Tobrisches Schattenspiel von Sperber (Lares und Zylya im Dienste des KGIA 27 Hal) ================================================================================ Kapitel 1: Adel verpflichtet ---------------------------- Adel verpflichtet Lares. Rondra 27 Hal. Die Hitze flimmerte über der staubigen Straße. Lares hatte die Vorhänge der gemieteten Kutsche so weit es ging gelöst, damit die Luft in dem kleinen Raum besser zirkulierte. Rock und Hose klebten bereits jetzt an seinem Körper. Nun, das konnte auch die Nervösität sein. Er ging Persönlichkeit und Vergangenheit seiner Rolle, Irian von und zu Echterdingen, zum wohl hundersten Mal in Gedanken durch. Fast verarmter Landadel in den letzten Zügen, stämmig aus dem Koschgebirge, wegen Geschäften in Tobrien, zusammen mit seiner jungen Verlobten. Er blickte zwischen seinen Fingern, die er in einer Geste, die sowohl als Sonnenschutz als auch gegen die leichten Kopfschmerzen diente, über Augen und Nase gelegt hatte, zu Zylya hinüber. Sie wirkte ganz kühl in ihrem hellblauen Seidenkleid, mit den hochgesteckten Haaren und ihrem Fächer. Mirinda vom Felswasser, Erbin eines wohlhabenden Junkers, rief er sich ins Gedächtnis. Eine Zweckehe. Zylya hatte darauf bestanden. " Alles okay ?" fragte sie zwischen zwei Erschütterungen der Kutsche auf der holprigen Straße. Er brummte etwas, das sowohl ja und auch nein bedeuten konnte, und sie lächelte darüber, während sie sich mit ihrem Spitzenfächer leicht Luft zuwehte. Sie saß völlig gerade, wie eine Dame von Adel es tun sollte. Er beneidete sie, dass sie bereits jetzt so in ihrer Rolle war. Er war sich plötzlich nicht mehr so sicher, dass er sich noch genügend an die Etikette, die er von seiner Jugend in Belhanka und der Hochzeit auf Schloß Grauenfels am Angbarer See mitgenommen hatte, erinnern konnte, um glaubwürdig einen Adeligen zu spielen. Er spürte Zylyas Blick auf sich ruhen und setzte sich unbehaglich um, versuchte, sich nichts von seinen Zweifeln anmerken zu lassen. Scheinbar erfolglos, denn sie lächelte plötzlich und sagte: "Keine Angst. Phex steht uns bei." Er sah sie an, musterte ihren zuversichtlichen Gesichtsausdruck. Ihre Nähe zu Phex fiel ihm ein, das Karma, das in ihr ruhte, wie in ihm die Kraft Hesindes. Unwillkürlich tastete er in sich hinein, versicherte sich der weichen, grüngoldenen, fast stofflichen Wogen. Es war tröstend, spendete ihm Klarheit. Vielleicht spürte sie, dass Phex ihnen gewogen war. Außerdem hatten sie gespendet. Es würde sicher alles besser laufen, als er es sich ausmalte. Er hatte ein plötzliches, heftiges Bedürfnis nach einer tröstenden Hand. " Lares ?" Er zuckte leicht zusammen. "Ja. Jaja. Alles in Ordnung." Sie runzelte besorgt, skeptisch die Stirn. "Noch können wir umkehren." Daran hatte er auch schon gedacht. "Und drei Wochen Vorbereitung sowie einen Haufen Dukaten in den Wind schreiben ? Nein." Er hoffte wirklich, dass ihm seine Bedenken nicht so ins Gesicht geschrieben standen, wie er sie fühlte. Minutenlang rollten die Kutsche weiter, die Hitze lastete schwer in der kleinen Kabine. Lares verlegte sich darauf, aus dem Fenster zu sehen, um sich abzulenken, anstatt weiter zu grübeln. Die Felder und Wiesen Tobriens flogen vorbei, der schwere Geruch von Herbstblumen lag in der Luft. Schafe, Kühe, Gehöfte, Wege und Wanderer, all das zog vorüber wie eine Rekapitulation seines Lebens, wie eine Erinnerung an das, was es bedeutete, ein Mensch zu sein, frei zu sein. Er wandte den Blick wieder ab, legte die Unterarme auf die Knie und ließ den Kopf sinken. Das Magiersiegel in der Haut seiner Rechten zog seinen Blick an, er öffnete die Finger ... vertraute Linien, eine Kennzeichnung, auf die er stolz war. Und doch ... sie machte ihm plötzlich Angst. Belhanka war keine berühmte Akademie wie Punin oder Gareth, man würde sie wahrscheinlich nicht erkennen, aber nichtsdestotrotz war es eindeutig das, was es nun mal war: Ein Magiersiegel. Ein Brandmal, eine Warnung an normale Menschen. Nun mehr denn je. Er dachte an seinen Meister, der ihm den Siegelstab in die Handfläche gedrückt hatte, mit einem halb erfreuten, halb sorgenvollen Blick. "Lares", hörte er seine Stimme. "Ich weiß, du bist momentan einfach nur froh und glücklich, dass du alles hier hinter dir hast ... aber sei vorsichtig. Ein Magiersiegel ist als Sicherheit für dich gedacht, denn es unterstellt dich dem Gildengesetz und dem Gildenschutz ... aber man könnte es auch gegen dich verwenden ... nicht in allen Köpfen ist ein Magier ein unter Hesindes Aufsicht ausgebildeter, verantwortungsvoller und rechtschaffener Mensch. Manche von uns tragen auch nicht eben dazu bei, dass sich das ändert ..." Lares schloß die Hand zur Faust. Würde man das Symbol heute entdecken, war er geliefert. Im Moment hätte er viel darum gegeben, es niemals erhalten zu haben. Er zog brüsk die Handschuhe an, legte die Stirn in die Hände. Wann hatte er das letzte Mal solche Angst gehabt ? Die Kutsche hielt. "Lares", sagte Zylya leise. Er sah auf. Ihr Blick ruhte auf ihm, ihr Gesichtsausdruck war weich, so weich, dass er sich gar nicht erinnern konnte, es jemals zuvor so gesehen zu haben. "Schau nicht so drein ... das passt nicht zu dir." Er wusste nicht, wie ihm geschah. Kein verbaler Tritt ... freundliche Worte. Verwundert starrte er sie an, und völlig unversehens breitete sich ein warmes Gefühl in seinem Bauch aus, ein beinahe schmerzhaftes Ziehen, das ihm für Momente die Fähigkeit zu denken raubte. Sie hielt seinen Blick und grinste ein wenig - er musste wohl wie ein Schaf aussehen, das im Kauen innehält -, dann legte sich plötzlich die vertraute Kühle über ihr Gesicht, und sie schaute konzentriert zum Fenster hinaus. Er schreckte auf, folgte ihrem Blick. Sie waren angekommen ! Er setzte sich hastig auf, glättete sein Gesicht, strich sich über den Kinnbart. Irian. Irian von und zu Echterdingen. Ein Page eilte über den gepflasterten Vorhof, um die Kutschentür zu öffnen. Lares erhob sich gemessen, stieg mit weichen Knien aus und hielt dann Zylya die Linke hin. Sie ergriff sie geziert und ließ sich aus der Kutsche helfen. Leicht wie eine Feder kam sie auf dem roten Teppich auf, der von hier aus zum Torbogen der Burg führte. Er führte sie einige Schritte von der Kutsche fort, deren Tür der Page nun schloss und die davonrumpelte. "Welch schreckliche Sonne", seufzte Zylya und fächerte sich Luft zu. " Keine Sorge, meine Dame, Ihr werdet bald im Kühlen sein", antwortete er charmant, während der den Herold erwartete, der emsig herangelaufen kam. Der Herold war in die Farben des Hauses gekleidet, ein ziemlich großer, dünner Mann mit rötlichem Haar. Nun verneigte er sich vollendet und sagte: "Willkommen auf Burg Hohenfels. Ihre Einladung, wenn ich bitte dürfte." Lares griff in seine Innentasche, deren Inhalts er sich während der Fahrt zum wiederholten Mal versichert hatte, und reichte das Pergament hinüber. Diese Einladung hatten sie Zylyas Kontakten zur Gemeinschaft der Mondschatten zu verdanken - nicht ohne gesalzene Gegenleistung, versteht sich. Der Herold verneigte sich erneut tief und fragte: "Wen darf ich melden ?" " Irian von und zu Echterdingen aus der Baronie Steinwacht, Grafschaft Angbarer See im Fürstentum Kosch, mit seiner bezaubernden Verlobten Mirinda vom Felswasser." Der Herold brachte das Kunststück fertig, den Kopf noch mehr zu senken und eilte ihnen dann voraus: "Wenn Sie mir folgen würden ..." Zylya hakte sich bei ihm unter, und sie schritten über den roten Teppich auf die Burg zu, ein finsteres Gemäuer mit klobigen Türmen, die zur Feier des Tages mit Blumengirlanden geschmückt waren. Hier fand eine Verlobung statt: Die Baroness zu Hohenfels würde in Bälde den ältesten Sohn des Grafen Gurdner von Ysilia ehelichen. Die Feierlichkeiten fanden trotz der spätesten Ereignisse, trotz der vernichtend verlorenen Schlacht von Eslamsbrück statt. Es war, als wollte der Adel beweisen, dass er trotz allem nicht in Gefahr war, trotz allem sich nicht zu der Welt dort draußen, die sich zusehends verfinsterte, zählte, mehr noch, ja, dass die Ereignisse hier nicht existierten. Existieren sollten. Ihre Nachforschungen hatten sie wiederholt auf die Baroness hingewiesen, und dieser Ball war eine gute Gelegenheit, sich auf der Burg auf der Suche nach dem Artefakt zu machen. Theoretisch sollte es hier sein. Am Eingang wurden sie von den Wachen mit aufmerksamen Blicken gemessen. Lares würdigte sie keines Blickes, während der Herold mit der Einladung zu dem bereitsitzenden Schreiber lief und die Namen in die Gästeliste eintragen ließ. Der Schreiber öffnete die Schriftrolle und musterte sie. Lares starrte geradeaus, spürte, wie Zylya hinüber zum Geschehen blickte, sich noch immer müßig Luft zufächelnd. Kurze Zeit später drückten ihre Finger ganz sacht seinen Arm: Alles in Ordnung. Bisher. Die Schriftrolle wurde verstaut, sie wurden weitergeführt, in den offenen, sonnenbeschienenen Hof, in dem bereits einige Paare mit ihrem Gefolge verweilten, helles, künstliches Lachen und Parfüm lagen in der Luft. Ein Springbrunnen auf einer gepflegten Rasenfläche spendete Kühle, festlich gewandete Menschen schritten durch den offenen Säulengang eine Etage höher. Es duftete nach Honigkuchen und Braten, Gewürzen und frischem Brot. Lares' Magen regte sich mit einem leisen Grummeln: Er hatte vor Nervösität noch nicht viel gegessen. Kaum betraten sie den Hof, wandten sich ihnen neugierige Gesichter zu: Damen mit aufwendigen Lockenfrisuren in Spitze und Seide, Herren mit gepflegten Bärten, geschminkten Wangen und weiten Krägen. Für einen Augenblick machte sich Lares Sorgen, ob sie die derzeitige Mode verfehlt hatten, aber das ließ sich eventuell darauf schieben, dass sie nicht von hier waren. Was ihm noch mehr Sorgen bereitete, war das offensichtlich rege Interesse, das man ihnen entgegenbrachte: Viele begannen zu tuscheln, und eine recht korpulente Dame mit einem runden Gesicht, gekleidet in wallendes Weiß, kam bereits auf sie zu. Er zwang sich zu einem Lächeln und blickte ihr so ruhig es ging entgegen. " Neue Gesichter, wie angenehm", sagte die Frau mit voller Stimme, als sie an sie herangetreten war. An ihrem feisten Handgelenk, in der sie den Fächer hielt, klimperten mehrere mit schweren Halbedelsteinen besetzte Armreife; ihr Gesicht war so stark gepudert, dass es fast so weiß wirkte wie das Kleid, das sie trug. Nichtsdestotrotz war sie keine unangenehme Erscheinung. "Ich bin Anell von Hohenfels, die Schwester der Baroness." Lares, der sehr erleichtert war, dass die Dame gleich dazugesagt hatte, wen sie darstellte, ergriff leicht die ihm dargebotene, behandschuhte Hand und neigte sich mit eine Kratzfuß darüber. "Es ist mir eine Ehre, Euer Hochgeboren." Er richtete sich wieder auf und stellte sich und Zylya vor. Die Dame nickte leicht amüsiert. "Ein Koschbaron, wie sprichwörtlich !" Sie lachte geziert. "Und dieser Kratzfuß, die ganz altehrwürdige Schule. Ich sehe, im Kaiserreich ist Form und Würde noch etwas wert. Dies ist gut zu wissen in solch schwierigen Zeiten." " Ja, Reichsbehüter Brin und die Obrigkeit tun wirklich ihr bestes, Adel und Volk einen gewissen Halt zu bieten. Dies ist durchaus beruhigend." " Durchaus, durchaus. Sagt, was führt Euch hierher, Herr von Echterdingen ?" " Oh, wir sind geschäftlich in Tobrien, Werteste. Ein Koschbaron, wie Ihr bereits so treffend anmerktet, muss sich um seine Finanzen bestens kümmern, um nicht völlig zu verarmen." " Oh, und worum genau geht es in diesen Geschäften ?" " Euer Interesse schmeichelt mir, Hochgeboren, aber ..." " Oh nein nein, ich bin nur mal wieder neugierig. Lasst nur, lasst nur." Wieder lachte Anell von Hohenfels, ihre blonden Papilloten wippten. "Ich und mein Mundwerk, es wird mir noch einmal zum Verhängnis." Lares warf Zylya einen kurzen Blick zu. Sie beobachtete die Schwester der Baroness mit glattem Gesicht, doch Lares kannte sie gut genug, um zu sehen, wie misstrauisch sie war. Er seufzte innerlich. " Und wie erfuhrt Ihr von dieser Feierlichkeit ?" fuhr Anell jetzt fort. " Mein Kammerherr erfuhr davon und redete mir ins Gewissen, doch etwas Kontakt mit dem hiesigen Adel aufzubauen. Ich bin für gewöhnlich kein leutseliger Mann, doch als ich hörte, dass es sich um eine solch hohe Verlobung handelt, konnte ich nichts unangenehmes daran finden. Ich bin bereits jetzt entzückt." Er lächelte sie an. " Haach", seufzte sie und fächelte sich in gespielter Scham Luft zu. "Ihr schmeichelt mir. Ich übernehme nur das undankbare Amt der Gastgeberin, solange meine hohe Schwester sich umkleidet." Sie wandte sich an Zylya. "Ihr habt Euch da mit einem Charmeur verlobt, Werteste. Ich würde an Eurer Stelle gut auf ihn acht geben, die Tobrierinnen sind so etwas nicht gewohnt." " Ich auch nicht" sagte Zylya leicht säuerlich und überspielte es dann rasch mit einem strahlenden Lächeln. "Ich meine, ich war es nicht." " Ach, habt Ihr euch schon daran gewöhnt ?" Bevor Zylya etwas antworten konnte, versetzte Lares rasch: "Aber meine Damen, ich hoffe doch sehr, dass Eure Herzen nicht so rasch gegen ehrliche Worte abstumpfen. Obwohl es bei der Fülle der Komplimente, die Ihr wegen Eurer Schönheit erhalten müsst, durchaus zu verstehen wäre." Anell kicherte wie ein junges Mädchen und verbarg ihr Gesicht vergnügt hinter ihrem Fächer. "Du meine Güte, nun reicht es aber. Macht einer alten Jungfer keine schönen Augen, sondern haltet Euch an das hübsche Mädchen an Eurer Seite." Zylya brachte es fertig, leicht verlegen auszusehen, was Anell offenbar erfreute. "Nun denn, dann will ich mich mal um unsere anderen Gäste kümmern, bevor ich hier vollends die Fassung verliere. Ich wünsche ihnen viel Vergnügen." " Herzlichen Dank." Anell von Hohenfels eilte davon, auf ein weiteres frisch eingetroffenes Paar zu, und kaum war sie außer Hörweite, krallte Zylya sich beinahe schmerzhaft in seinen Arm und zischte: "Was soll das denn ?! Wollten wir nicht unauffällig sein ? Aramis ! Aramis !" " Besser, ich benehme mich wie Aramis, als du dich wie Zylya ! Reiß dich mal zusammen und versuch wenigstens, freundlich auszusehen !" " So freundlich wie du oder was ? Soll ich mich irgendeinem wildfremden Mann an den Hals werfen ? ,Oh, Sir, diese strammen Muskeln sind ja so beeindruckend, darf ich mal fühlen, hach ...' Da wird einem ja schlecht !" " Mach doch, was du willst, mir doch egal !" " Genau, schmeiß dich an diese Anell ran, das ist mir auch egal !" " Fein !" " Fein !" Lares bemühte sich, seinen Ärger aus seinem Gesicht fernzuhalten, auch wenn es ihm schwerfiel. Auch das noch ! Als ob es ihm nicht schwer genug fallen würde, jemand anderes zu sein als er selbst. Nahm sie es jetzt am Ende für bare Münze oder was ? Auch wenn Anells Reaktion ihn ehrlich ein wenig überrascht hatte, so dick aufgetragen hatte er nun doch nun auch wieder nicht ... Meine Güte, Frauen ! Zylya lockerte ihren Griff etwas und setzte ein breites Lächeln auf, das ihn mehr an ein Zähnefletschen erinnerte. Er sah sich um, noch immer ruhten einige Blicke auf ihnen. Hoffentlich hielten sie es für gewöhnliche Eifersüchtelei oder was auch immer unter Verlobten, soweit man es gesehen hatte. Sie hatten sich ja kaum bewegt. Sie gingen in den Schatten des Säulengangs, wo einige Augenblicke später eine große, zweiflügelige Tür geöffnet wurde, aus dem höfische Musik erklang und in deren Ausschnitt Blumengestecke und Girlanden zu erkennen waren: der Festsaal. Die Gäste machten sich auf den Weg dorthin, strebten eifrig plaudernd und lachend ins Kühle. Sie waren schon selbst beinahe dort angekommen, als Lares' Blick, der müßig auf dem Säulengang im ersten Stock der gegenüberliegenden Hofseite geruht hatte, plötzlich eine Gestalt streifte. Für einen Moment blieb ihm fast das Herz stehen: Eine schwarze Kutte mit grauen Schmuckbändern, die von den Schultern fielen. Zhayad-Symbole glänzten auf ihnen, das Gesicht unter der Kapuze war nur ein vager Schatten, die Hände auf die Balustrade gestützt, stand der Mann - Mann ? - da, schaute in den Hof. Auf ihn ? Sah er ihn an ? " Was ist ?" fragte Zylya alarmiert, und Lares bemerkte erschrocken, dass er mitten im Schritt verhalten hatte. Eilig ging er weiter. " Magier", murmelte er ihr zu. Zylya schielte zu der Gestalt in der Kutte hinauf. " Sicher ? Kein Stab." " Das muss nichts heißen. Gewisse Leute haben ihren momentan auch nicht." Zylya schwieg kurz, dann flüsterte sie: "Erst mal keine Sorge. Selbst wenn es ein Magier ist, muss das nicht schlimm sein." Lares nickte zögernd, doch das ungute Gefühl in ihm wich nicht. Magier erkannten einander nicht ohne weiteres, doch wenn diese Person dort oben einer war, kannte er sich wahrscheinlich mit Akademiesiegeln aus. Unwillkürlich ballte er die rechte Hand zur Faust. Und dann diese schwarze Kapuzenrobe mit dem Zhayadschmuck ... er wusste, es war ein Klischee und ein Vorurteil, doch plötzlich hatte er Angst, einem Anhänger des Namenlosen oder Borbaradianer ausgeliefert zu sein. Er rief sich selbst zur Ordnung: Die Hälfte aller Magier trug schwarz, davon fast alle Mitglieder der schwarzen Gilde, die zwar für ihre Forschungsmethoden berüchtigt, aber nicht ime landläufigen Sinne böse waren. Zhayadsymbolde waren gerade auf Festtagskleidung sehr beliebt. Also, keine Sorge. Keine Sorge. Nach Mittagsmahl und diversen Ansprachen zum freudigen Anlaß der Verlobung weitete sich die Gesellschaft auf die weitläufigen Gärten aus. Für den Nachmittag war die Feier als eine Art Gartenfest geplant, die Gruppen flanierten durch die Anlagen, zwischen Wäldchen, Pavillons und Springbrunnen, zwischen Blumenbeeten und Buchsbaumrabatten. Einige blieben jedoch, der der Erntezeit eigenen herrschenden drückenden Hitze wegen, im Inneren der Burg, in deren Säulengängen es angenehm kühl war. Lares hätte gerne die Bibliothek gesehen. Er rechnete zwar nicht damit, dass sie besonders groß war, doch vielleicht beinhaltete sie einige seltene Folianthen, Geschichts- und Expeditionsberichte. Er hatte gehört, die von Hohenfels' hatten diesbezüglich eine recht bewegte Vergangenheit. Der Vater der Baroness selbst war zu einer Forschungsreise in das Eherne Schwert aufgebrochen - und nicht zurückgekehrt. " ... solch interessanter Punkt. Nicht wahr, Herr von und zu Echterdingen ?" Lares blinzelte, blickte zurück zu seinen beiden Gesprächspartnern. "Bitte entschuldigen Sie, werte Herren. Ich war kurz in Gedanken." Der ältere Herr, ein stark geschminkter Bohemién mit gefetteten Locken und pudrigem Geruch, lächelte nachsichtig, wenn auch ein wenig beleidigt. Er war Junker, Begleiter und wohl Anstandsberater eines der anwesenden Fürstensöhne - dem jungen, gelangweilt aussehenden und selbst recht langweilig seienden Hagen von Geißenstein, dem zweiten Mann in der kleinen Runde. " Ich sagte, dass die Architektur dieses Gartens von meinem werten Cousin ersonnen wurde. Er ist ein Genie, was die geschmackvolle Anordnung schmückender Pflanzen angeht. Ich wies besonders auf die sternförmige Zentralformation hin." " Ah", sagte Lares und bemühte sich, wohlwollend auszusehen. Der Junker nahm dies als Aufforderung, lächelte und fuhr fort: "Bedauerlicherweise wurde die Randarbeit bei Anbau dieser grässlichen Wachhäuser zerstört." Er wedelte mit seinem Spitzentaschentuch in Richtung der Mauern. Lares folgte seinem Blick mit neuerwachtem Interesse. Tatsächlich waren, offenbar in aller Eile, am Rande des Gartens, zu Füßen des Hauptwohngebäudes Hütten errichtet worden - sie sahen eher zweckmäßig als repräsentativ aus, und Lares fragte sich ernsthaft, warum man sie zum Anlaß dieses Festes nicht wieder fortgeschafft oder zumindest hergerichtet hatte, vor allen Dingen im Vergleich zu dem übrigen Prunk ... Sein Blick glitt die Wand des Hauses hinauf. Hohe, verglaste Fenster, mit schweren Brokatvorhängen dahinter. "Wer wohnt denn dort ?" " Oh, soweit ich weiß, sind das die Privatgemächer der Herrschaften von Hohenfels." Das war wichtig. Lares fühlte es, sein Sinn für diese Dinge, trainiert in den langen Jahren der Wanderschaft und Abenteurerei, sprang zuverlässig an, knüpfte Verbindungen und rechnete Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten gegeneinander aus und ab wie ein Abakus. " Also ich meinerseits würde es ja nicht mögen, wenn die Wachhabenden direkt zu meinen Füßen leben, noch dazu in solch billigen Baracken. Und das am Tage meiner Verlobung, wenn jeder es sehen kann." Er schüttelte abfällig den Kopf. "Nicht zu vergessen, wie sehr es die natürliche Architektur dieses Gartens stört", pflichtete ihm der Junker bei. Hagen von Geißenfels gähnte. Lares musterte konzentriert die offenen Gänge im obersten Geschoß, dort, wo er den Zugang zu den Gemächern vermutete. Die Hitze machte seinem Verstand etwas zu schaffen, er wünschte sich einen Fächer, so wie Zylya einen hatte. Wenn dort oben ebenfalls verstärkt Wachen standen, konnte das Artefakt in den Privatgemächern der Baroness sein. Das verwunderte ihn etwas, er und Zylya hatten eher mit einer Schatzkammer gerechnet. "Ich würde mir den Gartenbau gerne etwas genauer ansehen", wandte er sich an den Junker, der geschmeichelt lächelte. "Aber gern, euer Hochgeboren. Was wünschen sie zu beschauen?" " Ihre Gesamtheit. Vielleicht von einem erhöhten Platze aus ?" Er wies auf die Säulengänge im obersten Stock. Der Junker machte einen halben Diener und breitete die Arme aus in Richtung seines Herrn aus. "Wie Ihr beliebt. Erlaubt, dass ich mich zurückziehe, euer prinzliche Erlauchtigkeit ..." Der junge Hagen winkte ihn mit einer gelangweilten Geste davon. Als sie die Treppen zur Burg hinaufstiegen, aus deren Gartentoren geschäftig Bedienstete mit gekühlten Bowlen, vollgeladenen Fruchtkörben und kleinen Happen eilten, versetzte der Junker: "Entschuldigt bitte meinen Herren, Herr von Echterdingen, er ist noch immer von Krankheit gezeichnet und eigentlich noch nicht bereit für eine solche Gesellschaft ..." " Er scheint überhaupt nicht bereit zu sein, seine Zunge zu lockern", antwortete Lares mit einem halben Lächeln. Unwillkürlich sah er sich nach Anell um. Vielleicht konnte ihm die Gunst, die er ihrerseits anscheinend irgendwie gewonnen hatte, nutzen, wenn es darum ging, in die Gemächer dort oben zu kommen ... Er hatte schon Zylyas Blick vor Augen: Brennend vor Verachtung, dazu ein bissiger Kommentar über seine Qualitäten als Charmeur. Er würde das gerne vermeiden. Seine Augenbrauen ruckten etwas zusammen. Sie war nach dem Mittagsmahl mit einer Gruppe Frauen verschwunden, nicht ohne ihm noch einmal einen gewissen - koketten ? - Blick über die Schulter zuzuwerfen. Seitdem hatte er sie nicht mehr gesehen. Vielleicht warf sie sich wirklich irgendeinem Grafen an den Hals. Er hätte vielleicht mit ihr absprechen sollen, dass sie sich nicht zu weit von ihm entfernte ... Andererseits, mit weiblichen Waffen kam sie vielleicht schneller an das Versteck des Artefakts als er mit Verstand. Er stellte sich Zylya im Arm eines der geschminkten Adeligen vor, lächelnd, fügsam. Der Gedanke gefiel ihm alles andere als gut. Aber das passte auch nicht zu ihr, sie warf sich keinem Mann an den Hals. Erst recht nicht irgendeinem aufgeblasenen Lackaffen. Obwohl ... er hatte ihr auch noch gesagt, sie solle nicht Zylya sein, sondern Mirinda. Wer weiß, wie Mirinda das hielt ... Hätte er doch die Klappe gehalten. Obwohl, Mirinda war doch sicher ein ehrenhaftes Mädchen .. aber na ja, immerhin ging es Zylya darum, irgendwie an Informationen zu kommen und ... "Fühlt ihr Euch nicht wohl, Euer Hochgeboren ?" fragte sein Begleiter besorgt. Lares wurde sich bewusst, dass sein Gesichtsausdruck inzwischen mehr als düster geworden war, und versuchte, dies mit einem raschen Grinsen fortzuwischen. "Ach, ich war nur in Gedanken." Was beschäftigte ihn das so ? Das war Zylyas Ding. Er machte seinen Job, und sie machte ihren. Egal wie. Ihre Sache ! Wieder das Bild, wo sie ihm Arm des Adeligen lag. Der Mann verwandelte sich in ein vertrautes Gesicht von der Sorte Männer, in deren Nähe er sie nicht sehen wollte: Aramis. Aramis ... Argh, es war ihre Sache ! Er kniff die Augen zusammen, vertrieb das Bild. Er hatte wichtigeres zu tun. Noch immer besorgt beobachtet von seinem Begleiter, erreichte er das oberste Stockwerk, ging stracks an die Balustrade. Er war leicht außer Atem und wütend auf sich selbst. Das war nicht der richtige Moment, um sich Gedanken um Zylyas Männergeschmack zu machen. Er sah auf die Gartenanlagen, und der Junker begann zu erklären. Aus den Augenwinkeln erfasste er die Silhouetten einiger Wachen, wie er es erwartet hatte. Aber er folgte dem weisenden Finger mit Blicken, nickte und hörte mit einem Ohr zu, aber mit dem Anderen horchte er in Richtung der Gemächer, die seiner Vermutung nach der Braut gehörten. Und tatsächlich hörte er etwas. Von der Wand gedämpfte Stimmen, erhobene Stimmen. Ein Streit. Eine Frauen- und eine Männerstimme. Die Baroness ? In seinem Kopf improvisierte sich ein Plan zusammen. Er richtete seinen Blick wieder auf die Gärten, suchte Anells runde weiße Gestalt. Er entdeckte sie schnell, sie war als einzigste in reines Weiß gekleidet. " Ich danke euch", sagte er mit einer leichten Verneigung zu seinem Begleiter, der geschmeichelt in seiner Erzählung innehielt, auch wenn er es offenbar bedauernswert fand, sich nicht weiter über die geometrische Anlage und die Stellung der Springbrunnen auslassen zu können. "Mir ist gerade etwas eingefallen, was mich wieder nach unten ruft. Ihr erlaubt ?" " Aber selbstverständlich." Sie gingen hinab. Lares legte ein relativ rasches Tempo vor, wobei er sich noch zurückhielt. Jetzt musste alles schnell gehen, aber er wollte auch nicht den Eindruck erwecken, als wolle er den Junker hinter sich lassen. Kein Aufsehen erregen. Nur kein Aufsehen. Unten angekommen, verabschiedete er sich von seinem Begleiter und ging hinüber zu Anell, wappnete sich, schickte ein kurzes Stoßgebet zu Hesinde, sie möchte seine Sinne klar beieinander halten. Anell von Hohenfels war im Gespräch mit einigen Damen: Zwei farblose Geschöpfe, die ohne ihre Kleidung und Schminke nicht durch irgendeine Besonderheit aufgefallen wären, und eine rothaarige, vollbusige Schönheit, die ihn kurz anerkennend eine Augenbraue heben ließ - und ihm dann einen vagen Schrecken einjagte: So schwer es möglich war - er hatte den Eindruck, sie schon einmal gesehen zu haben. Er war jedoch fast da, und jetzt stehen zu bleiben, hätte seltsam gewirkt. So trat er mit einem weltmännischen Lächeln in den kleinen Kreis. Anell drehte sich sofort zu ihm um und fasste sich mit der Hand an die Brust, als wäre sie zu Tode erschrocken, wenn auch nicht allzu negativ, denn sie strahlte ihn an. "Herr von Echterdingen ! Wie schön ! Kommt, ich stelle Euch vor." Sie nannte die Namen der Damen. Lares kannte keinen davon, auch nicht den der Rothaarigen: Yassia von Verborn. Das beruhigte ihn etwas. Vielleicht verwechselte er sie, oder sie sah jemandem ähnlich, den er kannte. Er bemühte sich, Freundlichkeit auszustrahlen, machte einige Komplimente, die die farblosen Schwestern zum Kichern brachten. Bei der Rothaarigen hielt er sich zurück - er wollte ihre Aufmerksamkeit nicht unnötig erregen. Er hatte ohnehin das Gefühl, dass sie ihn anstarrte. Nichts wie weg hier. " Ihr möget mit verzeihen, verehrteste Anell, doch ich bin bedauerlicherweise nicht gekommen um mit Euch und den reizenden Herrschaften zu plaudern. Wenn ich Euch kurz unter vier Augen sprechen dürfte ?" "Natürlich", antwortete Anell verunsichert. "Bitte entschuldigt mich", dann zu den Damen gewandt. Sie gingen einige Schritte bis zum nächsten Brunnen, Anell fächerte sich offensichtlich nervös Luft zu. Lares sah noch einmal über seine Schulter hinweg zu Yassia, vielleicht fiel es ihm doch noch ein... Sie sah ihm nach. Vielleicht hatte sie ihn ja auch erkannt. Verdammt, er hätte sich nicht umdrehen sollen ! " Nun ..." versetzte Anell zögernd. "Worüber wolltet Ihr mit mir sprechen ?" " Verzeiht, dass ich so indiskret zu sein wage, Verehrteste. Als ich eben auf der Empore war" - er wies auf besagte Stelle - "wo sich meines Wissens nach eure Gemächer befinden, konnte ich einem Streit lauschen. Und mir fiel ein, dass Eure Schwester seit dem Mittagsmahl hier unten nicht mehr zugegen war, und ich war in Sorge, ob ihr nicht vielleicht etwas passieren könnte ..." " Sie streitet ?" Anell wirkte leicht besorgt, schwieg einen Moment. "Ich bedaure, dass ihr das mitbekommen musstet, doch ich denke, es besteht kein Grund zur Besorgnis ... es sind genug Wachen dort oben, falls sie in Gefahr sein sollte. Sie braucht nur zu rufen." " Wenn sie schreit, mag es schon zu spät sein." Er ergriff ihre Hand, hob sie bis knapp vor seine Lippen. Sie hielt kurz die Luft an, überrascht, erwartungsvoll, und trotzdem stand in ihrem Gesicht Beunruhigung. "Anell." Die direkte Nennung ihres Vornamens, ohne den Titel, hatte die gewünschte Wirkung: Er sah förmlich, wie sie zugänglicher wurde, ihre Finger übten, wohl unbewusst, etwas mehr Druck auf seine aus. "Ich sehe Eure Besorgnis. Anscheinend sind meine Befürchtungen nicht ganz so gegenstandslos, wie Ihr es mich gerne glauben machen wollt. Ich bitte Euch, um Eurer selbst willen: Seht nach." Kurzes Zögern in ihren Augen. Dann holte sie tief Luft, nickte. "Ihr habt recht. Ein kurzer Blick kann nicht schaden." " Lasst mich Euch begleiten." Er ließ ihre Hand nicht los, hielt ihren Blick gefangen. " Oh nein, das ist doch nicht nötig ..." " Glaubt Ihr, ich lasse Euch allein in eine potentielle Gefahr laufen, auf die ich Euch noch selbst hingewiesen habe ? Nein. Wenn dort oben etwas nicht in Ordnung ist, seid ihr, wenn ihr hineinplatzt, genauso gefährdet wie eure Schwester. Ich werde mitkommen." Wieder zögerte sie. Hatte sie Angst ? "Nun gut", sagte sie schließlich, und wischte sich aktiv die Sorge mit der Maske der strahlenden Gastgeberin aus dem Gesicht. "Ihr könntet von einer Frau alles verlangen, Herr von Echterdingen." Sie zwinkerte ihm zu. Das wüsste ich, dachte Lares trocken. In diesem Moment fiel sein Blick über Anells Schulter hinweg auf eine Person, die dort offensichtlich schon eine Weile stand, ruhig den Fächer bewegend, ganz unbewegt, eiskalter Blick. Zylya. Hätte ihr Blick töten können, er wäre auf der Stelle tot umgefallen. Er zuckte zusammen, ließ Anells Hand los, die nun völlig in Gedanken loseilte, Richtung Hauptgebäude. Sie hatte Zylya nicht gesehen. Er konnte nicht bleiben, es ihr nicht erklären. Er musste weg. Er sah Zylya beschwörend an, dann wandte er sich ebenfalls um und folgte Anell. Hastig zupfte er ein Taschentuch aus seinem Ärmel und schüttelte es neben sich aus, bevor er es wieder zurücksteckte. Das war ein vereinbartes Zeichen, das Zeichen für "Ich habe eine Spur". Er hoffte inständig, dass Zylya es registriert hatte. Ansonsten lief er Gefahr des sofortigen Todes bei Rückkehr. Er folgte Anell ins oberste Stockwerk. Der Streit hatte offenbar tatsächlich noch nicht geendet; Anell verhielt kurz im Schritt, ging aber nach einem rückversichernden Blick nach ihm stracks zur Tür und klopfte. Die Stimmen verstummten, nach einigen Augenblicken ertönte ein erschöpftes "Herein". Anell öffnete und trat ein. Lares folgte ihr. Der Raum war ein zweiteiliges Gemach. Hier, im vorderen Teil, standen furnierte Holzmöbel, Sekretär, Sessel, Teetisch und Vitrinen mit allerlei Figuren und Pokalen, Geschirr und Bildern. Der Boden war mit einem tulamidischen Teppich ausgelegt, an den Fenstern hingen die schweren Brokatvorhänge, die Lares schon von außen gesehen hatte. Der hintere Teil war offensichtlich das Schlafzimmer, er konnte ein Stück eines Himmelbettes sehen. Die Baroness von Hohenstein war größer und schlanker als ihre Schwester, doch ihr Gesicht war gleich rund, die Locken von nahezu gleicher Farbe. Sie wirkte strenger, verlebter. Dies fiel besonders nun auf, wo sie fahl war vor Ermüdung. Gekleidet war sie in ein hochgeschlossenes, weißes Gewand von relativer Einfachheit. Die einzige andere Person im Raum war ein Mann von schwerer Statur und einem gepflegten, aber kräftigen Bart von der gleichen dunklen Farbe wie sein Haupthaar. Er war sehr repräsentativ gekleidet und augenscheinlich reich, denn er trug schwere goldene Ketten am Hals und an fast jedem seiner kräftigen, kurzen Finger einen Ring. Es war Graf Gurdner von Ysilia, der Vater des Verlobten der Baroness. Lares bemühte sich, im Hintergrund zu bleiben, als Anell nach der Schwester Wohlbefinden fragte, und sah sich um. Wo könnte das Artefakt hier versteckt sein ? Groß war es nicht. Vielleicht im Sekretär ... In diesem Moment ergriff der Graf ein Kästchen, das zwischen den Teetassen auf dem Tisch gestanden hatte, klappte es zu und ging damit ins Schlafzimmer. Das Kästchen ! Vielleicht enthielt es den Gegenstand des Streites. Vielleicht das Artefakt. Die Baroness sah ihm kurz nach, während sie ihre Schwester beruhigte und versprach, gleich nach unten zu kommen und nach den Gästen zu sehen. Sie würdigte Lares keines zweiten Blickes. Er war froh darüber. Er konzentrierte sich, glitt kurz hinüber in den Astralraum. Versuchte, die astrale Präsenz dieses Zimmers zu erfassen. Vielleicht gab es keine andere Möglichkeit, wieder in diesen Raum zu kommen, als durch einen Teleport. Er musste mit Zylya sprechen. Wenn sie mit ihm sprechen wollte. Verdammt, er machte hier seinen Job, nichts anderes, wieso dann dieser Blick ? Es war nicht seine Schuld, dass Anell in diesem Maße auf ihn reagierte, er wunderte sich ohnehin, wieso einige freundliche Worte und gewöhnliche, ja, gar etwas dick aufgetragene Komplimente solch eine Wirkung auf sie hatten. Er hatte nie diesen speziellen Effekt auf Frauen ausüben können, der sie einem in die Arme trieb. Muß am Titel und am Bart liegen - oder die Männer in Adelskreisen sind wirklich sehr langweilig, dachte er mit einem leichten Schmunzeln. Anell wandte sich nun wieder um, bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er ihr folgen möge. Er machte einen angedeuteten Diener und ging ihr nach. Die Baroness hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen und die Hand an die Stirn gelegt. Hoffentlich ging es ihr gut, und sie würde den Raum bald verlassen. Wenn sie hier drin blieb, hatte er schlechte Karten. Dann wäre zusätzlich noch ein Visibili nötig, noch dazu ein längerer wirkender, und vielleicht noch ein Blitz dich find, und dann wieder ein Teleport ... das zehrte an seinen astralen Grenzen. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, griff Anell zu seinem Erstaunen nach seinem Ellenbogen, und er bot ihr hilfsbereit den Arm. "Ist alles in Ordnung, Verehrteste ?" " Ach, wisst ihr ..." Sie seufzte schwer. "Gespräche dieser Art führe ich nur ungern mit meiner Schwester ... sie reagiert so ... gereizt." " Ich verstehe", sagte er, auch wenn er nicht verstand, was sie meinte. Die Baroness war doch recht ruhig gewesen. "Nun, so vermute ich, dass alles in Ordnung ist ?" " Im Streit mit Gurdner wird es wohl kaum zu Handgreiflichkeiten kommen ... zumindest hoffe ich das. Alarmierend, dass so etwas noch vor der Hochzeit passiert." Sie sah unglücklich aus. " Was meint ihr, worum es ging ?" " Oh, ich weiß nicht. Vielleicht um Gurdners Begleiter. Besonders vertrauenserweckend sind die ja nicht. Oder um die Mitgift. Wißt Ihr, Gurdner ist ein gewissenhafter Landgraf, der mit seinem Geld durchaus haushalten kann, aber die Truppen, die sich in Ysilia sammeln, brauchen Nahrung und Unterkunft ... Kriegshaufen sind schlimmer als ein Heuschreckenschwarm." Lares versuchte ein Lächeln. "Den Wert dieser Erfahrung kann ich leider nicht verbuchen. Als ich aus Steinwacht abreiste, waren die Zeiten noch bedeutend ruhiger ... ich hoffe sehr, das mein Haus- und Hofmeister mit alldem zurechtkommt. Vielleicht werde ich schon sehr bald zurückkehren müssen." " Wie bedauerlich !" " Eure Anteilnahme schmeichelt mir." Er lächelte, sie ebenfalls. "Doch verratet mir doch, wen Gurdner mitbrachte, die euch so missfallen, dass ihr sie für den Grund des Streits eurer Schwester haltet." " Ach. Ihr habt sie doch sicher schon bemerkt, unheilvoll wie die hier herumstromern, ganz in schwarz, als wäre das eine Trauerfeier und keine Verlobung. Der seltsame Kerl in der schwarzen Kapuze und diese rothaarige Hexe von ..." Sie stockte abrupt und setzte ein Lächeln auf, schaute nach vorn. Lares folgte alarmiert ihrem Blick - oh ja, wenn man vom Teufel spricht ... Yassia von Verborn, gewandet in schwarze spitzenbesetzte Seide, kam mit langsamen, wiegenden Schritten auf sie zu, das Gesicht in einem unheilvollen Lächeln erstarrt. Lares fluchte innerlich. " Ah, Yassia, was tut ihr hier oben ?" fragte Anell fröhlich. "Ich hoffe doch, dass ihr euch wohlfühlt." " Durchaus, Gnädigste. Mir fiel nur ein, dass ich etwas mit eurem Begleiter zu besprechen hätte. Unter vier Augen." Ihre Stimme war leise und kalt, die letzten Worte sprach sie mit großem Nachdruck. Anells Lächeln gefror zu einer Maske, ihre Hand glitt von seinem Arm. Er hatte das Gefühl, ihm würde ein Schild abgenommen, nervös versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen, sagte: "Ich stehe der Dame selbstverständlich zu Diensten." Anell sah ihn an, plötzlich verunsichert, ängstlich, als könnte er ihr etwas tun. Wahrscheinlich befürchtete sie, er hätte sie nur ausgehorcht und gehöre eigentlich zu Gurdners Leuten. Er hätte gerne gesagt, dass das nicht wahr war, aber sie trat schon rückwärts und eilte davon. Beklommen sah er ihr nach. Als wäre es völlig selbstverständlich, hakte Yassia sich bei ihm unter und schlenderte los, zog ihn mit freundlichem Druck mit. Er musterte ihr Profil, bemühte sich verzweifelt, die Lage einzuschätzen. Wer war sie ? Yassia von Verborn, verdammt, musste er den Namen kennen ? Er hatte allmählich den vagen Eindruck, dass er wirklich ihr bezüglich irgendetwas vergessen hatte. Irgendetwas wichtiges ... " Baron Irian von und zu Echterdingen ... nicht wahr ?" " Durchaus - ihr habt euch nicht im Mann geirrt." Er lächelte, und sie tat ihm den Gefallen, ebenfalls zu lächeln. Sie war wirklich sehr hübsch. "Was kann ich für euch tun ?" " Ach, ich fragte mich nur, wie es kommt, dass ihr mir so bekannt vorkommt. Woher könnten wir uns kennen ?" Ihr Lächeln war absolut glatt. Lares begann zu schwitzen. Verdammt, er hatte sich doch nicht geirrt. Tatsächlich gelang es ihm, ruhig zu bleiben, sich das überlegene Lächeln eines Mannes, der nichts zu befürchten hatte, zu bewahren. "Nun, vielleicht sind wir uns bereits auf einem ähnlichen Fest begegnet - obwohl es mich doch sehr wundern sollte, wenn ich mich an eine solch bemerkenswerte Frau, wie ihr es seid, nicht mehr erinnern kann." " Daran zweifle ich nicht. Ihr habt ja ein sehr offenes Auge für die Frauen. Selbst für Anell." Oha. Sie konnte man nicht einfach in Komplimente lullen. "Anell von Hohenfels ist eine sehr liebenswerte Person. Ich behandle sie nur, wie es ihr gebührt." " Sie ist auch noch nicht versprochen, falls Ihr Interesse habt." " Aber ich bitte Euch ! Vielleicht ist sie es nicht, aber ich bin es zumindest." " Ach ja - mit der kleinen Blonden, nicht wahr ?" " Mirinda vom Felswasser ist ihr Name." " Eine sehr resolute Person, wie mir scheint. Sieht euer Geplänkel nicht besonders gern, wenn ich mir den Eindruck erlauben darf." Yassia schwieg einen Moment, fächelte sich Luft zu. Lares musterte sie von der Seite. Worauf wollte sie hinaus ? Er hatte irgendwie das Gefühl, dass er auf dünnes Eis geführt wurde. "Liebt ihr sie denn ?" fragte Yassia weiter. " Nun, erstrangig beruht unser ... Arrangement auf wirtschaftlichen Gründen. Der Kosch ist eine arme Gegend." " Ja, ich weiß. Also liebt ihr sie nicht." Das Thema gefiel ihm nicht. "Wart ihr schon einmal im Kosch, Werteste ?" " Oh, ein oder zweimal." " Zu welchem Anlaß ?" " Zum Beispiel zur Hochzeit von Irian von Falkenhag." Ihn hätte es beinahe gewürgt. Die Hochzeit ! Das war es also ! Zylya und er hatten nicht ganz umsonst eine Identität aus dem Kosch gewählt, unter der sie hier agierten. Erstens waren Koschbarone selten außerhalb des Fürstentums anzutreffen - sie konnten es sich einfach nicht leisten - und zweitens waren sie als die Pantheonhelden auf dieser Hochzeit gewesen. So war es wahrscheinlich, dass, sollte hier ein Gast von dieser zugegen sein, man sie nicht verriet - als Held wurde man weniger verdächtig für böses oder eigennütziges Handeln. Aber diese Frau ... er spürte, dass sie ihm nicht freundlich gesonnen war. Und er spürte, dass sie selbst nicht ganz frei von der Leber weg sprach. Auch sie verbarg etwas vor ihm, so wie er etwas vor ihr verbarg. Ebenfalls ihre Identität ? " Ah ! Ein ganz wunderbares Fest." Sein Mund redete einfach weiter. Er war dankbar dafür. " Wirklich ? Ich habe Euch dort gar nicht gesehen." " Ich war dort. Fragt mich nur nach irgendeiner Einzelheit." " Ich zweifle nicht wirklich daran, dass ihr dort wart. Ich bezweifle bloß ... dass ihr ... Baron Irian von und zu Echterdingen wart. Denn der wurde mir vorgestellt. Und er sah ganz anders aus als Ihr." Lares blieb vor Schreck abrupt stehen. Ihr Gesicht war mit voller Aufmerksamkeit auf sein Gesicht gerichtet, er bemühte sich verzweifelt, eine Fassade zu bewahren. "Das kann nicht sein, Werteste." Seine Stimme zitterte leicht. Verdammt ! " Ich habe recht." Ihr Blick bekam etwas lauerndes, sie machte ein Schritt auf ihn zu - wobei er einen Schritt zurückweichen musste, wollte er nicht, dass sie gegen ihn stieß. "Ihr seid nicht der, für den ihr euch ausgebt ..." Noch ein Schritt. Wieder wich er zurück - und stieß mit dem Rücken gegen die Wand. Er konnte den Impuls nicht unterdrücken, sich nach einem Fluchtweg umzusehen .... Lares ! Jetzt reiß dich zusammen, Idiot ! Gerat nicht in Panik ! Er sammelte sich mühsam, setzte zu seiner Antwort an ... und stockte. Denn sie machte sich an den Knöpfen seines Rockes zu schaffen, öffnete sie mit raschen, geschickten Fingern. "Äh ..." brachte er hervor, verstand nicht, wie ihm geschah. Sie schlug den schweren weinroten Samtstoff auseinander, machte noch einen Schritt vor. Ließ ihn deutlich spüren, was sie hatte. Ihre Fingerkuppen, beziehungsweise ihre lackierten Nägel, gruben sich halb zärtlich, halb besitzergreifend in seine Seiten. Ziemlich weit unten. "Äh ..." wiederholte er, war viel zu überrumpelt, um zu reagieren. Das war das letzte, womit er gerechnet hatte. Außerdem passierte so was sonst höchstens in seinen Träumen. Sie hob das Gesicht, ihr Atem streifte seinen Hals. Ein Schauer jagte über seinen Rücken. "Hört zu ..." Ihre Stimme war leise, nahe bei seinem Ohr. "Ich weiß nicht, wer ihr seid. Aber ich weiß, dass auf Betrug ziemlich hohe Strafen stehen ... und dann direkt hier, inmitten der Betrogenen, enttarnt zu werden ... ihre Angst ... ihre Anspannung könnte sich direkt an Euch entladen ..." Sie ließ eine ihrer Hände seine Brust hinaufgleiten, fest, fordernd. Ihm stockte der Atem, war immer noch vor Überraschung nicht fähig, sich zu bewegen, verdammt, was war hier los ? " Was ... ?" brachte er hervor. " Ganz einfach", sagte sie. "Eine Hand wäscht die andere ... ich behalte Euer kleines Geheimnis für mich ... und Ihr ..." Schritte. Laute, feste, fast ein Stampfen. Dann: "Irian !!!", hervorgestoßen, mit vor Entrüstung und Wut brechender Stimme. Zylya. Er wandte erschrocken den Kopf, ebenso wie Yassia, die nicht minder stark aufgeschreckt war und sich nun etwas aufrichtete, aber immer noch bei weitem zu nahe bei ihm stand, um den Abstand unverfänglich wirken zu lassen. Oh nein ... er wollte gar nicht wissen, wie das aussah. Er wusste nicht, was er zu seiner Verteidigung vorbringen sollte. Das einzigste, was seinem schocklahmen Verstand einfiel, was am nächsten an der Wahrheit war, war der abgedroschene Spruch "Das ist nicht, wonach es aussieht". Und er hatte genug Romane gelesen, um zu wissen, dass dieser meist nach hinten losging. Also stand er da, öffnete ein paar Mal den Mund, um zum Sprechen anzusetzen, und schloss ihn unverrichteter Dinge wieder. Irgendwann kam er auf die Idee, seinen Rock wieder zuzuknöpfen. Yassia verschränkte die Arme wirkungsvoll unter ihrem Busen und musterte Zylya, auf deren Wangen rote Flecken brannten. Ihr Blick war kühl, abwertend und berechnend, sie schien sich nicht im geringsten zu schämen. Aber in ihrem Blick lag nur gespanntes Misstrauen, kein Erkennen - noch nicht ... Lares hatte das dringende Bedürfnis, von hier weg zu kommen, mit Zylya zu sprechen, es ihr zu erklären. Aber wie ? " Irian, kann ich mal mit ... Euch sprechen ?" Zylyas Stimme war hart und spröde wie blanker Stahl, und zusammen mit dem kaum merklichen Stocken vor der formellen Anrede ließ sie ihn zusammenzucken. "Selbstverständlich, Verehrteste", antwortete er, ohne sie ansehen zu können. Seine Stimme klang belegt. Er schloss den letzten Knopf und bot Zylya dann den Arm - nicht ohne noch einen nervösen Blick auf Yassia zu werfen, die allerdings keine Anstalten machte, irgend etwas zu unternehmen. Ihre vollen Lippen waren zu einem spöttischen Lächeln verzogen. Seine Nackenhaare stellten sich in einer Mischung aus Erregung und Grauen auf, als er daran dachte, was vielleicht passiert wäre, wenn Zylya nicht gekommen wäre. Sie griff forsch nach seinem Arm und zog ihn mehr mit sich, als dass sie sich sittsam führen ließ, die Treppe hinab und um die Ecke. Seine Aufregung ebbte allmählich ab, sein Verstand begann wieder zu arbeiten. Was hätte Yassia von ihm als Gegenleistung verlangt ? Inwieweit hatte sie ihn überhaupt erkannt ? Inwieweit hatte sie seines und Zylyas Gesicht einordnen können, wenn sie auch auf dem Hochzeitsball in Schloss Grauenstein zum Angbarer See gewesen war ? Er musterte Zylyas Gesicht von der Seite, die hektischen roten Flecken auf Wangen und Hals, den halb ins Leere gerichteten Blick. Sein Herz machte einen seltsamen Sprung - war sie wirklich eifersüchtig ? Sein Verstand fing diesen Gedanken ab wie ein Schild einen Schwerthieb. Es war einfach gefährlich gewesen, es hatte sicher ausgesehen als wäre Yassia ihm auf der Spur - und damit ihrer beider Tarnung. Er holte tief Luft und sagte dann halblaut: "Danke. Du hast mich gerettet." " Das habe ich gesehen", stieß sie zwischen den Zähnen hervor, ohne ihn anzusehen. " Sie hat uns erkannt", fuhr er leise fort. "Das heißt, sie weiß, glaube ich, nicht, wer genau wir sind, aber sie weiß zumindest, dass ich nicht Irian von und zu Echterdingen bin. Sie war auf dem Ball in Angbar." Zylya sog zischend die Luft ein. "Verdammt !" Ihr Gesicht war düster, Lares hoffte, dass es vom Nachdenken kam, und nicht, weil sie böse auf ihn war. Sie schwieg eine Weile, bis sie die Gärten wieder erreicht hatten. Die Sonne strahlte noch immer, höfliches Geplapper füllte die Luft, die schwer und unbewegt wie eine feuchte Decke über der Gesellschaft lag. Lares' Blick fiel wieder auf die unschönen Wachbaracken, und ihm fiel ein, wieso er eigentlich dort oben gewesen war. "Ich glaube, dass, was wir suchen, befindet sich in den Gemächern der Baroness", sagte er leise. "Ich war mit Anell dort ..." " Und ich dachte schon, du wolltest sowohl weiß als auch schwarz ausprobieren", antwortete Zylya bissig und sah prompt noch verärgerter aus. Er blinzelte, brauchte einen Moment, bis er verstand, worauf sie anspielte. "Jetzt sei nicht albern !" Seine Stimme klang schärfer, als er beabsichtigt hatte - und lauter, einige Leute wandten ihnen kurz den Kopf zu. Er spürte, wie sich die Härchen an seinen Unterarmen aufstellten. Er senkte die Stimme. "Erstens: Nenn mir eine bessere Möglichkeit, an die Baroness heranzukommen, als Anell !" " Nimm sie doch gleich persönlich", zischte Zylya. " Sie ist die Braut ! Wie stellst du dir das vor ?! So ein Quatsch ! Zweitens, Charissia..." Er sprach den Namen völlig gedankenlos aus - und damit, was er die ganze Zeit gesucht hatte. Die Gewissheit, diese Frau zu kennen - namentlich. Charissia von Salming zu Dunkelforst . Die Frau, die hinter den den Giftanschlägen auf die Adeligen im Schloss Grauenstein zum Angbarer See gesteckt hatte, während der Hochzeit von Arethas Bruder. Die Borbaradianerin, in deren Diensten Aramis gestanden hatte. Er blieb wie angewurzelt stehen, spürte, wie er erbleichte. Zylya hatte nicht damit gerechnet, dass er so plötzlich stocken würde, drehte sich, immer noch wütend, um. Als sie sein Gesicht sah, glätteten sich ihre Züge, erst in Verwirrung, dann in Erkenntnis, als sie den Namen, den er genannt hatte, einordnete. "Phex", hauchte sie. Sie starrten sich an. " Wir müssen hier weg", sagte er irgendwann, und in ihrem Grauen brachte sie nicht mehr fertig, als zu nicken. Sie flanierten weiter, beide mit fahlen Gesichtern. Lares' Gedanken rasten, spielten die Szene im dritten Stock durch. Charissias Worte, ihre Blicke. Ihren unvermittelten Übergriff. Nein, sie hatte gesagt, sie wüsste nicht, wer er sei. Aber vielleicht hatte Zylyas Gesicht ihrem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen. Sie war ja immerhin auch ähnlich gekleidet wie auf dem Ball. Andererseits hatte sich hauptsächlich Aramis mit ihnen beschäftigt, nicht Charissia persönlich ... Aramis. Sein Mund verzog sich. Wie immer, wenn er an diesen Mann dachte, ballte sich etwas in ihm zusammen, selbst jetzt noch, nach über einem Jahr, und obwohl dieser sicher hinter Schloss und Riegel saß ... Ein unangenehmer Gedanke drängte sich ihm auf. Konnte er sich dessen überhaupt so sicher sein ? Er hatte schließlich nie etwas über Aramis' Schicksal gehört, nachdem dieser in die Kutsche nach Gareth gesetzt worden war, wo er sich der Gildengerichtsbarkeit gegenüber verantworten sollte. Vielleicht war er nie dort angekommen... Immerhin war Charissia entkommen, und, wer weiß, vielleicht hatte sie ihren Komplizen befreit ... Sagte Anell nicht, dass Charissia eine der beiden schwarzen Gestalten war, die Gurdner, der Vater des Bräutigams, aus Ysilia mitgebracht hatte ? Und trug der andere nicht eine mit Zhayadsymbolen verzierte Robe ? Vielleicht war es ja Aramis, der sich in den Schatten des schwarzen Stoffes verbarg ... Sie näherten sich einem schattigen Teil des Gartens, der von Menschen ob seiner Kühle recht leer war. Mit gesenkter Stimme erklärte Lares Zylya, was er befürchtete. "Selbst wenn Aramis mich nicht erkennt ..." - er zupfte erläuternd an seinem Haar und dem Bart - " ... dich erkennt er ganz sicher. Außer, er hatte so viele Frauen, dass er sie nicht mehr auseinanderhalten kann." Er schaffte es nicht ganz, seine Abneigung gegen Aramis aus seiner Stimme herauszuhalten, was ihm einen kurzen, aber glücklicherweise unkommentierten Seitenblick von Zylya einbrachte. "Könnte sein", sagte sie, Unbehagen schwang in ihrer Stimme mit. "Du sagtest, das Artefakt ist in den Gemächern der Baroness ?" "Ich sagte, es könnte dort sein." Er erzählte ihr von dem Schmuckkästchen, und sie nickte, auch wenn sie seinen Verdacht scheinbar für nicht allzu gefestigt hielt. "Ich komme notfalls mit einem Teleport ins Zimmer, falls ..." " Nein", sagte sie schnell. "Was, wenn es nicht dort ist ? Und überhaupt, raus teleportieren müsstest du dich dann auch. Wohin, ohne dass dich jemand bemerkt ? Außer, ganz nach draußen ?" Sie machte eine Handbewegung über die Mauer hinweg. "Und was sagst du, was du im Zimmer der Baroness machst, wenn jemand reinkommt, um nachzusehen, was da so einen Höllenlärm veranstaltet?" Sie warf ihm ein schnelles Lächeln zu. "Lass mich das machen." " Und was willst du tun ?" fragte er, leicht verdrießlich, weil sie schon wieder darauf herumritt, dass er manchmal gegen Dinge lief, wenn er auf etwas anderes konzentriert war. Sie wies wie zufällig mit dem Fächer auf eines der Dienstmädchen, das in der Nähe die Dekoration auf einem Tisch arrangierte. Lares musterte es. Die Idee war nicht schlecht. Keiner schenkte den emsigen Dienstboten Beachtung, nicht einmal er hatte es getan. " Gut", stimmte er halbherzig zu. "Aber wie willst du an den Dress kommen ?" " Lares", sagte sie mit einem Zwinkern. "Du vergisst, wer ich bin." Die Vorbereitungen waren schnell getroffen. Sie sprachen sich ab: Zylya sollte ins Zimmer gehen, Lares würde draußen Wache halten und im Falle der Gefahr - welcher Art diese Gefahr sein sollte, ließen sie offen - den Rapier fallen lassen. Das Scheppern der metallenen Parierstange sollte in den Steingängen gut zu hören sein. Sie trennten sich am Fuß der Treppen. Lares stieg ohne Eile nach oben, wagte nicht, daran zu zweifeln, dass Zylya sich rasch und unbemerkt von einer festlich gekleideten Adligen in ein nichtssagendes Dienstmädchen verwandeln konnte. Sie würde das schaffen, und sei es nur, um es ihm zu beweisen. Wenn er so darüber nachdachte, wollte er gar nicht allzu genau wissen, wozu sie alles fähig war und wozu nicht. Bisweilen sprach ihr Verhalten, ihr Blick von einer Skrupellosigkeit, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Ja, sie war anders als er, sie war völlig anders aufgewachsen, in einer ungeschützten Umgebung, in der das Rauben, Stehlen und Töten beinahe selbstverständlich war. Wenn sie es für die sicherste Methode, unbemerkt zu bleiben, hielt, tötete sie. Fertig. Er hoffte inständig, dass sie keinem der Dienstboten etwas zuleide tun würde. Oben angekommen, trat er seufzend an das Geländer und sah hinab in den belebten Garten. Kühler Wind strich über sein Gesicht, durch die weichen Härchen an Kinn und Wangen. Gedankenverloren hob er ob des ungewohnten Gefühls die Finger an den kurzen Bart. Irgendwie sehnte er sich danach, ihn wieder loszuwerden. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er sich gewünscht hatte, er könnte sich einen dichten, drahtigen Bart stehen lassen, so einen, wie ihn sein Vater trug. Die almadanische Blut der Familie seiner Mutter hatte dies jedoch zu verhindern gewusst - fast keiner der Männer dort hatte starken Bartwuchs, und so hatte auch er wenig. Er musste sich kaum rasieren, und es hatte Ewigkeiten gedauert, bis er diesen Bart hatte. Zylya hatte einige Löcher noch an diesem Morgen mit schwarzer Farbe ausgemalt. Aber jedes Mal, wenn er sein Spiegelbild in einem Fenster, in einer Wasserschale sah, erschrak er vor sich selbst, sah nichts als einen strengen, fremden Mann. Einen Mann, der er nicht sein wollte. Er spürte plötzlich die Anwesenheit der gerüsteten Wachen, die in diesem Stockwerk noch allgegenwärtiger waren als im Rest des Schlosses, stärker, empfand sie als bedrohlicher, fühlte sich schutzlos, bedeutungslos... vielleicht, wenn irgend etwas schiefging, würde er hier sterben, sterben und sofort vergessen werden. Ein gefasster Eindringling und Dieb, nicht mehr. Schließlich standen ihm seine Gründe nicht auf der Stirn, keine sichtbare Rechtfertigung, die je jemand erfahren würde. Der KGIA machte ihn zu einem namenlosen Schatten, der funktionierte, bis er ausgelöscht wurde. Von einem Schatten blieb nichts übrig. Diese Gedanken beschwerten seinen Mut. Aber er konnte nicht einfach aufhören, musste weiter seine Rollen spielen, wenn er hier unbehelligt wieder hier rauskommen wollte, um Bart und Verkleidung loszuwerden, wieder er selbst sein zu dürfen. Ein Schemen bewegte am Rande seines Blickfeldes: Ein Dienstmädchen mit einem Wäschekorb kam flink die Treppe herauf, warf ihm einen kurzen, grauäugigen Blick zu. Zylya. Er versuchte, desinteressiert auszusehen, als er ihr nachblickte, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder den Gärten widmete. Er war froh, dass sie da war. Er wusste, sie würde weitermachen, was da auch käme. Und das gab ihm neuen Mut. Sie verschwand ohne zu zögern im Zimmer der Baroness. Müßig zupfte er das Spitzentaschentuch aus seinem Ärmel und tupfte sich die Stirn damit ab, weniger, weil er schwitze, mehr, um seine Finger zu beschäftigen. Hoffentlich hatten sie alles bedacht. Sowohl die Baroness als ihre Schwester Anell konnte er zwischen den Springbrunnen und Blumenrabatten entdecken, nicht so aber Charissia. Das beunruhigte ihn wirklich, auch wenn es eher beruhigend sein sollte, sie nicht in der Nähe Gurdners zu sehen, der sich beim Buffet aufhielt. Aber wo war sie dann ? Immerhin hatte sie ihm mit Verrat gedroht ... Verrat an wen, wenn nicht an Gurdner ? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)