ergriffen. „Welcher Thomas?“ Fragend blickte er Michael an. Dieser rollte ein wenig gereizt die Augen. War das denn nicht offensichtlich? Wie viele Thomas’ kannten sie denn? „Na, Rosner!“, erklärte er daher ein wenig lauter. „Und was interessiert uns das?“, fragte Patrick verwundert, denn immerhin hatte er nur den Rosner in Erinnerung, der Michael vor wenigen Monaten ein Veilchen verpasst und ihn selbst schon mal Nasenbluten beschert hatte. „Na, euch wahrscheinlich wenig, aber mich. Immerhin ist er mein Freund!“ In seiner Sorge und Rage vergaß er ganz, dass dies ja keiner außer Lara wusste. Sowohl Patricks als auch Jans Augen weiteten sich, während Lara sich erneut auf die Lippen biss. Erstaunt und auch entrüstet sahen die beiden männlichen Punks Michael an. „Was…? Hä?“, begann Patrick verwirrt. „Seit wann bist du denn mit Nazi-Oberbacke-Rosner befreundet? Michael, geht’s dir noch gut? Bist du mal schwer gefallen?“ „Auf den Kopf?“, setzte Jan hinzu. Michael ignorierte ihre Fragen, die ihn innerlich jedoch weiter reizten. Hektisch suchte er nach seiner Tasche, fand sie dann aber neben Jan stehend vor. „Ich werd’ da jetzt jedenfalls hinfahren. Ins Krankenhaus. Lasst euch bei Frau Lechner einfach was einfallen!“, forderte er sie auf, ihn zu entschuldigen und schulterte seinen Rucksack. „Hey, was?“ Patrick sah ihn mit offenem Mund an. „Aber hey, Michi, es ist Schule!“ Nervös zupfte Michael wieder an seiner zerzausten Tasche, wobei seine zittrigen Finger es nicht schafften, den Faden gänzlich abzuziehen. „Na und? Das würdest du bei Lara doch auch machen“, verteidigte er sich und sah in der Hektik die Notwendigkeit einer Erklärung nicht. „Ja, aber hey, hör mal, Lara ist meine Freundin“, rechtfertigte Patrick sich und sah Michael an, als würde er dessen Geisteszustand im Moment für fragwürdig halten. Michael war derweil etwas zu verwirrt, um klar dazu Stellung zu nehmen und seinen Freunden zu erklären, dass er und Thomas ein Paar waren. Eben genau wie Lara und Patrick. „Also gibt es da keinen Unterschied“, schloss er und klang dabei etwas konfus. Wirr schüttelte er den Kopf, als wollte er überschüssige Gedanken so aus seinem Gehirn entfernen. Seine Gedanken kreisten eigentlich nur noch um Thomas und wie es diesem ging. Über Patrick und Jan und das, was sie jetzt vielleicht verstanden oder auch nicht, könnte er sich auch später noch Sorgen machen bzw. das Ganze aufklären. Daher drehte er sich hastig um und ging ohne ein Wort zu sagen ein paar Schritte. „Hey, wie meinst du das? Bleibst du mal stehen?“, hörte er Patrick noch hinter sich rufen und hatte das Gefühl, dass diesem dämmerte, was er gemeint haben könnte. Doch er drehte sich nicht mehr um und blieb auch nicht stehen. Um genau zu sein fürchtete er sich jetzt sogar ein wenig davor, Jan und Patrick in die Augen sehen zu müssen. „Pat“, versuchte Lara ihren Freund zu beruhigen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du weißt doch genau, wie er das meint.“ Jan neben ihr sah Michael perplex nach. „Ich auch. Und…“, begann er, unterbrach sich jedoch selbst. „… oh man, seit wann ist er schwul?“ „Ja, genau, seit wann ist er schwul? Viel schlimmer noch, seit wann steht er auf Nazis?“ Patrick verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich denke, dass Rosner da eh der Einzige ist, also macht euch keine Sorgen“, sagte Lara erneut beruhigend und verstand die Aufregung, welche die beiden nun fabrizierten nicht ganz. Patrick jedoch ließ sich durch ihre Aussage gar nicht beschwichtigen – im Gegenteil: „Du… du hast es gewusst?“, fragte er sie. Zunächst blickte er sie einfach nur geschockt und verwundert an, doch seine Worte wurden immer wütender. „Ja“, antwortete Lara wahrheitsgemäß. „Was?“, empörte sich Patrick. „Seit wann?“ Lara zuckte mit den Schultern. „Seit ich sie beim Knutschen erwischt hab. Ist noch nicht so lange her“, erzählte sie ihnen und lehnte sich wieder an das Geländer. Michael tat ihr Leid. Thomas lag im Krankenhaus und sicherlich machte er sich Sorgen. Natürlich konnte sie ihren Freund und Jan verstehen, aber mussten Männer denn immer gleich so taktlos sein? „Und du hast mir nichts erzählt?“, fuhr Patrick sie unbeherrscht an, sodass sie zusammenzuckte. Das schien für ihn wohl nun die Krönung zu sein. Seine Freundin hatte vor ihm gewusst, dass sein Kumpel mit einem Neonazi zusammen war und es ihm nicht sofort erzählt. „Nein, ich hab es ihm versprochen“, entgegnete Lara. Doch das schien Patrick nicht zufrieden zu stimmen. „Du bist meine Freundin!“ Lara stützte sich genervt am Geländer ab und schüttelte den Kopf über das Verhalten des Punks den Kopf. „Ja, und auch seine, wenn auch auf eine andere Weise“, stellte sie damit klar, warum sie das Versprechen auch nicht gebrochen hatte. „Man, Pat, du erzählst mir doch auch nicht alles, was Jan dir erzählt oder so!“ „Ja, aber so was Gravierendes hättest du uns sagen müssen!“, merkte nun auch Jan an, der ebenfalls geschockt darüber war, dass Michael mit einem Neonazi ausging und Lara es gewusst hatte. Michael hatte sich immerhin nie was anmerken lassen, also hatten sie es auch gar nicht wissen können. Wann hätten sie es denn mal erfahren? In ein paar Jahren vielleicht? Doch Lara wurde durch Jans Anmerkung nur noch wütender. Nun fing er auch noch an und dabei hatte sie gar nichts gemacht, außer ein Versprechen eingehalten. Wieso regten die beiden sich jetzt so auf und ließen es vor allem an ihr aus? „Fang du nicht auch noch an“, wies sie Jan zurecht. „Dir hab ich gar nichts zu sagen!“ Das hatte sie eigentlich nicht so abwertend gemeint, wie es klang, aber dass nun beide Jungs so nachtragend waren, weil sie Michaels Geheimnis nicht weitererzählt hatte, stresste sie im Moment sehr. „Oh danke!“, erwiderte Jan patzig und drehte sich trotzig wie ein kleines Kind von ihr weg. Lara rollte die Augen. Was sollte das denn jetzt alles? „Wirklich, ich find das scheiße“, brummte Patrick. Lara erkannte, dass ihr Freund und Jan auf einer Seite waren und augenblicklich wohl kaum zur Vernunft kommen würden. „Und ich euer Verhalten auch“, sagte sie ihnen noch selbstbewusst und ging langsam wieder zurück zu ihrer Schule. Da gammelte sie doch lieber zwei Stunden nutzlos in der Schulkantine rum, als dass sie sich blöde Sprüche von den beiden anhören musste, nur weil sie einem gemeinsamen Freund geholfen hatte. Es dauerte nicht lange bis Michael mit dem nächsten Bus zum evangelischen Krankenhaus gefahren war und dort am Empfang nach Thomas’ Zimmer gefragt hatte. Nun stand er unsicher vor dessen Tür und fragte sich ernsthaft, was ihn dahinter erwarten würde. Oder viel mehr wie Thomas aussehen würde, nachdem ihn seine eigenen Kameraden verprügelt hatten. Michael wusste durchaus, wie gut Nazis zuschlagen konnten. Er selbst hatte ja auch bei Thomas und anderen die Erfahrung machen müssen, dass die Jungs manchmal zwar wenig Hirn, aber dafür ordentlich Muskeln hatten. Wenn Thomas sich nicht hatte wehren können, dann waren es sicherlich solche Schlägertypen gewesen, die drei Mal mehr Körperumfang hatten als er selbst und meist nur als Matthias Scherers Fußvolk bekannt waren. Tief einatmend drückte er schließlich die Türklinke herunter und betrat den Raum. Er fand Thomas auf dem Bett sitzend und fernsehend vor. Der Ältere hatte Schürfwunden auf der glatten Haut seiner Glatze und seine linke Gesichtshälfte glich größtenteils viel mehr einem blau-violettem Farbenmeer. Das linke Auge war geschwollen und anhand von Thomas’ etwas umständlicher Körperhaltung konnte er sich denken, dass das Liegen aufgrund von weiteren Prellungen unbequem sein musste. „Hey“, sprach er ihn leise an und Thomas zuckte zusammen. Er hatte anscheinend nicht bemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte. Sich zu einem Lächeln zwingend drehte er sein Gesicht zu Michael, sodass dieser die geschundene Gesichtshälfte noch genauer sehen konnte. „Hey“, murmelte Thomas leise zurück und setzte sich ein wenig auf. „Müsstest du nicht eigentlich in Englisch sein?“ Michael nickte leise und trat näher an ihn heran, setzte sich auf die Bettkante. „Schon, aber ich hatte bei dir angerufen. Benni hat mir gesagt, dass du hier bist und da hatte ich nicht mehr den Sinn für Schule“, erklärte er. „Außerdem… du bist nicht da und ohne dich hätte ich den Englischtest eh in den Sand gesetzt.“ Er grinste breit und Thomas schien ein wenig nachdenklich. „Ach ja, stimmt. Der Englischtest“, erinnerte er sich dunkel und schloss kurz die Augen. Zwischendurch war ihm manchmal immer noch ein wenig schwindelig. „Ohne mich bist du also vollkommen aufgeschmissen“, stellte er ein wenig amüsiert fest, auch wenn er das unbehagliche Gefühl in Michaels Nähe nicht verhindern konnte. Es tat ihm selber weh, dass er so empfand, aber nach all dem, was passiert war, machte Michaels Anblick sein Gefühlchaos noch unerträglicher. „Stimmt“, erwiderte Michael lachend und riss Thomas somit wieder aus seinen Gedanken. Er bemerkte, wie die grüngrauen Augen über seinen Körper schweiften und Michaels Gesicht wieder ein wenig betrübter wurde. „Warum haben sie dich verprügelt?“, fragte er leise und ließ seine Finger über Thomas’ Unterarm streichen. „Ich versteh’ es nicht. Immerhin bist du doch… einer von ihnen.“ Thomas schluckte leicht. Am liebsten würde er das Thema aus seinem Kopf streichen. Er wusste, dass er sich irgendwann damit auseinandersetzen musste, wenn er mit sich selbst ins Reine kommen wollte, doch das würde er gerne weiter nach hinten verschieben. Langsam zog er seinen Unterarm unter Michaels Fingern weg. „Nicht mehr“, murmelte er, denn immerhin war er nun kein Teil mehr der Szene. Er hatte es selbst nicht so entschieden, aber die anderen bzw. Matthias Scherer. Und Scherer war hoch und einflussreich genug, dass andere Neonazigruppen mitziehen würden. Er war eben das, was sie als Verräter beschimpften. „Sie haben uns zusammen gesehen. Auf dem Parkplatz am Kino.“ Michaels Augen weiteten sich. An dem Abend hatte er Thomas’ Paranoia für lächerlich gehalten, aber hätten sie doch vorsichtiger sein sollen? „Und deswegen haben sie dich verprügelt?“, keuchte er entsetzt. Thomas zuckte mit den Schultern. „Na ja, irgendjemand, den Scherer kennt, wird es gesehen und gepetzt haben. Jedenfalls hat Scherer es auffliegen lassen“, erzählte er stockend und biss sich auf seine trockenen Lippen, die unter seinen Zähnen deswegen leicht knarrten. „Es waren nur zwei seiner Jungs, die mich verprügelt haben, soweit ich mich erinner’. Die anderen haben nichts gemacht.“ Dies war weder positiv noch negativ gemeint. Natürlich war es für ihn vorteilhaft gewesen, dass sie nicht auch auf ihn eingetreten hatten, aber sie hatten ihm auch nicht geholfen. Nicht, dass er es erwartet hätte. Mit den meisten hatte ihn ja doch nur die Szene verbunden und außer Nils, Christoph und Markus hatte er nie einen von ihnen als Freund bezeichnet. Der Gedanke an Nils schmerzte und er wandte seinen Blick wieder ab. „Scheiße“, hörte er Michael leise murmeln und sah aus den Augenwinkeln, wie dieser ihm etwas näher kam. Schon wenige Augenblicke später spürte er dessen Lippen auf seiner gesunden Wange und konnte sich nicht helfen, sich dabei unwohl zu fühlen. „Dann sei froh, dass du jetzt damit abgeschlossen hast“, murmelte Michael leise und löste sich wieder ein wenig. „Wo es jetzt eh fast jeder weiß, bräuchten wir uns auch nicht mehr zu verstecken.“ Thomas schnaubte leicht. Die Worte ließen ihn leicht wütend werden. Als ob ihn das jetzt am meisten interessierte. Als ob er das jetzt als wichtig empfand. Natürlich hatte Michael in gewisser Weise Recht, aber daran dachte er doch im Moment noch nicht. „Ich bin aber nicht froh darüber“, zischte er. „Das war verdammt noch mal mein Leben! Und das für 4 verdammte Jahre! Und ich hab mich da wohl gefühlt, auch wenn mir Scherer auf den Sack ging und ich vielleicht nicht der Superneonazi schlechthin war! Okay, mich hat die Politik vielleicht nicht so interessiert, wie sie es hätte tun sollen. Es war eher die Gemeinschaft, weswegen ich in der Szene war! Schön, aber das macht es mir jetzt nicht leichter, verstehst du?!“ Michael biss sich auf die Lippen. Natürlich konnte er verstehen, dass Thomas noch unter Schock stand und sich vielleicht innerlich verletzt fühlte, aber konnte er denn nicht einsehen, dass es so besser war? „Klar, versteh ich das. Aber du sagst doch selber, dass du nicht wirklich rechtsextrem warst, also ist es doch im Endeffekt besser so, oder nicht?“, versuchte er ihn zu beschwichtigen und merkte selber nicht, dass er mit seinen Worten genau das Gegenteil bewirkte. Vielleicht war er durch seine eigene Einstellung gegen Neonazis allgemein zu verblendet, um in diesem Moment einfühlsam genug sein zu können. „Verdammt, Michael“, schnauzte Thomas ihn harsch an. „Ich habe alles verloren, was mir wichtig war, abgesehen von meiner Familie und dir! Meine Einstellung, meine ganzen letzten Jahre und… Nils, mit dem ich schon in der Grundschule zusammengehockt habe. Was würdest du denn tun, wenn deine Freunde plötzlich nicht mehr deine Freunde wären? Sag schon! Nils und ich werden keine Freunde mehr sein und was mit Christoph und Markus ist, weiß ich nicht. Und jetzt hör auf, mir weismachen zu wollen, dass alles bestens sei! Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle!“ Seine letzten Worte hatten nicht nur zornig, sondern auch verzweifelt geklungen. Zittrig vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und atmete tief ein und aus, um sich selbst zu beruhigen und vor einem Gefühlkollaps zu retten. Michael blickte ihn starr an und fühlte sich mit jeder Sekunde schlechter. Er hatte alles nur von seinem Standpunkt aus gesehen. Nämlich, dass Nazis an sich eh scheiße waren und Thomas wirklich besser ohne sie dran war. Das war wahrscheinlich auch so, aber Thomas würde das im Moment wohl kaum so sehen. Mitleidig sah er Thomas an und wollte gerade einen Arm um ihn legen, als Thomas nur den Kopf schüttelte und ihn daran hinderte. „Geh bitte“, sagte er leise und Michaels Blick wurde erstaunter. Wieso sollte er jetzt gehen? Die Antwort kam schneller, als er dachte. „Ich ertrag es nicht“, murmelte er, „dich zu sehen…“ Das tat weh. Sowohl es zu hören, als auch es selbst zu sagen. Michael zuckte zusammen. „Was?“ „Geh verdammt noch mal“, wurde Thomas ein wenig aggressiver und klang dennoch dabei verzweifelt. „Ich kann dich im Moment nicht sehen.“ Michael schluckte hart und zwang sich dazu, keinen gebrochenen Prostest zu wagen. Es hatte wohl eh keinen Sinn, dem anderen seine Gesellschaft aufzuzwingen, auch wenn er das am liebsten tun würde. „Es tut mir Leid“, hörte er Thomas murmeln und hatte für einen kurzen Moment die Hoffnung, er würde es sich anders überlegen. „Aber es geht nicht anders… du bist der Grund für all das… du hast keine Schuld daran, ich geb’ dir auch keine, aber… ich kann dich nicht sehen… also geh jetzt… bitte.“ Die Worte trafen Michael wie ein Dolch ins Herz und verletzt stand er von dem Bett auf. Sein Blick haftete auf Thomas, welcher ihn immer noch nicht ansah und sein Gesicht hinter seinen Händen verbarg. War das jetzt ein endgültiger Schlussstrich? Oder nur eine vorübergehende Pause? Michael wusste es nicht und diese Ungewissheit tat verdammt weh. „Es tut mir Leid, was passiert ist“, sagte er noch leise und hob seine Schultasche wieder vom Boden auf. Er sah wie Thomas leicht nickte, jedoch nichts mehr sagte. Er kannte Thomas zu gut, um zu wissen, dass er jetzt eh nichts mehr bewirken konnte. Die Lippen aufeinander pressend und seine aufkeimende Verzweiflung unterdrückend, schulterte er seinen Rucksack und ging wortlos aus dem Raum. Seine Gedanken kreisten um das, was passiert war und das, was kommen würde. Er war so konfus, dass er gar nicht merkte, dass der Fahrstuhl bereits oben angekommen war und die Türen sich öffneten. Erst als eine ältere Dame ihn aufgrund der eigenen Schwerhörigkeit laut aufforderte, nun endlich einzusteigen, erwachte er aus seiner gedanklichen Trance. Thomas dagegen saß so, wie Michael ihn zurückgelassen hatte, auf dem Bett. Nur langsam senkten sich die Hände und der Körper kam wieder in Bewegung. Er konnte ebenso wenig wie Michael richtig fassen, was gerade zwischen ihnen passiert war. Nachdenklich und belastet stand er auf, schritt langsam auf das Waschbecken zu. Sein eigenes, lädiertes Gesicht blickte ihm aus dem Spiegel entgegen und so langsam realisierte er, was er gerade getan hatte. Natürlich wollte er Michael nicht wirklich verlassen. Es war auch kein Schluss gewesen, aber trotzdem hatte er ihn fortgeschickt. Die Nähe des Punks war unerträglich gewesen, doch genau jetzt sehnte er sich wieder danach, nur um sie wieder abstoßend zu finden, sobald Michael wieder im selben Raum war wie er. Er brauchte ihn und wollte gleichzeitig Abstand. Was war bloß los mit ihm, dass er seine eigenen Gefühle nicht mehr verstand und kontrollieren konnte? Wütend blickte er sich selbst im Spiegel an und verdammte sich dafür, dass er sich gerade selbst noch mehr wehgetan hatte, indem er Michael auf unbestimmte Zeit weggeschickt hatte. „Verdammte Scheiße“, zischte er sich selbst zu und schlug wütend mit der Faust gegen die gekachelte Wand um die Waschnische herum. Seine Hand puckerte quälend und der Schmerz zog sich bis zu seinem Ellebogen – und betäubte fast den Schmerz, der in seinem Inneren nagte. Wütend schlug er erneut gegen die Wand, verfluchte sich selbst für seine Schwäche. Mehrmals traf seine Faust auf die Kacheln, bis die Knöchel schon gerötet und aufgeschürft waren. Er wollte gerade zu einem weiteren Schlag ausholen, als er jemand seinen Namen schreien hörte und abrupt innehielt. Sein Blick glitt nach rechts von ihm, wo er seine Mutter stehen sah; mit einem entsetzten Blick im Gesicht. „Was tust du denn da?“, fragte sie ihn erschrocken. Er spürte, wie sein Kinn leicht zitterte und bemerkte erst jetzt, dass Tränen über seine Wangen gelaufen waren. Langsam ließ er seine bebende Hand wieder sinken; spürte den ungeheuerlichen Schmerz nun viel intensiver. Ein leises Schluchzen kam über seine Lippen und er sah seine Mutter auf sich zu gehen. Sie schien allein zu sein, wie er beruhigt feststellte. Denn seine Geschwister sollten ihn nicht so sehen müssen. Wortlos zog er seine Mutter an sich und vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter. Etwas, dass er sicherlich seit fünf Jahren nicht mehr gemacht hatte. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an sie und selbst das Weingeräusche aus seinem Mund drangen, störten ihn, nun, da ihre Arme sich um seinen größeren Körper schlossen, nicht mehr viel. Der innerliche Schmerz war zu groß und selbst die anschwellende Hand konnte dieses Gefühl nun nicht mehr tilgen. TBC So, das war das 23. Kapitel meiner "kleinen" Story *lach* Ich hoffe, es hat euch gefallen, auch wenn das Ende vielleicht nicht allzu positiv war. Aber keine Panik, es ist ja noch nicht vorbei xD Ich bedanke mich aber wieder mal für all die Kommis und hoffe, dass ihr euch diesmal fleißig welche schreibt :) Bis zum nächsten Kapitel, motte Kapitel 24: Ungewiss -------------------- Tagchen! xD~ *auf Uhr schau* Oder eher Nachtchen... wie man es nimmt *lach* So, wie versprochen, habe ich mich daran gehalten und auch diese Woche ein neues Kapitel für euch ;) Wir nähern uns also wieder den Anfangszeiten von "Wie Schwarz und Weiß", wo ich es wirklich zeitlich geschafft hatte, jede Woche ein Kapitel fertigzustellen. Fantastisch *_* Nun aber erst mal viel Spaß beim Lesen ^_^ Kapitel 24: Ungewiss Niedergeschlagen schloss Michael die Haustür auf und betrat den abgedunkelten Flur. Es tat weh, was Thomas zu ihm gesagt hatte. Auch wenn es vielleicht kein endgültiger Schlussstrich war; es fühlte sich an wie einer. Als er sich damals Hals über Kopf und gegen seinen Willen in Thomas verguckt hatte, hatte er sich gedacht, es gäbe nichts Schlimmeres als eine – wie er da noch dachte – Verliebtheit zu jemandem, der einen nicht zurücklieben sondern dafür hassen würde. Zwar hatte sich diese Vermutung als falsch herausgestellt, doch nun musste er feststellen, dass Schmerz in der Hinsicht steigerungsfähig war. Er wusste nicht, warum er vorher nie so empfunden hatte. Vielleicht hatten seine Exfreundinnen ihm nicht genug bedeutet oder aber die Gefühle waren schon vergangen gewesen, als bereits Schluss gewesen war. Zwischen ihm und Thomas hatte es ja nicht sonderlich lange gehalten, dachte er sich, als er langsam die Treppe hinauflief. Merkwürdiger Weise machte er sich keine Hoffnung, dass es irgendwie weitergehen würde. Vielleicht war das unbegründet, doch er konnte im Moment nicht anders, als schwarz zu sehen. Als er am Zimmer seiner Schwester vorbeiging, hörte er leise Musik durch die angelehnte Tür hinaus dringen. „Wir sind unzertrennlich. Wir sind unvergänglich. Wir sind unzertrennlich – in unserer Welt verloren. Wir sind unzertrennlich. Wir sind unvergänglich – in die Sekunde eingefroren… … endlich gefunden, was längst zusammen gehört…“ Ja, das hatte er über sich und Thomas auch mal gedacht. Und es stimmte irgendwie auch. Sie hatten wirklich in ihrer eigenen kleinen, perfekten Welt gelebt. Naiv genug zu glauben, dass niemand dies Welt je entdecken würde. Aber ein Geheimnis musste man versteckt halten. Kontinuierlich. Man durfte nicht schwach werden. Auch nicht nur einmal. Doch sie waren schwach geworden und das war eigentlich vorhersehbar gewesen. Denn je größer ein Geheimnis war, desto schwerer war es zu halten. Das war ihm jetzt klar geworden. „Hey Michi, stehst du schon lange vor meiner Tür?“, holte Carolinas Stimme ihn aus seinen Gedanken. Er bemerkte erst jetzt, dass sie vor ihm stand und ihr Lächeln einer besorgten Miene wich. „Warum weinst du?“, fragte sie ihn behutsam. Michael blickte sie verwirrt an. Weinte er denn? Seine Hand hob sich träge und seine Fingerspitzen berührten seine feuchten Wangen. Tatsächlich. „Was ist denn los?“, hörte er Carolina wieder fragen und presste ihre Lippen aufeinander. Zittrig sah er sie an. „Es ist aus“, sagte er apathisch und es war das erste Mal, dass er seine Gedanken in Worte fasste. „Aus und vorbei.“ Carolina runzelte die Stirn. „Was ist aus?“, wollte sie verwundert wissen. „Wovon redest du, Michi?“ Mal wieder hatte er vergessen, dass nicht jeder, eher kaum einer, von seiner Beziehung zu Thomas wusste. Und dass, wo er noch einige Minuten vorher über das Geheimnis darüber nachgedacht hatte. „Wegen Thomas“, murmelte er leise. „Diesem Rosner? Dem Nazi?“ Michael nickte langsam. Mitleidig sah sie ihn an. Auch wenn sie nicht wusste, worum es genau ging, musste etwas vorgefallen sein. „Willst du mir nicht die ganze Geschichte erzählen?“ Tröstend sah sie ihn an und öffnete die Tür einladend ein wenig weiter. Auf ihrem Bett stand eine Reisetasche, welche sie eigentlich hatte packen wollen, da sie morgen mit Martin für eine Woche wegfahren würde. Er hatte Semesterferien und sie hatte in dem Heim, wo sie in ihrem FSJ arbeitete, eine Woche frei bekommen können. Sie wollten an die See fahren; nur sie beide allein, ohne ihre Freunde. Doch daran dachte sie im Moment nicht; jetzt, wo sie ihren kleinen Bruder so aufgelöst vor sich sitzen hatte. Es war befreiend gewesen, mit Carolina über alles zu reden. Vom Anfang bis hier hatte er ihr alles erzählt. Wie er sich ungewollt angezogen gefühlt hatte, wie Thomas ihn zurückgewiesen hatte. Dass sie eine Beziehung hatten und dass andere Neonazis ihr Geheimnis schließlich entdeckt hätten. Sie hatte ihn sorgvoll angeblickt, als er ihr erzählt hatte, dass Thomas nun im Krankenhaus lag. Doch er glaubte nicht, dass ihm etwas Ähnliches passieren würde. Thomas war der ‚ ’Verräter’ nicht er, und sie wussten auch nur, dass er Punk war. Und davon gab es mehrere, auch mit Iro. Er hatte sie gebeten, ihren Eltern nichts zu sagen. Das würde er schon selber tun, doch wenn es mit Thomas nicht weiterging (er hatte es gegenüber Carolina so klingen lassen, als wäre schon Schluss), sah er auch keinen Sinn darin. Carolina war zunächst geschockt gewesen, vor allem weil Thomas ein Neonazi war oder eher gewesen war. Natürlich hatte sie sich immer gewundert, was dieser so oft bei ihnen getan hatte, aber auf eine Liebesbeziehung wäre sie wohl nie allein gekommen. Schließlich hatte sie dann aber zugeben müssen, dass Thomas zumindest gut aussah. Dies hatte Michael zumindest für ein paar Sekunden schmunzeln lassen. Nun war er auf dem Weg zum Jugendtreff, wo mittlerweile aber weniger ’normale’ Jugendliche als vor allem Punks rum hingen. Als ein neuer, zweiter Jugendtreff eröffnet hatte, waren nur sie und einige andere hier geblieben. Vom Weiten erkannte er Dennis und drei andere an der Treppe stehen. Ihm wurde mulmig, als er daran dachte, dass sie schon von ihm und Thomas wussten. Doch als er am Ende der wenigen Steinstufen angekommen war, drückte Dennis ihn auch schon leicht an sich und grinste ihn an. „Na, Michi, altes Haus! Alles klar?“ Michael versuchte es mit einem Lächeln, was aber etwas misslang. „Na ja, geht so. Bin etwas krank.“ Das war gelogen, aber mies fühlen tat er sich. „Ja, Patty meinte schon, du wärst von der Schule nach Hause gegangen!“, sagte Dennis und Michaels Herz sank zu Boden. „Hattest Kopfschmerzen oder so?“ Erleichtert sah Michael ihn wieder an. „Magenschmerzen“, murmelte er und Dennis klopfte ihm auf die Schulter. „Pat hat sicher wieder was falsch verstanden“, gluckste er. Michael versuchte erneut zu lächeln und ging an ihm und den anderen drei Punks vorbei. Im Gebäude ging er die Treppe hinauf in einen kleinen Raum mit Holzverkleidung an den Wänden. Hier stand ein Billardtisch, an dem zwei Jugendliche gerade spielten. Auf einem Sofa in einer dunklen Ecke sah er Patrick sitzen und der Musik im Raum lauschen. Tief atmete er ein. Am liebsten würde er jetzt wegrennen, doch er musste sich wohl oder übel seinen Freunden stellen, wenn er sie nicht verlieren wollte. „Hey“, sagte er leise, als er sich neben Patrick setzte. Irgendwie hatte er gedacht, Patrick würde vielleicht von ihm wegrücken, doch er war froh, dass dieser es nicht tat. „Danke, dass ihr Dennis und so nichts gesagt habt…“ „Wir sind Freunde“, meinte Patrick eisern, ohne ihn anzublicken. „Keine Arschlöcher.“ „Ich weiß“, erwiderte Michael betroffen. So hatte er das nicht gemeint. „Warum Rosner?“, fragte Patrick plötzlich. „Ich meine, es ist okay, wenn… du auf Männer… stehst. Komisch, aber okay. Aber Michi, warum so ’ne Nazisau?“ Er drehte seinen Kopf zu Michael und sein Blick war voller Unverständnis. „Ich bin nicht schwul. Eigentlich interessieren mich Kerle gar nicht… außer ihm, denke ich…“, rechtfertigte er sich, auch wenn das nicht die Frage gewesen war. „Und außerdem liebst du Lara doch auch nicht nur, weil sie Punk ist, oder?“ Er senkte seinen Blick; schaute auf seine Hände. „Natürlich nicht“, sagte Patrick. „Aber was hat Rosner? Er hat ’ne Scheißeinstellung und hat auch sonst nie sympathisch gewirkt. Du warst doch selbst total angeätzt, als du neben ihm sitzen musstest.“ Michael nickte langsam. „Da fand ich ihn ja auch noch scheiße“, erinnerte er sich. „Aber er ist anders, wenn man ihn kennt.“ Patrick sah nachdenklich aus. „Das muss er wohl“, murmelte er schließlich. Michael hob seinen Blick wieder und sah ihn ehrlich an. „Vielleicht würdest du auch mit ihm klarkommen“, überlegte er leise, „wenn du ihn mal kennen lernen würdest.“ Doch Patrick schien davon nicht sehr überzeugt zu sein. Skeptisch sah er Michael an. „Das bezweifel’ ich“, meinte er missmutig. Betreten senkte Michael wieder den Blick. „Man könnte es ja mal versuchen, oder?“, meinte eine diplomatische Stimme, die Michael als Laras ausmachte. Verwundert blickte er auf und bemerkte, dass Lara und Jan neben ihnen standen. Die beiden Jugendlichen vom Billardtisch waren bereits weg. Michaels Blick schwenkte zu Jan. Wie viel von dem Gespräch mit Patrick hatte er mitbekommen? Als er ein zaghaftes Lächeln auf Jans Lippen bemerkte, war er ein wenig erleichterter. „Werden wir sehen“, erwiderte Patrick auf Laras Worte und diese warf ihm daraufhin einen genervten Blick zu. „Kein Problem“, murmelte Michael, auch wenn es nicht danach klang und stand auf. „Das mit Thomas hat sich nämlich eh erledigt.“ Die Worte verletzten ihn immer noch und so versuchte er wenigstens den vorauszusehenden Fragen seiner Freunde zu entgehen. Schnell ging er in einen kleinen Raum gegenüber, wo ein Getränk- und ein Snackautomat standen. Bebend zog er sein Portemonnaie aus seiner Tasche und bemerkte, dass Lara ihm gefolgt war. „Was meinst du damit?“, fragte sie ihn verdutzt. „Ist denn was passiert?“ Michael schluckte hart und warf fünfzig Cent in den Automaten. „Ich habe Thomas im Krankenhaus besucht“, murmelte er leise und drückte auf den Button für Apfelschorle, obwohl er eigentlich eine Cola wollte. „Er wurde zusammengeschlagen. Von Scherer und so. Sie haben das mit uns rausbekommen.“ Rumpelnd landete die Flasche in dem Schlitzfach. Er blickte bewusst nicht zu Lara, um nicht ihre Reaktion sehen zu müssen. Er wollte nicht noch mal wie bei Carolina hören, dass sie sich um ihn sorgte. „Und dann hat er mich rausgeschmissen“, sagte er knapp und setzte sich mit der Flasche auf eine kleine rückenlose Bank, die an der Wand stand. Lara setzte sich neben ihn und sah ihn eindringlich an. „Er hat mit dir Schluss gemacht?“, fragte sie leise und legte einen Arm um ihn. Michael zuckte mit den Schultern. Hundertprozentig genau wusste er es ja nicht, aber es hatte in seinen Ohren irgendwie danach geklungen. Er spürte, wie Laras Finger sich auf seiner Schulter bewegten und musste ein wenig bitterlich lächeln. „Vielleicht erzählst du mir mal, was passiert ist?“, forderte sie ihn auf und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Michael schnaubte leicht. „Keine Ahnung. Ich hab ihn gefragt was passiert sei und wir haben dann darüber geredet. Ich habe ihm gesagt, dass er im Endeffekt froh sein kann, dass er die Idioten jetzt los ist. Okay, das war vielleicht ein bisschen zu krass, aber es ist doch irgendwie so… ich weiß, das ist mein Standpunkt, aber…“, er brach ab und starrte auf die Flasche in seinen Händen. Lara neben ihm atmete tief ein. „Ach Michi“, murmelte sie leise und schüttelte tröstend den Kopf. „Ihr Männer seid manchmal so unsensibel. Sogar untereinander. Schlimm ist das mit euch.“ Sie lächelte ihm zu und drückte seine Schulter leicht. „Es waren seine Freunde oder zumindest Leute, mit denen er sich gerne abgegeben hat. Er ist verletzt, weil sie ihm nicht geholfen haben und weil er natürlich auch nicht zurückkehren kann“, versuchte sie ihm beizubringen, wie Thomas sich wohl fühlen musste. „Er sagt doch selbst, dass die ihm alle egal waren, außer Lehmann und die beiden anderen da“, murmelte er sich verteidigend, auch wenn er längst wusste, dass Lara vollkommen Recht hatte. „Das macht es nicht leichter, oder? Ich meine, die Drei wird er sicher auch verloren haben.“ Michael nickte langsam und lehnte sich an die Wand; schloss die Augen für einen kurzen Moment. „Er hat gesagt, er kann es nicht mehr ertragen mich zu sehen“, erzählte er ihr leise und es versetzte ihm erneut einen Stich, diese Worte wiederzugeben. Seine Augen öffneten sich wieder und blickten Lara traurig an. „Hat er denn gesagt, dass es aus ist?“, fragte sie ihn vorsichtig und rückte etwas näher. Michael schüttelte den Kopf. „Ich kann verstehen, dass du fertig bist“, gab sie zu und lächelte abermals. „Aber ich glaube nicht, dass es etwas Endgültiges ist, Michi. Versteh ihn doch mal. Das alles ist ihm nur wegen dir passiert. Auch wenn du nichts dafür kannst und er das bestimmt auch weiß, erinnert dein Anblick ihn daran, was ihm passiert ist und deswegen will er dich im Moment nicht um sich haben…“ Unsicher sahen die grüngrauen Augen sie an. „Denkst du das wirklich?“ Lara nickte fest und grinste diesmal. „Ganz sicher! Wart einfach nur mal die Zeit ab.“ Auch wenn das verletzte Gefühl noch nicht weichen wollte, fühlte er sich nun doch etwas wohliger. Es war erstaunlich, was ein gutes Gespräch und ein Funken Hoffnung bewirken konnten. Ein leichtes Klopfen am Türrahmen ließ die beiden zur offenen Tür blicken. Patrick lehnte an dem Rahmen und Jan stand hinter ihm. „Alles okay?“, fragte Jan und lugte hinter Patricks Schulter hervor. „Ja, mach dir keine Sorgen“, erwiderte Michael noch ein wenig unüberzeugend. Jan grinste leicht. „Hätte ich mir eh nicht gemacht“, scherzte er augenzwinkernd. Michael schmunzelte zaghaft und blickte schließlich zu Patrick, welcher an ihm vorbei zu Lara sah. „Bist du noch sauer auf mich?“, fragte er ihn leise und eine etwas unangenehme Stille entstand, als Patrick nicht gleich antwortete. Doch dann schüttelte dieser seinen Kopf. „Mach dir da mal keine Sorgen“, erklärte er, dass er ihm nicht nachtragend war. „Hätte ich mir eh nicht gemacht“, zitierte Michael nach einem Augenblick und erhielt von Jan dadurch ein lautes Auflachen. „Ha, du klaust meine intelligenten Sprüche!“, beschwerte er sich neckend, was Michael zeigte, dass soweit alles wieder in Ordnung zu sein schien. Partrick gab Jan eine angedeutete Kopfnuss. „So intelligent war das nun auch nicht, Trottelchen!“ Jan plusterte seine Wangen auf und deutete an, in Patricks Ohrläppchen zu beißen, was er jedoch nicht wirklich tat. „Das sagst du nur, weil du mich so unbeschreiblich liebst!“, protestierte er und verschränkte grinsend die Arme, während Michael und Lara leise glucksten. „Oh, ganz bestimmt“. Patrick rollte die Augen. „Sollte mit Lara je Schluss sein, bist du an erster Stelle, Jan – an der ersten Stelle rückwärts.“ Am Mittwoch kam Thomas dann schließlich aus dem Krankenhaus. Mit dem Auftrag nächste Woche noch einmal bei seinem Hausarzt vorbeizuschauen, hatte der Stationsarzt ihn schließlich entlassen, da es ihm merklich besser ging. Zumindest körperlich. Mental war Thomas immer noch nicht gänzlich bei sich. Zu groß war der Schock über all das, was passiert war. Und innerlich bereute er es immer noch, dass er Michael im Krankenhaus weggeschickt hatte. Es war verzwickt, dass er sich wünschte, er wäre bei ihm und gleichzeitig hoffte, er könnte ihm noch etwas aus dem Weg gehen. Er wollte ihn nicht auch noch verlieren. Keineswegs. Aber es war schwer, jemanden bei sich zu haben, durch den man sich immer wieder an ein Unglück erinnert fühlte. Er fragte sich, ob er jemals wieder anders empfinden würde, denn die Vorstellung, dass dieser Stand anhalten könnte, erschien ihm grausam. Er musste an seine Mutter denken, die sich mittlerweile wieder frei mit seinem Vater unterhalten konnte. Als er sie und ihre Kinder verlassen hatte, war für alle eine Welt zusammengebrochen und trotzdem schien sie wieder in seiner Nähe sein zu können, während Thomas nicht mal ertragen konnte, wenn man über Gregor Rosner sprach. Lag es an ihm oder lag es daran, dass Gregor sie verlassen hatte? Michael hatte ihn nicht verlassen. Also hoffte Thomas einfach, dass sich dieses unwohlige Gefühl wieder legen würde. Wahrscheinlich würde das Gefühl, dass er ihn vermisste, irgendwann größer sein, als die Unbehaglichkeit. Nach einem T-Shirt suchend blickte er in den Spiegel, wo die Spuren vom Samstag noch deutlich zu erkennen gewesen waren. Es war, als würde sein Herz bei dem Anblick der bläulich violetten Wunden ein weiteres Mal brechen und dabei hatte er immer gedacht, so etwas würde einem nur bei dem Verlust einer großen Liebe passieren. Und da er nicht an die große Liebe glaubte, hatte er gedacht, es würde ihm nie passieren. Langsam ließ er seine Fingerspitzen über den leichten Striemen gleiten, der sich von seiner Hüfte bis zu seiner Brust hochzog und schon etwas verblasste. Trotz der leichten Berührung tat es immer noch weh und er sog zischend Luft ein. Kopfschüttelnd wandte er sich ab und zog sich schnell sein Shirt über. Auf dem schwarzen Stoff stand in weißen, gotischen Buchstaben „National“. Für einige Sekunden starrte Thomas ausdruckslos in den Spiegel. Dann griff er wütend nach dem Kragen und zerrte daran, bis der Stoff nachgab und das Kleidungsstück riss. Umständlich und zornig zog er den Riss bis zum Bund und schmiss das zerstörte T-Shirt zu Boden. Er war wohl kaum noch national. Selbst wenn er noch so denken würde, war er kein Neonazi mehr und es käme wohl nicht allzu gut, wenn er diese Shirts noch tragen würde. In einem Anfall von Wut und Verzweiflung riss er seinen Regalschrank auf, wo er diverse CDs, Bücher und Schriftstücke, ebenso DVDs mit neonationalsozialistischem Inhalt aufbewahrt hatte. Grob kehrte er die Sachen mit mehreren Handbewegungen aus dem Regal zu Boden. Klappernd kamen die CD-Hüllen am Boden auf und als er schließlich einige ausgedruckte Seiten aus Neonaziportalen im Internet in die Hände bekam, zerriss er diese aufgebracht in viele kleine Einzelteile, die sich dann verstreut in seinem Zimmer wieder fanden. Ein Buch aus neonationaler Sicht über das dritte Reich wurde Seite für Seite von seinem Umschlag gerissen, welcher dann kraftvoll an der nächsten Wand landete. DVDs folgten und schließlich konnte er nicht anders, als wütend auf all die CDs zu treten, die sich unter ihm befanden, bis ihre Plastikhüllen schließlich brachen. In seinem Wahn riss er all die CDs aus ihren zerstörten Hüllen und bog sie, bis sie brachen oder zumindest eindeutig unleserliche, weiße Stellen vorwiesen. Er merkte nicht, wie ihm erneut Tränen über die Wangen liefen und erst als sich ein salziger Tropfen von seinem Kinn löste und auf seine Hand tropfte, sank er langsam wieder zu Boden. Der rasende Zorn fiel wieder von ihm ab und ließ die Verzweiflung über all das, was er verloren hatte, zurück. Bebend vergrub er das Gesicht in seinen Händen und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. Wieso konnte er all das nicht vergessen? Am Wochenende ging es Thomas immer noch nicht wesentlich besser. Sein Hausarzt hatte ihn von der Schule freigestellt, so wie es eben häufig bei Menschen üblich war, die einen schweren Schicksalsschlag erlitten hatten. Und Thomas’ Hausarzt hatte es wohl so gesehen und Thomas angewiesen, erst mal wieder ins Reine zu kommen, auch wenn Thomas vor ihm abgestritten hatte, dass es ihm schlecht ging. Nun lag er auf seinem Bett und sah fern. Irgendeine dämliche Serie, die auf Nick lief und vor Spongebob Schwammkopf kam. Nicht, dass er so etwas unbedingt gerne sehen würde. Wenn überhaupt die Simpsons. Aber es kam sonst nichts Gescheites im TV und zur Ablenkung von seinen dunklen Gedanken nahm er auch damit vorlieb. Dass danach Spongebob Schwammkopf laufen würde, erinnerte er ihn wieder an Michael, der von sich behauptet hatte, jede Folge auswendig zu kennen – und den er mittlerweile ziemlich vermisste. Doch er wollte sich noch nicht bei ihm melden. Er war sich noch zu unsicher, ob er das, was passiert war, überhaupt richtig verarbeitet hatte. Und so wie er sich fühlte, war dem eher nicht so. Er wollte nicht irgendwas zwischen ihm und Michael zerstören, indem er etwas Falsches sagte oder tat, nur weil er noch nicht mit allem abgeschlossen hatte. Der ganze neonationalistische Kram war in der Mülltonne gelandet und er hatte feststellen müssen, dass er nun kaum noch Oberteile besaß. Die Jeanshosen hatte er bis auf eine besonders Enge, in der sich nie wohl gefühlt hatte, natürlich behalten können, denn Jeanshosen trug nun mal fast jeder. Was er mit den Springerstiefeln machen würde, wusste er noch nicht. Sie eigneten sich sicher gut für Konzerte, auch wenn er sich fragte, auf welche Konzerte er überhaupt noch gehen sollte. Vielleicht sollte er irgendwann wieder anfangen, Deutschrock zu hören. Bands wie Rammstein und einige andere hatte er ja auch weiterhin gehört und vielleicht würde er sich auch mit einigen Rockbands wieder anfreunden können, die er vor seinem Abrutsch in die Szene gehört hatte. Es war, als würde man wieder komplett von Null anfangen und das war schwerer, als man es sich je vorstellen würde. Zumal Thomas sich nie wirklich Gedanken gemacht hatte. Denn obwohl ihm mittlerweile klar geworden war, dass die Neonaziszene ihn nicht wirklich ausgefüllt hatte oder gar seine ganze Meinung gewesen war, war ihm auch nicht vorher der Gedanke gekommen, dass er aussteigen könnte. Das Öffnen seiner Zimmertür holte ihn aus seinen Gedanken und er sah seinen Vater in sein Zimmer kommen. Sein Gesicht verzog sich ein wenig. „Benni hat gesagt, du hast noch ein Spiel, das du ihm mitgeben wolltest?“, begründete er sofort sein Reinkommen, ohne seinen ältesten Sohn zu begrüßen. Thomas nickte und stand auf. Wäre es jemand anders aus seiner Familie gewesen, hätte er ihnen gesagt, wo sie das Spiel finden konnten, aber er wollte nicht, dass sein Vater an seine Schränke ging. „Deine Mutter hat mir erzählt, was passiert ist“, begann Gregor schließlich und Thomas zuckte ein wenig zusammen, reagierte aber sonst nicht darauf. „Du siehst schlecht aus.“ „Spar dir dein Mitleid“, entgegnete Thomas kühl und öffnete das CD/DVD-Laufwerk an seinem PC, um das Spiel hinauszunehmen. Gregor schwieg für einen kurzen Moment und ließ sich von Thomas, der die CD noch schnell in eine Hülle packte, das Spiel reichen. „Aber es ist gut, dass du jetzt aus der Szene hinaus bist“, startete Gregor erneut ein Gespräch und sah Thomas eindringlich an. „Vielleicht können wir beide uns ja nun auch mal wieder unterhalten.“ Thomas schnaubte leicht. Er war sich sicher, dass seine Mutter ihn darauf angesetzt hatte. „Ach so, jetzt, wo ich kein kleiner Nazi mehr bin, bin ich plötzlich wieder interessant?“, fragte er spitz nach und griff nach dem Türblatt. „Wenn man sich schon verpisst, sollte man sich nicht wundern, wenn Einiges anders ist, wenn man zurückkommt. Du hättest dich jederzeit mit mir unterhalten können. Auch wenn ich ein Nazi war, war ich auch dein Sohn und leider bin ich es noch. Aber ich bin mit dir fertig, Gregor. Nur weil ich jetzt nicht mehr dazu gehör’, ändert sich zwischen uns nichts.“ Eisern blickte er ihn an. „Da musst du dir schon mehr einfallen lassen, als mir nur zu sagen, dass ich ja jetzt wieder nett genug bin, dass du dich mit mir abgeben kannst.“ Wütend knallte er seinem Vater die Tür vor der Nase zu und starrte schließlich das helle Holz; wartete, ob sein Vater etwas sagen würde. Doch es kam nichts. Und allein die Tatsache, dass sein Vater es nicht noch mal versuchte, sondern anscheinend einfach aufgab und weglief, wie er es doch so gut konnte, bewies Thomas, dass er es nicht allzu ernst gemeint hatte. Vielleicht würde sich ihr Verhältnis eines Tages noch ändern, aber nach all den Jahren, in denen er entweder angeschrieen oder ignoriert wurde, musste da schon eine größere Geste kommen als nur ein paar kleine Worte, die anscheinend nicht mal ehrlich waren. Nur wenige Stunden später klingelte es an der Haustür und Thomas stand genervt auf. Für einen kurzen Moment überlegte er, ob er so tun sollte, als ob er nicht da wäre, denn immerhin war er allein Zuhause und eigentlich nicht in der Stimmung für Besuch. Doch dann kam ihm der Gedanke, dass es Michael sein könnte. Auch wenn er sich weiterhin nicht gut fühlte, konnte er nicht leugnen, dass er sich freuen würde ihn zu sehen. Aber als er schließlich an der Haustür ankam, konnte er durch die kleinen Glaselemente bereits einen schwarzen Pulli unter einer indigoblauen Stoffjacke ausmachen und ebenso einen kahl rasierten Schädel. Thomas’ Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen und seine Hand auf der Klinke rührte sich kein bisschen. Ein nervöses Gefühl zog sich durch seinen Magen und er fragte sich, wer das war und was diese Person von ihm wollte. Als ein weiteres Mal der Klingelton erklang, zuckte Thomas zusammen. Tief atmete er ein. Was soll’s, dachte er sich und hoffte einfach, dass keiner von Scherers Jungs vor der Tür stand. Dennoch öffnete er sie nur ein Stück, um im Zweifelsfall die Tür schnell wieder schließen zu können. Als er jedoch das Gesicht vor ihm erkannte, war er zumindest für einen Moment erleichtert. Es war Christoph und hinter diesem sah er Markus, der sich an seinem Kinn anscheinend einen kleinen Bart züchtete. Das sah im Anbetracht seiner sonstigen Kahlrasur ein wenig ulkig, aber dennoch irgendwie gut aus. „Hey“, begann Christoph zu sprechen und steckte seine Hände leger in seine Hosentaschen. „Wir dachten, wir besuchen dich mal. Siehst echt scheiße aus.“ „Danke“, erwiderte Thomas nüchtern und machte etwas Platz, um die beiden einzulassen. „Ihr habt also davon gehört?“ Ihm war durchaus bewusst, dass der Vorfall von letzter Woche in ihrer Szene wahrscheinlich schon die Runde gemacht hatte. „Jepp. Tobias hat es uns erzählt“, erzählte Christoph und zuckte mit den Schultern. „War irgendwie total komisch, sein Gesicht war total panisch, aber erzählt hat er es uns total lässig.“ (’Total’ scheint sein Lieblingswort zu sein) „Er ist eben ein kleiner Mitläufer“, meinte Markus in einem sachlichen Ton und schloss die Tür hinter sich. Thomas drehte sich zu ihm und sah ihn schweigend an. Waren sie das nicht alle gewesen? Wie viele Neonazis, die er kannte, waren richtig national? Das war schwer einzuschätzen, fand er, aber ihm war klar geworden, dass es vom Skinhead, was er vorher gewesen war, zum Neonazi kein weiter Weg war, da beide Szenen ähnliche charakterliche Merkmale aufwiesen. Der größte Unterschied war aber der Fremdenhass und genau da war Thomas sich nicht so sicher, ob er nicht nur mitgelaufen war, so obskur das in dem Zusammenhang auch klang. Die Szene hatte ihm den Halt gegeben, den er ein halbes Jahr nach dem Verschwinden seines Vaters gebraucht hatte, wann immer seine Mutter heulend vor ihm gesessen hatte, wo er doch noch nicht mal sechzehn Jahre alt gewesen war. Oder Nils, dessen Vater früher oft die Hand ’ausgerutscht’ war. Er schien den Nationalsozialismus zwar ernst zu meinen, aber hatte er das schon mit sechzehn gewusst? „Worüber denkst du nach?“, hörte er Markus fragen und sah schließlich wieder zu diesem. Bei Markus’ Familie hatte sich viel verändert, nachdem seine damals siebenjährige Schwester tödlich von einem Auto angefahren worden war. „Nur darüber, warum wir eigentlich so geworden sind“, gab er ehrlich zu. Sein Blick schwenkte zu Christoph und ihm kam der Gedanke, dass dieser wahrscheinlich Nils, ihm und vor allem Markus in die Szene gefolgt war, aus Loyalität, immerhin waren sie seine Freunde gewesen. Auf der Realschule, wo sie sich kennen gelernt hatten, war Christoph teilweise von Mitschülern gemobbt worden, auch wenn Thomas nie verstanden hatte, warum. Christoph war nicht dumm und auch nicht hässlich, doch im fünften Schuljahr war sein Vater arbeitslos gewesen. Wahrscheinlich hatte es daran gelegen, dass die Familie in der Zeit weniger Geld hatte und Christoph daher nicht so aktuelle oder tolle Sachen. Und irgendwie war diese Stimmung der Klasse auch bis zum Ende des achten Schuljahrs angehalten, obwohl Christophs Vater schon längst wieder Arbeit hatte. „Und findet du eine Antwort darauf?“, fragte Christoph ihn und Thomas nickte leicht. „Ja, wahrscheinlich schon“, sagte er und sah Christoph leicht lächeln, als ob dieser es schon selbst wüsste. Thomas fiel ein, dass sie sich bereits über längere Zeit von den anderen Neonazis distanziert hatten. „Was wollt ihr eigentlich hier?“, fragte er plötzlich. Nachdenklich blickte Michael an die Decke über seinem Bett und wiederholte sein Gespräch mit Lara in seinem Kopf. Es hatte ihm abermals die Augen geöffnet, wie es Thomas gehen musste. Erneut bereute er seine Worte im Krankenhaus, wo er sich eher wie ein unbeteiligter Besserwisser als wie ein Freund aufgeführt hatte. Die Tage hatte er darüber nachgedacht, was er gemacht hätte, wenn Leute wie Dennis und andere vom Jugendtreff ihn zusammengeschlagen hätten und Patrick und Jan ihm dabei nicht zur Seite gestanden hätte. Er war sich sicher, dass er daran zugrunde gegangen wäre. Nun, vielleicht nicht wirklich zugrunde, aber er konnte verstehen, dass Thomas’ ganze Welt nun Kopf stand. Auch wenn Thomas einer Subkultur angehört hatte, welche er (und fast jeder andere Otto-Normal-Bürger) verabscheute, so konnte er die Bindung irgendwie nachvollziehen, denn ihm würde es auch schwer fallen, das Punk-Sein aufzugeben (auch wenn er ja immer noch überzeugt davon war, dass Thomas nicht einmal halb so sehr Neonazi gewesen war, wie er Punk war, womit er vielleicht Recht haben könnte). Angefangen hatte es bei ihm alles mit einfacher Rockmusik, schon als er zwölf gewesen war. Mit dreizehn hatte er das erste Mal bewusst den Punk wahrgenommen und mit vierzehn hatte er das erste Mal die Sex Pistols gehört. Immer weiter hatte er sich mit dem Punk und der Anarchie auseinander gesetzt und es irgendwann gut gefunden, sodass er langsam anfing, sich anders zu kleiden. Dann hatte er Patrick kennen gelernt, der damals noch zum Gymnasium ging (er war mit Lara in einer Klasse gewesen, ist aber aus Faulheit runtergeflogen) und nur ein halbes Jahr später zog Jan in die Stadt, kurz vor Michaels fünfzehnten Geburtstag. Ab da begann er sich deutlich auffälliger zu kleiden und die ersten Ohrringe und bunten Haare kamen. Mit sechzehn machte er sich seinen ersten Iro und das Lippenpiercing. Punk war ab da irgendwie sein Leben. Anarchie war verlockend, da er noch nie viel von Vorschriften gehalten hatte. Besonders nichts von denen, die seine Eltern ihm immer nahe gelegt hatten und von denen er sich eingeengt und wie in Watte gepackt gefühlt hatte. Es begann wie eine unterschwellige Rebellion gegen gesetzte Schranken und wurde zu einer Lebenseinstellung. Dabei hatte er es auch in Kauf genommen, das Verhältnis zu seinen Eltern anzugreifen und war sogar ein wenig von trotzigem Stolz erfasst gewesen, wenn sie sich über ihn als Punk aufregten. Mittlerweile kam ihm das natürlich lächerlich vor und seine Eltern und er verstanden sich wieder besser. Jan war es als Einzelkind ähnlich gegangen und bei Patrick war es vielleicht eine Reaktion auf die Scheidung seiner Eltern gewesen. Das klang ein wenig so, als würden sie nur aus Protest Punk sein und vielleicht hatte es auch so angefangen, doch mittlerweile war es eine Lebenseinstellung, die wohl keiner von ihnen wieder missen wollte. Die Punk-Szene war ein Teil seines Lebens und vielleicht war es Thomas auch so gegangen – und nun hatte er diesen Teil verloren. Michael konnte sich vorstellen, wie weh das tun musste, denn allein der Gedanke brachte einem ein mulmiges Gefühl. Trotzdem fragte er sich, ob Thomas trotz allem weiter diese Grundeinstellung der Nazis beibehalten würde. Eigentlich konnte er sich das nicht vorstellen, denn seit er Thomas kannte, hatte er nicht das Gefühl, dass dieser zu der Nazisorte á la Matthias Scherer gehörte. Aber er konnte nicht in ihn hereingucken und nicht sicher sagen, ob Thomas wie so viele Anhänger dieser Szene nur ein Mitläufer gewesen war oder diese Szene als Lebenseinstellung gesehen hatte, so wie er den Punk sah. Er wusste nur, dass er ihn vermisste und ihn gerne sehen würde. „Hatten wir nicht gesagt, dass wir dich besuchen wollten?“, erwiderte Markus auf Thomas’ Frage, warum sie hier waren. War das denn nicht offensichtlich? Immerhin waren sie doch Freunde. „Sei nicht so verdammt misstrauisch“, setzte er noch hinterher, was ihm einen gereizten Blick von Thomas einbrachte. „Nach allem, was war, vor allem auch mit Nils, kann ich das ja wohl sein!“, sagte dieser etwas lauter. „Natürlich“, stimmte Christoph ihm zu. „Aber setz uns nicht mit Nils gleich. Wenn der eben mehr zu Scherer und so hält, können wir da auch nichts für. Aber von Scherer haben wir doch eh nie viel gehalten, oder?“ Thomas blickte ein wenig unsicher zu ihm. Hieß das also, sie würden zu ihm halten und ihm nicht wie Nils den Rücken kehren? Die Frage schien ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben, denn Markus und Christoph grinsten nur. „Wir sind Freunde, okay?“, wollte Markus ihm anscheinend damit eine Antwort geben. Thomas sah ihn deutlich dankbar an und biss sich auf die Lippe. Es tat gut, so etwas zu hören und nach den letzten Tagen voller schlechter Gedanken und großen Änderungen, hätte er nicht in Worten ausdrücken können, wie viel es ihm bedeutete, dass sich wenigstens dieser kleine Teil seines Lebens nicht geändert hatte. Trotzdem kam ihm der Gedanke, ob sie von Michael wussten und was sie darüber denken würden. „Wisst ihr denn, warum das passiert ist…?“, fragte er daher leise und hoffte, dass sie verstanden, was er meinte. Und das taten sie offensichtlich, denn ihre Gesichter erschlafften mit einem Mal zur Ausdruckslosigkeit. „Sollen wir das wirklich hier im Flur klären?“, fragte Markus dagegen und Thomas konnte nicht verhindern, unruhig zu werden. Gemeinsam gingen sie in die Küche und Thomas setzte sich schließlich gegenüber den beiden an den Tisch. Er sah die beiden Blicke austauschen und Christoph tief einatmen, bevor er zu sprechen begann: „Ja, Tobias hat es uns auch erzählt.“ Thomas senkte seinen Blick ein wenig, sodass er eher auf Christoph Schlüsselbein starrte, nur nicht in dessen Augen. Unsicher fuhr er sich mit den Händen über die Oberschenkel. „Es war nicht geplant oder so“, begann er einen Erklärungsversuch und ließ eins seiner Beine auf und ab wippen. „Und ich bin auch nicht schwul oder so! Auf keinen Fall, aber irgendwie… ich hab keine Ahnung, es ist einfach passiert. Ich wollte es eigentlich gar nicht und am Anfang fand ich ihn auch widerlich dafür, nur dann…“ Er brach ab und starrte in eine komplett andere Richtung; und wäre am liebsten weggerannt. Es war schwer zu erklären, dass er weder wirklich homo- noch bisexuell war, obwohl er im Moment eine homosexuelle Beziehung führte. Denn Männer an sich fand er eigentlich gar nicht anziehend. Wenn er Christoph und Markus oder andere ansah, betrachtete er sie nicht einmal in einem sexuellen Aspekt. Und trotzdem war es ihm passiert, sich in einen anderen Jungen zu verlieben. Vielleicht liebte man in manchen Fällen einfach die Seele und mit dem Körper arrangierte man sich? Klang ziemlich unromantisch und ob das wirklich Sinn ergab, wusste er auch nicht. Immerhin liebte er mittlerweile auch Michaels Körper, aber tat er das nur, weil er diesen als Menschen liebte? Irgendwie ergab das gerade nur ein verwirrendes Gedankenknäuel. „Thomas? Bist du noch da?“, holte ihn Christophs Stimme aus seinen Gedanken zurück. „Der frönt seinen sexuellen Fantasien“, meinte Markus eindeutig scherzend. „Als ob er dann so grübelnd gucken würde“, erwiderte Christoph nüchtern, was Thomas’ Mundwinkel ein wenig zucken ließ. „Nein, ich habe darüber nachgedacht, wie ich es euch am besten erklären kann“, gab Thomas ehrlich zu, der eh keinen Sinn mehr darin sah, etwas zu beschönigen und zu verschweigen. „Wir sind nicht blöd, Thomas, wir haben das schon verstanden“, sagte Christoph und lehnte sich entspannt zurück, „aber ich würd’ trotzdem gerne wissen, wie du ausgerechnet auf ’ne Zecke kamst.“ Für einen kurzen Augenblick sah Thomas ein wenig teilnahmslos aus. Dann schien er zu überlegen. „Hm“, machte er grübelnd und zuckte mit den Schultern. „ Weiß man immer, warum man sich verliebt? Ich hätte nie gedacht, dass mir das passiert und hätte es auch nie gewollt, aber irgendwie kann man das schlecht steuern.“ Christoph blickte ihn ernst an. „Stimmt schon, aber irgendwas muss er doch an sich haben, oder? Immerhin seid ihr politische Gegner oder zumindest wart ihr es…“ Graue Augen blickten gedankenvoll in Braune. „Nun, auf jeden Fall ist er anders, wenn man ihn kennt“, sagte Thomas und stützte sein Kinn auf seine Hand. „Durch den Unterricht wurde er mir ja praktisch aufgezwungen und man verliert gewisse Vorurteile. Irgendwann fand ich ihn gar nicht mehr so übel, auch wenn ich ziemlich sauer war, als er mich das erste Mal geküsst hatte…“ „Wir kennen dich ja. Der arme Kerl“, warf Markus prustend dazwischen und Thomas musste ein wenig schief grinsen. „Es hat sich also eigentlich einfach so entwickelt“, stellte Christoph schlicht fest und überraschte Thomas damit ein wenig. Er hätte nicht gedacht, dass sie sich so schnell damit zufrieden geben würden. „Genau, Schwamm drüber“, bestätigte Markus Christophs Worte. „Wir müssen uns ja nicht mit ihm anfreunden, nicht? Und außerdem muss ja wenigstens Einer von uns jemanden haben, und wenn’s ’ne männliche Zecke ist!“ Aufmerksam lauschte Thomas und blickte Markus verwundert an. „Was ist mit Saskia?“, fragte er. Markus seufzte und winkte genervt ab. „Hab sie abgeschossen. Ihre Eifersüchteleien gegenüber Christoph und auch manchmal anderen ging mir auf den Sack. Keine Ahnung, was die immer wollte. Wir haben uns nur noch gestritten. Auch wenn ich fast ständig bei ihr war, hat sie nur gemeckert“, erzählte er und klang dabei zunehmend gereizter. Thomas kam das ziemlich bekannt vor. Zwar war es bei ihm mit Saskia nicht so ausgeartet, aber sie hatte ihm auch jedes Mal misstrauische Fragen gestellt, wenn er mal keine Zeit für sie hatte. „Na ja, so ist Saskia halt“, murmelte Thomas und streckte sich ein wenig. Nun, da er wusste, dass Christoph und Markus weiterhin seine Freunde bleiben würden, fühlte er sich das erste Mal seit letztem Sonntag frei. „Lust heute Abend auf ein paar Bierchen zu bleiben?“, fragte er und grinste – das erste Mal seit einer Woche, dass dies keine aufgesetzte Grimasse war. „Das fragst du noch?“, gab Markus zurück und erwiderte sein Grinsen. Leise lachend stand Thomas auf und lief schnell in den Keller, um erst mal drei gekühlte Bierflaschen hoch zu holen. „Und worauf trinken wir?“, fragte er, als er die Flaschen auf den Tisch stellte und Christoph begann, diese mit seinem Feuerzeug zu öffnen. „Auf gute Freunde, verlorene Liebe,… hm, auf neue Ziele?“, schlug Markus mit einem Lachen vor. „Hast du wieder die Onkelz gehört?“, fragte Thomas schmunzelnd und nahm sein Bier. „Was ist mit den alten Göttern?“ „Die Kirche war noch nie mein Ding“, sagte Markus und gluckste leise. „Trinken wir doch einfach darauf, dass wir keine Nazis mehr sind“, schlug Christoph vor und Thomas sah ihn erstaunt an. Wenn er so darüber nachdachte, war es erstaunlich, wie unauffällig die beiden aus der Szene verschwunden waren. Aber sie hatten sich einfach so langsam distanziert, dass es keinem aufgefallen war. Das hätte er auch tun können, doch der Gedanke war ihm nicht gekommen. Er war wohl zu engstirnig gewesen. Aber nun war es auch vorbei, wenn auch auf die harte Tour; was immer noch wehtat, doch der Schmerz wurde leichter. „Ja, lass uns darauf trinken“, stimmte er zuversichtlich zu und stieß mit ihnen an. TBC Wie ihr seht, wollte ich Thomas wenigstens ein paar Leute lassen und es schien mir nicht ganz unrealistisch, gerade Christoph und Markus dafür zu nehmen, da die beiden ihm ja schon vorher nahestanden und sich - wie ich immer etwas angedeutet hatten - eigentlich auf langsamen Wege von der Szene distanzierten. Trotzdem kam mir die Idee, dass sie Thomas' Freunde bleiben würden, erst spontan, denn erst wollte ich ihn wirklich vollkommen fallen lassen. Das hier ist aber eine bisschen bessere Variante, wie ich finde. Hiermit habe ich im Übrigen das letzte Kapitel dieser Story veröffentlicht. Aber bevor gleich welche in Ohnmacht fallen (*scherz*) oder fragen, was denn jetzt mit Michael und Thomas sei - keine Panik, es gibt noch einen Epilog. Also könnt ihr euch noch auf einen weiteren Teil freuen ^_~ Bis dahin erhoff ich mir dann mal Kommis, Kritik, was auch immer ihr loswerden wollt, aber bitte weder Liebesbriefe noch Heiratsanträge *smirk* Ein paar Packungen Ricola Kräuterzucker Original fänd ich aber klasse *lach* Grüße, motte Epilog: Wenn du wirklich willst ------------------------------- Hallöchen Leserschaft xD~ (ah, zum guten Ende werde ich fast noch förmlich *lol*) Jetzt ist es soweit. Der Epilog von "Wie Schwarz und Weiß" steht an und irgendwie hatte ich, als ich die Geschichte vor fast 1,5 Jahren angefangen habe, nicht damit gerechnet, dass die Story so gut ankommen würde. Wie schon viele angemerkt haben, ist die Thematik ja auch mal ein wenig gewagt gewesen und ich glaube, auf mexx gibt es bisher auch keine Story, in der ein Neonazi und ein Punk sich ineinander verlieben - zumindest nicht, dass ich wüsste. Vielleicht sollte ich mal danach suchen gehen *lach* Hiermit endet die Geschichte also und es wird logischerweise keine weiteren Kapitel und auch keine Fortsetzung geben. Ihr werdet mir sicher zustimmen, dass eine Fortsetzung das Original manchmal auch ein bisschen "kaputt" machen kann. Ich möchte aber, dass die Story als gute Geschichte endet, schon allein deswegen, weil ich von A bis Z alles selbst erfunden habe. Das werdet ihr sicher verstehen. Aber nun sollt ihr erst mal viel Spaß mit dem Epilog haben. Epilog: Wenn du wirklich willst Lächelnd ging Michael an dem schwarzen Golf vorbei, welcher am Waldrand geparkt war und ging schnellen Schrittes in den Wald hinein. Es war nun fast drei Wochen her, dass Thomas verprügelt worden war und sie hatten seitdem keinen Kontakt mehr gehabt. Und mittlerweile hatte er beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und nicht mehr zu warten. Wenn Lara Recht haben sollte, und Thomas wirklich nur Zeit brauchte, dann könnte er es ihm ja heute auch einfach noch mal sagen. Er war zunächst zu Thomas nach Haus gefahren, doch dessen Mutter hatte ihm gesagt, dass Thomas weggefahren war und wahrscheinlich hier nachdenken würde. Also hatte er sich den Bus gesetzt und war die letzten Meter gelaufen. Irgendwie kam er sich fast heldenhaft vor, wie er jetzt über das knackende Unterholz lief und sich alle zwei Sekunden irgendwelches Viecherzeugs aus dem Gesicht schlagen musste, da er sonst das Gefühl hatte, eine Mücken- und Insektenmasse zu schlucken, die ein halbes Kotelette hätte bilden können. Doch schließlich erreichte er das Ende des recht schmalen Waldes und sah schließlich jemanden auf einem dem großen Steinvorsprung sitzen, kurz bevor die Erhöhung sich wieder senkte (von Hügeln oder gar Bergen konnte man nicht sprechen, das meiste war flach und es gab minimale Erhöhungen, auch wenn diese vielleicht doch schon als kleiner Hügel durchgehen konnte, zumindest empfand Michael das so, nachdem er durch den Wald diese Erhöhung hinauf gelaufen war). Als er näher trat erkannte er an der Haltungsweise, aber auch an dem Körperbau, dass es Thomas war. Unter seiner schwarzen, dünnen Jacke trug er anscheinend einen leichten, dunkelblauen Kapuzenpulli und dazu wie üblich Jeans. Es war merkbar kühler geworden, wo der September sich nun bald zu Ende neigte. Zögerlich ging er weiter auf Thomas zu und war sich sicher, dass dieser ihn schon bemerkt haben musste, doch der Ältere drehte sich nicht um. Schließlich stand Michael direkt hinter ihm und er konnte an Thomas’ Körperhaltung sehen, dass diesem durchaus bewusst war, dass er nicht allein war und vielleicht wusste er auch schon, dass es Michael war, denn er zeigte keinerlei Überraschung, als Michael sich seitlich neben ihn setzte und seine Beine unter sich verschränkte. „Hi“, murmelte Michael leise und sah ebenso wie Thomas geradeaus. Dieser senkte seinen Blick auf seine verschränkten Arme, welche auf seinen angewinkelten Knien Platz gefunden hatten. „Hi“, gab er ebenso leise zurück und bemerkte schließlich Michaels Blick auf sich. Für einen Moment schwiegen sie und Michael blickte auf das millimeterkurze, dunkle Haar, das sich in Stoppeln über die sonst so glatt rasierte Haut gezogen hatte. „Sehr viel länger werd ich sie nicht werden lassen“, murmelte Thomas, der Michaels Verwunderung darüber anscheinend bemerkt hatte. „Ich habe den gleichen Braunton wie Benni und mir stand das noch nie.“ Michael erlaubte sich ein leichtes Lächeln. „Wie geht es dir?“, fragte er leise. Thomas blickte weiterhin geradeaus. „Es geht so. Aber ich komm schon klar.“ Wenn du wirklich willst, versetzt du Berge. Wenn du wirklich willst, werden aus Riesen Zwerge. „Wirklich?“ Michael sah ihn besorgt an. Mittlerweile hatte durch Lara und auch durch Selbsteinsicht verstanden, was Thomas hatte durchmachen müssen und er fragte sich, ob man das wirklich so einfach wegstecken konnte, wie es bei dem Älteren nun gerade den Anschein machte. Wenn du wirklich willst, heilen deine Wunden. Wenn du wirklich willst, werden aus Stunden Sekunden. „Es tut verdammt weh, immer noch“, gab Thomas zu und Michael konnte ihn hart schlucken sehen. Die grauen Augen senkten sich wieder und blickten auf Thomas’ Hände, welche sich nervös immer wieder ineinander verschränkten und trennten. „Aber es wird leichter… mit der Zeit. Du musst dich damit abfinden. Es geht ja auch nicht anders. Ich kann nicht zurück und mittlerweile will ich es auch gar nicht mehr. Trotzdem tut es scheiße weh, wenn du verlassen wirst und… gedemütigt… aber ich komm damit klar. So langsam…“ Michael sah ihn schweigend an und legte vorsichtig eine Hand auf seine Schulter. Er wusste nicht, ob Thomas dies schon recht war, weshalb er ihn ein wenig unsicher anblickte, doch dieser reagierte in keiner Weise darauf. „Es tut mir Leid, … für dich“, begann er langsam zu sprechen und wünschte sich, Thomas würde ihn dabei ansehen. „Was ich im Krankenhaus gesagt habe, war nicht fair. Das ist mir mittlerweile klar und-“ „Ist doch egal“, meinte Thomas abweisend. „Nein, ist es nicht. Ich bin dein Freund und ich hätte dir mehr zuhören sollen“, erklärte Michael einsichtig und nahm die Hand wieder von der Schulter des Größeren. Thomas schnaubte leicht, was sich wie ein bitteres, unterdrücktes Lachen anhörte. „Ich habe dich ja nicht mal gelassen.“ Michael sah ihn still an. Was sollte er jetzt darauf sagen? Wenn er sagte, dass das stimmte, verletzte er Thomas vielleicht noch mehr; wenn er sagte, dass es nicht stimmte, dann würde er lügen. Wenn du wirklich willst, lernst du zu fliegen. Wenn du wirklich willst, lernst du dich zu lieben. Wenn du wirklich willst; wenn du wirklich willst, gehst du den weglosen Weg. Wieder schwiegen sie eine Weile und Michael war sich nicht sicher, was er von dieser Stille halten sollte. Irgendwie machte sie ihn nervös und gab ihm das Gefühl, unerwünscht zu sein. „Du hast dich lange nicht gemeldet“, versuchte er schließlich ein Thema anzuschneiden, worum es ihm vor allem ging; nämlich, ob sie überhaupt noch ein Paar waren. Denn Thomas hatte sich in der ganzen Zeit kein einziges Mal gemeldet. Er sah, wie dieser sich etwas mehr anspannte und hörte ein leises Seufzen. „Ich weiß“, sagte Thomas schließlich und seine Stimme klang nun ein wenig rau. „Tut mir Leid; ich hätte mich melden sollen. Aber ich wusste nicht…, irgendwie war da eine Blockade… in mir selbst. Ich musste erst mal mit allem fertig werden, was passiert war und mich selbst wieder einordnen. Weißt du, es ist schwer… wenn man jahrelang an etwas geglaubt hat, selbst wenn man nicht mit Herzblut dabei war, …da einfach rauszufallen. Das zieht einen wirklich runter. Du weißt nicht mehr, was du bist und wer du bist und wie du weitermachen sollst. Okay, ich bin immer noch Thomas Rosner, aber alles, was mich als Mensch ausgemacht hat, war irgendwie weg, auch wenn es vielleicht nur negativer Nazischeiß gewesen war.“ Michael hörte ihm aufmerksam zu und biss sich schließlich auf sein Piercing. „Dich machen viel mehr Dinge aus, als nur, dass du mal ein Neonazi warst, Thomas“, sagte er schließlich sanft und atmete tief ein. „Du hast eine Menge an positiven Sachen an dir, sonst würde ich dich wahrscheinlich heute genauso scheiße finden, wie es vor einem Jahr oder so noch der Fall war.“ Er sah wie Thomas’ Mundwinkel ein wenig in die Höhe zuckten. „Das ist gut zu wissen“, murmelte er leise und ließ seinen Blick über die Landschaft vor ihnen schweifen. „Ich habe mich nicht bei dir gemeldet, weil ich… erst mal alles hinter mich bringen wollte. Ich wollte wieder auf ein Nulllevel kommen, bevor ich dir nachher doch noch die Schuld an irgendwas gebe, wofür du eigentlich nichts kannst.“ „Ich war aber der Grund, warum es passiert ist“, unterbrach Michael ihn und brachte Thomas somit dazu, ihn das erste Mal anzusehen. Die grauen Augen wirkten verletzlicher als sonst und die kleinen blauen Punkte der Iris strahlten in der Sonne, welche noch ein wenig Wärme spendete. „Aber es ist trotzdem nicht deine Schuld. Es war meine Entscheidung, mich auf dich einzulassen oder nicht und ich habe mich nun mal dafür entschieden. Ich hätte mit den Konsequenzen rechnen müssen.“ Es klang merkwürdig abgeklärt, so als ob Thomas eine Straftat begangen hatte und er somit hätte davon ausgehen müssen, irgendwann dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. „Sag mir nicht, dass du damit gerechnet hast, dass sie dich dafür verprügeln würden“, entgegnete Michael skeptisch, denn er konnte nicht glauben, dass Thomas dies von Anfang an gewusst hätte, auch wenn es ihn natürlich ehren würde, wenn dieser sich dann trotzdem auf ihn eingelassen hätte. „Hm, nicht direkt. Mir war irgendwie schon klar, dass es soweit kommen könnte, aber ich habe es nicht wahrhaben wollen. Es schien alles so irreal und man hat ja doch irgendwie diese Das-kann-mir-nie-passieren-Einstellung, egal, wie weit man sich etwas vorstellen kann. Aber ich hätte im Endeffekt wohl nie damit gerechnet, zusammengeschlagen und verlassen zu werden“, sagte er einsichtig und blickte wieder starr nach vorne. „Das kann man sich ja auch nicht vorstellen.“ „Nein, kann man wohl nicht“, murmelte Thomas und ließ einen Arm sinken, welcher schließlich Michaels Oberarm streifte. Leicht lächelte er, doch dann erschlaffte seine Miene wieder. „Aber solche Erlebnisse wecken dich auf“, erklärte er und zog mit seinen Zähnen an seiner Unterlippe. „Vielleicht hattest du Recht, wenn du meintest, dass ich froh sein kann, dass ich die nun alle los bin. Irgendwie habe ich nicht ganz in das Schema gepasst, das ist mir jetzt klar geworden. Ich habe es wohl nicht sehen wollen oder war zu fest gefahren in meinen Ansichten, über das, was richtig für mich wäre.“ Sei du selbst, steh zu dir. Die Wahrheit wird gelebt und nicht doziert. Du bist, was du warst und du wirst sein, was du tust. Beginne dich zu lieben und du findest fast alles, was du wissen willst; alles, was du suchst – findest du in dir. Denn du bist, was du tust. Bohr in deinen Wunden; mach dir klar, dass du noch lebst. Finde dich selbst, bevor du innerlich, innerlich verwest. „Im Endeffekt ist es also wirklich besser, dass es so gekommen ist. Das seh’ ich mittlerweile ein“, erklärte Thomas weiter und atmete hörbar ein. „Nur hätte ich es auch anders haben können, wenn ich es selber erkannt hätte. Ich habe den Halt gebraucht, denn ich durch die Szene bekommen habe und nicht infrage gestellt, ob ich das alles so wirklich will oder nicht. Man hat sich selbst eingeredet, etwas zu sein, was man nicht war und komischer Weise konnte ich jahrelang gut damit leben. Aber irgendwann schlägt einem die Wahrheit ins Gesicht und die kann scheiße wehtun. Du setzt dich also mit dir selbst auseinander und merkst, dass du in den letzten Jahren nur vor dich hinvegetierst hast und dich selbst verraten hast. Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr man sich selbst einreden kann, was man denkt, auch wenn die Wahrheit noch tief in einem ist; begraben unter… blöden Sprüchen, Vorurteilen und etwas, was sich Kameradschaft und Zusammenhalt nennt. Das scheint Nils’ Wahrheit zu sein, denn immerhin bleibt er trotz allem an der Szene hängen. Aber ich bin aufgewacht. Ich würde nicht mal mehr zurückgehen, wenn sie mich darum bitten würden.“ Die Worte klangen bitter und doch vermutete Michael nicht eine Sekunde lang, dass sie nicht stimmen könnten. Er hatte Thomas selten so ernst und doch so offen reden gehört. Eigentlich noch nie. Und irgendwie erfüllte ihn das mit einer kleinen Glückseligkeit, dass er ihm nun so viel mitteilte, auch wenn er gleichzeitig tiefes Mitleid und Traurigkeit empfand. „Man fühlt sich immer besser, wenn man so ist, wie man wirklich ist, auch wenn es manchmal schwer ist, das durchzusetzen“, sagte er und ließ seine Hand über Thomas’ Kopf gleiten; fühlte die rauen Stoppel an seiner Handfläche. Wenn du wirklich willst, veränderst du dein Leben. Wenn du wirklich willst, lernst du zu vergeben. „Das stimmt. Aber wenn man es wirklich will, dann kann man es schaffen, nicht wahr?“, sagte Thomas leise und es klang eher wie eine unsichere Frage, als wie eine Feststellung. Michael lächelte und rückte ein wenig näher. „Da bin ich mir ganz sicher. Außerdem… musst du es ja nicht mal alleine machen“, versuchte er Thomas zu bekräftigten und griff langsam nach dessen Hand, die in der Nähe seiner lag. Vorsichtig verschränkte er ihre Finger ineinander. „Kommst du bald wieder zur Schule?“ Thomas nickte und drehte seinen Kopf nun aus eigenem Antrieb wieder zu Michael. „Ja, ich denke, ab Montag“, sagte er ihm lächelnd und drückte Michaels Hand in seiner leicht. „Das wäre das erste Mal, dass ich Nils sehe, seit wir unsere Freundschaft wegen diesem Vorfall aufgegeben haben.“ Michael lächelte, als er den leichten Druck spürte und ließ seinen Daumen über Thomas’ Handrücken streichen. „Hasst du ihn dafür, dass er dir nicht geholfen hat?“ „Nein“, sagte Thomas recht schnell und ernst. „Ich war enttäuscht und sauer. Wir könnten keine Freunde mehr sein. Das Vertrauen ist nicht mehr da und wir leben in unterschiedlichen Welten. Aber ich hasse ihn nicht. Ich hab ihm verziehen, auch wenn ich es ihm nie vergessen werde…“ „Kluge Einstellung“, murmelte Michael leise und spürte ein leichtes Ziehen an seinem Arm, als Thomas sich neben ihm zu Boden gleiten ließ. „Hast du jemals gedacht, dass ich dumm wäre?“, fragte dieser und sah ihn von unten aus an; ein kleines Grinsen umspielte seine Lippen. Wenn du wirklich willst, lernst du an dich zu glauben. Wenn du wirklich willst, öffnest du dir die Augen. Wenn du wirklich willst, wird Großes klein. Wenn du wirklich willst, werd’ ich bei dir sein. Wenn du wirklich willst; wenn du wirklich willst, baust du ’ne Leiter zum Mond. Michael lachte leise. „Quatsch, nein“, sagte er abwehrend und lehnte sich ein wenig über Thomas, schaute auf diesen hinab. Seine Hand löste sich von Thomas’ und wanderte langsam höher zu dessen Gesicht. Andächtig strichen die Fingerspitzen über die helle, weiche Haut an Thomas’ Wange und strichen die leicht hinaus stehenden Wangenknochen nach. Es war sinnlich, Thomas’ Haut wieder an seiner zu spüren. Ein Gefühl, dass er die letzten drei Wochen vermisst hatte, sodass es fast schon so erstaunlich war, als würde er dies das erste Mal tun. Zärtlich wanderten seine Finger weiter, strichen über die dünne, blassrosa Haut von Thomas’ Lippen, als er schließlich auch dessen Hand in seinem Nacken spürte. Ein verliebtes Schmunzeln stahl sich auf seine Züge, während er sich von der Hand nach unten ziehen ließ und seine Lippen schließlich mit Thomas’ vereinte. Es war ein berauschendes, belebendes Gefühl, das ihn durchströmte. Sanft und langsam bewegten sich ihre Lippen aneinander und er merkte, wie Thomas ihn immer weiter auf sich zog, bis er schließlich gänzlich auf diesem lag. Eine halbe Ewigkeit, so kam es Michael jedenfalls vor, verweilten sie in dieser Lage, ehe er sich bedächtig von den Lippen löste. „Also muss ich mir wohl keine Sorgen machen, dass du mit mir Schluss machst?“, fragte er leise und ließ seine Fingerspitzen über Thomas’ Schläfe gleiten. Dieser schaute ihn verwundert an, während seine Finger mit Michaels Halskette spielten. „Hast du das gedacht?“, stellte er die Gegenfrage und sein Ton schwankte zwischen Überraschung und etwas, was Michael nicht beschreiben konnte. Dennoch klang es so, als wäre für Thomas von Anfang an klar gewesen, was er tun würde. „Ja, irgendwie schon“, murmelte Michael und rutschte ein wenig von dem Größeren runter. Thomas setzte sich auf und lächelte. „Du musst dir keine Sorgen machen.“ Umständlich zog er sich unter Michael hervor und stand schließlich auf. „Am Wochenende hatte ich eh vor, mich zu melden, aber du warst schneller als ich“, erklärte er leicht lachend und hielt Michael seine Hand hin, um ihn schließlich hochzuziehen. „Und jetzt lass uns fahren.“ Michael unterdrückte ein Grinsen und lief Thomas hinterher, der schnellen Schrittes auf das schmale Waldstück, dass sie von dem Auto trennte, zulief. „Ich brauche nämlich ein Bier, Zigaretten, einen guten Film und jede Menge Sex und Zärtlichkeiten“, sagte Thomas während des Gehens witzelnd und verlor nicht einmal das Gleichgewicht, als Michael ihm hinten auf den Rücken sprang. „Und dann werde ich dich bei meinem neuen Computerspiel schlagen, jawoll.“ „Klingt toll“, sagte Michael zustimmend und legte die Arme um Thomas’ Schultern, während er sich tragen ließ. „Aber du wirst mich nie bei dem Computerspiel schlagen.“ „Das glaubst du wohl“, murmelte Thomas zurück und lief etwas zick-zackig über eine große Wurzel. „Zur Not füll ich dich vorher so sehr ab, dass du nur die falschen Tasten drückst.“ Laut lachte er auf und sah schon sein Auto in der Nähe stehen. „Aha, das ist also das wahre Gesicht von Thomas Rosner, das du in dir gefunden hast?“, gab Michael spitz zurück und tat gespielt beleidigt. „Ist ja toll.“ „Sei still und beschwer dich nicht“, gab Thomas grinsend zurück und ließ Michael runter, als sie das Auto erreicht hatten. „Sonst lass ich dir hier und ich warne dich, hier wurden in letzter Zeit viele Zecken gefressen.“ Michael sah ihn dröge an. „Nein, schon klar. Blühende Fantasie, Thomas, ehrlich.“ Dieser schloss den Wagen auf und guckte ihn über das Autodach an. „Das hättest du nicht von mir erwartet, was?“ „Doch, so bescheuert warst du vorher auch schon“, gab Michael lachend zurück und stellte fest, dass das auch eins der Dinge war, die er an Thomas am meisten mochte. Lächelnd setzte er sich in den Wagen und blickte nach links zu seinem Freund, der den Wagen gerade startete. Sie waren wie Schwarz und Weiß gewesen und doch hatten sie zueinander gefunden und es geschafft. Vielleicht waren sie eigentlich alle wie Grau, eine Mischung eben, und die Unterschiede existierten nur in den Köpfen eines jeden Einzelnen. Es geht weiter, immer weiter. Immer weiter voran. Ich bin und bleib auch in Zukunft der Mensch, der wirklich kämpfen kann. Es kann kommen was will, es soll kommen wer mag. Ich stell die Weichen selber jeden Tag. Ich räume alles aus dem Weg. Denn ich bin der Sieger der Schlacht des Lebens. TE © by schmoergelmotte Das war's :) Ich hoffe, der Epilog hat euch eben so gut gefallen, wie er mir gefällt (und ja, das tut er wirklich *lach*) Ich möchte mich hier noch einmal für alle Kommentare bedanken, die ich zu dieser Story bekommen habe. Es waren ja doch mehr als erwartet und ich habe letztens durch eine Freundin erfahren, dass ich sogar auf 72 Favoritenlisten bin. Grundgütiger xD~ Wie schon am Anfang erwähnt, ist dies auch wirklich das endgültige Ende dieser Geschichte und dieser Idee. Ich kann verstehen, dass viele sich sicher sehr an die Story gewöhnt haben. Ich kenn das selbst, immerhin lese ich auch, wenn auch nur noch selten im Netz. Aber ich hoffe trotzdem, dass ihr auch mich verstehen könnt, dass ich einfach nicht mehr weiter an dieser Geschichte schreiben möchte. Bedanken möchte ich mich hier auch bei datErdbeerschn, die für mich den Beta gespielt hat, auch wenn sie sich immer beschwert hat, dass sie sich überflüssig vorkommt, weil sie kaum Fehler finden konnte ;) (@Annü: Im Endeffekt hab ich aber doch noch ein paar Kleine gefunden... ah, wir sind blind - alle beide xD) In diesem Epilog habe ich zwei Lieder zitiert. Vorrangig "Wenn du wirklich willst" von den Böhsen Onkelz, was wirklich hörenswert ist. Die Idee kam mir durch den Film "Kombat Sechzehn", der von einem Jugendlichen handelt, der in die Neonazi-Szene rutscht (sehr empfehlenswert!) und auch hier wurde die Endsequenz mit diesem Lied unterlegt. Da habe ich also etwas Ideenklau betrieben, auch wenn sich die Endszene und der Epilog sonst wirklich nicht ähneln xD~ Das zweite Lied bzw. der letzte Abschnitt ist aus "Weiter immer weiter" von frei.wild, einer Band, die vom Genre her auch in Richtung Onkelz passen würde. Zum Schluss noch ein paar kurze Eckdaten zu "Wie Schwarz und Weiß": - die Geschichte spielt von Ende Mai bis zum 22. September (Epilog). Hierbei habe ich mich von den Tagen her am Jahr 2006 orientiert, um den Überblick nicht zu verlieren, aber die Geschichte kann eigentlich in jedem beliebigen Jahr spielen. - ohne Titel und Überschriften umfasst die reine Geschichte 98.849 Wörter und ist 193 Seiten lang (MS Office Word). So, lange lange Rede, kurzer Sinn: Danke für's Lesen meiner Geschichte. Vielleicht werdet ihr ja auch noch bei anderen meiner Storys dabei sein. In nächster Zeit sind da eine X-Men-Slash-Story geplant, diverse HarryPotter-Fanfics und ich denke, nächstes Jahr wird auch wieder was Eigenes kommen. motte Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)